<#roii]M*2. tlcolo suisso 1 | ß'^rwkM&iürri iPocfio&iutt jfuwcßp' ä^t -bdu/Li/ j ■fvH&Uj+lL , f ** £ '— ß ’ Ut c £cUJ€., 3*. i f >'<•71 ' "-t» • > ;> t ■■'4"/ 1 ^ i,»ft Exposition universelle dg Paris 1889. »aggrijSrj. Sgg2Xj£222Ü22£! i-anr- i mtxmn Lehr- und Lesebuch für die 7. bis 9. Schuljahr. (12. bis 15. Altersjahr). Deutsche Sprache Efl. Scböneitager nnü B. FritscM. Vierte Auflage A : “ /t m > '?T l1 *7'’*"' , ^ *' m '•>.AbCA»- v -’ Zürich, 1888. Verlag der Erziehungsdirektion. Zu beziehen durch den kantonalen Lehrmittelverlag. /-■ ">v* ■* % ’ißi ±tit Tg '&&*}£■*' Druck von Fritschi-Zinggeler, Aussersihl. Inhalts-Verzeichnis. I. Epische Gedichte. A. Tas Epos. Seite. 1. Das Nibelungenlied . . . . . t 1 2. Die Enkel 'Winkelrieds . . . . . . 2 B. Die Fabel. 3. Das Johanniswürmchen ...... 4 4. Guter Ton ....... 4 5. Der Esel mit dem Löwen ...... 5 6. Der Esel als Schiedsrichter ..... 5 7. Armherzigkeit ....... 6 8. Die Fledermaus ....... 6 9. Der Ziegenbock und der Bauer ..... 7 10. Diebesmäntler ....... 7 11. Diplomatik ....... 8 12. Der Esel als Flötenspieler .... 8 13. Strenge Barmherzigkeit ...... 8 14. Versöhnungsgefahr ...... 9 15. Zucht.9 16. Die Biene und die Taube . . . . . 10 C. Die Parabel. 17. Die drei Ringe . . . . . . .10 D. Die Allegorie. 18. Das Mädchen aus der Fremde ..... 13 19. Brausköpfe . . . . . . . 14 20. Die Frösche ....... 15 21. Lohn der Freigebigkeit ...... 15 E. Die Idylle. . 22. Der siebenzigste Geburtstag ..... 15 23. Das Habermus . . . . . .19 24. Abendlied eines Bauersmanns . ... 22 25. Aufgenötigte Tässchen ...... 23 1 F. Die Sage. 26. Die Rheinsage . . . . . . . 24 27. Barbarossa ....... 24 IV G. Das Härchen. 28. Dei - Riesen Spielzeug 29. Schwert und Pflug 30. Die Heinzelmännchen H. Sie Legende. 31. Das Hufeisen .... I. Ballade, Bomanze etc. 32. Der hlinde König 33. Erlkönig . . 34. Der Alpenjäger .... 35. Rache ..... 36. Die drei Lieder . . , . 37. Der tote Soldat .... 38. Der Graf Ton Habsburg . 39. Die drei Indianer 40. Prinz Eugen .... 41. Johannes Kant .... 42. Die lustigen Musikanten . 43. Die letzten zehn vom 4. Regiment 44. Das Grab am Busento 45. Andreas Hofer .... 46. Des Sängers Fluch 47. Der Reiter und der Bodensee 48. Das Gewitter .... 49. Der Sänger .... 50. Die wiedergefundenen Söhne 51. Das Lied Tom brayen Mann 52. Die Bürgschaft .... 53. Der Schenk yon Limburg 54. Der neue Diogenes 55. Tell’s Tod .... 56. Meister Hämmerlein 57. Kiklaus Thut 58- Rudolf Stüssi .... 59. Auf der Ufenau .... 60. Der letzte Zwingherr Bündens 61. Der kleine Hydriot 62. Der reichste Fürst 63. Der Stein der Mutter 64. Der Schatzgräber .... 65. Hans Euler .... 66. Ziethen ..... 67. Und sie bewegt sich doch 68. Der Segen .... 69. Der "Wilde .... 70 Der letzte Mann .... II. Lyrische Gedichte. A. Lied, Ode, Elegie etc. Seite. 25 26 27 30 32 34 35 36 36 37 37 4t 42 44 47 50 52 53 54 56 58 59 60 63 66 70 72 73 75 77 79 81 82 83 84 85 88 89 90 91 93 94 97 1. Mailied 2. Frühlingsglaube 3. Der Lenz 100 101 101 V 4. März .... Seite. 102 5. Beim Scheiden des Frühlings . 103 6. Sommernacht 103 7. Herbstgefühl 104 8. Winter . . 105 9. Hoffnung .... 106 10. Waldeinsamkeit 107 11. Morgenlied 107 12. Es ist so still geworden 108 13. Der Postillon 109 14. Einsam .... 110 15. Das Meer .... 111 16. Aufmunterung zur Freude 111 17. Jugendzeit . . . 112 18. Lied eines Landmanns in der Fremde 113 19. In der Fremde 114 20. 0, lieb, so lang du lieben kannst 115 21. An meine Mutter . 116 22. An mein Vaterland 117 23. Hoffnung .... 117 24. Löwenritt .... 118 25. Die Schweiz 120 26. Die Auswanderer . 120 27. Das emsige Völklein 122 28. Macht des Gesanges 123 29. Der Vesuv im Dezember 1830 124 30. Das Landleben 125 31. Im Wald .... 126 32. Rückkehr in die Heimat . 127 33. Das Kegerweib 127 34. Hymnus auf Gott . 129 35. Worte des Glaubens 130 36. Ein schneller Reiter 131 37. An einem Grabe . 132 38. Der letzte Krieg 134 39. Zuruf .... 135 40. Das Lied von der Glocke . 136 4L B. Die Satire Spindelmanns Rezension der Gegend 148 42. Das grüne Tier und der Naturkenner •149 43. Die Guttat • * * 150 C. Gnomen und Sprüche. Anhang. Spruchwörter .... 151 156 Spez. Schweiz, sprüchw. Redensarten . 157 Rätsel .... 158 Einige schweizerische Volksrätsel . - 1'60 III, Dramatisches, Wilhelm Teil .... 162 I piroMPWWW),« ' i ,mi i i .■ :-‘y'' -/U ; 't'rfRr'l #*?» ®äs»ä . i'r.i/flnPti' Jfij.il SS' B';L>30W8Ti ifii* • . ’ ■ saJßJ; nbu-ii'l ws %tw:«Umti. fSffgniäsoC» rJ, ; l; K tf sifm&ssÜ ml '.'»p ' ".••• T . ’ i . . M ;„7 ml /. iemfcU asb nf ■td-'JJjiiil 4(/1 , Hod. 1 v« eunarH sßadoafö ««Ä R*fr/YY , 1 : 7 ■:::;.aitf j'U 'i X* isor 1't‘iji .Y> .'. 4 - ,U ;.{ -'V V■?'■■}■ ^».1. v.y' •*.'.. |1' : ; r-’- j! .;') r/fHSu'WXXxii ;-i 'jvirfv.-rhi;f' v.'j it.ii.' xsiT -lüC.v • ;:w . • . !*>.!!.• i> ! ■adiOrqS itstf mmoxQ ,Q ■ ' .JireffnA •»«r«V/t(98t. Der Esel als Schiedsrichter. Einmal in einem tiefen Tal Der Kuckuck und die Nachtigall Eine Wett’ täten anschlagen, Zu singen um das Meisterstück : Wer’s gewänn’, aus Kunst oder aus Glück, Dank sollt’ er davon tragen. Der Kuckuck sprach: „So dir’s gefällt, hab’ der Sach’ einen Richter erwählt.“ Und tat den Esel nennen. „Denn weil er hat zwei Ohren gross, so kann er hören desto hass und, was recht ist, erkennen!“ Als ihm die Sach’ nun ward erzählt, und er zu richten hat Gewalt, schuf er: Sie sollten singen! Die Nachtigal sang lieblich aus; der Esel sprach: „Du machst mir’s kraus; ich kann’s in Kopf nicht bringen.“ Der Kuckuck fing auch an und sang, wie er dann pflegt zu singen: Kuckuck, Kuckuck! lacht fein darein, das gefiel dem Esel im Sinne sein, er sprach: „In allen Rechten will ich ein Urteil sprechen! 6 Hast wohl gesungen, Nachtigall! Aber Kuckuck singt gut Choral und hält den Takt fein innen. Das spreeh’ ich nach meinem hohen Verstand und, ob es galt’ ein ganzes Land, so lass ich’s dich gewinnen.“ Altes Volkslied. 7. Armherzigkeit. Der junge Hamster hat vom alten Im Hungerjahre Hülf erhalten Und sollt ihm nun für alle Zeit Verbunden sein und dienstbereit. „Was“, sprach er, „du willst Dank gemessen? Hab’ ich dir nicht bezahlen müssen Das Kapital nebst hohem Zins? Du hast nur um des Mehrgewinns Dich angenommen hiilflos Armer ; Du bist ein Krämer, kein Erbarmer!“ A. E. Fröhlich. 8. Die Fledermaus. Die Fledermaus rief: 0 Wiesel! Vor Ängsten ergreift mich ein Friesei. Dein bin ich kein würdiger Sehmaus, Ich bin ja nicht Vogel, nur — Maus. Grossmütig sagte der Wiesel: Die Mausart, wahrlich, ist neu; Doch hab’ ich kein Herz von Kiesel; — Und liess die Fledermaus frei. Die Fledermaus rief: 0 Schuhu, Verschone mich, edelster Uhu! Dein bin ich kein würdiger Schmaus. Ich bin ja ein Vogel, nicht Maus. Ei, sprach der Tyrann der Mäuse, Die Vogelart ist mir neu; Doch entflieg’ aus unserem Kreise; — Und liess die Fledermaus frei. 7 Die Fledermaus lief: 0 Katze! Lass’ ab von mir seltenstem Schatze, Dem Adler dien’ ich zum Schmaus: Zugleich bin ich Yogel und Maus. — „Nein, Prahler, du sollst mir verderben, Nicht umsonst hab’ ich dich erzielt! Auch möge Jeder so sterben, Der zweierlei Köllen spielt!“ Pr. Hau;. 9. Der Ziegenbock und der Bauer. Ziegenbock: Gehorsamer Diener! lieber Bauersmann, Verzeih’t, biet’ Euch meine Dienste an. Ich bin ein Gärtner, ich geb Euch mein Wort, Ihr findet keinen bessern im ganzen Ort. Ich frag’ nicht, wie gross die Besoldung sei, Ich treibe mein Fach aus Liebhaberei. Bauer: Recht gerne solltet Ihr mein Gärtner sein, Doch leider ist Euer Ruf nicht fein. Was hängt denn am Bart, ich merk’ es wohl, Ihr nascht wohl gern vom grünen Kohl? Fürwahr, ich müsste recht thöricht sein, Setzt’ ich den Bock zum Gärtner ein. Drauf hat sich der Ziegenbock sehr geschämt Und sich um den schönen Posten gegrämt. R. H i 11 e r t. 10. Diebesmäntler. Ein Lamm ward weggebracht In einer dunkeln Nacht; Und nur des Diebes Spur Entdeckt man auf der Flur. Da wird zum Augenschein Von seiner Dorfgemein’ Der Fuchs dorthin geschickt Doch in der Spur erblickt Er seines Vetters Fuss, Der ihm auch hehlen muss; Drum mit gewandtem Schwanz Verwedelt er sie ganz. A. E. Fröhlich. 8 11. Diplomatik. „Warum sind uns Doppelungen?“ Wundert eins der Schlangenjungen. Und die Mama sagt ihm: „Lug, Eine war’ uns nicht genug; Denn wir sind unendlich klug!“ A. E. Fröhlich. 12. Der Esel als Flötenspieler. Und der Wind verfemte In der Flöte sich; Und die Flöte tönte Ganz von ungefähr. „Ei“, begann der Esel, „Ei, wie spiel’ ich schön! Sag’ eins noch, die Esel Musiziren schlecht.“ So gibt’s wohl noch manche, Die auch ohne Kunst Es bisweilen treffen Ganz von ungefähr. Aus dem Spanischen. Ueber eine Wiese Nah bei einem Dorf Ging ein wack’rer Esel Ganz von ungefähr. Eine Flöte fand er, Die ein Schäfer dort Hatte liegen lassen Ganz von ungefähr. Wohl besah, beroch sie Lang das Eselein, Und hinein es schnaufte Ganz von ungefähr. 13. Strenge Barmherzigkeit. Das Tal schreit auf zum Föhn: „Was wirft dein wild’ Gestöhn Lawinen ab den Höh’n, Die Bäche zu empören, Die Matten zu zerstören? Kannst du denn nicht gelind Den Winterschnee zertauen?“ „Nein!“ ruft der Frühlings wind, „Tief liegen noch die grauen Schneewolken in dem Land, Gross ist der Widerstand, Mit dem die Norde kämpfen. 9 Wollt’ ich sie gütlich dämpfen, Und sollte nur gemach Tropfweise nach und nach Der Schnee geschmolzen werden, Würd’s Maien nie auf Erden. Des Kampfgetümmels Spuren Deck’ ich mit grünen Fluren.“ A. E Fröhlich. 14. Versöhnuiigsgel'ahr. Bei den Guten hat schon lange Keinen Glauben mehr die Schlange. Aber sie möcht’ wieder kommen In den Umgang mit den Frommen. Und sie putzt sich: Perlen schimmern, Gold und Edelsteine flimmern; Und sie kömmt mit leisem Tritte In der Turteltauben Mitte. „Bleibt“, ruft sie, „ich bring’ euch Freude! Seht, ich bin im Sonntagskleide! Wer könnt’ darin Böses wollen?“ „Mit des Wort’s, des Goldes Scheine, Birgst du“, sagt der Tauben eine, „Nicht der Augen furchtbar Hollen, Nicht die Lippen giftgeschwollen. Doppelt kenntlich, doppelt feindlich Ist die Bosheit, tut sie freundlich! A. E. Fröhlich. 15. Zucht. „Nicht lass’ ich mich zäumen!“ ! Und stürze feldein Schäumt wütend das Pferd; j Durch Ivlüft’ und Gestein; „Ich werde mich bäumen, j Denn besser zu sterben, Mich wälzen zur Erd’. j Als knechtisch verderben!“ Und wenn sie mich schlagen, j „Gern liess ich mich zügeln“ Zerreiss’ ich den Wagen, j Entgegnet &er Springer, 10 „Und Schläge und Stich Yerschoneten mich. So ward ich ein Ringer, Und lernte beflügeln Mich selber zum Ziel. Viel besser gefiel Mir, Zucht zu erwerben, Denn zuchtlos verderben.“ A. E. Fröhlich. IG. Die Biene und die Taube. Ein Bienchen trank und fiel in einen Bach; Dies sah von oben eine Taube, Und brach ein Blättchen von der Laube, Und warf’s ihr zu. Das Bienchen schwamm darnach Und half dadurch sich glücklich aus dem Bach, in kurzer Zeit sass uns’re Taube Im Frieden wieder auf der Laube. Ein Jäger hatte schon die Flinte drauf gespannt; Mein Bienchen kam. Pick, stach’s ihn in die Hand, Puff, ging der ganze Schuss darneben. Die Taube flog davon. Wem dankt sie nun das Leben? — Erbarmt euch willig fremder Not! Du gibst dem Armen heut’ dein Brot. Der Arme kann dir’s morgen geben. J. B. Michaeli s. C. Die Parabel. 17. Die drei Ringe. Vor grauen Jahren lebt’ ein Mann im Osten, Der einen Ring von unschätzbarem Wert Aus lieber Hand besass. Der Stein war ein Opal, der hundert schöne Farben spielte, Und hatte die geheime Kraft, vor Gott Und Menschen angenehm zu machen, wer In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, Dass ihn der Mann im Osten darum nie Vom Finger liess, und die Verfügung traf, Auf ewig ihn bei seinem Hause zu Erhalten ? Hämlich so: Er liess den Hing Von seinen Söhnen dem Geliebtesten; Und setzte fest, dass dieser wiederum Den Ring von seinen Söhnen dem vermache, Der ihm der liebste sei, und stets der liebste, Ohn’ Anseh’n der Geburt, in Kraft allein Des Eing’s, das Haupt, der Fürst des Hauses wer So kam nun dieser 1 Hing von Sohn zu Sohn Auf einen Vater endlich von drei Söhnen, Die alle drei ihm gleich gehorsam waren, Die alle drei er folglich gleich zu lieben Sich nicht entbrechen konnte. Hur von Zeit Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald Der dritte, — so wie jeder sich mit ihm Allein befand, und sein ergiessend Herz Die andern zwei nicht teilten, — würdiger Des Ringes, den er denn auch einem jeden Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen. Das ging nun so, so lang es ging. — Allein Es kam zum Sterben, und der gute Vater Kommt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort Verlassen, so zu kränken. — Was zu tun ? — Er sendet in geheim zu einem Künstler, Hei dem er, nach dem Muster seines Ringes, Zwei andere bestellt, und weder Kosten Hoch Mühe sparen heisst, sie jenem gleich, Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt, Kann selbt der Vater seinen Musterring Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft Er seine Söhne, jeden insbesondre; Gibt jedem insbesondre seinen Segen, — 12 Und seinen Ring, — und stirbt. — Kaum war der Yater tot, so kommt ein jeder Mit seinem Ring und jeder will der Fürst Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt, Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht Erweislich; fast so unerweislich, als uns jetzt — Der rechte Glaube. Die Söhne Verklagten sich; jeder schwur dem Richter, Unmittelbar aus seines Vaters Hand Den Ring zu haben. — Wie auch wahr! — Nachdem Er von ihm lange das Versprechen schon Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu Geniessen. — Wie nicht minder wahr! — Der Vater, Beteu’rte jeder, könne gegen ihn Nicht falsch gewesen sein; und eh’ 1 er dieses Von ihm, von einem solchen lieben Vater, Argwohnen lass’; eh’ müss’ er seine Brüder, So gern er sonst von ihnen nur das Beste Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels Bezeihen; und er wolle die Verräter Schon auszufinden wissen, sich schon rächen. Der Richter sprach: Wenn ihr mir nun den Vater Nicht bald zur Stelle schafft, so weis’ ich euch Von meinem Stuhle. Denkt ihr, dass ich Rätsel Zu lösen da bin? Oder harret ihr, Bis dass der rechte Ring den Mund eröffne? — Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring Besitzt die Wunderkraft, beliebt zu machen; Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden Doch das nicht können! — Nun; wen lieben zwei Von euch am meisten? — Macht, sagt an! •— Ihr schweigt? Die Ringe wirken nur zurück? und nicht Nach aussen? Jeder liebt sich selber nur Am meisten? — 0, so seid ihr alle drei Betrogene Betrüger! Eure Ringe Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring 1 Vermutlich ging verloren. Den Verlust Zu bergen, zu ersetzen, liess der Vater Die drei für einen machen. Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr , Nicht meinen Rat statt meines Spruches, wollt; Geht nur! — mein Rat ist aber der: ihr nehmt Die Sache völlig, wie sie liegt. Hat von Euch jeder seinen Ring von seinem Vater: So glaube jeder sicher seinen Ring Den echten. — Möglich, dass der Vater nun Die Tyrannei des einen Rings nicht länger In seinem Hause dulden wollen! —■ und gewiss, Dass er euch alle drei geliebt, und gleich Geliebt, indem er zwei nicht drücken mögen, 1 Um einen zu begünstigen. Wohlan! Es eif’re jeder seiner unbestoch’nen, Von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, Die Kraft des Stein’s in seinem Ring an Tag Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut, Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, Mit innigster Ergebenheit in Gott, Zu Hiilf! Und wenn sich dann der Steine Kräfte Bei eu’ren Kindes-Ivindes-Kindern äussern; So lad’ ich über tausend tausend Jahre Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird Ein weis’rer Mann auf diesem Stuhle sitzen, Als ich, und sprechen. Geht! — so sagte der Bescheäd’ne Richter. G. E. L e s s i n g. D. Die Allegorie. 18. Das Mädchen aus der Fremde. In einem Tal bei armen Hirten Erschien mit jedem jungen Jahr, 14 Sobald die ersten Lerchen schwirrten, Ein Mädchen, schön und „wunderbar. Sie war nicht in dem Tal geboren, Man wusste nicht, woher sie kam; Doch schnell war ihre Spur verloren, Sobald das Mädchen Abschied nahm. Beseligend war ihre Nähe, Und alle Herzen wurden weit; Doch eine Würde, eine Höhe Entfernte die Vertraulichkeit. Sie brachte Blumen mit und Früchte, Gereift auf einer andern Flur, In einem andern Sonnenlichte, In einer glücklichem Xatur. Und teilte jedem eine Gabe, Dem Früchte, jenem Blumen aus; Der Jüngling und der Greis am Stabe, Ein jeder ging beschenkt nach Haus. Willkommen waren alle Gäste; Doch nahte sich ein liebend Paar, Dem reichte sie der Gaben beste, Der Blumen allerschönste dar. F r i e d r. Schiller. 19. Brausköpfe. Es tun die jungen Bäume bald Gar stürmisch, kommt der Wind in Wald; Sie schlagen Köpf’ an Köpfe hart, Auch Hand und Arm wird nicht gespart. Wenn tiefer ihre Wurzeln geh’n, Der Kopf geworden ist ein Haupt, Hält derlei keiner mehr erlaubt. Sie bieten, bricht der Sturm ins Land, Einander dann wohl Arm und Hand, Um sicher, edel dazusteh’n. A. F. F r ö hl i c h, 15 30. Die Frösche. Ein grosser Teich war zugefroren; Die Fröschlein, in der Tiefe verloren, Durften nicht ferner quaken noch springen, Versprachen sich aber im halben Traum, Fänden sie nur da oben Raum, Wie Nachtigallen Rollten sie singen. Der Tauwind kam, das Eis zerschmolz, Nun ruderten sie und landeten stolz, Und sassen am Ufer weit und b: eit Und quakten wie vor alter Zeit. J. W. G ö t h <*. 31. Lohn der Unterm Baume stand der Knabe, Reichte nicht bis an den Ast; Bettelte um eine Gabe Von der Zweige reicher Last. Und der Baum begann zu regen Seine Wipfel leis’ im Wind, Schüttelt einen Apfelregen Nieder dem erstaunten Kind. Was es essen konnte, ass es, Alles essen könnt’ es nicht. Aber schon so viel besass es, Dass ihm noch vielmehr gebricht. Freigebigkeit. Einen Apfel wirft zum Spiele Es dem Geber ins Gesicht, Freut sich, dass er dort vom Stiele Einen reifen Bruder bricht. Und so viel als niederfalleri, Schleudert er hinauf, und treibt Es so lange, bis von allen Früchten keine droben bleibt. Was der kahleBaum nundenket? Zürnend wieget er das Haupt: j „AVeil ich dir so viel gesehenket, ! Hast du alles mir geraubt.“ G. F. Leasing;. E. Die Idylle. 33. Der siebzigste Geburtstag. Auf die Postille gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens, Sass der redliche Tamm, seit vierzig Jahren des Dorfes Organist, im geerbten und künstlich gebildeten Lehnstuhl, Mit braunnarbichtem Jucht, voll schwellender Haare bepolstert. JO Oft die Hände gefaltet, und oft mit lauterem Murmeln Las er die tröstenden Spruch’ und Ermahnungen. Aber allmälig Starrte sein Iilick, und er versank in erquickenden Mittagsschlummer. Festlich prangte der Greis in gestreifter, kalmankener Jacke; Und bei entglittener Brill’ und silberfarbenem Haupthaar Lag auf dem Buche die Mütze von violettenem Sammet, Mit Fuchspelz verbrämt und geschmückt mit goldener Troddel; Denn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag. LMd ihm hatte sein Sohn, der gelahrte Pastor in Marlitz, Jüngst vier Flaschen gesandt, voll alten, balsamischen Rheinwein’s, Und gelobt, wenn der Schnee in den hohlen Wegen es irgend Zuliess’, ihn zu besuchen mit seiner jungen Gemahlin. Eine der Flaschen hatte der alte Mann bei der Mahlzeit Fröhlich des Siegels beraubt, und mit Mütterchen auf die Gesundheit Ihres Sohnes geklingt und seiner jungen Gemahlin, Die er so gern noch sähe vor seinem seligen Jilnde! Mütterchen hatte das Bett und die Fenster mit reinen Gardinen Ausgeziert, die Stube gefegt und mit Sande bestreuet, Mit rotblumigem Teppich gedeckt den eichenen Klapptisch, Und das bestäubte Gewächs am sonnigen Fenster gereinigt, Knospende Ros’ und Levkoj’ und spanischen Pfeffer und Goldlack, Samt dem grünenden Korb Maililien hinter dem Ofen. Ringsum blinkten gescheu’rt die zinnernen Teller und Schüsseln Auf dem Gesims’; auch hingen ein paar stettinische Krüge, Blaugeblümt, an den Pflöcken, die Feuerkieke von Messing, Desem und Mangelholz, und die zierliche Elle von Xussbaum. Aber das grüne Klavier, vom Greise gestimmt und besaitet, Stand mit bebildertem Deckel und schimmerte; unten befestigt Hing ein Pedal, es lag auf dem Pult ein offnes Choralbuch. Auch den eichenen Schrank, mit geflügelten Köpfen und Schnörkeln, Schraubenförmigen Füssen und Schlüsselschilden von Messing, (Ihre selige Mutter, die Küsterin, kauft’ ihn zum Brautschatz) Hatte sie abgestäubt und mit glänzendem Wachse gebonet. Oben stand auf Stufen ein Hund und ein züngelnder Löwe, Beide von Gyps, Trinkgläser mit eingeschliffenen Bildern, Zween Theetöpf'e von Zinn und irdene Tassen, und Apfel. 17 Jetzo erhob sie sich vom binsenbeflochtenen Spinnstuhl Langsam, trippelte dann auf klirrendem Sande zur Wanduhr Leis’, und knüpfte die Schnur des Schlaggewichts an den Nagel, Dass den Greis nicht weckte das klingende Glas und der Kuckuck; Sah dann hinaus, wie des Schnee’s dichtstöbernde Flocken am F enster Rieselten, und wie der zuckende Sturm in den Eschen des Hofes Rauscht’ und der hüpfenden Kräh’n Fusstritte verweht’ an der Scheune. Und sie schüttelt’ ihr Haupt und flüsterte halb, was sie dachte: Lieber Gott, wie’s stürmt und der Schnee in den Gründen sich anhäuft! Arme reisende Leute! Kein Mensch wohl jagte bei solchem Wetter den Hund aus der Türe, wer seines Vieh’s sich erbarmet! Aber mein Sohn kommt doch zum Geburtstag! Gar zu besonders Wühlt mir das Herz! Und seht, wie die Katz auf dem Tritte des Tisches Schnurrt und ihr Pfötchen leckt und Bart und Nacken sich putzet! Das bedeutet ja Fremde nach aller Vernünftigen Urteil! Sprach’s und setzte die Tassen mit zitternder Hand in Ordnung, Füllte die Zuckerdos’ und scheuchte die sumsenden Fliegen, Die ihr Mann mit der Klappe verschont zur Wintergesellschaft, Nahm zwo irdene Pfeifen, mit grünen Posen gezieret, Von dem Gesims und legte Tabak auf den zinnernen Teller. Jetzo ging sie und rief mit leiser, heiserer Stimme Aus der Gesindestube Marie vom rummelnden Spulrad, Wo sie gehaspeltes Garn von der Wind’ abspulte zum Weben: Scharre mir Kohlen, Marie, aus dem tiefen Ofen, und lege Kien und Torf hinein und dürres, buchenes Stammholz; Aber sacht, dass der Vater vom Mittagsschlummer nicht aufwacht! Sinkt das Feuer zur Glut, dann schiebe den knorrigen Klotz nach! Denn der alte Vater, das wissen wir, klaget beständig Uber Frost und suchet die Sonne sogar in der Ernte. Auch die Kinderchen hätten ein warmes Stübchen wohl nötig. Also sprach sie, da scharrte Marie aus dem Ofen die Kohlen, Legte Feurung hinein und weckte die Glut mit dem Blasbalg, Hustend, und schimpfte den Rauch, und wischte die tränenden Augen. 2 18 Aber Mütterchen brannt’ am Feuerherd in der Pfanne Über der Glut den Kaffee und rührt’ ihn mit hölzernem Löffel: Knatternd schwitzten die Bohnen und bräunten sich, während ein würzig 1 lüftender Qualm aufstieg, die Küch’ und die Diele durchräuchernd. Und sie langte die Mühle herab vom Gesimse des Schornsteins, Schüttete Bohnen darauf und nahm sie zwischen die Kniee, Hielt mit der Linken den Rumpf, und drehte den Knopf mit der Rechten; Sammelt’ auch oft haushältrisch die hüpfenden Bohnen vom Schosse; Goss dann auf graues Papier den grobgemahlenen Kaffee. Aber nun hielt sie mitten im Lauf die rasselnde Mühl’ an, Wandte sich gegen Marie, die den Ofen schloss, und gebot ihr: „Eile, Marie, und sperre den wachsamen Hund in den Holzstall, Dass, wenn der Schlitten kommt, sein Gebell den Vater nicht wecke. Aber versäumt wohl Thoms, vor dunkler Nacht von dem Fischer Unsere Karpfen zu holen? Aus Vorsicht bring’ ihm den Beutel. W enn er auch etwas Holz, die Gans am Spiesse zu braten, Splitterte! Bring’ ihm das Beil und bedeut’ ihn. Dann im vor- beigeh’n Steig’ auf den Taubenschlag und sieh’, ob der Schlitten nicht ankömmt!“ Also sprach sie: da eilte die fleissige Magd aus der Küche, Kahm von der russichten AVand das Beil und den maschigen Beutel, Lockte mit schimmlichtem Brote den treuen Mona rehin den Hol/.stall; Krampte die Türe zu, und liess ihn kratzen und winseln; Lief durch den Schnee zur Scheune, wo Thoms mit gewaltiger Arbeit Häckerling schnitt, denn ihn fror! und bedeutet ihn; eilte dann weiter, Stieg auf den Taubenschlag und pustete, rieb sich die Hände, Steckt’ sie unter die Schürz’ und schlug sie über die Schultern. Jetzo sah sie im Nebel des fliegenden Schnee’s, wie der Schlitten Dicht vor dem Dorfe den Berg herklingelte, stieg von der Leiter Eilend herab und brachte der alten Mutter die Botschaft. Hastig enteilte die Mutter mit bebenden Knie’n, ihr Herz schlug 19 Ängstlich, ihr Odem war kurz, und im Laufen entflog der Pantoffel. Jene ging zu der Pf out’ und öffnete. Näher und näher Kam das Geklins’ und das Klatschen der Peitsch’ und der Pferde O Getrampel; Und nun schwebte der Schlitten herein durch die Pforte des Hofes, Hielt an der Tür’ und es schnoben, beschneit und dampfend, die Pferde. Mütterchen eilte hinzu: Willkommen, rief sie, willkommen! Küsst’ und umarmte den heben Sohn, der zuerst aus dem Schlitten Sprang, und half der Tochter aus dem zottigen Fussack, Löst’ ihr die sammt’ne Kapuz’ und küsste sie; Tränen der Freude Rannen von ihrem Gesicht auf die schönen Wangen der Tochter. „Aber, wo bleibt mein Yater? Frist doch gesund am Geburtstag?“ Fragte der Sohn. Da tuschte mit winkenden Händen die Mutter: „Still, er schläft! Nun lasst die beschneiten Mäntel euch abzieh’n, Und dann weck’ ihn mit Küssen, du hebe, trauteste Tochter! Armes Kind, das Gesicht ist dir ganz rot von dem Ostwind! Aber die Stube ist warm und gleich soll der Kaffee bereit sein.“ Also sprach sie, und hängt an gedrechselte Knöpfe die Mäntel. Öffnete leise die Klink’ und liess die Kinder hinein gehn. Aber die junge Frau mit schönem, lächelndem Antlitz Hüpfte hinzu, und küsste des Greisen Wange; erschrocken Sah er empor, und hing in seiner Kinder Umarmung. II. V o s s. 23. Das Habermus. s’Habermues war fertig! se chömmet, ihr Chinder, und esset! Betet: Aller Augen — und gent mer ordeli Aclitig, Ass nit eim am ruessige Tüpfi ’s Ermeli schwarz wird. Esset denn, und segnichs Gott und wachset und trüejet. D’Haberchörnli hät der Ätti zwische de Fure Gsäit mit flissiger Hand und abeg'egget im Früeijohr. Ass es gwachsen iscli und zitig worde, für sei cha Euen Ätti nüt, sei tuet de Yater im Himmel. Denket numme, Chinder, es schloft im mehlige Chörnli Clilei und zart e Chimli; das Chimli tuetich ke Schnüfli, Nei, es schloft, und seit kei Wort, und isst nit und trinkt nit, 20 Bis es in de Furo lit, im luckere Bode. Aber in de Furen und in der fiiechtige Wärmi Wacht es hcinili uf ns sim verschwiegene Schlöfli, Streckt die zarte Gliedli, und suget am saftige Chörnli, Wie ne Huetterchind; s ! isch alles, ass es nit briegget. Siderie wird's grösser, und heimli schöner und stärcher, Und schlieft us de Windlen, es streckt e Würzeli ahe, Tiefer aben in Grund, und suecht si Nahrig und findt sie. Jo und ’s sticht's der Wundervitz, ’s möcht liumine au wisse, Wie's denn witer oben isch. Gar heimli und furchtsem Gttggelet’s zum Boden us. — Potztusig, wie gfallt's em! Use lieber Herrgott, er schickt en Engeli ahe: „Bringern e Tröpfli Tau, und sag em fründli Gottwilche!“ Und es trinkt, und s’ schmeckt em wohl, und s’ streckt si gar sölli. Sider strchlt sie d’Sunnen, und wenn sie gwäschen und gstrehltisch, Chunt sie mit der Strickete fttre hinter de Berge, Wandlet ihre Weg hoch an der himmlische Landstross, Strickt und lueget aben, as wie ne fründligi Muetter No de Chindlene luegt. Sie lächlet gegenem Chimli, Und es tuet em wohl bis tief ins Würzeli abe. „So ne tolli Frau und doch so gtietig und fründli!“ Aber was sie strickt! He, Gwiilch us himmlische Düfte! ’s tröpflet scho, ne Sprützerii chunt, druf regnet’s gar sölli. s’ Chimli trinkt bis gnueg; druf weiht e Lüftli und trochnet’s, Und es seit: Jez gangi nümmen untere Bode, Um ke Pris! Do blibi; geb, was no us mer will werde!“ Esset, Chindli, segn’ es Gott, und wachset und tiüejet! s’ wertet herbi Zit ufs Chimli! Wulken an Wulke Stöhn am Himmel Tag und Nacht, und d’Sunne verbirgt si. Uf de Berge schneit’s, und witer nide hurniglet’s. Schocheli schoch, wie schnatteret iez und briegget mi Chimli! Und der Boden isch zue und ’s het gar chündigi Nahrig. „Ist denn d’Sunne gstorbe“, seit es, „ass sie nid cho will? Oder förcht sie au, es fiier sie? Wäri doch blibe, Woni gsi bi, still und chlei im mehlige Chörnli, Und deheim im Boden und in der fiiechtige Wärmi!“ Lueget, Chinder, so goht’s! Der. werdet au no sage, 21 W enn der use chümmet und unter fremde Lute Schaffe müent und rehlen, und Brot und Plunder verdiene: äi'i doch delieim him Müetterli, hinterem Ofe!“ Tröstich Gott! s’ nimmt au en End, und öbbe wird’s besser, ^ ie’s im Chimli gangen isch. Am heitere Maitag Weiht s so lau und d’Sunne stiegt so chräftig vom Berg uf, Und sie luegt, was ’s Chimli macht, und git em e Sc-hmützli, Und iez isch em wohl, und es weiss nit z’blibe vor Freude. Aootno prange d’Matte ini Gras und farbige Blueme; Hootno duftet’s Chriesibluest und grüenet der Pflumbaum; Nootno wird de Kogge buschig, Weizen und Gerste, Und mi Häberli seit: „Do blibi au nit dehinte!“ Hei, es spreitet d’Blättli us, wer het em sie gwobe ? Und jez schiesst der Halm; wer tribt in Böhren an Röhre ’s Wasser us de Wurzle bis in die saftige Spitze? Endli schlieft en Ähri us, und schwankt in de Lüfte — Sag mer au ne Mensch, wer het an sideni Fäde Do ne Clinospli ghenkt und dort mit chünstlige Hände? D’Engeli; wer denn sust? Sie wandle zwische de Furen Uf und ab vo Halm zu Halm, und schaffe gar sölli. Jez hangt Bluest an Bluest am zarte, schwankten Ähri, Und mi Haber stoht, as wie ne Brüütli im Chilchstuelil. Jez sin zarti Chörnli drin, und wachsen im Stille, Und mi Haber merkt efange, was es will werde. D’Chäferli chönnne und d’Fliege, sie cliömme z’Stubete zuenem, Luege, was er macht, und singen: „Eye Popeye!“ Und ’s Schiwürmli cliunt, potztusig mit dem Laternli, z’Kacht um Nüni z'Liecht, wenn d’Fliegen und d’Clüiferli schlofe- Esset, Chinder, segn’ es Gott, und wachset und trüojct! Sider het me gheuet und Chriesi gunne no Püngste; Sider het me Pflümli gunne hinterem Garte; Sider hen sie Rogge gschnitte, Weizen und Gerste, Und die arme Chinder heil barfis zwische de Stupfie Gfalleni Ähri glesen und ’s Müsli het ene glmlfe. Druf het au der Haber bleicht. Voll mehlige Chörner Iiet er gschwankt und gseit: „Jez isch mer afange vetleidet, Und i merk, mi Zit isch us; was tueni allei do, 22 Zwische de Stupfelrüeben und zwische de Grumbirestude P“ Druf isch d’Muctter usen und ’s Efersinli und ’s Plunni, ’s het ein scho an d’Finger gfrore z’Morgen und z’Obe. Endli hennner en brocht, und in der staubige Schüre Hei sie ’n droscht vo früej um zwei bis z’Oben um vieri. Druf isch ’s Müllers Esel cho und hetten in d’Mülli Gholt, und wieder brocht, in chleini Chörnli vermahle; Und mit feister Milch vom junge, fleckige Chüeli Hetten ’s Müetterli gchocht im Tüpfi. — Geltet, ’s ist guet gsi ? Wüschet d’Löffel ab, und bet eis: Danket demllerren! — Und jez göhnt in d'Schuel, dort hangt der Oser am Simse! Fall mer keis! gent achtig, und lehret, was menich uf'git! Wenn der wieder chömmet, so chömmetder Zibbertli über. P. Hebel. 23. Abendlied eines Bauersmanns. Das schöne grosse Taggestirne Vollendet seinen Lauf. Komm, wisch’ den Schweiss mir von der Stirne, Lieb’ Weib, und dann tisch’ auf! Kannst hier nur auf der Erde decken, Hier unterm Apfelbaum! Da pflegt es abends gut zu schmecken, Und ist am besten Raum. Und rufe flugs die kleinen Gäste, Denn hör’, mich hungert’s sehr! Bring’ auch den Kleinsten aus dem Neste, Wenn er nicht schläft, mit her! Es leuchtet uns bei unserm Mahle Der Mond so silberrein, Und guckt von oben in die Schale Und tut den Segen d’rein. Nun, Kinder, esset! esst mit Freuden, Und Gott gesegn' es euch! Sieh’ Mond, ich bin wohl zu beneiden, Bin arm und bin doch reich! M. Claudius. 23 25. Aufgenötigte Tässelien. ' „No es Tässli, Frau Baas?“ — „I danke verbindli,“ — „Me gaht ja Nüd uf eim Bei, Frau Baas.“ — „Hä nu, us schuldiger Achtig!“ „No es Tässli, Frau Baas?“ — „I glaube, Frau Baas, Sie vexiered; Weeger, i müesst mi ja schäme,“ — „I bitte, wozue doch die Umstand? Aller guete Dinge sind drü. „ — „I nimni’s als Bifehl a.“ — „No es Tässli, Frau Baas?“ — „Nei weeger, iez müesst i versprenge ! “ — „s’ git no wohl en Winkel, Sie gsehnd, wie d’Tässli so chli sind. “ — „Nei wahrhaftig, es tuet’s nüd!“ — „I Iah nüd nahe.“ — „So sei’s denn!“ — „No es Tässli, Frau Baas?“ — „Was denket Sie an, Frau Baas Amtme! War’ me nu es Fass! denn exellentere Ivaffi Trinkt me niene als da, das muess i säge.“ — „Nu ja denn, Wenn i ne glaube darf, so bitti“ — „’s ist wiirkli doch gar z’viel.“ — „Incommodiert er Sie öppe?“ — „O, nei, Frau Baas Amtme! ’s Cunträri : Chopf- und Magebschwerde, das muess i säge, die nimmt’s mer Suber und glatt eweg.“ — „Drum wege der schätzbare G’sundheit No es Tässli, Frau Baas! — „Nei, nei, jez müesst mer’s verbitte. Gnueg ist gnueg.“ — „I gähne nüd z’ruek. — „1 bitte doch höfli!“ „’s ist der Gsundheit wege.“ — „Da cha me frili nüd abschla!“ — „No es Tässli, Frau Baas? — „Bi Lib und Lebe, es gabt mer Währli scho bis da ufe.“ — „Sie spassed, ’s ist ja nu Briieh!