001000014SV212 Geschichte der deutschen Literatur. Bon Dr. Johannes Scherr. wie unter Göttern wandelt und durch den Rückblick auf'so viele olympische Seelen sich selbst dem Himmel näher fühlt. Fortlage. Zweite, durchgesehene und verbesserte Ausgabe. Mit fünfzig Portraits ausgezeichnetsten Dichter ui Deutscher Nation. OeipM Verlag von Otto Wigand. 1854 . ?/VE Vorwort zur zweiten Ausgabe. Vorliegende Arbeit erschien zuerst in dem encyklopädischen Werk: „Bildungshalle im Sinne und Geiste unserer Zeit" (Lpzg. O. Wigand, 1853—54). Jetzt tritt es selbstständig vor das Publicum, durchgesehen, stellenweise verändert und ergänzt. Letzteres auch in Betreff der artistischen Ausstattung. So weit ich in meiner Zurückgezogenheit Urtheile über das Buch in seiner ersten Ausgabe vernahm, haben Unbefangene anerkannt, daß ich statt dürrer Verzeichnisse von Autornamen und Büchertiteln eine organisch gegliederte Entwicklung unserer Literaturgeschichte zu geben mich bestrebte und daß dieses Streben mir nicht übel gelungen. Einsichtige billigten die Absicht, von welcher ich ausging, die nämlich, nicht nur das in unserer poetischen und wissenschaftlichen Literatur Gewordene zu registriren, sondern vielmehr, mit fortwährender Berücksichtigung der gesammten Culturarbeit deutscher Nation, auch dem nichtgelehrteu Leser das Werden und Wachsen unseres nationalliterarischen und wissenschaftlichen Besitzthums klar vor Augen zu legen. Die kritische Seite meiner Arbeit betreffend, habe ich es verschmäht, die in literargeschichtlichen Handbüchern gäng und geben Urtheile nachzuschreiben, und habe, wie ich ungescheut sagen darf, mein Urtheil überall nur auf das Studium X Vorwort. der Quellen basirt. Einem Mann, welcher seit mehr als fünfzehn Jahren unserer literarischen Geschichte eine liebevolle Hingabe widmet, sollte man auch wohl nicht ohne Weiteres die Tendenz unterschieben, bei Beurtheilung literarischer Zustände und Personen von vorübergehenden Parteizwecken und Parteistimmungen ausgegangen zu sein. Aber gerade die Selbstständigkeit meines Urtheils und die Aufrichtigkeit der Form, in welche ich es kleidete, hat einer gewissen Partei Anstoß gegeben. Ich werde es dieser Partei weder jemals recht machen können, noch jemals recht machen wollen. Unsere schlaffe, verblasene Gegenwart will weder im Leben noch in der Literatur scharf ausgeprägte Charaktere. Die süßliche Heuchelei, den deprimirenden Eindrücken einer feigen Tagesstimmung molluskenartig sich fügend, ist jetzt überall obenauf. Daraus erklärt es sich, daß sogenannte Literaturgeschichten, in welchen das aus Gervinus und Hillebrand Ausgeschriebene mit etwel- chem frommen Augenaufschlag und mit den plump gezeichneten Arabesken orthodoxer Salbung verquickt und verbrämt wurde, neuestens so reichliches Lob erndteten. Mag aber derartiges literarhistorisches Thun noch so „zeitgemäß" sein, ich meinestheils überlasse es willig der specu- lirenden Gemeinheit. Zugänglich jeder wirklichen Widerlegung und dankbar für jede wahrhafte Belehrung, habe ich zelotisckes Verleumden und Verketzern längst verachten gelernt. Ende August 1854. I. Scherr. Vorwort. An dm Bcrghalden des Schwarzwalds und in den Alpcnthälern der Schweiz findet der Wanderer Häuser, oberhalb deren Thüre nach alter Sitte ein frommer Sinnspruch geschrieben steht. In Nachahmung dieses Brauches möchte ich den Eingang meines Um - und Aufrisses der Geschichte unserer Literatur mit einem bedeutsamen Worte zieren und finde kein passenderes als den Ausruf Herder's: „Erwache, deutsches Publieum, und laß dir dein Palladium nicht rauben! Aus dem trägen Schlummer, der das Beste wegwerfend verachtet, aus der Anmaßung, die dem Schlechtesten das Privilegium des Besten gibt, aus der untheilnchmenden Kälte, aus der völligen Scclen- entfrcmdung, glaube mir, Wird Nichts und kann Nichts werden. Erwache und zeige, daß du kein Barbar bist, damit man dir nicht als einem Barbaren begegne!" VI Vorwort. Das gemeinte Palladium ist unser geistiger Nationalreichthum, unsere Literatur, der unermeßlich reiche Schatz von Aufklärung, Humanität und Schönheit, dessen Gold- und Silberstufcn aus den innersten Schachten deutschen Geistes und Gemüthes zu Tage gefördert wurden und an dessen Ausprägung und Anhäufung die besten Söhne unseres Volkes gearbeitet haben, der Zauberschatz der Bildung, womit sich unser Land eine freie und große Zukunft erkaufen kann und wird und den daher gewisse Leute gar zu gerne in den Rhein versenken möchten, wo dieser am tiefsten ist, gleich jenem Hort der Nibelungen. Laß dir dein Palladium nicht rauben, deutsches Publicum! Dulde nicht, daß man dich verleiten will, dem Schlechtesten das Privilegium des Besten zu geben, laß dir nicht von Barbaren Barbarisches als Deutsches aufhalsen, wirf den elenden Quark und Plunder, welchen dir die Romantiker von heutzutage als vorgebliche neueste Offenbarungen des deutschen Genius vordemonstriren und vorverseln, mit Verachtung bei Seite und kehre zurück zu unserer Classik, um dir mit der Größe und Klarheit ihrer Gedanken den Geist zu weiten und zu lichten und dein Gemüth an der Schönheit ihrer dichterischen Gebilde zu erquicken. Die vorliegende Schrift, welcher die Gunst des Verlegers eine reiche artistische Ausstattung zu Theil werden ließ, macht den Versuch, in weiteren Kreisen, als die Literarhistorik gewöhnlich im Auge hat, das .Interesse für die Entwicklung und die Errungenschaften unserer geistigen Geschichte neu zu beleben. Sie gibt sich als einen anspruchslosen Beitrag zu der von den Umständen dermalen dringend gebotenen und von vielen wackeren Männern mit Eifer aufgenommenen Arbeit, unserem Volke den Gang seiner Bildung allseitig klar zu machen und ihm dadurch einerseits die ungetrübte Einsicht in seine gegenwärtige Lage zu ermög- Vorwort. VII lichen, andererseits ihm seine Pflichten in Beziehung auf die Zukunft zum Bewußtsein zu bringen. Von dem Grundsätze ausgehend, daß der politische und sociale Vorschritt, wenn er nicht immer wieder alsbald zum Rückschritt werden soll, nur auf der Basis geistiger und sittlicher Bildung möglich sei, habe ' ich die Stadien und Formen, welche diese bei uns in nationallitcrarischer und wissenschaftlicher Richtung bisher durchlaufen, aufzuzeigen gesucht und die Geschichte des deutschen Geistes von ihren ersten Anfängen bis auf die Gegenwart herabgeführt. Da ich Hiebei auf populäre Wirkung ausging, so mußte der Stoff möglichst zusammengedrängt, der gelehrte Apparat ganz weggelassen werden, und durfte vom spezifisch Literatorischen und Bibliographischen nur das Allernothwendigste Zutritt finden. Ein vollständiges Compcndium von Namen und Büchertiteln möge Niemand erwarten, aber auch der, welcher unsere zu ungeheuren Massen angeschwollene Literatur genau kennt, wird zugeben müssen, daß ich kein wesentliches Moment ihres Werdens unberücksichtigt gelassen. Die Form ist bei derartigen Unternehmungen bekanntlich eine Hauptsache. Ob ich die rechte getroffen, muß ich dem Urtheil des Lesers zur Entscheidung anheimstellen. Ist mir zum Schluß noch eine persönliche Bemerkung gestattet, so sage ich, daß mir die Beschäftigung mit der vorliegenden Schrift, wie die Ausarbeitung meiner gleichzeitig erscheinenden „Geschichte deutscher Cultur und Sitte", sehr zum Troste gereichte. Hinweggehoben über den Jammer der momentanen Sachlage, überzeugte ich mich aufs Neue, daß eine Nation, welche eine solche Bildungslaufbahn durchgemacht hat, nicht ohne Zukunft sein könne, daß unser theures Vaterland nicht VNI Vorwort. zum Verderben, sondern zur Größe bestimmt sei.'" Mögen, wünsche ich, auch Andere aus meiner Arbeit diese ^Ueberzeugung und diesen Trost schöpfen. Und so noch einmal: Laß dir dein Palladium nicht rauben oder entweihen, deutsches Publicum! Sonnenberg im Februar 1853. I. Scherr. Die deutsche Literatur. I. Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. i. Aus den altdeutschen Wäldern herüber klingt eine leise Tradition, daß unsere Vorfahren von Göttern und -Heroen gesungen und gesagt. Neben den Gegenständen religiöser Verehrung seien, wird uns berichtet, Helden der mythischen Vorzeit deutscher Nation (Teut und Mannus), wie Helden ihrer geschichtlichen Kämpfe mit den Römern (Hermann und Andere), von unseren Ahnen in Liedern gefeiert worden. Es ist uns keines derselben überliefert und wir können nur vermuthen, daß ihrer Form als charakteristisches Merkmal der uraltgermanische, noch jetzt in sprüchwörtlichen Redensarten lebendige Stabreim eigen gewesen sei. Ihr Gehalt jedoch macht sich noch deutlich hörbar in den lateinisch geschriebenen Chronikbüchern, in welchen um die Mitte des 6. Jahrhunderts Jornandcs die Thaten der Gothen und zweihundert Jahre später Paul Warnefrid d. I. die der Longobarden erzählte. Der naiv epische Ton dieser Stammgeschichten zeigt, daß ihre Verfasser dem Klang alter Heldenlieder mit Pietät gelauscht hatten. Nicht unwahrscheinlich ist ferner, daß an der Thiersage vvm Wolf Jsengrimm und Fuchs Rein- hart, welcher ein so spezifisch germanischer Urwaldgeruch anhaftet, wie an der Sage vvm Drachentödtcr Sigfrid, deren mythische Bestandtheile deutlich auf germanisches Heidenthum zurückweisen, vorchristlicher Volkssanger dichterische Thätigkeit stch geübt. Daß es solche Volkssanger („Fahrende») frühzeitig gegeben, dürfen wir bei der entschiedenen Vorliebe unseres Volkes 1 * Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. für poetische Aeußerung unbedenklich annehmen, wie auch feststeht, daß Könige und Helden altdeutscher Sage und Geschichte des heroischen Gesanges kundig waren und den recitativischen Vortrag desselben mit der Harfe begleiteten. Dagegen ist der Schluß, welcher von der Benennung des altdeutschen Schlachtlieds (Barditus) auf das Vorhandensein einer eigenen Dichtergilde, der sogenannten Barden, in Altgermanien, gemacht werden wollte, als eine unstatthafte Voreiligkeit deutschthümelnder Willkür abzuweisen. Wie aus Vorstehendem erhellt, lassen stch die Spuren der deutschen Poesie bis zum und hinter den Beginn der christlichen Aera zurückverfolgen; eine Literatur aber kann ein Volk erst dann haben, wenn es sich in den Besitz einer Buchstabenschrift gesetzt hat. Es ist bekannt, daß schon im heidnischen Deutschland eine Art solcher vorhanden war: gewisse den Priestern und weissagenden Frauen vertraute Zeichen (Runen), geritzt auf die abgebrochenen Stäbe der Buche, woher auch der Name Buchstaben stammt. Allein ein zum Schriftgebrauch geeignetes Alphabet erhielten die Germanen erst durch den gothischen Bischof Ulfilas oder Wulfila (Wülste, st. 388), welcher sein Volk mit der berühmten, in bedeutenden Bruchstücken noch jetzt vorhandenen Uebersetzung der Bibel ins Gothische beschenkte. Dieses ehrwürdige Werk ist das älteste deutsche Schriftdenkmal und der Punkt, von welchem unsere Sprachforschung auszugehen hat, deren Bemühungen so viel Licht in das Dunkel germanischer Vorzeit trugen. Wir sagen hier an passendster Stelle gerade noch, daß unsere theure und edle Sprache ein Glied der indogermanischen Sprachenfamilie ist und daß sie sich in die ostdeutsche oder gothische, in die oberdeutsche ober althochdeutsche, in die niederdeutsche und in die altnordische als in ihre vier Hauptmundarten verzweigte. Die gothische Sprache starb mit den Reichen der Gothen in Italien und Spanien dahin, aber sie hat in ihrer nicht unebenbürtigcn Spätlingsenkeltochter, unserer jetzigen hochdeutschen Mundart, gleichsam eine Wiedcrerstehung erlebt. Das althochdeutsche Idiom lief in drei Unterdialekte aus, in den bairischen, fränkischen und alemannischen oder schwäbischen, welcher letztere während der Blüthezeit des Mittelalters die Sprache der deutschen Bildung wurde. Die niederdeutsche Mundart umfaßte auch die altsächsische. angelsächsische und friesische und hatte die plattdeutsche und holländische zu Töchtern. Aus der altnordischen Sprache endlich entsprang die isländische und durch diese die dänische und schwedische. Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. 5 Die Entwickelung der Culturkeime, welche Wulfila's Bestrebungen unter dem bildungsfähigen Stamm der Gvthen ausgestreut, wurde durch den Sturm der Völkerwanderung zurückgedrängt. Welchen unermeßlichen Einfluß diese ungeheure Bewegung auf die Gestaltung des germanischen Lebens überhaupt geübt, bedarf keiner Auseinandersetzung. Die Völker von Ost- und Nordeuropa vollbrachten eine Revolution, welche die staatliche und soziale Gestalt unseres Erdtheils total veränderte. Aber indem die Germanen als Sieger auf den Trümmern des römischen Weltreichs standen, kam über sie eine Macht, welcher sie nicht gewachsen waren. Die römische Bildung und Politik, die als erneuerndes Element das Christenthum in sich ausgenommen hatte, wußte den trotzigen Barbaren so zu imponiren, daß sie in Blut, Religion, Sprache und Sitten eine Mischung mit südlichen Elementen sich gefallen ließen, in Folge welcher sie aus Germanen allmälig Romanen wurden. Und auch daheim in Deutschland waren tiefgreifende Veränderungen das Resultat der Völkerwanderung. In dem Wirbel derselben hatten sich viele altgermanischc Stämme verloren und waren die Ueberlieferungen der Vorzeit versunken. Selbst der alte Gesammrname Germanen war verschwunden und dafür der der Deutschen aufgekommen, herzuleiten von Thiuda, ss i. Volk, Thiudiska, d. i. Volkssprache, im Gegensatz zum Latein, der Sprache der Gelehrten, und zum Romanischen. Ganz neue Gebietseintheilungen bildeten sich, neue Stämme traten auf die Bühne der Geschichte und der Blick der Sage, welchem die Urzeit in dämmernde Ferne geschwunden, firirte sich auf den kolossalen Gestalten eines Attila (Etzcl) und Theodorich (Dietrich von Bern), ihrer Dicnstmannen und ihrer Gegner. Aus diesen und andern gleichzeitigen Persönlichkeiten fvrmirte die Geschäftige jene Sagenkreise, in welchen sich die volksmäßige deutsche Epik fortan bewegen sollte: den nieder- rheinisch-burgundisch-hunnischen (Sigfrid, Günther, Gernot, Gisclhcr, Brunhild, Kricmhild, Hagen, Volker, Dankwart, Etzel, Rüdiger, Walther), den ostgothischen (die Amelungen und Wölfingen, Ermanrich, Dietrich, Hildcbrand, Jlsan), den friesisch-dänisch-normannischen (Hettel, Gudrun Horand, Wate, Frute, Ludwig, Hartmuth), den nordischen (Veowulf, Wittich, Wicland) und den lvmbardischen (Rother, Otnit, Hugdietrich, Wolfdietrich). In diesen Sagenkreisen entfaltete sich ein so reiches Heldcnleben, daß es die gesangbegabten deutschen Stämme nothwendig zu erzählenden Liedern anregen mußte. Uns ist auch historisch bezeugt, daß solche erklangen und noch Karl der Große eine Anzahl derselben aus dem Munde des Volkes aufschreiben 6 Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. ließ. Allein sie sind verloren, und was uns von nationaler Heldendichtung in alter Fassung gerettet wurde, beschränkt sich auf das sehr fragmentarische Lied von demZweikampf des alten Hildebrand mit seinem Sohne Hadebrand, auf das in angelsächsischer Sprache gedichtete Lied von Beowulf und auf die lateinische Bearbeitung einiger Episoden der Helden- und Thiersage, unter welchen der Wältharius sehr Vortheilhaft sich auszeichnet, weil der Mönch, welcher die schöne Kunde vom aquitanischen Prinzen Walther, der mit seiner Braut Hildegunde vonEtzel's Hof entweicht und am Wasichenstein furchtbare Kämpfe mit den Burgundionen zu bestehen hat, in lateinische Hexameter brachte (Ekkehard d. ä. st. 973), Takt genug besaß, die Reinheit und Frische der Sage nicht durch christelnd - romantische Zuthaten zu trüben. So veranschaulicht uns dieses Gedicht, wie das von Hildebrand und von Beowulf, die waldursprüngliche Kraft und Wildheit germanischen Heidenthums. Wer sich in demselben näher umsehen will, muß zu unseren skandinavischen Stammverwandten gehen und die Edda zurFührerin nehmen, jene berühmte Sammlung uralter Götter- und Heldenlieder, welche, wie es heißt, schon zu Anfang des 12. Jahrhunderts aufJsland gesammelt wurden und zwar durch Sämund Sigfusson. Dieses Buch macht, ergänzt durch die sogenannte jüngere Edda (d.i.Aeltermutter), die Bibel des Gcrmanenthums aus, dessen Weltanschauung sich in der Jnseleinsamkeit Islands poetisch ausprägte, während sie in Skandinavien wie in Deutschland der Invasion des Christenthums gänzlich erlag oder wenigstens durch die letztere wesentlich modifizirt wurde. Die ganze Starrheit und Riescnhaftigkeit nordischer Natur spiegelt sich in diesen Gesängen wider und es schallt aus den harten scharfen Lauten derselben das unbändige Getöse jener Berserkerkämpfc, Wikingerfahrten und Trinkgelage, zwischen welchen das Männcrleben ältesten Gcrmanenthums verlief. Man muß die Lieder von Helgi, von Sigurd und Wölundr lesen, um zu erfahren, auf was für granitenen Gestalten die germanische Urgeschichte ruht, auf Männern, welche lachend in den Tod gingen, welche das Sterben außerhalb der Schlacht für ein Unglück hielten und von denen einer einem christlichen Bekchrer auf die Frage : An wen glaubst Du? die Antwort gab: Ich glaube an mich! Den sanfteren Gefühlen ist in diesen das nationale Heidenthum in seiner vollen Reinheit und Kühnheit bewahrenden Gesängen nur eine sehr spärliche und schüchterne Aeußerung gestattet: die Liebe erscheint darin nur wie der rasch kommende und wieder schwindende bleiche Winter- sonnenstral auf einer Schneelandschaft, aber Zorn und Rache flammen wie Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. 7 blutrotster Nordlichtschein und auch die religiöse Anschauung erreicht den -Höhepunkt ihrer Macht und Kraft da, wo sie in die ungeheure Zerstörung der Götterdämmerung ausläuft, von welcher die Wala in derNöluspa singt. (Simrock hat uns 1851 mit der ersten vollständigen Verdeutschung der älteren und der jüngeren Edda beschenkt.) In Deutschland hat das Heidenthum kein so großartiges geistiges Erbe hinterlassen, wie die Edden sind. Es mußte hier zu rasch der romanisch- christlichen Staatsidce Karl's des Großen weichen. Dieser gewaltige Despot begründete in deutschen Landen das Königthum von Gottes Gnaden und damit eine neue Staats- und Culturperiode. Die fürstliche Centralisation, welche er durchführte, schlug der Gemeinfteihcit tödtliche Wunden und setzte an die Stelle des aristokratisch-republikanischen Staatsprinzips, welches bis dahin bei uns gegolten, das absolutistisch-monarchische, dessen Stütze die christliche Lehre der Unterwerfung und des Gehorsams bildete. Erst nachdem es Karin gelungen war, den Widerstand der Sachsen niederzuschmettern und die Besiegten mit Strömen heidnisch-germanischen Blutes zu taufen, war seine Stellung als die eines Herrschers gesichert, dessen Majestät ein unmittelbarer Ausfluß der göttlichen war. Das nämlich lehrten die Sendboten der Kirche, mit welcher Karl zu gegenseitigem Vortheil ein enges Compromiß eingegangen. Die Folgen desselben für Deutschlands geistiges Leben zeigten sich bald. Die Geistlichen, die Träger der von dem karolingischen Hose ge- wollten und gehegten Cultur, vcrchristlichten und romanisirten unser Volk nach Kräften. Alles Nationale wurde von den Priestern, die ja kein Vaterland haben wollten außer der Kirche, scheel angesehen und vor dem anmaß- lichcn Lärm, welchen die in den Klosterschulen gelehrten sogenannten sieben freien Künste machten, zogen sich die altgermanischen Götter und Heroen in das Gemüth des Volkes zurück, in ein Asyl, wo ihr Cultus nie ganz erloschen ist. Einstweilen aber verstummte der nationale Hcldengesang und eine geistlich-christliche Dichtung versuchte es, die Gestalten desselben durch Personen der christlichen Mythologie zu ersetzen, weil man fühlte, daß man der Phantasie des Volkes durchaus Etwas bieten müsse. Die einsichtigeren Koryphäen der klösterlichen Cultur, wie z. B. ein Hraban Maurus in Fulda, ein Walafrid Strabo in Reicherm», ein Hartmod und Notker in St. Gallen, «in Williram in Ebersberg, waren überhaupt bald zu der Ueberzeugung gelangt, daß diese Cultur, wenn sie eindringen sollte, dem Volke in seiner eigenen Sprache nahe gebracht werden müßte. Daher die grammatikalische 8 Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. und Übersetzerische Beschäftigung solcher Männer mit der Muttersprache, welche sich auch selbstständig in geistlicher Poesie versuchte. Das weitaus bedeutendste ihrer Producte ist die altsächsische Evangelienharmonie aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts, betiteltHeliand (Heiland), in Stabreimen gedichtet (Ausgabe von Schneller, Neudeutschung von Kannegießer). Von wem, ob von Einem oder Mehreren, ist unbekannt. Aber es ist ein echtes Kind der volksmäßigen Epik, bewunderungswürdig durch die nationalgermanische Auffassung des jüdisch-christlichen Mythus, durch die durchaus naive Verdeutschung des fremdartigen Stoffes, durch die ruhig epische, von aller mönchischen Gelahrtheit freie Diction. Der Dichter hat die Personen der ncutestamentlichen Geschichte so glücklich in seinem sächsischen Heimatlande naturalistrt, daß es eine wahre Freude ist, ihn von Christus als dem „ Waltenden unter den Weiganden" erzählen zu hören. In schroffem Gegensatze zu dieser letzten Schöpfung unserer alten Volkspoeste steht die oberdeutsche Evangelienharmonie („ Krist", Ausg. v. Grafs), welche der weißenburger Mönch Otsrid um 865 vollendete, das älteste Werk deutscher Kunstdichtung und außerdem als althochdeutsche Sprachquelle von äußerster Wichtigkeit. Otsrid ist durch und durch Mönch, der in seinem christlich-gelehrten Bewußtsein mit Verachtung auf den Volksgesang herabsieht, von welchem dann auch freilich kein Ton in seine trockene und farblose, weit mehr didaktische als epische Arbeit eingegangen ist. Auch formal unterscheidet sie sich bedeutsam genug von dem Heliand, denn sie vertauscht den germanischen Stabreim mit dem romanischen Endreim, und so erscheint die Einwirkung der Fremde schon mit dem Beginn unserer kunstmäßigen Dichtung verknüpft. Diese paustrte jedoch, gleich der volksmäßigen, bom 10. Jahrhundert an völlig. Die Zeit war nicht darnach angethan, literarische Bestrebungen zu begünstigen, und als durch die Ottonen eine Periode hellen politischen Glanzes für Deutschland herausgeführt wurde, verwehrte da, wo nicht gänzliche Entartung der cleri- kalisch-karolingischen Cultur eingetreten, die Ueberwucherung des Vaterländischen durch die lateinische Bildung das Vorschreiten einheimischer Literatur. Die Bekanntschaft mit dem antiken Schriftenthum wurde von dem sächsischen Kaiserhofe, wo romanische und byzantinische Bildungseinflüffe thätig waren, vielfach gefördert und verführte die Strebsamen zu dem erklärlichen Irrthum, daß es nichts Edleres geben könne, als mit den Dichtern und Historikern der Römer in ihrer eigenen Sprache zu wetteifern. Daher sehen wir bis ins 12. Jahrhundert hinein deutsche Annalisten, deren Arbeiten als Quellen Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. 9 der Geschichte ihrer Zeit von größter Bedeutung sind, ihre Werke in lateinischer Sprache abfassen: so Witukind von Corveh, Thietmar von Merse- burg, Hermann Contractus, Lambert von Aschaffenburg, Otto von Freisingen u. A. Ihre classischen Vorbilder haben sie freilich so wenig erreicht, als die gandersheimer Nonne Hrosuith, in ihren um 980 verfaßten Komödien, die keine sind, das ihrige, den Terenz, erreichte. Dessenungeachtet müssen die Bestrebungen der Genannten und anderer ihrer Zeitgenossen dankbar anerkannt werden, weil sie beweisen, wie frühe die Besseren unter unseren Altvorderen sich bemühten, die aus ihrer Verschüttung durch die Völkerwanderung all- mäliq wieder aufgegrabenen Schätze der antiken Bildung auch für unser Land nutzbar zu machen. 2 . In den Ueberbleibseln unserer frühesten Volksdichtung erkennen wir die nationalen Aeußerungen eines ungemischten, racenhasten Volkes, das in seiner urzeitlichen Besonderheit von den Ueberlieferungen ältester Sage und Geschichte zehrt. Die literarischen Bestrebungen der karolingischen und ottonischen Periode, wie sie von der Geistlichkeit ausgingen, veranschaulichen das Bemühen, Deutschland in den Kreis christlich-lateinischer Cultur einzuführen. Der folgende Zeitraum, historisch als der hohenstaufische, sprachlich als der mittelhochdeutsche, ästhetisch als der romantische zu bezeichnen, offenbart zuerst die Universalität des deutschen Geisteslebens. Die germanische Besonderheit ist aufgegeben, wir sind eingetreten in den geistigen Wechselverkehr, in welchen die Kreuzzüge die Völker Europa's gesetzt, und die Folgen desselben machen sich alsbald in unserer Literatur bemerkbar. Sie faßt alle die poetischen Fäden, welche durch die damaligen Culturvölker unseres Erdtheils laufen, auf und holt sogar solche noch weiter her, aus dem Orient, um sie in ihre farbenreichen Gewebe zu verschlingen. Erst Uebersetzerin, dann Nachahmerin, schreitet sie zur selbstständigcn Meisterschaft vor und schafft, auf ihrem mittelalterlichen Höhepunkte angelangt, Werke, welche die Fremdheit ihrer Stoffe durch die Tiefe und Fülle des deutschen Geistes, der sie beseelt, vergessen machen oder aus rohen Aneignungen von außen her tadellos schöne Kunstwerke gestalten. 10 Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. Wenn man, wie man ja soll und muß, unter den Krcuzzügen nicht allein die Heerfahrten der Abendländer nach Palästina, sondern vielmehr jenen ganzen langen Kampf versteht, welchen die Welt des Christenthums und die des Islam vorn ersten Zusammenstoß der Moslemin und der Christen in Spanien und Frankreich bis zum Fall von Granada mit einander führten, so wird von selbst einleuchten, welche unermeßliche Wirkung die Kreuzzüge aus die Entwickelung der europäischen Nationen übten. Durch sie lernten sich diese zuerst als ein Ganzes fühlen, durch sie wurde die Idee der Christenheit der Kern des ganzen mittelalterlichen Bewußtseins und aus diesem Kern erwuchs die romantische Cultur, die jener Zeit ein so charakteristisches Gepräge verleiht. Die Starrheit des Feudalismus kam in Fluß, die Völker Eurova's tauschten ihre Sagen, ihre Sitten, ihre Kriegswcise, ihre Künste und bildeten in den Kämpfen gegen den Mohammedanismus jenes soziale Institut aus, das unter dem Namen Rittcrthum eine weltgeschichtliche Rolle spielte und das zunächst in Frankreich und Flandern, in Spanien und Italien, durch die Normannen in England und zuletzt auch in Deutschland in Blüthe kam. Zwar will uns scheinen, unsere Altvorderen hatten sich die Aeußer- lichkeiten des romanischen Institutes, die Formen und Formeln, kurz das, was man Courtoisie im weitesten Umfange zu nennen pflegt, nie so geläufig gemacht, wie die Franzosen, aber zweifellos ist, daß den idealen Gehalt des Ritterthums keine Nation so tief in sich aufgenommen hat, wie die deutsche. Die literarischen Emanationen dieser sozialen Gestaltung waren ebenfalls wesentlich durch die Kreuzzüge bedingt. Byzanz öffnete seine Schreine, in welche es die Reliquien hellenischer Poesie gerettet, und machte diese der Andacht der abendländischen Schönhcitsgläubigen zugänglich, der Orient that die Pforten seiner Wunderwelt aus und überströmte den Occident mit seiner Märchenfülle. Der Handel erschloß sich neue Bahnen und führte auch nach Deutschland nicht nur Lasten materieller Güter, deren Besitz den Sinn für feineren Lebensgenuß ausbildete, sondern nicht minder poetische Stoffe und Formen, die dem daheim erwachten Kunstbcdürfniß entgegenkamen. Die religiöse Begeisterung that das Uebrige. Sie concentrirte sich in dem Mariacultus, dessen Ausstralung der ritterliche Minnedicnst war, in den romanischen Ländern vielfach in inhaltslose Subtilität oder grobe Unsittlichkeit auslaufend, in Deutschland, wenigstens in der Poesie, mit einer Innigkeit ersaßt, die der altgermanischen Hochhaltung des Weibes entsprach und durch eine Beimifchung gesunder Sinnlichkeit keineswegs beeinträchtigt wurde. Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. 