t N 1 . ■ . ■ M ■*rr& ■flfVv •ro,.f v .« '« '•,w- y* xf •, ‘r V v V "V- *Kv 1 rf’-y^ V- V' «■. r. Sri *v*>V« > IN. V •>-r- - .% W' ^ •Nv ,- )..-s^:. L>^' v? <■• - **^v *whc j I | äüf den Körper zur'Heilung von Krankheiten ? * 7 , besonders der r 1 ; Lungentuberkulose. * i Vortrag zum Besten unbemittelter Lungen! gehalten am 16. Februar 1906 / Dr. med. Wolfgaji^Roernjsc if Arosa. . h/ ^ Verlag H. Erfurt, vorm. E. Richter’sche Buchhandl., Davos 1906. Buchdruckerei Davos A -G. Davos-Platz in Einfluß des Geistes auf den Körper ist in Krankheitsfällen von jeher von den _ Menschen bewußt oder unbewußt ausgeübt worden. Auch Untersuchungen über diesen Einfluß des Geistes auf die Tätigkeiten unserer körperlichen Organe sind schon zu den ersten Zeiten philosophischen Denkens angestellt worden. Wie es möglich ist, daß durch rein geistige Tätigkeiten (Vorstellungen, Gedanken und Gefühle) nachweisbare Veränderungen im Körper des Denkenden stattfinden und bis zu welchem Grade das geschehen kann, das erschien der Philosophie gerade in ihrer Blütezeit als eine Frage, die ebenso schwer zu lösen, als tiefsten Nachdenkens wert wäre. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts war das Interesse an diesem Problem ein so allgemeines, daß einer unserer größten Philosophen (Kant), einer unserer bedeutendsten Dichter (Schiller), und einer der humansten und feinsinnigsten Aerzte (Feuchtersieben) es für wert hielten, es genau zu untersuchen und in eigenen Abhandlungen zu er- läutern. Während es aber solcher Betrachtungsweise in seinem wahren Wesen unerforschlich blieb, wurde ihm in dem Jahrhundert des Er- starkens der Naturwissenschaften von dieser Seite eine unerwartete Klärung zu teil. Gestützt auf die besonders in den letzten Jahrzehnten gewonnenen großen Erfahrungen ist es jetzt eine dankbare Aufgabe, diesen Gegenstand im Zusammenhang zu besprechen, dem hier noch ein weiteres Interesse zukommt, als wir hier alle krank sind, krank waren oder zum wenigsten von Kranken umgeben sind. Und gerade bei der Lungentuberkulose hat man von alters her daran gedacht, daß in seelischen Erlebnissen und in einer durch das Temperament beeinflußten Lebensweise vielfach der Grund zur Entstehung der Krankheit zu suchen sei. Es ist daher für uns sogar von wesentlich praktischem Interesse zu sehen, inwieweit diese Auflassung berechtigt ist, wie und auf welche Weise der Geist einen Einfluß auf den Körper auszuüben vermag. Den Errungenschaften neuerer Forschung, die eine Klärung dieser Vorgänge herbeigeführt haben, ging eine Zeit intensiver Beschäftigung mit dem Gegenstände meines Vortrages voraus. Wie ich schon erwähnte, waren es einige unserer hervorragendsten Denker, die Ende des 18 . 5 und Anfang des 19. Jahrhunderts ihre Beobachtungen veröffentlichten. — Schiller , der in seinen Jugendjahren zum Mediziner ausgebildet werden sollte, schrieb mit 21 Jahren die Abhandlung «Ueber den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen». Folgende Sätze daraus zeigen die Klarheit seines Erkennens: «Eine Empfindung, die das ganze Seelenwesen einnimmt, erschüttert in eben dem Maße den ganzen Bau des organischen Körpers». «Wer begreift nun nicht, daß diejenige Verfassung der Seele, die aus jeder Begebenheit Vergnügen zu schöpfen und jeden Schmerz in die Vollkommenheit des Universums aufzulösen weiß, auch den Verrichtungen des Körpers am zuträglichsten sein muß?» — «Auf eben die Weise erfolgt das Gegenteil beim unangenehmen Affekt». «Der Zustand des größten Seelenschmerzes ist zugleich der Zustand der größten körperlichen Krankheit». «Heldenmut und Unerschrockenheit strömen Leben und Kraft durch Adern und Muskeln, Schrecken und Furcht lassen die Glieder kraftlos und schwer sinken». «Man hat tägliche Beispiele von Kranken, die sich voll Mut über die Leiden des Körpers erheben, von Sterbenden, die mitten in ihren Bedrängnissen fragen: wo ist dein Stachel, 6 Tod?» — Er erwähnt als Beispiel für den Einfluß eines mutigen und erhobenen Sinnes auf die körperlichen Schmerzen, «daß Mucius, die Hand in lohen Flammen bratend, den Feind mit dem Blick der stolzen Ruhe betrachten konnte». Hier lassen Sie mich Ihnen ein näher liegendes Beispiel aus den Schrecken der jetzigen russischen Revolutionszeit berichten, das einen Kurgast von Arosa betrifft, der vor wenigen Jahren hier seine Genesung fand. Ich bringe Ihnen wörtlich die Schilderung seiner Frau in ihrem vor kurzem an mich gerichteten Briefe: Mein Mann ging, wenn es klingelte, den Leuten nur noch mit der Hand am Revolver entgegen. Am 10. September blieb ich, weil ich mich krank fühlte, zu Bett. 12 Uhr wurde geklingelt. Ich hörte meinen Mann durch den Saal gehen, dann einige Worte, dann ein unausgesetztes Schießen. Einen Stuhl mit sich reissend, taumelte er mir entgegen und stürzte auf der Schwelle nieder mit den Worten: «Ein junger Mensch bringt mir diesen Brief und als ich mich umkehrte, schießt er auf mich». Auf die Frage, wo er verwundet sei, antwortete er: «Ach, überall, in die Beine, den Unterleib, durch und durch.» Sein Kopf sank schwer auf die Schwelle. Ich schob ihm ein Kissen darunter. Da sprach er wieder: «Wie schön war es zu leben, aber schön ist es auch zu sterben. Aber Du sollst leben, Du mußt jetzt leben und unsere Kinder zu braven deutschen Menschen erziehen». Dann ging sein Blick ins Weite. Totenblässe überzog sein Gesicht. Er stöhnte zweimal tief auf und dann war alles still. So wunderbar friedlich lag er da — wie schlafend, sogar ein Lächeln auf den Lippen. — In gleicher Weise wie der berühmte Römer hat hier ein Zeitgenosse von uns, ein einfacher schlichter Mann, die größten körperlichen Schmerzen erduldet, entschlossen mit ihrem Sichtbarwerden seine Frau nicht zu betrüben, und ist von ihr mit einem Lächeln auf den Lippen- geschieden Und solche Wirkungen geistiger Vorgänge, des Glaubens, der Vaterlandsliebe, des befriedigten Pflichtgefühls, die die Schrecken körperlicher Leiden verscheuchen, kann man immer wieder am Krankenbett bewundern, sie sind uns allen aus der Geschichte durch den Heldentod der Märtyrer und der Vaterlandsverteidiger im Kriege bekannt. Es ist dies der Sieg des mutig erhobenen Sinnes über die körperliche Schwäche, wie ihn Schiller mit jenen Worten so schön geschildert und später oft auch poetisch dargestellt hat, ich erinnere nur an den Tod der Jungfrau von Orleans, wie sie ihren Wunden erliegt, sich nicht mehr aufrecht zu erhalten vermag und verklärten Angesichts die Worte spricht: kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freudei Während der große Dichter eine Jugendarbeit diesem Gegenstand widmete, wurde Kant, der berühmte Philosoph, in hohem Alter durch Hufeland gebeten, seine diesbezüglichen Beobachtungen zu veröffentlichen. Er tat dies in seiner Schrift: «Von der Macht des Gemüts durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu werden». Von seinen Ausführungen sind zwei an sich selbst gemachte Erfahrungen auch jetzt noch von allgemeinerem Interesse. Er schreibt: «Ich habe