“ — „Aber chräftigi Brüeli und Milch und Zucker und Murre ! Denked Sie au, Frau Baas Amtme! I glaube, es eliäm zu-m-e Küüschli.“ — „Daruf wend mer’s doch wage; i gsäh Sie so gern mit em Rüiischli. Mached Sie mer doch die Freud!“ — „Uf Iliri Gfahr, Frau Baas Amtme! “ 24 „No cs Tiissli, Frau Baas?“ — „Jez blib i fest, wie-n-en Felse! Siebe Tasse ist, ineini, e Schöns; es möcht’s chuuin en Tröscher! “ — „Siebe Tasse sind ungrad; das clian i währli nüd zuegäli; ’s gab e schlaflosi Nacht! I gwalire aber, das Kaffi Wird es bitzeli trüeb; send, Lisebeth, maclied e frisches!“ Aus „Herr Heiri“ yon M. U s t e r i. F. Die Sage, 26. Rlicinsage. Am Bhein, am grünen Rheine Da ist so mild die Nacht, Die Rebenhügel liegen In goldener Mondenpracht. Und an den Hügeln wandelt Ein hoher Schatten her Mit Schwert und Purpurmantel, Die Krone von Golde schwer. Er ist heraufgestiegen Zu Aachen aus der Gruft, Und segnet seine Reben Und atmet Traubenduft. Bei Rüdesheim, da funkelt Der Mond ins Wasser hinein Und baut eine goldene Brücke Wohl über den grünen Rhein. Das ist der Karl, der Kaiser, Der mit gewalt’ger Hand Vor vielen hundert Jahren Geherrscht im deutschen Land. Der Kaiser geht hinüber L T nd schreitet langsam fort, Und segnet längs dem Strome Die Reben an jedem Ort. Dann kehrt er heim nach Aachen Und schläft in seiner Gruft, Bis ihn im neuen Jahre Erweckt der Traubenduft. E. G e i b e 1. 27. Barbarossa. Der alte Barbarossa, Der Kaiser Friederich, Im unterird’schon Schlosse Hält er verzaubert sich. Er ist niemals gestorben, Er lebt darin noch jetzt; Er hat im Schloss verborgen Zum Schlaf sich hingesetzt. 25 Er hat hinabgenommen | Des Reiches Herrlichkeit, Und wird einst wieder kommen, Mit ihr, zu seiner Zeit. , Der Stuhl ist elfenbeinern, Darauf der Kaiser sitzt, Der Tisch ist manneisteinern, Worauf sein Haupt er stützt. Sein Bart ist nicht von Flachsen, Er ist von Feuersglut, Ist durch den Tisch gewachsen, Worauf sein Kinn ausruht. ) Er nickt als wie im Traume, Sein Aug’ halb offen zwinkt; Und je nach langem Raume Er einem Knaben winkt. Er spricht im Schlaf zum Knaben: Grell’ hin vors Schloss, o Zwerg, Und sieh’, ob noch die Raben Herfliegen um den Berg. Und wenn die alten Raben Koch fliegen immerdar, So muss ich auch noch schlafen Verzaubert hundert Jahr. Fr. Rückert. G. Mährchen. 28. Der Riesen Spielzeug. Es ging die Riesentochter, zu haben einen Spass, Herab vom hohen Schlosse, wo Vater Riese sass. Da fand sie in dem Tale die Ochsen und den Pflug, Dahinter auch den Bauern, der schien ihr klein genug. Die Riesen und die Zwerge! Pflug, Ochsen und den Bauern, es war ihr nicht zu gross, Sie fasst’s in ihre Schürze, und trug’s aufs Riesenschloss. Da fragte Vater Riese: Was hast du, Kind, gemacht? Sie sprach: Ein schönes Spielzeug hab’ ich mir hergebracht: Die Riesen und die Zwerge! Der Vater sali’s und sagte: Das ist nicht gut, mein Kind! Tu’ es zusammen wieder an seinen Ort geschwind. Wenn nicht das Volk der Zwerge schafft mit dem Pflug im Tal, So darben auf dem Berge die Riesen bei dem Mahl, Die Riesen und die Zwerge! Fr. R ü c k e r t. 26 20. Schwert und Pflug. Einst war ein Graf, so gellt die Mähr’, Der fühlte, dass er sterbe; Die beiden Söhne rief er her* Zu teilen Hab’ und Erbe. Nach einem PHug, nach einem Schwert llief da der alte Degen; Das brachten ihm die Söhne wert, Da gab er seinen Segen. „Mein erster Sohn, mein stärkster Spross, Du sollst das Schwert behalten, Die Berge mit dem stolzen Schloss Sollst aller Ehren walten!“ „Doch dir, nicht minder liebes Kind, Dir sei der I’tlug gegeben! Im Tal, wo stille Hütten sind, Dort magst du friedlich leben!“ So starb der lebensmüde Greis, Als er sein Gut vergeben; Die Söhne hielten sein Geheiss Treu durch ihr ganzes Leben. — Doch sprich, was ward denn aus dem Stahl, Dem Schloss und aus dem Krieger? Was ward denn aus dem stillen Tal? Was aus dem schwächern Pflüger? 0, fragt nicht nach der Sage Ziel! Euch künden rings die Gauen: Der Berg ist wüst, das Schloss zerfiel, Das Schwert ist längst zerhauen. Doch liegt das Tal voll Herrlichkeit Im letzten Sonnenschimmer, Da wächst und reift es weit und breit, Man ehrt den Pflug noch immer. W. Malier. :}0. Die Heinzelmännchen. Wie war zu Köln es (loch vordem Mit Heinzelmännchen so bequem! Denn, war man faul, . . . man legte sich Hin auf die Bank und pflegte sich: Da kamen bei Nacht, Ehe man’s gedacht, Die Männlein und schwärmten Und klappten und lärmten Und rupften Und zupften Und hüpften und trabten Und putzten und schabten Und eh’ ein Faulpelz noch erwacht, . . . War all’ sein Tagewerk . . . bereits gemacht. Die Zimmerleute streckten sich Hin auf die Span’ und reckten sich: Indessen kam die (reisterschar Und sah, was da zu zimmern war: Nahm Meissei und Beil Und die Säg’ in Eil’: Sie sägten und stachen Und hieben und brachen, Berappten Und kappten, Yisirten wie Falken Und setzten die Balken . . . Eh’ sich’s der Zinrfnermann versah . . . Klapp, stand das ganze Haus . . . schon fertig da. Beim Bäckermeister war nicht Not, Die Heinzelmännchen backten Brot. Die faulen Burschen legten sich, Die Heinzelmännchen regten sich, Und ächzten daher Mit den Säcken schwer! Und knoteten tüchtig Und wogen es richtig, Und hoben Und schoben Und fegten und backten Und klopften und hackten. Die Burschen schnarchten noch im Chor: Da rückte schon das Brot, . . . das neue, vor! Beim Fleischer ging es just so zu; Gesell’ und Bursche lag in Buh’. Indessen kamen die Männlein her Und hackten das Schwein die kreuz und quer. Das ging so geschwind Wie die Mühl' im Wind; Die klappten mit Beilen, Die schnitzten an Speilen, Die spühlten, Die wühlten Und mengten und mischten Und stopften und wischten. Tat der Gesell’ die Augen auf: Wapp! hing die Wurst da schon im Ausverkauf! Beim Schenken war es so: Es trank Der Küfer, bis er niedersank, Am hohlen Fasse schlief er ein, Die Männlein sorgten für den Wein, Und schwefelten fein Alle Fässer ein, Und rollten und hoben Mit Winden und Kloben, Und schwenkten Und senkten Und gossen und panschten Und mengten und manschten. Und eh’ der Küfer noch erwacht, War schon der Wein geschönt und fein gemacht! Einst hatt’ ein Schneider grosse Pein; Der Staatsrock sollte fertig sein; ( Warf hin das Zeug und legte sich Hin auf das Ohr und pflegte sich. Da schlüpften sie frisch An den Arbeitstisch, Und schnitten und rückten Und nähten und flickten Und fassten Und passten Und strickten und guckten Und zupften und ruckten Und eh’ mein Schneiderlein erwacht, War Bürgermeisters Rock . . . bereits gemacht! Reugierig war des Schneiders Weib, Und machte sielt den Zeitvertreib, Streut’ Erbsen hin die andre Rächt, Die Heinzelmännchen kamen sacht, Eins fährt nun aus, Schlägt hin im Haus, Die gleiten von Stufen Und plumpen in Kufen, Die fallen Mit Schallen, Die lärmen und schreien Und vermaledeien! Sie springt hinunter mit Licht auf den Schall: Husch, lutsch, husch, husch! — verschwinden all’ O weh! nun sind sie alle fort Und keines ist mehr hier am Ort! Man kann nicht mehr wie sonsten ruh’n, Man muss nun alles selber tun! Ein jeder muss fein Selbst fleissig sein, Und kratzen und schaben Und rennen und traben 30 Und schniegeln Und biegeln Und klopfen und hacken Und kochen und hacken. Ach, dass es noch wie damals war’! Doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her! A. Kopisch. H. Die Legende. 31. Das Hufeisen. Als noch, verkannt und sehr gering, Unser Herr auf der Erde ging, Und viele Jünger sich zu ihm fanden, Die sehr selten sein Wort verstanden, Liebt’ er sich gar über die Massen, Seinen Hof zu halten auf der Strassen, AVeil unter des Himmels Angesicht Man immer besser und freier spricht. Er liess sie da die höchsten Lehren Aus seinem heil’gen Munde hören; Besonders durch Gleichnis und Exempel Macht’ er einen jeden Markt zum Tempel. So schlendert er in Geistes Ruh Mit ihnen einst einem Städtchen zu, Sah etwas blinken auf der Strass’, Das ein zerbrochen Hufeisen was. Er sagte zu Sankt Peter drauf: „Heb’ doch einmal das Eisen auf!“ Sankt Peter war nicht aufgeräumt, Er hatte soeben im Gehen geträumt, So was vom Regiment der Welt, Was einem jeden wohlgefällt: Denn im Kopf hat das keine Schranken; Das waren so seine liebsten Gedanken. Nun war der Fund ihm viel zu klein, Hätte müssen Ivron’ und Zepter sein; Aber wie sollt’ er seinen Kücken Aach einem alten Hufeisen bücken? Er also sich zur Seite kehrt Und tut, als lüitt’ er’s nicht gehört. Der Herr nach seiner Langmut’ d'rauf Hebt selber das Hufeisen auf Und tut auch weiter nicht dergleichen. Als sie nun bald die Stadt erreichen, Geht er vor eines Schmiedes Tür, Nimmt von dem Manne drei Pfennig dafür. Und als sie über den Markt nun gehen, Sieht er daselbst schöne Kirschen stehen, Kauft ihrer so wenig oder so viel, Als man für einen Dreier geben will, Die er dann nach seiner Art Ruhig im Ärmel aufbewahrt. Nun ging’s zum andern Tor hinaus, Durch Wies’ und Felder ohne Haus, Auch war der Weg von Räumen bloss; Die Sonne schien, die Ilitz’ war gross, So dass man viel an solcher Statt’ Für einen Trunk Wasser gegeben lnitt’! Der Herr geht immer voraus vor allen, Lässt unversehens eine Kirsche fallen. Sankt Peter war gleich dahinter her, Als wenn es ein gold’ner Apfel wär’; Das Reerlein schmeckte seinem Gaum’. Der Herr, nach einem kleinen Kaum, Ein ander Kirschlein zur Erde schickt, Wornach Sankt Peter schnell sich bückt. So lässt der Herr ihn seinen Kücken Gar viel mal nach den Kirschen bücken. Das dauert eine ganze Zeit. Dann sprach der Herr mit Heiterkeit: 32 „Tiit’st du zur rechten Zeit dich regen, Hiitt’st du’s bequemer haben mögen. Wer geringe Ding’ wenig acht’t, Sich um geringere Mühe macht!“ W. G ö t li e. I. Ballade, Romanze und andere erzählende Gedichte. 32. Der blinde König. Was steht der nord’schen Fechter Schar Hoch auf des Meeres Bord? Was will in seinem grauen Haar Der blinde König dort? Er ruft in bitterm Harme, Auf seinen Stab gelehnt, Dass iiber’m Meeresarme Das Eiland wiedertönt: „Gib, Räuber, aus dem Felsverliess Die Tochter mir zurück! Ihr Harfenspiel, ihr Lied so süss, War meines Alters Glück. Vom Tanz auf grünem Strande Hast du sie weggeraubt, Dir ist es ewig Schande, Mir beugt’s das graue Haupt.“ Da tritt aus seiner Kluft bervor Der Räuber, gross und wild; Er schwingt sein Hünenschwert empor Und schlägt an seinen Schild: „Du hast ja viele Wächter, Warum denn litten’s die? Dir dient so mancher Fechter, Und keiner kämpft um sie? Noch steh’n die Fechter alle stumm, Tritt keiner aus den Reih’n, Der blinde König kehrt sich um: „Bin ich denn ganz allein?“ Da fasst des Vaters Rechte Sein junger Sohn so warm: „Vergönn’ mir’s, dass ich fechte! Wohl fühl’ ich Kraft im Arm.“ „0 Sohn! Der Feind ist riesenstark, Rim hielt noch keiner Stand. Und doch! in dir ist edles Mark, Ich fühl’s am Druck der Hand. Nimm hier die alte Klinge! Sie ist der Skalden Preis. Und fällst du, so verschlinge Die Flut mich, armen Greis.“ Und horch! es schäumet und es rauscht Der Nachen übers Meer; Der blinde König steht und lauscht, Und alles schweigt umher; Bis drüben sich erhoben Der Schild und Schwerterschall, Und Kampfgeschrei und Toben, Und dumpfer Widerhall. Da ruft der Greis so freudig bang: „Sagt an, was ihr erschaut! Mein Schwert, ich kenn’s am guten Klang, Es gab so scharfen Laut.“ •— „Der Räuber ist gefallen, Er hat den blut’gen Lohn. Heil dir, du Held vor allen, Du starker Königssohn!“ Und wieder wird es still umher, Der König steht und lauscht: „Was hör’ ich kommen übers Meer? Es rudert und es rauscht.“ — 34 „Sie kommen angefahren, Dein Sohn mit Schwert und Schild, In sonnenhellen Haaren Dein Töchterlein Gunild!“ „Willkommen!“ — ruft vom hohen Stein Der blinde Greis hinab — „Nun wird mein Alter wonnig sein Und ehrenvoll mein Grab, Du legst mir, Sohn, zur Seite. Das Schwert von gutem Klang, Gunilde, du Befreite, Singst mir den Grabgesang.“ L. Uhtand. 33. Erlkönig. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Tater mit seinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm. Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? — Siehst, Tater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Krön’ und Schweif? — Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. — „Du, liebes Kind, komm’, geh’ mit mir! Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir. Manch’ bunte Blumen sind an dem Strand, Meine Mutter hat manch’ gülden Gewand.“ — Mein Tater, mein Tater, und hörest du nicht, Was Erlenkönig mir leise verspricht? — Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind, In dürren Blättern säuselt der Wind. — „Willst, feiner Knabe, du mit mir geli’n? Meine Töchter sollen dich warten schön; Meine Töchter führen den nächtlichen ßeih’n Und wiegen und tanzen und singen dich ein.“ — Mein Yater, mein Yater, und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort? — Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau: Es scheinen die alten Weiden so grau. — „Ich liehe dich, mich reizt deine schöne Gestalt, . Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.“ — Mein Yater, mein Yater, jetzt fasst’ er mich an! Erlkönig hat mir ein leides getan! — Dem Yater grauset’s, er reitet geschwind, Er hält in Armen das ächzende Ivind, Erreicht den Hof mit Mühe und Kot; In seinen Armen das Kind war tot! "W. G ö t h e. 34. Der Alpenjäger. Willst du nicht das Lämmlein : hüten ? J Lämmlein ist so fromm und sanft, Nährt sich von des Grases Blüten, Spielend an des Baches Ranft. „Mutter, Mutter, lass mich gehen, Jagen auf des Berges Höhen!“ Willst du nicht die Herde locken Mit des Hör nes munterm Klang ? Lieblich tönt der Schall der Glocken In des Waldes Lustgesang. „Mutter, Mutter, lass mich gehen, Schweifen auf den wilden Höhen! “ Willst du nicht der Blümlein warten, Die im Beete freundlich steh’n ? Draussen ladet dich kein Garten; AVild ist’s auf den wilden Höhn! „Lass die Blümlein, lass sie blühen, Mutter, Mutter, lass mich ziehen! “ Und der Knabe ging zu jagen, Und es treibt und reisst ihn fort, Rastlos fort mit blindem Wagen An des Berges finstern Ort; Yor ihm her mit Windesschnelle Flieht die zitternde Gazelle. Auf der Felsen nackte Rippen Klettert sie mit leichtem Schwung, Durch den Riss gespalt’ner Klippen Trägt sie der gewagte Sprung; Aber hinter ihr verwogen Folgt er mit dem Todesbogen. Jetzo auf den schroffen Zinken Hängt sie, auf dem höchsten Grat, Wo die Felsen jäh versinken, 86 Und verschwunden ist der Pfad. Unter sich die steile Höhe, Hinter sich des Feindes Nähe. Mit des Jammers stummen Blicken Fleht sie zu dem harten Mann, Fleht umsonst, denn loszudrücken, Legt er schon den Bogen an. [ Plötzlich aus der Felsenspalte j Tritt der Geist, der Bergesalte. Und mit seinen Götterhänden Schützt er das gequälte Tier. „Musst du Tod und Jammer senden“, Ruft er, „bis herauf zu mir? Raum für alle hat die Erde; Was verfolgst du meine Herde ?“ Fr. Schiller. 35. Die Rache. Der Knecht hat erstochen den edlen Herrn, Der Knecht war’ selber ein Ritter gern. Er hat ihn erstochen im dunkeln Hain Und den Leib versenket im tiefen Rhein. Hat angeleget die Rüstung blank, Auf des Herren Ross sich geschwungen frank. Und als er sprengen will über die Brück’, Da stutzet das Ross und bäumt sich zurück. Und als er die goldnen Sporen ihm gab, Da schleudert’s ihn wild in den Strom hinab. Mit Arm, mit Fuss er rudert und ringt, Der schwere Panzer ihn niederzwingt. L. Uhl and. 36. Die drei Lieder. In der hohen Hall’ sass König Sifried: „Ihr Harfner, wer weiss mir das schönste Lied?“ Und ein Jüngling trat aus der Schar behende, Die Harf’ in der Hand, das Schwert an der Lende. „Drei Lieder weiss ich; den ersten Sang, Den hast du ja wohl vergessen schon lang: Meinen Bruder hast du meuchlings erstochen! Und aber: hast ihn meuchlings erstochen! 37 Das andere Lied, das hab’ ich erdacht Tn einer finstern, stürmischen Nacht: Musst mit mir fechten auf Lehen und Sterben! Und aber: musst fechten auf Lehen und Sterben!“ Da lehnt’ er die Harfe an den Tisch, Und sie zogen beide die Schwerter frisch, Und sie fochten lange mit wildem Schalle, Bis der König sank in der hohen Halle. „Nun sing’ ich das dritte, das schönste Lied, Das werd’ ich nimmer zu singen miid’: König Sifried liegt in seim roten Blute! Und aber: liegt in seim roten Blute!“ L. U hl a n d. 37. Der tote Soldat. Auf ferner, fremder Aue Da liegt ein toter Soldat, Ein ungezählt Yergess’ner, Wie brav er gekämpft auch hat. Es reiten viel Generale Mit Kreuzen an ihm vorbei, Denkt keiner, dass der da lieget, Auch wert eines Kreuzleins sei. Es ist um manchen Gefall’nen Viel Frag’ und Jammerwort, Und für den armen Soldaten Gibt’s weder Tränen noch Wort. Doch fern, wo er zu Hause, Da sitzt heim Abendrot Ein Tater voll banger Ahnung, Und sagt: Gewiss ist er tot! Da sitzt eine weinende Mutter Und schluchzet laut: Gott lielf! Er hat sich angemeldet, Die Uhr blieb steli’n auf elf. Da starrt ein blasses Mädchen Hinaus ins Dämmerlicht: Und ist er dahin und gestorben, Meinem Herzen stirbt er nicht. Drei Augenpaare schicken, So heiss ein Herz nur kann, Für den armen, toten Soldaten Ihre Tränen himmelan. Und der Himmel nimmt die Träne In einem Wölkchen auf Und trägt es zur fernen Aue Hinüber im raschen Lauf. J. G. Seidl. 38. Der Graf von Habsburg. Zu Aachen in seiner Kaiserpracht, Im altertümlichen Saale, Sass König Rudolfs heilige Macht Beim festlichen Krönungsmahle. Die Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins, Es schenkte der Böhme des perlenden AVeins, Und alle die Wähler, die sieben, Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt, Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt, Die Würde des Amtes zu üben. Und rings erfüllte den hohen Balkon Das Volk in freud’gem Gedränge; Laut mischte sich in der Posaunen Ton Das jauchzende Rufen der Menge; Denn geendigt nach langem verderblichem Streit War die kaiserlose, die schreckliche Zeit, Und ein Richter war wieder auf Erden. Rieht blind mehr waltet der eiserne Speer, Rieht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr, Des Mächtigen Beute zu werden. Und der Kaiser ergreift den gokl’nen Pokal Und spricht mit zufriedenen Blicken: „Wohl glänzet das Fest, wohl pranget das Mahl, Mein königlich Herz zu entzücken; Doch den Sänger vermiss’ ich, den Bringer der Lust Der mit süssem Klang mir bewege die Brust . Und mit göttlich erhabenen Lehren. So hab’ ich’s gehalten von Jugend an, Und was ich als Ritter gepflegt und getan, Nicht will ich’s als Kaiser entbehren.“ Und sieh! in der Fürsten umgebenden Kreis Trat der Säuger im langen Talare; Ihm glänzte die Locke silberweiss, Gebleicht von der Fülle der Jahre. „Süsser Wohllaut schläft in der Saiten Gold, Der Sänger singt von der Minne Sold, 39 Er preiset das Höchste, das Beste, Was das Herz sich wünscht, was der Sinn begehrt; Doch sage, was ist des Kaisers wert An seinem herrlichsten Feste?“ „Nicht gebieten werd’ ich dem Sänger,“ spricht Der Herrscher mit lächelndem Munde, „Er steht in des grösseren Herren Pflicht, Er gehorcht der gebietenden Stunde. Wie in den Lüften der Sturmwind säust, Man weiss nicht, von wannen er kommt und braust, Wie der Quell, aus verborgenen Tiefen, So des Sängers Lied aus dem Innern schallt Und wecket der dunkeln Gefühle Gewalt, Die im Herzen wunderbar schliefen.“ Und der Sänger rasch in die Saiten fällt Und beginnt sie mächtig zu schlagen: „Aufs Waidwerk hinaus ritt ein edler Held, Den flüchtigen Gemsbock zu jagen. Ihm folgte der Knapp’ mit dem Jägergeschoss, Und als er auf seinem stattlichen Boss In eine Alt kommt geritten, Ein Glöcklein hört’ er erklingen fern; Ein Priester war’s mit dem Leib des Herrn, Voran kam der Mesner geschritten.“ „Und der Graf zur Erde sich neiget hin, Das Haupt mit Demut entblösset; Zu verehren mit gläubigem Christensinn, Was alle Menschen erlöset. Ein Bächlein aber rauschte durchs Feld, Von des Giessbachs reissenden Fluten geschwellt, Das hemmte der Wanderer Tritte; Und beiseit’ legt jener das Sakrament, Von den Füssen zieht er die Schuhe hebend, Damit er das Bächlein durchschritte.“ 40 „Was schaffst du?“ redet der Graf ihn an, Der ihn verwundert betrachtet. „Herr, ich walle zu einem sterbenden Mann, Der nach der Himmelskost schmachtet; Und da ich mich nahe des Baches Steg, Da hat ihn der strömende Giessbach hinweg Im Strudel der Wellen gerissen. D’rurn dass dem Lechzenden werde sein Heil, So will ich das Wässerlein jetzt in Eil’ Durchwaten mit nackenden Füssen.“ „Da setzt’ ihn der Graf auf sein ritterlich Pferd Und reicht ihm die prächtigen Zäume, Dass er labe den Kranken, der sein begehrt, Und die heilige Pflicht nicht versäume. Und er selber auf seines Knappen Tier Vergnüget noch weiter des Jagens Begier; Der and’re die Beise vollführet, Und am nächsten Morgen mit dankendem Blick, Da bringt er dem Grafen sein Ross zurück, Bescheiden am Zügel geführet. „Nicht wolle das Gott,“ rief mit Demutsinn Der Graf, dass zum Streiten und Jagen Das Ross ich beschritte fürderhin, Das meinen Schöpfer getragen! Und magst du’s nicht haben zu eig’nem Gewinst, So bleib’ es gewidmet dem göttlichen Dienst! Denn ich liab’ es dem ja, gegeben, Von dem ich Ehre und irdisches Gut Zu Lehen trage und Leib und Blut Und Seele und Atem und Leben.“ „So mög’ auch Gott, der allmächtige Hort, Der das Flehen der Schwachen erhöret, Zu Ehren euch bringen liier und dort, So wie ihr jetzt ihn geehret. Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt 41 Durch ritterlich Walten im Schweizerland; Euch blühen sechs liebliche Töchter. So mögen sie, rief er begeistert aus, Sechs Kronen euch bringen in euer Haus Und glänzen die spät’sten Geschlechter!“ Und mit sinnendem Haupt sass der Kaiser da, Als clächt’ er vergangener Zeiten; «Jetzt, da er dem Sänger ins Auge sah, Da ergreift ihn der Worte Bedeuten. Die Züge des Priesters erkennt er schnell, Und verbirgt der Tränen stürzenden Quell In des Mantels purpurnen Palten. Und alles blickte den Kaiser an Und erkannte den Grafen, der das getan, Und verehrte das göttliche Walten. Fr. Schiller. 39. Die drei Indianer. Mächtig zürnt der Himmel im Gewitter, Schmettert manche Ilieseneieh’ in Splitter, Ebertönt des Niagaras Stimme, Und mit seiner Blitze Flammenruten Peitscht er schneller die beschäumten Fluten, Dass sie stürzen mit empörtem Grimme. Indianer steh’n am lauten Strande, Lauschen nach dem wilden Wogenbrande, Nach des Waldes bangem Sterbgestöhne; Greis der eine, mit ergrautem Haare, Aufrecht überragend seine Jahre, Die zwei andern seine starken Söhne. Seine Söhne jetzt der Greis betrachtet, Und sein Blick sich dunkler jetzt umnaclitet, Als die Wolken, die den Himmel schwärzen, Und sein Aug’ versendet wild’re Blitze Als das Wetter durch die Wolkenritze, Und er spricht aus tiefempörtem Herzen: 42 „Fluch den Weissen! ihren letzten Spuren! Jeder Welle Fluch, worauf sie fuhren, Die einst, Bettler, unsern Strand erklettert! Fluch dem Windhauch, dienstbar ihrem Schilfe! Fluch und zehnmal Fluch dem Felsenriffe, Das sie nicht hat in den Grund geschmettert! Täglich übers Meer in wilder Eile Fliegen ihre Schiffe, gift’ge Pfeile Treffen uns’re Küste mit Verderben. Nichts hat uns die Räuberbrut gelassen, Als im Herzen tötlich bitt’res Hassen Kommt, ihr Kinder, kommt, wir wollen sterben! “ Also sprach der Alte, und sie schneiden Ihren Nachen von den Uferweiden, D’rauf sie nach des Stromes Mitte ringen. Und nun werfen sie weithin die Ruder, Armverschlungen Vater, Sohn und Bruder Stimmen an, ihr Sterbelied zu singen. Laut ununterbrochne Donner krachen, Blitze flattern um den Todesnachen, Ihn umtaumeln Möven sturmesmunter. Und die Männer kommen festentschlossen Singend schon dem Falle zugeschossen, Stürzen jetzt den Katarakt hinunter. Lenau 40. Prinz Eugen. Prinz Eugen, der edle Ritter, Wollt’ dem Kaiser wiederum kriegen Stadt und Festung Belgarad; Er liess schlagen einen Brucken, Dass man kunnt’ hinüberrucken Mit d’r Armee wohl für die Stadt. Als der Brucken nun war g'schlagen, Dass man kunnt’ mit Stuck und Wagen Frei passiren den Donaufluss; 43 Bei Semlin schlug' man das Lager, Alle Türken zu verjagen, Ihrr’n zum Spott und zum Verdruss. Am einundzwanzigsten August so eben Kam ein Spion bei Sturm und Regen, Schwur’s dem Prinzen und zeigt’s ihm an, Dass die Türken futragiren So viel, als man kunnt’ verspüren, An die dreimalhunderttausend Mann. Als Prinz Eugenius das vernommen, Liess er gleich Zusammenkommen Sein’ General’ und Feldmarschall. Er tat sie recht instrugiren, Wie man sollt’ die Truppen führen. Und den Feind recht greifen an. Bei der Parole tat er befehlen, Dass man sollt’ die zwölfe zählen Bei der Uhr um Mitternacht. Da sollt’ all’s aufs Pferd aufsitzen, Mit dem Feinde scharmunitzen, Was zum Streit nur hatte Kraft. Alles sass auch gleich zu Pferde, .Jeder griff nach seinem Schwerte, Ganz still rückt man aus der Schanz’: Die Musketier, wie auch die Reiter, Täten alle tapfer streiten; Es war fürwahr ein schöner Tanz. Ihr Konstabler auf der Schanzen, Spielet auf zum Siegestanze Mit Kartliaunen gross und klein. Mit den grossen, mit den kleinen, Auf die Türken, auf die Heiden, Dass sie laufen alle davon. Prinz Eugenius auf der rechten Tat als wie ein Löwe fechten, 44 Als General und Feldmarschall. Prinz Ludwig ritt auf und nieder! Halt’t euch brav, ihr deutschen Brüder! Greift den Feind nur herzhaft an! Prinz Ludwig, der musst’ aufgeben Seinen Geist und junges Leben, Ward getroffen von dem Blei. Prinz Eugen war sehr betrübet, Weil er ihn so sehr geliebet, Liess ihn bringen nach Peterwardein. Volksmund 41. Johannes Kant. Den kategorischen Imperativus fand, Das weiss ein jedes Kind, Imanuel Kant. Dem kategorischen Imperativus treu, Zwang durch ihn wilde Seelen zu frommer Scheu Lang vor Imanuel Herr Johannes Kant, Und wenige wissen’», wie die Sache bewandt. Derselb’ ein Doktor Theologiä war, In schwarzer Kutte, mit langem Bart und Haar. So sass er zu Krakau auf dem Lehrersitz, So ging er einher gegürtet, in Kalt’ und Hitz’, Ein rein Gemüt, ein immer gleicher Sinn, Dem Unrecht dulden, nicht tun, stets däuchte Gewinn. Im grauen Alter zog ein Sehnen den Kant Gen Schlesien, in sein altes Vaterland. Er schloss die Bücher in’n Schrein, bestellt’ sein Haus, Den Seckel nahm er, und zog in die Fern’ hinaus. — Gemächlich ritt in der schweren, schwarzen Tracht Der Doktor durch der polnischen Wälder Nacht; Doch in der Seele, da wohnt’ ihm lichter Schein; Die gold’nen Sprüche zogen aus und ein; Ins Herz schoss Strahlen ihm das göttliche Wort, Voll innern Sonnenlichtes, so ritt er fort. Auch merkt er nicht, wie das Tier in finst’rer Schlucht Den Weg durch Abenddunkel und Dickicht sucht, Er hört nicht vor und hinter sich Tritt und Trott; Er ist noch immer allein mit seinem Gott. Da wimmelt’s plötzlich um ihn, zu Ross, zu Puss, Da flucht ins Ohr ihm der 'Wegelagerer Gruss; Es stürmen auf den heiligen Mann sie ein, Es blinken Messer und Schwert im Mondenschein. Er weiss nicht, wie ihm geschieht, er steigt vom Ross, Und eh’ sie’s fordern, teilt er sein Gut dem Tross. Den vollen Reisebeutel streckt’ er dar, Darin beim Groschen manch blanker Taler war; Vom Halse löst er ab die giild’ne Kett’, Er reisst die schmucken Borten vom Barett, Den Ring vom Finger, und aus der Tasche zieht Das Messbuch er mit Silberbeschläg und Niet. Dass sie das Pferd abfiihren mit Sattel und Zaum, Der arm’ erschrock’ne Mann, er sieht es kaum. Erst, wie er alles Schmuckes und Gutes bar, Da flehet er um sein Leben zu der Schar. Der bärtige Hauptmann fasst ihn an der Brust, Und schüttelt sie mit derber Räuberlust. „Gabst du auch alles?“ brüllt’s um ihn und murrt. Trägst nichts versteckt in Stiefel oder Gurt?“ — Die Todesangst schwört aus dem Doktor: „Nein!“ Und aber „Nein!“ Es zittert ihm Fleisch und Bein. Da stossen sie fort ihn in den schwarzen Wald; Er eilt, als war’ er zu Ross noch, ohne Halt. Doch fährt die Hand im Gehen ihm wie im Traum Hinab an der langen Kutte vordem Saum, Mit Angst fühlt sie herum an allem Wulst, Und endlich findet sie da die rechte Schwulst, Wo eingenäht, geborgen und unentdeckt Der güldene Sparpfennig sich versteckt. Nun will dem Mann es werden recht sanft und leicht, Mit all’ dem Gold er die Heimat wohl erreicht; Er mag mit Gottes Hülfe vom Schrecken ruh’n, Mit Freunden und Vettern sich recht gütlich tun. Da stand er plötzlich still, denn in ihm rief 46 Mit lauter Stimme der heilige Imp’rativ: „Leug nicht! leug nicht! du hast gelogen, Kant!' 4 Das einzige Wort ihm auf der Seele brannt’; Vergessen war der Heimat fröhliche Lust, Er war allein der Lüge sich bewusst. L T nd schneller, als ihn getrieben der Freiheit Glück, Trieb ihn der Sünde Pein nun zurück, zurück. Schon winkt von ferne der unglücksel’ge Platz ; Die Räuber teilen dort noch immer den Schatz. Am Mondlicht prüfen sie sich das allerlei, Die Pferde weiden zwischen den Büschen frei. Und wie sie lagern im Gras und tauschen, tritt In ihre Mitte der Kant mit heftigem Schritt. Er stellt demütig sich vor die Räuber hin, Er sprach: „0 wisset, dass ich ein Lügner bin! Doch log der Schrecken aus mir, darum verzeiht!“ — Mit diesen Worten riss er den Saum vom Kleid, In hohler Hand beut er ein Häuflein Gold, Darüber des Mondscheins blinkende Welle rollt. Weil keiner zugreift, bittet er ganz beschämt: „Das’ hab ich böslich vor euch verleugnet, nehmt!“ — Den Räubern aber wird’s wunderlich im Kopf, Sie möchten lachen und spotten ob dem Tropf; Und ihre Lippe findet doch keinen Laut, Und ihr vertrocknetes, starres Auge taut. Und in dem bleiernen Schlummer, den er schlief, Regt sich in ihnen plötzlich der Imp’rativ, Der wunderbare, das heil’ge Gebot: „Du sollt — Du sollt nicht stehlen!“ Und vor der Hand voll Gold Aufspringen sie, dann werfen sich all’ aufs Knie; Ein tiefes Schweigen waltet; denn Gott ist hie. Jetzt aber regt sich emsig die ganze Schar: Der reicht den Beutel und der die Kette dar, Ein dritter bringt das Pferd, gesattelt, geriist’t, Das Messbuch reicht der Hauptmann — er hat's geküsst. Dann helfen sie ihm zu Ross mit willigem Dienst, Nichts bleibt zurück vom neuen Räubergewinst; 47 Ja, musste Herr Kant nur sein auf seiner Hut, Dass sie ihm nicht auch schenkten gestohlen Gut. Er scheidet, er teilt den Segen aus vom Pferd, Wünscht’ ihnen gründliche Reu’, die sie bekehrt. Nur dacht’ er traurig, als um die Eck’ er bog: „Ihr armen Schelmen, ihr stehlet — und ich log.“ Doch als er kam zum finstern Wald hinaus, Da war verschwunden der Sünde ganzer Graus, Da stand der Morgenhimmel in roter Glut, Da ward dem frommen Wanderer froh zu Mut. „Dein Wille gescheh’ im Himmel und auf der Erd!“ So betet der Kant, und gibt die Sporen dem Pferd. 0. Schwab, 42. Die lustigen Musikanten. Da sind wir Musikanten wieder, Die nächtlich durch die Strassen zieh’n; Von unsern Pfeifen lust’ge Lieder Wie Blitze durch das Dunkel flieh’n. — Es brauset und sauset Das Tambourin, Es prasseln und rasseln Die Schellen d’rin; Die Becken hell flimmern Von tönenden Schimmern; L T m Kling und um Klang, Um Sing und um Sang Schweifen die Pfeifen und greifen Ans Herz Mit Freud’ und mit Schmerz. Die Fenster gerne sich erhellen, Und brennend fällt uns mancher Preis, Wenn wir uns still zusammen stellen Zum frohen Werke in den Kreis. Es brauset und sauset Das Tambourin, 48 Es prasseln und rasseln Die Schellen d’rin; Die Decken hell flimmern Von tönenden Schimmern; Uni Ivling und um Klang, Um Sing und um Sang Schweifen die Pfeifen und greifen Ans Herz Hit Freud’ und mit Schmerz. An unsern herzlich frohen AVeisen Hat nimmer Alt und Jung genug. AATr wissen alle liinzureissen ln uns’rer Töne Zauberzug. Es brauset und sauset Das Tambourin, Es prasseln und rasseln Die Schellen d’rin; Die Becken hell flimmern A r on tönenden Schimmern; Um Kling und um Klang, Um Sing und um Sang- Schweifen die Pfeifen und greifen Ans Herz Alit Freud’ und mit Schmerz. Doch sind wir gleich den Nachtigallen, Sie singen nur bei Nacht ihr Lied; Bei uns kann es nur lustig schallen, Wenn uns kein menschlich Auge sieht. Es brauset und sauset Das Tambourin, Es prasseln und rasseln Die Schellen d’rin; Die Becken hell flimmern Von tönenden Schimmern; Um Kling und um Klang, Um Sing und um Sang Schweifen die Pfeifen und greifen Ans Herz Mit Freud’ und mit Schmerz. Die Tochter: Ich habe meinen Freund verloren, Und meinen Yater schoss man tot; Mein Sang ergötzet eure Ohren, Und schweigend wein’ ich auf mein Brot. Es brauset und sauset Das Tambourin, Es prasseln und rasseln Die Schellen d’rin; Die Becken hell flimmern Ton tönenden Schimmern; Um Kling und um Klang, Um Sing und um Sang Schweifen die Pfeifen und greifen Ans Herz Mit Freud’ und mit Schmerz. Die Mutter: Ist’s Nacht? Ist's Tag? Ich kann’s nicht sagen Am Stabe führet mich mein Kind; Die hellen Becken muss ich schlagen, Und ward vom vielen Weinen blind. Es brauset und sauset Das Tambourin, Es prasseln und rasseln Die Schellen d’ rin; Die Becken hell flimmern Ton tönenden Schimmern; Um Kling und um Klang, Um Sing und um Sang Schweifen die Pfeifen und greifen Ans Herz Mit Freud’ und mit Schmerz. 