11 Die Minne, in ihrer Aeußerung als Gottesminne und Frauenminne, war die Seele der romantischen Dichtung, welche als ein Product der Kreuzzüge ganz naturgemäß vorzugsweise von dem Adel gepflegt wurde, der sie ja von seinen kriegerischen Pilgerfahrten mit heimgebracht. Die Lieblingssttzc der Aventiure — denn dies ist, glaube ich, der bezeichnendste Name der mittelalterlich-romantischen Muse — waren und blieben die Höfe größerer und kleinerer Dynasten und daher tragen auch ihre Eingebungen im Gegensatze zur Volksdichtung den Namen der höfischen Kunst. Eine besonders freundliche Aufnahme fand diese in den Pfalzen der thüringer Landgrafen, der brandenburgcr Markgrafen, der Böhmenkönige, der babenbcrgischen Herzoge in Oestreich und am kaiserlichen Hoflager der Hohcnstaufen. Am Throne dieser großen Dynastie, welche die mittelhochdeutsche Mundart ihrer schwäbischen Heimat für drei Jahrhunderte zur Schriftsprache Deutschlands machte, sproßte das fremde Reis der Romantik zu einem Baume auf, dessen Zweige mit prachtvollen Blüthen steh bedeckten. Man muß den Farbcnglanz und Duft derselben bewundern, man kann, wie geschehen ist, daraus folgern, unsere Literatur habe schon im Miltelalter einmal eine Periode classischer Vollendung erreicht; aber man soll dabei nicht vergessen, daß die erotischen Früchte der höfischen Kunst nie zur nationalen Kost geworden sind, sondern nur die Tafeln der privilcgirtcn Klassen zierten, man soll nicht außer Acht lassen, wie die fremde Treibhauspflanze nie so tiefe Wurzeln in deutscher Erde schlug, als daß sie hätte vor raschem Welken bewahrt werden können, sobald ihr die Gunst der Umstände, welche ihren Trieb befördert hatten, zu mangeln begann. Hieraus erklärt sich auch, warum die in unserer Zeit eifrigst betriebene Wicderbckanntmachung der Ritterdichtung im Ganzen und Großen so geringe Wirkung gethan hat. In dem Zeitraum mittelhochdeutscher Literaturblüthe, als dessen Marksteine sich etwa die Jahre 1150 und 1350 angeben lassen, fanden insbesondere Epik, Lyrik und Didaktik hingebende Pflege. Was das Formelle dieser Dichtungsgattungen angeht, so bediente sich die Lyrik mit Vorliebe des drci- theiligcn Strophcnbaues und die Didaktik kurzer paarweise gereimter Vers- zeilen mit drei bis vier Hebungen. Das letztere Versmaaß ist auch das des eigentlichen höfischen Epos, wo aber die mittelhochdeutsche Epik mit nationalen Sagcnstoffcn sich belästigt, da hält sie vorwiegend die sogenannte Nibelungcnstrophe fest, die altnationalc, zum gesangmäßigen Vortrag bestimmte, aus vier Langzeilen mit sechs bis sieben Hebungen bestehende Strophe. 12 Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. Ihre Stoffe bezog die Ritterromantik fast durchgehends aus Frankreich, wo dieselben, gleichdiel welcher Art sie waren, durch die Trouvöres bereits eine romantische Gestalt erhalten hatten. Es waren Ueberlieferungen der antiken Poesie und der kirchlichen Mythe, dann der vielverschlungene fränkische Sagenkreis von Karl dem Großen und seinen Paladinen und die keltisch-bretonische Sagenwelt vom König Artus und seiner Tafelrunde, vom heiligen Gral und seinen Pflegern, von Tristan und Isolde. In diesen Stoffen treten die schroffsten Gegensätze hervor, das Rittcrthum in seiner äußerlichsten und innerlichsten Gestalt, die Minne in ihrer schönsten und frechsten Erscheinung, der sublimste Spiritualismus und der üppigste Sensualismus, Zweifel und Glaube, Aszese und Genuß, mystisches Sichverscnkcn in den Strom des Menschendaseins und weltmännisch leichtsinniges Schwimmen mit demselben. Oft schlägt der Grundton der Zeit, der christliche Kampfruf gegen das Hei- denthum (Mohammedanismus), stark vor, dann verhallt er aber auch wieder in dämmernde Ferne. An den frühesten dichterischen Leistungen der hohenstaufischen Periode bemerken wir noch ein unsicheres Schwanken und Tasten zwischen mancherlei Stoffen, Stimmungen und Behandlungsweisen. Das Volk und die Geistlichkeit waren von der thätigen Theilnahme an der literarischen Production noch nicht völlig zurückgetreten. Das volksmäßige Element macht sich bemerkbar in dem, uns freilich nur noch sehr fragmentarisch bekannten, Versuch einer Wiederaufnahme der uralten Thiersage durch Heinrich den Glicheser, welche in diese Uebergangszeit fällt, ferner in dem sogenannten Annolied, dessen Ausdrucksweise an den altnationalcn Heldenliederton erinnert, theil- weisc auch in der monströsen Kaiserchronik, wo freilich der gelehrte Anekdoten- und Legcndcnwust das Einheimische schon breit überwuchert. Wie die klerikale Gelehrsamkeit, sofern sie sich nicht auf die Verfifizirung biblischer Mythen und Legenden aller Art beschränkte, mit einheimischen Sagenstoffen umsprang, lassen insbesondere die Gedichte vom König Ruother und vom Herzog Ernst wahrnehmen. Im ersteren ist das heimische Material zu einer byzantinischen Hofgeschichte verschnörkelt, im zweiten wird die schöne Sage, unterer tchönstcn eine, von den Abenteuerlichkeiten byzantinisch-geographischer Fabelei erdrückt. Auf festerem Boden stehen wir in dem um 1175 von dem Pfaffen Konrad gedichteten Rolandslied (Ausg. v. W. Grimm), dessen Verfasser zwar aus einer französischen Quelle schöpft, dabei aber durch seine ganze Dehandlungsweise des Stoffes beweist^ wie sehr Karl der Große dem deutschen Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. 13 Bewußtsein als nationaler Held bekannt und lieb war. Es ist episch naive Stimmung in diesem Gedicht und es veranschaulicht in ansprechender Färbung die volksthümliche Auffassung des großen Frankcnfürsten als eines Vorkämpfers und Heiligen der Christenheit. Viel bunter geht es in dem etwas später von dem Pfaffen Lamprecht ebenfalls nach einem wälschen Vorbilde gedichteten Lied von Alexander her (Ausg. u. Ndg. v. Weismann). In diesem Gedichte, welches übrigens an schönen Einzelheiten keinen Mangel hat. erscheint die romantisch-willkürliche Zusammcnwürfelung von Geschichte, Sage und Legende, Einheimischem und Ausländischein, Occidcntalischcm und Orientalischem schon höchlich ausgebildet und läßt die in die Ferne schweifende Avcntiurc ihrem Roß Zaum und Zügel schießen, so daß es vollen Laufs hincinsetzt in die „ wundervolle Märchenwelt" der Romantik. Es scheint nun aber, die Art und Weise, in welcher dichtende Geistliche die ncuüberkommenen Literaturstoffc behandelten, habe der adeligen Lesewelt — von gesangmäßigcmVortragder Ritterepen konnte wvhlkeineRcde sein — in die Länge nicht mehr genügt. Denn mit Lamprecht hört die Betheiligung des Clerus an der epischen Arbeit auf und der Ritterstand übernimmt sie. Auch mischen sich alsbald einzelne bürgerliche „Meister" in die höfische Sängergilde der „Herren". Der Erste in der Reihe der letzteren, Herr Heinrich von Vcldeke, wird von seinen Nachfolgern übereinstimmend als Chorführer des höfischen Gesanges anerkannt und seine Manier blieb eine stehende. Erhat in seiner EneitsAusg. v. Ettmüllcr) dieromantisch-vcrwälschte antike Sage von Aeneas zu einem langathmigcn und langweiligen Gedicht ausgesponnen, dessen trocken refcrirender Ton nur da sich hebt, wo von Minncangelegenheiten die Rede ist, deren Romantik dem classischen Stoff freilich wunderlich genug zu Gesichte steht. Von antikem Hcldenlebcn hat Heinrich so wenig eine Idee als sein Nachahmer Hcrbort von Fritzlar, der in seinem Lict von Trotze (Ausg. v.Frommann) homerische Ueberlieferungen verunstaltete. Trotz der günstigen Aufnahme, welche diese romantischen Parodien des Alterthums fanden, begehrte das einmal geweckte Gefallen an den wunderbaren Erzählungen der Aventüre bald nach Neuem. Die ritterlichen Poeten, in Fruchtbarkeit mit ihren französischen Vorbildern wetteifernd, kamen diesem Begehren bereitwillig entgegen. Man verließ einstweilen die Stosse des Alterthums und zog dcnArtus-Gräl-Tristan-Sagenkrcis, welcher, durch und durch romantisch, nicht erst romantistrt zu werden brauchte, zur Bearbeitung herbei. Hartmann, Wolfram und Gottfried — die rohen 14 Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. Vorarbeiten eines Eilhart vonObcrg und eines Ulrich vonZazichoven übergehen wir — leisteten hierin das Beste, das Bedeutendste überhaupt, was die höfische Epik geleistet hat. Herr Hartmann von der Aue aus Schwaben (um 1190 — 1210) mochte zu seinen Zeitgenossen ungefähr in dem nämlichen Verhältnisse stehen, wie fünfhundert Jahre später sein Landsmann Wieland zu den scinigen stand. Wie dieser der vornehmen deutschen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts bewies, daß ihnen die elegante Literatur der Franzosen entbehrlich sei, weil ihnen einDeutscher in nächster Nähe die nämliche Eleganz zu bieten vermöge, so zeigte auch Hartmann der adeligen Societät seiner Zeit, daß einDeutscher in Anmuth der Sprache und Form recht wohl mit den Watschen wetteifern könne. Die Parallele ließe sich noch weiter ausführen; denn wie Wieland war auch Hartmann ein Meister der poetischen Erzählung, was seine Geschichte des armen Heinrich (Ausg. v.Lachmann, Ndg. v. Simrock) beurkundet, und wie Wieland in seinen ritterlich romantischen Dichtungen die äußerliche und frivole Auffassung seiner Stoffe durch französische Vorbilder unbefangen adoptirte, so auch Hartmann. Seine beiden Rittergedichte Erck sAusg. v. Haupi) und Jwein (Ausg. v. Bcneke, Ndg. v. Baudissin) sind gedankenlose Romantik, abenteuerlich, buntschillernd, hohl, ein Bischen lüderlich, echte Artusromane, denn sie weisen durchgehends die keltische Leerheit des Artusritterthums auf. Tieferen, cdleren, deutschen Gehalt brachte in diese Sagenwelt erst der fränkische Herr Wolfram von Eschenbach, dessen Leben in die Regicrungszeit der beiden hohenstaufischcn Friedriche fällt. Wolfram ist nicht nur ein großer Dichter, sondern er eröffnet auch die Reihe der deutschen Philosophen. Er unternahm es, in seinem großen Rittergedicht Parzival (Ausg. v. Lachmann, Ndg. v. Simrock) mit Zugrundelegung der Artussage, jedoch mit Hervorkehrung der mystischen Seite derselben, des Mythus vom heiligen Gral, eine Apotheose des geistlichen Rittcrthums zu dichten, welcher das weltliche nur zur Folie dienen sollte. Sein Werk ist die erste große That des deutschen Idealismus, großartig angelegt, mit dichterischer Schöpferkraft durchgeführt, getragen von psychologischem Ernst, nie matt und gewöhnlich, oft rührend durch das gewaltige Ringen des spcculativen Gedankens mit dem sprachlichen Ausdruck, kühn, erhaben, mystisch-allegorisch wie Dante's göttliche Komödie, die an hundert Jahre später entstand. Parzival ist eine Art Faust des Mittelalters. Der Dichter führt uns ihn, der aus dem Stamm der Gralkönige entsprossen, zuerst in der reizenden Naivetät der Kindheit vor und wir Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. 15 begleiten den Helden auf seiner Pilgerschaft durch die Wirrnisse des Zweifels und der Leidenschaft, bis er nach vollbrachter Reinigung des Gralkönigthums würdig befunden wird, d. h. in den unmittelbaren Besitz der göttlichen Gnade gelangt. Das Räthsel seines Lebens, und dieses ist nur ein Bild des Menschenlebens überhaupt, ist demnach im Sinne der christkatholischen Gläubigkeit des Mittelaltcrs schön gelöst — Göthe wußte für sein Faustisches Räthsel zuletzt auch keine andere Lösung zu finden. Von Wolfrain's übrigen Dichtungen stehen die Fragmente seines ebenfalls dem Gralsagenkreis entnommenen Titurcl, namentlich das erste, unserer Theilnahme am nächsten. Was erste Liebe nur je Lieblichstes und Süßverschämtes jungen Herzen zugeflüstert, das hat der Dichter hier seinem Schionatulander und seiner Sigune auf die bebenden Lippen gelegt. Der Stoff des Titurel wurde von einem Späteren (Albrecht von Scharfenberg?) aufgenommen und zu einem höchst weitschichtigen Reimwerk (Ausg. v. Hahn) verarbeitet, das nur sagcngcschicht- lichen Werth hat. Wolfrain's großer Zeitgenosse, Meister Gottfried von Straßburg, ist in seinem wundervollen, zu unserer Trauer nicht völlig zum Schlüsse geführten Gedicht von Tristan und Isolde (Ausg. v. Maßmann, Ndg. v. Kurtz) der Opponent, ja der dirccte Gegensatz von jenem. Wolfram verlieh dem aus der Fremde geholten Dichtungsmaterial die Weihe des deutschen Gedankens, Gottfried die Weihe höchster Kunstschönheit. Bei jenem strebt Alles nach Vergcistigung, bei diesem nach sinnlicher Anschaulichkeit. Jener irrt mit verworrener Spcculation in den Finsternissen des Glaubens umher, dieser beleuchtet, der größten Herzenskündiger einer, die verborgensten Tiefen des Mcnschengcinüthes. Wolfram hüllt sich in das Dunkel seines mystischen Idealismus, Gottfried offenbart den blühendsten Realismus und wendet sich mit bewußter Polemik gegen die „Finder und Bildner wilder Mären", welche „ mit Riegel und Ketten klirren, kurze Sinne verwirren, Gold von schlechten Sachen den Kindern können machen, die Büchsen schwingen und rütteln, statt Perlen Staub draus schütteln" und an deren Bildungen, fährt er fort, „erwärmet keine Brust, darin liegt keine Herzclust". Gottfried hat die glühendste Licbessage des Mittelalters, die von Tristan, dem Sohne Riwa- lin's und Blancheflur's, und von der blondhaarigen Isolde von Irland, mit einer so überlegenen Künstlerschaft ergriffen und geformt, daß die rohe keltische Erzstufe unter seiner Hand zu einem Werk vollendeter Schönheit geworden. Mit welcher psychologischen Freiheit und Sicherheit weiß er uns die Mysterien des Gemüthes und der Leidenschaft zu enthüllen, wie weiß er, 16 Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. ohne an läppischen Aeußerlichkeiten zu kleben, die ritterlich-romantische Gesellschaft in ihrem eigensten Wesen und Sein uns vor Augen zu führen, wie genial erhebt er sich über seine Zeit, indem er mit graziöser Ironie das wahnsinnige Institut der Ordalien verspottet, in welchem melodischen Muffe strömt seine Rede dahin, in der das mittelhochdeutsche Idiom seinen höchsten Triumph feiert! Wahrlich, wir sind keineswegs geneigt, immer und überall den Enthusiasmus altdeutscher Philologen für unsere alten Schriftwerke zu theilen, aber wir behaupten, daß Jeder, der auch nur die Schilderung liest, welche Gottfried von dem LicbelebenTristan's und Isoldes in der Wildniß entworfen, seine Dichtergröße wird bewundern müssen. Nichts, aber auch gar Nichts in alter oder neuer Poesie kommt an Mische und Anmuth dieser Darstellung gleich. Mit Gottfried hatte die höfische Epik ihren Höhepunkt erreicht. Er, wie Hartmann und Wolfram, fanden ihre Nachahmer. Der Strom der Dichtung ging immer mehr in die Breite, wurde aber zugleich auch seichter. Die Poeten fuhren fort, die Artussagc auszuschöpfen, oder wandten sich wieder zur karolingischen, in welcher Konrad Flecke den Stoff zu seinem hübschen Gedicht von Flos und Blancflos fand. Auch auf die antike Sagenwelt kam man zurück und Konrad von Würzburg, der l 287 zu Basel starb und sich durch Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit vor den Wirnt von Grafenberg, Kunstart von Stoffel und Anderen hervorthat, schrieb einen Trojanerkrieg in 60,000 Versen. Wie die unzulänglichste Kraft keck an das Größte sich wagte, zeigen Ulrich von Turheim und Heinrich von Meiberg, welche beide Gottfrieds Tristan zu Ende zu führen unternahmen. Die romantische Begeisterung, welche zu großen Ritterdichtungen Athem und Stimme verliehen hatte, begann sich mit dem Sinken der hohenstaufischcn Periode rasch zu verflüchtigen und die schreckliche Rohheit der einbrechenden Faustrechtszeit tritt uns in den Bearbeitungen der Karlssage, welche im 14. Jahrhundert vorgenommen wurden, ganz abschreckend schreiend entgegen. Es war zu Ende mit dem Ritterthum, andere Lebcnsmächte machten ihren Einfluß auch in der Literatur geltend. Freilich war er noch nicht stark genug, derselben eine wcicntlich neue Richtung zu geben. Die Dichter fuhren noch eine Weile fort, die alten Gleise breit zu treten, bemühten sich aber dabei, dem Unterhaltungsbedürfniß durch Vielerlcihcit zu entsprechen. Sie griffen zur Legende und zur gereimten Novelle, wie schon Konrad von Würzburg, Rudolf von Eins und Andere thaten, oder nahmen zum volksmäßigen Schwank Zuflucht. Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. 17 Ein gewisser Stricker, wahrscheinlich cinOestreicher, verfaßte schon um123Ü den Pfaffen Amis (Ausg. v. Beneke, Ndg. v. Berlit), eine Schwanknovelle, deren Späße nachmals in das berühmte Volksbuch von Thll Eulcnspiegel übergingen. Sein Beispiel fand mit der Entartung der Ritterdichtung immer eifrigere Nachahmung und von der Hagen konnte drei starke Bände mit solchen Schwankdichtungen füllen (Gesammtabenteucr, 1850). An diese gereimte Novellistik schlössen sich im 15. Jahrhundert die Anfänge der prosaischen , gewonnen zunächst durch die Auflösung der. höfischen Sagenkreise in die Prosa der noch jetzt wirksamen Volksbücher und bereichert sodann durch die übersetzende Thätigkeit eines Niklaus von Whle, Albrecht von Ehb und Heinrich Stcinhöwcl. Quellen dieser Novellistik waren neben dem einheimischen Volksleben die altorientalische Geschichte von den sieben weisen Meistern, ferner die unter dem Titel der römischen Gesten bekannte Anekdvtensamrnlung, dann französische Fabliaur und italische Novellen, bis dann im 16. Jahrhundert der aus Spanien stammende Amadisroman mit seinen Verzweigungen den deutschen Erzählern neue Stoffe zuführte. Bereits im 13. Jahrhundert trat auch die Geschichte mit dem Verlangen nach dichterischer Einkleidung hervor. Wie früher Mönche in einsamer Zelle die Annalen ihrer Zeit in lateinischer Sprache niedergeschrieben, so brachten jetzt adelige und bürgerliche Poeten die Zeitgeschichte engerer oder weiterer Kreise in deutsche Reime. Die östreichisch-steyrische Chronik des Ottokar von Horneck und die Kölner Chronik des Meisters Gottfried Hagen stehen unter derartigen Reimwerken obenan. Endlich, als schon eine neue Zeit, die der Reformation, an die Pforten der romantischen Dome und ritterlichen Pfalzen klopfte, versuchte Kaiser Maximilian, der „letzte Ritter", noch eine literarische Restauration der Ritterdichtung. Er hat aber, sammt den Ausführern seiner litcrarischcn Entwürfe, Treizsauerwein und Pfinziug, Nichts zu Stande gebracht, als den Wcißkunig und den Thcucrdank (Ausg. v. Haltaus), welche beide, jener in Prosa, dieser in Versen, die mit wunderlichst langweiliger Allegorie verquickte Biographie ihres Urhebers enthalten und jetzt nur noch für Biblio- manen Werth haben. Doch nicht mit diesem ungünstigen Eindrucke scheiden wir von unserer alten Heldendichtung. Wir haben die Aufmerksamkeit des Lesers noch auf Schöpfungen derselben zu lenken, welche zu den bewunderungswürdigsten der deutschen Phantasie gehören. Weiter oben sagten wir, daß beim gewaltsamen Hereinbrechen der christlich - karvlingischen Cultur die nationalen 2 18 Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. Sagen aus den Kreisen der Gebildeten in die des Volkes sich zurückgezogen hätten. Das letztere hing mit Treue an den heroischen Ueberlieferungen der Vorzeit und hat dieselben ohne Zweifel Jahrhunderte hindurch im Stillen gepflegt. Sonst nämlich wäre es nicht zu erklären, wie die alte Sagenwelt im 12. Jahrhundert plötzlich wieder auflebte. Die hohcnstaufische Zeit mit dem Reichthum an geistigen Anregungen weckte auch die Massen aus ihrem dumpfen Hinbrütcn, so daß sie in ihrer Art an der Culturbewegung jener Tage thcilzunehmcn begehrten. Die Poesie wirkte auch auf das Volk, aber sie durfte hier, wenn sie rechte Theilnahme finden wollte, nicht jene ausländisch-vornehmen Themata anschlagen, die in der höfischen Gesellschaft so beliebt waren. Das Volk verlangte compactere und gesundere Nahrung für Phantasie und Gemüth und mit richtigem Instinkte griffen seine Sänger, die wandernden Spielleute, die Fahrenden, aus der mündlichen Tradition heraus die nationalen Stoffe auf, an welchen sich die volksmäßige Sagenbildung so lange geübt hatte. Auf Kirmessen und Jahrmärkten tönten nun wieder zum Klänge der Fiedel die alten Hcldenweisen, in welche das Volksgedächtniß die Erinnerungen an die Völkerwanderung eingeschlossen. Der altdeutsche Sagcnwald begann mächtig aufzurauschen und aus seinen Schatten hervor schritten die riesenhaften Gestalten eines Sigfrid, Hagen, Dietrich, Hildcbrand und Jlsan mitten in die höfisch geschniegelten Kreise der minniglichcn Artusritter und ihrer Damen hinein. Denn nicht lange blieb die Beschäftigung mit der nationalen Heroologie ausschließlich bei den Volkssängern. Die Rhapsodieen derselben mochten gelegentlich auch auf Ritterburgen und in Hofpfalzcn Hörer gefunden und Interesse erregt haben. Begierig nach neuem Material, faßten daher zu Anfang des 13. Jahrhunderts höfische Dichter die vaterländische Sage aus, welche die Theilnahme der ritterlichen Gesellschaft gewonnen hatte, stellten die einzelnen Gesänge der Fahrenden zu größeren Liedercyklen zusammen und überarbeiteten diese nach den Forderungen der damals geltenden Kunstgcsctzc. So erklärt sich die Gestaltung, welche unsere volksmäßige Heldendichtung gerade Hur Zeit der höchsten Blüthe höfischer Kunst erhielt. Allerdings waren die höfischen Bearbeiter derselben nicht unbefangen genug, ihre Stoffe im altnationalen Tone durchzuführen, wenn sie auch mit richtigem Takt das altnationale Versmaaß derselben beibehielten; allerdings behandelten, zerstückelten, verbanden und erweiterten sie die ihnen vorliegenden Sagen mit romantischer Willkür und versetzten ihr Material vielfach mit den Elementen fremdländischen Ritterthums; dennoch aber hat Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. 19 eine gewisse Pietät sie gezwungen, der Sage im Ganzen und Großen ihr Recht widerfahren zu lassen, und einige Zweige derselben sind zudem in Hände von Bearbeitern gefallen, denen nicht nur ungewöhnliche Gcschicklichkcit, sondern ein dichterisches Talent ersten Ranges zuerkannt werden muß. Dies ist der Fall bei den zwei herrlichen Heldenliedern, welche das sogenannte große Heldenbuch ausmachen, bei dem Nibelungenlied (Prachtausg. v. Wigand, Ndg. v. Simrock u. Anderen) und der Gudrun (Ndg. v. Simrock u. A.). Der Tcrt des ersteren wurde insbesondere durch Lachmann, der des zweiten durch Müllcnhoff mit kritischer Sorgfalt seiner ursprünglichen Gestalt nahegebracht. Die Nibclunge Not bezeugt in ihrer jetzigen Form die mannigfachen Umbildungen und Erweiterungen der uralten Sigfridsage, mit welcher hier der burgundischc, hunnische und ostgothischc Sagenkreis zusammengeflossen. Der Bearbeiter, dessen Name unbekannt ist und der um 1210 die letzte Hand an das Gedicht gelegt haben mag, hat dasselbe in 39 Aventiure eingetheilt und das Ganze zerfällt in zwei große Abtheilungen. Die erste enthält Sigftid's Jugendgeschichte, sein Werben um die burgundischc Kriem- hild, seine Vermählung mit ihr und seine Ermordung durch den grimmen Hagen auf Anstiften Brunhild's, die er seinem Schwager Günther zur Frau gewinnt. Die Brunhildpartic des Werkes ist besonders merkwürdig, weil hier, wie auch in der Episode von dem Nibelungenhort, urzeitlich mythische Bestandtheile der Sage zum Vorschein kommen, welche freilich der ritterlich- romantische Bearbeiter nicht recht zu handhaben weiß. Die zweite Hälfte erzählt die Verheiratung der vcrwittwetcn Kriemhild mit dem Hunnenkönig Etzcl und die Erfüllung ihrer furchtbaren Rache an den Vcrderbcrn ihres Gemahls, einer Rache, welcher sie ihr ganzes Geschlecht zum Opfer bringt und von deren rasender Glut sie zuletzt selber verzehrt wird. Das ganze Lied durchzieht die historische Erinnerung an den Untergang des burgundischen Reiches und Königshauscs durch Attila. Es rasselt von Waffen und tost von dem wilden Kampfgctümmel der Völkerwanderung. In epischer Breite und Ruhe strömt es Anfangs einher, um sich im zweiten Theile mit dramatischer Hast der schrecklichen Katastrophe entgegenzustürzen. Weiterer Anpreisung enthalte ich mich billig. Wer irgendwie für großartige Conrposition, für psychologische Wahrheit und Konsequenz der Charakteristik, für eine Scelcmnalerei, welche blitzartig die Abgründe des Menschenherzens erhellt, für das tragische Walten der Nemesis in der Weltgeschichte, für nationale Heldenschaft empfänglich ist, der wird mit Bewunderung die Größe dieses 2 * 20 Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. unseres Nationalepos auf sich wirken lassen, das, mit Göthe zu sprechen. Jedermann kennen sollte, um nach dem Maaßstabe seines Vermögens die Wirkung davon zu cnipfangen. Die Gudrun, erwachsen aus dem ftiefisch- dänisch-normannischen Sagenkreis, stellt sich dem Nibelungenlied würdig zur Seite. Der Name des Bearbeiters ist gleichfalls unbekannt. Wahrscheinlich hat das Gedicht seine jetzige Gestalt um 12! 0 — 12 erhalten, vielleicht in Oestreich. Die drei Theile, in welche es zerfällt, sind nur lose zusammengefügt; im ersten schlägt dcrWundcrdrang der Romantik vor, in den beiden folgenden erscheinen die Züge der nordisch-germanischen Sage reiner. Den Mittelpunkt bildet Gudrun und in der Charakteristik dieser keuschen und schönen Heldin, welcher ihre Treue zu einem Quell der Energie wird, hat das deutsche Weib seine edelste poetische Huldigung erfahren. Wie das Nibelungenlied führt auch das von Gudrun riesenhafte Gestalten vor unsere Augen, Sprößlinge einer Zeit, wo das heidnische Germancnthum mit dem romanischen Christenthum im Kampfe lag, und wie jenes bringt es uns eine Fülle von Schönheit im Einzelnen und Ganzen entgegen, ja, der Hintergrund des Meeres verleiht ihm sogar noch einen nicht unbedeutenden Reiz mehr, und wenn uns der erschütternde Ausgang der Nibelungcnnoth mit tragischer Gewalt ergreift, so muthet uns die dreifache Hochzeitsrcudc, womit die Gudrun endigt, wohlthuend an. Nicht dem ganzen Kreise unserer nationalen Epik waren aber so talentvolle Abschlicßer gegönnt, wie unsere beiden großen Heldenlieder gefunden. Vom Ausgang des 13. Jahrhunderts an theilte die volksmäßigc Heldendichtung den tiefen Verfall der höfischen, und als im 15. Jahrhundert das Interesse für jene wieder lebendiger wurde, mußten sich die alten Sagen entweder eine plump prosaische Einkleidung als Volksbücher gefallen lassen oder sie fielen Reimern in die Hände, deren Kräfte ihnen ganz und gar nicht gewachsen waren. Man erkennt dies deutlich, wenn man mit dem großen Hcldenbuch das sogenannte kleine vergleicht, ein Sammelwerk, in welchem um das Jahr 1470 ein gewisser Kaspar von der Röhn, wahrscheinlich ein Epigone der alten Fahrenden, eine -Anzahl von Sagen aus dem gothischen, hunnischen und burgundischcn Kreise zusammengestellt hat. Ganz unverhältnißmäßig besser ist die Wiedererneucrung unirrer alten nationalen Heldendichtung in unseren Tagen Karl Simrock gelungen (Heldenbuch, 6 Bde.), dem hicfür der Dank aller vaterländisch Gesinnten gebührt. Die höfische Lyrik der hohenstausischen Zeit muß als ein nothwendiges Zubehör der adelig-romantischen Cultur damaliger Gesellschaft betrachtet iverdcn. Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. 