wegen meiner flachen und engen Brust, die für die Bewegung des Herzens und der Lunge wenig Spielraum läßt, eine natürliche Anlage zur Hypochondrie, die in früheren Jahren bis an den Ueberdruß des Lebens grenzte. Aber die Ueberlegung, daß die Ursache dieser Herzbeklemmung mechanisch und nicht zu heben sei, brachte es bald dahin, daß ich mich an sie gar nicht kehrte, und während ich mich in der Brust beklommen fühlte, im Kopf doch Ruhe und Heiterkeit herrschte. Die Beklemmung ist mir geblieben, denn ihre Ursache liegt im körperlichen Bau. Aber über 9 ihren Einfluß auf meine Gedanken und Handlungen bin ich Meister geworden, durch Abwendung der Aufmerksamkeit von diesem Gefühle, als ob es mich gar nichts anginge». — Bei der anderen Selbstbeobachtung Kants handelt es sich nicht nur um eine krankhafte Veranlagung, sondern um eine ausgebrochene Krankheit, zu deren wirklicher Beseitigung er den Einfluß des Geistes auf den Körper verwendete. Es heißt da: «Ich fühlte seit etwa einem Jahre sehr empfindliche krampfhafte Reize im Fuße, die ich für gichtische Zufälle halten mußte. Nun aber, aus Ungeduld, am Schlafen mich gehindert zu fühlen, griff ich bald zu meinem stoischen Mittel, meine Gedanken mit Anstrengung auf irgend ein von mir gewähltes gleich- giltiges Objekt zu heften, mithin die Aufmerksamkeit von jenen Empfindungen abzulenken, wodurch diese dann stumpf wurden und so die Schläfrigkeit überwog, und dieses kann ich jederzeit, bei wiederkommenden Anfällen dieser Art in den kleinen Unterbrechungen des Nachtschlafes mit gleich gutem Erfolg wiederholen.» Derartige Beobachtungen waren natürlich den Aerzten nicht fremd. Hufeland hob das Wesentliche an den Kant’schen Ausführungen in einer Anmerkung hervor: «Jedermann giebt zu, daß es 10 möglich ist, durch ein unerwartetes Ereignis, durch eine angenehme Zerstreuung, genug durch etwas, was den Geist stark abzieht, sein körperliches Leiden zu vergessen. Warum sollte das nun nicht der eigene feste Wille selbst bewirken können?» Daß die Energie des Willens dasselbe ver- mag, wie die sittliche Erhebung in den Schiller- schen Beispielen hat Kant gezeigt, aber die Erklärung der hier in Betracht kommenden Vorgänge hat er nicht zu geben vermocht. Eingehender wie alle Fachgenossen seiner Zeit hat sich dann der ebenso geistreiche wie gemütvolle Arzt Emst Freiherr von Feuchtersieben mit der Macht des Geistes über den Körper beschäftigt und dieselbe in seinem noch jetzt viel gelesenen Buche: «Zur Diätetik der Seele» im Zusammenhang besprochen. Ihm handelt es sich darum, nicht bloß die Gefühle, sondern womöglich »das Erkranken selbst zu bemeistern». Der Mensch vermöge jede Kraft, die aus der Quelle des geistigen Lebens fließe, indem er sie bilde, zur Kunst zu gestalten, und wenn er es dahin gebracht habe, daß ihm das Leben selbst zur Kunst ward, warum solle es ihm die Gesundheit nicht werden können, die das Leben des Lebens sei? Man könne eine Macht über sich selbst erringen, — also auch über das Erkranken, 11 sofern es in der Tiefe der Eigennatur wurzle. «Tausend Einflüsse lauern auf den bedürftigen Sterblichen, ja die ganze Welt ist ein solcher, aber der stärkste von allen ist der Charakter des Menschen». «Haben wir durch Kunst unsere Einbildungskraft erquickt, durch Sittlichkeit unseren Charakter gestählt und durch Bildung unser Dasein erweitert, so werden wir den Gewalten mit Leichtigkeit widerstehen, welche die rohen Elemente täglich aus allen Winkeln des Universums feindlich aussenden, uns zu verwandeln, zu zerstören.» Und er fügt bei: «Ich wiederhole hier nicht, was von Wundern des Zutrauens, der Hoffnungsbilder, der Sympathien, der Musik in Krankheiten erlebt worden ist. Alle diese Mittel gehören ins Gebiet der Phantasie und eine fortrückende Zeit wird unsere Enkel belehren, daß noch gar manche Heilmethode in dieses Gebiet gehöre, deren Grund wir heute noch ganz wo anders suchen». Diese Prophezeihung von Feuchtersieben ist in Erfüllung gegangen. Aber die Erkenntnis wurde nicht durch philosophische Betrachtungen, wie sie diese drei geistreichen Männer angestellt hatten, herbeigeführt. Nachdem sich zuerst die primitivsten Heilkünstler mit dieser Frage beschäftigt, dann die hervorragendsten Philosophen vergeblich an ihrer Klärung gearbeitet hatten und sie dann wieder wesentlich in die ärztlichen Kreise zurückgekehrt war, gelang ihre Lösung dem naturwissenschaftlichen Experiment; freilich nicht, ohne daß kurz vorher die Geister durch einige besonders verwirrende Irrtümer in Aufregung versetzt worden waren. Zur Einleitung muß ich zunächst einige Beobachtungen am normalen Menschen erwähnen. Der Mitte des 18. Jahrhunders lebende englische Arzt John Hunter wies als einer der Ersten darauf hin, daß durch die Aufmerksamkeit, die man auf einen Teil seines Körpers richtet, Empfindungen in demselben hervorgerufen werden können. Der englische Irrenarzt Hack Tuke hat dies dann in seiner «Geist und Körper» 1 ) betitelten Studie über die Wirkung der Einbildungskraft näher ausgeführt: «Wenn 20 Personen 5 oder 10 Minuten lang ihre Aufmerksamkeit auf ihren kleinen Finger richten, so geschieht folgendes: Einige werden sich gar keiner Empfindung bewußt werden; andere werden örtlich ausgesprochene Empfindung verspüren: Ziehen, Schmerz, Klopfen u. s. w., der größte Teil wird ein leichtes Gefühl von Druck haben und von Ameisen- ') Uebersetzt von Dr. Kornfeld-Jena, Gustav Fischer. 13 laufen.» — Ferner: «Der Schmerz eines Schlages wird viel stärker empfunden, wenn der Schlag erwartet wurde; er wird im Gegensatz hierzu gar nicht oder nur leicht gefühlt, wenn die Aufmerksamkeit abgelenkt war». — Als Tuke einmal unter Lachgas ein Zahn ausgezogen werden sollte und dieses infolge eines unvorhergesehenen Zufalls nicht angewendet werden konnte, machte er sich das Ausziehen des Zahnes dadurch fast schmerzlos, daß er sich lebhaft angenehme Bilder vorstellte und im Geiste immer wiederholte: «Wie entzückend! wie entzückend!» — Ein anderes mal hatte er ein junges, hochgradig nervöses Mädchen zu chloroformieren, der eine schmerzhafte Operation gemacht werden sollte. Als er die Chloroformflasche unerwarteter Weise leer fand, schickte er nach einer neuen und hielt inzwischen dem Mädchen, um es daran zu gewöhnen, die Maske vor das Gesicht, die übrigens nicht einmal nach Chloroform roch. Das Mädchen begann sofort schnell zu atmen und nach einer halben Minute sagte es: «Ah, ich fühle es, ich fühle, daß ich vergehe!» Das Chloroform war noch nicht angekommen, und so ließ man es ruhig weiter atmen. Da seine Hand jetzt von der Brust auf die Seite glitt, faßte Tuke den Arm und kam auf den Gedanken, ihn zu 14 drücken. Er drückte so stark er konnte, das Mädchen schien nichts zu fühlen. Da ersuchte er den Operateur, anzufangen. Dieser vollführte die Operation ohne Schwierigkeit. Mitten darin hatte Tuke die Maske entfernt, und um die Wirkung auf die Einbildung zu sehen, sagte er zu dem Operateur: «Warten Sie einen Augenblick, die Patientin scheint zu sich