50 { Die beiden Brüder: Ich muss die lust’gen Triller greifen, Und Fieber bebt durch Mark und Bein; Euch muss ich frohe Weisen pfeifen, Und möchte gern begraben sein. Es brauset und sauset Das Tambourin, Es prasseln und rasseln Die Schellen d’rin; Die Becken hell flimmern Yon tönenden Schimmern; Um Kling und um Klang, Um Sing und um Sang Schweifen die Pfeifen und greifen Ans Herz Mit Freud’ und mit Schmerz. Der Knabe: Ich habe früh das Bein gebrochen. Die Schwester trägt mich auf dem Arm; Aufs Tambourin muss rasch ich pochen, — Sind wir nicht froh, dass Gott erbarm! Es brauset und sauset Das Tambourin, Es prasseln und rasseln Die Schellen d'rin; Die Becken hell flimmern Yon tönenden Schimmern; Um Kling und um Klang, Um Sing und um Sang- Schweifen die Pfeifen und greifen Ans Herz Mit Freud’ und mit Schmerz. CI. Brentano. 43. Die letzten zehn vom vierten Kegiment. In Warschau schwuren tausend auf den Knieen: Kein Schuss im heil’gen Kampfe sei getan! 51 Tambour, schlag' an! Zum Blachfeld lass uns ziehen! Wir greifen nur mit Bajonetten an! Und ewig kennt das Yaterland und nennt Mit stillem Schmerz sein viertes Regiment. Und als wir dort bei Praga blutig rangen, Kein Kamerad hat einen Schuss getan, Und als wir dort den argen Todfeind zwangen, Mit Bajonetten ging es d'rauf und d'ran! Fragt Praga, das die treuen Polen kennt: Wir waren dort das vierte Regiment! Drang auch der Feind mit tausend Feuerschlünden Bei Ostrolenka giinnnig auf uns an, Doch wussten wir sein tückisch Herz zu finden, Mit Bajonetten brachen wir uns Bahn! Fragt Ostrolenka, das uns blutend nennt: Mir waren dort das vierte Regiment! Und ob viel wack’re Männerherzen brachen, Doch griffen wir mit Bajonetten an; Und ob wir auch dem Schicksal unterlagen: Doch hatte keiner einen Schuss getan! Wo blutigrot zum Meer die Weichsel rennt: Dort blutete das vierte Regiment. 0, weh! Das heil’ge Vaterland verloren! Ach, fraget nicht: wer uns dies Leid getan? Weh’ allen, die im Polenland geboren! Die Wunden fangen fjisch zu bluten an. — Doch fragt ihr: wo die tiefste Wunde brennt? Ach, Polen kennt sein viertes Regiment! Ade, ihr Brüder, die, zu Tod getroffen, An unsTer Seite dort wir stürzen sah’n! Wir leben noch, die Wunden stehen offen, Und um die Heimat ewig ist’s getan. Herr Gott im Himmel, schenk’ ein gnädig End’ Uns letzten noch vom vierten Regiment! 52 Von Polen her im Nebelgrauen rücken Zehn Grenadiere in das Preussenland Mit düsterm Schweigen, gramumwölkten Blicken. Ein „Wer da?“ schallt. Sie stehen festgebannt, Und einer spricht: „Vom Vaterland getrennt Die letzten zehn vorn vierten Regiment.“ J. Mos en 44. Das Grab im Busento. Nächtlich am Busento lispeln, Bei Cosenza dumpfe Lieder, Aus den Wassern schallt es Antwort, Und in Wirbeln klingt es wieder! Und den Fluss hinauf, hinunter, Zieh’n die Schatten tapfrer Gothen, Die den Alarich beweinen, Ihres Volkes besten Toten. Allzufrüh und fern der Heimat . Mussten hier sie ihn begraben, Während noch die Jugendlocken Seine Schulter blond umgaben. Und am Ufer des Busento Reihten sie sich um die Wette, Um die Strömung abzuleiten, Gruben sie ein frisches Bette. In der wogenleeren Höhlung Wühlten sie empor die Erde, Senkten tief hinein den Leichnam, Mit der Rüstung, auf dem Pferde. Deckten dann mit Erde wieder Ihn und seine stolze Habe, Dass die hohen Stromgewächse Wüchsen aus dem Heldengrabe. Abgelenkt zum zwmitenmale, Ward der Fluss herbeigezogen: Mächtig in ihr altes Bette Schäumten die Busentowogen. Und es sang ein Chor von Männern: Schlaf in deinen Heldenehren! Keines Römers schnöde Habsucht Soll dir je das Grab verseliren. Sangen’s, und die Lobgesänge Tönten fort im Gothenheere ; Wälze sie, Busentowelle, Wälze sie von Meer zu Meere! A. Plate 45. Andreas Hofer. Zu Mantua in Banden Her treue Hofer war, Zu Mantua zum Tode Rührt ihn der Feinde Schar; Es blutete der Brüder Herz, Ganz Deutschland, ach ! in Schmach und Schmerz Mit ihm das Land Tyrol. Die Hände auf dem Rücken, Der Sandwirt Hofer ging Mit ruhig festen Schritten, Ihm schien der Tod gering, Der Tod, den er so manchesmal Tom Iselberg geschickt ins Tal Im heil’gen Land Tyrol. Doch als aus Kerkergittern Im festen Mantua Die treuen Waffenbrüder Die Händ’ er strecken sah, Da rief er aus: „Gott sei mit euch, Mit dem verrufnen deutschen Reich Und mit dem Land Tyrol. 54 Dem Tambour will der Wirbel Nicht unterm Schlägel vor, Als nun der Sandwirt Hofer Schritt durch das finst’re Tor; — Der Sandwirt, noch in Banden frei, Dort stand er fest auf der Bastei, Der Mann vom Land Tyrol. Dort soll er niederknieen, Er sprach: „Das tu’ ich nit! Will sterben, wie ich stehe, Will sterben, wie ich stritt, So wie ich steh’ auf dieser Schanz; Es leb’ mein guter Kaiser Franz, Mit ihm das Land Tyrol.“ Und von der Hand die Binde Nimmt ihm der Korporal, Andreas Hofer betet Allhier zum letztenmal, Dann ruft er: „Nun, so trefft mich recht! Gebt Feuer! — ach, wie schiesst ihr schlecht! Ade, mein Land Tyrol!“ J. Mosen. 46. Des Sängers Fluch. Es stand in alten Zeiten ein Schloss, so hoch und hehr, Weit glänzt es über die Lande, bis an das blaue Meer, Und rings von duft’gen Gärten ein blütenreicher' Kranz, D’rin sprangen frische Brunnen im Regenbogenglanz. Dort sass ein stolzer König, an Land und Siegen reich, Er sass auf seinem Trone so finster und so. bleich; Denn was er sinnt, ist Schrecken, und w r as er blickt, ist Wut, Und w r as er spricht, ist Geissei, und was er schreibt, ist Blut. Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar, Der ein’ in gold’nen Locken, der and’re grau von Haar; Der Alte mit der Harfe, der sass auf schmuckem Ross, Es schiitt ihm frisch zur Seite der blühende Genoss. Der Alte sprach zum Jungen: „Nun sei bereit, mein Sohn! Denk’ uns’rer tiefsten Lieder, stimm’ an den vollsten Ton, Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz ! Es gilt uns heut’, zu rühren des Königs steinern Herz.“ Schon steh’n die beiden Sänger im hohen Säulensaal, Und auf dem Trone sitzen der König und sein Gemahl; Der König, furchtbar prächtig, wie blut’ger Nordlichtschein, Die Königin süss und milde, als blickte Mondlicht drein. Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll, Dass reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll. Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor, Des Alten Sang dazwischen, wie dumpfer Geisteichor. Sie singen von Lenz und Liebe, von sel’ger gold’ner Zeit, Yon Freiheit, Männerwürde, von Treu’ und Heiligkeit. Sie singen von allem Süssen, was Menschenbrust durchbebt,, Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt. Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott, Des Königs trotz’ge Krieger, sie beugen sich vor Gott. Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust, Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust. „Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib ?“ Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib, Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt: D’raus, statt der gold’nen Lieder, ein Blutstrahl hochauf springt.. Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm, Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm, Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf sein Ross, Er bind’t ihn aufrecht feste, verlässt mit ihm das Schloss. Doch vor dem hohen Tore, da hält der Sängergreis, Da fasst er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis, An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt, Dann ruft er, dass es schaurig durch Schloss und Gärten gellt: „Weh’ euch, ihr stolzen Hallen! nie töne süsser Klang Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang, 56 Nein! Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt, Bis euch zu Schutt und Moder der Bachegeist zertritt! Weh’ euch, ihr duft’gen Gärten im holden Maienlicht! Euch zeig’ ich dieses Toten entstelltes Angesicht, Dass ihr darob verdorret, dass jeder Quell versiegt, Dass ihr in künft’gen Tagen versteint, verödet liegt. Weh’ dir, verruchter Mörder! du Fluch des Sängertums! Umsonst sei all dein Bingen nach Kränzen blut’gen Buhms, Dein Name sei vergessen, in ew’ge Nacht getaucht, Sei, wie ein letztes Böcheln, in leere Luft verhaucht!“ Der Alte hat’s gerufen, der Himmel hat’s gehört, Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört, Noch eine hohe Säule zeugt von verschwund’ner Pracht, Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht. Und rings statt duft’ger Gärten, ein ödes Haideland, Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand, Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch; Versunken und vergessen! Das ist des Sängers Fluch. L. Uhlaud. 47 . Der Beiter und der Bodensee. Der Beiter reitet durch’s helle Tal, Aufs Schneefeld schimmert der Sonne Strahl. Er trabet im Selwveiss durch den kalten Schnee, Er will noch heut’ an den Bodensee, Noch heut’ mit dem Pferd in den sichern Kahn, Will drüben landen vor Nacht noch an. Auf schlimmem Weg über Dorn und Stein Er braust auf rüstigem Boss feldein. Aus den Bergen heraus ins ebene Land, Da sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand. Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt, Der Weg wird eben, die Bahn wird glatt. In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus, Die Bäume gingen, die Felsen aus. So flieget er hin, eine Meil’ und zwei, Er hört in den Lüften der Schneegans Schrei. Es flattert das Wasserhuhn empor, Wehr anderen Laut vernimmt sein Ohr. Keinen Wandersmann sein Auge schaut, Der ihm den rechten Weg vertraut. Fort geht’s wie auf Sammt auf dem weichen Schnee Wann rauscht das Wasser, wann glänzt der See? Da bricht der Abend, der frühe, herein, Von Lichtern blinket ein ferner Schein. Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum, I T nd Hügel schliessen den weiten Kaum. Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn, Dem Rosse gibt er den scharfen Sporn, Fnd Hunde bellen empor am Pferd, L T nd es winkt im Dorf ihm der warme Herd. Willkommen am Fenster, Mägdelein, An den See, an den See, wie weit mag’s sein? Die Maid, sie staunet den Redner an: „Der See liegt hinter dir und der Kahn. Und deckt’ ihn die Rinde von Eis nicht zu, Ich sprach’, aus dem Nachen stiegest du.“ Der Fremde schaudert, er atmet schwer: „Dort hinten die Eb’ne, die ritt ich her!“ Da recket die Magd die Arm’ in die Höh’: „Herr Gott! so rittest du über den See. An den Schlund, an die Tiefe bodenlos Hat gepocht des rasenden Hufes Stoss. Und unter dir zürnten die Wasser nicht? Nicht krachte hinunter die Rinde dicht? Und du wardst nicht die Speise der stummen Brut, Der hungrigen Hecht’ in der kalten Flut?“ Sie rufet das Dorf herbei zu der Mähr, Es stellen die Knaben sich um ihn her. Die Mütter, die Greise sie sammeln sich: „Glückseliger Mann, ja segne du dich! .Herein zum Ofen, zum dampfenden Tisch. 58 Brich mit uns das Brod und iss vom Fisch!“ Der Reiter erstarret auf seinem Pferd, Er hat nur das erste Wort gehört. Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar, Dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr. Es siehet sein Blick nur den grässlichen Schlund, Sein Geist versinkt in den schwarzen Grund. Im Ohr ihm donnert’s wie krachend Eis, Wie die Well’ umrieselt ihn kalter Schweiss. Da seufzt er, da sinkt er vom Ross herab, Da ward ihm am Ufer ein trocken Grab. Gt. Schwab 48. Das Gewitter. Urahne, Grossmutter, Mutter und Kind In dumpfer Stube beisammen sind. Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt, Grossmutter spinnet, Urahne gebückt Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl — Wie wehen die Lüfte so schwül! Das Kind spricht: „Morgen ist's Feiertag! Wie will ich spielen im grünen Hag! Wie will ich springen durch Tal und Höh’n, Wie will ich pflücken viel’ Blumen schön! Dem Anger, dem bin ich hold! —“ Hört ihr’s, wie der Donner grollt? Die Mutter spricht: „Morgen ist’s Feiertag, Da halten wir alle fröhlich Gelag. Ich selber, ich rüste mein Feierkleid, Das Leben, es hat auch Lust nach Leid, Dann scheint die Sonne wie Gold!“ — Hört ihr’s, wie der Donner grollt? Grossmutter spricht: „Morgen ist’s Feiertag, Grossmutter hat keinen Feiertag, Sie kochet das Mahl, sie spinnet das Kleid, Das Leben ist Sorg' und viel Arbeit; 59 Wohl dem, der tat, was er sollt’!“ — Hört ihr’s, wie der Donner grollt? Urahne spricht: „Morgen ist’s Feiertag, Am liebsten ich morgen sterben mag; Ich kann nicht singen und scherzen mehr, Ich kann nicht schaffen und sorgen schwer, Was tu’ ich noch auf der Welt?“ — Seht ihr, wie der Blitz dort fällt? Sie hören’s nicht, sie sehen’s nicht, Es flammet die Stube wie lauter Licht; Urahne, Grossmutter, Mutter und Kind Vom Strahl miteinander getroffen sind! Vier Leben endet ein Schlag — Und morgen ist’s Feiertag. ff. Schwa b. 49. Dev Sänger. „Was hör’ ich di aussen vor dem Tor, Was auf der Brücke schallen? Lass den Gesang vor unserm Ohr fm Saale wiederhallen!“ Der König sprach’s, der Page lief; Der Knabe kam, der König rief: „Lass mir herein den Alten!“ „Gegriisset seid mir, edle Herr'n, Gegrüsst ihr, schöne Damen! Welch’ reicher Himmel! Stern bei Stern! AVer kennet ihre Kamen? Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit Schliesst, Augen, euch; hier ist nicht Zeit, Sich staunend zu ergötzen.“ Der Sänger drückt’ die Augen ein, Und schlug in vollen Tönen; Die Bitter schauten mutig drein, Und in den Schoss die Schönen. Der König, dem das Lied gefiel, €0 Liess, ihn zu ehren für sein Spiel, Eine gold’ne Kette reichen. „Die gold’ne Ivette gib mir nicht, Die Kette gib den Kittern, Vor deren kühnem Angesicht Der Feinde Lanzen splittern; Gib sie dem Kanzler, den du hast, Und lass ihn noch die gold’ne Last Zu andern Lasten tragen. Ich singe, wie der Vogel singt, Der in den Zweigen wohnet; Das Lied, das aus der Kehle dringt, Ist Lohn, der reichlich lohnet. Doch darf ich bitten, bitt’ ich eins: Lass mir den besten Becher 'Weins In purem Golde reichen.“ Er setzt’ ihn an, er trank ihn aus: „O Trank voll süsser Labe! 0 wohl dem hochbeglückten Haus, Wo das ist kleine Gabe! Ergeht’s euch wohl, so denkt an mich, Und danket Gott so warm, als ich Für diesen Trunk euch danke.“ "W. G ö t h e 50. Die wiedersefundenen Söhne. Was die Schickung schickt, ertrage; Wer ausharret, wird gekrönt. Reichlich weiss sie zu vergelten, Herrlich lohnt sie stillen Sinn. Tapfer ist der Löwensieger, Tapfer ist der Weltbezwinger, Tapfrer, wer sich selbst bezwang. — Placidus, ein edler Feldherr, Reich an Tugend und Verdienst, Beistand war er jedem Annen, Unterdrückten half er auf. Wie er einst den Feind bezwungen, Wie er einst das Reich gerettet, Rettet’ er, wer zu ihm floh. Aber ihn verfolgt das Schicksal: Annut und der Bösen Neid. „Lass dem Neid uns und der Armut Still entgeh’n! sprach Placidus. „Auf! Lass uns dem Fleisse dienen!“ Sprach sein Weib, „und, gute Knaben, Tapfre Knaben folget uns!“ Also gingen sie; im Walde Traf sie eine Räuberschar, Trennen Tater, Mutter, Kinder. Lange sucht der Held sie auf. Placidus! rief eine Stimme Ihm im hochbeherzten Busen, Dulde dich, du findest sie. Und er kam vor eine Hütte. „Kehre Wand’rer bei mir ein!“ Sprach der Landmann, „du hist traurig Auf und fasse neuen Mut! Wen das Schicksal drückt, den lieht es Wem’s entzieht, dem will’s vergelten, Wer die Zeit erharret, siegt.“ Und er ward des Mannes Gärtner, Dient’ ihm unerkannt und treu, Pflegend tief in seinem Herzen Eine bitt’re Frucht, Geduld: Placidus, rief eine Stimme Ihm im tiefbedrängten Busen — Dulde dich, du findest sie. So verstrichen Jahr’ auf Jahre, Bis ein wilder Krieg entsprang. „Wo ist Placidus, mein Feldherr?“ Sprach der Kaiser — „suchet ihn!“ Und man sucht ihn nicht vergebens; Denn die Prüfzeit war vorüber, Und des Schicksals Stunde schlug. Zween seiner alten Diener Kamen vor der Hütte Tür’, Sali'n den Gärtner und erkannten An der Narb 1 ihn im Gesicht; An der Karbe, die dem Feldherrn, Statt der Schätze, statt der Lorbeer’n, Einzig blieb als Ehrenmal. Alsobald ward er gerufen; Es erjauchzt das ganze Heer. Yor ihm ging der Feinde Schrecken, Ihm zur Seite Sieg und Ruhm. Stillen Sinn’s nahm er den Palmzweig, Gab die Lorbeer’n seinen Treuen, Seinen Tapfersten im Heer. Als nach ausgefocht’nem Kriege Jetzt der Siegestanz begann, Drängt mit Zween seiner Helden Eine Mutter sich hervor: „Tater, nimm’ hier deine Kinder! Feldherr, sieh hier deine Söhne! Mich, dein Weib, Eugenia! Wie die Löwin ihre Jungen, Jagt’ ich sie den Räubern ab. Nachbarlich in dieser Hütte — Komm’ und schau’! — erzog ich sie. Glaubte dich uns längst verloren; Meine Söhne, mir statt deiner, Deiner wert erzog ich sie. Als die Post erscholl vom Kriege, Rufend deinen Kamen aus, Auferweckt vom Totentraume, 63 Rüstet’ ich die Jünglinge: Zieht! verdienet euern Vater! Streitet unerkannt, und werdet, "Werdet eures Vaters weit! Und ich seh', sie tragen Kränze, Ehrenkränze dir zum Ruhm, Die du — unerkannt — den Söhnen Vicht als Söhnen zuerkannt. Vater, nimm jetzt deine Kinder, Feldherr, sieh’ hier deine Söhne, Und dein Weib, Eugenia! * J. G. Ile r d er. 51. Das Lied vom braven Hann. Hoch klingt das Lied vom braven Mann, Wie Orgelton und Glockenklang. V er hohen Muts sich rühmen kann, Den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang. Gottlob! dass ich singen und preisen kann, Zu singen und preisen den braven Mann. Her Tauwind kam vom Mittagsmeer, Und schnob durch Welschland trüb und feucht. Die Wolken flogen vor ihm her, Wie wenn der Wolf die Herde scheucht; Er fegte die Felder, zerbrach den Forst, Auf See’n und Strömen das Grundeis borst. Am Hochgebirge schmolz der Schnee, Der Sturz von tausend Wassern scholl, Das Wiesental begrub ein See; Des Landes Heerstrom wuchs und schwoll, Hoch rollten die Wogen entlang ihr Gleis, Und rollten gewaltige Felsen Eis. Auf Pfeilern und auf Rogen schwer, Aus Quaderstein von unten auf, Lag eine Brücke d’riiber her, Und mitten stand ein Häuschen drauf. 64 Hier wohnte der Zöllner mit Weib und Kind — „O Zöllner, o Zöllner, entfleuch geschwind“ ! Es dröhnt’ und dröhnte dumpf heran, Laut heulte Sturm und Wog’ ums Haus. Der Zöllner sprang' zum Dach hinan Und blickte in den Tumult hinaus — „Barmherziger Himmel! Erbarme dich! Verloren! Verloren! Wer rettet mich?“ Die Schollen rollten Schuss auf Schuss, Von beiden Ufern, hier und dort: Von beiden Ufern riss der Fluss Die Pfeiler samt den Bogen fort. Der hebende Zöllner mit Weib und Kind, Er heulte noch lauter als Sturm und Wind. Die Schollen rollten Stoss auf Stoss, An beiden Enden, hier und dort: Zerborsten und zertrümmert schoss Ein Pfeiler nach dem andern fort. Bald nahte der Mitte der Umsturz sich — „Barmherziger Himmel, erbarme dich!“ Hoch auf dem fernen Ufer stand Ein Schwarm von Gaffern, gross und klein; Und jeder schrie und rang die Hand, Doch mochte niemand Retter sein. Der hebende Zöllner mit Weib und Kind Durchheulte nach Rettung den Strom und den Wind. Wann klingst du, Lied vom braven Mann, Wie Orgelton und Glockenklang? Wohlan! So nenn’ ihn, nenn’ ihn dann! Wann nennst du ihn, mein schönster Sang? Bald nahet der Mitte der Umsturz sich: 0 braver Mann, braver Mann, zeige dich! Rasch galloppirt’ ein Graf hervor, Auf hohem Ross ein edler Graf. Was hielt des Grafen Hand empor? 65 Ein Beutel war es, voll und straff: „Zweihundert Pistolen sind zugesagt Dem, welcher die Rettung der Armen wagt!“ Wer ist der Brave? Ist’s der Graf? Sag’ an, mein braver Sang, sag’ an! Der Graf, beim höchsten Gott! war brav, Doch weiss ich einen bravem Mann. — 0 braver Mann, braver Mann, zeige dich, Schon naht das Verderben sich fürchterlich! Und immer höher schwoll die Flut, Und immer lauter schnob der Wind, Und immer tiefer sank der Mut — 0 Retter, Retter komm geschwind’! Stets Pfeiler bei Pfeiler zerborst und brach, Laut krachten und stürzten die Bogen nach. „Hailoh! Hailoh! frisch auf! gewagt!“ Hoch hielt der Graf den Preis empor. Ein jeder hört’s, doch jeder zagt, Aus Tausenden tritt keiner vor; Vergebens durchheulte mit Weib und Kind Der Zöllner nach Rettung den Strom und den Wind. Sieh’, schlecht und recht ein Bauersmann Am Wanderstabe schritt daher, Mit grobem Kittel angetan, An Wuchs und Antlitz hoch und hehr; Er hörte den Grafen, vernahm sein Wort, Und schaute das nahe Verderben dort. Und kühn in Gottes Kamen sprang Er in den nächsten Fischerkahn; Trotz Wirbel, Wind und Wogendrang Kam der Erretter glücklich an; Doch wehe, der Nachen war allzuklein, Um Retter von allen zugleich zu sein. Und dreimal zwang er seinen Kahn Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang, 5 Und dreimal kam er glücklich an, Bis ihm die Rettung ganz gelang. Kaum kamen die Letzten in sichern Port, So rollte das letzte Getrümmer fort. — Wer ist, wer ist der brave Mann? Sag’ an, sag’ an, mein braver Sang! Der Bauer wagt’ ein Leben d’ran; Doch tat er’s wohl um Goldesklang? Denn spendete nimmer der Graf sein Gut, So wagte der Bauer vielleicht kein Blut. „Hier“, rief der Graf, „mein wack’rer Freund! Hier ist dein Preis! Komm’ her! Kimm hin!“ Sag’ an, war das nicht brav gemeint? — Bei Gott! der Graf trug hohen Sinn! Doch höher und himmlischer, wahrlich! schlug Das Herz, das der Bauer im Kittel trug. „Mein Leben ist für Gold'nicht feil! Arm bin ich zwar, doch ess ich satt; Dem Zöllner werd’ Eu’r Gold zu Teil, Der Hab’ und Gut verloren hat!“ So rief er mit herzlichem Biederton Und wandte den Rücken und ging davon. Hoch klingst du, Lied vom braven Mann, Wie Orgelton und Glockenklang! Wer solches Mut’s sich rühmen kann, Den lohnt kein Gold: den lohnt Gesang. Gottlob! dass ich singen und preisen kann, Unsterblich zu preisen den braven Mann. G. A. B 52. Die Bürgschaft. Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Moros, den Dolch im Gewände; Ihn schlugen die Häscher in Bande. „Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!“ Entgegnet ihm finster der Wüterich. — 67 „Die Stadt von Tyrannen befreien!“ — „Das sollst du am Kreuze bereuen!“ „Ich bin“, spiicht jener, „zu sterben bereit, Und bitte nicht um mein Leben; Doch willst du Gnade mir geben, Ich flehe dich um drei Tage Zeit, Dis ich die Schwester dem Gatten gefreit; Ich lasse den Freund dir als Bürgen, Ihn magst du, entrinn’ ich, erwürgen.“ Da lächelt der König mit arger List, Und spricht nach kurzem Bedenken: „Drei Tage will ich dir schenken; Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist, Eh’ du zurück mir gegeben bist, ■So muss er statt deiner erblassen, ' Doch dir ist die Strafe erlassen.“ Und er kommt zum Freunde: „Der König gebeut, Dass ich am Kreuz mit dem Leben Bezahle das frevelnde Streben; Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; So bleib’ du dem König zum Pfände, Bis ich komme, zu lösen die Bande.“ Und schweigend umarmt ihn der treue Freund Und liefert sich aus dem Tyrannen; Der andere ziehet von dannen. Und ehe das dritte Morgenrot scheint, Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint, Eilt heim mit sorgender Seele, Damit er die Frist nicht verfehle. Da giesst unendlicher Regen herab, Ton den Bergen stüizen die Quellen, Und die Bäche, die Ströme schwellen. Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab; Da reisset die Brücke der Strudel hinab, Und donnernd sprengen die Wogen Des Gewölbes krachenden Bogen. Und trostlos irrt er un Ufers Rand; Wie weit er auch spähet und blicket, Und die Stimme, die rufende, schicket, Da stösset kein Nachen vom sichern Strand,. Der ihn setze an das gewünschte Land, Kein Schiffer lenket die Fähre, Und der wilde Strom wird zum Meere. Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht,. Die Hände zum Zeus erhoben: „O hemme des Stromes Toben! Es eilen die Stunden, im Mittag steht Die Sonne, und wenn sie niedergeht, Und ich kann die Stadt nicht erreichen, So muss der Freund mir erbleichen!“ Doch wachsend erneut sich des Stomes Wut Und Welle auf Welle zerrinnet, Und Stunde an Stunde entrinnet. Da treibet die Angst ihn, da fasst er sich Mut, Und wirft sich hinein in die brausende Flut, Und teilt mit gewaltigen Armen Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen. Und gewinnt das Ufer, und eilet fort, Und danket dem rettenden Gotte; Da stürzet die raubende Rotte Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort, Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord, Und hemmet des Wanderers Eile Mit drohend geschwungener Keule. „Was wollt ihr?“ ruft er, vor Schrecken bleich,, „Ich habe nichts als mein Leben, Das muss ich dem Könige geben! “ Und entreisst die Keule dem Nächsten gleich: „Um des Freundes willen erbarmet euch!“ Und drei, mit gewaltigen Streichen Erlegt er, die andern entweichen. Und die Sonne veraendet glühenden Brand, L nd von der unendlichen Mühe Ermattet, sinken die Kniee: „0 hast du mich gnädig aus Räubers Hand, Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land, Und soll hier verschmachtend verderben, Und der Freund mir, der liebende, sterben!“ L nd horch, da sprudelt es silberhell ■Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen, knd stille hält er, zu lauschen; knd sieh’, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell, ■Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell, Lnd freudig bückt er sich nieder h nd erfrischet die brennenden Glieder. 1 nd die Sonne blickt durch der Zweige Grün, hnd malt auf den glänzenden Matten Her Bäume gigantische Schatten; Lnd zwei 'Wand’rer sieht er die Strasse zieh'n, T ill eilenden Fusses vorüber dieli’n, Ha hört er die Worte sie sagen: -nJetzt wird er ans Kreuz geschlagen.“ L’nd die Angst beflügelt den eilenden Fuss: Ilm jagen der Sorgen Qualen, Ha schimmern in Abendrots Strahlen Ton ferne die Zinnen von^Syrakus, Und entgegen kommt ihm Philostratus, Des Hauses redlicher Hüter, Her erkennet entsetzt den Gebieter: „Zurück! du rettest den Freund nicht mehr, So rette das eigene Leben! Hen Tod erleidet er eben. Ton Stunde zu Stunde gewartet’ er Hit hoffender Seele der Wiederkehr, 70 Ihm konnte den mutigen Glauben Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.“- — „Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht Ein Retter willkommen erscheinen,. So soll mich der Tod ihm vereinen. Dess rühme der blut’ge Tyrann sich nicht, Dass der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,, Er schlachte der Opfer zweie, Und glaube an Liebe und Treue !“ Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor Und sieht das Kreuz schon erhöhet, Das die Menge gaffend umstehet; An dem Seile schon zieht man den Freund empor. Da zertrennt er gewaltig den dichten. Chor: „Mich, Henker,“ ruft er, „erwürget, Da bin ich, für den er gebiirget!“ Und Erstaunen ergreifet das Veile umher; In den Armen liegen sich beide L T nd weinen vor Schmerz und vor Freude. Da sieht man kein Auge tränenleer, Und zum Könige bringt man die Wundermär;, Der fühlt ein menschliches Rühren, Lässt schnell vor den Tron sie führen. Und blicket sie lange verwundert an. D’rauf spricht er: „Es ist euch gelungen,. Ihr habt das Herz mir bezwungen ; Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn.. So nehmet auch mich zum Genossen an! Ich sei, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der dritte!“ Fr. Schiller;, 53. Bei 1 Schenk von Limburg. Zu Limburg auf der Veste, ' Er trieb sich allerwegen Da wohnt’ ein edler Graf, Gebirg und Wald entlang, Den keiner seiner Gäste Kein Sturm und auch kein Regem Jemals zu Hause traf; , Verleidet’ ihm den Gang. 71 Er trug ein Wams von Leder Und einen Jägerhut Mit mancher wilden Feder: Das steht dem Jäger gut; Es hing ihm an der Seiten Ein Trinkgefass von Buchs; Gewaltig könnt’ er schreiten Und war von hohem Wuchs. Wohl hatt’. er Knecht’ und Mannen Und hatt’ ein tüchtig Ross, Ging doch zu Fuss von dannen Und liess daheim den Tross. Es war sein ganz Geleite Ein Jagdspiess stark und lang, Damit er über breite Waldströme kühn sicli schwang. Nun hielt auf Hohenstaufen i Der deutsche Kaiser Haus. Der zog mit hellen Haufen Einmal zu jagen aus. Er rannt’ auf eine Hinde So heiss und hastig vor, Dass ihn sein Jagdgesinde Im wilden Forst verlor. Bei einer kühlen Quelle Da macht er endlich Halt; Gezieret war die Stelle Mit Blumen mannigfalt. Hier dacht’ er sich zu legen Zu einem Mittagschlaf. \ Da rauscht’ es in den Hägen , Und stand vor ihm der Graf, j Da liub er an zu schelten: „Treff ich den Nachbar hie ? j Zu Hause weilt er selten, Zu Hofe kommt er nie: Man muss im Walde streifen, Wenn man ihn fahen will, Man muss ihn tapfer greifen, Sonst hält er nirgend still.“ Als nun ohn’ alle Fährde Der Graf sich niederliess, Und neben in die Erde Die Jägerstange stiess, Da griff mit beiden Händen Der Kaiser nach dem Schaft : „Den Spiess muss ich mir pfänden, Ich nehm’ ihn mir zu Haft.“ „Der Spiess ist mir verfangen, Dess’ ich so lang begehrt! Du sollst dafür empfangen Hier dies mein bestes Pferd. Nicht schweifen im Gewälde Darf mir ein solcher Mann, Der mir zu Hof und Felde. Viel besser dienen kann.“ „Herr Kaiser, wollt vergeben! Ihr macht das Herz mir schwer. Lasst mir mein freies Leben, Und lasst mir meinen Speer! Ein Pferd hab’ ich schon eigen, Für eures sag’.ich Dank; Zu Rosse will ich steigen, Bin ich 'mal alt und krank.“ „.Mit dir ist nicht zu streiten, Du bist mir allzu stolz. Doch führst du an der Seiten Ein Trinkgefass von Holz; Nun macht die Jagd mich dürsten, ✓ 72 Drum tu’ mir das, Gesell, Und gib mir eins zu bürsten Aus diesem Wasserquell!“ Der Graf hat sich erhoben, Er schwenkt den Becher klar, Er füllt ihn an bis oben, Hält ihn dem Kaiser dar. Der schlürft mit vollen Zügen Den kühlen Trank hinein Und zeigt ein solch Vergnügen, Als wär’s der beste Wein. Dann fasst der schlaue Zecher Den Grafen bei der Hand: „Du schwenktest mir den Becher Und fülltest ihn zum Band, Du hieltest mir zum Munde Das labende Getränk! Du bist von dieser Stunde i Des deutschen Reiches Schenk! L. TXhland. 54. Der neue Diogenes. Was pressen sich die dichten Massen Des Volkes in den engen Raum? Es fassen, Amiens, deine Strassen Das wogende Gedränge kaum. Der Kaiser naht, der Herr der Welt! Hebt Siegeslieder an zu singen! Er hat der Feinde Macht zerschellt, Er naht, den Seinen Heil zu bringen. Der Freudenrausch, der sich ergossen, Er lässt den einen unberührt: Ein Steinmetz ist’s, der unverdrossen Den Meissei und den Hammer führt; Der lässt den Zug vorübergeh'n Und nicht im Tagewerk sich stören. Als hab’ er Augen nicht, zu seli’n, Als ,hab’ er Ohren nicht, zu hören. Vom Ross herab bemerkt von ferne Der Kaiser dort den rüst’gen Mann; Es reizt ihn, dass er kennen lerne, Wer so von ihm sich sondern kann. Er hat sich ihm genaht; er fragt: „Was schaffst du da?“ — „Den Stein behauen“, Entgegnet er, und wie er’s sagt, Er kann ihm scharf ins Antlitz schauen. „Ich sali dich hei den Pyramiden, Pu schlugst dich gut, du warst Sergeant. Wie kam’s, dass du den Dienst gemieden, Vergessen hier und unbekannt?“ — „Ich habe meine Schuldigkeit Getan, o Herr, zu allen Stunden, Und ward nach ausgedienter Zeit Von Eid und Kriegespflicht entbunden.“ Es tut mir leid, im Heer zu missen, Wer brav sich hielt im Kriegeslauf; Lass deinen kühnsten Wunsch mich wissen, Des Kaisers Gnade sucht dich auf.“ — „Ich brauche nichts, die Hände mein Genügen noch, mich zu ernähren; Lass mich behauen meinen Stein Und deiner Gnade nicht begehren.“ A. Cham is so. 55. Tell’s Tod. Grün wird die Alpe werden, Stürzt die Lawin’ einmal; Zu Berge zieh’n die Herden, Euhr erst der Schnee zu Tal. Euch stellt, ihr Alpensöhne, Mit jedem neuen Jahr Des Eises Bruch vom Föhne Den Kampf der Freiheit dar. Da braust der wilde Schachen Her vor aus seiner Schlucht, Und Fels und Tanne brechen Von seiner jähen Flucht. Er hat den Steg begraben, Der ob- der Stäube hing, Hat weggespült den Knaben, Der auf dem Stege ging. Und eben schritt ein and’rer Zur Brücke, da sie brach; Vicht stutzt der greise Wand’rer, Wirft sich dem Knaben nach, Fasst ihn mit Adlerschnelle, Trägt ihn zum sichern Ort; Das Kind entspringt der Welle, Den Alten reisst sie fort. Doch als nun ausgestossen Die Flut den toten Leib, Da stehn um ihn, ergossen In Jammer, Mann und Weib; Als kracht in seinem Grunde Des Kotstocks Felsgestell, Erschallt’s aus eine m Munde: „Der Teil ist tot, der Teil!“ 74 War’ ich ein Sohn der Berge, Ein Hirt am ew’gen Schnee, W är’ ich ein kecker Ferge Auf Uri’s grünem See, Und trat’ in meinem Harme Zum Teil, wo er verschied, Des Toten Haupt im Arme, Sprach’ ich mein Klagelied’: „Da liegst du, eine Leiche, Der aller Lehen war; Dir trieft noch um das bleiche Gesicht das greise Haar. Hier steht, den du gerettet, Ein Kind, wie Milch und Glut, Das Land, das du entkettet, Steht rings in Alpenglut. „Die Kraft derselben Liebe, Die du dem Knaben trugst, Ward einst in dir zum Triebe, Dass dudenZwingherrn schlugst.- Kie schlummernd, nie erschrocken, War Retten stets dein Brauch, Wie in den braunen Locken, So in den grauen auch. „Wärst du noch jung gewesen, Als du den Knaben fingst, Und war’st du dann genesen, Wie du nun untergingst, Wir hätten d’raus geschlossen Auf kiinft’ger Taten Ruhm; Doch schön ist nach dem grossen Das schlichte Heldentum. „Dir hat dein Ohr geklungen Yom Lob, das man dir bot, Doch ist zu ihm gedrungen Ein schwacher Ruf der Not Der ist ein Held der Freien, Der, wann der Sieg ihn kränzt, Koch glüht, sich dem zu weihen, Was frommet und nicht glänzt. „Gesund bist du gekommen Yom Werk des Zorns zurück, Im hülfereichen, frommen Yerliess dich erst dein Glück. Der Himmel hat dein Leben Micht für ein Yolk begehrt, Für dieses Kind gegeben, War ihm dein Opfer wert. „Wo du den Yogt getroffen Mit deinem sichern Stahl, Dort steht ein Bethaus offen, Dem Strafgericht ein Mal; Doch hier, wo du gestorben, Dem Kind ein Heil zu sein, Hast du dir nur erworben Ein schmucklos Kreuz von Stein. „Weithin wird lobgesungen, Wie du dein Land befreit, Yon grosser Dichter Zungen Vernimmt’s noch späte Zeit; Doch steigt am Schächen nieder Ein Hirt im Abendrot, Dann hallt im Felstal wieder Das Lied von deinem Tod.