21 Wie es auch heute wieder zur Bildung gehört, einen erträglichen Vers machen zu können, so war es damals ein Erfordcrniß der höfischen Zucht und Stan- dessttte, zu einer gegebenen Weise (Melodie) ein Lied zu dichten und es mit Begleitung der Harfe, Rotte oder Zither vorzutragen oder auch wohl mit dem Lieb zugleich eine neue Weise zu finden. Die lyrische Kunst war sehr verbreitet. Könige, Fürsten, Edelleute, Geistliche und Bürger übten sie. Von der Hagen gibt in seiner reichhaltigen Sammlung (Minnesinger, 4 Thle.) Lieder von 162 Dichtern und hat sich bemüht, biographische Notizen über dieselben beizubringen. Hiebet hat ihn freilich kein so reichhaltiges biographisches Material unterstützt, wie die Franzosen über ihre provenealischcn Troubadours besitzen. An die letzteren muß man sich bei unsere» Minnesängern unwillkürlich erinnern, und wenn es auch Unrecht wäre, unsere mittelhochdeutsche Lyrik ein Product der Nachahmung der provenyalischen oder nordfranzösischen zu nennen, so darf doch behauptet werden, daß eine formelle Einwirkung der letzteren auf die erstere nicht wohl abzuleugnen ist. Die minncsängcrlichen Formen zerfielen in Leiche (einfach fortlaufende Reimpaare ohne regelmäßige Strophenabthcilung), in Reim oder Tanzwciscn, Sprüche, die meist nur aus einer Strophe bestanden, und Lieder mit mehreren in künstlichen Reimverschlingungen sich bewegenden Strophen. Der Gehalt dieser Lyrik, deren älteste Uebcrblcibscl ihr Hervorwachsen aus dem Volksliede beurkunden, ist ein durchaus deutscher, aber ästhetisch nicht sehr schwerwiegender. Nachdem einmal Friedrich von Hausen und Heinrich von Veldeke die feineren Kunstsvrmen in ihr gangbar gemacht, spann sich der Minnclicderfadcn im Ganzen doch höchst gedankenarm und monoton so ziemlich ein Jahrhundert lang fort und es knüpfte sich gar zu viel Weibisches und ärmlich Bettelhaftes in des Wortes wörtlichem Sinne daran. Selbst die sinnige Natursreude, welche der Minncgesang athmet, muß zuletzt langweilig werden, da er in stereotyper Manier immer und ewig vom Gehen des Winters und Kommen des Frühlings oder umgekehrt singt. Die Minne (vom althochd. Wort meinan, d. i. gedenken, erinnern) Gottes und mehr noch der Frauen bildet natürlich das Hauptthcnnk des Minncgesangs und dieses Thema hat z. B. dem Heinrich von Meningen und dem Gottfried von Reifen einige wirklich tiefgefühlte Lieder eingegeben, namentlich sogenannte Tag- oder Wächter- lieder, welche den Schmerz der Trennung von der Geliebten nach nächtigem Kosen ausdrücken. Allein im Allgemeinen ist das Gesinge von Minne ein so inhaltsloses und abstractes, daß wir froh sind, uns aus der minniglichen 22 Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. Sublimität in die derbrcalistische Dorfpoesie eines Nithart retten zu können, der um 1217 im lustigen Oestreich mit munteren Bauern allerlei Schwank und Schabernack verführte, mit drallen Dorfschönen das höchst ergötzliche Wemplingbergespiel spielte und aus gesunder Brust aufjauchzend erzählt, wie „ze hant do wart der hoppeldei gesprungen". Wenn wir jedoch die Eigenschaften, welche wir an den provenxalischen Troubadours, den kühnen Vorkämpfern der reformistischen Ideen, bewundern, an den deutschen Minnesängern vermissen, so bietet uns wenigstens einer derselben hiefür Ersatz. Dies ist Walther von der Vogclwcide, ein ganzer Mann und wahrer Poet. Er ist wahrscheinlich bald nach 1230 gestorben. Lachmann gab seine Lieder heraus, Simrock und Koch lieferten Neudeutschungcn derselben. Walther wird von Gottfried von Straßburg als „der Nachtigallen Lcitfraue und Meisterin" bezeichnet, ein Beweis. wie sehr er seiner besten Zeitgenossen Gunst genoß. Er verdiente sie. Seine Minnelicder sind voll keuscher Innigkeit und doch nicht abstract, sondern pulsircnd von schöner Sinnlichkeit: er feiert weibliche Zucht und Tugend mit unvergänglichen Klängen, aber er belauscht auch seine -Herrin im Bade und legt ihr ein wunderschönes Lied in den Mund, welches in der Erinnerung des süßesten Genusses schwelgt. Wie ernst sind seine Betrachtungen über die politischen, sozialen und religiösen Stimmungen und Zustände scinerZeit, wie muthvoll schleudert er dem Papste den Judasnamcn ins Gesicht, wie scharf straft er die Verdcrbniß der Höfe und der Geistlichkeit, wie klar erkennt er die Schäden seines Vaterlandes und wie herrlich endlich bricht sein glühender Patriotismus aus in dem Lied: Jr sult sprechen willekomen! Haben wir volle Ursache, auf den trefflichen Walther stolz zu sein, so ist uns ein Minnesänger von ganz anderem Schlag und Charakter, Ulrich von Lichtenstein, um der Aufschlüsse willen, welche er in seinem Fraucndienft über die Sittengeschichte des 13. Jahrhunderts gibt, ebenfalls von nicht geringer Bedeutung. Der Frauendienst (Ausg. v. Lachmann, Ndg. v.Ticck) enthüllt deutsches Leben und deutsche Dichtung, wie sie beim Erbleichen der hohcnstausischen Glanzperiode waren. Das Büchlein ist eine währe Don Quijotiade, an vierhundert Jahre früher entstanden als Cervantes seinen gloriosen Hidalgo aufAbentcuer ausrecken ließ. Es enthält die mit vielen artigen Liedern durchflochtcne Erzählung, welche Herr Ulrich von seinen Minncfahrten gibt. Er begeht auf diesen Fahrten ganz ähnliche Verrücktheiten, wie der Held von la Mancha, und wie dieser muß er sein romantstches Streben, die Poesie zu verwirklichen, mit allerlei Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. 23 possenhaftem Mißgeschick büffen, ohne jedoch von seinen Tollheiten abzulassen. Später ergeht sich Ulrich in grämlichem Tadel seiner Zeit und Zeitgenossen und er hatte allerdings Grund genug, über den Verfall von Zucht, Ehre und Sitte in der höfischen Gesellschaft zu klagen. Es ist bekannt, welche traurigen sozialen Erscheinungen den Untergang der staatlichen Größe Deutschlands am Ausgang des 13. Jahrhunderts begleiteten, und die späteren Minnesänger, ein Konrad vonWürzburg, Reinmar von Zweier, Marner, Frauenlob, Regenbogen, hatten daher überreichlichen Stoff zu didaktischen Betrachtungen, welche sie in überkünstlichen Formen aussprachen. Ihre Sinnspruchpoesie entbehrt der lyrischen Nnmittelbarkeit und geht, obgleich manchen trefflichen Gedanken äußernd, allzu häufig in die dunkle Räthsclei und leere Wortspielerei über, von welcher das spitzfindig gelehrte Streitgedicht der Sängerkrieg aufWartburgsAusg.v.Ettmüller), an das die bekannte gleichnamige Sage sich knüpft, eine sehr unerquickliche Probe liefert. Ansprechender äußert sich die Lehrdichtung, welche der ritterlichen Lyrik sich achchloß, in dem Welschen Gast des Thomasin von Zerclar, in der Bescheidenheit (d.i.Be>chcidwissen Ansg. v. W. Grimm) des Freidank, unter welchem Namen man mit einigem Grund Walthern vermuthet, in dem Renner des Hugo von Trimbcrg (Ausg. des Bambergerhist. Vereins) und in der Spruchsammlung des Winsbecke und der Winsbeckin. Systematische Lehrgedichte sind diese Werke nicht. Ihre Verfasser gehen von der Betrachtung allgemein menschlicher Verhältnisse aus oder fassen die geistigen, religiösen, materiellen und sittlichen Zustände ihrer Zeit ins Auge und knüpfen an die so gewonnenen Resultate in mehr oder minder freier Weise, oft mit tiefem Gefühl und in ergreifenden Worten, Mahnungen, Warnungen, Rathschläge, Lob,. Tadel, Spott und Drohung. Einen Vorderplatz in dieser Didaktik nimmt das sogenannte Bispel (Beispiel) ein, welches mit Anführung von Alltagsgeschichten, Schwänken und Thicrmärchen argumentirt und aus dem sich dann die selbstständige Fabel herausgebildet hat, zuerst in dem trefflichen Fabelwerk der Edelstein (Ausg. v. Beneke) des Ulrich Boner, welcher um 1324—49 als Prcdigermönch zu Bern lebte. So hatte sich denn die mittelhochdeutsche Dichtung von der hochfliegenden ritterlichen Phantastik allmälig zur bürgerlichen Verständigkeit abgestuft. Der Bürgcrstand nahm dem zur Raubritterschaft verwilderten Adel die Fortführung der litcrarischen Production ab. Der Minnegesang wurde zum Meistergesang, welcher sich an die Chronik der späteren Minnesänger lehnte. 24 Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. Poesie muß man darin nicht suchen. Der Meistergesang war dürre Spruchdichtung, verziert mit geschmackloser lyrischer Schnörkelei, und wie sein Geist waren auch seine Formen handwerksmäßig. Die Mitglieder der Singschulen, wie sie namentlich in Nürnberg und anderen Reichsstädten blühten, vereinigten sich zu Zünften, welche durch Kaiser Karl I V. mit Corporationsrechten begabt wurden (1378). An der Spitze der Genossenschaft stand das sogenannte Gemerk, bestehend aus dem Büchsemneistcr oder Kassierer, Schlüsselmeister oder Verwalter, Werkmeister oder Kritiker und Kronenmcistcr oder Prcisver- theiler. Diese leiteten die poetischen Uebungen, welche an den Sonntags- nachmittagcn in der Kirche oder auf dem Rathhause stattfanden. Man hieß das Schule singen. Bescheidene Preise fielen den Siegern in diesen ehrsamen Wettkämpfen bürgerlicher Meister, Dichter, Singer, Schüler und Schulfreunde zu. Es ging mechanisch genug dabei her. Der sehr beschränkte Stoff, mit Vorliebe Anfangs aus der scholastischen Dogmatik, später aus der biblisch- lutherischen Orthodorie genommen, wurde streng nach den Formeln einer Poetik zugerichtet, die man Tabulatur hieß und die von den wunderlichsten Spielereien strotzt. Das Meistersängcrlied war strophisch gebaut und wurde Bar genannt, die Strophen desselben hießen Gesätze und bestanden aus zwei Stollen, an welche der Abgesang sich anschloß. Die Versartcn hießen Gebäude , die Melodien Töne oder Weisen (blauer und rother Ton, gelbe Löwenhautweis, kurze Affenweis, fette Dachsweis u. dgl. m.); bloß der Erfinder eines neuen Tons hatte Anspruch auf den Ehrentitel eines Meisters. Zm 16. Jahrhundert klang der Meistergesang in jeder deutschen Stadt von einiger Bedeutung und er ist mit seinen letzten Epigonen erst 1839 zu Ulm verstummt, nachdem 1770 zu Nürnberg die letzte feierliche Singschule war abgehalten worden. Seine Bedeutung ist eine wesentlich kulturgeschichtliche: er bezeugt den guten Willen des deutschen Bürgerthums, in seiner Art die literarische Bildung zu fördern. Für die Nachwelt ist die städtische Chronik- schreiberei von viel größerer Wichtigkeit. Sie ging in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts aus der Reimform in die Prosa über und die ältesten deutschen Chroniken, die straßburgische des Jakob Twinger von Königshöfen und die limpurgische, welche, heißt es, durch Johann Gcnsbein begonnen und nachmals von Mehreren fortgesetzt wurde, haben zur Begründung und Ausbildung des Prosaischen Styls wesentlich beigetragen. Dieser verdankte überhaupt dem bürgerlichen Leben sehr viel, denn in dessen Mitte wurde er als Geschäftsstyl, sowie als Kanzlei- und Gerichtsstyl entwickelt. Vom Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. 25 Ausgang dos 13. Jahrhunderts an ließen alle größeren deutschen Städte ihre Rechtsordnungen und die Entscheidungen ihrer Gerichte aufschreiben und so entstanden die Stadrrechte und Weislhümer, für Sitten - und Rcchtsgeschichte gleich belehrend. Noch wichtiger für die letztere sind die beiden berühmten Sammlungen von nord- und süddeutschen Gesetzen und Rechtsgewohnheiten, der Sachsenspiegel (Ausg. v. Homeyer) und der Schwabenspiegel (Ausg. v. Wackernagel), zwischen 12,5—76 zusammengestellt, jener durch den sächsischen Ritter Eile von Rcpgow, dieser durch einen ungenannten oberdeutschen Geistlichen. Man mochte beim Hereinbrechen einer gesetzlosen Zeit das Bedürfniß eines geschriebenen Rechtes überall nur um so lebhafter fühlen. Nicht minder lebhaft fühlte man, daß nur die eindringlichste Anregung des religiösen Gefühls gegen die unsägliche Verwilderung und Vcrderbtheit der Gesellschaft einigermaßen helfen könne. Daher sehen wir im 13. und 14. Jahrhundert in Deutschland eine Reihe von Predigern und Moralisten auftreten, einen Bruder Eckart, Bertholt» von Augsburg, Johann Taulcr, Heinrich von Nördlingcn, Johann Ruysbrock, Hermann von Fritzlar, Heinrich Suso oder Seuse, die mit aller Macht der Beredtsamkcit gegen die sittliche Ver- sunkcnhcit ihrer Zeitgenossen eiferten oder auch, angehaucht von dem Geiste deutscher Speculation, dessen Wehen schon Wolfram von Eschcnbach so stark empfunden, mit mystischem Forschungstricbe in die Geheimnisse des Christenthums sich versenkten und so, ihre Nichrbefriedigung durch das päpstliche Dogma verrathend, mit zu den Wcgbahnern rcformatorischcr Tendenzen gehören. Neben dieser predigenden und lehrenden Thätigkeit übte die Geistlichkeit in jenen Tagen auch noch eine künstlerische, eine theatralische. Man weiß, daß der katholische Cultus schon in frühester Zeit überhaupt einen theatralisch- künstlerischen Charakter angenommen hatte. Die Bauart und Einrichtung der Kirchen, das ganze Ceremoniel des Gottesdienstes war dadurch bedingt und wir unsererseits sind unbefangen genug, dem Katholizismus diese künstlerische Vcrmcnschlichung des tristen christlichen Spiritualismus nicht übelzunehmen. Der aus der urchristlichcn Abcndmahlsfeier hervorgegangen? Hauptact des katholischen Cultus, die Messe, war von Anfang an ein liturgisches Drama gewesen und die Popularität, welche dasselbe erlangt hatte, konnte die Kirche nur auffordern, die theatralischen Elemente des Gottesdienstes zu vervielfältigen und weiter auszubilden. So geschah es, daß die Geistlichkeit, während sie gegen das aus dem antiken Heidenthum überkommene 26 Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. Histrioncnwcsen fanatisch zeterte, selber immer eifriger mit dem Schauspiel sich befaßte, in Deutschland, wie in der ganzen Christenheit. Zuerst wurden zur Weihnachts- und Osterzcit die neutcstamentlichen Mythen von der Geburt, Passion und Himmelfahrt Christi pantomimisch dargestellt. Dann steigerte man die Erbauung der Gemeinde, indem man den mitspielenden Personen Monologe und Dialoge in den Mund legte, erst in der lateinischen Kirchcn- sprache, hierauf, um die Theilnahme des Volkes zu erhöhen, in deutscher. Schon in das älteste in Deutschland aufgeführte Mysterium — diesen Namen erhielten die kirchlichen Dramen von ihrer Beschäftigung mit den religiösen Geheimnissen — welches aus dem 12. Jahrhundert stammt, wurden deutsche Strophen cingeschoben und von da ab bald ganze Mysterien in der Muttersprache verfaßt. Das Material derselben erweiterte sich außerordentlich: man zog die ganze biblische Geschichte wie die Heiligenlegende herbei und that zugleich der immer lebhafter werdenden Schaulust des Volkes genug, indem man die vergrößerte Bühne aus den Kirchen aus Kirchhöfe und öffentliche Plätze versetzte, den szenischen Apparat mit Dekorationen, Flugwerkcn und Versenkungen bereicherte und ganze Schaaren von Heiligen, Engeln und Teufeln über die Szene gehen ließ. Aus letzterem Umstand folgte, daß auch Laien, daß gewerbsmäßige Gaukler und Histrioncn zu den kirchlichen Dramen als Mitspielende zugelassen werden mußten, und aus diesen Anfängen entwickelte sich die deutsche Schauspielkunst, die wir aber hier nicht weiter verfolgen können und in Betreff deren Geschichte wir auf das ausgezeichnete Werk Dcvricnt's sGeschichte d. deutsch. Schauspielkunst) verweisen, indem wir nur noch sagen, daß aus dem biblisch-mythologischen Drama das allegorisch- moralische hervorging, dessen Handelnde Charaktere personifizirte Tugenden und Laster waren und das daher auch den paffenden Namen Moralität erhielt. Die Poesie als solche gewann indessen durch diese kirchlichen Farcen ebenso wenig, als sie durch die mechanisch hausbacknen Aeußerungen des Meistergesangs gewann. Sie wäre am Ausgang des 14. und im 15. Jahrhundert gänzlich versandet und vertrocknet, wenn sie nicht da eine Zuflucht gesucht und gefunden hätte, von wo sie beim Beginn unserer Titcrarischen Geschichte ausgegangen, im Volke. Hier schöpfte sie neue Lebenskraft. Das erfolgreiche Trachten der städtischen Zünfte nach Gleichberechtigung mit dem Patriziat und mehr noch die heldenhaften Kämpfe der Stedinger und Dith- marftn gegen fürstliche und pfäffische Zwingherrschast, sowie die glorreichen Siege der schweizerischen Bauern und Bürger über Oestreich und Burgund, Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Zeit. 27 hatten das demokratische Bewußtsein mächtig geweckt und genährt. Die frischpulstrcnde Kraft desselben verlangte nach poetischer Kundgebung. Das historische Volkslied trat an die Stelle der alterschwach gewordenen Ritterdichtung, das gemüthliche Volkslied an die der instpid faselnden Minnelyrik. Halbsuter aus Luzern sang sein treffliches Schlachtlied „ von dem strit ze Sempach", Veit Weber aus Freiburg feierte die Schwcizersiege in den Burgunderschlachten. Und allwärts in deutschen Landen begann sich im 15. und 16. Jahrhundert ein vielstimmiger Volksgesang zu erheben, der in naturftischen Zügen das eigenste und innerste Wesen unseres Volkes offenbart und alle Seiten seines Lebens und Webens, Dichtens und Trachtens in zarten und derben, tiefrührend schmerzlichen und hochaufjubelnden Weisen berührt. Des Knaben Wunderhorn und noch in unverwischterer Reinheit Uhland's verdienstvolle Volksliedersammlung bewahren die Schätze dieser unserer alten Volkslyrik. II. Neuhochdeutsche Zeit. 1 . Mit dem Untergänge des hohenstaufischen Hauses hatte Deutschland die- letzte Kaiserdynastie verloren, welche von der Reichsidee Karl's des Großen war getragen worden. Mit den beiden schwäbischen Friedrichen ging die mittelalterliche Herrlichkeit unseres Landes unwiederbringlich zu Grabe. Die gebietende Weltstellung des deutschen Reiches nach außen brach zusammen, seine innere Verfassung und Gestaltung kehrte zu den Formen der altgerma- nischcn Adelsrevublik zurück. Denn im Grunde beginnt schon mit Rudolf von Habsburg (1273) die lange Reihe der Schattcnkaiser, welche ihre Fa- milienpolitik zur ausschließlichen Grundlage ihrer kaiserlichen machten oder mit anderen Worten ihre Stellung als Reichsoberhaupt nur zur Mehrung ihrer Hausmacht benutzten. Ließ man sie hierin gewähren, so ließen sie es ihrerseits auch geschehen, daß die anschwellende fürstliche Territorialmacht den Reichsverband immer rückhaltsloser sprengte und die Nation stets bedrohlicher von dem Krebse der Viel- und Kleinstaaterei angefressen wurde, der zwar zu Anfang des 19. Jahrhunderts beim völligen Sturze der mittelalterlichen Reichsverfassung in engere Gränze» eingeschlossen ward, noch immer aber daK crstirpirende Messer und das ausbrennende Eisen erwartet. Mit der politischen Rolle Deutschlands als europäischer Großmacht war es also vorläufig zu Ende und unter Kaiser Maximilian I. kam der staatliche Marasmus des Reichs schon so kläglich zum Vorschein, daß sein schönstes Glied, die Schweiz, Neuhochdeutsche Zeit. 29 von dem gealterten Körper sich lostrennen konnte, um auf eigene Hand eine republikanische Existenz zu suchen und zu finden. Unser Land, dem bald noch andere Theile entrissen werden sollten, sank zum Schauplatz der Intriguen der europäischen Kabinette und zum Schlachtfeld ihrer widerstreitenden Interessen herab. Die deutschen Fürsten haderten in kleinlichster Selbstsucht untereinander, der Adel wurde durch die wiederholten Landfricdengebote nur nothdürftig in seinen rohen Gelüsten gehemmt, die Geistlichkeit war ein willenloses Werkzeug in den Händen der römischen Curie, der Bürgerstand verknöcherte allmälig zum Philisterthum, der Bauer war ein Sklave. Das Nationalgefühl sank in den höheren Ständen auf betrübende Weise und das Volk war durch den Feudalismus zu sehr verknechtet worden, um int Ganzen und Großen dem nationalen Ruin eine Schranke setzen zu können. Seiner untergeordneten Stellung zufolge mußten auch seine Lieder verhallen, ohne baß sich die gebildeteren Classen weiter darum bekümmert hätten. In den letzteren schleppten sich die Stoffe und Formen der abgestandenen Ritterromantik noch so fort, bis sie zu ganz kläglicher Wappensängcrei, Spruch- sprechcrei und Pritschmcisterei ausarteten, während das Volksthümliche in den vornehmeren Kreisen nur durch die Hofnarren vertreten wurde, also meist nur in seiner unsaubersten und zotigsten Gestalt zum Vorschein kam. Indessen machten sich bald Symptome bemerkbar, daß die Nation in emsigster Geistesarbeit Trost suchte für ihren politischen Verfall. Vielleicht fand sie diesen Trost nur zu leicht, denn von da ab wurden wir gewohnt, in dem selbstgefälligen Bewußtsein unserer geistigen Bedeutung unsere politische Nullität allzu bereitwillig zu verschmerzen. Wie dem aber auch sei, die Einkehr der Deutschen in sich selbst hatte zur Folge, daß sie vom Ende des 15. Jahrhunderts an die Hauptträger der reformistischen Ideen wurden, welche das 16. Jahrhundert so revolutionär bewegen sollten. Wir sagen mit Absicht revolutionär, denn die Reactionäre und Dunkelmänner aller Sorten haben vollständig Recht, wenn sie die Reformation — nicht zu verwechseln mit dem lutherischen Kirchenthum, welches nur ein schnöder Abfall vom reformistischen Princip ist — als Mutter der Revolution hassen und anklagen. Jeder Unbefangene wird das eingestehen und wird sagen, daß es sich damals um ganz andere Dinge Handelte, als um kahles Pfaffcngezänk. Es handelte sich um die Verwirklichung der Idee der Freiheit und Gerechtigkeit in religiöser, politischer und sozialer Beziehung. Es handelte sich um eine Umgestaltung derReichsverfaffung aufzeitgemäßerBasis, um Sichcrstellung 30 Neuhochdeutsche Zeit. der unteren Stände gegen die Tyrannei geistlicher und weltlicher Fürsten, um Erringung von Menschenrechten für die Bauerschast, um die Theilnahme des deutschen Volkes an dem Rcichsregiment. Aber die Bestrebungen der drei deutschen Stände, welche wirklich redlich eine Lösung des reformistischen Problems versuchten, erlagen jammervollem Mißgeschick. Die patriotisch-- nationalen Tendenzen des niederen Adels überlebten das Scheitern der Entwürfe Sickingen's und Huttcn's nicht, die Erhebung der Bauern unter Führern wie Müntzer und Hipler fand ihr Ende in der gräßlichen Schlächterei der Ueberwundenen, welche die Lehre von der evangelischen Freiheit ernsthaft genommen, und das demokratisch-nationale Wollen des norddeutschen Bür- gerthums mußte mit dem gewaltigsten seiner Söhne, mit Jürgen Wullen- weber, das von patrizischcr Vcrrätherei und fürstlicher Selbstsucht aufgeschlagene Schaffet besteigen. Die Reformation hatte ein Kind geboren, welches von ihren Feinden und falschen Freunden in der Geburt erwürgt wurde. Doch aus seinen Gebeinen sollte nach mehr als zweihundert Jahren seiner Mutter ein Rächer erstehen. Es zeugt, wie bekannt, von grober Unkenntniß der Geschichte, wenn man sich die Reformation als ein plötzliches Ercigniß vorstellt, wenn man glaubt, der wittcnbcrgcr Mönch sei eines schönen Morgens aufgestanden, um jene weltgeschichtliche Bewegung zu veranstalten. Luther war nur ein Glied, allerdings ein bedeutendes, in der Oppositionskettc, die sich von den dunkelsten Jahrhunderten ununterbrochen bis auf unsere Tage herabspannt und an welche die Zukunft noch manches Glied wird anzureihen haben. Die Despotie des Dogma war kaum gegründet, als auch der ketzerische Frciheitsge- daykc schon an seine glorreiche Wühlcrarbeit ging. Die Ketzer mochte die Kirche verbrennen, allein mit Arnold von Brcscia, Huß, Savonarola und so vielen Anderen starb nicht die Idee, deren Träger sie gewesen. Sie ruhte und rastete nicht und erweckte sich stets neue Apostel und Märtyrer. Sie hatte schon im 13. Jahrhundert ganze Gegenden und Volksstämme ergriffen und wurde mit den hingeschlachteten Albigenscrn, Katharern, Lollhardcn und Stedingern keineswegs ausgerottet. Die Universitäten — in Deutschland wurde die erste zu Prag 1348, die zweite zu Wien 1365 gegründet — boten in ihrer corporativen Gestaltung der erwachenden wissenschaftlichen Forschung einen gesellschaftlichen Stützpunkt. Ja, im Schooße der Kirche selbst regte sich der Widerstand gegen die päpstliche Unfehlbarkeit und 'Anmaßung. In den Kreisen der Scholastiker standen Denker auf, welche nicht Neuhochdeutsche Zeit. 31 nur das Acußerliche des kirchlichen Gebäudes, sondern auch das Innere zunr Gegenstände ihrer Untersuchungen machten, und die großen Kirchenversamm- lungcn des 15. Jahrhunderts nahmen einen ernstgemeinten Anlauf zu tiefgreifenden Reformen. Freilich stockte dieser offizielle Anlauf sehr schmählich. Der Clerus erkannte, daß man auch an der Außenseite der kirchlichen Institutionen keinen Stein verrücken dürfe, ohne das ganze Lug- und Truggcbäude zu gefährden. Doch die vorschreitende Zeit ließ sich durch keine Concilienbeschlüsse aushalten. Das 15. Jahrhundert strotzte von Gärungsstoffen und Vewegungselementen. Die in Folge der Erfindung des Schießpulvcrs (um 1354) veränderte Kriegswcise machte dem Feudalstaat ein Ende, eine Reihe anderer physikalischer und mathematischer Findungen zeigte die Bor- nirthcit des hierarchischen Systems, geographische Entdeckungen von unermeßlicher Wichtigkeit, wie die des Seewegs nach Ostindien und die von Amerika, lüfteten den mittelalterlichen Schleier der Unwissenheit vor den Augen der europäischen Völker, von Italien aus strömte die wiedererstandene Literatur des classischen Alterthums das Licht der Vernunft und Schönheit auch über die Länder des Nordens aus und endlich hatte Johannes Guten- bcrg die von ihm zwischen 1436—54 erfundene und vervollkommnete Buchdruckerpresse seinem deutschen Vaterlandc und der Welt geschenkt, für ihn zu ewigem Rühme, für die Menschheit von unberechenbarem Segen. So waren, verbunden mit den bald erfolgten großen astronomischen Entdeckungen, die Grundlagen einer neuen Weltanschauung gegeben, welche vermittelst der Presse ihre Wirkungen auf immer weitere und fernere Kreise ausdehnte. Die Deutschen nahmen den oppositionellen Geist der Zeit mit der Tiefe und Beharrungskraft, mit dem sittlichen Ernst ihres Nationalcharaktcrs in sich auf. Die schamlose, vermittelst des Ablaßhandels und anderen Betrugs geübte Blutsaugern des römischen Hosts, welcher den Ertrag der sogenannten deutschen Sünden unter Verhöhnung der leichtgläubigen Thoren jenseits der Alpen verpraßte, hatte alle Stände erbittert und der neugewcckte Unwille verband sich mit den Erinnerungen der deutschen Kaiscrgeschichte zur Erzeugung einer nationalen Opposition, deren Keime jedoch tief im Mittelalter zurückliegen und schon in den Gedichten eines Walther von der Vogelweide zu zornglühenden Gedanken aufgesproßt waren. Auch in den Massen hatte diese gegen Rom feindselige Richtung tiefe Wurzeln getrieben. Das Volk abstrahirtc sich seinen Haß des römischen Wesens zunächst aus dem ärgerlichen Leben der Geistlichen, deren namenlose Habsucht,-Trunksucht, Unzucht, 32 Neuhochdeutsche Zeit. kcnntnißlose Rohheit und unverschämte Schelmerei Stoff zu ungünstigen Betrachtungen in Hülle und Fülle lieferte. Aus diesen Betrachtungen entsprang die volksmäßig-satirischc Richtung der deutschen Opposition, welche in Schwanken und Anekdoten der Pfaffhcit den Krieg machte und oft sogar das Dogma selbst derb genug streifte. Die reformistisch - theologische Wirksamkeit redlicher und denkender Mitglieder des deutschen Clcrus gab der volksmäßigcn Opposition festeren Halt. Schon Taulcr und andere Mystiker hatten gegenüber der gänzlichen Vcrweltlichung und sittlichen Versunken- heit der Hierarchie auf Weckung wahrhaft christlichen Sinnes, auf innere Heiligung des Menschen gedrungen. Später setzten populäre Kanzelredner, ein Johann Wcssel (1420—89), Johann von Wesel, Geiler von Kaisersberg (1440—1509) und Andere, dieseMisston fort und drangen, mit scharfer Kritik die Schäden der Kirche beleuchtend, gegenüber der trägen Werkheiligkeit aus ein praktisches Christenthum. Ihre ernste und wissenschaftliche Opposition, wie die volksmäßig satirische, verband sich in dem glänzenden Streite, welchen die Humanisten, d. h. die Kenner und Ausbreiter der Literatur des classischen Alterthums, gegen Rom und die Römlinge erhoben, zu einer höheren Einheit. Hauptvcrtreter des Humanismus — weiches Wort den Geist der Clasfik so schön versinnlicht — in Deutschland waren Rudolf Agricola (st. 1485), Konrad Celtes (st. 1509), Hermann vom Busche (geb. 1468), Johann Wimpheling (geb. 1450), Willibald Pirkheimer (1470—1531), Eoban Heß, Heinrich Bebcl, Johann Reuchlin (1455—- 1522) und der in Deutschland eingebürgerte Desiderius Erasmus aus Rotterdam (1467—1536). Die Humanisten zogen durch litcrarische Thätigkeit, durch Gründung von Bibliotheken, gelehrten Schulen und Gesellschaften ein geistiges Netz über ganz Deutschland. Ucberall regte sich der Eifer für die classischen Studien und in ihrem Gefolge die forschende Vernunft und der kritische Gedanke. Zwar die Humanisten schrieben Latein, auch va sogar, wo sie die volksmäßig-satirischen Elemente der Zeit verarbeiteten; sie hielten es für das Löblichste, ihre dichterischen Ideen in die Versmaaße des Ovid und Horaz, ihre historischen und sonstigen wissenschaftlichen Arbeiten in die Perioden Cicero's zu kleiden, und trieben ihre Vorliebe für die Sprache des alten Roms und Griechenlands soweit, baß sie meist ihre ehrlichen deutschen Namen latinisinen und gräcisirten. Sie bedachten nicht, daß das kaum der geeignete Weg sei, ihrem Ziele, das deutsche Volk vermittelst der classischen Studien aus seiner mittelalterlichen Barbarei herauszureißen, näherzukommen. Neuhochdeutsche Zeit. 33 Dessenungeachtet aber ist der classische Denkstoff, womit sie das deutsche Geistesleben befruchteten, von segensreichster Wirkung geworden. Erst mit dem Humanismus hebt die deutsche Wissenschaft, hebt die moderne überhaupt an. Die Waffen des Spottes verwunden am tiefsten. Die oppositionellen Spottschriften, welche Bebel in seinen Facetten und Erasmus in seinem Lob der Narrheit (eneomium moriae) gegen die Anhänger der mittelalterlichbarbarischen, scholastisch-römisch-orthodoren Richtung schleuderten, sachten den schon