zu kommen». Sofort änderte die bisher ruhige Atmung ihren Charakter, wurde so schnell wie beim Beginn der Einatmung, das Mädchen begann seine Arme zu bewegen. Tuke hielt die Maske wieder vor, das Atmen wurde von neuem ruhig und die Operation wurde nun beendigt, ohne daß sich ein Muskel bewegte; und als das Mädchen während des Verbandes gefragt wurde, ob es etwas gefühlt hätte, antwortete es: «Nein, ich weiß von nichts, was vorgegangen ist.» Und bis zu seiner Entlassung glaubte es fest an die Wirksamkeit des bei ihm angewendeten Chloroforms. — Aehnliche Fälle sind wohl jedem Arzt, der viele Narkosen gemacht hat, vorgekommen. Es passierte mir vor ein paar Jahren zum Beispiel mit einer Patientin, die ich schon einmal chloroformiert hatte, daß sie bei einer nochmaligen Operation, als ich ihr die Maske kaum vors Gesicht gehalten hatte, in tiefe Narkose verfiel; ich war jeden Augenblick bereit, das Chloroform wieder anzuwenden, brauchte es aber während der Operation nicht mehr. — Nach derselben glaubte die Patientin tief chloroformiert gewesen zu sein. Ein anderes mal wollte ich einer Kranken einen Zahn ziehen. Ich hatte ihr gesagt, ich würde es schmerzlos machen; nachdem ich ihr etwas Chloräthyl auf das Zahnfleisch gespritzt hatte, ließ sie plötzlich den Kopf nach hinten sinken und bot das Bild einer tief Narkotisierten. Ich umfaßte schnell ihren Kopf mit einem Arm, zog ihr den Zahn aus und rief sie dann an, zu erwachen, damit sie das Blut nicht hinunterschlucke. Sofort kam sie zu sich, hatte nichts gefühlt und erklärte, sie habe geglaubt, in Schlaf versetzt zu werden.—-In dem der Mitte des vorigen Jahrhunderts vorausgehenden Jahrzehnt wurden häufig große Operationen auf ähnliche Weise schmerzlos ausgeführt, zu einer Zeit, wo man die heute üblichen Betäubungsmittel (Aether und Chloroform) noch nicht kannte. Elliotson, einer der angesehensten Aerzte Londons, veröffentlichte 1843 zahlreiche derartige Beobachtungen und Esdaile in Calcutta berichtete 1846 über 261 schmerzlos operierte Kranke. Solche Erfahrungen hatten verschiedene Aerzte dazu geführt, eine eigenartige Behandlungs- methode auszubilden, die zuerst mit der Bezeichnung «tierischer Magnetismus » einen eigenen Namen erhielt und als solcher eine Zeit lang in der ganzen Welt das größte Aufsehen erregt hat. Der sonderbare Name stammt von Franz Anton Mesmer, der 1734 zu Weiler bei Stein am Rhein geboren wurde. Aber der Gedanke, der dieser Methode zu Grunde liegt, gehört schon dem 16. Jahrhundert an und wurde von Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim, der 1524 Professor in Basel war, ausgesprochen, daß nämlich eine ähnliche Anziehungskraft wie die des Magneten als ein allgemein verbreitetes Fluidum die verschiedenen Himmelskörper und die beseelten Wesen in Verbindung setze. Sie wohne den Menschen inne und übe bei geeigneten Personen eine anziehende Kraft auf tierische Körper aus, indem sie in deren Nervensubstanz eindringe. Später traten von Helmont (1621) und der Schotte Maxwell (1679) für diese Lehre ein und vollführten sogen, «magnetische Kuren», bei denen es sich keineswegs um die Anwendung wirklicher Magnete, sondern lediglich um die geistigen Einflüsse eines Menschen auf andere handelt, die nur mit den an Magneten beobachteten Anziehungserscheinungen verglichen werden. Mesmer benutzte allerdings zunächst künstliche Stahlmagnete, die er sich durch den Wiener Astronomen Pater Hell verschaffte, um hauptsächlich nervöse Krankheiten damit zu heilen, da er sich aber überzeugte, daß er die gleichen Heilwirkungen bei seinen Kranken durch Streichungen mit den bloßen Händen auf deren Körperoberfläche erzielte, die er zuvor den zu diesen Streichungen benutzten Magneten zugeschrieben hatte, veröffentlichte er 1775 seine vermeintliche große Entdeckung, er könne alles, was er berühre, magnetisch machen. Er kam damit auf jene alte Lehre zurück, daß ein magnetisches Fluidum existiere, das vom Magnetiseur auf den Kranken überströme. Was er Eigentümliches hinzufügte, waren eben jene Streichungen, mittelst deren er die Patienten in den sogenannten magnetischen Schlaf versetzte, in dem sie seinem Willen gehorchen mußten. Mein verehrter Lehrer, Prof. Bäumler in Freiburg, der in den achtziger Jahren einen populären Vortrag über den animalischen Magnetismus 1 ) gehalten hat, erzählt in diesem: «Die französische Regierung bot Mesmer für sein Geheimnis eine jährliche Rente von 20,000 Fr. und eine Summe für Erbauung eines Instituts für Kranke und ') Verlag von F. C. W. Vogel, Leipzig, 1881 . 2 Schüler an; es bildete sich, als Mesmer diese Summe zu gering fand, eine Subskriptionsgesellschaft, deren Mitgliedern er gegen das Versprechen der Geheimhaltung Unterweisung in seiner Behandlungsmethode erteilte. Durch diese Subskriptionen flößen ihm über 340,000 Fr. zu. In der Provinz bildeten sich außerdem an vielen Orten sogenannte «harmonische Gesellschaften», in welchen sich Personen der höchsten Stände mit dem «Magnetisieren» von Kranken abgaben. Nicht bloß durch Manipulationen wurde hier gewirkt, sondern auf Grund seiner Theorie, wonach der animalische Magnetismus etwas ähnliches wie der mineralische Magnetismus und die Elektrizität darstellen sollte, hatte bereits Mesmer magnetische Zuber konstruiert, — Holzkübel mit gestoßenem Glas und Eisenfeile gefüllt, mit radiär in sie gelegten Glasflaschen, die von ihm «magnetisiertes» Wasser enthielten und aus deren Mitte Eisenstäbe herausragten, — welche dieselbe Wirkung haben sollten wie die Hände des Magnetiseurs. Bis zu welchen Abenteuerlichkeiten man gelangte, wird ersichtlich, wenn wir lesen, daß man auch Bäume magnetisierte, und daß man von einem magnetisierten Baume dieselben Wirkungen auf Kranke ausgehen sah, wenn diese sich mittels eines Seiles in Verbindung mit einem 19 solchen gesetzt hatten, wie von dem Magnetiseur, oder dem magnetischen Zuber. Gewöhnlich setzten sich mehrere Personen, die sich dann an den Händen hielten, um einen solchen Baum, und für besonders wirksam galt dabei auch die Nähe eines rauschenden Baches oder Wasserfalles. Gewöhnlich wurde auch noch Musik dazu gemacht und es ist ja nicht zu bezweifeln, daß mancher chronisch Kranke seine Gesundheit wieder erlangte, wenn er in angenehmer Gesellschaft täglich viele Stunden unter einem solchen «magnetisierten» Baume in freier Luft zubrachte». — Der Abbe Faria soll der Erste gewesen sein, der (1819) darauf hinwies, daß bei der Erzeugung dieses «magnetischen Schlafes» die Einbildungskraft der magnetisierten Person der maßgebende und wichtigste Faktor sei. Im Jahre 1841 bewies dann der englische in Manchester praktizierende Arzt James Braid, daß ganz die gleichen Erscheinungen, wie sie Mesmer mit seinen Streichungen mit den Händen hervorgerufen hatte, auch dadurch zu erzielen seien, daß die Versuchsperson längere Zeit einen in nicht zu großer Entfernung von den Augen befindlichen Gegenstand fixierte. Hier war also der Beweis geliefert, daß der Magnetiseur, von dem jenes Fluidum