“ L. Uhland. 56. Meister Häminerlein. Wer seine Sache kann und fein versteht, Und jedem Ding auf Grund und Boden geht, Der heisst von jedermann Land aus und ein Von alters her ein Meister Hämmerlein. Der Chorherr Meister Felix Hämmerlein Studirte Tag und Nacht im Kämmerlein, Kein Chorherr war in Zürich so gelehrt, Und keiner, weit und breit, wie er geehrt. Im finstern Aberglauben lag das Land, In Lug und Laster tappte jeder Stand. Verdunkelt war das lichte Wort des Herrn, Dem Weisen nur erglänzte noch sein Stern. Da grub er kühn, trotz Schweiss und Ungemach, Im dunkeln Schacht dem Gold der "Wahrheit nach; Er zog es frei, wo er das Kleinod fand, Ans Licht, geklärt von Schlacken und von Sand. Die Eule aber liebt die Sonne nicht, Sie schreit und flieht vor ihrem Himmelslicht; Und wer der Welt zu laut die Wahrheit zeigt, Wird mit dem Fidelbogen, träum, geschweige Doch wie sich’s ziemt dem freien Scbweizermann, Er zeigte sie und kehrte sich nicht dran, Bis mit Verblendung sie ihn überspei’n, Als Zauberer und Ketzer ihn verschrei’n. Und als er war ein hochbetagter Greis, An Kräften schwach, an Bart und Haaren weiss, Da trat des Bischofs Knecht zu ihm herein Und band den frommen Meister Hämmerlein. Gottlieben heisst im Thurigau ein Schloss, D’rin, Gott zu Leid, man Huss in Fesseln schloss; Da warf man, wo’s von Molch und Leichen roch, Auch Hämmerlein ins tiefste Kellerloch. 76 Da lag' der kranke Greis bei Molch und Wurm Geblockt, auf nassem Stroh im kalten Turm, Und blieb, der falschen Lehre falsch verklagt, Mit Gott vor seinem Bischof, unverzagt. Er sprach zu ihm: Die Wahrheit ist nicht mein, Der Welt ist sie, der Ewigkeit gemein; Sie widerrufen kann ich ewig nicht, Kur wieder rufen jedem ins Gesicht.“ Der Bischof sprach ihn frei, (doch war es klar, Dass Hämmerlein kein Freund der Klöster war,) Lind schickt ihn, abgezerrt auf Haut und Bein, Zur Haft den Mönchen nach Luzern hinein. Hier sass der arme Meister Hämmerlein Kun lang im engsten Klosterkämmerlein; Man gab, zu langem seinen Hungertod, Dem Kranken Wasser nur und schwarzes Brot. Kun rief er todschwach einst dem Guardian, Und hielt bei ihm unr den Gefallen an, Dass er, den Baslern Eintrag nicht zu tun, Die Reuss verbiete jedem Klosterhuhn. „Es endet mit ihm!“ denkt der Pater gleich, Und tröstet ihn: „Die Reuss fliesst also reich, Dass wohl ein Hühnlein aus ihr trinken kann, Kein Basler Müller spürt's dem Rheine an!“ „So gnadet,“ bat der Greis, „ein Gleiches mir, Und gönnt von eurer Tafel reicher Zier Mir nur ein Bisslein je, so klein es ist, Das weder Herr noch Knecht bei Tisch vermisst!“ Da brach des kranken Greises scharfer Scherz Dem Guardian das felsenharte Herz; Er liess ihm täglich werden ab dem Tisch Zu Brot und Wein nach Wunsche Fleisch und Fisch. LTid ob er ihm auch Fleisch und Fisch nun gab, Kein Mäuslein nahm darum im Kloster ab. 77 Und heut’ noch trinkt manch’ Hühnlein aus der Reuss, Wovon kein Basler Müller etwas weiss. Augustin Keller, 57. Xiklaus TJmt. Gen Sempach zog für Ostreich’s Macht Zofmgens Fähnlein in die Schlacht. Das Fähnlein aber trug mit Mut Voran der Schultheiss Xiklaus Thut. Bald ward mit Schwert und Hallebart Ihr Harst um Leopold geschart. Bald standen sie zum heissen Streit In grünem Wiesengrund gereiht. Bald brachte aus des Waldes Xacht Her Feind die wilde Männerschlacht. Bald schien dem Adel, festgekeilt, Glorreich schon gar der Sieg ereilt. — Da kam der Eidgenossen Heil, Strut Winkelried, und brach den Keil, Er sprang in Ostreichs Speerwald ein Und riss den Seinen Bahn darein. Und wie ein Blitzschlag fuhr sogleich Der Tod ins Herz von Österreich, Und Eich’ auf Eiche schlug er hin, Kein Schild, kein Panzer hemmte ihn. L T nd selbst der Herzog hochgemut Sank sterbend in sein junges Blut. Doch in des Kampfes höchster Glut Stand immer noch der Schultheiss Thut. Er stand als wie ein Riesenturm Und hielt sein Fähnlein fest im Sturm. Und um ihn, trotzend der Gefahr, Stritt leugleich seine treue Schar. Doch alles schwankt zuletzt und fallt; Er steht von allen losgeschält. Da trifft der grimme Tod auch ihn; Er stöhnt und stürzt aufs Fähnlein hin. Und röchelnd reisst er’s noch vom Schaft, Zu retten es der Bürgerschaft; Tag’s drauf, da zieht man klagend aus, Holt seine Toten still nach Haus. Man fand die ganze treue Schar Gefällt, wo sie gestanden war. Der Schultheiss lag im Blut gesumpft, Das Schwert bis an die Faust gestumpft, Und in der linken hielt, mit Kraft, Gefaustet, er des Panners Schaft. So werden sie nach Haus geführt Und schlicht mit Kreuz und Kranz geziert. Man trägt mit Sang und Glockenklang Sie Mann für Mann die Stadt entlang. Man stellt sie all’ ins Totenhaus Zu öffentlichen Ehren aus. Und klagend widerhallt’s im Chor, Dass Haupt und Panner man verlor. D’rauf hielt der Weibel treu die Nacht Bei seinem Schultheiss Leichenwacht. Der schlief auf seiner Totenbahr So schön in grauem Bart und Haar. Er sah den Herren weinend an, Von dem er einst so viel empfahn. Er strich den Bart ihm aus dem Mund, Auf dass er ihn noch küssen kunnt. Da nahm er, siehe, wunderbar, Im blassen Mund ein Tüehlein wahr. Er fasst es an, er zieht’s hervor, Er schaut es an, er liält’s empor. 79 Er ruft, als er das Wappen sah: Glück auf, das Panner ist noch da!“ Gesungen ward’s in Spruch und Reim : „Der Schultheiss bracht’s im Munde heim!“ Und staunend lief die Stadt herbei, Und pries des Pannerherren Treu’. Und noch erzählt sich’s jung und alt, Dass jeder treu des Amtes walt’; Und ob er hoch, ob niedrig steh’, Wie Xiklaus Tliut zum Fähnlein seh’! A. Keller. 58. Rudolf Stiissi (1443). Es schmettert die Trompete, das Ilorn von Uri ruft; Von lautem Waffenschalle ertönet rings die Luft. Wie blitzen hell die Speere, wie tönt der eh’rne Schild! Wie donnern die Geschütze hin durch das Sihlgefild! Es zieht vom Utoberge des rauhen Redings Macht Herunter in die Eb’ne und ordnet sich zur Schlacht. — -Nun haltet fest zusammen, ihr zürcherischen Reih’n, Hnd kämpft als wack’re Männer, der Tag wird blutig sein. Wer ist der hohe Ritter, der durch die Strassen sprengt, Und mit dem Feldherrnstabe die Zürcherkrieger lenkt? Das ist der alte Stüssi, der trotzigkühne Held; Scharf messen seine Blicke das kampfgewählte Feld. Schon tobt das Handgemenge, der wilde Schlachtruf schallt, Die Felsenmänner stürzen heran mit Sturmgewalt; Die weissen Kreuze schimmern auf ihrer mut’gen Brust, In ihrem Arm ist Stärke, im Auge Siegeslust. Noch schwebt des Ruhmes Wage, noch kämpft man wutentbrannt, Noch flattern hoch die Banner, dem Feinde zugewandt; Schon färbt das Blut den Boden rings purpurfarbenrot, In grimmerglühte Herzen senkt kalter Stahl den Tod. 80 Urplötzlich tönt im Rücken der zürcherischen Schar: Flieh’ Zürich! fliehe! fliehe! Du hist des Sieges bar.“ Und wie ein höll’scher Zauber, mit schauderhafter Macht Hat sie der Ruf ergriffen, von Feindeslist erdacht. Sie zagen, wanken, weichen; sie achten nicht der Schmach; Die Alpensöhne siegen und dringen jauchzend nach. Es stürzt der tapfre Lommis dahin zur ew’gen Ruh’, Die Zürcher treibt der Schrecken, sie flieh’n dem Tore zu. Ha, seht dort auf der Drücke den majestät’schen Greis, Wie flattert in dem Winde sein Haar so silberweiss; Wie blitzt das kühne Auge, wie flammt das Angesicht; Wie mächtig braust die Stimme, die Mut und Strafe spricht! Sie, Feldherrnwort nicht achtend, flieh’n rechts und links vorbei. Er steht, dem Sturme wehrend, und hält die Brücke frei. Fest steht er, unerschüttert, ein Wehrturm, felsenstark; Und Blitze schlägt die Mordaxt in frecher Feinde Mark. Ob immer neue Scharen des Siegers dringen an. — Gewalt’ge Stösse tönen um ihn, den einz’gen Mann; Fort kämpft der alte Stüssi, zermalmt sie löwenwild; Und siegreich auf der Brücke flammt stolz das Heldenbild. Da ruft ein Sohn der Berge: „Kommt, Brüder folget mir! Gar nieder ist die Brücke, die Balken heben wir. Dann soll ihn sicher troffen der Tod von untenher; Bald trieft von seinem Blute mein stahlbespitzter Speer.“ Weh, Zürich! so muss er fallen, umsonst hier Mut und Kraft! Er wankt, die Ivniee brechen, hin stürzt er riesenhaft. Weithin erklang die Rüstung, die Brück’ erdröhnt vom Schlag, Noch einmal klirrt die Waffe, als schon im Blut er lag. Des Todes kalte Schauer umdunkeln seinen Blick, Doch hebt er sich noch einmal, schaut nach der Stadt zurück. Dann sinket er zusammen, sein Feuerauge bricht, Es ist ein Mann gefallen als Held — so klaget nicht. Th. Sclierr. 59. Auf der Ufenau. Hier unter diesem Rasengrün, Wo wir in Jugend steh’n, Da liegt ein Ritter frei und kühn, Wie keiner mehr zu seh’n! Er floh herein vom röm’schert Reich, Trug einen Lorbeerkranz, Das Antlitz zorn- und kummerbleich, Das Aug’ voll Sonnenglanz! Und wo die Well’ den Blumenstrand In holder Minne küsst, Warf er sein Schwert auf sich’res Land Und rief: Sei mir gegrüsst! In schwerer Not sank er dahin, Zerbrochen das Gebein; Doch glühte noch sein starker Sinn Im Tod wie junger Wein. Nun weht sein Schatten um uns her, Nun ruft sein Geist uns zu: „Ich war ein Schiff auf wildem Meer, Ich kannte keine Ruh’! Ihr wisst, was ich gestritten hab’, Und was gelitten auch! Doch stieg’ ich nochmals aus dem Grab, Ubt’ ich den gleichen Brauch. Die Qual verfliegt, die Sorg’ ist klein. Nun bin ich unbeschwert; Die besten Freunde nannt’ ich mein, Und fand mich ihrer wert! Ihr lieben Brüder, wagt es nur, Und acht’t die Not gering! Das Elend zeigt die gold’ne Spur, Wo sich ein Held erging.“ Du lichter Schatten, habe Dank! Gut sprach dein kühner Mund! Und wem der Sinn von Zweifel krank, Der wird an dir gesund. Wie diese lustige Silberflut Dein Grab so hell umfliesst, So uns dein nie geschwundner Mut Das frohe Herz erschliesst! G. Kelle GO. Der letzte Zwingherr Biindens. Da, wo der junge Rhein erzürnt und wild Der finstern Viamalaschlucht entschiesset, Und abwärts durchs Domleschger Talgefild’ In tausend Wirbeln seine Wasser giesset, Im Schloss, das weithin in die Schlucht hinein Den Weg nach Welschland räub’risch kann belauern, Der letzte Zwingherr Bündens steht allein, Geharnischt auf der Zinne seiner Mauern. Der Bauernaufruhr schwoll zum Schloss empor, Im Blute liegen, die es sollten schirmen, Empörung klopft mit starker Paust ans Tor, Und rüttelt an den Mauern, an den Türmen. Des Ritters Aug’ von Berg zu Berge schweift, Ob irgendwo noch Rettung zu erpoclien; Doch alle Burgen ringsum sind geschleift, Und alle Warten, alle Türm’ gebrochen! Mt hohlen Augen, wie aus off’nem Grab, Grinst ihn der Tod an aus des Tales Schlunde, Gebrochen ist des Adels Herrscherstab —■ Er fühlt es tief, und spricht mit stolzem Munde: „Zum mächt’gen Riesen wuchs heran der Zwerg, Die Ritter können ihn nicht mehr besiegen, Die Landesherrlichkeit ist von dem Berg Hinab zum Bauern in das Tal gestiegen. Der letzte bin ich, und zum Tod bereit; Allein der Feind soll meinen Leib nicht haben, 83 Mit ihm will ich die alte Ritterzeit, Hinunter springend in den Rhein, begraben. So sprechend, stürzt im Harnisch er beherzt Hinunter in die Tiefe vom Kastelle, Und über seinen Leichnam spielt und scherzt Aufschäumend im Triumph des Stromes Welle. J. Kessler. 61. Der kleine Hydriot. Ich war ein kleiner Knabe, stand fest kaum auf dem Bein, Da nahm mich schon mein Vater mit in das Meer hinein, Er lehrte leicht mich schwimmen an seiner sichern Hand Und in die Fluten tauchen bis nieder auf den Sand. Ein Silberstückchen warf er dreimal ins Meer hinab, Und dreimal musst’ ich’s holen, eh’ er’s zum Lohn mir gab. Dann reicht’ er mir ein Ruder, hiess in ein Boot mich geh’n, Er selber blieb zur Seite mir unverdrossen steh’n; Mies mir, wie man die Woge mit scharfem Schlage bricht, Wie man die Wirbel meidet und mit der Brandung ficht. Und von dem kleinen Kalme ging’s flugs ins grosse Schiff; Es trieben uns die Stürme um manches Felsenriff’, leb sass auf hohem Maste, schaut’ über Meer und Land, Es schwebten Berg’ und Türme vorüber mit dem Strand. Der Vater hiess mich merken auf jedes Vogels Flug, Auf aller Winde W T ehen, auf aller Wolken Zug; Und bogen dann die Stürme den Mast bis in die Flut, Und spritzten dann die Wogen hoch über meinen Hut, Da sah der Vater prüfend mir in das Angesicht; Ich sass in meinem Korbe und rüttelte mich nicht: Da sprach er, und die Wange ward ihm wie Blut so rot: 51 Glück zu, auf deinem Maste, du kleiner Hydriot!“ Und heute gab der Vater ein Schwert mir in die Hand Und weihte mich zum Kämpfer für Gott und Vaterland, Er mass mich mit dem Blicke vom Kopf bis zu den Zelx’n! Mir war’s, als tat’ sein Auge hinab ins Herz mir seli’n. Ich hielt mein Schwert gen Himmel, und schaut’ ihn sicher an, Und däuehte mich zur Stunde nicht schlechter, als ein Mann. 84 Da sprach er, und die Wange ward ihm wie Blut so rot: „Glück zu mit deinem Schwerte, du kleiner Hydriot!“ W. Müller. 62. l)er reichste Fürst. Preisend mit viel schönen Beden Ihrer Länder Wert und Zahl, Sassen viele deutsche Pürsten Einst zu Worms im Kaisersaal. „Herrlich“, sprach der Fürst von Sachsen, „Ist mein Land und seine Macht: Silber hegen seine Berge Wohl in manchem tiefen Schacht.“ „Seht mein Land in üpp’ger Fülle,“ Sprach der Pfalzgraf von dem Khein, „Gold’ne Saaten in den Tälern, Auf den Bergen edler Wein.“ „Grosse Städte, reiche Klöster“, Ludwig, Herr von Baiern, sprach, „Schaffen, dass mein Land dem euren Wohl nicht steht an Schätzen nach.“ Eberhard, der mit dem Barte, Würtemberg’s geliebter Herr, Sprach: „Mein Land hat kleine Städte, Trägt nicht Berge silberschwer; Doch ein Kleinod hält’s verborgen: — Dass in Wäldern, noch so gross, Ich mein Haupt kann kühnlich legen Jedem Untertan in Schoss.“ Und es rief der Herr von Sachsen, Der von Baiern, der vom Bhein: „Graf im Bart, ihr seid der reichste, Euer Land trägt Edelstein’.“ J. Kerner. 63. Der Stein 4. Der Schatzgräber. Arm am Beutel, krank am Herzen, Schleppt’ ich meine langen Tage. Armut ist die grösste Plage, Reichtum ist das höchste Gut! Und, zu enden meine Schmerzen, Ging ich, einen Schatz zu graben. Meine Seele sollst du haben! Schrieb ich hin mit eig’nem Blut. Und so zog ich Kreis’ um Kreise, Stellte wunderbare Flammen, Kraut und Knochenwerk zusammen: Die Beschwörung war vollbracht. Und auf die gelernte Weise Grub ich nach dem alten Schatze Auf dem angezeigten Platze; Schwarz und stürmisch war die Nacht. Und ich sah ein Licht von weitem; Und es kam gleich einem Sterne Hinten aus der fernsten Ferne, 89 Eben als es zwölfe schlug. Und da galt kein Vorbereiten; Heller ward’s mit einemmale Von dem Glanz der vollen Schale, Die ein schöner Knabe trug. Holde Augen sah ich blinken Unter dichtem Blumenkränze; In des Trankes Himmelsglanze Trat er in den Kreis herein. Und er hiess mich freundlich trinken ; Und ich dacht’: „Es kann der Knabe Mit der schönen, lichten Gabe Wahrlich nicht der Böse sein.“ „Trinke Mut des reinen Lebens! „Dann verstehst du die Belehrung, „Kommst mit ängstlicher Beschwörung Kicht zurück an diesen Ort. „Grabe hier nicht mehr vergebens! „Tages Arbeit! Abends Gäste! „Saure Wochen, frohe Feste! „Sei dein künftig Zauberwort.“ W. G 51 h e. (55. Hans Euler. Horch, Marte, draussen pocht es; geh’, lass den Mann herein, Es wird ein armer Pilger, der sich verirrte, sein. — „Grüss Gott, du schmucker Krieger! nimm Platz an unserm Tisch; Das Brod ist weiss und locker, der Trank ist hell und frisch.“ „„Es ist nicht Trank, noch Speise, wonach es Kot mir tut, Doch so Ihr seid Hans Euler, so will ich Euer Blut! Wisst Ihr, vor Monden hab’ ich Euch noch als Feind bedroht, Dort hatt’ ich einen Bruder, den Bruder schlugt Ihr tot. Und als er rang am Boden, da schwur ich es ihm gleich, Dass ich ihn rächen wolle früh oder spät an Euch! “ “ „Und hab’ ich ihn erschlagen, so war’s im rechten Streit, Und kommt Ihr, ihn zu rächen —• wohlan! ich bin bereit! 90 Doch nicht im Hause kämpf’ ich, nicht zwischen Tür’ und Wand ; Im Angesichte dessen, wofür ich stritt und stand. Den Säbel, Marte, weisst du, womit ich ihn erschlug! Und soll ich nimmer kommen — Tyrol ist gross genug!“ Sie gehen mit einander den nahen Fels hinan! Sein gülden Tor hat eben der Morgen aufgetan; Der Hans voran, der Fremde recht rüstig hintendrein, Und höher stets mit Beiden der liebe Sonnenschein. Nun steh’n sie auf der Spitze, — da liegt die Alpenwelt, Die wunderbare, grosse, vor ihnen aufgehellt; Gesunk’ne Nebel zeigen der Täler reiche Lust, Mit Hütten in den Armen, mit Herden an der Brust. Dazwischen Riese nhäclie, darunter Kluft an Kluft, Daneben Wälderkronen, darüber freie Luft; Und sichtbar nicht, doch fühlbar, von Gottes Ruh’ umkreist In Hütten und in Herzen der alten Treue Geist. Das seh’n die Beiden droben, — dem Fremden sinkt die Hand, Hans aber zeigt hinunter aufs liebe Vaterland: „Für das hab’ ich gefochten, dein Bruder hat’s bedroht, Für das hab’ ich gestritten, für das schlug ich ihn tot!“ Der Fremde sieht hinunter, sieht Hansen ins Gesicht, Er will den Arm erheben, den Arm erhebt er nicht: „„Und hast du ihn erschlagen, so war’s im rechten Streit, Und willst du mir verzeihen, komm, Hans, ich bin bereit!““ G. Seidl. 6(>. Ziethen. Der grosse König wollte gern seh’n, Was seine Generäle wüssten. Da liess er an alle Briefe ergeh’n, Dass sie ihm gleich schreiben müssten, Was jeder von ihnen zu tun gedenkt, Wenn der Feind ihn so oder so bedrängt. 91 Der Vater Ziethen, der alte Husar, Besah verwundert den Zeddel. „Der König hält mich zum Narren wohl gar!“ So ruft er. „Was soll mir der Bettel? Husar, das bin ich, potz Element, Kein Schreiber oder verpfuschter Student!“ Da macht’ er auf einen Bogen Papier Einen grossen Klex in der Mitten, Rechts, oben, links, unten, Linien dann vier, Die all’ in dem Klexe sich schnitten; Und jede endete auch in n’en Klex. So schickt’ er den Bogen dem alten Rex. Der schüttelt’ den Kopf gedankenvoll, Fragt bei der Revue den Alten: „Zum Schwerennot, Ziethen, ist er toll? Was soll ich vom Wische da halten?“ Den Bart streicht sich Ziethen: „Das ist bald erklärt, Wenn Eu’r Majestät mir Gehör gewährt* „Der grosse Klex in der Mitte bin ich, Der Feind — einer dort von den vieren. Der kann nun von vorn oder hinten auf mich, Von rechts oder links auch marschiren, So rück ich auf einem der Striche vor Und hau’ ihn, wo ich ihn treffe, aufs Ohr!“ Da hat der König laut aufgelacht, Und bei sich selber gemeinet: „Der Ziethen ist klüger, als ich gedacht, Sein Geschmier sagt mehr als es scheinet. Das ist mir der rechte Reitersmann, Der den Feind schlägt, wo er auch rücket an.“ F. v. Sali et. V 67. Und sie bewegt sieh doch! Sinnend die Blicke zum Himmel erhoben, Forscht Galilei dem Sternenlauf nach, Strebt zu entziffern die Rätsel da droben, Und in dem grübelnden Geiste wird’s Tag. Ob auch die Satzung spricht: „Erde, du regst dich nicht!“ Lauter und stärker in deutlicher Klarheit Mit unumstösslicher, ewiger Wahrheit Ruft es der Himmel noch: „Ja, sie bewegt sich doch!“ Und der Jahrhunderte Wahn zu vernichten, Schreibt er sein grosses, unsterbliches Buch. Wahrheit, sie ist ihm die erste der Pflichten, Treibt ihn, zu stürzen veralteten Trug. Wer es auch immer spricht: „Erde bewegt sich nicht!“ Hier mit Beweisen und leuchtenden Gründen Will ich der denkenden Welt es verkünden! Brechet des Irrtums Joch! „Hört’s! sie bewegt sich doch!!“ / Aber des tötenden Buchstabens Knechte Scheuen des Geistes lebendiges Licht, Und mit dem Bannstrahl in drohender Rechte, Mahnet den Denker das Ketzergericht: „Sprich, wie die Schrift es spricht: Kein, sie bewegt sich nicht! — Oder du mögest dein Leben beenden Tief in des Kerkers umnachteten Wänden. Glaubst du es immer noch?“ „„Ja, sie bewegt sich doch!““ Als durch der Kerkernacht fressende Übel Endlich dem Greise die Manneskraft brach, Spricht er’s — die Hand auf geschändeter Bibel — Bebend und stammelnd den Peinigern nach, Wie es der Buchstab’ spricht: „Nein, sie bewegt sich nicht!“ Doch, weil die Schrift an dem Himmel geschrieben, Tief in dem Herzen ihm stehen geblieben, 93 Knirschen die Zähne noch: „Und sie bewegt sieh doch!“ Wahrheit, du musst deine Jlärtyrer haben; Ohne sie winket dir nimmer der Sieg! Als man den Dulder schon lange begraben, Lange sein Mund, der begeisterte, schwieg, Und nun kein Mund mehr spricht: „Kein, sie bewegt sich nicht!“ Kündet ein Denkmal am heiligen Orte: Wahrheit, du siegst! — Und es huldigt dem Worte Selber die Kirche noch: „Ja sie bew r egt sich doch!“ Fesselt die Erde in zwingende Schranken! Greifet der Zeit in das rollende Rad! Bindet die Flügel der kühnen Gedanken! Haltet die Menschheit auf strebendem Pfad! — Törichter Blödsinn spricht: „Erde, beweg’ dich nicht!“ — Nimmermehr zwingt ihr sie, stille zu stehen! Vorwärts und Torwarts wird ewig sie gehen! Hindert und hemmet noch — Und sie bewegt sich doch! (Unbekannt). <»8. Der Segen. Das Klosterland umreitet der Abt, Das steife Rösslein behutsam trabt. Der Fluren Grün, wde heller Smaragd, Dem Auge des Herren wohl behagt. Die Ähren stehen im Sonnenschein Wie lauter goldene Stengelein; Fernhin das stämmige, wuchtige Holz, Das ist des Abtes höchster Stolz. — — Und wde er so reitet durch das Land, Und wonnig sein Auge den Segen umspannt, 94 Und wie er so denkt: „Das alles hier Blüht, duftet und gehöret mir“, — Fleht innig, ein nacktes Kindlein im Arm, , Ein Bettelweib im tiefsten Harm : „Gib einen Pfennig mir, frommer Mann, Dass ich mein Kniiblein laben kann ! 11 „„Heb’ dich von hinnen, Bettelweib! Sonst reitet mein Pferd dir über den Leib!““ Grollt herzlos der Abt, trabt weiter gemach — Da ruft das Bettelweib ihm nach: „Und wenn Ihr für uns keinen Pfennig habt, So segnet doch mich und mein Kniiblein, Herr Abt!“ Nun hält der Abt sein Bösslein an, AVillkommen ist ihm solch’ frommer Wahn. — Schon zieht seine Hand in der Luft herum, Wie um zu segnen, die Linien krumm. Da ruft voll Hohn ihm die Bettlerin zu: „Lass uns mit deinen Schnörkeln in Kuh’! War’ einen Pfennig dein Segen wert, Du hättest uns ihn nicht beschert. W u r z b a c h. <)9. Der Wilde. Ein Kanadier, der noch Europens Ubertünchte Höflichkeit nicht kannte, Und ein Herz, wie Gott es ihm gegeben, Von Kultur noch frei, im Busen fühlte, Brachte, was er mit des Bogens Sehne Fern in Quebeck’s übereisten Wählern Auf der .Jagd erbeutet, zum Verkaufe. — Als er ohne schlaue Rednerkünste, So wie man ihm bot, die I^elsenvögel Um ein Kleines hingegeben hatte, Eilt’ er froh mit dem geringen Lohne 95 Heim zu seinen tiefverdeckten Horden, In die Arme jseincr braunen Gattin. Aber ferne noch von seiner Hütte Überfiel ihn unter freiem Himmel Schnell der schrecklichste der Donnerstürme; Aus dem langen, rabenschwarzen Haare Troff der Guss herab auf seinen Gürtel, Und das grobe Haartuch seines Kleides Klebte rund an seinem hagern Leibe. Schaurig zitternd unter kaltem Regen Eilete der gute, wack're Wilde In ein Haus, das er von fern erblickte. „Herr, ach lasst mich, bis der Sturm sich leget“, Bat er mit der herzlichsten Geberde Den gesittet-feinen Eigentümer, „Obdach hier in eurem Hause finden!“ — „„Willst du, missgestaltes Ungeheuer““, Schrie ergrimmt der Pflanzer ihm entgegen, „„Willst du, Diebsgesicht, mir aus dem Hause!““ Und ergriff den schweren Stock im Winkel. Traurig schritt der ehrliche Hurone Fort von dieser unwirtbaren Schwelle, Bis durch Sturm und Guss der späte Abend Ihn in seine friedliche Behausung Und zu seiner braunen Gattin brachte. Nass und müde setzt’ er bei dem Feuer Sich zu seinen nackten Kleinen nieder Und erzählte von den bunten Städtern Und den Kriegern, die den Donner tragen, Und dem Regensturm, der ihn ereilte, Und der Grausamkeit des weissen Mannes. Schmeichelnd hingen sie an seinen Ivnieen, Schlossen schmeichelnd sich um seinen Nacken, Trockneten die langen, schwarzen Haare, Und durchsuchten seine Waidmannstasche, Bis sie die versproclmen Schätze fanden. Kurze Zeit darauf liatt’ unser Pflanzer Auf der Jagd im Walde sich verirret. Uber Stock und Stein, durch Tal und Bäche, Stieg er schwer auf manchen jähen Felsen, Um sich umzusehen nach dem Pfade, Der ihn tief in diese Wildnis brachte. Doch sein Späh’n und Rufen war vergebens; Nichts vernahm er, als das hohle Echo Längs den hohen, schwarzen Felsenwänden. Ängstlich ging er bis zur zwölften Stunde, Wo er an dem Fuss des nächsten Berges Noch ein kleines, schwaches Licht erblickte. Furcht und Freude schlug in seinem Herzen, Und er fasste Mut und nahte leise. „Wer ist draussen?“ brach mit Schreckentone Eine Stimme tief her aus der Höhle, Und ein Mann trat aus der kleinen Wohnung. „„Freund, im Walde hab’ ich mich verirret““, Sprach der Europäer furchtsam schmeichelnd; „„Gönnet mir, die Nacht hier zuzubringen, Und zeigt nach der Stadt, ich werd’ euch danken, Morgen früh mir die gewissen Wege.““ „Kommt herein“, versetzt der Unbekannte, „Wärmt euch, noch ist Feuer in der Hütte.“ Und er führt ihn auf das Binsenlager, Schreitet finster-trotzig in den Winkel, Holt den Rest von seinem Abendmahle, Hummer, Lachs und frischen Bärenschinken, Um den späten Fremdling zu bewirten. Mit dem Hunger eines Waidmann’s speiste Festlich, wie bei einem Klosterschmause, Neben seinem Wirt der Europäer. Fest und ernsthaft schaute der Hurone Seinem Gaste spähend auf die Stirne, Der mit tiefem Schnitt den Schinken trennte Und mit Wollust trank vom Honigtranke, Den in einer grossen Muschelschale Er ihm freundlich zu dem Mahle reichte. Eine Bärenhaut auf weichem Moose War des Pflanzers gute Lagerstätte, Und er schlief bis in die hohe Sonne. Wie der wilden Zone wildster Krieger, Schrecklich stand mit Köcher, Pfeil und Bogen Der Hurone jetzt vor seinem Gaste Und erweckt’ ihn, und der Europäer Griff bestürzt nach seinem Jagdgewehre; Und der Wilde gab ihm eine Schale, Angefüllt mit süssem Morgentranke. Als er lächelnd seinen Gast gelabet, Bracht’ er ihn durch manche lange Windung, Über Stock und Stein, durch Tal und Bäche, Durch das Dickicht auf die rechte Strasse. Höflich dankte fein der Europäer; Finster blickend blieb der Wilde stehen, Sähe starr dem Pflanzer in die Augen, Sprach mit voller, fester, ernster Stimme : „Haben wir vielleicht uns schon gesehen?“ Wie vom Blitz’ getroffen stand der Jäger, Und erkannte nun in seinem Wirte Jenen Mann, den er vor wenig Wochen In dem Sturmwind aus dem Hause jagte; Stammelte verwirrt Entschuldigungen. Ruhig lächelnd sagte der Hurone: „Seht, ihr fremden, klugen, weissen Leute, Seht, wir Wilden sind doch bess’re Menschen!“ Und er schlug sich seitwärts in die Büsche. Seume 70. Der letzte Mann. Zu Lincoln sass ein diist’rer Mann, Zur Stund’, als eben das Jahr verrann, Und hoch vom Turme der Türmer mit Macht Ein neues ausblies durch die Nacht. 7 Da tritt der düst’re Mann zum Schrein, Passt eine bestaubte Flasche mit Wein, Entkorkt sie, nimmt das Glas zur Hand Und füllt es schweigend bis an den Rand. Und wie er es langsam zum Munde führt, Da fühlt er sich innigst bewegt und gerührt. Man merkt es ihm ab am funkelnden Blick, Er denkt an die früheren Zeiten zurück. Vor fünfzig Jahren, so denkt er, da war’s Wohl anders zur Stunde des sinkenden Jahrs; Da sassen wir, unser Zehn, um den Tisch, Ein jeder lebendig, ein jeder frisch. Da klang es von Liedern so heiter und hell, Da sprang des Kapweins glühender Quell, Da lief durch die Runde das herzliche „du“, Da scholl viel Tolles und Kluges dazu. Und einer erhob sich aus unserer Zahl Und fasste begeistert den vollen Pokal. „Nein“, rief er, „bei Gott! so köstlicher Wein Soll nicht so schlechthin vertrunken sein!“ Und eine Flasche fasst er sodann Und legt ein fesselndes Siegel daran, Und hiess sie von Händen zu Händen geh’n, Und liess sie von aller Augen beseh’n. „Die Flasche“, rief er, „so wie sie ist, Sie soll bewahrt sein von dieser Frist, Bewahrt, ob Blatt um Blatt auch fällt Vom Kranze, der noch jetzt so wohl bestellt. Und wenn einst nur mehr noch ein einziger lebt, Und wieder das sinkende Jahr entschwebt, Der hole schweigend sodann aus dem Schrein Hervor die versiegelte Flasche mit Wein, Entsiegle sie, nehme das Glas zur Hand Und füll’ es mit perlendem Wein bis zum Rand 99 Und leer’ es im stillgewordenen Haus Wehmütig aufs Wohl der Geschiedenen aus. Und fünzig Jahre sind nun herum; Hier sitz’ ich, der lezte, der einzige, stumm. „Wohlauf! dir, Bruder, sei das gebracht: Du fielst, ein Beneideter, schön in der Schlacht! — Dir, Bruder, dies: im Meer ist’s kühl — Dir — dieses: ein böses Spiel ist das Spiel! — Dir — dieses, Bruder: dü glaubtest mir nicht, Dass Liebe die Herzen wie Binsen bricht. Dir, Vielgeprüfter, ein Lebehoch! Auch dir: schwer drückt der Ehren Joch! Auch dir: nicht wahr, die peinlichste Pein Ist die, verkannt von den Liebsten zu sein? — Auch dir: man beneide den Dichter nicht; Des Herzens Grabmal ist manch’ Gedicht! — Auch dir: du leichter, glücklicher Sinn! Du scherztest dich lächelnd ins Jenseits dahin! —“ So denkt sich der Mann, leert Glas um Glas, Die Augen umflort’s ihm, er weiss nicht was: — Es ist doch schwer, aus frohem Verein Der einzige — letzte Mann zu sein! J. G. Seidl. II. Lyrische Gedichte. A. Lied, Ode, Elegie und ähnliche Formen 1. Mailied. Es kommt ein wundersamer Knab’ Jtzt durch die Welt gegangen, Und wo er geht, bergauf, bergab, Hebt sich ein Glast und Prangen. In frischem Grün steht Feld und Tal, Die Vögel singen allzumal, Ein Blütenschnee und Regen Fällt nieder allerwegen. Drum singen wir im Wald dies Lied Mit Hei- und Tralaleyen, Wir singen’s, weil es spriesst und blüht Als Gruss dem jungen Maien. Den Mai ergötzt Gebrumm und Summ, Ist immer guter Laune, Drum schwirren durch den Tann herum Die Maienkäfer braune, Und aus dem Moos wächst schnell herfür Der Frühlingsblume schönste Zier, Die weissen Glocken läuten Den Maien ein mit Freuden. Drum singen wir im Wald dies Lied Mit Hei- und Tralaleyen, Wir singen’s, w r eil es spriesst und blüht Als Gruss dem jungen Maien, Aus dem „Trompeter von Säckingen“ v. Jos. Y. Scheffel. 2. FriihlingsgLaube. Die linden Lüfte sind erwacht, Sie säuseln und weben Tag und Nacht, Sie schaffen an allen Enden. 0 frischer Duft, o neuer Klang! Nun, armes Herze, sei nicht bang! Nun muss sich alles, alles wenden. Die Welt wird schöner mit jedem Tag, Man weiss nicht, was noch werden mag, Das Blühen will nicht enden. Es blüht das fernste, tiefste Tal : Nun, armes Herz, vergiss der Qual! Nun muss sich alles, alles wenden. L. Uhla 3. Der Lenz. Da kommt der Lenz, der schöne Junge, Den alles lieben muss, Herein mit einem Freudensprunge Und lächelt seinen Gruss; Und schickt sich gleich mit frohem Necken Zu all den Streichen an, Die er auch sonst dem alten Becken, Dem Winter, angetan. Er gibt sie frei, die Bächlein alle, Wie auch der alte schilt, Die der in seiner Eisesfalle So streng gefangen hielt. Schon zieh’n die Wellen flink von dannen Mit Tänzen und Geschwätz, Und spötteln über des Tyrannen Zerronnenes Gesetz. Den Jüngling freut es, wie die raschen Hinlärmen durchs Gefild, Und wie sie scherzend sich enthaschen Sein aufgeblühtes Bild. 102 Froh lächelt seine Mutter Erde Nach ihrem langen Harm; Sie schlingt mit jubelnder Geberde Das Söhnlein in den Arm. In ihren Busen greift der Lose Und zieht ihr schmeichelnd keck Das sanfte Veilthen und die Bose Hervor aus dem Versteck. Und sein geschmeidiges Gesinde Schickt er zu Berg und Tal: „Sagt, dass ich da bin, meine Winde, Den Freunden allzumal!“ Er zieht das Herz an Liebesketten Rasch über manche Kluft, Und schleudert seine Singraketen, Die Lerchen, in die Luft. N. Lena». 4. März. Nun, da Schnee und Eis zerflossen Und des Angers Rasen schwillt, Hier an roten Lindenschossen Knospen bersten, Blätter sprossen, Weht der Auferstehung Odem Durch das keimende Gefild. Veilchen an den Wiesenbächen Lösen ihrer Schale Band; Primelngold bedeckt die Flächen; Zarte Saatenspitzen stechen Aus den Furchen; gelber Krokus Schiesst aus warmem Gartensand. Alles fühlt erneutes Leben: Die Falänen, die am Stamm Der gekerbten Eiche kleben, Mücken, die im Reigen schweben, 103 Lerchen hoch am Äterglanze, Tief im Tal das junge Lamm. Seht, erweckte Bienen schwärmen Um den frühen Mandelbaum; Froh des Sonnenscheins, erwärmen Sich die Greise; Kinder lärmen Spielend mit den Ostereiern Durch den weissbeblümten Raum. 0. Salia. 