lange glimmenden Ingrimm der letzteren gegen die Neuerer zur hellen Flamme an. Der Streit Reuchlin's mit den dickorthodorcn Theologen der Kölner Facultät über die Nützlichkeit oder Schädlichkeit der jüdischen Bücher gab den beiden Parteien Veranlassung, ihre Kräfte zu messen. Der Sieg in diesem Streite neigte sich entschieden auf die Seite der Humanisten. Pirkhcimcr's Apologie Reuchlin's und die Briefe der Dunkelmänner (epistolae virorum okscurorum) vervollständigten ihn. Diese Dunkelmännerbriefe, so genannt, weil sie den Finsterlingen in die Feder gelegt sind, muß man als eine der besten Satiren und durchschlagendsten Oppositionsschriften ansehen, die jemals erschienen. Sie erregten über ganz Deutschland hin das herzlichste schallendste Gelächter aufKosten der scholastischen Thcologisten, Mönche und Römlinge aller Sorten, deren Dummheit, Schlechtigkeit und Heuchelei darin in ihrer vollen Blöße aufgedeckt wurde. Die Verfasser dieser Satire, denn es waren offenbar mehrere, sind nie mit völliger Bestimmtheit ermittelt worden, jedenfalls aber ging sie aus den humanistischen Kreisen hervor und mit Sicherheit läßt sich annehmen, daß der Mann, in welchem der Humanismus seinen genialsten und hochherzigsten Vertreter fand, an der Abfassung der Dunkelmänncrbricfc überwiegendsten Antheil hat. Jeder erräth, daß wir den fränkischen Ritter Ulrich von Hütten meinen, geboren auf der Burg Stackelberg am Rhein 1488, gestorben aus Ufnau im Zürichsee 1523. Aus angesehenem Geschlechte stammend, beredt, witzig, schon im Jünglingsalter um seiner Gaben und Kenntnisse willen berühmt, seiner lateinischen Gedichte wegen von Kaiser Mar eigenhändig zum Poeten gekrönt, hätte Hütten an den deutschen Höfen leicht eine ebcnfo geachtete als einträgliche und vergnügliche Stellung einnehmen können. Aber das Vaterland ließ ihm keine Ruhe und den eigenen Vortheil hat er jederzeit mit der Gleichgültigkeit eines Mannes, der für höhere Zwecke lebt, bei Seite gesetzt. Ihm mochte zum Vorbild Gregor von Heimburg dienen, jener große Patriot, welcher zur Zeit des Basier Concils die öffentliche Meinung in Deutschland so mächtig gegen 3 34 Neuhochdeutsche Zeit. Rom aufgerüttelt hatte. Was Tüchtiges und Edles in den ersten Decenuien des 16. Jahrhunderts in unserem Lande gedacht und erstrebt wurde, das fand in Hütten seinen Verkündign und Verfechter. Er stand mit Wort und Schrift rastlos im Streite. Er warf die lateinische Poetenfeder weg und stieß, das Volk in dessen eigener Sprache anredend, jenen herrlichen Kampfruf, Klag und Vermahnung wider die Gewalt des Bapsts , aus, dem an concentrirtem Zorn und edler Leidenschaft Nichts aus damaliger Zeit gleichkommt. In diesem schönen Gedicht hat er sein Wollen klar manifestirt, das nichts Geringeres bezweckte als die nationale Wiedergeburt Deutschlands. Indessen hatte Martin Luther (geb. 1483 und gest. 1546 zu Eisleben), nach langem Ringen und Kämpfen seiner Seele in der augustinischcn Gnadenlchre Beruhigung findend, am S I.Octöbcr 1517 seine Thesen gegen den Ablaßhandel zu Wittenberg veröffentlicht, den berühmten Fehdebrief gegen die päpstliche Macht, dessen Tragweite der, welcher ihn erließ, Anfangs keineswegs ahnte, der aber dennoch die reformistische Bewegung in eine bestimmte Bahn lenkte, in die theologisch-protestantische. In dieser beharrte Luther mit der ganzen Unerschütterlichkcit seines Charakters. Vergebens drängten ihn Hütten, Thomas Münster, die Ritterschaft, der Bauernstand zur Theilnahme an umfassenderen und höheren Problemen der Zeit, vergebens gab der treffliche Ulrich Zwingli (1481 —1531) von der Schweiz aus das Beispiel, wie mit theologisch-reforniatorischcr Thätigkeil auch die politische zu verbinden sei. Luther kannte die Bestrebungen jener Tage weder in ihrem ganzen Umfange, noch wollte er sie als berechtigt anerkennen. Nach Art praktischer Naturen beschränkte er sich auf das ihm Nächstliegende, auf ein biblisches Kirchcnthum. Zu dessen Begründung verband er sich aufs engste mit den deutschen Fürsten und überließ ihnen zum Dank für den Schutz, welchen sie seinem Werke angedcihen ließen, seine Erfindung vom beschränkten Unterthanenvcrstand, von welchem sie seither den nachdrücklichsten Gebrauch gemacht haben. Nachdem ihr Hauptträger so die politische und soziale Seite der Reformation abgewiesen, nahm sie den unseligen Verlaus, welchen sie nehmen mußte. Sie befreite uns, wie schon Thomasius gesagt, von dem hölzernen Joche der Tradition und legte uns dafür das eiserne des Bibelbuchstabengötzendienstes auf. Sie schwächte das Kaiscr- thum, erweiterte und befestigte die fürstliche Gewalt und fügte der staatlichen Gcthciltheit und Zerrissenheit Deutschlands noch die religiöse bei. Daß Neuhochdeutsche Zeit. 35 sodann die lutherische Orthodoxie bald genug an dem Prinzip der freien. Forschung, von welchem sie ausgegangen, die schmählichste Apostaste beging, ist bekannt; daß aber diese Apostaste noch bei Lebzeiten Luthcr's und mit seiner Billigung anhob, wird gewöhnlich vom bornirten Parteigeist verschwiegen. Erst die deutsche Philosophie hat das Prinzip der freien Forschung wieder ausgenommen und hat es mit allen seinen Konsequenzen — vor denen sich die lutherische Theologie nicht minder als die katholische entsetzen muß — zu dem ihrigen gemacht. 2 . Wie am Eingänge der althochdeutschen Periode unserer Literatur das Bibelwerk des Wulfila steht, so tritt uns beim Beginn der neuhochdeutschen die Bibelübersetzung Luther's entgegen. Als der Reformator diese folgenreiche Arbeit unternahm, welche der religiös-reformistischen Stimmung der Zeit erst einen festen Anhaltspunkt gab, fand er die Sprache in jener Verwilderung vor, welche den Uebergang der mittelhochdeutschen Mundart in die neuhochdeutsche zu Anfang des 16 . Jahrhunderts kennzeichnet. Luther nahm das Schristhochdcutsch, wie es sich namentlich in Obersachsen gestaltet hatte, zur Grundlage und richtete sich, wie er selbst sagt, nach der Ausdrucksweise der sächsischen Kanzelci, welche damals „die gemeinste deutsche Sprache" war, verständlich für „Ober- und Niederländer". Aber mit welcher tiefen Erkenntniß seines innersten Geistes, mit welcher Kraft und Geschicklichkeit hat er dieses Sprachmatcrial behandelt! Welche Lebcnsfrische hat er ihm eingehaucht! Was er vorfand, ist unter seinen Händen zu einer Sprache -vom reinsten Metall geworden, fest und doch biegsam, gediegen, tönend. Ihr Klang wurde der Nation zugleich mit dem Inhalt der Bibel vertraut und theuer und sie ist die Quelle unserer jetzigen Schriftsprache geworden und geblieben. Kaum weniger einflußreich auf unsere Sprach - und Sthl- bildung war Luther durch seinen Katechismus, sowie durch seine Mahnredcn und Streitschriften, in welchen letzteren er dem derbrealistischen Geiste der Zeit, welcher sich in so häufiger Anrufung des heiligen Grvbianus gefiel, daß der Grobianismus ein bedeutendes Literaturelement wurde, unbefangen 3 * 36 Neuhochdeutsche Zeit. seinen Tribut entrichtete. Die Leute verhandelten damals ihre Streitfragen in sehr ungenirtem Deutsch, dessen naturwüchsige Derbheit übrigens nicht wenig zur allseitigen Ausbildung unserer Sprache beigetragen hat. Doch nicht allein durch seinen prosaischen Styl hat Luther in die Entwicklung unserer Nationallitcratur unmittelbar eingegriffen. Er that dies auch durch die von ihm ausgegangene Begründung des evangelischen ^ Kirchenlieds. Dieses war naturgemäß der populärste und wirksamste Ausdruck der Zeitstimmung, volksmäßig in Stoff und Form. Luther, der, mit einem tiefen Gefühl für Musik begabt, auch die Melodien zu seinen geistlichen Liedern erfand, legte den letzteren meistens einen Gedanken der Psalmen zu Grunde, was jedoch ihrer Selbständigkeit keinen Eintrag that. Sein berühmtestes Lied, das protestantische Schlachtlied des 16. und 17. Jahrhunderts, Ein' vcste Burg ist unser Gott, baut sich auf psalmistischer Grundlage mit eigenthümlichster Kraft in die Höhe. Von Luther ausgehend reicht eine lange Reihe protestantischer Kirchenliederdichter nicht nur bis auf Geliert und Klopstock, sondern bis auf unsere Tage herab. Der Ton derselben ist natürlich ein sehr ungleicher. Während Zwingli, Paul von Spreiten, Justus Jonas, Lazarus Spengler, Erasmus Albcrus, Nikolaus Hermann und Andere die ursprüngliche Weise der protestantisch-religiösen Lyrik festhielten, erkennt man in den Kirchenliedern eines Ludwig Helmbold, Barthvlomäus Ringwaldt, Philipp Nikolai, Johann Rist, Ambrosius Lobwasser schon die unerquickliche Einwirkung theologischer Düftclei oder der gelehrt-schwülstigen Dichtungsmanicr des 17. Jahrhunderts, welches jedoch in Paul Gerhard (1606—76), dem Dichter der berühmten Lieder: Befiehl du deine Wege — und: O Haupt voll Blut und Wunden — einen geistlichen Lyriker von großer Auszeichnung auszuweisen hat. Zur nämlichen Zeit weckte das protestantische Lied auch einen katholischen Widerhall. Sehr schwach sind freilich die religiösen deutschen Lieder des Jesuiten Jakob Bälde (st. 1668), der doch in der lateinischen Ode keine geringe Begabung zeigte, ein wirkliches Talent aber verräth in manchem Liebe seiner Trutz-Nachtigall der Jesuit Friedrich von Spce (1595—1635), dessen Namen sein hochfinniger Eifer gegen den greuclvollcn Wahnwitz der Herenprozesse in den An- j nalen der Humanität unsterblich gemacht hat. Sein jüngerer Zeit- und ' Glaubensgenosse Johann Scheffler (Angelus Silesius, st. 1677) rührte Katholicismus und Pantheismus zu einem mystischen Brei zusammen, der nachmals in der herrnhut'schcn Licdcrdichtung des Grafen von Zinzendorf Neuhochdeutsche Zeit. 37 und Anderer so widerwärtig süßlich ausgewärmt wurde, überfließend von LLmmleinbruderschastsliebeleithränen und duftend von Jesuleinwundcnblut- schwciß. Wir sahen oben, daß die literarische Thätigkeit der Humanisten, welche bis gegen das Ende des 16. Jahrhunderts durch den unglücklichen Nikodemus Frischlin (1547—90) in lateinischen Gedichten und Komödien fortgeführt wurde, mit satirischen Elementen stark versetzt war, und diese wurden zu gleicher Zeit durch eine Reihe oppositionell-satirischer Werke in deutscher Sprache auch für das größere Publikum fruchtbar gemacht. Tiefgctaucht in diese Zeitfarbe erstand gerade am Schluß des 15. Jahrhunderts (1498) das uralte germanische Thierepos vom Fuchs und Wolf wieder, aber seiner waldursprünglichen Naivetät entkleidet und, durch Nikolaus Baumann (?) oder Heinrich von Alkmar (?) in niederdeutscher Mundart unter dem Titel Reineke Vos (Nhdg. v. Simrock) erneuert, auf die Zeitgebrechen, namentlich auf die religiösen, höchst ergötzlich satirisch gemünzt. Mit wie markiger, Zügen das Gedicht den Gahrungsprozeß der beginnenden Reformationsperiode zeichnet, deutet schon der Umstand an, daß Göthc in den Währungen des Revolutionszcitalters eine Wiederdichtung des Reineke vornahm, in der eingestandenen Absicht, sich daran über seine eigne Zeit zu orientiren. Wenn aber in diesem Gedicht der oppositionelle Geist Vorzeitliches zu seinen Zwecken umformte, so sehen wir anderwärts, daß er auch näherliegende Anknüpfungspunkte suchte. Sebastian Brant aus Straßburg (1458—1521) vermittelt durch sein Narrenschiff oder Schiff aus Narragonien, in welchem die Thorheiten und Laster der Zeit durch die moralische Hechel gezogen werden, den Uebcrgang von der mittelalterlichen Lehrdichtung zur satirischen Polemik, welche in seines Landsmanns Thomas Murner (1475—1536) Narrcnbe- schwörung und anderen Arbeiten schon auf bestimmtere Ziele sich richtet, erst für die Reform sümpfend, dann gegen das Lutherthum Front machend. Auch die Fabulisten Erasmus Alberus (st. 1553) und Burchard Waldis (st. 1556?) stehen in der Reihe der reformistischen Tendenzpoeten, ebenso Georg Rollenhagen (1542—1609), der in seinem Froschmeuselcr die Fabel zum Thierepos erweiterte. Sein Froschmäusekrieg ist freilich sehr gedehnt und gelehrt,trocken, mitunter aber auch schlagend satirisch, wie z. B. da, wo er in seiner Schilderung des Froschpriesters ein Bild von dem Stande entwirft, dessen „Vater ist der heilige Geiz, sein' Mutter die alte Superstes;" (Superstition). Ueber die Genannten erhebt sich an vielseitiger Thätigkeit 38 Neuhochdeutsche Zeit. und durchschlagender Kraft der Satire Johann Fischart genannt Mentzer aus Mainz (st. 1589), beseelt von aristophanischem Geist und in seinen Schriften , deren lange Reihe noch lange nicht vollständig bekannt und zugänglich ist, sämmtliche Richtungen und Seiten der Literatur der Reformationsperiode darstellend. In ihnen hat der publizistische Charakter dieser Literatur so recht , seinen Ausdruck gefunden. Fischart muß mit außerordentlicher Leichtigkeit produzirt haben und wußte sich überall schnell zurechtzufinden. Seine Meisterschaft in Behandlung der Sprache tobt sich oft in den übermüthigsten Launen aus, besonders in der dem Rabelais nachgedichteten Affentheuerlich Naupengeheuerlichcn Geschich tsklitterung von den Helden und Herren Grand- goschier Gorgellantua und Pantagruel von Durstwelten, einem Werke, in welchem der Grobianismus des 16. Jahrhunderts eine wahrhaft classische Vollendung erreichte und welches man an Höhe und Tiefe. Witz, Humor, Scharfsinn, aristophanischer Keckheit und treuherziger Naivetät mit Recht eine zehnfache Ucberbictung seines französischen Urbildes genannt hat, wie es zugleich eine unerschöpfliche Fundgrube für die Kenntniß derVolkssittcn und Gesellschaftsgebräuche seiner Entstehungszeit ist. Aber auch in anderen ^ seiner komischen Dichtungen, z. B. in der Flöh-Hatz, ist die plastische Sit- ^ ^ tenmalerei bewundernswerth. Wo er, der reformistischen Richtung mit Entschiedenheit zugethan, im Dienste derselben die satirische Keule schwingt, wie in seinem Bienenkorb des h. röm. Jmmenschwarms, in seinem Sekten- und Kuttcnstreit der Barfüßer, in seinem gegen die Schüler des „Jgnacio Lugiovoll" gerichteten vierhörnigenJcsuwidcrhütlein, da treffen ihre Streiche mit zermalmender Wucht. Daß er endlich auch im ernsten Genre ein schönes Dichtervermögen bethätigte, dessen ist insbesondere sein Glückhafft Schiff Zeuge, in welcher poetischen Erzählung der Grundgedanke, daß beharrlichem Manncsmuth auch das Schwerste gelingen müsse, mit anschaulicher Malerei durchgeführt wird. Wie zur Reformationszeit der episch-mittelalterliche Styl des deutschen Lebens gleichsam in den dramatisch-modernen überging, so machte sich auch in der Dichtung selbst dieser Uebergang bemerkbar. Dem geistlichen Myste- t rienspiel hatte sich allmälig die weltliche Posse, das sogenannte Fastnachtsspiel, zugcjellt, hervorgegangen aus improvisirtcn Maskenspäffcn zur lustigen Zeit der Fastnacht und besonders auf den Straßen und in den Bürgerhäusern von Nürnberg heimisch. Der muntere Wappendichter Hans Rosenblüt und sein Zeitgenosse Hans Folz gaben um 1450 diesen mit Werkstattscherzen, Neuhochdeutsche Zeit. 39 Wochcnmarktzoten und Eheskandalen gewürzten, meist auf eine saftige Prügelei hinauslaufenden Possen zuerst eine Art literaristher Form, die jedoch ganz locker und lose war. Eine höhere Absicht als eben Lachen zu erregen und die Fastnachtsfrcude zu mehren, lag diesen Farcen überall nicht zu Grunde. Das änderte sich aber, sowie die Zeit der Reformation entgegenschritt. Die oppositionelle Tendenz ging in das werdende Drama ein. Bereits um 148« wurde in der Manier der Mysterien Ein Spil von Fraw Jntten, welche Bapst zu Rhom gewesen, geschrieben, wahrscheinlich von dem Geistlichen Theodor Schcrnbcrgk, in welchem die Sage von der Päpstin Johanna mit offenbar polemischer Absicht behandelt ist. Ganz bestimmt und mit sehr derber Komik prägt sich die religiös-politische Polemik gegen das Bestehende in den beiden vortrefflichen Fastnachtsspielen aus, welche der Berner Maler Niklaus Manuel (1484—1530) im Jahre 1522 in seiner Vaterstadt durch Bürgcrsöhnc zur Aufführung brachte und von denen der Chronist Anshelm rühmt, daß durch „diß wunderliche vnd vor nie als gotteslästerlich gedachte Anschauwungen ein groß Volk bewegt wardt, christliche Fryheit und bäpst- liche Knechtschaft zc bedrucken vnd zc unterscheiden." Auch die Mysterien wurden, wie unter anderen des Paulus Rcbhun Geistlich spiel von der § ' Gotfurchtigen vnd keuschen Frawen Susannen zeigen kann, von den Protestanten in evangelischem Sinne und mit Hcrvorkehrung der allegorisch-moralischen Nutzanwendung umgebildet und durch Schüler oder Bürger zur Darstellung gebracht. Soweit war das deutsche Drama, als ihm auch der wackere -Hans Sachs aus Nürnberg (1494—1576) seine fruchtbare Feder widmete. Der hölzernen Unbclcbthcit der Handlung, dem Mangel an Charaktercntwicklung und was sonst noch Unzulängliches dem deutschen Schauspiel anklebte, hat Sachs nur wenig oder gar nicht abgeholfen und sind namentlich seine „Tragedi" trockene Holzschnittzeichnungen, beklert mit grell mordthätigen Farben. Aber der treffliche Mann, dessen Schusterschurzfell nur der vornehme Unverstand belächeln mag, hat besonders in seinen Fastnachtsspielen, von denen das Narrcnschneidcn mit Recht in allen Beispielsammlungen unserer Literaturgeschichte erscheint, so viel tiefe Welt- und ^ Menschenkenntnis, eine so richtige Auffassung der gesellschaftlichen Verhältnisse, eine so gesunde und mild verständige Moral entfaltet, daß schon um deßwillen sein Name mit Ehren im Gedächtniß der Nachwelt besteht. Sachs war eine wirkliche Poetcnnatur und er hat mit einem Dichter der neuesten Zeit, mit Rückert, darum eine überraschende Ähnlichkeit, weil ihm Alles, Neuhochdeutsche Zeit. 40 was im Leben ihn berührte, zu einem Gedicht wurde. Nahe an sechzig Jahre ist er poetisch thätig gewesen und er hat vierunddreißig Foliobände handschriftlich mit seinen Arbeiten angefüllt. Da finden sich freilich viele werthlose Schlacken, aber auch viele Silberbarren und manches Goldkorn. Er versuchte sich in allen dichterischen Formen seiner Zeit und in einigen, wie in Fabel, Schwank und Fastnachtsspiel, mit überlegenem Talent. Das deutsche Bürgerthum des 16. Jahrhunderts hat in ihm seinen edelsten und umfassendsten Ausdruck gefunden. Er war ebenso reich an Kenntniß als an Liebe. Kein Wirrsal vermochte die Klarheit seines Blickes zu trüben, welcher die besten Ziele seiner Zeitgenossen fest im Auge behielt. Diese Ziele hat er seinen Mitlebcnden mit naiver Heiterkeit und gehaltener Mäßigung zur Anschauung zu bringen und zu empfehlen gewußt und kein Autor von damals hat die Kunst, unterhaltend und ergötzend zu lehren, zu warnen und zu bessern, so gut verstanden wie er. Seine Thätigkeit als Schauspieldichtcr wurde von seinem Landsmann Jakob Ayrer bis gegen 1618 hin fortgesetzt, doch kam dieser nicht über Sachs hinaus, wenn gleich einige seiner Stücke dadurch merkwürdig sind, daß sie durch Einlcgung von Volksliedern in den Text die Anfänge der deutschen Oper bezeichnen. Das Schauspielwesen selbst gewann übrigens jetzt eine erweiterte Gestaltung und Wirksamkeit durch vagirende Komödiantenbanden, aus denen dann im Verlauf des 17. Jahrhunderts allmälig die Elemente zu stehenden Hof- und Stadtbühncn hervorgingen. Das erste Schauspielhaus in Deutschland war 1550 durch die nürnberger Meistcrsängerzunft erbaut worden. Das ganze 16. Jahrhundert trägt vorwiegend den Charakter einer nüchternen, bürgerlich-praktischen Verständigkeit, welche, hochfliegcnder Dichterei weit mehr hinderlich als förderlich, poetische Stoffe und Ueberlieferungen gerne in die Form der Prosa umsetzte. Dies zeigt recht anschaulich unsere alte Volksbüchcrlitcratur, welche die nationalen und höfischen Sagen- gestalten des Mittelalters prosaisch reproduzirte und an welcher das Volk nur wieder um so mehr Gefallen fand, je mehr ihm die Theilnahme an der reformistischen Bewegung durch die theologisch - gelehrte Versandung derselben verkümmert ward. Da jedoch die Buchdruckerei in ihrer stets sich erweiternden Thätigkeit die Lesebegierde auch der unteren Stände rastlos stachelte, so thaten derselben die alten Sagen und Geschichten allein bald kein Genüge mehr. Die Volksbüchermacher — denn wir können uns nicht zu der geistreichen Anficht erheben, daß ein Volksbuch sich von selbst mache, Neuhochdeutsche Zeit. 41 oder ein Volkslied sich selber dichte — mußten daher nach neuen Stoffen ausschauen, wie solche sich gerade in der Zeit vorfanden, und so entstanden die Volksbücher vom Doctor Faust und vorn ewigen Juden, und die Narrenhistorien vom Eulenspiegel, von den Schildtbürgcrn, von Peter Leu, von Claus Narr, Hans Clauert und anderen, über deren Bibliographie der wißbegierigere Leser Gödeke's verdienstvolles Buch: Elf Bücher deutscher Dichtung (I, 143 fg.) nachschlagen mag. Mit dem Singen und Sagen war es vorbei, das Schreiben, Drucken und Lesen trat an dessen Stelle und so gewann die Prosa eine immer breitere Wirksamkeit. Die Leselust ließ sich aber nicht mehr mit Sagen und Mythen abspeisen, sie verlangte, von dem allwärts erwachenden Realismus der modernen Zeit erfüllt, nach soliderer Kost. Daher die lebhafte Chronikschreiberei zu Ausgang des 15. und das ganze 16. Jahrhundert hindurch. Noch immer zwar wurden höchst wichtige zeitgeschichtliche Werke, wie Pirkheimer's Schweizerkrieg Marimilian's I. und Johann Sleidan's Commentarien über die Regierung Karl's V. lateinisch abgefaßt, allein daneben standen an allen Ecken und Enden Deutschlands Chronisten auf, die in treuherzigem Deutsch ihre Leser mit der Geschichte der Vergangenheit und Gegenwart bekannt zu machen suchten, meist auf engere Kreise sich beschränkend, mitunter jedoch auch den Blick auf weitere richtend. Von streng kritischer Sichtung und Ordnung des Materials war freilich in diesen Chronikbüchern nur selten die Rede. Sagen, Fabeln und Legenden laufen viele mitunter in einer Geschichtschreibung, die im Allgemeinen nur eine vom Hörensagen war. Zu ihren besseren und besten Leistungen gehören die bairische Chronik von Johann Turnmayer (Avcntinus), die pommer'schc von Thomas Kantzow, die dithmarstsche von Johann Küster, die preußische von Lukas David und die schweizerische des Egidius Tschudi, welcher Letztere mit herodotisch naiver Darstellung gewissenhafte Forschung vereinigt. Sebastian Frank versuchte sich schon in einer deutschen Reichschronik, ja er wagte sich in seiner Geschychtbibcl sogar an die Universalhistorie. Daneben sammelte er die deutschen Sprüchwörter, was nachmals Wilhelm Zinkgref lst. 1635) in erweitertem Maaßstabe fortsetzte, indem er eine reichhaltige Sammlung von historischen Anekdoten und stnnfertigcn Spruchreden anlegte (Apophthegmata). Zur Geschichte des Rittcrthums lieferte Georg Rürner durch sein Turnierbuch einen schätzbaren Beitrag, zur Kriegsgeschichte der Resorniationszeit Adam Reißner durch seine Historia der beiden Frunds- berge. Für die Sittengeschichte des 16. Jahrhunderts sind von höchster Neuhochdeutsche Zeit. 42 Wichtigkeit die Selbstbiographien des Ritters Götz von Berlichingen (st. 1562), des Ritters Hans von Schweinichen (st. 1616) und des Bartholo- mäus Zastrow (st. > 603). Mit diesen Werken, welchen man auch noch die Briefe des bekannten augsburger Feldhauptmanns Sebastian Schertlin beizählen mag, hebt die deutsche Mcmoirenliteratur an, wie die Cosmographei des Sebastian Münster (st. 1552) die unbeholfenen und wunderlichen Anfänge unserer geographischen Wissenschaft markirt. Das 16. Jahrhundert brachte auch unser Zeitungswesen in Gang, welches überhaupt erst möglich wurde, nachdem die Buchdruckerkunst erfunden und das Postwesen wenigstens nothdürftig eingerichtet war. Bisher hatte das historische Volkslied die Stelle der Journalistik vertreten. Statt seiner kamen nun die fliegenden Blätter und die sogenannten Relationen auf, welche aber nicht in regelmäßiger Wiederkehr, sondern nur bei besonders wichtigen Veranlassungen erschienen, manchmal in schlechten Reimen, meist aber in prosaischer Gesprächs - oder Briefform abgefaßt und gewöhnlich mit Holzschnitten verziert waren, die sehr bald auch zerrbildnerisch auftraten. Schon auf diese Anfänge unserer Journalistik setzte aber die unter Karl V. erlassene Censurordnung einen bleiernen Dämpfer. Die ersten periodisch wiederkehrenden und eben dadurch den Uebcrgang von den Flugschriften und Relationen zu den eigentlichen Zeitungen in unserem Sinne vermittelnden Schriften waren die jährlichen Kalender, die erst kurz vor der Mitte des 16. Jahrhunderts erschienen, und die buchhändlerischen Meßkatalogc, deren erster 1564 herauskam. Den Kalendern und Katalogen schloffen steh dann die sogenannten Postrcuter an, welche jedesmal am Schlüsse des Jahres eine Uebersicht der Ereignisse desselben lieferten. Es währte bis ins 17. Jahrhundert, bevor eine regelmäßige wöchentliche Zeitung in Deutschland erschien. Egenolph Enimel gab sie 16l5 zu Frankfurt heraus und fand so rasche Nachahmung, daß schon drei Jahre darauf Wien, Augsburg, Regensburg, Nürnberg, Köln und andere Städte Zeitungen hatten. Zur gleichen Zeit wurden aus Flugblättern, Gesandtcnrelationen, Manifesten und anderen öffentlichen Documentcn dickleibige Gcschichtswcrke in deutscher Sprache zusammengestellt. Das von Johann Abellinus 1617 begonnene, nachmals auf 2 t Folianten angewachsene klwatrum blueopaeuni gibt die deutlichste Vorstellung von dieser aus der Journalistik hervorgegangenen Historiographie. Die emsige Beschäftigung mit der Geschichte weist schon auf das Erwachen deutschen Forschungseifers auch auf anderen wissenschaftlichen Ge- Neuhochdeutsche Zeit. 43 Litten hin. Das denkwürdige Zusammenwirken großer Ereignisse im staatlichen, religiösen und sozialen Leben der Völker Europa's, welches auf der Gränzscheide des 15. und >6. Jahrhunderts statthatte, mußte auch die strengere Wissenschaft befruchten. Die Alten waren aus ihren Gräbern auferstanden. Ihre Schriften predigten den Humanismus, die Gebilde .ihrer Kunst, ein Laokoon, ein Apoll von Belvedcrc, eine medizeische Venus, verkündigten mit ihren Marmorlippcn die frohe Botschaft ewiger Schönheit, deren Apostel in Italien Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raphael und Tizian, in Deutschland Holbein und Dürer wurden, und wie kühne Seefahrer auf der Oberfläche der Erde neue Welten ausschlössen, so entdeckten geniale Astronomen solche in den unendlichen Räumen des Firmaments und enthüllten tiefsinnige Mathematiker die Gesetze des Universums, dessen Un- ermeßlichkeit vermittelst der „raumdurchdringenden Kraft" der zuerst in -Holland (um t608) bekannt gewordenen Fernrohre dem forschenden Mcnschen- auge naher gerückt und begreiflicher wurde. Mit Selbstgefühl dürfen wir es sagen, daß Deutsche an den mathematischen und astronomischen Findun- gen, welche das Fundament der modernen Wissenschaft bilden, einen höchst bedeutenden Antheil haben. Georg Peurbach und sein Schüler Johann Regiomontanus (Müller) bahnten Copernicus den Weg, dem großen Reformer derAstronomie. Copernicus (Köpernik oder Koppcrnik) wurde i 172 oder 1473 zu Thorn geboren und starb am 24. Mai 1543, wenige Tage nach dem Erscheinen seines epochemachenden Werkes 0o eevolutmnllmz ottuom eoelestium. Nahe an dreißig Jahre hatte er an diesem System der Htmmelsbewegungen gearbeitet, welches die schon im Alterthum da und dort aufgetauchte Ahnung, baß die Sonne der Mittelpunkt des Weltalls sei, um welchen die Erde sich drehe, zur evidenten Wahrheit erhob. Als ihm das große Geheimniß hell aufgegangen, da rief er mit dem edlen Enthusiasmus des überzeugten Forschers aus: „durch keine andere Anordnung habe ich eine so bewundernswürdige Symmetrie des Universums, eine so harmonische Verbindung der Bahnen finden können, als da ich die Weltleuchte, die Sonne, die ganze Familie der kreisenden Gestirne lenkend, wie in die Mitte des schönen Natur- tempels auf einen königlichen Thron gesetzt." Das copernikanische System, jetzt die Basis unserer ganzen Weltanschauung, hatte das Glück, durch eine Reihe ausgezeichneter Nachfolger seines Urhebers, den Dänen Tycho de , Brahe, den Deutschen Keppler, den Italiener Galilei und den Engländer Newton, seine allseitige Prüfung und Feststellung zu erhalten. Johann Neuhochdeutsche Zeit. LL Keppler — so unterzeichnet er in seinen deutschen Briefen seinen Namen — wurde am 27. Dezember 1571 in dem schwäbischen Dorfe Magstatt geboren und starb am 15. November 1631 zu Regensburg, zwar nicht Hungers im buchstäblichen Sinn, wie die Sage geht, aber doch aufgerieben von den Sorgen und Widerwärtigkeiten eines kummervollen Lebens, dem auch die Bitterkeit nicht fehlen sollte, daß der treffliche Mann seine siebzigjährige Mutter nur mit äußerster Mühe den mörderischen Krallen des Herenprozesses entreißen konnte. Keppler ist der Finder der drei nach ihm benannten Gesetze der Planetenbewegung: 1) Jede Bahn eines planetarischen Körpers ist eine Ellipse, in deren einem Brennpunkt die Sonne sich befindet; 2) in gleichen Zeiten beschreibt jeder planetarische Körper gleiche Scctoren um die Sonne; 3) die O-uadratzahlen der Umlaufszeiten zweier Planeten verhalten sich wie die Cubi der mittleren Entfernung. Dieses Hauptrcsultat seiner Forschungen, daß alle Planeten in Ellipsen um die Sonne sich bewegen und daß die Sonne in dem einen Brennpunkt der Ellipsen sich befinde, war die nothwendige Ergänzung des copernikanischcn Systems und hiedurch erschien nun der „ planetarische Wcltbau objectiv, gleichsam architektonisch, in seiner einfachen Größe", so daß es Newton ermöglicht war, das „Spiclund denZusammcn- hang der inneren, treibenden und erhaltenden Kräfte" zu erkennen und zu enthüllen. Der Standpunkt, worauf Keppler gelangt war, setzt schon voraus, daß in den mathematischen Fächern überall Anläufe zu Fortschritten genommen und solche auch erzweckt wurden. Gleichfalls war dies in den Naturwissenschaften der Fall. Auch hier ging man daran, von roher Empirie und gedankenlos nachgebetetem Fabelwesen zu wissenschaftlicher Forschung und Gestaltung vorzuschrciten. Der vielgenannte, vielverlästertc, aber bei allen seinen phantastischen Schrullen dennoch ein originales Forschertalent bewährende Philippus Aurcolus Theophrastus Paracclsus von Hohenhcim (1493 — t54l) hat in Medizin und Chemie, welche letztere er zuerst aus der alchemistischen Nebelet heraus in die Tagcsheitcre der Wissenschaft führte, fruchtbare Anregungen gegeben und so that in Beziehung auf Ge- ognosie und Mineralogie Georg Ägricola (st. 1555), der Begründer des methodiichen Bergbaus in Deutschland, so in Beziehung auf Geologie, Botanik und Zoologie der unermüdliche Polyhistor Konrad Gcßncr aus Zürich (1516 65). Was die übrigen Wissenschaften angeht, so mußten Staatswisscnzchaft und Jurisprudenz in Deutschland erst von außen her, durch die staatswisscnschastlichen Theorien Macchiavelli's, Hugo Grotius', Neuhochdeutsche Zeit. 45 Spinoza's, Hobbes', Locke's, Sidncy's und Anderer, beftuchtet werden, bevor der wissenschaftliche Anbau derselben bei uns begann. Selbst die Ca- rolina, der berühmte unter Karl V. im Jahre 1532 erlassene Strafcoder, welcher ursprünglich durch Johann von Schwarzcnberg zu Bamberg war zusammengestellt worden, wurde erst im folgenden Jahrhundert durch Benedict Carpzov und andere Juristen Gegenstand gelehrter Behandlung. Dagegen mußte die Theologie in einer Zeit von vorwiegend theologischem Charakter der maßlosesten gelehrten Bemühungen sich erfreuen, um so mehr, als die reformistische Bewegung sehr bald in die kleinlichst-pfaffische Klopffechtern ausgeartet war. Wir wollen unsere Leser mit diesen jetzt verdunsteten Stänkcreien nicht behelligen. Wir sagen" nur, daß auf Seite des Luther- thums nächst Luther vor allen Philipp Melanchton (Schwarzerd aus Breiten, 1497 —1560) als Theologe bedeutend war. Er ist der Verfasser der berühmten Augsburger Confession und der eigentliche Formgebcr der protestantischen Dogmatik, welche nachmals durch Leonhard Hutter (st. 1616) und Andere weiter ausgeführt wurde. 