ausstrahlen sollte, zur Erzeugung des eigenartigen Zustandes gar nicht nötig war, daß es sich vielmehr um einen rein geistigen Vorgang bei der Versuchsperson handelt. Durch Braid wurde dann der nur Irrtümer veranlassende Ausdruck «tierischer Magnetismus» durch die viel bessere Bezeichnung « Hypnotismus » ersetzt (herrührend von dem griechischen Worte hypnos = Schlaf), um zu betonen, daß der schlafähnliche Zustand das Wesentliche sei. Aber erst der französische Landarzt Lie- bault zog 1866 die praktischen Konsequenzen; durch ihn und Bernheim 1 ) wurde in Nancy der Hypnotismus zu einem Heilmittel bei Krankheiten ausgebildet, sie erkannten, daß alle jene körperlichen Manipulationen (Streichungen, Fixieren von Gegenständen etc.) etwas ganz Unwesentliches seien, daß diese Mittel zur leichteren Hervorbringung des Zustandes ebenso wie andere wohl verwendet werden könnten, daß aber das Gleiche noch häufiger durch die bestimmte mündliche Versicherung des Hypnotisierenden, daß der zu erzeugende Zustand sofort eintreten werde, hervorrufbar sei. Es handelt sich also um eine Eingebung, und das Wort, *) Studien über Hypnotismus, übersetzt von S. Freud, Franz Deuticke, Leipzig und Wien. welches dies bezeichnet: Suggestion (lateinisch suggestio — Eingebung), wird seitdem hauptsächlich benutzt. Durch die Eingebung werden in dem Gehirn der Versuchsperson Vorstellungen hervorgerufen, welche den schlafähnlichen Zustand erzeugen. Hypnotisierbar oder noch besser suggerierbar, wie man sagen sollte, ist jeder Mensch, der seine Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Vorstellung konzentrieren kann. 1 ) Individuell verschieden ist dann, wie der erhaltene Eindruck in Vorstellungen verwandelt wird. Bei der Wachsuggestion geschieht das bei vollem Bewußtsein; oft gelingt es, das Bewußtsein auszuschalten, sodaß ein schlafähnlicher Zustand, in welchem im Gegensatz zum wahren Schlaf nicht eine volle Erschlaffung der Muskeln ein- tritt, sondern sogar oft ein gespannter Zustand derselben. Der Muskel verharrt dann in der Stellung, die der Hypnotiseur durch Bewegungen der Arme und Beine hervorruft. Ich werde Ihnen diese eigenartigen Experimente am besten durch Mitteilung einiger Bei- *1 Dupontet, ein berühmter französischer Hypnotiseur, brauchte sich nur in die Nähe von Personen zu setzen, die ihn kannten und überzeugt waren, sie würden hypnotisiert werden, um wirklich, ohne daß er selbst irgend etwas tat oder auch nur daran dachte, sie zu hypnotisieren, sie in den Zustand fallen zu sehen (Bäumler). spiele eines unserer bedeutendsten Hypnotiseure, des Prof. Forel, klar machen können. Dieser sagt in seinem Buch «Der Hypnotismus i): l ) «Man erzielt die Erscheinungen durch einfache Versicherung, daß sie vorhanden sind, am besten unter Berührung des Körperteils, wohin ihre Empfindung subjektiv verlegt wird und unter überzeugter Schilderung des Vorgangs ihrer Entstehung. Man fängt damit an, daß man den zu Hypnotisierenden auf einen Lehnstuhl bequem setzt, ihn ansieht und ihm versichert, daß seine Lider schwer wie Blei werden, daß sie sich schließen u. s. w. kurz, indem man ihm die Erscheinungen des Einschlafens suggeriert». Forel konnte so folgende verschiedene Arten körperlicher Erscheinungen hervorrufen: Erstens von Seiten der Muskeln. «Ich sage», schreibt er, «indem ich den Arm hebe, derselbe sei steif und könne nicht bewegt werden. Der Arm bleibt starr». Zweitens Empfindungen: «Ich sage: Eine Fliege sitzt auf Ihrer rechten Backe, es juckt, sofort erfolgt eine Grimmasse und der Hypnotisierte kratzt sich an der bezeichneten Stelle». «Ich gebe ihm Luft in die Hand mit der Versicherung, es sei ein duftendes Veilchenbouquet. ') Stuttgart, Verlag von Ferdinand Encke. 23 Mit Wonne atmet er den nicht vorhandenen Veilchenduft». Ferner konnte er Erröten und Erblassen erzielen, die Verdauung regeln; auf Fieber einwirken, Appetit und Durst suggerieren oder hemmen, sogar die Denkvorgänge, das Gedächtnis, den Willen beeinflussen. Alles dies konnte auch so suggeriert werden, daß es erst nach der Hypnose im Wachzustand zur Geltung kam. Hierfür erzählt er folgende interessante Beispiele: «Ich sagte Fräulein Z. in der Hypnose, sie würde nach dem Erwachen zwei Veilchen auf ihrem Schoß finden, beide natürlich und schön, sie würde mir das schönere geben; ich legte aber nur ein wirkliches Veilchen auf ihren Schoß. Nach dem Erwachen sah sie zwei Veilchen, das eine war heller und schöner, sagte sie und gab mir den Zipfel ihres weißen Taschentuches, das wirkliche Veilchen für sich behaltend. Ich frug nun, ob sie meine, beide Veilchen seien wirkliche oder ob eines meiner ihr durch frühere Erfahrung bereits bekannten flüchtigen Geschenke darunter sei. Sie sagte, das hellere Veilchen sei nicht wirklich, weil es so abgeflacht auf dem Taschentuch aussehe. Ich wiederholte das Experiment mit der Eingebung von drei wirklichen, gleich dunklen, durchaus nicht abgeflachten, sondern mit Stil und Blättern fühlbaren und wohlriechenden Veilchen, 24 gab ihr aber nur ein wirkliches Veilchen. Dieses Mal wurde Frl. Z. total getäuscht und konnte mir unmöglich sagen, ob eines der Veilchen oder zwei oder gar alle drei wirklich oder suggeriert seien; alle drei, meinte sie, seien dieses Mal wirklich, dabei hielt sie in einer Hand Luft, in der anderen das wirkliche Veilchen. Man sieht, daß wenn man die Täushung für alle Sinne eingiebt, dieselbe vollendeter wird.» «Ich sagte einer hypnotisierten Wärterin: Sie werden jedesmal, wenn der Herr Assistenzarzt durch die Abteilung geht, und Sie über das Verhalten der aufgeregten Patientin Luise C. berichten, sich versprechen und Lina C. sagen. Sie werden es merken, versuchen sich zu korrigieren, aber Sie werden nicht können, sondern immer Lina für Luise sagen. Und jedesmal, wenn Sie denselben Assistenzarzt mit: «Herr Doktor» ansprechen werden, werden Sie sich zugleich, ohne es zu merken, mit der rechten Hand auf der rechten Stirnseite kratzen». Die Suggestion verwirklicht sich. Mitten im gewöhnlichen Sprechen verspricht sich die Wärterin regelmässig und sagt Lina C. für Luise C. Sie merkt es, will sich korrigieren, verspricht sich aber wieder in gleicher Weise und wundert sich darüber. Jedes mal, daß sie den Assistenzarzt mit 25 seinem Namen anspricht, kratzt sie sich, genau wie ihr suggeriert wurde. Wunderbar ist es zu sehen, wie die ahnungslose Wärterin sich fast jeden Tag wieder über das Sichversprechen beim Namen der C. aufhält, sich darüber entschuldigt und wundert, sie könne nicht begreifen, was sie habe, daß sie sich bei diesem Namen immer verspreche, so etwas wäre ihr in ihrem Leben noch nicht vorgekommen. Das Kratzen dagegen geschieht ganz instinktiv, ohne daß sie es merkt. Jetzt nach einigen Wochen fängt sie allmählich an, sich so zu helfen, daß sie den Vornamen wegläßt und nur «die C.» sagt». «Einem tüchtigen, intelligenten jungen Cand. juris suggerierte ich einmal, er würde nach dem Erwachen sich zum anwesenden Kollegen D. wenden und ihn nach seinem Namen und