5. Beim Scheiden des Frühlings. Bist so traurig im Gemüte, Schaust umher so bang und still, Weil der Lenz mit Duft und Blüte Von der Erde scheiden will. Überlass dich nicht den Schmerzen! Ob die Frühlingswelt verblüht, Frühling kann es doch im Herzen, Frühling bleiben im Gemüt. Ist das Herz vom rechten Schlage, Blüh’n ihm Blumen allerwärts, Frühlingsluft weht alle Tage Durch ein gutes Menschenherz. J. J. B ä n n i n g e r. 6. Sommernacht. Es wallt das Korn weit in die Runde Und wie ein Meer dehnt es sich aus; Doch liegt auf seinem stillen Grunde Nicht Seegewürm, noch and’rer Graus; Da träumen Blumen nur von Kränzen, Und trinken der Gestirne Schein, 0, gold’nes Meer, dein friedlich Glänzen Saugt meine Seele gierig ein! In meiner Heimat grünen Talen, Da herrscht ein alter schöner Brauch : 104 Wann hell die Sommersterne strahlen, Der Glühwurm schimmert durch den Strauch, Dann geht ein Flüstern und ein Winken, Das sich dem Ahrenfelde naht, Da geht ein nächtlich Silberblinken Von Sicheln durch die gold’ne Saat. Das sind die Bursche jung- und wacker, Die sammeln sich im Feld zuhauf, Und suchen den gereiften Acker Der Wittwe oder Waise auf, Die keines Täters, keiner Brüder Und keines Knechtes Hülfe weiss — Ihr schneiden sie den Segen nieder, Die reinste Lust ziert ihren Fleiss. Schon sind die Garben festgebunden Und rasch in einen Bing gebracht; Wie lieblich floh’n die kurzen Stunden, Es war ein Spiel in kühler Nacht! Nun wird geschwärmt und hell gesungen Im Garbenkreis, bis Morgenluft * Die nimmermüden braunen Jungen Zur eig’nen schweren Arbeit ruft. O. Keller 1. He rbstgefiihle. Der Buchenwald ist herbstlich schon gerötet, So wie ein Kranker, der sich neigt zum Sterben, Wenn flüchtig noch sich seine Wangen färben; Doch Rosen sind’s, wobei kein Lied mehr flötet. Das Bächlein zieht und rieselt, kaum zu hören, Das Tal hinab, und seine Wellen gleiten, Wie durch das Sterbgemach die Freunde schreiten, Den letzten Traum des Lebens nicht zu stören. Ein trüber Wand’rer findet hier Genossen ; Es ist Natur, der auch die Freuden schwanden, 10 5 Mit seiner ganzen Schwermut einverstanden, Er ist in ihre Klagen eingeschlossen. N. Lenau. 8. Winter. Das Feld ist weiss, so blank und rein, Vergoldet von der Sonne Schein, Die blaue Luft ist stille; Hell wie Krystall Blinkt überall Der Fluren Silberhüllc. Der Lichtsrahl spaltet sich im Eis, Er flimmert blau und rot und weiss, Und wechselt seine Farbe. Aus Schnee heraus Ragt nackt und kraus Des Dorngebüsches Garbe. Von Reifenduft befiedert sind Die Zweige rings, die sanfte Wind’ Im Sonnenstrahl bewegen. Dort stäubt vom Baum Der Flocken Flaum Wie leichter Blütenregen. Tief sinkt der braune Tannenast Und drohet mit des Schnee’s Last Den Wand’rer zu beschütten; Vom Frost der Nacht Gehärtet, kracht ■ Der Weg von seinen Tritten. Das Bächlein schleicht, von Eis geengt; Voll lauter blauer Zacken hängt Das Dach; es stockt die Quelle. Im Sturze harrt, Zu Glas erstarrt, Des Wasserfalles Welle. 106 Die blaue Meise pipet laut; Der munt’re Sperling pickt vertraut Die Körner von der Scheune. Der Zeisig hüpft Vergnügt und schlüpft Durch blätterlose Haine. G. Salis 9. Hoffnung. Und dräut der Winter noch so sehr Mit trotzigen Geberden, Und streut er Eis und Schnee umher, Es muss doch Frühling werden. Und drängen die Nebel noch so dicht Sich vor den Blick der Sonne, Sie wecket doch mit ihrem Licht Einmal die Welt zur Wonne. Blast nur, ihr Stürme, bläst mit Macht, Mir soll darob nicht bangen, Auf leisen Sohlen über Nacht Kommt doch der Lenz gegangen. Da wacht die Erde grünend auf, Weiss nicht, wie ihr geschehen, Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf Und möchte vor Lust vergehen. Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar, Und schmückt sich mit Rosen und Ähren Und lässt die Brünnlein rieseln klar, Als wären es Freudenzähren. D’rum still! Und wie es frieren mag, 0 Herz, gib dich zufrieden; Es ist ein grosser Maientag Der ganzen Welt beschieden. Und wenn dir oft auch bangt und graut, Als sei die Höll’ auf Erden, 10 Nur unverzagt auf Gott vertraut! Es muss doch Frühling werden. E. Geibel. 10. Waldeinsamkeit, Deine süssen, süssen Schauer, 0 Waldesruh’, In meine Seele hauche Und träufle du! Lass mich träumen die Träume Der Jugendzeit! O Frieden, o Ruh’! komm’ über mich! Wie lieb’ ich dich, lieb’ ich dich, Waldeinsamkeit! Märzveilchen blühen, es treibt in den Bäumen, Der Frühling kam ; Es zwitschern die Yögel, die Wipfel rauschen So wundersam; 0 Schöpfungsodem, der die Brust mir Bezaubert und feit; O Frieden, o Buh’! komm über mich! Wie lieb’ ich dich, lieb’ ich dich, Waldeinsamkeit! Feierlich sonntägliche Stille Und Frühlingszeit; Kein Laut, keine Seele Weit und breit! Nur ein leiser, leiser Kummer Ist mein Geleit; —■ 0 Frieden, 0 Ruh’! komm über mich! Wie lieb’ ich dich, lieb’ ich dich, AValdeinsamkeit! H. Leuthold. 11. Morgenlled. Wer schlägt so rasch an die Fenster mir Mit schwanken, grünen Zweigen? Der junge Morgenwind ist hier, Und will sich lustig zeigen. „Heraus, heraus, du Menschensohn!“ So ruft der kecke Geselle: „Es schwärmt von Frühlingswonnen schon Tor deiner Kammerschwelle.“ „Hörst du die Käfer summen nicht? Hörst du das Glas nicht klirren, Wenn sie, betäubt von Duft und Licht, Hart an die Scheiben schwirren?“ „Die Sonnenstrahlen stehlen sich Behende durch Blätter und Ranken, Und necken auf deinem Lager dich Mit blendendem Schweben und Schwanken.“ „Die Nachtigall ist heiser fast, So lang hat sie gesungen; Und weil du sie gehört nicht hast, Ist sie vom Baum gesprungen.“ „Da schlug ich mit dem leeren Zweig An deine Fensterscheiben. Heraus, heraus in des Frühlings Reich! Er wird nicht lange mehr bleiben.“ TV. Müller. 12. Es ist so still geworden. Es ist so still geworden, Verrauscht des Abend’s Weh’n, Nun hört man allerorten Der Engel Füsse geli’n. Rings in die Tale senket Sich Finsternis mit Macht — Wirf ab, Herz, was dich kränket Und was dir bange macht! Es ruht die Weit im Schweigen, Ihr Tosen ist vorbei, ; Stumm ihrer Freude Reigen | L’nd stumm ihr Schmerzgeschrei. I Hat Rosen sie geschenket, Hat Dornen sie gebracht — Wirf ab, Herz, was dich kränket Und was dir bange macht! Und hast du heut’ gefehlet, 0 schaue nicht zurück; Empfinde dich beseelet Von freier Gnade Glück. 109 Auch des Verirrten denket Der Hirt auf hoher "Wacht — Wirf ab, Herz, was dich kränket, Hnd was dir bange macht! Nun steh’n im Himmelskreise Die Stern’ in Majestät; 13. Dev Lieblich war die Maiennacht. Silberwölklein flogen, Ob der holden Frühlingspracht Freudig hingezogen. Schlummernd lagen Wies’ und Hain, Jeder Ffad verlassen; Niemand als der Mondenscliein Wachte auf der Strassen. Leise nur das Lüftchen sprach, Und es zog gelinder Durch das stille Schlafgemach All der Frühlingskinder. Heimlich nur das Bächlein schlich, Denn der Blüten Träume Dufteten gar wonniglich Durch die stillen Bäume. Rauher war mein Postillon, Liess die Geissei knallen, Über Berg und Tal davon Frisch sein Horn erschallen. Und von flinken Rossen vier Scholl der Hufe Schlagen, Die durchs blühende Revie:' Trabten mit Behagen. In gleichem festem Gleise i Der gold’ne Wagen geht. | Und gleich den Sternen lenket Er deinen Weg durch Nacht — Wirf ab, Herz, was dich kränket Und was dir bange macht!, , * G. Kinkel. Wald und Flur im schnellen z ug, Kaum gegriisst — gemieden; Und vorbei, wie Traumesflug, Schwand der Dörfer Frieden. Mitten in dem Maienglück Lag ein Kirchhof innen, Der den raschen Wanderblick Hielt zu ernstem Sinnen. Hingelehnt an Bergesrand War die bleiche Mauer, Und das Kreuzbild Gottes stand Hoch in stummer Trauer. Schwager ritt auf seiner Bahn Stiller jetzt und trüber; Und die Rosse hielt er an, Sah zum Kreuz hinüber: „Halten muss hier Ross und Rad, Mag’s euch nicht gefährden: Drüben liegt mein Kamerad In der kühlen Erden! „Ein gar herzlieber Gesell! Herr, ’s ist ewig Schade! Keiner blies das Horn so hell,. Wie mein Kamerade! 110 „Hier ich immer halten muss, Dem dort unterm Rasen Zum getreuen Brudergruss Sein Leiblied zu blasen.“ Und dem Kirchhof sandt’ er zu Frohe Wandersänge, Dass es in die Grabesruh’ Seinem Bruder dränge. Und des Hornes heller Ton Klang vom Berge wieder, Ob der tote Postillon Stimmt in seine Lieder. — Weiter ging’s durch Feld und Hag Mit verhängtem Zügel; Lang mir noch im Ohre lag Jener Klang vom Hügel. N. Lenau. 14. Einsam. Einsam wandle deine Bahnen, Stilles Herz, und unverzagt! Viel erkennen, vieles ahnen Wirst du, was dir Keiner sagt. Wo in stürmischem Gedränge Kleines Yolk um Kleines schreit, Da erlauschest du Gesänge, Siehst die Welt du gross und weit. Andern lass den Staub der Strasse, Deinen Geist halt’ frisch und blank. Spiegel sei er, wie die Meerflut, D’rein die Sonne niedersank. Einsam aus des Tages Lärmen Adler in die Höhen schweift, Storch und Kranich fliegt in Schwärmen, Doch ihr Flug die Erde streift. Einsam wandle deine Bahnen, Stilles Herz, und unverzagt! Viel erkennen, vieles ahnen Wirst du, was dir Keiner sagt. Aus den „Liedern des stillen Mannes 4 im „Trompeter von Säckingen“ v. J. V. Scheffel. 1 15. Das Meer. Wir sassen am Fischerhause, Und schauten nach der See: Die Abendnebel kamen, Und stiegen in die Höh’. Im Leuclitturm wurden die Lichter Allmälig angesteckt, Und in der weiten Ferne Ward noch ein Schiff entdeckt. Wir sprachen von Sturm und Schiffbruch, Yom Seemann, und wie er lebt, Und zwischen Himmel und Wasser Und Angst und Freude schwebt. Wir sprachen von fernen Küsten, Yom Süden und vom Nord, Und von den seltsamen Völkern Und seltsamen Sitten dort.. Am Ganges duftet’s und leuchtet'», Und Riesenbäume blüh’n, Und schöne stille Menschen Yor Lotosblumen knien. In Lappland sind schmutzige Leute, Plattköpfig, breitmäulig und klein; Sie kauern ums Feuer, und backen Sich Fische, und quäken und schrei’n. Die Mädchen horchten ernsthaft, Und endlich sprach niemand mehr; Das Schiff war nicht mehr sichtbar, Es dunkelte gar zu sehr. H. Heine 16. Aufmunterung zur Freude. Wer wollte sich mit Grillen plagen, So lang uns Lenz und Jugend blüh’n? 112 Wer wollt’ in seinen Blütentagen Die Stirn’ in diist’re Falten zieh’n? Die Freude winkt auf allen Wegen, Die durch dies Pilgerleben geh’n; Sie bringt uns selbst den Kranz entgegen, Wann wir am Scheidewege steh'n. Koch rinnt und rauscht die Wiesenquelle, Noch ist die Laube kühl und grün, iS och scheint der liehe Mond so helle, Wie er durch Adams Bäume schien. • Noch tönt der Busch voll Nachtigallen Dem Jüngling hohe Wonne zu, Noch strömt, wenn ihre Lieder schallen, Seihst in zerriss’ne Seelen Ruh’. 0 wunderschön ist Gottes Erde, Und wert, darauf vergnügt zu sein! D’rum will ich, bis ich Asche werde, Mich dieser schönen Erde freu’n! Hölty 17. Jugendzeit. Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit, Klingt ein Lied mir immerdar; 0 wie liegt so -weit, o wie liegt so weit, Was mein einst war! Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang, Die den Herbst und Frühling bringt; Ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang, Das jetzt noch klingt? „Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, Waren Kisten und Kasten schwer; Als ich wieder kam, als ich wieder kam, War alles leer.“ 0 du Kindermund, o du Kindermund, Unbewusster Weisheit froh, 113 Yogelsprachekund, Yogelsprachekund, Wie Salomo! 0 da Heimatflur, o du Heimatflur, Lass zu deinem sel’gen Raum Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur Entflieh’n im Traum! Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, W ar die Welt mir voll so sehr; Als ich wieder kam, als ich wieder kam, War alles leer. Wohl die Schwalbe kehrt’, wohl die Schwalbe kehrt’, Und der leere Kasten schwoll; Ist das Herz geleert, ist das Herz geleert, Wird’s nicht mehr voll. Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt Dir zurück, wonach du weinst; Doch die Schwalbe singt, doch die Schwalbe singt Im Dorf wie einst: „Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, W aren Kisten und Kasten schwer; Als ich wieder kam, als ich wieder kam, War alles leer!“ Fr. Rück er t. 18. Lied eines Landmaimes in der Fremde. Traute Heimat meiner Lieben, Sinn’ ich still an dich zurück, Wird’s mir wohl, und dennoch trüben Sehnsuchtstränen meinen Blick. Stiller Weiler, grün umfangen Yom beschirmenden Gesträuch, Kleine Hütte, voll Verlangen Denk’ ich immer noch aii euch. An die Fenster, die mit Reben ■ Einst mein Vater selbst umzog; S 114 An den Birnbaum, der daneben Auf das nied’re Dach sich bog; An die Stauden, wo ich Meisen Im Hollunderkasten fing; An des stillen Weihers Schleusen, Wo ich Sonntags fischen ging. Was mich dort als Kind erfreute, Kommt mir wieder leibhaft vor; Das bekannte Dorfgeläute Widerhallt in meinem Ohr. Selbst des Nachts in meinen Träumen Schiff" ich auf der Heimat See; Schüttle Äpfel von den Bäumen, Wäss’re ihrer Wiesen Klee; Lösch’ aus ihres Brunnens Böhren Meinen Durst an schwülem Tag, Pflück’ im Walde Heidelbeeren, Wo ich einst im Schatten lag. Wann erblick’ ich selbst die Linde, Auf den Kirchenplatz gepflanzt, Wo, gekühlt im Abendwinde, Unsre frohe Jugend tanzt ? Wann des Kirchturms Giebelspitze, Halb im Obstbaumwald versteckt, Wo der Storch auf hohem Sitze Friedlich seine Jungen heckt? Traute Heimat meiner Väter, Wird bei deines Friedhofs Tür Nur einst, früher oder später, Auch ein Buheplätzchen mir? G. Salis 19. In der Fremde. Oft liab’ ich dich rauh gescholten, Muttersprache, so vertraut! 115 Höher hatte mir gegolten Südlicher Sirenenlaut. Und nun irr’ ich in der Ferne Freudenlos von Ort zu Ort, Und vernahm’, ach wie so gerne, Nur ein einzig deutsches Wort. Manches regt sich mir im Innern, Doch wie schaff ich hier ihm Luft? All mein kindliches Erinnern Findet in mir seine Gruft. Einsam schweif ich in die Felder, Such’ ein Echo der Natur; Aber Bäche, Winde, Wälder Rauschen fremd auf dieser Flur. Unverstanden, unbeachtet, Wie mein deutsches Lied verhallt, Bleibt es, wann mein Busen schmachtet, Und in bangem Sehnen wallt. W. Schlegel. 20. 0 lieb’, so lang du lieben kannst! 0 lieb’, so lang du lieben kannst ! 0 lieb’, so lang du lieben magst! Die Stunde kommt’, die Stunde kommt, Wo du an Gräbern stehst und klagst. Und sorge, dass dein Herze glüht Und Liebe hegt und Liebe trägt, So lang ihm noch ein andres Herz In Liebe warm entgegenschlägt. Und wer dir seine Brust erschliesst, D tu’ ihm, was du kannst, zu lieb, Und mach’ ihm jede Stunde froh, Und mach’ ihm keine Stunde trüb. Und hüte deine Zunge wohl! Bald ist ein böses Wort gesagt. 116 0 Gott, es war nicht bös gemeint — Der andre aber geht und klagt. 0 lieb’, so lang du lieben kannst! 0 lieb’, so lang du lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Wo du an Gräbern stehst und klagst. Dann kniest du nieder an der Gruft Und birgst die Augen trüb und nass, — Sie sehn den andern nimmermehr — Ins lange, feuchte Kirchhofgras. Und sprichst: „0 schau auf mich herab, Der hier an deinem Grabe weint! Vergib, dass ich gekränkt dich hab’ — 0 Gott, es war nicht bös gemeint.“ Er aber sieht und hört dich nicht, Kommt nicht, dass du ihn froh umfängst, Der Mund, der oft dich küsste, spricht Nie wieder: „Ich vergab dir längst.“ Er tat’s, vergab dir lange schon, Doch manche heisse Träne fiel Um dich und um dein herbes Wort — Doch still, er ruht, er ist am Ziel. 0 lieb’, so lang du lieben kannst! 0 lieb’, so lang du lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Wo du an Gräbern stehst und klagst. F. Freiligrath 21. An meine Mutter. Ich bin’s gewohnt, den Kopf recht hoch zu tragen, Mein Sinn ist auch ein bisschen starr und zähe; Wenn selbst der König mir ins Antlitz sähe, Ich würde nicht die Augen niederschlagen. Doch, liebe Mutter, offen will ich’s sagen : Wie mächtig auch mein stolzer Mut sich blähe, 117 In deiner selig süssen, trauten Nähe Ergreift mich oft ein demutvolles Zagen. Ist es dein Geist, der heimlich mich bezwinget, Dein hoher Geist, der alles kühn durchdringet, Und blitzend sich zum Himmelslichte schwinget? Quält mich Erinnerung, dass ich verübet So manche Tat, die dir das Herz betrübet, Das schöne Herz, das mich so sehr geliebet? H. Heine. 22. An (las Vaterland. 0 mein Heimatland! 0 mein Vaterland! Wie so innig, feurig lieb’ ich dich! Schönste Ros', ob jede mich verblich, Duftest noch an meinem öden Strand! Als ich arm, doch froh, fremdes Land durchstrich, Königsglanz mit deinen Bergen mass, Tronenflitter bald ob dir vergass, Wie war da der Bettler stolz auf dich! Als ich fern dir war, o Helvetia! Fasste manchmal mich ein tiefes Leid; Doch wie kehrte schnell es sich in Freud’, Wenn ich einen deiner Söhne sah! , 0 mein Schweizerland, all’ mein Gut und Hab’! Wann dereinst die letzte Stunde kommt, Ob ich Schwacher dir auch nichts gefrommt, Nicht versage mir ein stilles Grab! Werf ich von mir einst dies mein Staubgewand, Beten will ich dann zu Gott dem Herrn: „Lasse strahlen deinen schönsten Stern Nieder auf mein irdisch Vaterland!“ 0. Keller. 23. Hoffnung. Es reden und träumen die Menschen viel Von bessern künftigen Tagen; 118 Nach einem glücklichen, goldenen Ziel Sieht man sie rennen und jagen. Die Welt wird alt und wieder jung, Doch der Mensch hofft immer Yerbesserung! Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein, Sie umflattert den fröhlichen Knaben, Den Jüngling locket ihr Zauberschein, Sie wird mit dem Greis nicht begraben: Denn beschliesst er am Grabe den müden Lauf, Noch am Grabe pflanzt er — die Hoffnung auf. Es ist kein leerer, schmeichelnder Wahn, Erzeugt im Gehirne des Toren, Im Herzen kündet es laut sich an, Zu was Besserm sind wir geboren: Und was die innere Stimme spricht, Das täuscht die hoffende Seele nicht. Fr. Schiller. 24. Löwenritt. Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen, Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen. Wo Gazellen und Giraffen trinken, kauert er im Rohre, Zitternd über dem Gewalt’gen rauscht das Laub der Sycomore. Abends, wenn die hellen Feuer gltih'n im Hottentottenkraale, Wenn des jähen Tafelberges bunte, wechselnde Signale Nicht mehr glänzen, wenn der Kaffer einsam schweift durch die Ivaroo, Wenn im Busch die Antilope schlummert, und am Strom das Gnu: Sieh’, dann schreitet majestätisch durch die Wüste die Giraffe, Dass mit der Lagune trüben Fluten sie die heisse, schlaffe Zunge kühle; lechzend eilt sie durch der Wüste nackte Strecken, Knieend schlürft sie langen Halses aus dem schlammgefüllten Becken. 119 Plötzlich regt es sich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken Springt der Löwe; welch’ ein Reitpferd! Sah man reichere Schabracken In den Marstallkammern einer königlichen Hofburg liegen, Als das bunte Fell des Renners, den der Tiere Fürst bestiegen? In die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne; Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne; Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes springt es auf und flieht gepeinigt! Sieh, wie Schnelle des Kameles es mit Pardelhaut vereinigt. Sieh, die mondbestrahlte Fläche schlägt es mit den leichten Füssen! Starr aus ihrer Höhlung treten seine Augen; rieselnd fliessen An dem braungefleckten Halse nieder schwarzen Blutes Tropfen, Und das Herz des flücht’gen Tieres hört die stille Wüste klopfen. Gleich der Wolke, deren Leuchten Israel im Lande Yemen Führte, wie ein Geist der Wüste, wie ein fahler, luft’ger Schemen, Eine sandgeformte Trombe in der Wüste sand’gem Meer, Wirbelt eine gelbe Säule Sandes hinter ihnen her. Ihrem Zuge folgt der Geier, krächzend schwirrt er durch die Lüfte; Ihrer Spur folgt die Hyäne, die Entweiherin der Grüfte; Folgt der Panther, der des Kaplands Hürden räuberisch verheerte; Blut und Schweiss bezeichnen ihres Königs grausenvolle Fährte. Zagend auf lebend’gem Trone seh’n sie den Gebieter sitzen, Und mit scharfer Klaue seines Sitzes bunte Polster ritzen; Rastlos, bis die Kraft ihr schwindet, muss ihn die Giraffe tragen; Gegen einen solchen Reiter hilft kein Bäumen und kein Schlagen. Taumelnd an der Wüste Saume stürzt sie hin und röchelt leise. Tot, bedeckt mit Staub und Schaume, wird das Ross des Reiters Speise. Über Madagaskar, fern im Osten, sieht man Frühlicht glänzen; — So durchsprengt der Tiere König nächtlich seines Reiches Grenzen. Ferd. Freiligrath. 120 25. Die Schweiz. Sollt auf das Land hernieder, von hoher Felsenwand! Da liegt’s, gleich einem Buche, geschrieben von Gottes Hand; Die Berge sind die Lettern, das Blatt die grüne Trift, Sankt Gotthard ist ein Punkt nur in dieser Riesenschrift. Sollt dort den mächt’gen Felsberg! Der Mönch heisst er im Land, — Der freie Aar umkreist ihm der kahlen Stirne Rand; Fels ist die graue Kutte, Schnee seines Scheitels Zier, > D as Weltall seine Zelle, das Sternzelt sein Brevier. Seht, dort im weissen Schleier aufragt der Jungfrau Haupt! i Als Bräut’gam hat ihr der Morgen mit Rosen die Stirn’ umlaubt; Sie hat mit bunten Blumen gestickt das grüne Gewand, D’ran spielen rauschende Quellen ein flatternd Silberband. Ob ihr wölbt sich die Kuppel, der Lüfte blauer Strom, Der spitzen Gletscher Reihe rings scheint die Orgel im Dom ; Fürwahr, mich däucht, wo Jungfrau und Orgel zusammen kam, Blieb’ da Musik und Sang aus, das wäre wundersam. Horch, wie ihr Lied an Herzen so herrlich, kräftig pocht! Freiheit, Freiheit! so singt sie, dass jeglich Herzblut kocht; Beim Himmel, niemals sangen der Erde Töchter so schön, Es müssen Gottes Engel im Chore sie umsteh’n! rm Schweizerland, da springen die Quellen frei empor, Frei schweben die segelnden Wolken und singender Vögel Chor, Frei blickt vom Firn die Gemse auf schlagende Wetter herab, Und freie Weste flüstern um freier Helden Grab. Viel tausend Schweizer stehen auf hoher Alpenwand, Sie schau’n ins Land hernieder und drücken Hand in Hand, Und schwören, in Tod und Jjeben zu stehen kühn und treu, Und schwören, in Tod und Leben zu bleiben stark und frei. A. Grün. 2(5. Die Auswanderer. Ich kann den Blick nicht von euch wenden; Ich muss euch anschau'n immerdar: Wie reicht ihr mit geschäft’gen Händen Dem Schiffer eure Habe dar! Ihr Männer, die ihr von dem Hacken Die Körbe langt, mit Brot beschwert, Das ihr, aus deutschem Korn ge backen, Geröstet habt auf deutschem Herd; Und ihr, im Schmuck der langen Zöpfe, Ihr Schwarzwaldmädchen, braun und schlank, Wie sorgsam stellt ihr Krüg’ und Töpfe Auf der Schaluppe grüne Bank! Das sind dieselben Töpf und Krüge, Oft an der Heimat Born gefüllt! Wenn am Missouri alles schwiege, Sie malten euch der Heimat Bild. Des Dorfes steingefasste Quelle, Zu der ihr schöpfend euch gebückt, Des Herdes traute Feuerstelle, Das Wandgesims, das sie geschmückt. Bald zieren sie im fernen Westen Des leichten Bretterhauses Wand; Bald reicht sie müden, braunen Gästen, Yoll frischen Trunkes, eure Hand. Es trinkt daraus der Tscherokese, Ermattet, von der Jagd bestaubt; Hiebt mehr von deutscher Rebenlese Tragt ihr sie heim, mit Grün belaubt. 0 sprecht! warum zogt ihr von dannen ? Das Keckartal hat Wein und Korn; Der Schwarzwald steht voll finst’rer Tannen, Im Spessart klingt des Älplers Horn. Wie wird es in den fremden Wäldern Euch nach der Heimat Berge Grün, Hach Deutschland^ gelben Weizenfeldern, Nach seinen Rebenhügeln zieh’n! 122 Wie wird das Bild der alten Tage Durch eure Träume glänzend weh’n! Gleich einer stillen, frommen Sage Wird es vor eurer Seele steh’n. Der Bootsmann winkt! — Zieht hin in Frieden! Gott schütz’ euch, Mann und Weib und Greis! Sei Freude eurer Brust beschieden, Und euren Feldern Reis und Mais! F. Freiligrath. 27 . Bas emsige Völklein. Ich schlenderte jüngsthin durch wallendes Gras Auf menschenverlassenen Wegen, Und träumte mir dies und träumte mir das, Wie sorglose Dichter es pflegen. Da zeigt’ mir der Zufall ein Ameisennest, Durchwimmelt von emsigen Scharen. 0 Freunde! das war nun ein eigenes Fest, Das Treiben des Volks zu gewahren. Das trippelt, das zappelt hinein und hinaus Mit Körnern und Reisern beladen. Der eine weicht höflich dem andern aus Auf vielfach verschlungenen Pfaden. Hier schleppt das gewaltige Baumblatt ein Paar, Sie bringen es kaum von der Stelle — Dort schafft an dem Haus, dem geräumigen, gar Der Meister, mit ihm der Geselle. Dort fördert mit wankendem Schritte ein Zug Die Leiche zum sandigen Grabe; Ein and’rer verbirgt dort die Eier gar klug, Ein and’rer versteckt seine Habe. 0 wehe! dort stürzt ein Mauerwerk ein! Nun rüstet sich alles zum Bauen; Sie schütteln die Köpfe; es zappelt das Bein; Kaum mochte dem Blicke ich trauen. 123 Tn mir aber klang's: „Vereinigt die Kraft Und nehmt von der Ameise Kunde; Denn was ihr vereinzelt wohl ewig nicht schafft, Gelingt euch in fröhlichem Bunde.“ G. Morel. 28. Die Macht des Gesanges. Ein Kegenstrom aus Felsenrissen, Er kommt mit Donners Ungestüm, Bergtrümmer folgen seinen Güssen, Und Eichen stürzen unter ihm; Erstaunt, mit wollustvollem Grausen, Hört ihn der Wanderer und lauscht, Er hört die Flut vom Felsen brausen, Doch weiss er nicht, woher sie rauscht: So strömen des Gesanges Wellen Hervor aus nie entdeckten Quellen. Verbündet mit den furchtbar’n Wesen, Die still des Lebens Faden dreh’n, Wer kann des Sängers Zauber lösen, Wer seinen Tönen widersteh’n? Wie mit dem Stab des Götterboten Beherrscht er das bewegte Herz: Er taucht es in das Reich der Toten, Er hebt es staunend himmelwärts Und wiegt es zwischen Ernst und Spiele Auf schwanker Leiter der Gefühle. Wie wenn auf einmal in die Kreise Der Freude, mit Gigantenschi'itt, Geheimnisvoll, nach Geisterweise, Ein ungeheures Schicksal tritt; Da beugt sich jede Erdengrösse Dem Fremdling aus der andern Welt, Des Jubels nichtiges Getöse Verstummt, und jede Larve fällt, Und vor der Wahrheit mächt’gem Siege Verschwindet jedes Werk der Lüge. 124 So rafft von jeder eiteln Bürde, Wenn des Gesanges Ruf erschallt, Der Mensch sich auf zur Geisterwürde Und tritt in heilige Gewalt; Den hohen Göttern ist er eigen, Ihm darf nichts Irdisches sich nali’n, Und jede and’re Macht muss schweigen, Und kein Verhängnis fällt ihn an; Es schwinden jedes Kummers Kalten, So lang des Liedes Zauber walten. Und wie nach hoffnungslosem Sehnen, Rach langer Trennung bitterm Schmerz, Ein Kind mit heissen Reuetränen Sich stürzt an seiner Mutter Herz: So führt zu seiner Jugend Hütten, Zu seiner Unschuld reinem Glück, Vom fernen Ausland fremder Sitten Den Flüchtling der Gesang zurück, In der Natur getreuen Armen Von kalten Regeln zu erwärmen. Fr. Schiller 20. Der Vesuv im Dezember 1830. Schön und glanzreich ist des bewegten Meeres Wellenschlag, wann tobenden Lärms es anbraust; Doch dem Feu’r ist kein Element vergleichbar, Weder an Allmacht, Noch an Reiz fürs Auge. Bezeug’ es jeder, Der zum Rand abschüssiger Kratertiefe, Während Nacht einhüllt die Natur, mit Vorwitz Staunend emporklimmt, Wo im Sturmschritt rollender Donner machtvoll Aus dem anwuchsdrohenden, steilen Kegel Fort und fort auffahren in gold’ner Unzahl Flammige Steine, 125 Deren Wucht durch Gluten und Dampf geschleudert, Bald umher auf aschige Höh’n Rubine Reichlich sät, bald auch von des Kraters schroffen Wänden hinabrollt, Während still aus nächtlichem Grund die Lava Quillt. — Des Rauchs tiefschattige Wolk’ umdiistert, Holder Mond, dein ruhiges, friedenreiches, Silbernes Antlitz. A. Platen. 30. Das Landleben. Wunderseliger Mann, welcher der Stadt entfloh! Jedes Säuseln des Baums, jedes Geräusch des Bachs, Jeder blinkende Kiesel Predigt Tugend und Weisheit ihm. Jedes Schattengesträuch ist ihm ein heiliger Tempel, wo ihm sein Gott näher vorüber wallt; Jeder Rasen ein Altar, Wo er vor dem Erhabenen kniet. Seine Rachtigall tönt Schlummer herab auf ihn, Seine Kachtigall weckt flötend ihn wieder auf, AYenn das liebliche Frührot Durch die Bäum’ auf sein Bette scheint. Dann bewundert er dich, Gott, in der Alorgenflur, In der steigenden Pracht deiner Verkünderin, Deiner herrlichen Sonne, Dich im AVurm und im Knospengezweig; Ruht im wehenden Gras, wann sich die Kühl’ ergiesst, Oder strömet den Quell über die Blumen aus; Trinkt den Atem der Blüte, Trinkt die Milde der Abendluft. Sein bestrohetes Dach, wo sich das Taubenvolk Sonnt und spielet und hüpft, winket ihm siiss’re Rast, 126 Als dem Städter der Goldsaal, Als der Polster der Städterin. Und der spielende Trupp schwirret zu ihm herab, Gurrt und säuselt ihn an, flattert ihm auf den Korb, Picket Krumen und Erbsen, Picket Körner ihm aus der Hand. Wunderseliger Mann, welcher der Stadt entfloh! Engel segneten ihn, als er geboren ward, Streuten Blumen des Himmels Auf die Wiege des Knaben aus! Hölty. 31. Im Wald. Arm in Arm und Krön’ an Krone steht der Eichenwald verschlungen, Heut’ hat er bei guter Laune mir sein altes Lied gesungen. Fern am Hand fing eine junge Eiche an sich sacht zu wüegen, Und dann ging es immer weiter an ein Sausen, an ein.Biegen; Kam es her in mächt’gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen, Hoch sich durch die Wipfel wälzend kam die Sturmesflut gezogen. Und nun sang und pfiff es graulich in den Kronen, in den Lüften, Und dazwischen knarrt’ und dröhnt es unten in den Wurzel- grüften. Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine, Donnernder erscholl nur immer d’rauf der Chor vom ganzen Haine. Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen, Alles Laub war weisslich schimmernd nach Kordosten hingestrichen. Also streicht die alte Geige Pan der Alte laut und leise, Unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise. In den sieben Tönen schweift er unerschöpflich auf und nieder, In den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder, 127 Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken, Kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken. G. Keller, 32. Rückkehr in die Heimat. Ihr milden Lüfte, Boten Italiens! Und du mit deinen Pappeln, geliebter Strom! Ihr wogenden Gebirg’! o all’ ihr Sonnigen Gipfel! so seid ihr’s wieder. Du stiller Ort! In Träumen erschienst du fern, Nach hoffnungslosem Tage dem Sehnenden, Und du, mein Haus, und ihr Gespielen, Bäume des Hügels, ihr wohlbekannten! Wie lang ist’s, o wie lange ! Des Kindes Ruh’ Ist hin, und hin ist Jugend und Lieb’ und Glück, — Doch du, mein Yaterland, du heilig Duldendes, siehe, du bist geblieben! Und darum, dass sie dulden mit dir, mit dir Sich freuen, erziehst du, teures! die Deinen auch, Und mahnst in Träumen, wenn sie ferne Schweifen und irren, die Ungetreuen. Und wenn im heissen Busen dem Jünglinge Die eigenmächt’gen Wünsche besänftiget Und stille vor dem Schicksal sind, dann Gibt der Geläuterte dir sich lieber. Lebt wohl denn, Jugendtage, du Rosenpfad Der Lieh’, und all’ ihr Pfade des Wanderers, Lebt wohl! Und nimm und segne du mein Leben, o Himmel der Heimat, wieder. F. Hölderlin, 33. Das Negenveib. Wo am grossen Strom die Sicheln durch das hohe Rohrfeld klirren, Und im Laub des Zuckerahorns farb’ge Papageien schwirren, 128 Sitzt das Negerweib, den Nacken buntgeziert mit Glaskorallen, Und dem Knäblein auf dem Schosse lässt ein Schlummerlied sie schallen: Schlaf, o schlaf, mein schwarzer Knabe, du zum Jammer mir geboren, Eh’ zu leben du beginnest, ist dein Leben schon verloren. Schlaf, o schlaf, verhüllt in Dunkel ruh’n dir noch der Zukunft Schrecken, Nur zu früh aus deinen Träumen wird der Grimm des Herrn dich wecken. Was die Menschen Freude heissen, wirst du nimmermehr empfinden, Dort nur fühlt sich's, wo des Nigers Wellen durch die Flur sich winden. Nie den Tiger wirst du fällen mit dem Wurf der scharfen Lanzen, Nie den Feigen deiner Väter z* dem Schlag der Pauke tanzen. Nein, dein Tag wird sein voll Tränen, deine Nacht wird sein voll Klagen, Wie das Tier des Feldes wirst du stumm das Joch der Weissen tragen, Wirst das Holz den Weissen fällen und das Rohr den Weissen schneiden, Die von unserm Marke prassen und in unsern Schweiss sich kleiden. Kluge Männer sind die Weissen, sie durchfahren kühn die Meere, Blitz sglut und Schall des Donners schläft in ihrem Jagdgewehre ; Ihre Mühlen, dampfgetrieben, regen sich mit tausend Armen, Aber ach, bei ihrer Klugheit wohnt im Herzen kein Erbarmen. Oftmals hört’ ich auch die Stolzen sich mit ihrer Freiheit brüsten, Wie sie kühn vom Mutterlande losgerissen diese Küsten. Aber über jenen Edlen, der mit Mut das Wort gesprochen, Dass die Schwarzen Menschen wären, haben sie den Stab gebrochen. 129 Süss erklinget ihre Predigt, wie ein Gott für sie gestorben, Und durch solches Liebesopfer aller Welt das Heil erworben; Doch wie soll das Wort ich glauben, wohnt es nicht in ihren Seelen ? Ist denn das der Sinn der Liebe, dass sie uns zu Tode quälen? 0 du grosser Geist, was taten meines armen Stamm’s Genossen, Dass du über uns die Schalen deines Zornes ausgegossen! Sprich, wann wirst du mild dein Auge aus den Wolken zu uns wenden ? Sprich, o sprich, wann wird der Jammer deiner schwarzen Kinder enden ? Ach, das mag geschehen, wenn der Mississippi rückwärts fliesset, Wenn an hoher Baumwollstaude dunkelblau die Blüte spriesset, Wenn der Alligator friedlich schlummert bei den Büffelherden, W'enn die weissen, freien Pflanzer, wenn die Christen Menschen werden. E. Geibel. 34. Hymnus auf Gott. Er ist so fern, dass, wenn du Adlerflügel an dich nähmest und in die Himmel flög’st von Stern zu Stern, du seinem Trone doch nicht näher kämest. Er ist so nah, dass, streckst du nur die Hand nach einer Blume, nach einer Frucht, so ist er plötzlich da und wird dir zum Besitz und Eigentume. Er ist so stark, dass, wenn er haucht, Gebirg’ und Wald zer-. splittern, dass selbst der Erdball bis ins tiefste Mark vor seinen Atemzügen muss erzittern. Er ist so mild, dass, wenn sein Atem durch die Fluren säuselt, sich kaum im unermesslichen Gefild ein Blatt nur rührt, und eine Welle kräuselt. 9 180 Er ist so gross, dass ihm die weite Erde nicht zu weit ist, dass der breite, unbegrenzte Schoss des ganzen Alls und Weltalls nicht zu breit ist. Er ist so klein, dass, in das Herz des Menschen eingelassen, ihn dieser kleine, kleine Herzensschrein vermag in seiner Ganzheit zu umfassen. H. Margraff. 35. Die Worte des Glaubens. Drei Worte nenn’ ich euch inhaltschwer, Sie gehen von Munde zu Munde, Doch stammen sie nicht von aussen her; Das Herz nur gibt davon Kunde. Dem Menschen ist aller Wert geraubt, Wenn er nicht mehr an die drei Worte glaubt. Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, Dnd würd’ er in Ketten geboren, Lasst euch nicht irren des Pöbels Geschrei, Nicht den Missbrauch rasender Toren! Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht, Vor dem freien Menschen erzittert nicht! Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall, Der Mensch kann sie üben im Leben, Und sollt’ er auch straucheln überall, Er kann nach der göttlichen streben, Und was kein Verstand der Verständigen sieht, Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt. Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt, Wie auch der menschliche wanke; Hoch über der Zeit und dem Raume webt Lebendig der höchste Gedanke, Und ob alles in ewigem Wechsel kreist, Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist. Die drei Worte bewahret euch, inhaltschwer, Sie pflanzet von Munde zu Munde, 13 U Und stammen sie gleich nicht von aussen her, Euer Inn’res gibt davon Kunde. Dem Menschen ist nimmer sein Wert geraubt, So lang er noch an die drei Worte glaubt. Fr. Schiller. 36. Ein schneller Reiter. Der schnellste Reiter ist der Tod: Er überreitet das Morgenrot, Des Wetters rasches Blitzen; Sein Ross ist fahl und ungeschirrt, Die Senne schwirrt, der Pfeil erklirrt Und muss im Herzen sitzen. Durch Stadt und Dorf, über Berg und Tal, Im Morgenrot, im Abendstrahl Geht’s fort in wildem Jagen, Und wo er floh mit Ungestüm, Da schallen die Glocken hinter ihm, Und Grabeslieder klagen. Er tritt herein in den Prunkpalast; Da wird so blass der stolze Gast Und lässt von Wein und Buhle; Er tritt zum lustigen Hochzeitsschmaus, Ein Windstoss löscht die Kerzen aus, Bleich lehnt die Braut im Stuhle. Dem Schöffen blickt er ins Gesicht, Der just das weisse Stählein bricht; Da sinkt’s ihm aus den Händen; Ein Mägdlein Mündet Blüt’ und Klee, Er tritt heran; ihr wird so weh — Wer mag den Strauss vollenden? D’rum sei nicht stolz, o Menschenkind! Du hist dem Tod wie Spreu im Wind, Und magst du Kronen tragen. Der Sand verrinnt, die Stunde schlägt, 132 > Und eh’ ein Hauch dies Blatt bewegt, Kann auch die deine schlagen: E. Geihel 37. An einem Grabe. AVer den wucht’gen Hammer schwingt; Wer im Felde mäht die Ähren; Wer ins Mark der Erde dringt, Weib und Kinder zu ernähren; Wer stroman den Hachen zieht; Wer bei Weil’ und Werg und Flachse Hinterm Webestuhl sich müht, Dass sein blonder Junge wachse: —• Jedem Ehre, jedem Preis! Ehre jeder Hand voll Schwielen! Ehre jedem Tropfen Schweiss, Der in Hütten fallt und Mühlen! Ehre jeder nassen Stirn Hinteim Pfluge! — doch auch dessen, Der mit Schädel und mit Hirn Hungernd pflügt, sei nicht vergessen! Ob in enger Bücherei Dunst und Moder ihn umstäube ; Ob er Sklav’ der Messe sei, Lieder oder Dramen schreibe ; Ob er um verruchten Lohn Fremden Ungeschmack vertire; Ob er in gelehrter Frohn Griechisch und Latein dozire: Er auch ist ein Proletar! Ihm auch heisst es: „Darbe! borge!“ Ihm auch bleicht das dunkle Haar, Ihn auch hetzt ins Grab die Sorge! — Mit dem Zwange, mit der Hot Wie die andern muss er ringen, Und der Kinder Schrei nach Brot Lähmt auch ihm die freien Schwingen! Manchen hab’ ich so gekannt! Nach den Wolken flog sein Streben: — Tief im Staube von der Hand In den Mund doch musst’ er leben! Eingepfercht und eingedornt, Ächzt’ er zwischen Tür’ und Angel; Der Bedarf hat ihn gespornt, Und gepeitscht hat ihn der Mangel. Also schrieb er Blatt auf Blatt, Bleich und mit verhärmten Wangen, Während draussen Blum’ und Blatt Sich im Morgenwinde schwangen. Nachtigall und Drossel schlug, Lerche sang und Habicht kreiste: — Er hing über seinem Buch, Tagelöhner mit dem Geiste! Dennoch, ob sein Herz auch schrie, Blieb er tapfer, blieb ergeben: „Dieses auch ist Poesie, Denn es ist das Menschenleben!“ Und wenn gar der Mut ihm sank, Hielt er fest sich an dem Einen: „Meine Ehre wahrt’ ich blank; Was ich tu’, ist für die Meinen!“ Endlich liess ihn doch die Kraft! Aus sein Hingen, aus sein Schaffen! Nur zuweilen, fieberhaft, Könnt’ er noch empor sich raffen! Nachts oft von der Muse Kuss Fühlt er seine Schläfe pochen; Frei dann flog der Genius, Den des Tages Drang gebrochen! 134 Lang jetzt ruht er unterm Rain, D’rauf im Gras die Winde wühlen; Ohne Kreuz und ohne Stein Schläft er aus auf seinen Pfühlen. Rotgeweinten Angesichts Irrt sein Weib und irrt sein Samen — Bettlerkinder erben nichts, Als des Vaters reinen Namen! Ruhm und Ehre jedem Fleiss! Ehre jeder Hand voll Schwielen! Ehre jedem Tropfen Schweiss, Der in Hütten fällt und Mühlen! Ehre jeder nassen Stirn Hinterm Pfluge! Doch auch dessen, Der mit Schädel und mit Hirn Hungernd pflügt, sei nicht vergessen! F. Freiligrath. 38. Der letzte Krieg. AVer seine Hände falten kann, Bet’ um ein gutes Schwert, Um einen Helden, einen Mann, Den Gottes Zorn bewehrt! Ein Kampf muss uns noch werden, Und d’rin der schönste Sieg, Der letzte Kampf auf Erden, Der letzte heil’ge Krieg. Herbei, herbei, ihr Völker all’ Um unser Schlachtpanier! Die Freiheit ist jetzt Feldmarschall, Und „Vorwärts“ heissen wir. Der Zeiger weist die Stunde, 0 flieg, mein Polen flieg, Mit jedem Stern im Bunde, Voran zum heil’gen Krieg! 135 Ja, vorwärts, bis der Morgen blinkt, Ja, vorwärts, frisch und froh! Vorwärts, bis hinter uns versinkt Die Brut des Pharao! Er wird auch für uns sprechen, Der Herr, der für uns schwieg, Und unsre Ketten brechen Im letzten heil’gen Krieg. 0 walle hin, du Opferbrand, Hin über Land und Meer, Und schling ein einig Feuerband Um alle Völker her: So wird er uns beschieden, Der grosse, grosse Sieg, Der ew’ge Völkerfrieden, — Frisch auf, zum heil’gen Krieg! G. Herwegh. 39. Zuruf. Schaut der Sonne Aufersteh’n! Strahlend blickt sie in die Hunde, Strahlend, wie zur ersten Stunde, Und hat vieler Jahre Leid geseh’n. Wie’s auch stürme, haltet Stand, Junge Herzen, unverdrossen! Der ihn einstens ausgegossen, Hat den Geist uns abermals gesandt. Bald erschallt in Ost . und West Jubel, millionentönig; Freiheit heisst der letzte König, Und sein Reich bleibt ewig felsenfest. Kimm er schwingt in uns’rem Haus Der Kosake seine Knute, Uns’re deutsche Zauberrute Schlägt noch manchen gold’nen Frühling aus. 136 Junge Herzen, unverzagt! Bald erscheint der neue Täufer, Der Messias, der die Käufer Und Verkäufer aus dem Tempel jagt. Und die Götter nicht allein, Schon der Mensch wird heilig leben, Priester nur wir d’s fürder geben, Und kein Laie mehr auf Erden sein. Doch wie Donner ist sein Gang Und er naht nicht unter Psalmen, Und man streut ihm keine Palmen, Der Messias kommt mit Schwerterklang'. Darum legt die Harfen ab! Lasst darin die Windsbraut spielen! Unser warten Thermopylen, Perser — und im Schatten manch’ ein Grab. G. Herwegh 40. Bas Lied von der (Hocke. Yivos voco. Mortuos plango. Fulgura frango. Festgemauert in der Erden Steht die Form, aus Lehm gebrannt. Heute muss die Glocke werden! Frisch, Gesellen, seid zur Hand! Von der Stirne heiss Binnen muss der Schweiss, Soll das Werk den Meister loben; Doch der Segen kommt von oben. Zum Werke, das wir ernst bereiten, Geziemt sich wohl ein ernstes Wort; Wenn gute Reden sie begleiten, Dann fliesst die Arbeit munter fort. So lasst uns jetzt mit Fleiss betrachten, Was durch die schwache Kraft entspringt; Den schlechten Mann muss man verachten, Der nie bedacht, was er vollbringt; Das ist’s ja, was den Menschen zieret, Und dazu ward ihm der Verstand, Dass er im innern Herzen spüret, Was er erschafft mit seiner Hand. Nehmet Holz vom Fichtenstamme, Doch recht trocken lasst es sein, Dass die eingepresste Flamme Schlage zu dem Schwalch hinein! Kocht des Kupfers Brei! Schnell das Zinn herbei, Dass die zähe Glockenspeise Fliesse nach der rechten Weise! Was in des Dammes tiefer Grube Die Hand mit Feuers Hilfe baut, Hoch auf des Turmes Glockenstube, Da wird es von uns zeugen laut. Noch dauern wird’s in späten Tagen Und rühren vieler Menschen Ohr Und wird mit dem Betrübten klagen Und stimmen zu der Andacht Chor. Was unten tief dem Erdensohne Das wechselnde Verhängnis bringt, Das schlägt an die metallne Krone, Die es erbaulich weiter klingt. Weisse Blasen seh’ ich springen; Wohl! die Massen sind im Fluss. Lasst’s mit Aschensalz durchdringen, Das befördei’t schnell den Guss. Auch von Schaume rein Muss die Mischung sein, Dass vom reinlichen Metalle Rein und voll die Stimme schalle. Denn mit der Freude Feierklange Begrüsst sie das geliebte Kind Auf seines Lebens erstem Gange, Den es in Schlafes Arm beginnt; Ihm ruhen noch im Zeitenschosse Die schwarzen und die heitern Lose; Der Mutterliebe zarte Sorgen Bewachen seinen gold’nen Morgen — Die Jahre fliehen pfeilgeschwind. Vom Mädchen reisst sich stolz der Knabe, Er stürmt ins Leben wild hinaus, Durchrnisst die Welt am Wanderstabe; Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus. Und herrlich in der Jugend Prangen, Wie ein Gebild aus Ilimmelshöh’n, Mit züchtigen, verschämten Wangen Sieht er die Jungfrau vor sich steh’n. Da fasst ein namenloses Sehnen Des Jünglings Herz, er irrt allein, Aus seinen Augen brechen Tränen, Er flieht der Brüder w’ilden Reih’n. Errötend folgt er ihren Spuren Und ist von ihrem Gruss beglückt, Das Schönste sucht er auf den Fluren, Womit er seine Liebe schmückt. 0 zarte Sehnsucht, süsses Hoffen! Der ersten Liebe gold’ne Zeit! Das Auge sieht den Himmel offen, Es schwelgt das Herz in Seligkeit: 0, dass sie ewig grünen bliebe, Die schöne Zeit der jungen Liebe! Wie sich schon die Pfeifen bräunen! Dieses Stäbchen tauch’ ich ein, Seh’n wir’s überglast erscheinen, Wird’s zum Gusse zeitig sein. Jetzt, Gesellen, frisch! Prüft mir das Gemisch, Ob das Spröde mit dem Weichen Sich vereint zum guten Zeichen. Denn wo das .Strenge mit dem Zarten, Wo Starkes sich und Mildes paarten, Da gibt es einen guten Klang. D’rum prüfe, wer sich ewig bindet, Ob sich das Herz zum Herzen findet! Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang. Lieblich in der Dräute Locken Spielt der jungfräuliche Kranz, Wenn die hellen Kirchenglocken Laden zu des Festes Glanz. Ach! des Lebens schönste Feier Endigt auch den Lebensmai, Mit dem Gürtel, mit dem Schleier Heisst der schöne Wahn entzwei. Die Leidenschaft flieht, Die Liebe muss bleiben; Die Blume verblüht, Die Frucht muss treiben. Der Mann muss hinaus Ins feindliche Leben, Muss wirken und streben, Und pflanzen und schaffen, Erlisten, erraffen, Muss wetten und wagen, Das Glück zu erjagen. Da strömet herbei die unendliche Gabe, Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe, Die . Räume wachsen, es dehnt sich das Haus. Und drinnen waltet Die züchtige Hausfrau, Die Mutter der Kinder, Und herrschet weise Im häuslichen Kreise, Und lehret die Mädchen Und wehret den Knaben, Und reget ohn’ Ende Die fleissigen Hände, Und melirt den Gewinn Mit ordnendem Sinn, Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden, Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden, Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein Die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein, Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer, Und ruhet nimmer. Und der Vater mit frohem Blick Von des Hauses weitschauendem Giebel Überzählet sein blühend Glück, Siehet der Pfosten ragende Bäume Und der Scheunen gefüllte Räume Und die Speicher, vom Segen gebogen, Und des Kornes bewegte Wogen, Rühmt sich mit stolzem Mund: Fest wie der Erde Grund, Gegen des Unglücks Macht Steht mir des Hauses Pracht! Doch mit des Geschickes Mächten Ist kein ew’ger Bund zu flechten, Und das Unglück schreitet schnell. Wohl! Nun kann der Guss beginnen; Schön gezacket ist der Bruch. Doch, bevor wir’s lassen rinnen, Betet einen frommen Spruch! Stosst den Zapfen aus! Gott bewahr’ das Haus! Rauchend in des Henkels Bogen Schiesst’s mit feuerbraunen Wogen. Wohltätig ist des Feuers Macht, Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht, Und was er bildet, was er schafft, Das dankt er dieser Himmelskraft. Doch furchtbar wird die Himmelskraft, Wenn sie der Fessel sich entrafft, Einhertritt auf der eig’nen Spur, Die freie Tochter der Natur. Wehe, wenn sie losgelassen, Wachsend ohne Widerstand, Durch die volkbelebten Gassen Wälzt den ungeheuren Brand! Denn die Elemente hassen Das Gebild der Menschenhand. Aus der Wolke Quillt der Segen, Strömt der Regen: Aus der Wolke, ohne Wahl Zuckt der Strahl. Hört ihr’s wimmern hoch vom Tur Das ist Sturm! Rot, wie Blut, Ist der Himmel; Das ist nicht des Tages Glut; Welch’ Getümmel Strassen auf! Dampf wallt auf! Flackernd steigt die Feuersäule, Durch der Strasse lange Zeile Wächst es fort mit Windeseile; Kochend wie aus Ofens Rachen, Gliih’n die Lüfte, Balken krachen, Pfosten stürzen, Fenster klirren, Kinder jammern, Mütter irren, Tiere wimmern Unter Trümmern; Alles rennet, rettet, flüchtet, Taghell ist die Nacht gelichtet; Durch der Hände lange Kette Um die Wette Fliegt der Eimer; hoch im Bogen Spritzen Quellen, Wasserwogen. Heulend kommt der Sturm geflogen Der die Flamme brausend sucht. Prasselnd in die dürre Frucht, Fällt sie, in des Speichers Räume, In der Sparren dürre Bäume, Und als wollte sie im Wehen Mit sich fort der Erde Wucht Reissen in gewalt’ger Flucht, Wächst sie in des Himmels Höhen Riesengross! Hoffnungslos Weicht der Mensch der Götterstärke, Müssig sieht er seine Werke Und bewundernd untergeben. Leergebrannt Ist die Stätte, Wilder Stürme rauhes Bette; In den öden Fensterhöhlen Wohnt das Grauen, Und des Himmels Wolken schauen Hoch hinein. Einen Blick Nach dem Grabe Seiner Habe Sendet noch der Mensch zurück — Greift fröhlich dann zum Wanderstabe. Was Feuers Wut ihm auch geraubt, Ein süsser Trost ist ihm geblieben: Er zählt die Häupter seiner Lieben, Und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt. In die Erd’ ist’s aufgenommen, Glücklich ist die Form gefüllt; Wird’s auch schön zu Tage kommen, Dass es Fleiss und Kunst vergilt? Wenn der Guss misslang? Wenn die Form zersprang? Ach, vielleicht, indem wir hoffen, Hat uns Unheil schon getroffen. Dem dunkeln Schoss der heil’gen Erde Vertrauen wir der Hände Tat, Vertraut der Sämann seine Saat Und hofft, dass sie entkeimen werde Zum Segen nach des Himmels Rat. Noch köstlicheren Samen bergen Wir trauernd in der Erde Schoss Und hoffen, dass es aus den Särgen Erblühen soll zu schönerm Los. Von dem Dome, Schwer und bang, Tönt die Glocke Grabgesang. Ernst begleiten ihre Trauerschläge Einen Wand’rer auf dem letzten Wege. Ach! die Gattin ist’s, die teure, Ach! es ist die treue Mutter, Die der schwarze Fürst der Schatten Wegführt aus dem Arm des Gatten, Aus der zarten Kinderschar, Die sie blühend ihm gebar, Die sie an der treuen Brust Wachsen sah mit Mutterlust — Ach, des Hauses zarte Bande Sind gelöst auf immerdar; Denn sie wohnt im Schattenlande, Die des Hauses Mutter war; Denn es fehlt ihr treues Walten, Ihre Sorge wacht nicht mehr; An verwaister Stätte schalten Wird die Fremde, liebeleer. Bis die Glocke sich verkühlet, Lasst die strenge Arbeit ruli’n. 144 Wie im Laub der Vogel spielet, Mag sieh jeder gütlich tun. Winkt der Sterne Licht, Ledig- aller Pflicht Hört der Bursch die Vesper schlagen; .Meister muss sich immer plagen. Munter fördert seine Schritte ' Fern im wilden Forst der Wand’rer Nach der lieben Heimathütte. Blockend ziehen heim die Schafe, Und der Binder Breit gestirnte, glatte Scharen Kommen brüllend, Die gewohnten Ställe füllend. Schwer herein Schwankt der Wagen Kornbeladen; Bunt von Farben, Auf den Darben Liegt der Kranz, Und das junge Volk der Schnitter Fliegt zum Tanz. .Markt und Strasse werden stiller, Um des Lichts gesell’ge Flamme Sammeln sich die Hausbewohner, Und das Stadttor schliesst sich knarrend. Schwarz bedecket Sich die Erde; Doch den sichern Bürger schrecket Nicht die Nacht, Die den Bösen grässlich wecket; Denn das Auge des Gesetzes wacht. Heil’ge Ordnung, segensreiche .Himmelstochter, die das Gleiche Frei und leicht und freudig bindet, Die der Städte Bau begründet, Die herein von den Gefilden Rief den ungesell’gen Wilden, Eintrat in der Menschen Hütten, Sie gewöhnt zu sanften Sitten Und das teuerste der Bande Wob, den Trieb zum Vaterlande! Tausend fleiss’ge Hände regen, Helfen sich in munterm Bund, Und in feurigem Bewegen Werden alle Kräfte kund. Meister rührt sich und Geselle 1 n der Freiheit heil’gem Schutz; Jeder freut sich seiner Stelle, Bietet dem Verächter Trutz. Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Ureis; Ehrt den König seine Würde, Ehret uns der Hände Fleiss. Holder Friede, Süsse Eintracht, Weilet, weilet Freundlich über dieser Stadt! Möge nie der Tag erscheinen, Wo des rauhen Krieges Horden Dieses stille Tal durchtoben, Wo der Himmel, Den des Abends sanfte Röte Lieblich malt, Von der Dörfer, von der Städte Wildem Brande schrecklich strahlt! Xun zerbrecht mir das Gebäude, Seine Absicht hat’s erfüllt, Dass sich Herz und Auge weide An dem wohlgelung’nen Bild. Schwingt den Hammer, schwingt, Bis der Mantel springt! Wenn die Glock’ soll auferstehen, Muss die Form in Stücke gehen. Der Meister kann die Form zerbrechen Mit weiser Hand, zur rechten Zeit; Doch wehe, wenn in Flammenbächen, Das glüh’nde Erz sich selbst befreit! Blindwütend, mit des Donners Krachen, Zersprengt es das geborst’ne Haus, Und wie aus offnem Höllenrachen ■> Speit es Verderben zündend aus. Wo rohe Kräfte sinnlos walten, Da kann sich kein Gebild gestalten; Wenn sich die Völker selbst befrei’n, Da kann die Wohlfahrt nicht gedeih’n. Weh, wenn sich in dem Schoss der Städte Der Feuerzunder still gehäuft, Das Volk, zerreissend seine Kette, Zur Eigenhilfe schrecklich greift! Da zerret an der Glocke Strängen Der Aufruhr, dass sie heulend schallt Und, nur geweiht zu Friedensklängen, Die Losung anstimmt zur Gewalt. Freiheit und Gleichheit! hört man schallen Der ruh’ge Bürger greift zur Wehr, Die Strassen füllen sich, die Hallen, Und Würgerbanden zieh’n umher. Da werden Weiber zu Hyänen Und treiben mit Entsetzen Scherz; Koch zuckend mit des Panthers Zähnen, Zerreissen sie des Feindes Herz. Nichts Heiliges ist mehr, es lösen Sich alle Bande frommer Scheu; Der Gute räumt den Platz dem Bösen, Und alle Laster walten frei. Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken, Verderblich ist des Tigers Zahn; Jedoch der schrecklichste der Schrecken, Das ist der Mensch in seinem Wahn. Weh denen, die dem Ewigblinden Des Lichtes Himmelsfackel leih’n! Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden, Und äschert Stadt’ und Länder ein. Freude hat mir Gott gegeben! Sehet! wie ein gold’ner Stern, Aus der Hülse, blank und eben, Schält sich der metall’ne Kern. Yon dem Hehn zum Kranz Spielt’s wie Sonnenglanz, Auch des Wappens nette Schilder, Loben den erfahrnen Bilder. Herein! Herein! Gesellen alle, schliesst den Reihen, Dass wir die Glocke taufend weihen! Concor di a soll ihr Karne sein. Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine Versammle sie die liebende Gemeine. Und dies sei fortan ihr Beruf, Wozu der Meister sie erschuf: Hoch überm niedern Erdenleben Soll sie im blauen Himmelszelt, Die Kachbarin des Donners, schweben Und grenzen an die Sternenwelt, Soll eine Stimme sein von oben, W ie der Gestirne helle Schar, Die ihren Schöpfer wandelnd loben Und führen das bekränzte Jahr. Kur ewigen und ernsten Dingen Sei ihr metall’ner Mund geweiht, Und stündlich mit den schnellen Schwingen Berühr’ im Fluge sie die Zeit. Dem Schicksal leihe sie die Zunge; Selbst herzlos, ohne Mitgefühl, Begleite sie mit ihrem Schwünge Des Lebens wechselvolles Spiel. Und wie der Klang im Ohr vergehet, Der mächtig tönend ihr entschallt, So lehre sie, dass nichts bestehet, Dass alles Irdische verhallt. Jetzo mit der Kraft des Stranges Wiegt die Glock’ mir aus der Gruft, Dass sie in das Reich des Klanges Steige, in die Himmelsluft! Ziehet, ziehet, hebt! Sie bewegt sich, schwebt! Freude dieser Stadt bedeute, Friede sei ihr erst Geläute! Fr. Schille B. Die Satire. 41. Spindclinann’s Rezension der Gegend. Näher muss ich jetzt betrachten Diese Gegend durch das Glas; Sie ist nicht ganz zu verachten, Nur die Fern’ ist allzublass. Jene Burg auf steiler Höhe Nenn’ ich abgeschmackt und dumm. Meinem Auge tut sie wehe, Wie der Fluss, der gänzlich krumm. Jene Mühl’ in wüsten Klüften Gibt mir gar zu rohen Schall, Aber ein gesundes Düften Weht aus ihrem Eselsstall. Dass hier Schlüsselblumen stehen,, Hätt’ ich das nur eh’ gewusst! 149 Muss sie schnell zu pflücken gehen, Denn sie dienen meiner Brust. Kräuter, die zwar farbig blühen, Doch zu Tee nicht dienlich sind, Und nicht brauchbar sind zu Brühen, Uberlass ich gern dem Wind. J ustinus Kern er. 42. Das grüne Tier und der Naturkenner. Die Thadener zu ITanerau Sind ausgewitzte Leute: War’ noch kein Pulver in der Welt, Erfänden sie es heute! Allein, allein, So wird es immer sein: Was man zum ersten Mal ersieht, Kennt selber auch der Klügste nicht! So — wie einmal die Thadner mäh’n, Sie einen grünen Frosch erseli’n, So grüne, so grüne! So grüne war der liebe Frosch, Er blähte mit dem Kropfe; Den Thadnern fiel vor Schreck dabei Die Mütze von dem Kopfe: Mit Beinen vier Ein grünes, grünes Tier! Das war für sie zu wunderlich, Zu neu und zu absonderlich! Da musste gleich der Schultlieiss her: Sollt’ sagen, welch’ ein Tier das war’, Das grüne, das grüne! Das grüne Tier der Schultheiss sah, Als einen Hupf es machte! Die Thadner wollten schon davon; Da sprach der Alte: „Sachte! 150 Lauft nicht davon; Es sitzt und ruhet schon. Seid still und ich erklär’ es bald: Das Tier kommt aus dem grünen Wald; Der grüne Wald ist selber grün; Davon ist auch das Tier so grün, So grüne, so grüne ! So grüne; denn es lebt darin Von eitel grünem Laube; Und — wenn es nicht ein Hirschbock ist, Ist’s eine Turteltaube!“ Da hub der Häuf’ Den Schulz mit Schultern auf; Sie riefen: „Das ist unser Mann, Der jeglich Ding erklären kann, Er kennt und nennt es keck und kühn, Kein’ Kreatur ist ihm zu grün, Zu grüne, zu grüne!“ Kopiseh. 43. Die Guttat. W ie rühmlich ist’s, von seinen Schätzen Ein Pfleger der Bedrängten sein, Und lieber minder sich ergötzen, Als arme Brüder nicht erfreu’n. Beaten fiel heut ein Vermögen Von Tonnen Golds durch Erbschaft zu. Nun, sprach sie, hab’ ich einen Segen, Von dem ich Armen Gutes tu’! Sie sprach’s, gleich schlich zu ihrem Glücke Ein siecher Alter vor ihr Haus, Und bat, gebückt auf seine Krücke, Sich eine kleine Wohltat aus. Sie war durchdrungen von Erbarmen Und fühlte recht des Armen Not, 151 Sie weinte, ging, und gab dem Armen — Ein grosses Stück verschimmelt Brot. Geliert. C. Gnomen und Sprüche. 1. Willst du immer weiter schweifen? Sieh’, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen, Denn das Glück ist immer da. W. Göthe. 2. Wenn die Bäume voll von Früchten hangen, Neigen sich die Aste freundlich nieder; Wenn ein guter Mann zu Würden aufsteigt, Beugt er sich, damit er andern helfe. Herder. 3. Wo man von Frömmigkeit mit vielen Worten spricht, Da suche nur den Frommen nicht! Gleim. 4. Wenn du gibst, gib ungeseh’n Ganz dem Freund und mild dem Armen, Tu’s aus innigem Erbarmen, Und vergiss es, wenn’s gescheh’n. 5. Der spielt leicht übermütig Spiel, Wem gleich der Sieg vom Himmel hei. Wer siegen lernt in Niederlagen, Wird auch das Glück des Sieg’s ertragen. 6. Undank ist ein arger Gast; Aber an den angetanen Liebesdienst den Freund zu mahnen, Ist so arg wie Undank fast. 7. Klug ist, wer zur rechten Stunde kommt; Doch klüger, wer zu gehen weiss, wenn’s frommt. E. Geibel. 152 8. In Gefahr und grosser Not Bringt der Mittelweg den Tod. 9. Lust und Schmerz sind Wandersleute, ziehen allenthalben ein; Doch pflegt der Besuch von diesem lang, von jenem kurz zu sein. 10. Sich selbst bekämpfen ist der allerschwerste Krieg; Sich selbst besiegen ist der allerschönste Sieg. 11. Fromme Leute klagen sehr, dass die Wahrheit sich verloren. Suche, wer sie suchen will, aber nicht in hohen Ohren. 12. Der werde nicht von dir erlesen, Wer nie sein eig’ner Freund gewesen. Wer blos sein eig’ner Freund gewesen, Der werde nicht von dir erlesen. 13. Wo das Reden doch nicht fruchtet, hat das Schweigen bess’re Statt; Besser, dass man nicht geredet, als umsonst geredet hat. 14. Wo die Hand vonnöten ist, schafft man wenig mit der Zunge, Und wohin das Herz gehört, da verrichtet nichts die Lunge. 15. Schlecht ist es mit dem Glauben an Gott bestellt, Wenn man nicht Treu und Glauben dem Nächsten hält. Logau. 16. ’ Dann auch gehorch’ ich dem göttlichen Wort, das mich lieben den Feind heisst, Wenn ich, was feindlich in ihm, hasse mit göttlichem Zorn. 17. „Wie denn erfahr’ ich, auf dass von mir nur Gutes die Welt spiicht? Sprich nur, vortrefflicher Freund, sprich es nur selbst nicht zu laut. 18. Wer in der Schule sich sammeln gelernt — und lernt’ er nichts sonst dort — Hat für das Leben bereits, nicht für die Schule, gelernt. O. Sutermeister. 15B 19. Willst du ins Unendliche schreiten, Geh’ nur im Endlichen nach allen Seiten. 20. Willst du dich am Ganzen erquicken, So musst du das Ganze im Kleinsten erblicken. 21. Alles in der Welt lässt sich ertragen, Nur nicht eine Reihe von schönen Tagen. 22. Eigenheiten, die werden Schon haften, Kultivire deine Eigenschaften. 23. Nur das feurige Ross, das mutige, stürzt auf der Rennbahn; Mit bedächtigem Fuss schreitet der Esel daher. "W. Göthe. 24. Wie doch ein einziger Reicher so viele Bettler in Nahrung setzt! Wenn die Könige bau’n, haben die Ivärner zu tun. Fr. Schiller,- 25. Auf einen Maulchristen. Ein tugendhafter Heid, wiewohl er glaublos ist, Ist besser als ein Maul- und doch werkloser Christ. J. W. S im ml er. 26. Grabschrift eines Eigennützigen. Hier liegt Silvius, der nichts umsonst getan; Es schmerzt ihn, dass man dies umsonst hier lesen kann. Opitz. 27. Aus der engsten Kammerzelle kannst du in den Himmel seh’n, In dem kleinsten Yaterlande lernt der Mensch die Welt versteli’n; Fühl’ erst gross dich in dem Kleinen, aber dann im Grossen klein, Und im Grossen wie im Kleinen wird dein Mass das Rechte sein. W. Müller. 154 28. Der Moralist. Man kann nicht einen bessern finden, Das muss ich eingestehen; Wie es ihm ekelt vor den Sünden, Die andere begehen! S. Plattner. 29. Edle Rache. Neidisch versuchen den leuchtenden Mond zu verdunkeln die Wolken, Aber der Siegende schmückt mild sie Mit silbernem Glanz. W. Dorer. 30. Sieh’st du Schlechtes, lehr’ es dich, Recht des Guten Wert erkennen, Sieh’st du Gutes, lehr’ es dich, Alles Schlechte überwinden, Hast du für das Schlechte nun Lauter Gutes eingehandelt, Hast du Nacht in hellen Tag, Fluch in Segen umgewandelt. Herder. 31. Das grösste Haus ist eng, das kleinste Haus ist weit, Wenn dort ist ein Gedräng und hier Zufriedenheit. Herder. 32. Spötter. Wer and’rer Leute höhnisch lacht, Der habe nur ein wenig acht, Was hinter ihm ein and’rer macht. Logau. 33. Feindschaft zwischen Freundschaft. Fache den Funken nicht an, der zwischen Freunden erglimmt ist! Leicht versöhnen sie sich, und du bist beiden verhasst. Herder. 155 34. Die schweigende Nachtigall. Warum, o Nachtigall, hörst du schweigend den krächzenden Raben? Weil eine Nachtigall gern neben dem Raben verstummt. Herder. 35. Freund und Feind. Teuer ist mir der Freund; doch auch den Feind kann ich nützen, Zeigt mir der Freund, was ich kann, lehrt mich der Feind, was ich soll. Fr. Schiller. 36. Nicht der ist auf der Welt verwaist, Dessen Vater und Mutter gestorben, Sondern der für Herz und Geist Keine Lieb’ und kein Wissen erworben. Fr. Schiller. 37. Der Eitle. Wahrhaftig gut kann der Eitle nicht sein-, leicht machst du die Probe: Triff ihm den kitzligen Punkt — siehe, gleich wird er gemein. 0. Sutermeister. 38. Umgang. Gegen den Bann der umgebenden Welt und gegen des Umgangs Leise besiegende Macht wähne sich keiner gefeit. O. Sutermeister. 39. Billig. Sage von Nebenmenschen das Böse nicht, eh’ du’s gewiss bist ; Bist du’s, befrage dich selbst dann noch, warum du es sagst. 0. Sutermeister. A n h a n SprUelnvörter. 1. Niemand ist so alt, dass er nicht zu lernen hätte.' 2. So viel Köpfe, so viel Sinne. 8. Spare in der Zeit, so hast du’s in der Not. 4. Wessen das Herz voll ist, davon geht der Mund über. 5. Was ich denk’ und tu’, trau’ ich andern zu. 6. Wer nicht wagt, gewinnt nicht. 7. Was ich nicht weiss, macht mir nicht heiss. 8. Wenn der Fuchs predigt, nimm die Gänse wohl in acht! 9. Ein magerer Yergleich ist besser, als ein fetter Prozess. 10. Wer bald gibt, gibt doppelt. 11. Wer alt werden will, tue früh dazu. 12. Steter Tropfen höhlt den Stein. 13. Man muss das Eisen schmieden, wenn es warm ist. 14. Frisch begonnen, halb gewonnen. 15. Wer Pech angreift, besudelt sich. 16. Ein Narr kann mehr fragen, als sieben Weise beantworten. 17. Wer die Augen nicht auftut, muss den Beutel auftun. 18. Man sucht keinen hinter dem Ofen, man habe selber dahinter gesteckt. 19. Wer etwas kann, den hält man wert, den Ungeschickten niemand begehrt. 20. Was ein guter Haken werden will, krümmt sich bei Zeiten. 21. Gedanken sind zollfrei. 22. Ein Esel heisst den andern einen Sackträger. 23. Es ist kein Meister vom Himmel gefallen. 24. Der Zornige hat seine Sinne bis auf — fünf. 25. Auf einen groben Klotz gehört ein harter Keil. 26. Voller Bauch studirt nicht gern. 27. Schuster bleib’ hei deinem Leisten. 28. Eine Hand wäscht die andere. 157 29. Keine Krähe hackt der andern die Augen aus. 30. Viele Köche verderben den Brei. 31. Im Trüben ist gut fischen. 32. Man soll die Perlen nicht vor die Säue werfen. 33. Grobheit und Stolz wachsen auf einem Holz. 34. Sammet und Seide löschen das Feuer in der Küche aus. 35. Jedem Narren gefällt seine Kappe. 36. Jeder ist seines Glückes Schmied. 37. Einem geschenkten Gaul muss man nicht ins Maul sehen. 38. Es fällt keine Eiche von einem Streiche. 39. Ein räudig Schaf steckt eine Herde an. 40. Zu straff gespannt, zerspringt der Bogen. 41. Hoffen und Harren macht manchen zum Narren. 42. Stille Wasser sind tief. 43. Sein ist über Schein. 44. Recht tun lässt sanft ruli’n. 45. Keine Antwort ist auch eine Antwort. 46. Man muss sich nach der Decke strecken. 47. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. 48. Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. 49. Wenn dem Esel zu wohl ist, so tanzt er auf dem Eise und bricht ein Bein. 50. Wer will kaufen, was er sieht, muss verkaufen, was er hat. Spezifisch schweizerische spriiehwörtliclie Redensarten. 1. En bständige Lächler ist underem Brusttuch nüd suber. 2. Besser zerst Ruchbrot esse und nachher wisses. 3. Wemrs nüd im Holz ist, so gits kei Pfife. 4. Anderer Lüte Chüe händ alliwil e grössers Uter. 5. E Chatz mit Hämische feht kei Müs. 6. Mit Gwalt ist e Geiss umezlupfe. 7. Der erst uf der Mülli schüttet uf. 8. Viel chlini Vögeli gänd au en Brate. 9. Wo’s eben ist, ist gut Charrer si. 10. Me cha kei Pfannetätsch mache, ohne dass me muess Eier breche. 158 11. En jede Acherma macht au e mal en Struchrai. 12. Me cha binere Gute stehle lehre. 13. Alt Lüt gsehnd am beste i d’Witi. 14. Gschid Lüt narriered au. 15. Jede het sin Spore und wer’s nüd glaubt, het zwee. 16. Was mer nüd erfltige cha, c-hamer erhinke. 17. Ring derzue, ring dervo. 18. D’Welt ist en ewige Heuet: die einte mached Schöclili, die andere verzettled sie wieder. 19. Tür gä ist kei Siind, aber übel messe. 20. Me verschnepft si mit nüd me as mit dem Muul. 21. D’Welt ist kein Strumpf. 22. Schmieds-Chind sind si de Funke gwöhnt. 23. Me cha mit dem Veh rede, wemme Menscheverstand het. 24. Me muess nüd juchze, bis d’Chilbi übere-n-ist. 25. Halt ’s Mul, so flügt der kei Mugg dri. 26. Me muess de Bengel hoch rühre, er fallt vo selber tiif. 27. Me muess de böse Hünde Brot zuerüere. 28. Wemme s’ Chrut kennt, soll me nüd na de Wurzle grabe. 29. S’ Vaters Tasche tüend Mänge wasche. 30. Es ist e Muetter no so arm, so gid sie ihrem Ohindli warm. Rätsel. 1. Die besten Freunde, die wir haben, Sie kommen nur mit Schmerzen an. Und was sie uns für Weh getan, Ist fast so gross, wie ihre Gaben. Und wenn sie wieder Abschied nehmen, Muss man zu Schmerzen sich bequemen. W. G ö t h e. 2. Sun suchet geschwinde, wo sich dieses finde : Es ist der Harne einer Frucht, Die zwar dem Gaumen wohl behagt; Doch, wo sie sich dem Ohr vereint, Da wird darüber nur geklagt; 159 Und wer sich die gefallen lässt, Der ist das, was der Name sagt. B ess eit. 3. Hört, und wann ihr’s wisst, so lasst mich hören, was es ist: Das gestern war, und heut’ gewesen, Und morgen wird zuerst es sein, Und merkt, gemeinschaftlichen Namen Mit einem trägt’s von diesen Drei’n. Sonntag. 4. In des Bergmann’s tiefen Klüften, Lieber Freund, dort triffst du sie; Doch auf Hügeln und auf Triften An dem hellsten Mittag nie: Und man braucht, um sie zu finden, Keine Fackel anzuzünden. Kommt sie in des Dorfes Mitte, Sieh’, da kommt auch er heraus, Und ihn führen seine Schritte Durch sie hin von Haus zu Haus; Auf und ab kann man ihn sehen Manchmal durch die Strassen gehen. Wer ist sie? es hör’ ich fragen; Eine Silb’ gehöret ihr. Wer ist er? Das können sagen, Leser! zwei der Silben dir. Kannst du nun das Ganze nennen? Wenn es ruft, wirst du’s erkennen. 5. Ein Glöcklein ist mir wohlbekannt, Es schimmert durch das ganze Land; Aus Silber scheint es dir gegossen, Doch ist es anderm Reich entsprossen; Mit einem Klöppel ist’s verseh’n, Doch hörte niemand sein Getön; 160 Auch ist’s auf keinem Turm gehangen, Es kann nur in der Tiefe prangen. Rückert Einige schweizerische Volksrätsel. 1. Vier Gstampete, Vier Glampete, En Grasrupfer, En Bodegugger, En Fliige-stüiber. 