'Auf Seite der Zwingli'schen Reform haben stch neben Zwingli besonders Oekolampadius, Buccr, Capito und Bullinger als theologische Schriftsteller hervorgethan, während katholischcr- seits durch populäre Wirksamkeit insbesondere der Jesuit Peter Canisius (st. 1598) vorragt, welcher den nach ihm benannten Katechismus dem lutherischen entgegensetzte. Von der versteinerten Orthodoxie des Lutherthums zweigte stch die mystische Richtung des Johann Arndt (st. 1621) ab, der mit seinen vier Büchern vom wahren Christenthum auf Tcmler und Suso zurückweist, und noch entschiedener die theosophische des Valentin Weigel (st. 1588), welche in Jakob Böhm (1575—1624) ihren Vollender fand. Dieser tiefsinnige görlitzer Schuster, welchem Ausländer den Ehrennamen des l'Iiilnso- xllus leutonieu8 gegeben haben, ist eine merkwürdige Erscheinung. Ganz gewaltig regte sich in seiner sanften und frommen Seele der philosophische Gedanke unseres Landes und er steht an der Gränzscheide des Reformationszeitalters als ein auf die späteren Entwickelungen deutscher Philosophie vorwärtszeigender und darum auch von seinen Zeitgenossen unverstandener und ungewürdigter Prophet. In seiner Aurora und anderen Schriften strebt das Denken dieses spekulativen Mystikers daraufhin, Alles in eine absolute Einheit aufzulösen, alle Gegensätze in Gott zu vereinigen, und so gelangt er zu dem pantheistisch - christlichen Endergebniß: Das Universum ist Ein göttliches Leben, eine Offenbarung Gottes in allen Dingen. Neuhochdeutsche Zeit. L6 3 . Keiner der modernen Nationen war es gegönnt, ihr Geistesleben und dessen höchste Gestaltung, ihre Literatur, in so ungestört organischer Entwicklung, so ganz eigenthümlich und selbstständig auszubilden, wie das die? hellenische zu thun vermocht hatte. Das moderne Miterleben duldete keine antike Abgeschlossenheit mehr. Die Schranken des mittelalterlichen Fürsichseins der Völker waren schon durch die Krcuzzüge gesprengt worden und wir sahen oben, von welcher Triebkraft diese umgekehrte Völkerwanderung für die Blüthe unserer mittelhochdeutschen Romantik gewesen ist. Aber schon früher war ja die selbststäudige Entwicklung, unserer Literatur durch back Christenthum und die romanische Cultur beeinträchtigt worden und nun sollten Einwirkungen von außen her auch das höchlich gefährden, was im ReformationszeitälterDeutscheigenes nationalliterarisch zu keinem und aufzusprossen angefangen hatte. Der dreißigjährige Krieg von 1618—48, durch die den Katholicismus restaurirenden Jesuiten angeschürt, aber von den schon lange mit dem Ausland reichsverrätherisch liebäugelnden und intriguirenden Protestanten mitverschuldet, vernichtete nicht allein unsere politische Stellung, als Nation, nein, er schien Deutschland überhaupt physisch und moralisch ruiniren zu wollen. Als dem unseligen Krieg der westphälische Friede ein klägliches Ende machte, war die Herrschaft der Ausländer, welche die von unseren Urvätern ererbte deutsche Krankheit des Particularismus so gut zu benützen wußten, über unser Land entschieden. Sein Boden war eine Wüste, seine Vcwohncrzahl um drei Vertheile geschmolzen, seine Fürsten hüben und drüben waren Marionetten an den Drähten auswärtiger Kabinette, seine Geistlichen geistlose Formelmenschcn und lieblose Fanatiker, sein Adel war der Heimat und dem Volke entfremdet, sein Bürgerthum verarmt, seine Bauerschaft verthicrt, seine Frauen waren entsittlicht und entwürdigt, seine Städte ausgeraubt und verheert, seine Dörfer verbrannt, sein alter Ruhm war geschändet, seine neue Schmach unerhört, der Nationalsinn untergegangen in äffischer Ausländerei, der Born geistiger Zcuguugskraft eingefroren zu impotenter Nachahmungskünstelei. Wenn inmitten solcher Trübsal, Verfluchung und Verwilderung der deutsche Geist seine Arbeit wieder Neuhochdeutsche Zeit. 47 von Neuem aufnahm, so zeugt das rühmlich von seiner unüberwindlichen Lebensfähigkeit. Denn die Ausgabe war eine ungeheuere: zu einer Zeit, welche den Zusammenhang mit der früheren Cultur zum großen Theil verloren hatte, sollte eine neue gegründet werden. Und sie wurde es wirklich und deßhalb müssen wir die Männer, welche diesem schweren Geschäfte sich unterzogen, der Mangelhaftigkcit ihres Werkes ungeachtet, in hohen Ehren halten. Sie mußten nachgedrungen ihre Blicke auf das Ausland richten. Die Erinnerung an die mittelalterliche Bildung und ihre literarische Blüthe war, wie schon angedeutet, in Deutschland erloschen. Die volksthümlichen und nationalen Keime, welche überall in unserer Literatur des 16 . Jahrhunderts sich geregt hatten, waren unter furchtbaren Kriegsstürmen verdorrt oder von dem theologischen Unkraut überwuchert worden. Da boten sich also nirgends passende Anknüpfungspunkte.' Hingegen mußte der Blick auf die literarischen Leistungen des Auslandes die Gebildeten zur Nacheiferung auffordern. Die classischen Studien hatten dort höchst mächtig auf das nationale Schrisithum eingewirkt. Die italische Literatur hatte durch Dante, Petrarca und Boccaccio, durch Macchiavelli, Bojardo und Ariosto den Gipfelpunkt ihres Glanzes bereits erstiegen, die spanische wurde durch Boscan, Garcilaso, Montcmayor, Mcndoza und Cervantes demselben rasch entgegengeführt und in Frankreich bereiteten Ronsard und seine Schule der Klassik eines Corneille, Racine und Möllere den Weg. Da gab es also für die Kenner fremder Sprachen — und diese Kenntniß hatte sich schon im 16 . Jahrhundert bei uns auszubreiten angefangen— genug zu bewundern und nachzuahmen. Reisende Fürsten und Edelleute brachten aus der Fremde die poetischen Werke derselben heim und theilten in Verbindung mit dafür empfänglichen Damen den Geschmack an italischer, spanischer und französischer Poesie weiteren Kreisen mit. Gelehrte wurden dadurch angeregt, ihrer einseitig philologischen Beschäftigung mit dem classischen Alterthum die Berücksichtigung der modernen romanischen Literaturen zu gesellen und auch wohl gar nach einem Ruhme zu streben, wie ihn italische, spanische und französische Autoren dadurch erlangt, daß sie in der Volkssprache schrieben. So kam denn in die während und nach dem dreißigjährigen Kriege neu sich bildende deutsche Literatur von Anfang an ein vornehm-gelehrter Ton, welchen das Volk entweder gar nicht verstand oder welcher dasselbe, wo er ihm etwa zu Dhren kam, jedenfalls kalt ließ. Ja, so erclusiv sonderte sich die neue 48 Neuhochdeutsche Zeit. Poeterei von dem Volke, daß sie sogar das da und dort noch tönende Volkslied gewaltsam in die dünnluftige Region der Gelehrsamkeit hinauftückte, wo ihm dann der Athem bald genug ausging. Wir nehmen das insbesondere deutlich wahr an den historischen Gedichten aus dem 17. Jahrhundert, deren trocken gelehrte Weitschweifigkeit gegen die lebensvolle Frische der geschichtlichen Volkslieder aus früherer Zeit so unvortheilhaft absticht. Das Zurücktreten des Volkes von der Betheiligung an der literarischen Prvduction — der noch fortvegetirende Meistergesang war aller belebenden Kraft und Wirkung längst verlustig geworden — gab aber der gelehrten Reflections- poesie den unbeschränktesten Spielraum. Sie folgte mit sklavischer Ehrfurcht den Spuren ihrer ausländischen Muster und so hob denn in unserer Literatur eine lange Periode der Unselbstständigkeit und Nachahmung an, welcher erst der in Klopstock und Lessing wieder erwachende deutsche Genius mit kräftiger Hand ein Ziel steckte. Wir dürfen uns aber, indem wir zur Betrachtung eines fast durchweg vom Ausland abhängigen Zeitraums unserer geistigen Geschichte vorfchreiten, wohl eine Bemerkung erlauben, welche geeignet ist, uns über das so eben abgelegte demüthigende Bekenntniß zu trösten. Deutschland hatte das geistige Anleihen, welches es im 17. Jahrhundert bei den Fremden contrahirte, zum Voraus und in mehr als tausendfachem Betrage bezahlt. Unser Genius war es, welcher den Völkern Europa's die glorreiche Maschine gegeben, durch die der Gedanke befähigt wird, Gemeingut zu werden, die Maschine, durch welche Wissenschaft und Literatur überall erst so recht möglich wurden, die Säemaschine der Bildung, ohne welche Europa noch heutzutage in der tristesten mittelalterlichen Barbarei befangen sein würde. Diese Wohlthat wog doch wohl einige Regeln der Poetik, einige Versartcn und Strophenformen, etliche Schauspiel- und Romanmuster auf. Und dann die Reformation, durch welche unser Land zum Mittelpunkt alles höheren Lebens undStrebens der Völker Europa's geworden. So unzulänglich, ja unheilvoll sie in ihren nächsten politischen und sozialen Folgen für uns selbst sich erwies, von eben so unermeßlich heilsamer Anregung war sie für die civilisirtc Welt. Das stammverwandte England, in welchem seit den Kriegen der beiden Rosen das germanische Volksclemcnt über das normännisch-französische Adclsregiment ein immer entschiedeneres Uebergcwicht erlangt hatte, nahm das Werk, an dessen Durchführung die Ungunst der Umstände Deutschland hatte erlahmen lassen, mit praktischem Sinne auf und scin Cromwell übersetzte den Gedanken, Neuhochdeutsche Zeit. 49 welcher Luthern zur kirchlichen Rebellion getrieben hatte, in die politische That. Das Werk dieses hochhcrrlichen Germanen erlag daheim einer zeitweiligen Reaction, aber dieses Werkes Geist ruhte auf den konsequentesten Anhängern der Reformation, auf den Puritanern, welche, aus ihrem Vaterlande verstoßen, in der Urwaldwildniß von Nordamerika der Freiheit einen Altar bauten und ein Gemeinwesen gründeten, aus dessen Schooß hervor dem gealterten Europa das verjüngende Evangelium der Menschenrechte verkündet werden sollte. Fürwahr, wir dürfen mit stolzem Selbstbewußtsein dem deutschen Geist seinen vollen Antheil an dieser frohen Botschaft vindiziren und nie auch möge das uns gegenüber so gern sich überhebende Ausland vergessen, daß unsere Forscher es waren, welche zuerst mit kühner Hand den Schleier der Natur hoben, die Unermeßlichkeit des Firmamentes maßen und dem Menschenauge den Einblick in die unendliche Größe und Majestät des Universums eröffneten. Es gewährt nur ein dürftiges Interesse, die ersten nationalliterarischcn Versuche des 17. Jahrhunderts zu betrachten. Dichterischer Gehalt ist keiner darin, aber man muß die Ausdauer eines Paul Melissus Schede (st. 1602), PeterDenaisius (st. 1610), Georg RudolfWeckhcrlin (st. 1651), Johann Valentin Andreä (st. 1654) und anderer patriotischen Poeten bewundern, womit sie in jener trauervollen Zeit gegenüber der unfruchtbaren lateinischen Dichterei an der Herstellung eines formalen Bodens für die deutsche Literatur arbeiteten. Die poetischen Formen des Auslandes waren Hiebei maßgebend. An die Stelle des volksthümlichen, von Sachs und Fischart gebrauchten Verses von vier Hebungen traten vielerlei künstliche Rhythmen, Maaße und Strophen, romanische und antike, in welchen sich die verwilderte Sprache freilich ungeschlacht genug bewegte. Die Nothwendigkeit einer sprachlichen Reform, einer Reinigung unserer in den Kricgstrubcln durch buntscheckigste Sprachmengcrei unsäglich verdorbenen und verwüsteten Sprache machte sich aber so gebieterisch geltend, daß Jeder, der noch einen Funken deutschen Gefühls in der Brust trug, sie empfand und durchgeführt wünschte. Aber diese Arbeit erforderte mehr Kräfte, als der einzelne Gelehrte ihr zur Verfügung stellen konnte. Nur das Mittel der Association war hier ausreichend und wir müssen es rühmend anerkennen, daß zu diesem richtigen und tüchtigen Mittel gerade in den Kreisen gegriffen wurde, welche sonst in unpatriotischcr Ausländern den unteren Ständen mit schlimmstem Beispiele vorangingen. Fürstliche und adelige Personen waren es, die den 4 80 Neuhochdeutsche Zeit. crstorbenen Sinn für vaterländische Sprache und Literatur wieder weckten und den Aeußerungen derselben in der gebildeten Gesellschaft Zugang verschafften. Insbesondere hat sich in dieser Beziehung Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen ein bleibendes Verdienst erworben. Auf seinen Reisen mit den Einrichtungen und Leistungen der italischen Akademien bekanntgeworden, wollte er etwas Aehnliches auch in Deutschland versuchen und so stiftete er am 24. August 1617 auf dem Schlosse -Hornstein mit Gleichgesinnten die Fruchtbringende Gesellschaft, welche sich in Form eines Ordens organisirre, der zum Sinnbild den Palmbaum und zum Sinnspruch das Wort: Alles zu Stutzen — annahm. Die Bestrebungen dieses Ordens hat uns der treffliche Barthold in seiner Geschichte der fruchtbringenden Gesellschaft (1848) in anziehender Darstellung auseinandergelegt. Ihre Mitgliederzahl stieg bis auf achthundert und es gehörten zu ihr Männer von vielseitig wohlthätigem Einfluß auf die Cultur unseres Vaterlandes, wie z. B. Dietrich von dem Werder (1584 — 1637), der unter Kriegs- und Staatsgeschäften Muße fand, die deutsche Lcscwelt durch Uebersctzungen, die für jene Zeit ganz ausgezeichnet waren, mit den Heldengedichten Ariosto's und Tasso's bekannt zu machen und damit die Reihe unserer poetischen Uebersetzungskünstler eröffnet. Der Palmorden fand Nachahmung. Die 1633 zu Straßburg entstandene Aufrichtige TanncngescUschaft erlosch zwar bald wieder, dagegen war die 1643 von Zesen zu Hamburg gestiftete Deutschgesinnte Genossenschaft, welche auch Frauen aufnahm, bis ins folgende Jahrhundert thärig. Zu Nürnberg begründeten 1642 Harsdörfer und Klai den Orden der Pcgnitzschäfer, auch der gekrönte Blumenerden genannt, und um 1660 stiftete Rist den Elb- schwanen-Ordcn. Alle diese Sprachgesellschastcn verfielen häufig in leeres Getändel mit barocken Namen, Devisen und Symbolen und forderten dadurch die frivole, allem Einheimischen abgeneigte Spottlust der Vornehmen heraus, aber daß sie trotzdem, wenn auch mit oft sehr ungeschicktem Gebühren das Banner vaterländischer Sprache inmitten italischem und französischem Phrascngeschwirr festhielten, verdient alle Anerkennung. Vermöge ihrer cvrporativen Einrichtung setzten sie gewissermaßen die Mcistersängcrci fort, und wie in den Singschulen der letzteren Poeten waren gekrönt worden, so wurden nun von den gelehrten literarischen Genossenschaften Dichter zu sogenannten Pfalzgrafcn gekrönt, die ihrerseits befugt waren, deutschdichtcnde Poeten zu krönen — „Zeit gepuderter Perücken, draus Pfalzgrafen Lorbeer» drücken." Neuhochdeutsche Zeit. 51 In die fruchtbringende Gesellschaft wurde 1629 mit dem Ordensnamen der Gekrönte ein Mann aufgenommen, welcher ein Jahr zuvor von Kaiser Ferdinand II. eigenhändig als Dichter war gekrönt worden und der an lite- rarischem Ruhm alle seine Zeitgenossen überflügelte. Es war Martin Opitz (geb. 15S7zu Bunzlau in Schlesien, gest. 1639 — vollständ. Gcsammtausg. s. Werke zu Breslau 1690, 3 Bde.). Man hat ihn den Vater der »eueren deutschen Dichtkunst genannt und in der That war er ihr Regelngeber und Erzieher. Er verhalf dem lutherischen Hochdeutsch wieder zu feststehendem Ansehen als Schriftsprache und ließ 1624 sein Buch von der deutschen Poeterey erscheinen, den ersten Versuch einer deutschen Poetik und Aesthetik. Er forderte darin gegenüber der elenden Pritschmeisterei, in welche die deutsche Dichtung versunken, einen reineren und edleren, aus die Alten und ihre romanischen Nachahmer gegründeten Geschmack, dessen Gesetze er hauptsächlich den Ansichten des holländischen Poetikers Hcinstus entlehnte. Er begründete die neue deutsche Prosodie, indem er mit Verwerfung des mcistcrsängerlichen Knittelverses den Grundsatz aufstellte, daß die Länge oder Kürze der Sylben von der Betonung derselben abhänge. Formale Corrccthcit war sein oberstes Princip und ferner meinte er, das eigentliche Wesen der Poesie bestehe darin, daß sie belehre, indem sie ergötze. Diese Theorie hat er in seinen Gedichten getreulich in die Praxis übersetzt. Sowohl seine geistlichen und erotischen Lieder, seine Sonette und Madrigale, als auch seine eigentlichen Lehrgedichte (Zlatna, Vielgut, Vcsuvius, Trostgcdicht in den Widerwärtigkeiten des Krieges) gehen auf schildernde Belehrung und belehrende Schilderung aus. Kaum daß in der Dürre dieser wohlgemeinten und correctcn Vcrstandesdich- terci hie und da ein schwaches Aederchen von Poesie zum Vorschein kommt. So aber wollte es der ganz ernüchterte und prosaische Sinn jener Zeit gerade haben. Corrccthcit und Geschlecktheit wurde nun, um eine anderwärts von mir gethane Aeußerung hier zu wiederholen, das Fcldgeschrci der Poeten, unbedingtes Anschmiegen an ausländische Muster unumgängliche Forderung des guten Geschmacks und es begann der monotone Hunbctrab des französischen Alexandriners, der Einem aus jener Literaturperiode unseres Landes so widerwärtig in die Ohren klappert. Um Opitz, welcher sich mit seinen poetischen Uebersetzen,gen zu Dietrich von dem Werder stellte, gruppirte sich die sogenannte erste schlcsische Dichtcrschule und seine Theorie wurde von Poetikern und Versverfertigcrn über ganz Deutschland hin verbreitet, bis nach Königsberg hinaus, wo sich um Simon Dach (st. 1659), von dessen 52 Neuhochdeutsche ZeW Gedichten dann und wann ein alter Volksliederhauch de!i gelehrten Puderstaub wegwischte („Aennchcn von Tharau"), eine eigene Poetcncolonie sammelte. Unabhängiger vonOpitz stellt sich Johann Wilhelm Lauremberg (st. 1659) dar, welcher in plattdeutscher Mundart und in derb volksmäßigem Ton gegen die alamodischen Thorheiten der Zeit satirisch zu Felde zog, ferner der treffliche Sinndichter Friedrich von Logau (l 604 — 55), dessen Epigramme ein rühmliches Denkmal deutschen Sinnes sind, und endlich Paul Flernming (1609 — 40) aus Hartenstcin im sächsischen Voigtlandc, dessen Lyrik wie eine grüne Oase aus der Sandwüstc der damaligen Reimerei auftaucht. Ob Flcmming, falls ihn nicht ein vorzeitiger Tod hinweggenommen, zu umfassenderen poetischen Leistungen das Zeug gehabt hatte, lassen wir dahingestellt, aber ein lyrischer Dichter war er wirklich. Seine geistlichen und weltlichen Lieder offenbare» überall eine dichterische Stimmung, wie sie nur aus einem reichen Gemüthe quillt: sie sind mit dem Herzen gedichtet und der einfache Wohllaut ihrer Sprache geht wieder zu Herzen. Der phantasielose Formalismus der Opitz'schen Richtung, wie ihn z. V. Joachim Rachel (st. 1669) in seinen Satiren darlegte, rief eine von Seiten der nürnberger Pcgnitzschäfer, unter welchen Johann Älai (st. 1656), Philipp Harsdörser (st. 1658) und Sigmund von Birken (st. 1681) eine Rolle spielten, kommende Opposition hervor. Aber leider griffen diese Leute, welche die Nothwendigkeit sinnlicher Anschaulichkeit für die Poesie wohl fühlten, zum unglücklichsten Hülfsmittel, indem sie die Nachahmung der aufgebauschten italischen Schäferdichtung des 17. Jahrhunderts empfahlen und übten. Diese in sinnlicher Effccthascherei schwelgende Concettipoesie, wie sie Marine in Italien herrschend gemacht, fand dann durch die sogenannte zweite schlesische Dichterschule eine Ausbildung, die gerechtem Tadel unterliegt. Der Hauptlyriker dieser Schule, Christian Hoffmann vonHoffmannswaldau (1618—79) füllte ein halb Dutzend Bände mit süßlich schlüpfrigen Liebeleien an, deren „ galante Schreibart" den tiefen sittlichen Verfall, welcher den politischen des deutschen Reichs begleitete, schreiend charakterisirt. In einer so entarteten Zeit konnte es selbst eine so bedeutende Dichtcrkraft, wie sie Andreas Gry- phius(l616—64) aus Glogau unstreitig besaß, zu nichts Großem bringen. Gryph's Sinn war durchweg auf das Tüchtige gestellt und er hätte das Talent und die Energie besessen, Deutschland ein nationales Theater zu schaffen, wäre ihm nur ein nationaler Boden hiezu gegeben gewesen. Beim Mangel desselben kam auch er über die Nachahmung im Ganzen nicht hinaus. Neuhochdeutsche Zeit. 33 Allein er gab der deutschen Literatur ihr erstes Kunstdrama, er gab ihr in seinem Carolas Stuardus das erste eigentliche historische Trauerspiel und in seinen beiden Lustspielen Peter Squenz und Horribilicribrifar Komödien, wie sie vordem noch keine besessen, Komödien, deren Witz und Humor ganz erquicklich in die didaktische Eintönigkeit derOpitz'schen Reflation hereinklingt. Wenn aber schon in Gryph's Tragik das Pathos in Schwulst ausartete, so wurde seine Manier in den Trauerspielen Kaspar's von Lohenstcin (1635—83) zu einer ungeheuerlichen Blase, gefüllt mit einem Wind der Phraseologie, welcher nach dem Bordell und nach dem Schindanger riecht.' Dieser berüchtigtste Bombastikcr der deutschen Sprache machte förmlich Jagd auf Laster und Greuel und läßt seine statt auf dem Kothurn auf Stelzen cinhergehenden Personen in endlosen Alexandrinern hölzern obscöne Abhandlungen über Unzucht, Blutschande und bestialische Grausamkeit dcclamircn, die empörend sein würden, wenn sie nicht durch ihre Ueberstiegenhcit ins Lächerliche sielen. Lohenstcin hat durch seine breitmäulige Liebes- und Lebensgeschichte dcS heldcnmüthigen Armimus und seiner durchlauchtigsten Thusnelda (,689) auch einen namhaften Beitrag zu der namenlos langweiligen Romandichtung geliefert, wie sie den Lesern des 17. Jahrhunderts so sehr zusagte. Muster hiefür waren die italischen und spanischen Schäferromane, ferner die allego- risch-romantisch-pastorale Asträa des Franzosen d'Urföe und die dickleibigen Heldcnromaue der Französin Madeleine Scuderh. Auf Uebersctzungen dieser Porbildcr folgten Nachahmungen durch Dietrich von dem Werder, Philipp von Zesen, Heinrich Duchholz, Herzog Ulrich von Braunschweig und Andere, bis dann Heinrich Anselm von Zieglcr und Kliphausen mit seiner Asiatischen Banise (1688) diese historisch-sagenhast-legcndarisch-mythologisch-allegorisch- moralisch-didaktische Romantik glücklich auf den Gipfel des Ungeschmacks führte. Ganz andere Früchte zeitigte in Deutschland der Einfluß der pika- rcskcn Romandichtung der beiden Spanier Mendoza und Ouevedo. In Nachahmung der berühmten Visionen (suenos) des Letzteren lieferte Hans Michel Moscherosch (>660—69) seine Gesichte Philanders von Sittewald, ein Buch, in welchem sich die wackerste patriotische Gesinnung mit der anschaulichsten Sittenmalerei der traurigsten Periode deutscher Geschichte verbindet. Der spanische Schelmenroman rief auch unzweifelhaft den höchst lehrreichen Studentcnroman von Hieronymus Dürr, Geschichte Tychanders (1668) hervor und endlich ließ der Vollender des Abenteurer - und Vagabundenromans, Hans Jakob Christoffel von Grinunelshausen (st. 1676 zu 54 Neuhochdeutsche Zeit. Renchen im Badischen), seine ausländischen Muster weit hinter sich durch Ausstellung seines großen, humoristisch gefärbten Zeit - und Sittengemäldes, betitelt Abenteuerlicher Simplicius Simplicisfimus. Das ist ein gediegenes Buch, gesund und deutsch durch und durch, voll Welt - und Menschenkenntniß, mit plastischer Anschaulichkeit die Zustände des dreißigjährigen Krieges vergegenwärtigend. Eine mehr planmäßige satirische Richtung nahm der Roman in den hiehergchörenden Schriften von Christian Weise (st. 1708, „ die drei Erznarren" u. a.), der in seinen Singspielen und geistlichen Liedern in platt prosaischer Manier gegen die Ausschweifungen der zweiten schlcstschen Dichterschule opponirte. Der satirische Stoff lag damals allenthalben in solcher Menge vor, daß er auch von den Kanzeln herab mit leichter Mühe aufgegriffen werden konnte. Dies zeigen uns die in ihrer Art recht guten satirisch-moralisirenden Schriften des Hamburger Pastors JohannBalthasar Schupp (st. 1661, „Regentenspiegel" u.a.) und die wildburlesken satirisch- homiletischen Auslassungen des Wiener Hofpredigcrs Abraham a Sancta Clara oder, wie er eigentlich hieß, Ulrich Megcrle (st. 1709), welcher die Hanswurstjacke unter oder vielmehr über die Kapuzinerkutte angezogen hatte („Judas der Erzschelm" u. a.). Was die eigentliche Romandichtung angeht, so nahm sie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das zuerst von dem Engländer Defoe angegebene Thema der Robinsonaden auf und als deutsches Hauptwerk dieser Gattung lieferte Ludwig Schnabel die Insel Fclscnburg (1731-43). Wenden wir uns dem wissenschaftlichen Gebiete zu, so finden wir, daß auf demselben in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Regungen und Bewegungen vor sich gingen, welche an verschiedenen Stellen die bleierne Decke des Herkommens und der Orthodoxie durchbrachen. Was der Theo- sophie Böhm's noch nicht gelungen, die Philosophie in Deutschland einheimisch zu machen, das gelang einem vielseitiger organistrten und umfassender gebildeten Geist, dem des Gottfried Wilhelm Lcibnitz, geb. 1646 zu Leipzig, gest. 1716 zu Hannover. Mit diesem Manne nahm Deutschland die philosophische Arbeit entschieden auf, nachdem sie in Italien durch Bruno und Campanclla, in England durch Bacon von Verulam, in Frankreich durch Descartes, in