seiner Heimat, sowie ob er sich schon mit Hypnotismus befaßt habe, fragen. So geschah es auch, aber der Cand. fügte noch hinzu: «ich meine, ich habe Sie schon einmal gesehen, heißen Sie nicht X.?» Als die Angabe der Heimat nicht stimmte, sagte er, er müsse sich getäuscht haben, und ging dann fort. Am folgenden Tag, als er wieder kam, fragte ich ihn, warum er den Kollegen D. nach seiner letzten Hypnose so interpelliert habe. «Ich meinte, es sei ein Bekannter 26 gewesen, aber es war nicht so». War das wirklich aus freiem Willen, daß Sie die Frage stellten? — Darauf schaute mich der Canditat verwundert an: «Freilich». War es nicht vielleicht eine Suggestion von mir? — «Nein, wenigstens weiß ich nichts davon». Er wurde darauf etwas ungehalten, schneuzte sich und frag mich: «Ist das vielleicht auch Suggestion, daß ich mich jetzt schneuzen muß?» Er versicherte mich, keine blasse Ahnung davon gehabt zu haben, daß seine Frage an Dr. D. nicht natürlicher, eigener Antrieb gewesen sei und war durch meine Erklärung sehr betroffen und zugleich interessiert» — Aus dem bisher Besprochenen geht hervor, daß jeder Mensch Suggestionen ausgesetzt und für dieselben empfänglich ist. Widersteht ein Mensch einer Hypnose, so liegt dies meist an der Selbstsuggestion, nicht hypnotisiert werden zu können. Selbstsuggestionen gehören zu den häutigsten Erscheinungen bei nahezu allen Menschen, z. B. weist Forel auf folgendes hin: «Jeden Abend, wenn wir nur in einer gewissen gewohnten Lage einschlafen können, nachdem wir uns ins Bett gelegt haben, geschieht das durch Selbstsuggestion». «Eine gebildete und sehr intelligente Dame hatte ihn hypnotisieren sehen, was sie 27 sehr interessiert hatte. In einer nachfolgenden Nacht erwachte sie mit heftigen Zahnschmerzen. Sie versuchte nun, sich dieselben selbst wegzusug- gereiren, dadurch, daß sie Forel’s Stimme und den monotonen Ton und Inhalt seiner Suggestionen laut nachahmte. Es gelang ihr vollständig, den Zahnschmerz zu vertreiben und einzuschlafen». Es ist dies die gleiche Beobachtung, die Kant ohne Kenntnis von der Macht des Vorstellungsvermögens an sich selbst gemacht hatte. Die hier nachgewiesene erfolgreiche Einwirkung des Geistes auf den Körper bei Schlaflosigkeit findet ihre Erklärung darin, daß eine geistige Ursache häufig diesem Leiden zu Grunde liegt. Erinnerungsbilder von Gedanken und Gefühlen sind es, die uns am Tage, am häufigsten gerade in den Stunden vor dem Einschlafen, beschäftigt haben und die uns immer wieder wach erhalten. Waren sie die Ursache, so sind solche Eindrücke in den dem Schlafen vorausgehenden Stunden in den nachfolgenden Tagen zu vermeiden. Häufig sind ferner, wie in den angeführten Beispielen, Schmerzen der Grund der Schlaflosigkeit. Jedem Schmerz ist ein gewisses Etwas beigefügt, das aus geistiger Quelle stammt, das von unseren Stimmungen abhängig ist und das bewirkt, daß uns auch ein Schmerz, der von derselben körperlichen Ursache abhängt, zu keiner Zeit gleichmässig bewußt wird; und dieses ist, wie aus jenen Beispielen hervorging, auf geistigem Wege beeinflußbar. Endlich ist das unangenehme Gefühl der Schlaflosigkeit ein rein geistiger Vorgang. Werden wir dann ungeduldig und ärgerlich, so stehen wir unter der Rückwirkung des Körpers auf unseren Geist, machen diesen gewissermaßen zum Sklaven jenes, während der Geist den Körper beherrschen und leiten sollte. Geben wir uns die geistige Ruhe, so wird die körperliche am ehesten nachfolgen. Und zur Erzielung dieser Ruhe ist es nötig, sich zu sagen, daß das Schlafen ja keine unbedingte Notwendigkeit ist, daß auch das ruhige Liegen im Bette zum Ausruhen genügt. Was die Macht des Vorstellungsvermögens vermag, das hat mir die häufige Beobachtung gezeigt, daß ein lange ersehnter Schlaf bei manchen Kranken sofort eintrat, als sie das beruhigende Gefühl hatten, auf ihrem Nachttisch ein Schlafmittel zu wissen, ohne daß sie es nahmen, zu dem sie aber das Zutrauen hatten, daß es ihnen im Bedarfsfälle helfen würde. Auch bei der erfolgreichen Wirkung wirklich eingenommener Arzneimittel ist häufig eine Suggestion im Spiele. Die große Wirksamkeit *neu angepriesener Heilmittel und das völlige Versagen derselben bei denselben Krankheiten nach einigen Jahren, wenn sie nicht mehr in Mode sind, ist der beste Beleg hierfür. Zwei besonders hübsche Beispiele von Wirkungen der Suggestion bei Kranken finden sich in Kußmaul’s Jugenderinnerungen ‘). Ich will sie hier einfügen; Kußmaul erzählt: Eines Tages kam ein Bote aus einem Dorfe des Rheintales nach Gruben, wo mein Vater damals praktizierte, und verlangte ihn zu einem Bauern, der sich seit einigen Wochen übel fühlte, wenig mehr aß, mager und schwach wurde und das Bett hütete. Die Sache eile nicht, ließ der Kranke sagen, könne mein Vater nicht selbst in den nächsten Tagen kommen, so möge er ihm einstweilen eine Arznei durch den Boten schicken. Mein Vater verschrieb ihm eine Eibischabkochung mit Syrup, die keinesfalls schaden konnte, und machte sich einige Tage nachher auf den Weg zu dem Kranken. Inzwischen hatte der unschuldige Trank Wunder getan. Der Bauer war außer Bett und ließ sich, als mein Vater bei ihm eintrat, gerade eine gebratene Taube schmecken und trank ein Glas Wein dazu. Er begrüßte meinen Vater vergnügt: «Herr Doktor, das habt ') Verlag von Adolf Bonz & Co., Stuttgart. 30 Ihr gut gemacht, aber es war eine Roßkur, sie hat mich gründlich ausgefegt und die Krankheit vertrieben. Zum zweitenmal brächt’ ich die Ameisen nicht hinunter!» Erstaunt betrachtete mein Vater den Rest im Arneifläschchen, das am Fenster stand, es enthielt große Ameisen. Wie waren die in die Arznei gekommen? — Der Bote, der die Arznei geholt hatte, hatte sich im Schatten eines Föhrenwaldes, den er passieren mußte, durch die Hitze des Tages ermüdet, niedergelegt, um zu ruhen, hatte die Arzneiflasche aus der Tasche genommen und zur Seite gelegt. Als er aufwachte, fand er den Stöpsel ausgetrieben, ein kleiner Teil der Arznei war ausgeflossen, und aus einem nahen Ameisenhaufen wanderten die Tierchen in langer Prozession zu dem süßen Saft und in die Flasche. Eilig verschloß er die Flasche, steckte sie zu sich und ließ heimgekehrt ruhig seinen Herrn, dessen Zorn er fürchtete, die Arznei samt den Ameisen nach Vorschrift stündlich einen Eßlöffel voll genießen. Die andere Erzählung Kußmauls entstammt der Zeit, wo die modernen Untersuchungs- methoden der Lunge aufgekommen waren: Ein deutscher, in Paris geschulter, und im Beklopfen und Behorchen der Brust wohl geübter, junger Arzt kehrte in seine Vaterstadt zurück und ver- 31 schaffte sich rasch eine große Praxis Sein Ruf drang aufs Land und ein brustkranker, reicher Bauer ließ ihn zu sich rufen. Er fuhr zu ihm, und beklopfte ihm zur Untersuchung die Brust gründlich. Nachdem er diese Untersuchung beendet, nickte ihm der Patient befriedigt zu: «Herr Doktor, Euer Klopfen hat mir gut getan, — wann kommt und klopft Ihr mich wieder?» — Die Suggestion bewußt zur Behandlung von Krankheiten herangezogen