2. S’ ist en Vogel, de het keis Bluet, En andere ist, de hed kei Muet, En dritte sugt sis eigi Bluet. 3. Vorne wie ne Chamm, Z’ mitt’s wie nes Lamm, Hinne wie ne Sichel: Rot’s, min liebe Michel. 4. Es Ständli olmi Bändli End zweierlei Bumpis drin. 5. Hoch wie nes Hus, Nieder wie ne Mus, Hart wie nes Bei, Chli wie nen Stei, Bitter wie ne Galle, Süess wie ne Ankeballe, End s’ essets all-alle. 6. De best Schmutz chocht me nit, Das best Holz spalt’t me nit, Das best Bluest schmückt me nit, De best Vogel rupft me nit. 7. Hoch umme treit, Nieder abegweiht End in Sack inne gniihit. 8. Chömmed sie, so chömmed sie nit, Chömmed sie nit, so chömmed sie. 9. Es sind zwo Stüd, Uf dene zwo Stüd e Höhli, Uf der Höhli e Mülli, Oben am Dach zwee Sterne. 10. Es ist e wisses Stöckli, Z’ mitt’s immene blaue Röckli. Wiss a Lib und blau a Chleid, Durch und durch voll Süessigkeit. 11. Es gat dur de Wald dusse Und schleikt öppis Läbigs usse. 12. Druf gschlo, Ufdeckt, Usse gno, Dra gschmöckt Und denn wiederum versteckt. III. Dramatisches Wilhelm Teil von Fr. Schiller. (Auszug.) Erster Aufzag. Zweite Szene. Zn Steinen in Schwyz, eine Linde vor des Stauffachers Hause an der Landstrasse, nächst der Brücke. Werner Stauffacher, Pfeifer von Luzern kommen im Oespräehe. Pfeifer. Ja, ja, Herr Stauffacher, wie ich euch sagte. Schwört nicht zu Ostreich, wenn ihr’s könnt vermeiden. Haltet fest am Reich und wacker, wie bisher. Hott schirme euch bei eurer alten Freiheit! (Drückt ihm herzlich die Hand nnd will gehen. Stauffacher. Bleibt doch, bis meine Wirtin kommt — Ihr seid Mein Gast zu Schwyz, ich in Luzern der eure. Pfeifer. Viel Dank! Muss heute Gersau noch erreichen. — Was ihr auch Schweres mögt zu leiden haben Von eurer Vögte Geiz und Übermut, Tragt’s in Geduld! Es kann sich ändern, schnell. Ein and’rer Kaiser kann ans Reich gelangen. Seid ihr erst Österreichs, seid ihr’s auf immer. Er geht ab. Stauffacber setzt sich kummervoll auf eine Bank unter der Linde. So findet ihn Gertrud, seine Frau, die sich neben ihn stellt und ihn eine Zeit lang schweigend betrachtet. Gertrud. So ernst, mein Freund? Ich kenne dich nicht mehr. Schon viele Tage seh’ ich’s schweigend an, Wie fmst’rer Trübsinn deine Stirne furcht. Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten, Vertrau’ es mir; ich bin dein treues Weib, Und meine Hälfte fordr’ ich deines Grams. (Stauffacher reicht ihr die Hand und schweigt.) Was kann dein Herz beklemmen ? sag’ es mir. Gesegnet ist dein Fleiss, dein Glücksstand blüht, Voll sind die Scheunen, und der Rinder Scharen, Der glatten Pferde wohlgenährte Zucht Ist von den Bergen glücklich heimgebracht Zur Winterung in den bequemen Ställen. — Da steht dein Haus, reich wie ein Edelsitz; Von schönem Stammholz ist es neu gezimmert Und nach dem Richtmass ordentlich gefügt; Von vielen Fenstern glänzt es wohnlich, hell; Mit bunten Wappenschildern ist’s bemalt Und weisen Sprüchen, die der Wandersmann Verweilend liest und ihren Sinn bewundert. Stauffacher. Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt. Doch, ach — es wankt der Grund, auf den wir bauten. Gertrud. Mein Werner, sage, wie verstehst du das? Stauffacher. Vor dieser Linde sass ich jüngst wie heut’, Das schön Vollbrachte freudig überdenkend. 164 Da kam daher von Küssnacht, seiner Burg, Der Vogt mit seinen Reisigen geritten. Vor diesem Hause hielt er wundernd an; Doch ich erhob mich schnell, und unterwürfig, Wie sich’s gebührt, trat ich dem Herrn entgegen, Der uns des Kaisers richterliche Macht Vorstellt im Lande. Wessen ist das Haus? Fragt er bösmeinend, denn er wusst’ es wohl. Doch schnell besonnen ich entgegn’ ihm so: Dies Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers Und eures und mein Lehen. — Da versetzt er: »Ich bin Regent im Land an Kaisers statt, Und will nicht, dass der Bauer Häuser baue Auf seine eig’ne Hand, und also frei Hinleb’, als ob er Herr war’ in dem Lande; Ich werd’ mich untersteh’n, euch das zu wehren.« Dies sagend, ritt er trutziglich von dannen; Ich aber blieb mit kummervoller Seele, Das Wort bedenkend, das der Böse sprach. Gertrud. Mein lieber Herr und Ehewirt! Magst du Ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen? Des edeln Ibergs Tochter rühm’ ich mich, Des viel erfahr’nen Manns. Wir Schwestern sassen, Die Wolle spinnend, in den langen Nächten, Wenn bei dem Vater sich des Volkes Häupter Versammelten, die Pergamente lasen Der alten Kaiser, und des Landes Wohl Bedachten in vernünftigem Gespräch. Aufmerkend hört’ ich da manch’ kluges Wort, Was der Verständ’ge denkt, der Gute wünscht, Und still im Herzen hab’ ich mir’s bewahrt. So höre denn und acht’ auf meine Rede! Denn was dich presste, sieh’, das wusst’ ich längst. — Dir grollt der Landvogt, möchte gern dir schaden, Denn du bist ihm ein Hindernis, dass sich Der Schwyzer nicht dem neuen Fürstenhaus Will unterwerfen, sondern treu und fest Beim Reich beharren, wie die würdigen Altvordern es gehalten und getan. — Ist’s nicht so, Werner? Sag’ es, wenn ich lüge! Stauffacher. So ist’s, das ist des Gesslers Groll auf mich. Gertrud. Er ist dir neidisch, weil du glücklich wohnst, Ein freier' Mann auf deinem eig’nen Erb, — Denn er hat kein’s. Vom Kaiser selbst und Reich Trägst du dies Haus zu Leh’n; du darfst es zeigen, So gut der Reichsfürst seine Länder zeigt; Denn über dir erkennst du keinen Herrn, Als nur den Höchsten in der Christenheit — Er ist ein jüng’rer Sohn nur seines Hauses, Nichts nennt er sein als seinen Rittermantel; D’rum sieht er jedes Biedermannes Glück Mit scheelen Augen gift’ger Missgunst an. Dir hat er längst den Untergang geschworen — Noch stehst du unversehrt — willst du erwarten, Bis er die böse Lust an dir gebüsst? Der kluge Mann baut vor. Stauffacher. Was ist zu tun? Gertrud (tritt näher.) So höre meinen Rat! Du weisst, wie hier Zu Schwyz sich alle Redlichen beklagen Ob dieses Landvogts Geiz und Wüterei. So zweifle nicht, dass sie dort drüben auch In Unterwalden und im Urner Land Des Dranges müd sind und des harten Jochs — Denn, wie der Gessler hier, so schafft es frech Der Landenberger drüben überm See — Es kommt kein Fischerkahn zu uns herüber, Der nicht ein neues Unheil und Gewalt- Beginnen von den Vögten uns verkündet. D’rum tat’ es gut, dass euer Etliche, Die’s redlich meinen, still zu Rate gingen, Wie man des Drucks sich möcht’ entledigen; So acht ich wohl, Gott würd’ euch nicht verlassen Und der gerechten Sache gnädig sein — Hast du in Uri keinen Gastfreund, sprich, Dem du dein Herz magst redlich offenbaren? Stauffacher. Der wackern Männer kenn’ ich viele dort Und angesehen grosse Herrenleute, Die mir geheim sind und gar wohl vertraut. (Er steht auf.) Frau, welchen Sturm gefährlicher Gedanken Weckst du mir in der stillen Brust! Mein Innerstes Kehrst du ans Licht des Tages mir entgegen, Und was ich mir zu denken still verbot, Du sprichst’s mit leichter Zunge kecklich aus! — Hast du auch wohl bedacht, was du mir rätst? Die wilde Zwietracht und den Klang der Waffen Rufst du in dieses friedgewohnte Tal — Wir wagten es, ein schwaches Volk der Hirten, In Kampf zu gehen mit dem Herrn der Welt? Der gute Schein nur ist’s, worauf sie warten, Um loszulassen auf dies arme Land Die wilden Horden ihrer Kriegesmacht, Darin zu schalten mit des Siegers Rechten, Und unterm Schein gerechter Züchtigung Die alten Freiheitsbriefe zu vertilgen. Gertrud. Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt Zu führen, und dem Mutigen hilft Gott! Stauffacher. 0 Weib! Ein furchtbar wütend Schrecknis ist Der Krieg; die Herde schlägt er und den Hirten. 167 Gertrud. Ertragen muss man, was der Himmel sendet; Unbilliges erträgt kein edles Herz. Stauffacher. Dies Haus erfreut dich, das wir neu erbauten, Der Krieg, der ungeheure, reisst es nieder. Gertrud. Wüsst’ ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt, Den Brand warf’ ich hinein mit eig’ner Hand. • Stauffacher. Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege! Gertrud. Die Unschuld hat im Himmel einen Freund! — Sieh’ vorwärts, Werner, und nicht hinter dich! S t a u f f a c h e r. Wir Männer können tapfer fechtend sterben: Welch’ Schicksal aber wird das eure sein ? Gertrud. Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen, Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei. Stauffacher (stürzt in ihre Arme.) Wer solch’ ein Herz an seinen Busen drückt, Der kann für Herd und Hof mit Freuden fechten, Und keines Königs Heermacht fürchtet er — Nach Uri fahr’ ich steh’nden Fusses gleich, Dort lebt ein Gastfreund mir, Herr Walther Fürst, Der über diese Zeiten denkt, wie ich. Auch find ich dort den edlen Bannerherrn Von Attinghaus — obgleich von hohem Stamm, Liebt er das Volk und ehrt die alten Sitten. Mit ihnen Beiden pfleg’ ich Rats, wie man 168 / Der Landesfeinde mutig sich erwehrt — Leb’ wohl — und, weil ich fern bin, führe du Mit klugem Sinn das Regiment des Hauses — Dem Pilger, der zum Gotteshause wallt, Dem frommen Mönch, der für sein Kloster sammelt, Gib reichlich und entlass ihn wohlgepflegt. Stauffacher’s Haus verbirgt sich nicht. Zu äusserst Am offn’en Heerweg steht’s, ein wirtlich Dach Für alle Wand’rer, die des Weges fahren. Indem sie nach dem Hintergründe abgehen, tritt Wilhelm Teil mit Baumgarten vorn auf die Szene Teil (zu Baumgarten.) Ihr habt jetzt meiner weiter nicht vonnöten. Zu jenem Hause gehet ein, dort wohnt Der Stauflacher, ein Vater der Bedrängten. — Doch sieh’, da ist er selber. — Folgt mir, kommt! (Gehen auf ihn zu; die Szene verwandelt sich). Vierte Szene. Walther Fflrst’s Wohnung. Walther Fürst und Arnold von Melchthal treten zugleich ein von verschiedenen Seiten. Melchthal. Herr Walther Fürst — Walther Fürst. Wenn man uns überraschte! Bleibt, wo ihr seid. Wir sind umringt von Spähern. M e 1 c h t h a 1. Bringt ihr mir nichts von Unterwalden? nichts Von meinem Vater? Nicht ertrag’ icli’s länger, Als ein Gefangener müssig hier zu liegen. Was hab’ ich denn so Sträfliches getan, Um mich gleich einem Mörder zu verbergen? Dem frechen Buben, der die Ochsen mir, Das trefflichste Gespann, vor meinen Augen Weg wollte treiben auf des Vogts Geheiss, Hab’ ich den Finger mit dem Stab gebrochen. I 169 Walther Fürst. Ihr seid zu rasch. Der Bube war des Vogts; Von eurer Obrigkeit war er gesendet. Ihr wart in Straf gefallen, musstet euch, Wie schwer sie war, der Busse schweigend fügen. M e 1 c h t h al. Ertragen sollt’ ich die leichtfert’ge Rede Des Unverschämten: »Wenn der Bauer Brot Wollt essen, mög’ er selbst am Pfluge zieh’n!« In die Seele schnitt mir’s, als der Bub’ die Ochsen, Die schönen Tiere, von dem Pfluge spannte; Dumpf brüllten sie, als hätten sie Gefühl Der Ungebühr, und stiessen mit den Hörnern; Da übernahm mich der gerechte Zorn, Und, meiner selbst nicht Herr, schlug ich den Boten. Walther Fürst. O, kaum bezwingen wir das eig’ne Herz; Wie soll die rasche Jugend sich bezähmen! M e 1 c h t h a 1. Mich jammert nur der Vater. — Er bedarf So sehr der Pflege, und sein Sohn ist fern. Der Vogt ist ihm gehässig, weil er stets Für Recht und Freiheit redlich hat gestritten. D’rum werden sie den alten Mann bedrängen, Und niemand ist, der ihn vor Unglimpf schütze. — Werde mit mir, was will, ich muss hinüber. Walther Fürst. Erwartet nur und fasst euch in Geduld, Bis Nachricht uns herüber kommt vom Walde. — Ich höre klopfen, gellt — vielleicht ein Bote Vom Landvogt — geht hfnein — ihr seid in Uri Nicht sicher vor des Landenbergers Arm, Denn die Tyrannen reichen sich die Hände. 170 Melchthal. Sie lehren uns, was w i r tun sollten. Walther Fürst. Geht! Ich ruf’ euch wieder, wenn’s hier sicher ist. (Melchthal geht hinein.) Der Unglücksel’ge! ich darf ihm nicht Gestehen, was mir Böses schwant. — Wer klopft? So oft die Türe rauscht, erwart’ ich Unglück. Verrat und Argwohn lauscht in allen Ecken; Bis in das Innerste der Häuser dringen Die Boten der Gewalt; bald tat’ es Not, Wir hätten Schloss und Riegel an den Türen. (Er Öffnet und tritt erstaunt zurück, da Werner Stauffacher hereintritt.) Was seh’ ich? Ihr, Herr Werner! Nun, bei Gott! Ein werter, teurer Gast — kein bess’rer Mann Ist über diese Schwelle noch gegangen. Seid hoch willkommen unter meinem Dach! Was führt euch her? Was sucht ihr hier in Uri? Stauffacher (ihm die Hand reichend.) Die alten Zeiten und die alte Schweiz. Walther Fürst. Die bringt ihr mit euch — Sieh’, mir wird so wohl, Warm geht das Herz mir auf bei euerm Anblick. — Setzt euch, Herr Werner — Wie verliesset ihr Frau Gertrud, eure angenehme Wirtin, Des weisen Ibergs hochverständ’ge Tochter? Von allen Wand’rern aus dem deutschen Land, Die über Meinrads Zell nach Welschland fahren, Rühmt jeder euer gastlich Haus — Doch sagt, Kommt ihr so eben frisch von Flüelen her, Und habt euch nirgend sonst noch umgesehen, Eh’ ihr den Fuss gesetzt auf diese Schwelle? Stauffacher (setzt sich.) Wohl ein erstaunlich Werk hab’ ich Bereiten sehen, das mich nicht erfreute. Walther Fürst. 0 Freund, da habt ihr’s gleich mit einem Blicke? Stauffacher. Ein solches ist in Uri nie gewesen — Seit Menschendenken war kein Twinghof hier, Und fest war keine Wohnung, als das Grab. Walther Fürst. Ein Grab der Freiheit ist’s, ihr nennt’s mit Namen. Stauffacher. Herr Walther Fürst, ich will euch nicht verhalten, Nicht eine müss’ge Neugier führt mich her; Mich drücken schwere Sorgen — Drangsal hab’ ich Zu Haus verlassen, Drangsal find ich hier, ßenn ganz unleidlich ist’s, was wir erdulden, Und dieses Dranges ist kein Ziel zu seh’n. Frei war der Schweizer von Uralters her, Wir sind’s gewohnt, dass man uns gut begegnet. Ein solches war im Lande nie erlebt, Solang ein Hirte trieb auf diesen Bergen. Walther Fürst. Ja, es ist ohne Beispiel, wie sie’s treiben! Auch unser edle Herr von Attinghausen, Der noch die alten Zeiten hat geseh’n, Meint selber, es sei nicht mehr zu ertragen. Stauffach er. Auch drüben unterm Wald geht Schweres vor, Und blutig wird’s gebüsst. — Der Wolfenschiessen, Des Kaisers Vogt, der auf dem Rossberg hauste, Gelüsten trug er nach verbot’ner Frucht! Baumgarten’s Weib, der haushält zu Alzellen, Wollt’ er zu frecher Ungebühr missbrauchen, Und mit der Axt hat ihn der Mann erschlagen. Walther Fürst, 0, die Gerichte Gottes sind gerecht! 172 Baumgarten, sagt ihr? ein bescheid’ner Mann! Er ist gerettet docli und wohl geborgen ? Stauffacher. Euer Eidam hat ihn übern See geflüchtet; Bei mir zu Steinen halt’ ich ihn verborgen — — Noch Gräulichers hat mir derselbe Mann Berichtet, was zu Sarnen ist gescheh’n, Das Herz muss jedem Biedermanne bluten. Walther Fürst (aufmerksam.) Sagt an, was ist’s? Stauffacher. In Melchthal, da, wo man Eintritt bei Kerns, wohnt ein gerechter Mann, Sie nennen ihn den Heinrich von der Halden Und seine Stimm’ gilt was in der Gemeinde. Walther Fürst. Wer kennt ihn nicht? Was ist’s mit ihm? Vollendet? Stauffach er. Der Landenberger büsste seinen Sohn Um kleinen Fehlers willen, liess die Ochsen, Das beste Paar, ihm aus dem Pfluge spannen ; Da schlug der Knab’ den Knecht und wurde flüchtig. W a 1 t ll e r Fürst (in höchster Spannung.) Der Vater aber — sagt, wie steht’s um den? S t a u f f a c h e r. Den Vater liess der Landenberger fordern, Zur Stelle schaffen soll er ihm den Sohn, Und, da der alte Mann mit Wahrheit schwört, Er habe von dem Flüchtling keine Kunde, Da lässt der Vogt die Folterknechte kommen — Walther Fürst. (springt auf und will ihn auf die andere Seite führen.) O still, nichts mehr! Stauffacher (mit steigendem Ton.) »Ist mir der Sohn entgangen, 173 So hab’ ich dich!« lässt ihn zu Boden werfen, Den spitz’gen Stahl ihm in die Augen bohren — Walther F ü r s t. Barmherziger Himmel ! M 6 1 C h t h fl 1 (stürzt heraus.) In die Augen, sagt ihr? Stauf fa Cher (erstaunt zum Walther Fürst.) "Wer ist der Jüngling? Mel c h t h a 1 (fasst ihn mit krampfhafter Heftigkeit.) In die Augen? redet! Walther F ü r s t. 0 der Bejammernswürdige! Stauffacher. Wer ist’s? (Da Walther Fürst ihm ein Zeichen gibt.) Der Sohn ist’s ? Allgerechter Gott! M e 1 c h t h a 1. Und ich Muss ferne sein? — In seine beiden Augen? Walther Fürst. Bezwinget euch! Ertragt es wie ein Mann! Melchth al. Um meiner Schuld, um meines Frevels willen! — Blind also! Wirklich blind und ganz geblendet? Stauffacher. Ich sagt’s. Der Quell des Sehn’s ist ausgeflossen, Das Licht der Sonne schaut er niemals wieder. Walther Fürst. Schont seines Schmerzens! M e 1 c h t h a 1. Niemals! niemals wieder! 174 Er drückt die Hand vor die Augen und schweigt einige Momente; dann wendet er sich von dem einen zu dem andern und spricht mit sanfter, von Tränen erstickter Stimme.) O, eine edle Himmelsgabe ist Das Licht des Auges — alle Wesen leben Vom Lichte, jedes glückliche Geschöpf — Die Pflanze selbst kehrt freudig sich zum Lichte. Und er muss sitzen, fühlend in der Nacht, Im ewig Finstern — ihn erquickt nicht mehr Der Matten warmes Grün, der Blumen Schmelz, Die roten Firnen kann er nicht mehr schauen — Sterben ist nichts — doch leben und nicht sehen, Das ist ein Unglück — warum seht ihr mich So jammernd an? Ich hab’ zwei frische Augen Und kann dem blinden Vater keines geben, Nicht einen Schimmer von dem Meer des Licht’s, Das glanzvoll, blendend mir ins Auge dringt. Stauffacher. Ach, ich muss euern Jammer noch vergrössern, Statt ihn zu heilen — er bedarf noch mehr! Denn alles hat der Landvogt ihm geraubt; Nichts hat er ihm gelassen als den Stab, Um nackt und blind von Tür zu Tür zu wandern. M e 1 c h t h a 1. Nichts als den Stab dem augenlosen Greis! Alles geraubt und auch das Licht der Sonne, Des Ärmsten allgemeines Gut — Jetzt rede Mir keiner mehr vom Bleiben, vom Verbergen ! Was lür ein feiger Elender bin ich, Dass ich auf meine Sicherheit gedacht, Und nicht auf deine! — dein geliebtes Haupt Als Pfand gelassen in des Wütrichs Händen; Feigherz’ge Vorsicht, fahre hin — Auf nichts Als blutige Vergeltung will ich denken. Hinüber will ich — keiner soll mich halten — Des Vaters Auge von dem Landvogt fordern — 175 Aus allen seinen Reisigen heraus Will ich ihn finden — nichts liegt mir am Leben, Wenn ich den heissen, ungeheuren Schmerz In seinem Lebensblute kühle. (Er will gehen.) Walther Fürst. Bleibt! Was könnt ihr gegen ihn ? Er sitzt zu Sarnen Auf seiner hohen Herrenburg und spottet Ohnmächt’gen Zorns in seiner sichern Veste. M e 1 c h t h a 1. Und wohnt’ er droben auf dem Eispalast Des Schreckhorns oder höher, wo die Jungfrau Seit Ewigkeit verschleiert sitzt — ich mache Mir Bahn zu ihm; mit zwanzig Jünglingen, Gesinnt wie ich, zerbrech’ ich seine Veste. Und wenn mir niemand folgt, und wenn ihr alle, Für eure Hütten bang und eure Herden, Euch dem Tyrannenjoche beugt — die Hirten Will ich zusammenrufen im Gebirg, Dort unterm freien Himmelsdache, wo Der Sinn noch frisch ist und das Herz gesund, Das ungeheuer Grässliche erzählen. Stauffacher (zu Walther Fürst.) Es ist auf seinem Gipfel — Wollen wir Erwarten, bis das Äusserste — M e 1 c h t h a I. Welch’ Äusserstes Ist noch zu fürchten, wenn der Stern des Auges In seiner Höhle nicht mehr sicher ist? — Sind wir denn wehrlos ? Wozu lernten wir Die Armbrust spannen und die schwere Wucht Der Streitaxt schwingen? Jedem Wesen ward Ein Notgewehr in der Verzweiilungsangst. Es stellt sich der erschöpfte Hirsch und zeigt 176 Der Meute sein gefürchtetes Geweih, Die Gemse reisst den Jäger in den Abgrund — Der Pflugstier selbst, der sanfte Hausgenoss Des Menschen, der die ungeheure Kraft Des Halses duldsam unters Joch gebogen, Springt auf, gereizt, wetzt sein gewaltig Horn Und schleudert seinen Feind den Wolken zu. Walther F ü r s t. Wenn die drei Lande dächten, wie wir drei, So möchten wir vielleicht etwas vermögen. Stauffacher. Wenn Uri ruft, wenn Unterwalden hilft, Der Schwyzer ward die alten Bünde ehren. M e I c h t h a 1. Gross ist in Unterwalden meine Freundschaft, Und jeder wagt mit Freuden Leib und Blut, Wenn er am andern einen Rücken hat Und Schirm — 0 fromme Väter dieses Landes! Ich stehe, nur ein Jüngling, zwischen euch, Den Vielerfahrnen — meine Stimme muss Bescheiden schweigen in der Landsgemeinde. Nicht, weil ich jung bin und nicht viel erlebte, Verachtet meinen Rat und meine Rede; Nicht lüstern jugendliches Blut, mich treibt Des höchsten Jammers schmerzliche Gewalt, Was auch den Stein des Felsen muss erbarmen. Ihr selbst seid Väter, Häupter eines Hauses Und wünscht euch einen tugendhaften Sohn, Der eures Hauptes heil’ge Locken ehre Und euch den Stern des Auges fromm bewache. 0, weil ihr selbst an eurem Leib und Gut Noch nichts erlitten, eure Augen sich Noch frisch und hell in ihren Kreisen regen, So sei euch darum uns’re Not nicht fremd. Auch über euch hängt das Tyrannenschwert, Ihr habt das Land von Ostreich abgewendet; 177 Kein anderes war meines Vaters Unrecht, Ihr seid in gleicher Mitschuld und Verdammnis. S t a U f f a C h e r (ZU Walther Fürst). Beschliesset ihr! Ich hin bereit zu folgen. Walther Fürst. Wir wollen hören, was die edeln Herrn Von Sillinen, von Attinghausen raten — Ihr Name, denk’ ich, wird uns Freunde werben. M e 1 c h t h a 1. Wo ist ein Name in dem Waldgebirs’ o o Ehrwürdiger, als eurer und der eure? An solcher Namen ächte W’ährung glaubt Das Volk, sie haben guten Klang im Lande. Ihr habt ein reiches Erb’ von Vätertugend Und habt es selber reich vermehrt — Was braucht’s Des Edelmanns? Lasst’s uns allein vollenden! Wären wir doch allein im Land! Ich meine, Wir wollten uns schon selbst zu schirmen wissen. Stauffach er. Die Edeln drängt nicht gleiche Not mit uns ; Der Strom, der in den Niederungen wütet, Er hat bis jetzt die Höh’n noch nicht erreicht — Doch ihre Hülfe wird uns nicht entsteh’n, Wenn sie das Land in Waffen erst erblicken. Walther Fürst. Wäre ein Obmann zwischen uns und Ostreich, So möchte Recht entscheiden und Gesetz. Doch der uns unterdrückt, ist unser Kaiser Unser höchster Richter — so muss Gott uns helfen Durch unsern Arm — Erforschet ihr die Männer Von Schwyz, ich will in Uri Freunde werben. Wen aber senden wir nach Unterwalden? Melchthal. Mich sendet hin — wem lag’ es näher an — 12 178 \Y a ! t li e r F ii r s t. Ich geb’s nicht zu; ihr seid mein Gast, ich muss Für eure Sicherheit gewähren! M e 1 c h t h a I. Lasst mich! Die Schliche kenn’ ich und die Felsensteige; Auch Freunde lind’ ich g’nug, die mich dem Feind Verhehlen und ein Obdach gern gewähren. Stauffacher. Lasst ihn mit Gott hinüber geh’n. Dort drüben Ist kein Verräter — So verabscheut ist Die Tyrannei, dass sie kein Werkzeug findet. Auch der Alzeller soll uns nid dem Wald Genossen werben und das Land erregen. Melchthal. Wie bringen wir uns sich’re Kunde zu, Dass wir den Argwohn der Tyrannen täuschen? Stauffacher. Wir könnten uns zu Brunnen oder Treib Versammeln, wo die Kaufmannsschiffe landen. Walt h e r F ii r s t. So offen dürfen wir das Werk nicht treiben. — Hört meine Meinung. — Links am See, wenn man Nach Brunnen fährt, dem Mvtenstein grad’ über, Liegt eine Matte heimlich im Gehölz, Das Rütli heisst sie bei dem Volk der Hirten, Weil dort die Waldung ausgereutet ward. Dort ist’s, wo uns’re Landmark und die eure (Zu Melchthal.) Zusammen grenzen, und in kurzer Fahrt (Zu Stauffacher.) Trägt euch der leichte Kahn von Schwyz herüber. Auf öden Pfaden können wir dabin Bei Nachtzeit wandern und uns still beraten. Dahin mag jeder zehn vertraute Männer 179 Mitbringen, die berzeinig sind mit uns, So können wir gemeinsam das Gemeine Besprechen und mit Gott es frisch beschliessen. Stauffacher. So sei’s. Jetzt reicht mir eure bied’re Rechte, Reicht ihr die eure her, und so, wie wir Drei Männer jetzo, unter uns die Hände Zusammen flechten, redlich, ohne Falsch, So w-ollen wir drei Länder auch zu Schutz Und Trutz zusammensteh’n auf Tod und Leben. Walther Fürst und Melchthal. -Auf Tod und Leben! (Sie halten die Hände noch einige Pausen lang zusammengehochten und schweigen.) Melchthal. Blinder, alter Vater, Du kannst den Tag der Freiheit nicht mehr schauen; Du sollst ihn hören. — Wenn von Alp zu Alp Die Feuerzeichen flammend sich erheben, Die festen Schlösser der Tyrannen fallen, ln deine Hütte soll der Schweizer wallen, •Zu deinem Ohr die Freudenkunde tragen, Und hell in deiner Nacht soll es dir tagen! (Sie gehen auseinander.) Zweiter Aufzug. Zweit© Szene. Fine Wiese, von hohen Felsen umgeben. Auf dem Felsen sind Steige mit Geländern, auch Leitern, von denen man nachher die Landleute herabsteigen siebt. Im Hintergründe zeigt sich der See, über welchem anfangs ein Mondregenbogen zu sehen ist. Den Prospekt schliessen höbe Berge ein, hinter welchem noch höhere Eisgebirge ragen. Es ist völlig Nacht auf der Szene, nur der See und die weissen Gletscher leuchten im Mondlicht. Melchthal, Baumgarten, Winkelried, Meier von Sarnen, ifturkhart am Bühl, Arnold von Sewa, Klaus von der Flüe und noch vier andere Landleute, alle bewaffnet. M e 1 C h t h a 1 (noch hinter der Szene). Der Bergweg öffnet sich, nur frisch m i r nach t Den Fels erkenn’ ich und das Kreuzlein drauf j Wir sind am Ziel, hier ist das Rütli. (Treten auf mit Windlichtern.) W i n k e 1 r i e d. Horch! Ganz leer. S e w a. Meie r. S’ist noch kein Landmann da. Wir sind Die Ersten auf dem Platz, wir Unterwaldner.. M e 1 c h th al. Wie weit ist’s in der Nacht? Baumgarten, Der Feuerwächter Vom Seelisberg hat eben Zwei gerufen. (Man hört in der Ferne läuten.) Meie r. Still! Horch! Am Bühel. Das Mettenglöcklein in der Waldkapelle Klingt hell herüber aus dem Schwyzerland. Von der F1 ü e. Die Luft ist rein und trägt den Schall so weit. M e 1 c h th al. Geh’n einige und zünden Reisholz an, Dass es loh brenne, wenn die Männer kommen. (Zwei Landleute gehen.) S e w a. S’ist eine schöne Mondennacht. Der See Liegt ruhig da, als wie ein eb’ner Spiegel. 181 Am Bühel. Sie haben eine leichte Fahrt. Winkel l’ied (zeigt nach dem See). Ha, seht! Seht dorthin ! Seht ihr nichts ? Meier. Was denn? — Ja wahrlich Ein Regenbogen mitten in der Nacht! M e 1 c h t h a I. Es ist das Licht des Mondes, das ihn bildet. Von der Flüe. Das ist ein seltsam wunderbares Zeichen! Es leben viele, die das nicht geseh’n. S e w a. Er ist doppelt; seht, ein blässerer steht drüber. Baumgarten. Ein Nachen fahrt soeben drunter weg. M e 1 c h t h a 1. Das ist der Stauffacher mit seinem Kahn, Der Biedermann lässt sich nicht lang’ erwarten. (Geht mit Baumgarten .nach dem Ufer.) Meier. Die Urner sind es, die am längsten säumen. Am ß ü h e 1. Eie müssen weit umgehen durchs üebirg’, Dass sie des Landvogt’s Kundschaft hintergehen. 1 t ll 6 r Kürst (in heftigem Schmerz). Es ist vorbei; er liat’s beschlossen, mich Mit meinem ganzen Hause zu verderben! Stauffacher (zum Teil). 0, warum musstet ihr den Wütrich reizen? Teil. Bezwinge sich, wer meinen Schmerz gefühlt! S t a u f f a c li e r. 0, nun ist alles, alles hin! Mit eüch Sind wir gefesselt alle und gebunden! 217 Landleute (umringen den Teil). Mit euch geht unser letzter Trost dahin! L e 11 t ll 0 1 d (nähert sich). Teil, es erbarmt mich — doch ich muss gehorchen. Teil. Lebt wohl! W a 11 h e r Teil (sich mit heftigem Schmerz an ihn schmiegend). O Vater! Vater! lieber Vater! Teil (hebt die Arme zum Himmel). Dort droben ist dein Vater! Den ruf’ an! Stauffacher. Teil, sag’ ich eurem Weibe nichts von euch? Teil. (liebt den Knaben mit Inbrunst an seine Brust). Der Knab’ ist unverletzt; mir wird Gott helfen. (Reisst sich schnell los und folgt den Waffenknechten). Vierter Aufzug. Erste Szene. Östliches Ufer des Vierwaldstättersees. Die seltsam gestalteten, schroffen Felsen im Westen schliessen den Prospekt. Der See ist bewegt, heftiges Rauschen und Tosen, dazwischen Blitze und Donnerschläge. Kunz von Ger sau. Fischer und Fischerknabe. Kunz. Ich sah’s mit Augen an, ihr könnt mir’s glauben; S’ist alles so geschehn, wie ich euch sagte. F i s c her. Der Teil gefangen abgeführt nach Küsnacht, 218 Der beste Mann im Land, der bravste Arm, Wenn’s einmal gelten sollte für die Freiheit. Kunz. Der Landvogt führt ihn selbst den See herauf; Sie waren eben dran, sich einzuschiffen, Als ich von Flüelen abluhr; doch der Sturm, Der eben jetzt im Anzug ist, und der Auch mich gezwungen, eilends hier zu landen, Mag ihre Abfahrt wohl verhindert haben. Fischer. Der Teil in Fesseln, in des Vogts Gewalt! 0, glaubt, er wird ihn tief genug vergraben, Dass er des Tages Licht nicht wieder sieht! Denn fürchten muss er die gerechte Rache Des freien Mannes, den er schwer gereizt! Kunz. Der Altlandammann auch, der edle Herr Von Attinghausen, sagt man, lieg’ am Tode. Fische r. So bricht der letzte Anker unsrer Hoffnung! Der war es noch allein, der seine Stimme Erheben durfte für des Volkes Rechte! Kunz. Der Sturm nimmt überhand. Gehabt euch wohl! Ich nehme Herberg’ in dem Dorf; denn heut’ Ist doch an keine Abfahrt mehr zu denken. (Geht ab). Fischer. Der Teil gefangen, und der Freiherr tot! Erheb’ die freche Stirne, Tyrannei, Wirf alle Scham hinweg! Der Mund der Wahrheit Ist stumm, das seh’nde Auge ist geblendet, Der Arm, der retten sollte, ist gefesselt! 219 Knabe. Es hagelt schwer. Kommt in die Hütte, Vater, Es ist nicht kommlich, hier im Freien hausen. Fischer. Raset, ihr Winde! Flammt herab, ihr Blitze! Ihr Wolken, berstet! Giesst herunter, Ströme Des Himmels, und ersäuft das Land! Zerstört Im Keim die ungeborenen Geschlechter! Ihr wilden Elemente, werdet Herr! Ihr Bären, kommt, ihr alten Wölfe wieder Der grossen Wüste! Euch gehört das Land. Wer wird hier leben wollen ohne Freiheit! Knabe. Hört, wie der Abgrund tost, der Wirbel brüllt, So hat’s noch nie gerast in diesem Schlunde! Fisch er. Zu zielen auf des eignen Kindes Haupt, Solches ward keinem Vater noch geboten! Und die Natur soll nicht in wildem Grimm Sich drob empören — 0, mich soll’s nicht wundern, Wenn sich die Felsen bücken in den See, Wenn jene Zacken, jene Eisestürme, Die nie auftauten seit dem Schöpfungstag, Von ihren hohen Kulmen niederschmelzen, Wenn die Berge brechen, wenn die alten Klüfte Einstürzen, eine zweite Siindflut alle Wohnstätten der Lebendigen verschlingt! (Man hört lauten). Knabe. Hört ihr, sie läuten droben auf dem Berg. Gewiss hat man ein Schiff in Not geseh’n Und zieht die Glocke, dass gebetet werde. (Steigt auf eine Anhöhe). Fischer. Wehe dem Fahrzeug, das, jetzt unterwegs, In dieser furchtbarn Wiege wird gewiegt! Hier ist das Steuer unnütz und der Steurer, Der Sturm ist Meister, Wind und Welle spielen Ball mit dem Menschen. — Da ist nah und fern Kein Busen, der ihm freundlich Schutz gewährte! Handlos und schroff ansteigend starren ihm Die Felsen, die unwirtlichen, entgegen Und weisen ihm nur ihre steinern schroffe Brust. Knabe (deutet links). Vater, ein Schiff! es kommt von Flüelen her. Fischer. Gott helf den armen Leuten! Wenn der Sturm In dieser Wasserkluft sich erst verfangen, Dann rast er um sich mit des Raubtiers Angst, Das an des Gitters Eisenstäbe schlägt! Die Pforte sucht er heulend sich vergebens; Denn ringsum schränken ihn die Felsen ein, Die himmelhoch den engen Pass vermauern. (Er steigt auf die Anhohe)/ Knabe. Es ist das Herrenschiff von Uri, Vater, Ich kenn’s am roten Dach und an der Fahne. Fische r. Gerichte Gottes! Ja er ist es selbst, Der Landvogt, der da fährt — Dort schifft er hin Und führt im Schiffe sein Verbrechen mit! Schnell hat der Arm des Rächers ihn gefunden, Jetzt kennt er über sich den stärkern Herrn. Diese Wellen hören nicht auf seine Stimme, Diese Felsen bücken ihre Häupter nicht Vor seinem Hute — Knabe, bete nicht! Greif nicht dem Richter in den Arm! Knabe. Ich bete für den Landvogt nicht — ich bete Für den Teil, der auf dem Schiff sich mit befindet. 221 Fischer. 0 Unvernunft des blinden Elements! Musst du, um einen Schuldigen zu treffen, Das Schiff mit samt dem Steuermann verderben! Knabe. Sieh’, sieh’, sie waren glücklich schon vorbei Am Buggisgrat; doch die Gewalt des Sturms, Der von dem Teufelsmünster widerprallt, Wirft sie zum grossen Axenberg zurück. — Ich seh’ sie nicht mehr. Fischer. Dort ist das Hackmesser, Wo schon der Schilfe mehrere gebrochen. Wenn sie nicht weislich dort vorüber lenken, So wird das Schiff zerschmettert an der Fluh, Die sich gähstotzig absenkt in die Tiefe. — Sie haben einen guten Steuermann Am Bord; könnt’ einer retten, wär’s der Teil; Doch dem sind Arm’ und Hände ja gefesselt. Wilhelm Teil mit der Armbrust. Er kommt mit raschen Schritten, blickt erstaunt umher und zeigt die heftigste Bewegung* Wenn er mitten auf der Szene ist, wirft er sich nieder, die Hände zur Erde und dann zum Himmel ausbreitend). Knabe (bemerkt ihn). Sieh’, Vater, wer der Mann ist, der dort kniet? Fischer. Er fasst die Erde an mit seinen Händen Und scheint wie ausser sich zu sein. Knabe (kommt Torwarts). Was seh’ ich! Vater! Vater kommt und seht! Fischer (nähert sich). Wer ist es? — Gott im Himmel! Was? der Teil? Wie kommt ihr hieher? Redet! 222 K n a 1) e. War’t ihr nicht Dort auf dein Schill' gefangen und gebunden? Fischer. Ihr wurdet nicht nach Kiisnacht abgeführt? Teil (steht auf). Ich bin befreit. Fischer und Knabe. Befreit! 0 Wunder Gottes ! Knabe. Wo kommt ihr her? Teil. Dort aus dem Schilfe. Fischer. Was? Knabe (zugleich). Wo ist der Landvogt? Teil. Auf den Wellen treibt er. Fische r. Ist’s möglich? Aber ihr? wie seid ihr hier? Seid euren Banden und dem Sturm entkommen? Teil. Durch Gottes gnäd’ge Fürsehung — Hört an! Fischer und Knabe. 