Holland durch Spinoza gefördert worden war. Leibnitz's philosophisches System beruht auf der idealistisch-monistischen Weltanschauung. Er kam nach sorgfältig kritischer Prüfung und Verglcichung der früheren, antiken und modernen, Philofophcme aufdieJdce seiner Monadologie, Neuhochdeutsche Zeit. 35 auf die Idee von den einfachen Substanzen, welche von Gott, der ursprünglichen Einheit (monss nwn.nlum), als seine Wirkungen ausgehen. Durch die weitere Ausführung dieses Grundgedankens seiner Philosophie hat Leibnitz die Scholastik in Deutschland zum Sturze gebracht, welche in geistloser Handhabung aristotelischer Dialektik die Philosophie zur Sklavin der Theologie gemacht hatte. Von jetzt an erst trennte sich das philosophische Wissen bestimmt von dem theologischen Glauben. Damit ist jedoch das Verdienst des Finders der Monadologie, welcher 1677 auch die Differentialrechnung fand, noch nicht erschöpft. Denn er hat nicht nur auf dem philosophischen, mathematischen, physikalischen, technologischen, historischen und staatsrechtlichen Felde als reformistischer Wegbahner gewirkt, er war es auch, der mit weltmännischer Gewandtheit zuerst die Wissenschaft der Theilnahme der höheren Gesellschaft in Deutschland näher brachte und die Höfe zur Gründung wissenschaftlicher Anstalten ermunterte (Berliner Akademie der Wissenschaften 1700). Endlich darf nicht vergessen werden, daß Leibnitz, obgleich er selber fast alle seine Schriften lateinisch oder französisch verfaßte, die Befähigung der deutschen Sprache zur Sprache der Wissenschaft zuerst erkannte und nachdrücklich nachwies. Die Richtigkeit dieser Ansicht zeigte sofort durch die praktische Anwendung derselben der wackere Christian Thomasius (1655—1728) aus Leipzig, der zum unsäglichen Aerger aller akademischen Perücken unsere edle Sprache als der Erste auf dem Hochschulkatheder erklingen ließ, wie er auch den literarischen Journalismus in Deutschland begründete, indem er dem lateinischen Pedantismus der durch Otto Mencken in Nachahmung des französischen laurnal «les Sysvsns 1683 zu Leipzig gegründeten 4ols eruöitorum im Jahre 1688 seine Monatsgespräche scherz- und ernsthafter, vernünftiger und einfältiger Gedanken entgegensetzte. Vermittelst dieses Organs und vermittelst seiner übrigen publizistischen Schriften wendete sich der hellsichtige Rationalist zum ersten Mal an das große Publicum und führte vor dessen Augen einen rastlosen, vom Spottlachen der Satire begleiteten Kampf gegen die zahllosen Ueberbleibsel romantischer Barbarei, gegen Aberglauben und Herenprozeffe, gegen die Versumpfung der Universitäten und des gelehrten Wesens, gegen die gefrorene Orthodoxie in Theologie und Jurisprudenz, gegen all den Schlendrian im Leben und in der Wissenschaft, einen Kampf, welcher die Aufklärung des 18. Jahrhunderts vorbereitete. Dem Bedürfniß einer systematischen Gestaltung der Leibnitz'schen Philosophie kam Christian Wolf (1679 — 1754) aus Breslau entgegen, 56 Neuhochdeutsche Zeit. der die leibnitz'schcn Ideen zu einer vollständigen Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften verarbeitete und so dem freien Denken den Stützpunkt einer Methode gab, gegen welche der scholastische Kram nicht mehr Stand zu halten vermochte. Etwas früher schon als durch Wolf der metaphysischen Seite der Philosophie in Deutschland eine breitere Basis geschaffen wurde, hatte Samuel Pufendorf (1632— 94) ihre praktische Seite zu entwickeln gesucht, indem er an die völkerrechtliche Theorie des Hugo Grotius sich lehnend, dem Naturrccht zuerst ein wissenschaftliches Fundament gab. Seine Ansicht vom Staat faßt sich dahin zusammen, daß derselbe beruhe auf dem Trieb zur Geselligkeit; der Zweck des Staates sei Friede und Sicherheit des gesellschaftlichen Lebens und erreicht werde dieser Zweck durch Verwandlung der inneren Gewissenspflichten in äußere Zwangspflichtcn. Pufendorf erkannte auch die Nothwendigkeit einer Reform der Historik und schuf derselben Raum durch seine Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten (1682). Die Geschichte wurde sammt ihren Hülfswisscnschasten zu dieser Zeit überhaupt fleißig in Deutschland angebaut, aber keine Leistung in diesem Fache kommt den berühmten Ferdinandeischcn Annalen des Grafen Franz Christoph von Khevenhilicr (1589 —1650) gleich, die mit einer diplomatischen Genauigkeit, welche für den widerlich unreinen Styl entschädigt, die deutschen und auswärtigen Staatshändcl des 17. Jahrhunderts beleuchten. Der erwachende Forschergeist verbreitete sich auch auf die dunkeln Regionen der Kirchengeschichtc, welche bis dahin in die Nebel der Legenden und Fabeln eingehüllt gewesen waren. Es erregte daher bei den Orthodoxen aller Konfessionen kein geringes Geschrei des Zornes, als Gottfried Arnold (st. 1714) es unternahm, durch seine Unparthehische Kirchen - und Ketzcrhistorie, durch welche die deutsche Kirchcnhistorik eigentlich erst begründet wurde, Licht in dieses obskure Nebelland zu bringen. Arnold gehörte jener religiösen Richtung an, welche, durch Philipp Spcner (st. 1705) eingeschlagen und durch dessen Schüler August Hermann Francke (st. 1727) fortgeführt, unter dem Namen des Pietismus damals gegen die steife Orthodorie des Lutherthums in Opposition trat. Zu dieser war der Pietismus, welcher gegenüber dem ebcnio geistlos mechanischen als fanatisch unduldsamen Dogmenformalismus dem Volke die gemüthliche und wcrkthätige Seite des Christenthums nahebringen wollte, unzweifelhaft berechtigt, um so mehr, da er insbesondere durch seine Bestrebungen für Hebung des gräulich vernachlässigten Volksschulwescns bewies, daß es um die Realisirung des ethischen Gehalts der christlichen Lehre Neuhochdeutsche Zeit. 87 ernstlich zu- thun sei. Allein der Pietismus verfiel gar bald selber in die Fehler seiner orthodoxen Gegner, eignete sich den unduldsamsten Sektenstolz an. wandte sich, wie er schon gegen Christian Wolf aufs Niederträchtigste intriguirte, lästernd, vcrläumdend und denuncirend gegen alle freie Geistcs- thätigkcit und bildete sich rasch zu jener Eiterbeule der Intoleranz, Heuchelei, Unstttlichkeit und Sklavenhastigkcit aus, welche in unseren Tagen so unheilvoll im deutschen Volksleben um sich frißt und so viel von dessen bestem Mark verzehrt. Die Gestaltungen des Pietismus, seine Folgen für das innere Leben Deutschlands, seine in Verbindung mit dem englischen Methodismus und dem schwedischen Swedcnborgianismus nach außen erzielten Wirkungen geben sicherlich eines der interessantesten Probleme der Culturgeschichte ab, allein wir unsererseits müssen uns hier mit der Andeutung dieses Problems begnügen. 4 . Während aber die deutsche Wissenschaft des 17. Jahrhunderts an der Hand eines Leibnitz, Thomafius, Wolf und Pufendorf allmälig auf eigenen Füßen stehen und selbstständig gehen lernte, beharrtc die Nationalliteratur noch lange, bis weit in das 18. Jahrhundert hinein in der Nachahmung. Sie schien erst ihren tiefsten Verfall erleben zu müssen, bevor das Werk der Wiedergeburt beginnen konnte. Vorerst begnügte man sich, die Muster zu wechseln. Den schwülstigen italischen Marinismus, welcher in HoffmannS- waldau und Lohcnstein culminirt hatte, gab man auf und adoptirte die kalt- dcrftändige Convenicnzdichtung der Franzosen, deren Gesetzbuch Boileau entworfen. Das „ kalte Fieber der Gallomanie" brach aus, und wie die Nach- äffung des Hoflebens des brutalen Reichsfeindes, Ludwig's XIV., in Deutschland überhaupt kleinlich und albern ausfiel, so auch die Nachahmung der literarischen Seite desselben. Man muß die jämmerlich prosaischen und schamlosen Reimereien der berliner und dresdener Hofpoeten aus jener Zeit, eines Freiherrn von Canitz (st. 1699), eines Johann von Besser (st. 1729) und Johann Ulrich von König (st. 1744), aus dem Staube wohlverdienter Vergessenheit ausscharren, um sich die ganze Nullität dieses servilen Franzö- selns zu vergegenwärtigen. Angesichts derselben war es schon ein Gewinn, 58 Neuhochdeutsche Zeit. daß sich in den Gedichten des in Thorheit und Ausschweifung früh untergegangenen Johann Christian Günther (1695 — 1723) aus Striegau in Schlesien, wieder einmal wahres Dichtergefühl hörbar machte, wenn auch in den rohschreienden Lauten des wilden Studentenlcbens von damals, und daß Barthold Heinrich Brockcs (1680— 1747) aus Hamburg in seiner neun- bändigen Gedichtsammlung, betitelt Irdisches Vergnügen in Gott, mit Hinweisung auf die Naturmalerei des Engländers Thomson zu zeigen suchte, daß die Poesie schlechterdings sinnlicher Anschauungen bedürfe, daß man hören, sehen und fühlen müsse, um dichten zu können. Von da an beginnt erst leise, dann entschiedener die Rückwirkung der aus Pope'scher Verständigkeit zur didaktischen Naturschilderung eines Cowper, Uoung und Gray zurückgekehrten englischen Poesie auf die deutsche. Doch arbeitete in dieser immer noch weit mehr der Kopf, als die Phantasie und das Gemüth und die französische Correctheit blieb vorderhand noch das höchste Ziel der Poeten. Man sieht das deutlich in den didaktischen und satirischen Reimwerken des großen schweizerischen Gelehrten Albrecht von Haller (1708 — 1777) aus Bern, welchen man herkömmlicherweise an den Eingang der deutschen National- literatur des 18. Jahrhunderts zu stellen pflegt, obgleich seine Gedichte nur das unerquickliche Schwanken des Geschmacks zwischen Boileau'scher Conve- nienzdichtung und der erwachenden Naturfrcude aufzeigen. So auch sein berühmtestes Gedicht, die Alpen, welches, wenn schon inmitten einer wunderbar großen und schönen Natur geschrieben, dennoch aller sinnlichen Anschaulichkeit baar ist und seine Bedeutung lediglich seiner männlich ernsten Re- flection und seiner gegenüber lohensteinischer Zerflosscnheit der Sprache wohlthätig wirkenden herbstrengen Form verdankt. Ein leichteres und beweglicheres Talent als Haller beurkundete Friedrich von Hagedorn (1708—54) aus Hamburg, welcher in Nachahmung Anakreon's und Catull's und in der Manier der französischen Gesellschaftslyrik eines Chaulicu und Chapelle ge- källige Lieder von Lenz, Rosen, Wein und Küssen sang, durch welche er das Vorbild der deutschen Anakreontiker geworden, oder in lcichthinfließenden Versen Fabeln und Histörchen mit sokratisch lachender Nutzanwendung erzählte. Die Fabel nimmt in ernüchterten Literaturperioden stets einen breiten Raum ein. Wir sehen daher die Hagcdorn'sche Weise des Fabulirens fortgesetzt durch Magnus Gottfried Lichtwer (1719 — 83) aus Würzen und noch später in sprachgewandter Vielseitigkeit durch Gottlicb Konrad Pseffel (1736—1803) aus Kolmar. Von nationalliterarischer Bedeutung wurden Neuhochdeutsche Zeit. 89 die in erster Ausgabe 1746 erschienenen Fabeln von Christian Fürchtegott Geliert ( 1715 — 69 ) aus Hahnichen in Sachsen. Die sanstverständige und docirlustige Moral, welche die Versuche dieses liebenswürdig stammen Mannes im Kirchenlied, im Roman und Lustspiel charakteristrt, kennzeichnet auch seine Fabeln, die in allen Dingen das Einhalten der goldenen Mittelstraße empfehlen und durch ihre platte Deutlichkeit dem deutschen Mittelstände so außerordentlich zusagten, daß diesem erst vermittelst ihrer eine lebendigere Theilnahme an der Literatur abgewonnen wurde. Von welcher Wichtigkeit dies war, liegt am Tage. Der redselige Mund der Gellert'schen Fabel po- pularistrte die Literatur, welche jetzt allmälig aus den gelehrten Studirstuben heraus und wieder in die Mitte der Nation trat. Was Geliert zunächst mit den Versen seiner Fabeln beabsichtigte, den harmlos milden Tadel der deutschen Schwächen und Thorheiten, darauf zielte auch Gottlieb Wilhelm Ra- bencr ( 1714 — 70 ) aus Wachau mit seinen in Prosa verfaßten Satiren (1751 fg.). Diese beleuchten nicht ohne schalkhafte Laune die M-chre des damaligen deutschen Alltagslebens, sind jedoch zu seicht und energielos, um sich an irgendwelche höhere Probleme zu wagen. Wo die schildernde oder satirisirende Didaktik — denn sie beherrschte in Fesihaltung der Opitz'schen Ansicht von der Poesie diese Uebergangsperiode unserer Literatur — Solches unternahm, lehnt sie sich ganz bestimmt an ausländische Muster. So in den komischen Heldengedichten von Jüstus Wilhelm Zachariä (1726 _ 77 ) aus Frankenhauscn, welcher Boileau und Pope zu Vorbildern nahm. Er hat zwar einen andern Verfertiger komischer Epopöen jener Zeit, Johann Jakob Dusch (st. 1787 ), an Kraft und Frische übertreffen, allein selbst seinem berühmtesten Gedicht dieser Art, der Renommist, ein aus dem Leben gegriffenes Gemälde der rüden Studentcnwirthschaft von damals, kommt weit mehr sittengeschichtliche als ästhetische Bedeutung zu. Feineres und schärferes Salz, als Rabcner und Zachariä auszugeben hatten, tischte Christian Ludwig Liscow (st. 1760 ) in seiner Satire über die Vortrefflichkcit und Nothwendigkeit der elenden Scribenten ( 1736 ) auf und streute der berühmte göttingcr Mathematiker Abraham Gotthelf Kästner (1719 _ 1800 ) in seinen sauber geformten Epigrammen in das Publicum. Alles zusammengenommen, sah es aber in unserer poetischen Literatur doch noch sehr armselig aus. Nirgends ein wahrhaft schöpferisches Zeugen und Gestalten, weder in der Lyrik, noch in der Epik noch im Drama. DaS letztere war, da die gelehrte Dramatik eines Gryphius und Lohenstein gar 60 Neuhochdeutsche Zeit. keinen Boden im Volke hatte finden können, in den Händen der vagirenden Komödiantenbanden zur Stegreiskomödie verwildert, in welcher die Hanswursterei alle Rohhcit der alten Fastnachtsspiele wieder aufwärmte. Da und dort gelang es einer dieser Banden, wie z. B. der des Magisters Johann Velthen 1685 zu Dresden, sich zeitweilig als Hofschauspielertruppe zu firi- ren, allein die höheren Classen der deutschen Gesellschaft zeigten gar kein Interesse für die Ausbildung einer nationalen Bühne, welcher zudem keine tüchtige Dichterkraft zu Hülfe kam. An den Höfen und in den größeren Städten verschlang die aus Italien geholte Oper — als erste wurde 1627 am sächsischen Hofe die von Opitz verdeutschte, von Schütz componirte Daphne aufgeführt — alles Interesse und alle Geldmittel und sie steigerte sich, mit den pomphaften Jesuitenspiclen wetteifernd, zu einer unerhörten Spectakelei, zu einem exorbitanten Lurus in Costümirung und Maschinenkünsten. Doch hat man ihr zu danken, daß sie es war, welche zur Darstellung von Frauen- rollcn zuerst Frauen auf die Bühne führte, denn bisher waren auch die weiblichen Rollen von Knaben und Jünglingen gegeben worden. Freilich wurde mit der Zulassung der Frauen auch einer furchtbaren Unsittlichkeit im Theaterwesen Thor und Thüre geöffnet, deren Einzclnheiten in Devrients vortrefflicher Geschichte der deutschen Schaubühne nachzulesen sind. Um mit der Oper einigermaßen concurriren zu können, erfand die deutsche Wanderbühne die sogenannten Haupt- und Staatsactionen, Mordspectakel, deren aus alter und neuer Sage und Geschichte entnommene Stoffe im stelzcnhaf- testen Curialstyl zu lose an einander gereihten Szenen ausgesponncn waren, die dann mit lächerlichstem Pathos hergebrüllt wurden. Zu Wien wurde 1708 der volksmäßigen Hanswurstkomödie durch den berühmten Harlekinspieler Joseph Stranitzky'eine feste Heimat gegründet, welche sie trotz all der seither erfahrenen Modifikationen noch heutzutage innehat. Der alte gute deutsche Hanswurst mit seiner Sprache der Postcriora, seinen Zoten und Prügelsuppen hatte aber einen Todfeind in dem Manne, welcher damals, d. h. ungefähr von 1720—40, eine Art literarischcr und dramaturgischer Dictatur in Deutschland ausübte, in Johann Christoph Gottsched (1700— 66) aus Königsberg. Dieser leipziger Professor hatte eine Coterie von Dichterlingen um sich geschaart, zu welcher die Stoppe, Clodius, Dusch und Schönaich gehörten, und wußte sich theils durch wirkliches Verdienst, theils durch fprüchwörtlich gewordene Dreistigkeit ein kritisches Ansehen zu verschaffen, welchem selbst seine Manie , totale poetische Impotenz, wie sie in Neuhochdeutsche Zeit. 61 feinem elenden Trauerspiel Cato gähnt, für dichterisches Vermögen zu halten, lange keinen Abbruch that. Gottsched hat als Sprachreiniger und Bekämpfer des lohenstcinffchen Schwulstes unzweifelhaft wohlthätig gewirkt und eröffnet durch sein Aufsuchen und Wiederbekanntmachcn von Erzeugnissen unserer alten Poesie (z. B. des Rcincke Fuchs) die Reihe der deutschen Philologen. Allein er schadete noch mehr seinem eigenen Rufe als der Literatur, als er seine unzulängliche ästhetische Theorie („Kritische Dichtkunst" 1730) mit der hartnäckigsten Anmaßlichkeit noch geltend machen wollte zu einer Zeit,- wo eine junge Dichtergeneration sich anschickte, dem Opitz- Boileau'schen Formalismus, in welchem Gottsched die Quintessenz aller Kunst fand, thatsächlich ein Ende zu bereiten. Auch mit seiner angestrebten Reform des deutschen Theaters war er nicht glücklich, obgleich ihm die talentvolle, enthusiastisch für ihren Beruf eingenommene Schauspielerin Friederike Karoline Ncubcr hiebet bchülslich war. Er fühlte wohl, daß es noththue, die Bühne aus ihrem rohen Naturalismus herauszureißen, aber mit der zu diesem Zwecke von ihm 1737 auf dem leipziger Stadttheater veranstalteten Verbrennung des Hanswursts in «I'tigie war um so weniger geholfen, da er der deutschen Bühne für die Einbuße dieses volksthümlichen Elementes keinen andern Ersatz zu bieten wußte, als die naturlose dramaturgische Theorie der Franzosen mit ihren pedantischen drei Einheiten (der Zeit, des Ortes und der Handlung) und seinen nach diesem Muster gcschnci- derten Cato. 6 . Gegen Gottsched's anmaßend gallomanische Dictatur in Sachen des Geschmacks erfolgten nun von der Schweiz aus jene rebellischen Angriffe, welche so großen Lärm in unsererLiteraturgcschichte erregt haben. Diebeiden züricher Gelehrten Johann Jakob Breitingcr (1701—76) und Johann Jakob Bodmer (1698 — 1783) waren die Mittelpunkte eines Kreises, welcher die Entwicklung der deutschen und der ausländischen Literatur mit emsiger Theilnahme verfolgte. Die Aufmerksamkeit dieses Kreises war, vielleicht von Brockes angeregt, insbesondere auf die englstche Literatur gerichtet und so ging aus demselben in Nachahmung des Addison'schen Spectators schon 1721 eine Zeitschrift, die Discurse der Maler, hervor, welche dieOpposition 62 Neuhochdeutsche'Zeit. gegen die herrschende Kunstan ficht mehr nur leise andeutete als wirklich eröffnete. Bodmer's Uebcrsetzung von Milton's verlorenem Paradies gab dem ausbrechcnden Zwiespalt schon mehr Nahrung, und nachdem Breitinger der Gottsched'schen Kritischen Dichtkunst 1740 sein ebenso betiteltes Buch und Bodmer seine Abhandlung über das Wunderbare in der Poesie entgegengestellt hatten, entbrannte die literarische Fehde hüben und drüben aufs -Heftigste. Die Prinzipien der Gottschedianer sind nach dem, was oben über die ihres Meisters gesagt worden, bekannt. Die Neuerungen der Schweizer und ihrer Anhänger in Deutschland stützten sich auf die Ansicht, daß nicht die formelle Cvrrectheit das Wesen der Poesie sei, sondern vielmehr besiehe ihr Wesen in der Gestaltung der Eingebungen einer lebendigen Phantasie und eines frischen und warmen Gefühls, für welches die liebevolle Betrachtung der Natur ein unerschöpflicher Quell der Kräftigung und Läuterung. Naturwahrheit und Unmittelbarkeit der dichterischen Stimmung müsse in die Poesie zurückkehren, der didaktische Standpunkt müsse überwunden und zu den großen Hauptgattungen der Dichtung, zu Epos und Drama, vorgeschritten werden. Diese Ansichten, welche allerdings einen Fortschritt in der Kunsttheorie markiren, brachen sich nicht sehr rasch Bahn, obgleich Gottscheds blinde Eingenommenheit für die Jnfallibilität seiner Meinungen ihm viele Literaten entfremdet hatte, welche im Grunke mit ihm übereinstimmten. Von letzterer Seite ging eine literarische Zeitschrift aus, Neue Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes (1745 fg.), welche von ihrem Verlagsort gewöhnlich die Bremer Beiträge heißen. Karl Christian Gärtner, Konrad Arnold Schneid, Christlob Mylius, Johann Elias Schlegel, Johann Adolf Schlegel, Johann Andreas Cramcr, Johann Arnold Ebert, Nikolaus Dietrich Giseke hatten, wie auch Rabener, Gcllert und Zachariä, nähern oder entfcrntern Antheil an diesem periodischen Unternehmen, in welches übrigens die Grundsätze der Schweizer nur sehr langsam einzugehen begannen und das erst mit dem vierten Bande für unsere Literatur epochemachend wurde. In diesem Bande nämlich erschienen 1748 die drei ersten Gesänge des Messias von Klopstock, dem ersten originalen Dichter der neueren deutschen Literatur. Friedrich Gottlieb Klopstock wurde geboren am 2. Juli 1724 zu Quedlinburg und starb nach einem im Ganzen glücklichen und ruhigen Leben am 14. März >803 zu Hamburg. Eine wahrhaft nationale Trauer begleitete den greifen Sänger zu Grabe, aber, es ist schmerzlich zu sagen, die ungestörte Neuhochdeutsche Zeit. 63 Muße zur Vollendung seines Hauptwerkes hatte er nicht seinem Vaterlande, sondern der Freigebigkeit des Königs von Dänemark zu danken, welcher ihm ein Jahrgehalt von 40V Thalern verlieh. Klopstock wirkte schon durch seine edle und reine Persönlichkeit, in welcher etwas Priesterliches (in des Wortes bestem Sinne) lag, ungemein zum Heile der Literatur. Er zuerst verschaffte den deutschen Poeten eine höhere gesellschaftliche Geltung, als sie bisher genossen hatten. Er brachte die Literatur, die vaterländische Literatur zu Ehren, indem er sie mit einer sittlichen Würde repräsentiere, welche geeignet war, Achtung einzuflößen. Schon aus der Schulbank hatte er sich mit dem Gedanken getragen, seinem Vaterlande ein Dichterwerk zu schaffen, welches von der selbstständigen Befähigung des deutschen Geistes Zeugniß geben und unsere Poesie über das bloße Schildern, Beschreiben und Lehren endlich hinweghcben sollte. Aber nicht nur dem Inhalte nach sollte mit der Opitz'schenDichtung gebrochen werden, sondern zugleich auch formell. Waren nicht die Alten ewige Muster der poetischen Kunst, warum sollte man nicht auch ihre Formen in Deutschland einbürgern, warum nicht mit Verwerfung des Alexandriners, ja des romanischen Reimes überhaupt, den Herameter Homer's, die Rhythmen und Maaße des Pindar und Horaz adoptiren? Das war freilich ein Mißgriff. Denn wie sehr auch die antiken Vers- und Strophcnformen seit Klopstock durch Dichter wie Göthe, Schiller, Hölderlin und Platen unserem Ohre vertraut gemacht wurden, dennoch steht fest, daß namentlich unsere Lyrik der Schwingen des Reimes nur gezwungen entbehren kann, weil ihre Grundform, das Lied, ohne Reim gar nicht mehr denkbar ist. Klopstock mußte das selbst wider Willen anerkennen, indem er da, wo er zunächst auf populäre Wirkung ausging, in seinen geistlichen Liedern, wieder zum Reime greifen mußte. Auch außerdem hat er Schiefes und Unrichtiges aufgebracht. Glühend von Vaterlandsliebe, schuf er sich ein willkürliches Ideal von Teutonismus, welcher mit seinem erfabelten Bardenthum und mit seiner gestaltlosen nordischen Mythologie die edelschönen Bildungen des classischen Hcidenthums verdrängen sollte , aber nur eine abstracte Deutschthü- melei, ein faselndes Bardengcbrüll zu wecken vermochte. Endlich, und das war des trefflichen Mannes größte Verirrung, glaubte er sich zum epischen Dichter berufen und zum dramatischen befähigt, während er doch in jeder Faser Lyriker war. Seine Dramen sind, um das gleich hier noch zu sagen, sowohl die biblischen (Adam, Salomo, David) als die altdeutschen (Hermannsschlacht, Hermann und die Fürsten, Hermann's Tod), welche letztere Neuhochdeutsche Zeit. 6L er Darbiete nannte, durchweg kalte und leblose Productc, ohne alle dramatische Entwicklung und Handlung. Indem er sich nach einem Gegenstand für das große Heldengedicht umsah, welches er schreiben wollte, schwankte er zwischen einem Helden der deutschen Vorzeit (Heinrich demFinkler) und dem Gründer des Christenthums, was die beiden Hauptpole bezeichnet, um welche sich des Dichters Fühlen und Denken bewegte: Deutschthum und biblisches Christenthum. Das letztere überwog, wie denn Klopstock überhaupt als der letzte große Träger der protestantisch-theologischen Culturperiode erscheint, welche Luther in Deutschland begründet hatte. Doch markirt er mit seinem religiösen Epos zugleich den beginnenden Ucbergang, welcher jene Zeit charakterisier, den Uebergang des religiösen Bewußtseins in's ästhetische und durch dieses ins menschlich-freie) denn in der Handhabung der Religion als eines poetischen Stoffes kündigt sich schon die Emanzipation von ihrer Herrschaft an. Die drei ersten Gesänge des Messias, dessen Plan vom Dichter gefaßt und entworfen worden, bevor er Milton's berühmtes Epos kennen lernte, erschienen, wie schon erwähnt, 1746 und erregten unerhörte.Sensation. Alle nur irgendwie Empfänglichen fühlten und gestanden, daß endlich wieder unserem Lande ein wahrer, ein deutscher Dichter erstanden sei. Man ließ sich das fremdartige Herametergewand, in welches die Dichtung gekleidet war, gefallen, man übersah den Mangel derselben an episch gestaltender Kraft und ließ die edle und warm pathologische Stimmung, die empfindungs- reiche religiöse Glut des Werkes mit dankbarer Anerkennung auf sich wirken. Freilich, als mit dem langsamen Vorschnellen des Gedichts zur Vollendung (1773) seine Schwächen immer nackter hervortraten, als die epische Schilderung von Gesang zu Gesang sich immer mehr in leeres Hallelujaen und Psalmiren verlor, da kühlte der Enthusiasmus des Publicums sich merklich schnell ab und heutzutage darf man zuversichtlich hundert gegen eins wetten, daß nur noch sehr wenige Leute in Deutschland leben, welche den Messias vollständig gelesen haben, es seien denn solche, welche dies zu literatorischen Zwecken thun müssen. Allein die für unsere Literatur so heilsame Wirkung, welche das Gedicht auf unsere Literatur ursprünglich geübt, blieb und blieb um so mehr, als sie Klopstock durch seine Oden (von >750 an) aufs Nachhaltigste kräftigte. I» den Oden fand die Lyrik unseres Dichters ihren adäquatesten und vollkommensten Ausdruck. Hier ist er Er selbst. Patriotismus, edler Lebensgenuß, begeistertes Freundschaftsgefühl, keusche und innige Liebe, reger Naturstnn reden hier in echten Herzenslauten. Die Neuhochdeutsche Zeit. 63 Sprache ist in diese» Gedichten, noch nicht getrübt durch die teutonesken Schrullen, welche Klopstock später in seiner verunglückten Gelehrtenrcpublik vorbrachte, voll ursprünglicher Frische und Kraft, voll kühner und doch wohllautender Wendungen, voll genialer Würfe und kernhafter Geschlossenheit. Im Ganzen wird das Urtheil über den Dichter dahin lauten, daß er Natur, Originalität, Selbstbestimmung und echtes Pathos in unsere Literatur zurückbrachte, daß er die Deutschen wieder an ihren Genius glauben lehrte und gegenüber der verflachenden Ausländcrei den Nationalsinn weckte und nährte. Er hat überall auf die Ziele der Freiheit hingewiesen, aber wirklich erreicht hat er sie nicht. Der deutsche Magister lag ihm zu schwer auf der Brust, um ein völlig freies Aufathmen derselben zu gestatten. Deßhalb begriff er auch den Gang der französischen Revolution nicht, welche er zuerst jubelnd begrüßt hatte, und wandte sich mit philisterhafter Schmähung von ihr ab und wieder den altdeutschen Wäldern zu, wo doch gewiß die Freiheit nicht zu finden war, für welche sein junges Herz geglüht hatte. (Klopstock's sammt!. Werke, vollständ. Ausg. Leipz. 