zu haben, ist das Verdienst von Liebault und Bernheim. Sie zeigten, daß es sich nicht um eine noch unbekannte Naturkraft handelt, um ein unsichtbares Wirksames, das in den Körper eindringt, sondern lediglich um Erzeugung von Vorstellungen, welche die körperlichen Erscheinungen bewirken, und führten mit ihren Experimenten an ihren Kranken den Nachweis von dem Zustandekommen bisher noch unerklärter Einflüsse des Geistes auf den Körper. Die Suggestion ist heute ein Teil der psychischen Heilmethode, die ihre moderne Ausbildung der Anregung durch die Erfahrungen des Hypnotismus verdankt. Es ergibt sich nun die Frage: Ist die Verwendung des Einflusses des Geistes auf den Körper zur Heilung von Krankheiten nicht nur 32 eine in sehr beschränktem Maße Erfolg versprechende? — Zunächst scheint es, als ob nur das, was durch Vorstellungen entstanden ist, auf psychischem Wege geheilt werden und demnach diese Behandlung sich nur gegen einzelne Symptome richten könne. Dem gegenüber ist hervorzuheben, daß durch Erregung gewisser Vorstellungen, durch ängstliche Selbstbeobachtung, durch Gemütsbewegungen, also durch rein geistige Vorgänge, so viele Leiden entstehen, daß sie an Zahl den rein körperlichen sicher nicht nachstehen. Am leichtesten zu erklären ist die Wirkung der psychischen Heilmethode bei Störungen, die wie wir sahen, durch Suggestionen hervorrufbar sind. Es handelt sich da vor allem um willkürliche Bewegungen und um Empfindungen aller Art. Diese sind von den Zentralorganen des Nervensystems abhängig. Durch plötzlichen Schreck z. B. kann auf längere Zeit eine Stelle des Gehirns ausgeschaltet werden, wir haben dann eine geistige Lähmu ng. Es entsteht in der Tat durchaus nicht selten durch die Vorstellung einer Lähmung eine wirkliche Lähmung, 1 ) durch die Vorstellung einer *) Ein englischer Arzt wollte bei einem seit langem an Zungenlähmung leidenden Manne, dem bisher nichts 33 erwarteten Empfindung die Vortäuschung derselben. «Wenig Menschen», sagt Strümpell 1 ), ein bedeutender Kliniker, «sind völlig frei von derartigen Vorstellungen». Aber abgesehen von diesen auf rein geistigem Wege entstandenen Leiden, bei denen sich die psychische Behandlung als das naturgemäße Heilmittel ergiebt, ist letztere bei den Krankheiten, die mit wirklichen Organ Veränderungen einhergehen, durchaus nicht so machtlos, wie es zunächst scheinen mag. Erstens haben auch diese Krankheiten häufig psychische Begleiterscheinungen, hypochondrische Vorstellungen aller Art, dann aber auch Schlaflosigkeit und Schmerzen, die nicht auf nachweisbaren Organstörungen beruhen, die half, ein von ihm erfundenes Instrument versuchen, von welchem er sich viel versprach. Um sich zuerst von der Temperatur der Zunge zu unterrichten, brachte er ein Thermometer unter dieselbe. Der Kranke, im festen Glauben, dies sei das neu erfundene Heilinstrument, versicherte entzückt nach wenigen Minuten, daß er seine Zunge bewegen könne. Statt das neue Mittel zu verwenden, begnügten sich die Aerzte auch weiter mit dem Thermometer. Der Kranke gewann die Beweglichkeit wieder und seine Heilung wurde, ohne eine andere Behandlung, zu einer vollständigen (Tuke, Bemheim). ') Ueber die Entstehung und Heilung von Krankheiten durch Vorstellungen, Erlangen, Fr. Junge, 1892. 3 34 Heilung aber aufs Verhängnisvollste verzögern können, welche der psychischen Behandlung vollkommen zugänglich sind. Sodann ist zu bedenken, daß die Funktionen aller Organe unter geistigem Einflüsse stehen, da alle mit dem Zentralnervensystem durch nervöse Leitungsfasern verbunden sind. So können nicht nur die willkürlichen Muskeln, wie ich eben erwähnt habe, sondern auch die sogenannten unwillkürlichen beeinflußt werden. Der Herzmuskel und die Muskulatur der Blutgefäße sind geistigen Erregungen zugänglich, man errötet vor Zorn, man erblaßt bei Schrecken. Durch gleiche Anlässe kann Herzklopfen, unregelmässiger Herzschlag, ja sogar Herzschmerz auftreten. Ernste Verschlimmerungen bei Herzerkrankungen durch Aerger oder Schreck sind häufig beobachtet worden, selbst Todesfälle sind bei diesen Kranken nach solchen Anlässen eingetreten. Auch die Tätigkeit der drüsigen Organe ist von Vorstellungen abhängig: so sondern die Tränendrüsen bei traurigen, die Speichel- und Schweißdrüsen bei aufregenden Gedanken ab. Die Verdauungsvorgänge werden bei Gemütserregungen beeinflußt: der Magen verdaut schlecht. Erbrechen kann auftreten, der Appetit wird verändert, ebenso die Bewegungen und die Aufsaugungsfähigkeit der Därme. 35 Mit der Tätigkeit der Lungen steht es nicht anders, bei ängstlichen Vorstellungen kann beschleunigtes, unregelmässiges, selbst keuchendes Atmen auftreten. Die günstige Wirkung des Morphiums bei Asthmaanfällen beruht auf dem Wegfallen dieser beunruhigenden Gefühle, wie solche Kranke in gleicher Weise durch einfache Suggestion oft günstig beeinflußt werden. Demnach sind auch die organischen Krankheiten der psychischen Behandlung zugänglich. Gelingt es, angstvolle Gedanken zu vertreiben, den Schlaf zu regeln, Schmerzen zu beseitigen, den Appetit zu heben, die Blutzirkulation und die Atmung zu einer gleichmässigen, ruhigen zu gestalten, so werden durch die Wiederherstellung der Funktion die günstigsten Bedingungen für die Heilung der Organstörung geschaffen. Auch bei der Lungentuberkulose, die uns hier vor allem interessiert, ist es nicht anders. Was da die beruhigende und zuversichtliche Art des Arztes vermag, das habe ich an mir selbst erfahren, als meine Krankheit sich in einer ganz gefährlichen Weise bemerkbar gemacht hatte. Sowie ich das Bett wieder verlassen konnte, drängte es mich, meinem Arzte für seine optimistische Auffassung meines Leidens zu danken; 36 denn ich fühlte, daß ich nur dadurch die nötige Ruhe und Kraft gefunden hatte, die zur Heilung nötig war. Seit langem wissen wir, daß zur Entstehung der Lungentuberkulose die Infektion mit Tuberkelbacillen nicht genügt, der ausschlaggebende Faktor ist vielmehr die Körperbeschaffenheit des Kranken, und deren zeitweilige Neigung (Disposition) zur Krankheit. Worin besteht nun diese Disposition ? Ein französischer Arzt, Prof. Grasset, wies zuerst zur Erklärung dieses rätselhaften Etwas auf das Nervensystem hin. Es geschah dies nach der erfolgreichen operativen Trennung der indischen Zwillinge durch Prof. Doyen. Die Operation geschah, weil der eine Zwilling tuberkulös war, der andere blieb gesund. Prof. Grasset zog hieraus den Schluß, daß in dem ja auch bei den Zwillingen getrennten Nervensystem die eigentliche Disposition, resp. der Verteidigungsapparat liege. Ein deutscher Arzt, Schweizer 1 ), ging, gestützt auf diesen Fall, sogar so weit, die Schwindsucht als eine Nervenkrankheit zu erklären. Darin wird man ihm jedenfalls folgen müssen, daß die Unterschiede der Disposition zu einem wesentlichen Teile auf der verschiedenen Beschaffenheit des l ) Schwindsucht eine Nervenkrankheit, München 1903. 