0 redet, redet! Teil. Was in Altorf sich Begeben, wisst ihr’s? 223 Fische r. Alles weiss ich, redet! Teil. Dass mich der Landvogt fallen liess und binden, Nach seiner Burg zu Küsnacht wollte führen. F i s c h e r. Und sich mit euch zu Flüelen eingeschifft, Wir wissen alles. Sprecht, wie ihr entkommen! Teil. Ich lag im Schiff, mit Stricken festgebunden, Wehrlos, ein aufgegeb’ner Mann — Nicht hofft’ ich, Das frohe Licht der Sonne mein- zu sehn, Die Gattin und der Kinder liebes Antlitz, Und trostlos blickt’ ich in die frasserwüste — Fische r. 0 armer Mann! Teil. So fuhren wir dahin, Der Vogt, Rudolph der Harras und die Knechte. Mein Köcher aber mit der Armbrust lag Am hintern Gransen bei dem Steuerruder. Und als wir an die Ecke jetzt gelangt Beim kleinen Axen, da verhängt’ es Gott, Dass solch’ ein grausam mörd’risch Ungewitter Gählings herfürbrach aus des Gotthards Schlünden, Dass allen Ruderern das Herz entsank, Und meinten alle, elend zu ertrinken. Da hör’ ich’s, wie der Diener einer sich Zum Landvogt wendet’ und die Worte sprach: Ihr sehet eure Not und unsre, Herr, Und dass wir all’ am Rand des Todes schweben — Die Steuerleute aber wissen sich Vor grosser Furcht nicht Rat und sind des Fahrens 224 Nicht wohl berichtet — Nun aber ist der Teil Ein starker Mann und weiss ein Schiff zu steuern. Wie, wenn wir sein jetzt brauchten in der Not? Da sprach der Vogt zu mir: Teil, wenn du dir’s Getrautest, uns zu helfen aus dem Sturm, So möcht’ ich dich der Bande wohl entled’gen. Ich aber sprach: Ja, Herr, mit Gottes Hilfe Getrau’ ich mir’s und helP uns wohl hiedannen. So ward ich meiner Bande los und stand Am Steuerruder und fuhr redlich hin; Doch schielt’ ich seitwärts, wo mein Schiesszeug lag, Und an dem Ufer merkt’ ich scharf umher, Wo sich ein Vorteil auftät’ zum Entspringen. Und wie ich eines Felsenriffs gewahre, Das abgeplattet vorsprang in den See — Fischer. Ich kenn’s, es ist am Fuss des grossen Axen, Doch nicht für möglich acht’ ich’s — so gar steil Geht’s an — vom Schiff es springend abzureichen — Teil. Schrie ich den Knechten, handlich zuzugehn, Bis dass wir vor die Felsenplatte kämen. Dort, rief ich, sei das Ärgste überstanden. — Und als wir sie frischrudernd bald erreicht, Fleh’ ich die Gnade Gottes an und drücke, Mit allen Leibeskräften angestemmt, Den hintern Gransen an die Felswand hin. Jetzt schnell mein Schiesszeug fassend, schwing’ ich selbst Hochspringend auf die Platte mich hinauf, Und mit gewalt’gem Fussstoss hinter mich Schleudr’ ich das Schifflein in den Schlund der Wasser — Dort mag’s, wie Gott will, auf den Wellen treiben! So bin ich hier gerettet aus des Sturms Gewalt und aus der schlimmeren der Menschen. Fischer. Teil, Teil! ein sichtbar Wunder hat der Herr 225 An euch getan; kaum glaub’ ich’s meinen Sinnen — Doch, saget! wo gedenket ihr jetzt hin? Denn Sicherheit ist. nicht für euch, wofern Der Landvogt lebend diesem Sturm entkommt. Teil. Ich hört’ ihn sagen, da ich noch im Schiff Gebunden lag, er wollt’ bei Brunnen landen, Und über Schwyz nach seiner Burg mich führen. Fischer. Will er den Weg dahin zu Lande nehmen? Teil. Er denkt’s. Fischer. 0, so verbergt euch ohne Säumen! Nicht zweimal hilft euch Gott aus seiner Hand. Teil. Nennt mir den nächsten Weg nach Arth und Küsnacht. Fischer. Die offne Strasse zieht sich über Steinen; Doch einen kürzern W T eg und heimlichem Kann euch mein Knabe über Lowerz führen. Teil. (gibt ihm die Hand). Gott lohn’ euch eure Guttat. Lebet wohl. (Geht und kehrt wieder um). — Habt ihr nicht auch im Rütli mitgeschworen ? Mir däucht, man nannt’ euch mir. Fischer. Ich war dabei Und hab’ den Eid des Bundes mitbeschworen. Teil. So eilt nach Bürglen, tut die Lieb’ mir an, Mein Weib verzagt um mich; verkündet ihr, Dass ich gerettet sei und wohl geborgen. 15 226 Fischer. Doch wohin sag’ ich ihr, dass ihr geflohn? Teil. Ihr werdet meinen Schwäher bei ihr finden Und andre, die im Rütli mitgeschworen — . Sie sollen wacker sein und guten Mut’s, Der Teil sei frei und seines Armes mächtig; Bald werden sie ein Weitres von mir hören. Fischer. Was habt ihr im Gemüt? Entdeckt mir’s frei. Teil. Ist es getan, wird’s auch zur Rede kommen. (Geht ab). Fischer. Zeig’ ihm den Weg, .Tenni — Gott steh’ ihm bei! Er führt’s zum Ziel, was er auch unternommen. (Geht ab). Dritte Szene. Die hohle Gasse bei Küsnacht. Mau steigt von hinten zwischen Felsen herunter, und die Wanderer werden, ehe sie auf der Szene erscheinen, schon von der Höhe gesehen. Felsen umschliessen die ganze Szene auf einem der vordersten ist ein Vorsprung mit Gesträuch bewachsen. Teil (tritt auf mit der Armbrust). Durch diese hohle Gasse muss er kommen; Es führt kein andrer Weg nach Küsnacht — Hier Vollend’ ich’s — die Gelegenheit ist günstig. Dort der Hollunderstrauch verbirgt mich ihm, Von dort herab kann ihn mein Pfeil erlangen; Des Weges Enge wehret den Verfolgern. Mach’ deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt, Fort musst du, deine Uhr ist abgelaufen. Ich lebte still und harmlos — das Geschoss „ War auf des Waldes Tiere nur gerichtet, Meine Gedanken waren rein von Mord — 227 Du hast aus meinem Frieden mich heraus Geschreckt, in gährend Drachengift hast du Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt; Zum Ungeheuren hast du mich gewöhnt — Wer sich des Kindes Haupt zum Ziele setzte, Der kann auch treffen in das Herz des Feinds. Die armen Kindlein, die unschuldigen, Das treue W’cib muss ich vor deiner Wut Beschützen, Landvogt! — Da, als ich den Bogenstrang Anzog — als mir die Hand erzitterte — Als du mit grausam teufeliseher Lust Mich zwangst, aufs Haupt des Kindes anzulegen — Als ich ohnmächtig flehend rang vor dir, Damals gelobt’ ich mir in meinem Innern Mit furchtbarm Eidschwur, den nur Gott gehört, Dass meines nächsten Schusses erstes Ziel Dein Herz sein sollte — Was ich mir gelobt In jenes Augenblickes Höllenqualen, Ist eine heil’ge Schuld — ich will sie zahlen. Du bist mein Herr und meines Kaisers Vogt; Doch nicht der Kaiser hätte sich erlaubt, Was du — Er sandte dich in diese Lande, Um Recht zu sprechen — strenges, denn er zürnet — Doch nicht, um mit der mörderischen Lust Dich jedes Gräuels straflos zu erfrechen; Es lebt ein Gott, zu strafen und zu rächen. Komm du hervor, du Bringer bittrer Schmerzen, Mein teures Kleinod jetzt, mein höchster Schatz — Ein Ziel will ich dir geben, das bis jetzt Der frommen Bitte undurchdringlich war — Doch dir soll es nicht widerstehn — Und du, Vertraute Bogensehne, die so oft Mir treu gedient hat in der Freude Spielen, Verlass mich nicht im fürchterlichen Ernst! Nur jetzt noch halte fest, du treuer Strang, Dex mir so oft den herben Pfeil beflügelt — Entrann’ er jetzo kraftlos meinen Händen, Ich habe keinen zweiten zu versenden. ("Wanderer gehen über die Szene). Auf dieser Bank von Stein will ich mich setzen, Dem Wanderer zur kurzen Ruh’ bereitet — Denn hier ist keine Heimat — jeder treibt Sich an dem andern rasch und fremd vorüber Und fraget nicht nach seinem Schmerz — Hier geht Der sorgenvolle Kaufmann und der leicht Geschürzte Pilger — der andücht’ge Mönch, Der düstre Räuber und der heitre Spielmann, Der Säumer mit dem schwer beladnen Ross, Der ferne herkommt von der Menschen Ländern, Denn jede Strasse führt ans End’ der Welt. Sie alle ziehen ihres W T eges fort An ihr Geschäft — und meines ist der Mord! (Setzt sieh). Sonst, wenn der Vater auszog, liebe Kinder, Da war ein Freuen, wenn er wiederkam; Denn niemals kehrt’ er heim, er bracht’ euch etwas, War’s eine schöne Alpenblume, war’s Ein seltner Vogel oder Ammonshorn, Wie es der W’andrer findet auf den Bergen — Jetzt geht er einem andern Waidwerk nach, Am wilden Weg sitzt er mit Mordgedanken; Des Feindes Leben ist’s, worauf er lauert. — Und doch an euch nur denkt er, liebe Kinder, Auch jetzt — euch zu verteid’gen, eure holde Unschuld Zu schützen vor der Rache des Tyrannen, Will er zum Morde jetzt den Bogen spannen. (Steht auf). Ich laure auf ein edles Wild — Lässt sich’s Der Jäger nicht verdriessen, Tage lang Umher zu streifen in des Winters Strenge, Von Fels zu Fels den Wagesprung zu tun, Hinan zu klimmen an den glatten Wänden, Wb er sich anleimt mit dem eignen Blut, — Um ein armselig Grattier zu erjagen. Hier gilt es einen köstlicheren Preis, Das Herz des Todfeinds, der mich will verderben. (Man hört von ferne eine heitere Musik, welche sich nähert). Mein ganzes Leben lang hab’ ich den Bogen Gehandhabt, mich geübt nach Schützenregel; Ich habe oft geschossen in das Schwarze Und manchen schönen Preis mir heimgebracht Vom Freudenschiessen — aber heute will ich Den Meisterschuss tun und das beste mir Im ganzen Umkreis des Gebirgs gewinnen. Eine Hochzeit zieht über die Szene und durch den Hohlweg hinauf. Teil betrachtet sie, auf seinen Bogen gelehnt; Stüssi, der Flurschütz, gesellt sich zu ihm. Stüssi. Das ist der Klostermei’r von Mörlischachen, Der hier den Brautlauf hält — ein reicher Mann, Er hat wohl zehen Senten auf den Alpen. Die Braut holt er jetzt ab zu Immisee, Und diese Nacht wird hoch geschwelgt zu Küsnacht. Kommt mit! s’ ist jeder Biedermann geladen. Teil. Ein ernster Gast stimmt nicht zum Hochzeithaus. Stüssi. Drückt euch ein Kummer, werft ihn frisch vom Herzen! Nehmt mit, was kommt; die Zeiten sind jetzt schwer; Drum muss der Mensch die Freude leicht ergreifen. Hier wird gefreit und anderswo begraben. Teil. Und oft kommt gar das eine zu dem andern. Stüssi. So geht die Welt nun. Es gibt allerwegen Unglücks genug — Ein Ruffi ist gegangen Im Glarner Land, und eine ganze Seite Vom Glärnisch eingesunken. Teil. Wanken auch Die Berge selbst? Es steht nichts fest auf Erden. S t ü s s i. Auch anderswo vernimmt man Wunderdinge. Da sprach ich einen, der von Baden kam. Ein Ritter wollte zu dem König reiten, Und unterwegs begegnet ihm ein Schwarm Von Hornissen; die fallen auf sein Ross, Dass es vor Marter tot zu Boden sinkt Und er zu Fusse ankommt bei dem König. Teil. Dem Schwachen ist sein Stachel auch gegeben. rmgart kommt mit mehreren Kindern und stellt sich an den Eingang des Hohlweges). S t ü s s i. Man deutet’s auf ein grosses Landesunglück, Auf schwere Taten wider die Natur. Teil. Dergleichen Taten bringet jeder Tag, Kein Wunderzeichen braucht sie zu verkünden. . S t ü s s i. Ja, wohl dem, der sein Feld bestellt in Ruh’, Und ungekränkt daheim sitzt bei den Seinen. Teil. Es kann der Frömmste nicht im Frieden leben, Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt. (■feil sieht oft mit unruhiger Erwartung nach der Höhe des Weges). ' S t ü s s i. Gehabt euch wohl — ihr wartet hier auf jemand. | Teil. Das tu’ ich. S t ü s s i. Frohe Heimkehr zu den Euren! 231 — Ihr seid aus Uri? Unser gniid’ger Herr, Der Landvogt, wird noch heut’ von dort erwartet. Wanderer (kommt). Den Vogt erwartet heut’ nicht mehr. Die Wasser Sind ausgetreten von dem grossen Regen, Und alle Brücken hat der Strom zerrissen, (Teil steht auf)* Armgart (kommt vorwärts). Der Landvogt kommt nicht? S t ü s s i. Sucht ihr was an ihm? Ach freilich! Armgart, S t ü s s i. Warum stellet ihr euch denn In dieser hohlen Gass’ ihm in den Weg? A rmgart, Hier weicht er mir nicht aus, er muss mich hören. Friesshardt (kommt eilfertig den Hohlweg hinab und ruft in die Szene). Man fahre aus dem Weg — mein gnäd’ger Herr, Der Landvogt, kommt dicht hinter mir geritten. (Teil geht ab). A r m g a r t (lebhaft). Der Landvogt kommt! (Sie geht mit ihren Kindern nach der vordem Szene. Gessler und Rudolph der Harras zeigen sich zu Pferd auf der Höhe des Weges). Stüs si (zum Friesshardt). Wie kamt ihr durch das Wasser, Da doch der Strom die Brücken fortgeführt? Friesshardt. Wir haben mit dem See gefochten, Freund, Und fürchten uns vor keinem Alpenwasser. 232 S t ü s s i. Ihr war’t zu Schiff in dem gewalt’gen Sturm? Friesshardt. Das waren wir. Mein Lebtag denk’ ich dran — Stüssi. 0, bleibt, erzählt! Friesshard t. Lasst mich, ich muss voraus, Den Landvogt muss ich in der Burg verkünden. (Ab.) Stüssi. Wär’n gute Leute auf dem Schiff gewesen, In Grund gesunken wär’s mit Mann und Maus; Dem Volk kann weder Wasser bei noch Feuer. (Er sieht sich um.) Wo kam der Waidmann hin, mit dem ich sprach? {Geht ab). (Gessler und Rudolph der Harras zu Pfetd). G e s s 1 e r. Sagt, was ihr wollt, ich bin des Kaisers Diener, Und muss drauf denken, wie ich ihm gefalle. Er hat mich nicht ins Land geschickt, dem Volk Zu schmeicheln und ihm sanft zu tun — Gehorsam Erwartet er; der Streit ist, ob der Bauer Soll Herr sein in dem Lande oder der Kaiser. Armgart. Jetzt ist der Augenblick! Jetzt bring’ ich’s an! (Nähert sich furchtsam.) Gessler. Ich hab’ den Hut nicht aufgesteckt zu Altorf Des Scherzes wegen, oder um die Herzen Des Volks zu prüfen; diese kenn’ ich längst. Ich hab’ ihn aufgesteckt, dass sie den Nacken Mir lernen beugen, den sie aufrecht tragen — Das Unbequeme hab’ ich hingepflanzt Auf ihren Weg, wo sie vorbeigehn müssen, Dass sie drauf stossen mit dem Aug’, und sich Erinnern ihres Herrn, den sie vergessen. Rudolph. Das Volk hat aber doch gewisse Rechte — G e s s I e r. Die abzuwägen, ist jetzt keine Zeit! — Weitschicht’ge Dinge sind im "Werk und Werden; Das Kaiserhaus will wachsen; was der Vater Glorreich begonnen, will der Sohn vollenden. Dies kleine Volk ist uns ein Stein im Weg — So oder so — es muss sich unterwerfen. (Sie wollen vorüber. Die Frau wirft sieb vor dein Landvogt nieder). Armgart. Barmherzigkeit, Herr Landvogt! Gnade! Gnade! G es s 1 er. Was dringt ihr euch auf offner Strasse mir In Weg — zurück! Arnigart. Mein Mann liegt im Gefängnis; Die armen Waisen schrei’n nach Brot — habt Mitleid, Gestrenger Herr, mit unserm grossen Elend. Rudolph. Wer seid ihr? Wer ist euer Mann? Arm gart. Ein armer Wildheuer, guter Herr, vom Rigiberge, Der überm Abgrund weg das freie Gras Abmähet von den schroffen Felsen wänden, Wohin das Vieh sich nicht getraut zu steigen — Rudolph (zum Landvogt). Bei Gott! ein elend’ und erbärmlich Leben! Ich bitt’ euch, gebt ihn los, den armen Mann! 234 Was er auch Schweres mag verschuldet haben, Strafe genug ist sein entsetzlich Handwerk. (Zu der Frau). Euch soll Recht werden — drinnen auf der Burg Nennt eure Bitte — hier ist nicht der Ort. Armgart, Nein, nein, ich weiche nicht von diesem Platz, Bis mir der Vogt den Mann zurückgegeben! Schon in den sechsten Mond liegt er im Turm Und harret auf den Richterspruch vergebens. Gessler. W.eib, wollt ihr mir Gewalt antun? Hinweg! Armgart. Gerechtigkeit, Landvogt! Du bist der Richter Im Lande an des Kaisers Statt und Gottes. Tu’ deine Pflicht ! So du Gerechtigkeit Vom Himmel hoffest, so erzeig’ sie uns! Gessler. Fort! Schafft das freche Volk mir aus den Augen! Arm gart. (greift in die Zügel des Pferdes). Nein, nein, ich habe nichts mehr zu verlieren. Du kommst nicht von der Stelle, Vogt, bis du Mir Recht gesprochen — falte deine Stirne, Rolle die Augen, wie du willst — Wir sind So grenzenlos unglücklich, dass wir nichts Nach deinem Zorn mehr fragen — Gessler. Weib, mach’ Platz, Oder mein Ross geht über dich hinweg. Arm gar t. Lass’ es über mich dahin gehn — Da — (Sie reisst ihre Kinder zu Boden und wirft sich mit ihnen ihm in den Weg). Hier lieg’ ich 235 ' Mit meinen Kindern — lass die armen Waisen Von deines Pferdes Huf zertreten werden! Es ist das Ärgste nicht, was du getan — Rudolph. Weib, seid ihr rasend? Armgart (heftiger fortfahrend). Tratest du doch längst Das Land des Kaisers unter deine Füsse! — 0, ich bin nur ein Weib. War’ ich ein Mann, Ich wüsste wohl was Besseres, als hier Im Staub zu liegen — (Man hört die vorige Musik wieder auf der Höhe des Weges, aber gedämpft).. G e s s 1 e r. Wo sind meine Knechte? Man reisse sie von hinnen, oder ich Vergesse mich und tue, was mich reuet. ßudolp h. Die Knechte können nicht hindurch, o Herr! Der Hohlweg ist gesperrt durch eine Hochzeit. G e s s 1 e r. Ein allzu milder Herrscher bin ich noch Gegen dies Volk — die Zungen sind noch frei, Es ist noch nicht ganz, wie es soll, gebändigt — Doch es soll anders werden, ich gelob’ es: Ich will ihn brechen, diesen starren Sinn, Den kecken Geist der Freiheit will ich beugen, Ein neu’ Gesetz will ich in diesen Landen Verkündigen — ich will — (Ein Pfeil durchbohrt ihn; er fährt mit der Hand ans Herz und will sinken). Mit matter Stimme. Gott sei mir gnädig! Rudolph. Herr Landvogt — Gott! Was ist das? Woher kam das?' Armgart (auffahrend). Mord! Mord! Er taumelt, sinkt! Er ist getroffen! 236 Rudolph. (springt vom Pferde). Welch’ grässliches Ereignis — Gott — Herr Ritter — Ruft die Erbarmung Gottes an! Ihr seid Ein Mann des Todes! G e s s 1 e r. Das ist des Teils Geschoss. (Ist vom Pferde herab dem Rudolph Harras in den Arm gegleitet und wird auf der Bank niedergelassen). Teil (erscheint oben auf der Höhe des Felsens). Du kennst den Schützen, suche keinen andern! Frei sind die Hütten, sicher ist die Unschuld Vor dir, du wirst dem Lande nicht mehr schaden. (Verschwindet von der Höhe. Volk stürzt herein). S t Ü S S i (voran). Was gibt es hier? Was hat sich zugetragen? Armgart. Der Landvogt ist von einem Pfeil durchschossen. \ O 1 k (hereinstürzend). Wer ist erschossen? (Indem die Vordersten von dem Brautzug auf die Szene kommen, sind die Hintersten noch auf der Höhe, und die Musik geht fort). Rudolph der Harras. Er verblutet sich. Fort, schaffet Hilfe! Setzt dem Mörder nach! Verlorner Mann, so muss es mit dir enden; Doch meine Warnung wolltest du nicht hören! S t ü s s i. Bei Gott, da liegt er bleich und ohne Leben! Viele Stimmen. Wer hat die Tat getan? Rudolph der Harras. Rast dieses Volk, Dass es dem Mord Musik macht? Lasst sie schweigen! (Musik bricht plötzlich ab, es kommt noch mehr Volk nach). 237 Herr Landvogt, redet, wenn ihr könnt — habt ihr Mir nichts mehr zu vertrauen? (Gessler gibt Zeichen mit der Hand, die er mit Heftigkeit wiederholt, da sie nicht gleich verstanden werden). Wo soll ich hin? — Nach Küsnacht? Ich versteh’ euch nicht, — o werdet Nicht ungeduldig — lasst das Irdische, Denkt jetzt, euch mit dem Himmel zu versöhnen. (Die ganze Hochzeitsgesellschaft umsteht den Sterbenden mit einem fühllosen Grausen). Stüssi. Sieh’, wie er bleich wird — Jetzt, jetzt tritt der Tod Ihm an das Herz — die Augen sind gebrochen. Armgart. (hebt ein Kind empor). Seht, Kinder, wie ein Wüterich verscheidet! Rudolph der Harras. Wahnsinn’ge Weiber, habt ihr kein Gefühl, Dass ihr den Blick an diesem Schrecknis weidet? — Helft — leget Hand an — steht mir niemand bei, Den Schmerzenspfeil ihm aus der Brust zu ziehn? W e i b e r (treten zurück). Wir ihn berühren, welchen Gott geschlagen! Rudolph der Harras. Fluch trefl’ euch und Verdammnis! (Zieht das Schwert). Stüssi (fällt ihm in den Arm). Wagt es, Herr! Eu’r Walten hat ein Ende. Der Tyrann Des Landes ist gefallen. Wir erdulden Keine Gewalt mehr. Wir sind freie Menschen. Alle (tumultuarisch). Das Land ist frei! Rudolph der Harras. Ist es dahin gekommen? .238 Endet die Furcht so schnell und der Gehorsam? (Zu den Waffeukuechten, die herciudringen). Ihr seht die grauseuvolle Tat des Mords, Die hier geschehen — Hilfe ist umsonst — Vergeblich ist’s, dem Mörder nachzusetzen. Uns drängen andre Sorgen — auf, nach Küsnacht, Dass wir dem Kaiser seine Feste retten! Denn aufgelöst in diesem Augenblick Sind aller Ordnung, aller Pflichten Bande, Und keines Mannes Treu’ ist zu vertrauen. (Indem er mit den 'Waffenknechten abgeht, erscheinen sechs barmherzige Brüder). Arragart. Platz! Platz! Da kommen die barmherz’gen Brüder. S t ü s s i. Das Opfer liegt — die Raben steigen nieder. Barmherzige Brüder. (schliessen einen Halbkreis um den Toten und singen in tiefem Ton). Rasch tritt der Tod den Menschen an; Es ist ihm keine Frist gegeben; Es stürzt ihn mitten in der Bahn, Es reisst ihn fort vom vollen Leben. Bereitet oder nicht, zu gehen, Er muss vor seinen Richter stehen! (Indem die letzten Zeilen wiederholt werden, fällt der Vorhang). . Fünfter Aufzug. Erste Szene. Öffentlicher Platz bei Altorf. Im Hintergründe rechts die Feste Zwing Uri mit dem noch stehenden Baugerüste; links eine Aussicht in viele Berge hinein, auf welchen allen Signalfeuer brennen. Es ist eben Tagesanbruch. Glocken ertönen aus verschiedenen Fernen. (Ruodi, Kuoni, Werni, Meister Steinmetz und viele andere Landleute, auch Weiber und Kinder). Ruodi. Seht ihr die Feu’rsignale auf den Bergen? 239 Steinmetz. Hört ihr die Glocken drüben überm Wald? R u o d i. Die Feinde sind verjagt. Steinmetz. Die Burgen sind erobert. Ruo d i. Und wir im Lande Uri dulden noch Auf unserm Boden das Tyrannenschloss? / Sind wir die letzten, die sich frei erklären? Steinmetz. Das Joch soll stehen, das uns zwingen wollte? Auf, reisst es nieder! Alle. Nieder 1 nieder! nieder! Ru o d i. Wo ist der Stier von Uri? Stier von Uri. Hier. Was soll ich? Ruo di. Steigt auf die Hochwacht, blast in euer Horn, Dass es weitschmetternd in die Berge schalle Und, jedes Echo in den Felsenklüften Aufweckend, schnell die Männer des Gebirgs Zusammenrufe. (Stier von Uri geht ab. Walther Fürst kommt). Walther Fürst. Haltet, Freunde 1 Haltet! Noch fehlt uns Kunde, was in Unterwalden Und Schwyz geschehen. Lasst uns Boten erst Erwarten. R u o d i. Was erwarten? Der Tyrann Ist tot, der Tag der Freiheit ist erschienen. 240 Steinmetz. Ist’s nicht genug an diesen flammenden Boten, Die rings herum auf allen Bergen leuchten? R u o d i. Kommt alle, kommt, legt Hand an, Männer und Weiber! Brecht das Gerüste! Sprengt die Bogen! Reisst Die Mauern ein! Kein Stein bleib’ auf dem andern. Steinmetz. Gesellen, kommt! Wir haben’s aufgebaut, Wir wissen’s zu zerstören. Alle. Kommt, reisst nieder! (Sie stürzen sich von allen Seiten auf den Bau). W T a 11 h e r Fürst. Es ist im Lauf. Ich kann sie nicht mehr halten. (Melchthal und Baumgarten kommen). Me 1 c h t h a 1. Was? steht die Burg noch, und Schloss Sarnen liegt In Asche, und der Rossberg ist gebrochen? Walther Fürst. Seid ihr es, Melchthal? Bringt ihr uns die Freiheit? Sagt, sind die Lande alle rein vom Feind? Melchthal (umarmt ihn). Rein ist der Boden. Freut euch, alter Vater! In diesem Augenblicke, da wir reden, Ist kein Tyrann mehr in der Schweizer Land. W a 11 h e r Fürst. 0, sprecht, wie wurdet ihr der Burgen mächtig? Melchthal. Der Rudenz war es, der das Sarner Schloss Mit männlich kühner Wagetat gewann, Den Rossberg hatt’ ich Nachts zuvor erstiegen. — Doch höret, was geschah. Als wir das Schloss, 241 Vom Feind geleert, nun freudig angezündet, Die Flamme prasselnd schon zum Himmel schlug, Da stürzt der Diethelm, Gesslers Bub, hervor Und ruft, dass die Bruneckerin verbrenne. Walther Fürst. Gerechter Gott! (Man hört die Balken des Gerüstes stürzen). Melchthal. Sie war es selbst, war heimlich Hier eingeschlossen auf des Vogts Geheiss. Rasend erhob sich Rudenz — denn wir hörten Die Balken schon, die festen Pfosten stürzen, Und aus dem Rauch hervor den Jammerruf — Der Unglückseligen. Walther Fürst Sie ist gerettet? Melchthal. Da galt Geschwindsein und Entschlossenheit 1 — War’ er nur unser Edelmann gewesen, Wir hätten unser Leben wohl geliebt; Doch er war unser Eidgenoss, und Bertha Ehrte das Volk — so setzten wir getrost Das Leben dran und stürzten in das Feuer. Walther Fürst. Sie ist gerettet? Melchthal. Sie ist’s. Rudenz und ich, Wir trugen sie selbander aus den Flammen, Und hinter uns fiel krachend das Gebälk. — Und jetzt, als sie gerettet sich erkannte, Die Augen aufschlug zu dem Sternenlicht, Jetzt stürzte mir der Freiherr an das Herz, Und schweigend ward ein Bündnis jetzt beschworen, Das, fest gehärtet in des Feuers Glut, Bestehen wird in allen Schicksalsproben — 16 Walther Fürst. Wo ist der Landenberg? M e 1 c h t h a 1. Über den Brünig. Nicht lag’s an mir, dass er das Licht der Augen Davon trug, der den Vater mir geblendet. Nach jagt’ ich ihm, erreicht’ ihn auf der Flucht Und riss ihn zu den Füssen meines Vaters. Geschwungen über ihm war schon das Schwert; Von der Barmherzigkeit des blinden Greises Erhielt er flehend das Geschenk des Lebens. Urfehde schwur er, nie zurück zu kehren; Er wird sie halten; unsern Arm hat er Gefühlt. Walther Fürst. Wohl euch, dass ihr den reinen Sieg Mit Blute nicht geschändet! Kinder (eilen mit Trümmern des Gerüstes über die Szene). Freiheit! Freiheit! (Das Horn von Uri wird mit Macht geblasen). Walther Fürst. Seht, welch’ ein Fest! Des Tages werden sich Die Kinder spät als Greise noch erinnern. (Mädchen bringen den Hut auf einer Stange getragen; die ganze Szene füllt sich mit Volk an). R u o d i. Hier ist der Hut, dem wir uns beugen mussten. Baum gar teil. Gebt uns Bescheid, was damit werden soll. W T a 11 h e r Fürst. Gott! unter diesem Hute stand mein Enkel. Mehrere Stimmen. Zerstört das Denkmal der Tyrannenmacht! Ins Feuer mit ihm! 243 Walther Fürst. Nein! lasst ihn aufbewahren! Der Tyrannei musst’ er zum Werkzeug dienen; Er soll der Freiheit ewig Zeichen sein! (Die Landleute, Männer, Weiber und Kinder stehen und sitzen auf den Balken des zerbrochenen Gerüstes malerisch gruppirt in einem Halbkreis umher). Melchthal. So stehen wir nun fröhlich auf den Trümmern Der Tyrannei, und herrlich ist’s erfüllt, Was wir im Rütli schwuren, Eidgenossen! Walther Fürst. Das Werk ist angefangen, nicht vollendet. Jetzt ist uns Mut und feste Eintracht not; Denn, seid gewiss, nicht säumen wird der König, Den Tod zu rächen seines Vogts, und den Vertriebnen mit Gewalt zurück zu führen. Mel-chthal. Er zieh’ heran mit seiner Heeresmacht! Ist aus dem Innern doch der Feind verjagt; Dem Feind von aussen wollen wir begegnen. R u o d i. Nur wen’ge Pässe öffnen ihm das Land, Die wollen wir mit unsern Leibern decken. Baumgarten. Wir sind vereinigt durch ein ewig Band, Und seine Heere sollen uns nicht schrecken! (Rösselmann und S t au ff a c h e r kommen). Rösselmann (im Eintreten). Das sind des Himmels furchtbare Gerichte. L a n d 1 e u t e. Was gibt’s? Rösselmann. In welchen Zeiten leben wir! 244 Walther Fürst. Sagt an, was ist es? Ha, seid ihr’s, Herr Werner? Was bringt ihr uns? Landleute. Was gibt’s? Rösselmann. Hört und erstaunt! Stauffach er. Von einer grossen Furcht sind wir befreit — Rösselmann. Der Kaiser ist ermordet. Walther Fürst. Gnäd’ger Gott! (Landleute machen einen Aufstand und umdrängen den Stauffacher). Alle. Ermordet! Was? Der Kaiser! Hört! Der Kaiser! M e 1 c h t h a 1. Nicht möglich! Woher kam euch diese Kunde? Stauffacher. Es ist gewiss. Bei Bruck fiel König Albrecht Durch Mörders Hand — ein glaubenswerter Mann, Johannes Müller, bracht’ es von Schaffhausen. Walther Fürst. Wer wagte solche grauenvolle Tat? Stauffacher. Sie wird noch grauenvoller durch den Täter. Es war sein Neffe, seines Bruders Kind, Herzog Johann von Schwaben, der’s vollbrachte. Me 1 ch th al. Was trieb ihn zu der Tat des Yatermords? 245 Stauffacher. Der Kaiser hielt das väterliche Erbe Dem ungeduldig Mahnenden zurück; Es liiess, er denk’ ihn ganz darum zu kürzen, Mit einem Bischofshut ihn abzufinden. Wie dem auch sei — der Jüngling öffnete Der Waffenfreunde bösem Rat sein Ohr, Und mit den edlen Herrn von Eschenbach, Von Tegerfelden, von der Wart und Palm Beschloss er, da er Recht nicht konnte finden, Sich Rach’ zu holen mit der eignen Hand. Walther Fürst. 0 sprecht, wie ward das Grässliche vollendet? Stauffache r. Der König ritt herab vom Stein zu Baden, Gen Rheinfeld, wo die Hofstatt war, zu zielin, Mit ihm die Fürsten Hans und Leopold Und ein Gefolge hochgeborner Herren, Und als sie kamen an die Reuss, wo man Auf einer Fähre sich lässt übersetzen, Da drängten sich die Mörder in das Schiff, Dass sie den Kaiser vom Gefolge trennten. Drauf, als der Fürst durch ein geackert Feld Hinreitet — eine alte, grosse Stadt Soll drunter liegen aus der Heiden Zeit — Die alte Feste Habsburg im Gesicht, Wo seines Stammes Hoheit ausgegangen — Stösst Herzog Hans den Dolch ihm in die Kehle, Rudolf von Palm durchrennt ihn mit dem Speer, Und Eschenbach zerspaltet ihm das Haupt, Dass er heruntersinkt in seinem Blut, Gemordet von den Seinen, auf dem Seinen. Am andern Ufer sahen sie die Tat; Doch, durch den Strom geschieden, konnten sie Nur ein ohnmächtig’ Wehgeschrei erheben; 246 Am Wege aber sass ein armes Weib, In ihrem Schoss verblutete der Kaiser. Melchthal. So hat er nur sein frühes Grab gegraben, Der unersättlich alles wollte haben! Stauffacher. Ein ungeheurer Schrecken ist im Land umher; Gesperrt sind alle Pässe des Gebirgs, Jedweder Stand verwahret seine Grenzen; Die alte Zürich selbst schloss ihre Tore, Die dreissig Jahre lang offen standen, zu, Die Mörder fürchtend und noch mehr — die Rächer. Denn, mit des Bannes Fluch bewaffnet, kommt Der Ungarn Königin, die strenge Agnes, Die nicht die Milde kennet ihres zarten Geschlechts, des Vaters königliches Blut Zu rächen an der Mörder ganzem Stamm, An ihren Knechten, Kindern, Kindeskindern, Ja, an den Steinen ihrer Schlösser selbst. Geschworen hat sie, ganze Zeugungen Hinabzusenden in des Vaters Grab, In Blut sich, wie in Maientau, zu baden. Melchthal. Weiss man, wo sich die Mörder hingeflüchtet? Stauffach er. Sie flohen alsbald nach vollbrachter Tat Auf fünf verschiednen Strassen auseinander Und trennten sich, um nie sich mehr zu sehen — Herzog Johann soll irren im Gebirge. Walther Fürst. So trägt die Untat ihnen keine Frucht! Rache trägt keine Frucht! Sich selbst ist sie Die fürchterliche Nahrung, ihr Genuss Ist Mord, und ihre Sättigung das Grausen. S t au ff ac h er. Den Mördern bringt die Untat nicht Gewinn; Wir aber brechen mit der reinen Hand Des blut’gen Frevels segenvolle Frucht. Denn einer grossen Furcht sind wir entledigt; Gefallen ist der Freiheit grösster Feind, Und wie verlautet, wird das Szepter gehn Aus Habsburgs Haus zu einem andern Stamm; Das Reich w’ill seine Wahlfreiheit behaupten. Walther Fürst und Mehrere. Vernahmt ihr w 7 as? Stauffacher. Der Grat von Luxemburg Ist von den mehrsten Stimmen schon bezeichnet. Walther Fürst. Wohl uns, dass wir beim Reiche treu gehalten; Jetzt ist zu hoffen auf Gerechtigkeit! Stauffacher. Dem neuen Herrn tun tapfre Freunde not; Er wird uns schirmen gegen Ostreichs Rache. (Die Landleute umarmen einander). • (Sigrist mit einem Reichsboten). Sigrist. Hier sind des Landes würd’ge Oberhäupter. Rösselmann und Mehrere. Sigrist, was gibt’s ? Sigrist. Ein Reichsbot’ bringt dies Schreiben. Alle (zu Walther Fürst). Erbrecht und leset. Walther Fürst (liest). »Den bescheidnen Männern »Von Uri, Schwyz und Unterwalden bietet »Die Königin Elsbeth Gnad’ und alles Guts.« I 248 Viele Stimmen. Was will die Königin? Ihr Reich ist aus. Walther Fürst (liest). »In ihrem grossen Schmerz und Witwenleid, »Worein der blut’ge Hinscheid ihres Herrn »Die Königin versetzt, gedenkt sie noch »Der alten Treu’ und Lieb’ der Schweizerlande.« Melchthal. In ihrem Glück hat sie das nie getan. Rösselmann. Still! lasset hören! Walther Fürst (liest). »Und sie versieht sich zu dem treuen Volk, »Dass es gerechten Abscheu werde tragen »Vor den verfluchten Tätern dieser Tat; »Darum erwartet sie von den drei Landen, »Dass sie den Mördern nimmer Vorschub tun, »Vielmehr getreulich dazu helfen werden, »Sie auszuliefern in des Rächers Hand, .»Der Lieb’ gedenkend und der alten Gunst, »Die sie von Rudolfs Fürstenhaus empfangen.« (Zeichen des Unwillens unter den Landleuten). Viele Stimmen. Der Lieb’ und Gunst! Stauffacher. Wir haben Gunst empfangen von dem Vater; Doch wessen rühmen wir uns von dem Sohn? Hat er den Brief der Freiheit uns bestätigt, Wie vor ihm alle Kaiser doch getan? Hat er gerichtet nach gerechtem Spruch Und der bedrängten Unschuld Schutz verliehn? Hat er auch nur die Boten wollen hören, Die wir in unsrer Angst zu ihm gesendet? Nicht Eins von diesem allem hat der König 249 An uns getan, und, hätten wir nicht selbst Uns Recht verschafft mit eigner mut’ger Hand, Ihn rührte unsre Not nicht an. — Ihm Dank? Nicht Dank hat er gesät in diesen Tälern. Er stand auf einem hohen Platz, er konnte Ein Vater seiner Völker sein; doch ihm Gefiel es, nur zu sorgen für die Seinen. Die er gemehrt hat, mögen um ihn weinen! Walther Fürst. Wir wollen nicht frohlocken seines Falls, Nicht des empfangnen Bösen jetzt gedenken, Fern sei’s von uns! Doch, dass wir rächen sollten Des Königs Tod, der nie uns Gutes tat, Und die verfolgen, die uns nie betrübten, Das ziemt uns nicht und will uns nicht gebühren. Die Liebe will ein freies Opfer sein: Der Tod entbindet von erzwungnen Pflichten, — Ihm haben wir nichts weiter zu entrichten. Melchthal. Und weint die Königin in ihrer Kammer, Und klagt ihr wilder Schmerz den Himmel an, So seht ihr hier ein angstbefreites Volk Zu eben diesem Himmel dankend flehen — W’er Tränen ernten will, muss Liebe säen. (Reichsbote geht ab). S t a u f f a c h e r (zu dem voiki. W 7 o ist der Teil? Soll er allein uns fehlen, Der unsrer Freiheit Stifter ist? Das Grösste Hat er getan, das Härteste erduldet. Kommt alle, kommt, nach seinem Haus zu wallen, Und rufet Heil dem Retter von uns allen. (Alle gehen ab). i u :;r urnoj ;H .slflt*' oifi» utfl.V/ . ti;ii Ü'fSlluÄ liV ■ nasöor .’inf Wii «.*•»!*;- • f'i'iU j’V .l'll lu’ll ■> L u:’ '•»: • . f? i', :> C -I ■;!# WrH -i; •.i'i r*5uO *n. -.Mt» . .i-.Vtoitxi' :>üi •»(*> ,i,- '»:hh l!iv/ J.-jiii-IH-.jr ..'wvk rtit li&r -«tl&i i iMtuf'iiM 4 ).'!•» ii:w ivi hiJ!,' 1 " /l •( • I!! iniiO ntjto s .'im: li n ;■(!<•/. «<»jLyiisuj.ly^nn (i• • t »i :« i J p >/.. 11 s H,. fl i .&t . /"i . !'< .? 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