1844, 10 Bde.) Klopstock's Einfluß auf die Literatur seiner Zeit machte sich in überwiegender Weise geltend. Von der geistlosen Nachahmung, von der fratzenhaft teutonischen Klopstöckelci, wie sie zum Aerger aller Vernünftigen aus den Bardengesängcn der Denis, Kretschmann und Anderer zu brüllen begann, wollen wir weiter gar nicht sprechen, wie es auch von keinem Belang für die Literatur war, daß der Messias den guten Bodmer anregte, die unendlichen Heramcrerwasscrflutcn einer Reihe von Patriarchadcn (Noachidc u. a.) mit Gewalt aus sich hcrauszupumpcn. Das wirkliche Verdienst des Mannes ist schon berührt worden und es sei hier gerade noch gesagt, daß er es erhöhte, indem er mit regem Fleiße die Schätze unserer mittelhochdeutschen Literatur ihrer Vergessenheit zu entreißen suchte. Bodmer's Landsmann Salomon Geßner (1730—87) ließ in seinem patriarchalischen Idyll, der Tod Abcl's, den Hexameter fallen und wcchltc eine Prosa, welche auch an seinen übrigen aller Naturwahrheit haaren und widerlich süßlichen Idyllen das Beste ist. Ein jüngerer Mitbürger Geßncr's, Johann Martin Usteri (1763—1827), hat die schweizerische Jdyllik in seinen mundartlichen Idyllen dann wieder zum Vers und zur Realität des bürgerlichen Kleinlebens erhoben. Ein vierter Züricher, Johann Kaspar Lavater (1741—1801), auf welchen wir weiter unten zurückkommen werden, setzte noch spät die biblische Epik fort (Jesus Messias), als sie schon ganz antiquirt war, und ließ sich durch Klop- 5 66 Neuhochdeutsche Zeit. » stock's Patriotismus zu seinen wirksamen Schweizerliedcrn stimmen. Auch Franz von Sonnenberg (1779—1803) verschwendete ein nicht gemeines Dichtertalent an die schon anachronistisch gewordene religiöse Hcldcndichtung (Donatoa). Ebenso wandelte Heinrich Wilhelm von Gcrstenberg (1737 —1823) mit seinen Gedichten eines Skalden in Klopstock's teutonischen Spuren und nicht minder ging Christoph Daniel Friedrich Schubart (1739 ' —91), das berühmte Opfer despotischer Fürstenlauuc, der gepeinigte Insasse der hohenasperger Kerkerhöhle, mit seiner religiös-patriotischen Lyrik aus Klopstock hervor. Wie aber Gerstcnberg durch sein auf Shakspeare fußendes Trauerspiel Ugolino schon aus eine spätere Phase unserer Literatur, auf die Sturm- und Drangzeit, hinweist, so durch seine großartige Strafodc die Fürstcngruft Schubart, welcher außerdem vermittelst seiner publizistischen Thätigkeit (Deutsche Chronik) entschieden in die Aufklärungsperiode des 18. Jahrhunderts eingreift. Andernorts wirkte nicht so fast Klopstock's erhabene Religiosität und Vaterlandsliebe, als sein inniger Naiursinn und seine Freundschaftsschwärmerci. So besonders in dem Kreise der Anakreontiker und Freundschastler, welcher in dem „Vater Gleim^, Johann Ludwig Wilhelm Glcim (1719—1803) zu Halberstadt seinen Mittelpunkt hatte und zu dem sich die Lyriker, Epistelndichter, Naturschildcrer und Pidaktikcr ' Johann Benjamin Michaelis (st. 1772), Johann Nikolaus Götz (st. 1781), Klamer-Schmidt (st. 1821), Johann Georg Jakobi (st. 1814), Johann Peter Uz (st. 1796), Ewald Christian von Kleist (1715—39) und Andere hielten. Gleim selbst hat sich in vielerlei Formen versucht, aber nur mit seinen Kriegsliedcrn eines preußischen Grenadiers (1758), welche den Helden des siebenjährigen Krieges feiern, eine bedeutendere Wirkung auf seine Zeitgenossen erreicht. Sonst verlief sein Dichten meist in jene inhaltslose Empfindelei, welche damals in Deutschland grassirte und so viel widerwärtige Warmbrüderlichkeit in die Literatur einschwärzte. Jakobi lieferte einige gute Lieder, Uz wußte hagedorn'sche Sokratik mit politischem Frcimuth zu verbinden und Kleist, ein männlich ernstes Naturcl, brachte durch sein beschreibendes Gedicht der Frühling (1749), zu welchem in unseren Tagen I. M. Schüler die übrigen drei Jahreszeiten als treffliche Ergänzung lieferte, die damals beliebte Theorie von der Nachahmung der Natur zu poetischer Geltung. Mehr an die formale Seite Klopstock's lehnte sich Karl Wilhelm Ramler (1725—98), der unermüdliche Feiler eigener und fremder Verse, welcher ohne dichterische Begabung die klopstock'sche Odenform auf die Re- » Neuhochdeutsche Zeit. 67 geln der antike» Rhythmik zurückführte. Sein dilettantisches Aesthetisiren und Kritisiren wurde dann fortgesetzt durch Johann Jakob Engel (st. 1802), der auch mittelmäßige Lustspiele schrieb und sich im Sinne der Aufklärung als Popularphilosoph und Rvmandichter (Loren; Stark) mit leichter Feder, aber leerem Geist versuchte. 6 . Es war ein großes Glück für unsere Klassik — denn sie hebt mit Klopstock an — daß dieser nicht ohne Ergänzung blieb, daß jetzt überhaupt neben und nacheinander eine Reihe von großen Geistern auftrat, welche die verschiedenen Richtungen und Seiten der Nationalliteratur und der Wissenschaft mit überlegenem Genie und vielseitigem Talent ihrer Vollendung ent- gegenführtcn. Was ohne diese Gunst des Geschickes aus der Bewegung, welche Klopstock in unsere Poesie gebracht, geworden wäre, verrathen die Bestrebungen seiner Nachahmer deutlich genug. Die Literatur bedurfte zunächst eines Mannes, der, wie Klopstock die ernstgestimmtcn und religiösen » Kreise für dielitcrarische Bewegung gewonnen hatte, seinerseits die Weltlcute, die französisch Gebildeten, die frivol Geistreichen für sie gewann. In der That fehlte jener weltmännische Ton, durch welchen sich die französische Literatur die europäiiche Gesellschaft erobert hatte, der unsrigen gar sehr und dennoch konnte nur durch Einführung desselben in sie jenes allseitige nationale Interesse für ihr Aufblühen geweckt werden, ohne welches sie niemals zu ihrer seither entwickelten Wirksamkeit hätte gelangen können. Der Mann nun, der weltmännische Poet, welcher unsere Nationalliteratur so zu sagen salons- sähig und dadurch die französische überflüssig machte, ist Christoph Martin Wieland, geboren am 5. September 1733 zu Oberholzheim bei Biberach in Schwaben, gestorben am 20. Januar 18,3 zu Weimar, wohin er 1772 durch die geistvolle Herzogin Amalie als Prinzenerzicher war berufen worden. Es ist seltsam, daß dieser Autor, welcher später in seinen Schriften den diametralen Gegensatz zu der religiös - ethischen Richtung Klopstock's darstellen sollte, beim Beginn seiner Laufbahn so ganz auf klopstockischem Boden stand, ja sogar den Scraphismus — Sehraffismus nach der trivialen Wortspielen! der Gottschcdianer — zum Ertrem steigerte, indem er, verführt durch seine freundschaftlichen Beziehungen zu Vodmer, in seinen kaum noch der Erwäh- 5 * 68 Neuhochdeutsche Zeit. nung werthen Erstlingswerken (die Natur der Dinge, Antiovid, der geprüfte Abraham, Empfindungen eines Christen u. a.) in das Nebelrcich überstiege- ner, ja zelotisch unduldsamer Moral und christclnder Empfindclei sich hinein- forcirte. Das ging, so lange es gehen konnte, d. h. so lange, bis Wicland sich vor sich selber zu schämen begann, daß er seiner Natur Gewalt angethan, um die seraphische Mode mitzumachen, welche der bodmer'sche Kreis bis zur Carricatur getrieben hatte. Indem er sein schriftstellerisches Talent an epischen und dramatischen Problemen (Cyrus, Johanna Gray u. a.) übte, deren Losung jedoch ziemlich schülermäßig ausfiel, verschaffte er sich durch seine Uebersetzung Shakspearc's in Prosa eine bessere Einsicht in das Wesen der Poesie und durch den Umgang mit gebildeten Weltleutcn Einsicht in das, was der deutschen Literatur gebrach. Die Philosophie des gesunden Menschenverstandes und die Berechtigung der Sinnlichkeit in unmuthigen Formen in der vaterländischen Dichtung geltend zu machen, das erkannte er hinfort als seine Sendung, bei deren Erfüllung er Lukian, Horaz, Ariosto und Voltaire als Vorbilder zu Hülfe rief. Denn überall bedurfte er einer Anlehnung, Ursprüngliches muß man in ihm nicht suchen. In seinen scherzhaften Erzählungen (Diana und Endymion, das Urtheil des Paris, Aurora und Cephalus), womit er 1762 auftrat, ist er schon völlig der ironisch-didaktisch-poetische Erzähler mit stark sinnliche!» Beigeschmack, der er in Versen und Prosa sein Lebenlang geblieben. Die poetische Erzählung wieland'schen Sthls führte er nachmals in der Musarion und in Gandalin auf ihren Höhepunkt und diese beiden Dichtungen waren es hauptsächlich, welche den weltmännischen Kreisen bewiesen, daß die deutsche Poesie nicht minder zierlich, geistreich, witzig und leichtblütig als die französische zu reden und zu malen vermöge. Auch an ihrer schnellfingerigen Produktivität gestattete die rasche Folge der Werke Wieland's keinen Zweifel mehr. Freilich ließ er sich durch seine Erfolge zu einer Schreibseligkeit verleiten, die insbesondere in feinen drei größeren Romandichtungen (Agathen, die Abderitcn, Aristipp) zu unerquicklichster Breite wird. Es sind Griechen, welche in diesen Romanen auftreten, aber Griechen, die sich in den Burcaur d'Esprit von Paris hatten frisiren und pudern lassen. Die Abderitcn sind in griechischer Maske gegen die Jämmerlichkeiten der deutschen Philistern zu Felde geschickt, Schade nur, daß das satirische Salz in dem langhingcdehnten Wortmcer des Buches großcn- thcils sich verflüchtigt. Die Stoffe zu seinen späteren poetischen Erzählungen entnahm Wieland, wie er die zu den früheren mit Vorliebe dem mythologischen Neuhochdeutsche Zeit. 69 und sozialen Griechenthum entnommen hatte, hauptsächlich der Fundgrube der chevalercsken altfranzösischen Fabliaur. Von dort her stammt auch das Material seiner romantischen Epopöe Oberon (1780), durch welche Wieland, wie durch kein anderes seiner Werke, im Gedächtniß der Lesewelt lebendig erhalten wird. Der Oberon gibt ihm gegründeten Anspruch darauf, der deutsche Ariost zu heißen, und er hat mit diemn Gedicht den ersten Anstoß zu der Ritterdichtung der romantischen Schule gegeben, obgleich die letztere Wicland verleugnete und eines ihrer Mitglieder (Friedrich Schlegel 1799) in schnödem Undank soweit ging, über die Poesie des Herrn Hofraths Wieland einen Concurs auszuschreiben, dessen Eröffnung die Herren Lukian, Fielding, Sterne, Cervantes, Voltaire, Bayle und viele andere Autoren als seine li- terarischen Gläubiger verlangt hätten. Es ist etwas Wahres in diesem herben Spott, allein Wieland gestand ja selbst zu, daß er „ ungeheuer wenig Imagination" besäße, und bestimmte sein Verdienst ganz richtig dahin, daß er fünfzig Jahre lang eine Menge Ideen in Umlauf gesetzt hätte, welche den Schatz der Nationalcultur vermehrten. Sein literarischcs Journal der deutsche Merkur hatte ihm eine Stellung verschafft (1773), die von unmittelbarem Einfluß auf die literarische Bewegung war, aber auch mit der raschen Verschlechterung der Zeitschrift unhaltbar wurde. Wieland besaß Einsicht genug, zu bemerken, daß seine Zeit um war, und so viel neidlose Herzensgute, daß er dem aufstrebenden Genius Göthe's, welcher ihn doch in jugendlichem Uebcrmuth in der Farce: Götter, Helden und Wicland so bitter verhöhnt hatte, die herzlichste Huldigung darbrachte und, „ wie einem echten Vater zukommt", seine innigste Freude daran hatte, daß ihm „der wunderbare Knabe so schön übcr'n Kopf wuchs". Mit seinem Journal das attische Museum machte der gealterte Dichter seinen Uebergang zu der philologischen Thätigkeit seiner letzten Jahre, welcher wir — er hatte schon früher den Horaz und Lukian übersetzt — eine vortreffliche Verdeutschung der Briefe Cicerüs verdanken. (Wieland's sämmtl. Werke, N. A. Lpzg. 1839 fg. 36 Bde.) Man kann von einer Wieland'schen Schule sprechen, insofern nicht nur seine Manier, der Natur wieder zu ihren Rechten zu verhelfen, in einer Reihe von Schriftstellern forterbte, sondern auch seine chevalcreske Dichtung directeste Nachahmung hervorrief. In letzterer Beziehung sind Johann Baptist Alringer (st. 1797), August Müller (st. 1807) und Heinrich von Nicolay (st. 1820) als Rittergcdichtschrciber zu nennen, die ihre Stoffe mit 70 Neuhochdeutsche Zeit. geistlosem Ernste behandelten, während die komische Erzählungsart Wieland's in Aloys Blumauer's (st. 1798) travestirter Aeneis in einem Pfuhl von Gemeinheit unterging. Graziöser wußte sich Moritz August von Thümmel (1738—>8>7) in der Form poetischer Erzählung, wie Wieland sie angegeben , zu bewegen (Jnoculation der Liebe), aber seine Frivolität wirkt oft geradezu widerwärtig, wie in seiner Wilhelmine, einem in Prosa geschriebenen sogenannten komischen Heldengedicht, das mit seiner Geschichte einer entblätterten Kammerzofe, die einem armen Teufel von Candidatcn aufgehalst wird, an Rabcner und Zachariä erinnert. Zu einem selbstständigcren Styl erhob sich Thümmel in seinem wcitausgesponnencn humoristischen Reiseroman: Reisen in die mittäglichen Provinzen von Frankreich — wo er auf die leichtfertige, in höchst unmuthiger Form vorgetragene Philosophie eines Vcrgnüglings zuletzt den moralischen Trumpf setzt. Uebrigens steht Thümmel mit diesem Buch schon ganz auf dem Boden der Aufklärung des 18. Jahrhunderts , aus welchem sich die Romandichtung von damals in Anlehnung an Wieland und die Engländer Richardson, Fielding, Smollet und Sterne überhaupt heimisch gemacht hatte. So besaßen die jetzt verschollenen historisch-didaktischen, sentimentalen, pikaresken und humoristischen Romane von A. G. Meißner (Alcibiades, Bianca Capello u. a.), I. A. Feßler (Marc Aurel u. a.), I. Th. Hermes (Sophicn's Reise von Memel nach Sachsen u. a.), I. G. Müller (Siegfried von Lindenbcrg), K. Ph. Moritz (Anton Reiser), A. F. L. von Kniggc (Geschichte Peter Clauscn's) und I. K. Wezel (Lcbensgeschichte Knaut's des Weisen) für jene Zeit unstreitig ein berechtigtes Interesse und dieses ging soweit, daß I. K. A. Musäus (st. 1787) sogar mit seiner ironisch - aufklärerischen Behandlung der deutschen Volksmärchen Glück machte. Wie sehr man sich damals in Deutschland anstrengte, den Sterne'schcn Humor, welcher in jenen Tagen der Lorenzodoscnfteundschaft- lcrei bei uns in unmäßigster Achtung stand, mit den wissenschaftlichen und fozialen Problemen der Zeit zu vermitteln, zeigen recht deutlich die humori- stifchen Romane (Lebcnsläuse in aufsteigender Linie, Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z) von TH.G. von Hippel (1741—9.6), welchem, streng genommen, sein Platz erst hinter Kant zukäme, weil er mit seinen Abhandlungen über Gesetzgebung und Staatcnwohl, über die bürgerliche Verbesserung der Weiber, über die Ehe, auf der Höhe der Aufklärung erscheint. Dagegen mag hier noch Wilhelm Heinse (1749—1803) seine passende Stelle finden, denn die wieland'fche Sinnlichkeit hat unzweifelhaft auf seine Romandichtung Neuhochdeutsche Zeit. 71 eingewirkt. In ihrem bedeutendsten Product, Ardinghello oder die glückseligen Inseln, zeigt Heinse jedoch einen bedeutenden Fortschritt über Wieland hinaus. Denn dieses Buch, welches sich die Verherrlichung der bildenden Kunst zur speziellen Aufgabe macht, führt uns schon ganz entschieden in die Region ästhetischer Freiheit, predigt, auf rousseau'sche Prinzipien gestützt, in glühenden Bildern und Worten die Negation des alten Staats, der alten Religion und Gesellschaft und greift damit in die Sturm- und Drangperiode hinüber, aus welcher Göthe's menschlich-freie Künstlerschaft hervorgehen sollte. 7 . Wir haben im Vorstehenden das Wort Aufklärung genannt. Es ist dies dasselbe berühmte Wort, welches auf alle unsere geistreichen Mystiker, Obskuranten, Jesuiten und Hofräthe von Friedrich Schlegel bis aufLeo und Stahl herab so drastisch wirkte und wirkt, daß sie darob inreactionärcZorn- krämpfe verfielen und verfallen. Begreiflicher Weise, denn die Aufklärung des 18 . Jahrhunderts ist ja nichts Anderes als der Ansang der Befreiung des deutschen Bewußtseins von mittelalterlich-romantischer Barbarei und Knechtschaft, welcher Befreiung die ganze Entwicklung unseres geistigen Lebens zustrebt. Was die Aufklärung war und wollte, kann uns demnach schon das Toben ihrer Feinde gegen sie zeigen. Sie war der Versuch, mit der Vergangenheit entschiedener zu brechen, als das Lutherthum es gewollt und vermocht, der Versuch, den religiösen Greueln einmal fest ins Auge zu blicken, um sich von ihnen zu befreien, der Versuch, Wissenschaft, Staat und Gesellschaft vom Standpunkt des gesunden Menschenverstandes aus zu refor- miren, an die Stelle der Theologie den Humanismus zu setzen und dadurch die Deutschen aus gläubigen Philistern zu Menschen, zu denkenden und freien Menschen zu machen. Es ist wahr, viele der deutschen Aufklärer, wie man die Aufheller der romantischen Finsterniß schön und treffend bezeichnet hat, erkannten dieses Ziel nur sehr von Weitem und die meisten blieben in der religiösen Fiction und theologifchen Illusion noch befangen genug; allein dennoch hat jeder derselben nach dem Maaße seiner Kräfte an unserer Eman- zipirung von dem Vampyrismus der theologischen Weltanschauung gearbeitet. Ja, sie haben den Haß der Romantiker aller Sorten wohl verdient, wie den 72 Neuhochdeutsche Zeit. innigen Dank derer, welche die Religion der Zukunft, den Humanismus, schon jetzt zu der ihrigen machen. Das deutsche Geistesleben war zu Ansang des 18. Jahrhunderts noch kläglich verkommen und unfrei. Eine stupide Theologie beherrschte Alles, schürte bis 1749 Herenbrände, verteufelte und verknechtete das Volksbewußt- scin, hinderte mit dem Bleigewicht ihrer Autorität die Verallgemeinerung der Resultate Leibnitz-Thomasius-Wolf'schcr Denkarbeit und fuhr fort, die Bibliotheken mit aberwitzigen Büchern zu füllen, in welchem letzteren Geschäfte ihr die übrigen Facultäten redlich beistanden. Man muß die gelehrt - blödsinnigen Staatsschriften der damaligen deutschen Hofjuristcn lesen, um einen deutlichen Begriff von einer Periode unserer Geschichte zu bekommen, welche ein bodenloser Abgrund von Schmach ist. Freilich trat da und dort ein Mann hervor, welcher befähigt und muthig genug war, seinen in Nachäffung der schlechtesten Seiten des 'Auslands versunkenen Landslcuten die Wahrheit zu sagen. So ein unbeachteter Wahrheitssager war z. B. Rcalis dc Vienna (eigentlich Gabriel Wagner aus Quedlinburg), dessen Andenken Herder in seinen Humanitätsbriefen gerettet hat. Aber wer hörte auf ihn? Durch Klopstock einerseits, durch Wieland andererseits bahnte sich zwar eine Reform der Nationalliteratur an, allein um dieselbe in weiteren Kreisen fruchtbar zu machen', mußte der Gewittersturm des siebenjährigen Krieges erst die faule Atmosphäre des deutschen Lebens reinigen. Friedrich der Große ist daher, seiner entschiedenen Vorliebe für die französische Literatur ungeachtet, von der außerordentlichsten Bedeutung für die deutsche. Er brachte das vermoderte mittelalterliche deutsche Staatsgcbäude zu Falle, indem er in Deutschland einen modernen Staat gründete, welcher bei den dazu vorhandenen Elementen allerdings nur ein militärisch-polizeilicher sein konnte. Er machte der politischen Geltung der theologischen Orthodoxie ein Ende, indem er Gewissensfreiheit statuirte, die wissenschaftliche Kritik der Religion gestattete und Jeden „nach seiner Fa?on" selig werden ließ. Er wandte sich in seiner Thätigkeit als Regent und Politiker im Ganzen und Großen durchaus und mit Entschiedenheit gegen die mittelalterlichen Institutionen, und wie er durch wine glorreiche Laufbahn als Krieger die Achtung des Auslands vor dem deutschen Namen wieder herstellte, so war bei seiner unermeßlichen Popularität das Beifpicl seines ungenirtcn Unglaubens von ganz vortrefflicher Wirkung auf die Deutfchen. Zu Friedrich s erleuchtetem Despotismus gesellte sich der nicht minder erleuchtete, aber »linder umsichtige und praktische Neuhochdeutsche Zeit. 73 Joseph's II-, dessen Bemühungen, wie die seines großen Vorbildes, eine tüchtige Masse romantischen Wustes wegräumten und zwar in einem Lande, das seit Ferdinand II. die liebste Heimat dieses Wustes gewesen war. Beider Monarchen Beispiel rüttelte die deutschen Regierungen aus ihrer pflichtvergessenen Trägheit auf, so zwar, daß selbst in den geistlichen Fürstcnthümern, - sonst dem Erbsttze des Obskurantismus, Anstalten zum Norschreitcn auf der Bahn der Bildung und Humanität gemacht wurden. Wir erinnern nur an die Bestrebungen des Mainzer Erzbischofs und Kurfürsten Emmerich Joseph von Brcitenbach und an die des bamberger Fürstbischofs Franz Ludwig von Erthal. Alle Empfänglichen der Nation kamen ihrerseits dem guten Willen der meisten deutschen Regierungen, die stürmisch erwachende neue national- litcrarischc und wissenschaftliche Bewegung gewähren zulassen, mit regem Eifer entgegen. Im katholischen Süddeutschland versuchte fich diese Bewegung in dem durch Weishaupt und Zwakh gestifteten und zunächst gegen den Jesuitismus gerichteten Illuminatenorden sogar sozialzu organistren, während im protestantischen Norddcutschland die Aufklärung in der 1736 errichteten Universität Göttingcn, an welcher Michaelis in der Theologie, Hcync in der Philologie, Schlözer in der Staatswissenschaft, Kästner und Lichtcnbcrg in der Mathematik und Physik, Spittler in der Historik reformistisch wirkten, sowie in dem Nieolachchen Kreise zu Berlin ihre Mittelpunkte hatte und ihre Fäden bis nach Wien hinab ausdehnte, wo sie namentlich der treffliche Son- nenfels festzuhalten suchte. Unsere geistigen Zustände waren jedoch zu theologisch versumpft gewesen, als daß sie ganz von selbst wieder hätten in Fluß kommen können. Hierzu waren Zuflüsse von außen erforderlich und sie. blieben nicht aus. In England, wo seither der industrielle Materialismus die geistige Spccula- tion gänzlich in den Hintergrund gedrängt hat, war in den ersten Jahrzehnten des 18.^Jahrhunderts eine Reihe von Autoren aufgestanden, welche in Anknüpfung an die Philosophie Locke's und an den Skepticismus Bayle's die Grundlagen des kirchlichen Dogmenglaubens einer vorurtheilsfreien Untersuchung unterwarfen, die natürlich nicht zu dessen Vortheil ausfallen konnte. Man nannte diese Männer (Toland, Collins, Tindal, Wollaston, Morgan, Mandcville und Andere) Leisten, wohl auch Atheisten, denn sie verwarfen nicht nur das Dogma von einem dreieinigen Gott, sondern überhaupt die Lehre von einem persönlichen, nach menschlichen Vorstellungen menschlich gestalteten höchsten Wesen. Die vornehm witzige, populär-philosophische 74 Neuhochdeutsche Zeit. Schriftstellerei der Lords Shaftsbury und Bolingbrokc verschaffte den deisti- schen Ansichten Aufmerksamkeit in der englischen Gesellschaft und aus dieser verpflanzten sie sich in die geistreichen Kreise von Paris, wo schon früher Schriftsteller wie Rabelais, Montaigne, Pascal und Rochefoucauld einen Boden bereitet hatten, auf welchem die praktische Philosophie des englischen eommnn 8en8e gedeihen konnte. Aus dem Arsenal dieser Philosophie holten sich Montesquieu, Voltaire, Hclvetius, Diderot und die Encyklopädisten ihre den Kirchenglauben befehdenden Waffen und schärften und polirten dieselben mit dem französischen Esprit und Witz. Ihre glänzenden Ausfälle, Stiche und Streiche gegen und auf die heilige Dummheit und gewissenlose Heuchelei wurden auch diesseits des Rheins bewundert, aber dennoch war für Deutschland das Auftreten Rousscau's von noch größerer Bedeutung. Denn dieser wirkte mit seinen revolutionären Gedanken nicht allein auf den Verstand und die Lachmuskcln, sondern weit mehr auf das Gemüth und das sittliche Gefühl. Er lehrte die Moral der Freiheit und gewann dadurch in ganz Europa unzählige Herzen, welche der Spott Voltaire's nur hatte verletzen können. Zur Höhe seiner politischen Opposition vermochten sich indessen in Deutschland nur Wenige zu erheben und es bewegte sich die deutsche Aufklärung zunächst mit Vorliebe auf dem Gebiete der psychologischen Popularphilosophie, ber Theologie und Pädagogik, hier überall die Forderungen des gesunden Menschenverstandes geltend machend, für welche man das Wort Rationalismus erfunden hat. Wenn wir auf die publizistischen, theologischen, psychologischen, ge- schichtsphilosophischen und ästhetischen Bemühungen der Aufklärer, welche den Inhalt des zeitbcwegcnden Denkens den Gebildeten und durch Liese auch den Massen mittheilen wollten, in Kürze hinweisen müssen, so ist es billig, zuerst den berliner Buchhändler Friedrich Nicolai (1723—1811) namhaft zu machen, denn dieser Mann ist gewissermaßen ein Typus der deutschen Aufklärung geworden und hat sich von ihren Feinden die wüthendsten Verunglimpfungen gefallen lassen müssen. Seine Sphäre war der hausbackene Verstand und so lange er sich innerhalb desselben bewegte, hat er als Publizist (Allgemeine deutsche Bibliothek und andere Journale), Reiseautor (Steift durch Deutschland) und Romanschreiber (Sebaldus Nothanker u. a.) eine verdienstlich aufklärerische Wirksamkeit entwickelt. Sein Fehler war nur, es nicht zu merken, daß seine Zeit um war, als größere Geister auf den Kampfplatz traten, und deßhalb beging er dann von seinem beschränkten Neuhochdeutsche Zeit. 78 Gesichtspunkte aus Dummheiten, wie z. B. seine philisterhafte Verkennung der göthe'schcn Poesie eine war, die mit Recht gezüchtigt wurden. Seine viclverspottcte Jcsuitenriccherei jedoch, die nur allzu richtig roch, wird man ihm leider jetzt, im >9. Jahrhundert, nicht mehr zum Vorwurf machen können. Nicolai griff, eifrigst secundirt von Biester, die deutschen Mißbräuche, namentlich die der Pfafferei, direkt an, während sein Freund Moses Mendelssohn (1729—86) in seinen popularphilosophischen Schriften (PHLdonu.a.) mehr im Allgemeinen die Grundsätze der Toleranz in religiösen Dingen zur Anerkennung zu bringen suchte. Schärfer gingen auf die Hauptfrage der deutschen Aufklärung, auf die Aufhellung der religiösen Begriffe, ein: Hermann Samuel Reimarus (die vornehmsten Wahrheiten der natürliche» Religion, Wolfcnbüttlcr Fragmente), I. A. Eberhard (Neue Apologie des Sokratcs), I. H. Schulz, J.J.Spalding, K.F.Bahrdt, I. Ch. Edelmann u.A. Bahrdt hat am kecksten die Conscqucnzen des Rationalismus gezogen, gefiel sich aber in seiner Schriftstellern, die 126 Bände zuwegebrachtc, in einer Skandalsucht und Lärmmacherei, welche der von ihm vertheidigten Sache vielfachen Abbruch that. Gediegenere Opposition gegen das Kirchenthum machte Edelmann, dessen Selbstbiographie überdieß, wie die Schubart's und Feßlcr's, höchst wichtige Beiträge zur Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts liefert. Edelmann war es, der es zuerst muthig unternahm, die ganze supranaturalistische Grundlage des Judcnchristenthums als nichtig und unhaltbar nachzuweisen und demnach eine Bahn einzuschlagen, auf welche ihm freilich der freisinnige Thcologismus eines Baumgarten, Mosheim, Seniler, Hcilmann, Töllncr, Jerusalem nicht folgen konnte, eben weil er Theologismus blieb. Den philosophischen Rationalismus i» Anwendung auf das praktische Leben breiteten aus I. G. Zimmcrmann (Vom Nationalstolz — Ueber die Einsamkeit), der aber zuletzt vor Eitelkeit verrückt wurde und vom Prinzip der Aufklärung abfiel, H. K. Hirzcl (das Bild eines wahren Patrioten), I. Jselin (Philosophische Träume eines Menschenfreundes), Th. Abbt (Vom Tod für's Vaterland, vom Verdienste), H. P. Sturz (Briefe eines Reisenden) und Chr. Garve (Ueber Gesellschaft und Einsamkeit u. a.). Auch mit einer Regeneration der Staatswissenfchaften befaßte sich die aufklärerische Richtung. Seinem berühmten Vater, dem großen Patrioten Johann Jakob Moscr (st. >785.), welcher mit seinem Staatsrccht die neuere wissenschaftliche Publizistik eröffnete, trat Karl Moser mit seinen staatswissenschaftlichen Schriften würdig zur Seite und Justus Möser (st. 1798), dem seine unter dem Titel Patriv- 76 Neuhochdeutsche Zeit. tische Phantasien gesammelten Abhandlungen den Ehrennamen eines Advokaten des Vaterlandes erwarben und der in seinen Osnabrückischen Geschichten zeigte, wie man Geschichte schreiben solle, nahm, aufs Tüchtigste unterstützt von A. L. von Schlözer (st. 1809), der ebenfalls in Staatswissenschaft und Historik thätig war (Staatsanzeigen, Briefwechsel, nordische Geschichte u. a.), das schwere Geschäft auf sich, die Theilnahme der Deutschen an dem öffentlichen Leben, am Staat und Staatsregiment zu wecken und auszubilden. Die Tendenz der Aufklärung zeigte sich übrigens nicht nur in Möser und Schlözer für die Geschichtschreibung befruchtend. Sie leitete auch I. M. Schröckh (st. 1808) auf seine kirchenhistorischen Untersuchungen, aus welchen seine umfassende Christliche Kirchcngeschichte erwuchs (35 Bde., 1708—>812), hielt die Fackel bei der gründlichen Erforschung der Reformationsgcschichte durch G.J. Planck (1751 —1833), aus welcher dessen berühmte Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung des protestantischen Lehrbegriffs hervorging, regte L. T. Spittler (1752— 1810) an, das gründlich erforschte Material seiner Geschichtswcrke (Entwurf der Geschichte der europäischen Staaten u. a.) in einer, freilich mehr für die Wissenden als für die Nichtwisscnden berechneten, künstlerischen Form zu verarbeiten, führte die historische Feder von H. L. Heeren(1760—>841), der vermittelst seiner Ideen über die Politik, den Handel und Verkehr der alten Welt zuerst die Culturzustände des Alterthums klar beleuchtete, und vermochte I. G. Eichhorn (1752—1827), seine stupcnde bibliothekarische Gelehrsamkeit durch cultur- und literargeschichtliche Werke für das Publikum nutzbar zu machen. Auch in der kunstphilosophischcn Theorie suchte man sich klarer und bestimmter zu orientiren, als bisher geschehen war, und zu diesem Zwecke schrieb I. G. Sulzcr (st. 1779) seine Allgemeine Theorie der schönen Künste. Indessen half auf diesem Gebiete über den unsicher tastenden oder fehlgehenden Dilettantismus erst Lessing's Kritik einerseits hinweg, andererseits die geniale und begeisterte, Ueberzeugung und Begeisterung weckende Art und Weise, womit der große Kunstkenner Johann Joachim Winckelmann (1717— 68) aus Stcndal in seiner classischen Geschichte der Kunst des Alterthums auf das Studium des antiken Kunstideals drang. Dieses Studium ist die eigentliche Basis unterer Wissenschaft der Aesthetik geworden, einer Wissenschaft also, die bei der Befreiung des deutschen Geistes vom Mittclalter eine so wichtige Rolle gespielt hat. Denn indem die Deutschen ästhetisch frei wurden, lehrten sie auch sich selbst und die Völker Europa's menschlich frei fühlen und Neuhochdeutsche Zeit. 77 denken. Endlich muß hier noch erwähnt werden, daß die Aufklärung ihre Stralcn auch in die finsteren Schulstuben zu verbreiten suchte, wo solche für das Volk überhaupt vorhanden waren. Die Bemühungen des Pietismus für das Volksschulwesen hatten sich als unzulänglich herausgestellt und dieses lag überall gar sehr im Argen. Nun riefen die pädagogischen Ideen Rousseau's, welcher an die Stelle des geistlosen und geisttödtcnden Schlendrians der Erziehung naturgemäßere Prinzipien und eine verständigere Methode gesetzt wissen wollte, auch in Deutschland eine pädagogische Bewegung hervor, an deren Spitze sich der Rationalist I. B. Basedow (1723 — 90) stellte, zur nämlichen Zeit, als Chr. G. Heyne (1729—1812) die humanistischen Schulftudicn vermittelst seiner geistvolleren Behandlung der Philologie re- formirtc. Basedow war der Gründer der unter dem Namen Philanthropine bekannten Erziehungsanstalten, denn philanthropisch sollte die neue Erziehungsmethode sein, welche Natur und Militarismus dem abstract philologischen und theologischen Scholasticismus in der Pädagogik entgegensetzte und die Rcalstudien zur Grundlage des Unterrichts machen wollte. Die Philan- thropinc zerfielen freilich bald wieder, aber der basedow'sche Anstoß zur Umgestaltung und Hebung der Volkserziehung wirkte fort und gelangte durch Bemühungen von Männern wie Campe, Resewitz, Salzmann, Weiße und Rochow zu praktischer Wirksamkeit. 