37 Nervensystems beruhen. Alles, was die Nerven schwächt: Geistige Ueberanstrengungen, besonders in Verbindung mit Sorgen und Aufregungen, z. B.: Vorbereitung für ein Examen, Kummer, wie schwere Erkrankung oder Todesfall naher Angehöriger, unglückliche Liebe oder auch nur Schwierigkeit in Erzielung einer ersehnten Heirat, aber auch direkte Schwächung durch verminderten Nachtschlaf (häufige Nachtdienste) spielt in der Vorgeschichte unserer Patienten die entscheidende Rolle. Unter diesem Gesichtspunkt ist es auch zu verstehen, daß eine ausschweifende Lebensweise zuweilen als ein die Krankheit förderndes Moment vorkommt, wenn ihr auch nicht die häufige Rolle zuzugestehen ist, die ihr eine zeitlang der Volksmund zusprach. Erwähnen möchte ich nebenbei folgenden Umstand: Wenn die Gemütsverfassung eine so wichtige Rolle bei der Entstehung der Lungentuberkulose spielt, so ist zu erwarten, daß diese Krankheit bei Geistesgestörten eine häufige sein muß, und damit stimmt die Erfahrung überein, durchschnittlich ein fünftel aller Irren stirbt an Lungentuberkulose, und hierbei ist es wiederum charakteristisch, daß es namentlich die traurigen Gemütsverstimmungen, die Melancholien, sind, welche zur Tuberkulose führen (bei diesen in 38 41 % der Fälle Todesursache). Bezeichnend ist ferner, daß bei schon Tuberkulösen mit Ausbruch einer Geistesstörung die Zeichen der Lungentuberkulose (Husten, Fieber) völlig zu verschwinden pflegen: wird hier doch die Aufmerksamkeit ganz von diesen Symptomen auf die krankhaften geistigen Vorstellungen konzentriert; und endlich, daß im Gegensatz hierzu bei ihnen der tuberkulöse Prozeß gewöhnlich unaufhaltsam seinen unheilvollen Fortgang nimmt: — diese Kranken können ihren Körper nicht unter einen heilsamen Einfluß ihres Geistes stellen. Dieser Einfluß macht sich begreiflicher Weise nicht bloß bei der Entstehung, sondern auch bei den einzelnen Erscheinungen und dem weiteren Verlaufe der Lungentuberkulose geltend. Und zwar sind es nicht nur eine Reihe nebensächlicher Erscheinungen, wie die abnorme Tätigkeit der Gefäßnerven (häufiger Blutandrang zum Kopfe, schnelles Schwitzen bei Erregungen, vermehrte Herztätigkeit), die dem Kranken unangenehm auffallen, sondern auch die charakteristischen Erscheinungen selbst, der Husten und das Fieber, können durch geistige Ablenkungen sowohl eine zeitlang völlig unterdrückt als auch tatsächlich durch gemütliche Erregungen hervorgerufen werden (Verlegenheitshusten, Fieber 39 nach Aerger oder Kummer, aufregenden Briefen, schmerzlichen Familienereignissen). Einige Veränderungen des Charakters kommen in auffälliger Häufigkeit bei dieser Krankheit vor: so können die meisten Patienten an sich selbst eine gesteigerte Empfindlichkeit und Reizbarkeit beobachten, ein sich Aergem über die unwesentlichsten Anlässe. Später und besonders bei längerer Dauer tritt oft ein auffälliger Energiemangel, eine große Willensschwäche ein. Das schlechte Essen vieler Patienten hat seinen Hauptgrund hierin. Es werden auch hinsichtlich einer geeigneten Beschäftigung viele und leider immer wieder neue Pläne gemacht, zu einer nutzbringenden Durchführung fehlt aber die Ausdauer. Am besten bekannt ist der häufige Stimmungswechsel der Patienten, der ja oft genug mit dem Citat: «himmelhoch jauchzend zum Tode betrübt» charakterisiert worden ist. Diese übergroße Erregbarkeit und andrerseits die Willensschwäche sind die schädlichsten Beigaben für eine erfolgreiche Behandlung der Krankheit, während großes Phlegma und eine gleichmässige hoffnungsvolle Stimmung die Fortschritte am günstigsten verlaufen lassen. Hierauf haben schon verschiedene Aerzte hingewiesen, der erfahrene Sanatoriumsarzt Engel 40 schreibt z. B.: «Ich erachte die geistigen Eigenschaften eines Patienten für die Heilungsaussichten als ebenso bedeutsam wie körperliche Faktoren. Ein oberflächlicher unkritischer Kopf, ein leichtfertiger Charakter wird die entsprechende Auffassung von seiner Krankheit sein Lebtag mit sich herumtragen und schließlich daran zu Grunde gehen.» Und der um unsere moderne Behandlungsweise hochverdiente Hermann Brehmer sagte: «Ich begründe in jedem einzelnen Falle meine Voraussage über die Heilbarkeit der Krankheit darauf, wieweit das Urteilsvermögen des Patiem ten sich erhalten hat; so zwar, daß ich eine günstigere Voraussage stelle, wenn dieses noch leidlich vorhanden ist, als wenn dies schon nicht unbedeutend alteriert ist, selbst wenn der lokale Lungenbefund bei letzterem bedeutend günstiger ist». Bei meinen Kranken hat sich mir in zehnjähriger Tätigkeit in Arosa folgendes Resultat ergeben: Von denjenigen Patienten, die eine so gute Kur gemacht haben, daß sie meine anfänglichen Erwartungen weit übertraf und die einen dauernden Heilerfolg erlebt haben, haben 94°/.> ihre Kur aufs Gewissenhafteste von Anfang bis zu Ende durchgeführt Von denjenigen, die mit ihrem Erfolg hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben sind, waren 30 °/o leichtsinnig, zu ernster Durchführung der Kur unfähig, f 25 % energielos, schlaff, und 20 °/o litten unter traurigen Gemütserlebnissen. Daß zur Verhütung der Lungentuberkulose eine geistige Beeinflussung des Körpers notwendig ist, zeigt schon das moderne Bestreben von Seiten der Behörden und Aerzte, die Menschen über das Wesen der Tuberkulose aufzuklären, denn es handelt sich bei der Vermeidung dieser Volkskrankheit durchaus nicht bloß darum, die Ansteckungswege kennen zu lernen, sondern vor allem um die Erzielung eines festen Willens, eine zweckmässige den Körper kräftigende Lebensweise zu führen, sodaß er widerstandsfähig wird, unvermeidlichen Ansteckungen zu widerstehen. Wie solche geistige Einflüsse wirken und bewirkt werden können, ergiebt sich am besten aus der Besprechung, welcher Anteil ihnen bei der erfolgreichen Behandlung der Krankheit zu- kommt Betrachten wir deshalb diejenigen Mittel näher, welche sich erfahrungsgemäß bei der Behandlung der Lungentuberkulose am meisten bewährt haben. Es sind dies, kurz zusammengefaßt: Ruhe in frischer Luft und eine kräf- tige Ernährung. Diese Heilmittel sind aber ganz die gleichen, welche angewendet werden, um ein geschwächtes Nervensystem wiederherzustellen. In beiden Fällen wird die Wirkung der frischen Luft erheblich gesteigert, wenn man die Kuren im Hochgebirge durchführt. Schon Schiller sagte in seiner angeführten Abhandlung: «Das Gefühl der Unendlichkeit dehnt unsere Arme aus, wir wollen ins Unendliche ausfließen, mit Bergen wollen wir gen Himmel wachsen». «Die Bewohner düstrer Gegenden trauern mit der sie umgebenden Natur, der Mensch verwildert in wilden stürmischen Zotten, lacht in freundlichen Lüften und fühlt Sympathie in gereinigten Atmosphären.» Es ist kein Zweifel, daß der Einfluß des heiteren Himmels, der klaren Luft uns froh stimmt, und ebenso sicher ist es, daß ein heiteres Gemüt das beste Mittel ist, die körperlichen Funktionen günstig zu beeinflussen. Es kommt nicht so sehr darauf an, dem Körper viel Nahrung und gute Luft zuzuführen, als darauf, wie der Körper diese Stärkungsmittel ausnutzt. Aus den neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen über die Wirkungen des Höhenklimas, die vor kurzem von Zuntz, Loewy, Müller und Caspari in einem prachtvoll ausgestatteten Werk her- 43 a us g e g e b en worden sind, geht mit voller Beweiskraft hervor, daß alle Funktionen des menschlichen Körpers durch das Höhenklima beeinflußt werden, insbesondere der Stoflumsatz wird gesteigert, der Ansatz eiweißhaltigen Materials wird befördert, die Blutbildung vermehrt, die Haut zu energischer Tätigkeit erzogen, die Herztätigkeit und Atmung infolge nervöser Einflüsse angeregt und verstärkt. Zur Lösung der noch nie ganz zur Klärung gekommenen Frage nach dem Wesen der günstigen Wirkung des Hochgebirgsklimas sind demnach auch zu einem beträchtlichen Teile die Erfolge geistiger Einflüsse auf körperliche Funktionen heranzuziehen, da die nachgewiesene Anregung der Tätigkeiten unserer wichtigsten Organe in der kräftigenden Wirkung auf die Nerven und dem erheiternden Einflüsse auf das Gemüt ihre Ursache hat. Es wäre deshalb ganz einseitig, wollte man die verordnete Ruhe, die ja das Hauptheilmittel bei den entzündlichen Vorgängen der Lungentuberkulose ist, rein körperlich fassen. Es handelt sich ebenso sehr um die innere, wie die äußere Ruhe, wenn sie Erfolg versprechen soll. «Diese Ruhe ist eine Tochter des Geistes», wie Feuchtersieben sagt. Sie muß sich der Kranke selbst verschaffen, und es ist daher bei der Lungentuber- 44 kulose vor allen anderen Krankheiten notwendig, daß der Kranke selbst einen tätigen Anteil an der Behandlung nimmt, daß er zum Mitarbeiter seines Arztes wird. Letzterem fällt die Aufgabe des Ratgebers und Wegweisers zu, die eigentliche Arbeit bei der Durchführung der Behandlung hat der Kranke selbst zu leisten. Und da kommt es vor allem darauf an, nachdem wir gesehen haben, daß in den Vorstellungen die eigentliche Macht des Geistes über den Körper lag, daß der Kranke lernt, den Inhalt seiner Vorstellungen in der für die Heilung zweckmässigen Weise zu bilden. Er darf keinen Augenblick die Hoffnung auf Genesung schwinden lassen, er muß die klare Einsicht gewinnen, daß er durch Ausdauer auf dem richtigen Wege die Heilung herbeiführen und durch einen einzigen groben Fehler dieselbe vielleicht auf immer verscherzen kann. Die zu dieser Ausdauer nötige Willensenergie muß man sich herauszubilden suchen. «Der Ausdruck Uebung ist» — wie Forel sagt — «durchaus nicht auf die Muskelübungen und auf die technischen Fertigkeiten beschränkt, sondern auf sämtliche Geistestätigkeiten anzuwenden. Man übt sich im Sehen, im Hören, im Wahrnehmen, im Denken, im ethischen und ästhetischen Empfinden, im Ertragen von Kälte und Wärme und 45 in der Durchführung von Willensentschlüssen». Hier gilt auch das schöne Wort Feuchterslebens: «Wonach Einer mit allen Kräften ringt, das wird ihm; denn die Sehnsucht ist nur der Ausdruck dessen, was unserem Wesen gemäß ist. Wer klopft, dem wird aufgetan. Und sollte es mit der Gesundheit anders sein?» — Diese Uebung und Ausbildung seiner Willensenergie hat der Kranke besonders nötig angesichts der langen Dauer dieser Krankheit, die ihn zwingt, seinen Lieblingsgewohnheiten zu entsagen, eine oft seinen Neigungen direkt widerstrebende Lebensweise viele Monate lang durchzuführen, den wechselnden Stimmungen, die gerade für diese Krankheit so charakteristisch sind, nicht zu erliegen und bei den fast in allen Fällen eintretenden Zwischenfällen und zeitweisen Verschlechterungen sich immer klar zu machen, daß diese Rückfälle doch an der günstigen Voraussage des Arztes nichts ändern können, weil sie den bisher erreichten Fortschritt wohl verzögern, aber doch nicht mehr in sein Gegenteil umkehren können. Der Kranke wird auf dem rechten Wege unbeirrt verharren, der sich klar macht, was auf dem Spiele steht. Das beste Hilfsmittel bei gefährlichen Stimmungen ist eine geordnete Beschäftigung, die — wenn sie in gewissen Fällen täglich auch nur kurze Zeit vom Arzt erlaubt werden sollte — doch geeignet ist, befriedigende und wohltuende Vorstellungen zu erwecken, dem Tätigkeits- bedürfnis, das wohl jedem Menschen inne wohnt, zu genügen und das Selbstgefühl durch das Bewußtsein gut angewendeter Zeit zu heben. Diese Beschäftigung muß aber eine solche sein, daß sie gemütliche Erregungen wie geschäftliche Sorgen ausschließt. Das Erlernen einer fremden Sprache, das Studium einer neuen Wissenschaft oder Kunst kommt da vor allem in Frage. Geistige Anstrengung ist aber ebenso zu vermeiden wie körperliche. Wie auch die Lektüre zweckmässig oder sogar schädlich zur Erzeugung wohltätiger Vorstellungen gewählt sein kann, so kann eine übereifrige Beschäftigung schaden statt zu nützen; es muß sich eben auch da um ein Zusammenarbeiten von Arzt und Patient handeln, um die notwendige hoffnungsvolle heitere Gemütsstimmung, die Stählung der Willenstätigkeit, die Ausdauer tim Beharren auf dem als richtig erkannten Wege zu erzielen. Es ist da vor allem ein Zauberwort, dessen beruhigende Kraft wir immer wieder nötig haben, — das Wort Geduld. — Ich kann es mir nicht versagen, Ihnen die schönen Worte wiederzugeben, 47 mit denen Feuchtersieben dieser für alle Kranken und Rekonvaleszenten bei ihrem Tun so notwendigen Begleiterin huldigt: «Geduld, ernstere Schwester der Hoffnung, wohltätiger Balsam der heilenden Natur des Geistes; wundervolle, tief innere Kraft des Wollens — nicht zu wollen, wirkend durch Leiden! Welcher Kranke hat nicht in glücklichen Augenblicken deinen Zauber erfahren, — wenn er ihn heraufzubannen verstand! Die Fieberparoxysmen weichen vor dir, verdoppeln sich aber, wenn du das Bett des Leidenden verläßt; du hilfst die heftigsten Schmerzen bändigen, die schwierigsten Kuren beschleunigen ; du allein bist stark im Schwachen, du allein schon die völligste, die zarteste, die schönste Offenbarung des Geistes als heilender Kraft im Leibe.» Bei richtiger Erkenntnis dieser natürlichen Vorgänge werden wir nicht in den Fehler derjenigen verfallen, die dumpf und ergeben eine Krankheit als Schicksalsfügung hinnehmen, bei deren Entstehung und Heilung der Kranke nur leidend und untätig verbleibt, — noch in den Fehler jener Fanatiker des Geistes, die eine Erkrankung wie eine Schande empfinden und meinen, ein charaktervoller Mensch dürfe überhaupt nicht krank werden. Beide Auffassungen 48 sind mir auch in heutiger Zeit noch häufig in Wort und Schrift entgegengetreten. Auch hier liegt die Wahrheit in der Mitte. Hier, wenn irgend wo, gilt das amerikanische Sprichwort: Hilf Dir selbst! Bei jeder Krankheit handelt es sich um einen Kampf des Menschen mit einer ihm drohenden oder ihn schon befehdenden feindlichen Macht. Einen Kampf, der alle Energie erfordert, und der, wenn er zum Sieg führt, den Genesenen zu großem Stolz berechtigt, handelt es sich doch darum, nicht nur einer, sondern meist einer ganzen Reihe ihm lieb gewordener aber schädlicher Gewohnheiten zu entsagen. 5 Ein Sieg also nicht sowohl (des Menschen über die Bazillen, als noch vielmehr des Geistes über den Körper. iMab'i. r\’- V' i