8 . Nachdem wir den allgemeinen Charakter der Aufklärung und ihre einzelnen Richtungen angedeutet, liegt uns ob, die beiden großen Männer vorzuführen, welche jene literarisch-rcsormatorischc Zcitstünmung des 18. Jahrhunderts in Deutschland zur höchsten und positivsten Gestaltung brachten, der eine im nationalliterarischen, der andere im wissenschaftlichen Sinne. Wir meinen Lesfing und Kant. Gotthold Ephraim Lessing wurde am 22. Januar 1729 zu Kamen; in der Oberlaufitz geboren und starb auf einem Ausflug von Wolfenbüttel, wo er seit 1769 in der bescheidenen Stellung eines Bibliothekars gelebt, nach Braunschweig am 15. Februar 1781. Man hat seine Stellung zur deutschen 78 Neuhochdeutsche Zeit. Bildung mit der Voltaires zur französischen verglichen und in der That sammelte er, wie dieser, die ganze geistige Bewegung seiner Zeit in einen Brennpunkt. Aber was ihn hinwieder von Voltaire unterscheidet, von Voltaire, der seine welthistorische oppositionelle Mission zuletzt doch nur als genialen Spaß betrachtete, das ist der heilige Ernst und Eifer, womit er die Wahrheit suchte. Seine Erscheinung war für unsere und die europäische Cultur eine wahrhaft providentiellc. Die nationalliterarische Saat, welche Klopstock und Wieland angepflanzt, war in Gefahr, unter dem zähen mittelalterlichen Dorncngestrüpp, welches den deutschen Boden noch um und um bestrickt hielt, zu ersticken: da kam Lcssing und reutete mit unvergleichlich energischer Hand nach links und rechts all den Quark aus, um Platz für die Tempel der Freiheit, Schönheit und Humanität zu gewinnen. Nur ihm, an dem Alles Klarheit, lichtheller Verstand und ebenso unerschrockener als besonnener Muth war, konnte das gelingen und die Zeloten und Obskuranten wußten und wissen wohl, warum sie den Lessing so gründlich haßten und hassen, den Lcssing, bei dessen Namen, wie, glaub' ich, Gervinus schön bemerkt hat, jedem Deutschen vor Freude und Stolz das Herz höher pochen sollte. Sein erstes Auftreten hinterließ keine „Fußstapfen des Löweit." Er schrieb Lustspiele, die weder besser noch schlechter waren als die Weiße's und anderer Zeitgenossen, Lieder im Geschmack der Anakreontikcr, Sinngedichte und Fabeln, in welchen viel Verstand und wenig Poesie zu finden war. Allein schon hier bewies er, daß es ihm stets darum zu thun war, durch seine poetischep Arbeiten praktische Belege für seine theoretischen Ansichten zu liefern, denn er gab über die zuletzt genannten Dichtarten zugleich besondere Theorien. Dies Verfahren verräth allerdings und Lessing selbst bestätigt es ausdrücklich, daß seine dichterischen Werke nicht aus dem Enthusiasmus einer freischaffenden Dichtcrbrust geboren sind. Nein, sie sind aus dem Kopse geboren — wie Minerva aus dem Kopfe Jupitcr's. Mit seinem Drama Sara Sampso» st 755) führte er das bürgerliche Trauerspiel auf unsere Bühne und bezeichnete die beginnende Emanzipation des deutschen Theaters von der Herrschaft der französischen Regel, welche dann seine Minna von Barnhelm (1703), das erste originale und nationale Lustspiel unserer Literatur, als völlig überwunden aufzeigt. 1766 gab er den Laokoon heraus, jenes berühmre Werk über die Gränzen der Malerei und Poesie, welches, zusammengehalten mit der zwei Jahre zuvor erschienenen Kunstgeschichte Winckelmann's, für unsere Philosophie der Kunst epochemachend wurde. Neuhochdeutsche Zeit. 79 Lessing analysirte darin die bildende Kunst und die Dichtkunst ihrer eigensten Natur nach und bestimmte als Wesen der letzteren Bewegung und Handlung, wodurch dem Ansehen der bloß malenden, schildernden und rcflectirenden Poesie endlich einmal ein Ende gemacht war. Schon früher hatte er in seinen Literaturbricfen den kritischen Fcldzug gegen die Gallomanie eröffnet, welchen er jetzt in seiner Hamburger Dramaturgie (1767—68) so geistvoll fortsetzte und so siegreich beendigte. Er machte mit überzeugender Schärfe klar, zu welcher Unnatur die Franzosen gekommen, indem sie sich aus den Alten ein Schema der Dichtkunst abstrahirten, ohne dasselbe mit dem substantiellen Gehalt der eigenen Zeit und Nationalität zu erfüllen. Auch er anerkannte die Größe der Alten, er wies auf Shakspeare hin und zeigte, was man von jenen und von diesem zu lernen habe. Allein nicht das Gelernte sklavisch nachzuahmen, nein, die gewonnene Erfahrung mit den ewigen Gesetzen der Natur und mit der Eigenthümlichkeit des heimischen Volksbewußtseins zu vermitteln, das sei das Wahre, hicdurch werde die Selbstständigkcit der vaterländischen Kunst und ihrer Formen erreicht, hicdurch die Füllung dieser Formen mit nationalem Geist gesichert. Nachdem er sich durch den Laokoon und die Dramaturgie eine Souverainctät als Kunstrichtcr erobert, welche selbst seine Gegner stillschweigend anerkenne» und ehren mußten, nachdem er durch mehrere Schriften antiquarischen Inhalts der geistlosen Philologie gezeigt, wie man die classischen Studien zum Nutzen und Frommen der Gegenwart zu betreiben habe, und zwischcnhinein die männliche und herbstrengc Tragödie Emilia Galotti(1772) der fürstlichen Despotie jener Tage als ein Brandmal auf die Stirne gedrückt, wandte er, gehüllt in die Rüstung seiner vielseitigen Gelehrsamkeit, seine Waffen gegen die theologische Orthodoxie. Das Zetergeschrei der Getroffenen bezeugte, wie gut seine Streiche geführt waren. Er gab des Reimarus Fragmente, sowie mehrere theologische Abhandlungen heraus und faßte in Abwehr der hicdurch erregten Angriffe seine reformistische Polemik in seinen Streitschriften gegen den Hamburger Pastor Göze zusammen. Hier erhebt sich Lessing's Kritik zur Kunst und schon um ihrer wunderschönen Form willen wird man diese Streitschriften noch lesen, wenn dem Bewußtsein der Nachwelt, dereinst die Göze und Klötze, gegen welche sie gerichtet wurden, nur noch als verweltliche Versteinerungen erscheinen werden. Nachdem Lessing diese theologischen Händel abgethan, in welchen er ebenso siegreich, wie er früher in seinen ästhetischen Feldzügen die Autonomie der Kunst erwiesen, in Sachen der Religion die Autonomie der Vernunft er- 80 Neuhochdeutsche Zeit. wies — war es ihm, bevor ihn der Tod in vollster Manncskraft hinwegnahm, noch gegönnt, die ganze Genialität seines Verstandes, all sein humanistisches Glauben und Hoffen in einem Dichterwerk zu offenbaren, welches stets zu den besten Thaten des deutschen Geistes gezählt werden wird. Es ist das Schauspiel Nathan der Weise (1779), dessen Form den fünffüßigen Jambus für unser höheres Drama stehend machte, es ist jenes Gemälde edelster Menschheit, vor welcher die Götter vergehen. Gleichsam als Epilog zum Nathan schrieb Lcsstng die letzte seiner Schriften, die Erziehung des Menschengeschlechts, worin er die unendliche Vervollkommnungsfähigkeit der Menschheit entwickelt. Hier und im Nathan erscheint die Aufklärung in ihrer höchsten Potenz: der ethische Gehalt des Christenthums ist von der supranaturalisti- schen Fabelei losgelöst und demselben seine Stelle als Moment in der weltgeschichtlichen Entwicklung angewiesen. (Lesstng's sämmtl. Schriften, hrsg. v. Lachmann, >839—40, 13 Bde.) Durch Lesfing erhielt der aufklärerische Rationalismus seine gediegenste nationalliterarische Form. Kant legte an die Probleme der Aufklärung den Maaßstab einer strcngphilosophischen Kritik. Jmmanuel Kant wurde geboren am 22. April 1724 zu Königsberg und starb daselbst am >2. Febr. 1804. Er ist nie über sieben Meilen weit über den Umkreis seiner Vaterstadt hinausgekommen und hat ein stilles und einförmiges Forscherleben geführt, in welches nur die elfjährige Reaction, die unter des großen Friedrichs Nachfolger die Denkfreihcit wöllnerisch beeinträchtigte, düstere Schatten warf. Es ist eine höchst eigenthümliche Erscheinung, dieser in seinem Gebühren so behutsame, in seinen Lcbcnsgewohnhcitcn pedantisch regelmäßige Gelehrte, der von seiner stillen Studirstube im nördlichen Winkel Deutschlands Gedanken in die Welt ausgehen ließ, welche den Himmel stürmten und, zum System einer neuen Logik und Metaphysik — System des kritischen Idealismus — zusammengeordnct, die theologische Weltanschauung geradezu umkehrten, indem sie unsere Welt zum Zweck machten und Gott nur noch als eine Hypothek zur Lösung ihrer Widersprüche herbeizogen, als ein Postulat der praktischen Vernunft, dessen Dasein auf theoretischem Wege zu beweisen unmöglich sei. Kants Wirksamkeit begann erst in seinem Alter mit Herausgabe seiner drei Hauptwerke: Kritik der reinen Vernunft (1781), Kritik der praktischen Vernunft (1783) und Kritik der llrtheilskraft (1787), und auch dann währte es noch eine gute Zeit, bis die abstruse Form seiner Philosophie durch die Bemühungen seiner Anhänger, unter denen Karl Leonhard Rcinhold Neuhochdeutsche Zeit. 81 (1758— 1823) voransteht, dem Verständniß in weiteren Kreisen nähergebracht wurde. Kant hat die philosophische Arbeit ganz von Neuem begonnen, . indem er bis zu den Quellen des menschlichen Erkenntnißvcrmögens zurückging und, gestützt auf die Erforschung derselben, das Reich des Wissens ganz unabhängig von dem dogmatischen Material desOffcnbarungsglaubens con- struirte. Als Resultat seiner Prüfung der letzten Gründe unseres Erkennens fand er, daß nicht vas Wahrnehmen die Quelle des Allgemeinen und Nothwendigen sei, sondern vielmehr die menschliche Jchheit (Subjectivität), das selbstbewußte Ich- Das Ich bildet demnach in Kant's Philosophie das apriorische Centrum, nach welchem sich die Dinge als tzie Objectivirung dieses erkennenden Ichs zu richten haben. Kant kehrt also die hergebrachte empirische Ansicht um: die Dinge richten sich nach unserer Erkenntniß. Aus der Unfähigkeit des Anschauungsoermögcns, die wahrhafte Natur der Dinge zu erkennen, folgert er sodann konsequent, daß es nur ein Umhertappcn im Dunkeln sei, wenn wir uns aus den Gränzen der Erschcinungswelt ins Uebcrsinnliche versteigen, und daß unsere Vorstellungen von einer übersinnlichen Welt leere Hirngcspinnste, willkürliche Behauptungen über Dinge seien, von denen sich ebenso gut die Eristcnz als Nichtcristenz, in Summa Nichts beweisen lasse. Die praktische Vernunft findet aber an dieser Theorie kein Genügen. Sie geht auf die Bestimmung des freien Willens des Menschen zum Handeln. Die Aufgabe des Willens besteht in Verwirklichung des höchsten Sittengcsetzes: Handle jederzeit nach Maximen, die fähig sind, allgemeine Gesetze zu werden! und die allgemeine Verbindlichkeit dieses Sitten- gesetzes äußert sich als kategorischer Imperativ, d. h. in der Fornr des unbedingt befehlenden Sollens. Unterwerfen wir unsere egoistischen Neigungen der durch den kategorischen Imperativ befohlenen, um ihrer selbst willen zu erfüllenden Pflicht, so haben wir Tugend. Um nun der Tugend ein entsprechendes Acquivalcnt zu bieten, findet es Kant praktisch-vernünftig, das, was die reine Vernunft negircn müsse, Gott und Unsterblichkeit, wieder zu setzen. Man sieht, er hat dem Deismus seiner Zeit eine Concession machen zu müssen geglaubt. Sowie er sich den praktischen Konsequenzen seines Systems näherte, zog sein revolutionärer Gedanke die Schwingen ein. Dessenungeachtet ist seine Philosophie das eherne Fußgestell für die ganze Bildung, für alles Wissen, alle Kunst der Zukunft. Alle nachhcrigen deutschen Philosophen stehen auf den Schultern dieses Riesen und die, welche diese Stütze verschmähten oder gar umzustürzen suchten, haben es eben in der 82 , Neuhochdeutsche Zeit. Philosophie nicht weit gebracht. Dies sehen wir an Friedrich Heinrich Jakobi (1743—1819) und seinen Anhängern, zu denen auch die Eklektiker Fries und Krug gerechnet werden können. Jakobi war ein edler Gefühlsmensch, dem davor graute, in die kühlen Actherhöhen der reinen Vernunft Kant's sich zu erheben. Seinem Grundsatz gemäß, daß alle menschliche Erkenntniß auf Offenbarung und Glauben beruhe, läuft sein Philosophiren, wie er es in zerstreuten Aufsätzen und auch in Romanform (Allwill, Wolde- mar) darlegte, aus eine unklare Glaubensphilosophie hinaus oder, wie er sie selbst treffend bezeichnet, auf eine Unphilosophie, die im Nichtwissen ihr Wesen hat und der zufolge das an sich Wahre, Gute und Schöne uns ohne irgend eine Vermittlung durch Begriffe im Gefühl als unmittelbares Wissen, als Geistes - und Gottcsbewußtscin geoffenbart wird. Soweit hatte es schon Thomas a Kempis in seinem Buch von der Nachfolge Christi im Philosophiren gebracht. (Kant's sämmtl. Werke, hrsg. v. Rosenkranz und Schubert, 1838 fg. 12 Bde. Jakobi's sämmtl. Werke, hrsg. v. Köppen, 1812 fg. 6 Bde.) 9 . Lessing hatte, vereint mit Winckelmann, unsere Aesthetik reformirt, das wabre Wesen der Poesie und aller Kunst seinen Landsleuten zum Bewußtsein gebracht und die neu gewonnene classisch edle Form mit nationaler Substanz erfüllt. Die Aufklärer hatten wirklich die romantisch-mittelalterliche Finsterniß auf allen Gebieten tüchtig gelichtet und dem Köhlerglauben in Religion und Wissenschaft das Bekenntniß seiner Nichtigkeit abgezwungen. Kant war aufgetreten und hatte mit unerbittlicher Logik die theologischen Illusionen vernichtet und die Souverainetät der menschlichen Vernunft proclamirt. Sein System gewann durch die Reinheit und Strenge seiner Moral auch Solche, die vor der himmelstürmendcn Kühnheit seiner Kritik zurückbebten und'griff in alle Fächer des Wissens reformistisch ein, die Gährung der Geister klärend, welche in den 60gcr und 70 gcr Jahren des 18. Jahrhunderts das deutsche Leben in seinen Grundtiefen aufwühlte. Es «war damals eine merkwürdige Zeit. Ein Geist der Widersetzlichkeit gegen alle herkömmlichen Satzungen durchzog die europäische Gesellschaft, welche zwischen r Neuhochdeutsche Zeit. 83 den Erinnerungen des Mittelalters und der Sehnsucht nach Befreiung von denselben, zwischen Wahnglauben und Frcigcisterci, zwischen Frivolität und Humanität, zwischen rasstnirtcr Genußsucht und Zerknirschung in unbehaglichster Stimmung schwankte. Da wurde das, womit man in Europa theoretisch sich abmühte, die Gründung einer neuen Staatsgcsellschaft, in Nordamerika praktisch ausgeführt. Die Rückwirkung der Thatsache, daß nach glorreichem Kampfe in den Wäldern und Prairien der neuen Welt ein demokratischer Freistaat gegründet worden, auf die alte Welt mußte umso bedeutender sein, als dieser amerikanische Demokratismus, welcher den Gliedern aller Nationen und dcn Bekennern aller Religionen die gleichen Bürgerrechte gab, von durchaus universellem Charakter war. Der protestantische Germanismus hatte sich jenseits des Ozeans zum Kosmopolitismus erhoben und erweitert und als solcher war er befähigt, bei seiner Rückwendung nach Osten zunächst das größte der katholischen und romanischen Völker für sich zu gewinnen. Die ungeheure Masse'der in Europa gehäuften Brennstoffe machte sich Luft in dem vulkanischen Ausbruch der französischen Revolution, welche, wie die Reformation die freie Religion gefördert hatte, ihrerseits den freien Staat als Ziel der Entwickelung der Menschheit hinstellte. Die systematischen Deutschen aber fühlten das Bedürfniß eines Mittelgliedes zwischen diesen beiden Zielen und der Verlauf der französischen Geschichte seit der ersten Revolution bis 1852 hat gezeigt, daß jenes Gefühl ein richtiges war. Das in Frage stehende Mittelglied war kein anderes als die freie Wissenschaft und die stete Kunst. Auf Eroberung derselben richtete sich die in Fortführung der Reformation in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wiederaufgenommene Kulturarbeit Deutschlands. Hierin lag, auch abgesehen von der hemmenden politischen Gestaltung oder vielmehr gestaltlosen Zerklüftung unseres Landes, der Grund, warum die Deutschen mit der Nachahmung der französischen Staatsumwälzung weniger schnell zur Hand waren, als man hätte erwarten sollen. Wenn je ein Volk erkannt hat, daß die Weltgeschichte keine Sprünge macht, wenigstens keine glücklichen, so sind es wir, und es hieße dem blindesten Fatalismus huldigen, wenn man der Hoffnung entsagte, daß diese mit den ungeheuersten Opfern erkaufte Erkenntniß in der Zukunft uns selbst und der Menschheit zu Nutzen und Frommen gereichen müsse. Mit dem Gesagten soll nicht, behauptet werden, daß die revolutionäre Idee der Zeit, von welcher wir sprechen, bei uns nicht auch von ihrer politischen Seite wäre begriffen und erfaßt worden. Wer die deutsche litcrarische 6 * 84 Neuhochdeutsche Zeit. Journalistik von damals kennt, der weiß, daß auch in unserem Lande, und zwar schon in den 80ger Jahren, Stimmen laut wurden, welche mit Hinweisung aufNordamerika ganz offen den Republikanismus predigten. Allein das waren und blieben eben nur vereinzelte Stimmen, während gerade die einflußreichsten Geister mit Beiseitelassung der Politik vor Allem die Freiheit der Kunst und Wissenschaft und durch sie die Befreiung des Individuums ? anstrebten. Man hat die Zeit, in welche diese von dem rouffeau'schcn Evangelium der Natur und von dem shakspeareffchen Evangelium der Poesie in- spirirten Bestrebungen hauptsächlich fielen, die Sturm- und Drangperiode unserer Literatur genannt und zwar sehr bezeichnend. Denn allwärts regte sich in der letzteren der Drang nach Schaffung von Licht, Luft und Raum für die freie Entwicklung der Persönlichkeit und geschah ein Sturmlaufen gegen die religiöse und soziale Beschränktheit, gegen die Standesvorurtheile, gegen die Philisterhaftigkeit in Tracht, Sitte und Denkweise, gegen alles verrottete Formelwesen im Leben und in der Wissenschaft. Unklar freilich und tumultuarisck genug äußerte sich die Emanzipationslust in ihren Anfängen und wir erblicken in den Reihen der Stürmer und Drängcr Männer, welche durch ihre Betheiligung an der literarischen Bewegung auf die wunderlichsten Abwege geführt wurden, ihr Talent in unersprießlicher Kraftgenialität — auch ein damals erfundenes Wort — austobten oder aber mit einer Bermittlung von Freiheit und Gläubigkeit unerquicklich sich abquälten. In letzterer Beziehung that sich vor Allen Johann Georg Hamann (1730 — 88) aus Königsberg hervor, welcher zu den Freunden Jakobi's und zu dem Kreise gehörte, welchen die mystisch-platonisch- christliche Fürstin Gallitzin in Münster uni sich gesammelt hatte. Hamann, eine unreine, pctulantc Natur, hat sich durch die Dreistigkeit, womit er in einer große» Anzahl von Pamphleten über Religion, Moral, Literatur und Philosophie in einem sibhllinisch orakelnden Tone absprach, den Beinamen des nordischen Magus erworben. Seine Polemik gegen den „ greisenhaften Geist dcrUeberlebung, gegen die veralteten Schulsatzungen, die Kleingeisterei und Pedantische Gelehrsamkeit", durch welche der Aufschwung deutscher Bildung gehemmt würde, ist allerdings schon um des Einflusses willen, den sie auf so bedeutende Menschen, wie Herder und Göthc, geübt hat, nicht gering anzuschlagen. Im klebrigen aber konnte der von ihm empfohlene und mit rouffeau'schcn Ideen seltsam verquickte Bibclglaubcn unsere Bildung so wenig fördern als die Pietistische Romansalbaderci des Johann Heinrich Jung- Neuhochdeutsche Zeit. 85 Stilling (1740—1817), welcher sich auch berufen fühlte, „die Schleuder des frommen Hirtenknaben David gegen den atheistischen Goliath (Kant)" zu erheben, und seine hektische Himmelsschnsucht mit gcisterscherischenPhan- tasmagorien zu stillen suchte. Der aus dem höchsten Norden Deutschlands ertönenden Orakclstimmc Hamann's gesellte sich vom Süden her die Orakelet des züricher Propheten Lavater, dessen als Poet schon oben gedacht worden ist. Lavater, ursprünglich eine edle und noble Natur, gehörte zu den Leuten, welche das Heil der Welt von ihrer eigenen subjcctivcn Ueberzeugung, gleichviel, welche diese sei, abhängig glauben. Da es ihm ein für allemal unbegreiflich war, „wie ein Mensch leben und athmen könne, ohne ein Christ zu sein", so wollte er diese Unbegreiflichkcit mit aller Gewalt auch Andern beibringen. Als ein Commisvoyageur des Christenthums reiste er in Deutschland umher, machte in Religion, gewann durch gemüthliche Salbung viele Schafe und empörte die Verständigen durch seine Prosclytcnmachcrei. Zugleich versuchte er auch die von ihm erfundene Schnurre der Physiognomik zu einer Angelegenheit der europäischen Gesellschaft z» machen, und für einige Zeit gelang dies seiner unermüdlichen Marktschreiern wirklich, obgleich er, der Meister dieser phantastischen Wissenschaft, durch die Physiognomien Caglio- stro's, Gaßncr's und ähnlicher Gauner, die damals die gläubige Dummheit in Deutschland ausbeuteten, schmählich sich düpiren ließ (Physiognomische Fragmente 1775). Ganz prächtig führte den Physiognomiken Orakclsprechcr der geistvolle Georg Christoph Lichtenberg (1742 — 99) ab, indem er denselben vermittelst seiner köstlichen Physiognomik derHundcschwänze lächerlich machte. Auch die bekehrerische Zudringlichkeit Lavater's satinierte Lichtcn- berg, welcher durch seine gründlichen mathematischen Kenntnisse den Ueber- stiegenheiten der Zeit gegenüber in der Sphäre des gesunden Menschenverstandes festgehalten wurde. Man lobt von seinen Werken gewöhnlich seine Erklärungen der berühmten Hogarth'schen Gemälde am meisten, aber es will uns scheinen, sein wohlthätiges nationalliterarischesWirken beruhe mehr auf den witzig-polemischen Aufsätzen, womit er, der sein satirisches Talent auf wiederholten Reisen »ach dem freien England gebildet, gegen die philisterhaften Schrullen wie gegen .die krastgenialischen Thorheiten seiner Landsleute zu Felde zog. Er trug sich lange mit dem Gedanken, einen komischen Roman zu schreiben, kam aber nicht dazu. Wir möchten wünschen, er hätte ein Werk geschrieben, welches auch heutzutage wieder sehr am Platze wäre, eine Ge- lchichte der deutschen Narrheit. Er wäre ganz der Mann dazu gewesen. 86 Neuhochdeutsche Zeit. (Vermischte Schriften, 1800 — 5, 9 Bde.) Lichtenberg erinnert uns an seinen Freund Georg Förster (1784 — 94), welcher dem Ruhm, einer der besten deutschen Prosaiker zu sein, den weiteren zugesellt, daß er einer der makellosesten Charaktere unserer Literatur ist. Er hatte schon in Zünglings- jahrcn die Welt umsegelt und so Gelegenheit gehabt, seinen Blick an Verhältnissen zu üben, welche über den deutschen Horizont Hinauslagen. Daher auch sein Verständniß der Größe der französischen Revolution und ihrer kosmopolitischen Idee, welche er, ein Mann der That mehr als des Schreibtisches, in Deutschland, soweit sein Wirkungskreis reichte, auch sactftch zur Geltung zu bringen suchte. Ihn führte der Sturm und Drang jener Zeit mit Bewußtsein auf das politische Gebiet und es fehlte ihm nur der Schauplatz , ein staatsmännisches Genie zu entfalten, dessen Vorhandensein seine Widerlegung der burke'schen Verketzerung der Revolution, seine Ansichten oom Nicderrhcin und andere seiner Arbeiten entschieden beurkunden. Er starb in Paris, verkannt und geschmäht, aber bis zum letzten Hauche seine hellsichtige und hochsinnige Ueberzeugung von dem guten Rechte der Freiheit bewahrend. (Forster's sämmtliche Schriften, 1843, 9 Bde.) Ein Verwandter Forstcr's in Gesinnung und Unglück ist Johann Gottlieb Seume (1763 — 1810), der den herben Mißgeschicken seines Lebens die derbe Biederkeit eines stoisch resignirten Charakters entgegensetzte, welche sich auch in seinen Reisewcrkcn und Gedichten ausprägt. (Sämmtl. Werke, 1826, 12 Bde.) Wenn in Förster der deutsche Kosmopolitismus einen Anlauf zu praktischer Thätigkeit nahm, so stellt er sich theoretisch und nationallitcrarisch in seinem ganzen Umfange zuerst dar in Johann Gottfried Herder, geboren am 25. August 1744 zu Morungen in Ostpreußen, gestorben als Präsident des Conststoriums und Oberhofprediger am 18. Dezember 1803 zu Weimar. Herders Autorschaft knüpft sich einestheils an Lessing, andcrnthcils wurzelt sie in der Währung der Sturm- und Drangperiode. Er beginnt mir der Kritik wie jener, aber sie geht bei ihm in seinen ersten Schriften (Ueber die neuere deutsche Literatur 1766 — Kritische Wälder 1769) im Sturmschritt einher. Schon in diesen Arbeiten läßt jedoch Herder sein späteres Wesen durchblicken, sein Vermitteln der antiken Bildung mit der christlichen, seine universelle Empfänglichkeit für die über den ganzen Erdboden hin zerstreuten Schätze der Dichtung, sein kosmopolitisch gebildetes Ohr, welches die Klänge der Universalharmonie der Poesie vernahm, verstand und Andere verstehen machte. Wie er in den Kritischen Wäldern den Homer dem Verständniß der Neuhochdeutsche Zeit. 87 Deutschen nahebrachte, so später (in den mit Göthe und Möser herausgegebenen Blättern für deutsche Art und Kunst 1773) den Shakspeare und den Osstan, welcher letztere freilich viel deutsche Thräncnseligkett jener Tage aus dem Gewissen hat, und weiterhin die orientalische und spanische Literatur, jene durch seine Blumenlcse aus morgenländischen Dichtungen, seine Schrift Vom Geiste der hebräischen Poesie (1782) und leine Uebcrtragung der indischen Sakun- tala(179l), diese durch seine Verdeutschung der Cidromanzcn (1802—3). Alles, was von eigenthümlichem Streben zeugt, erregte seine dolmetschende Theilnahme, die Hymnen Pindar's und die Epigramme der griechischen Anthologie wie die lateinischen Oben des Jesuiten Bälde. Die beste Gabe dieser Art aber, welche er auf den Altar der deutschen Muse niederlegte, war seine berühmte Sammlung von Stimmen der Völker in Liedern (1778—79), durch welche er seinen nach Naturunmittclbarkeit dürstenden Zeitgenossen eine reichsprudelnde Quelle derselben aufgrub. Hier erscheint er auf dem Höhepunkte seiner vermittelnden Stellung zwischen Kritik und productiver Originalität. llcbrigens fehlte der kosmopolitischen literarischen Thätigkeit Herder's das solide Fundament der Vaterlandsliebe keineswegs. Er war ein feuriger Patriot. Als solcher sprach er 1778 in seiner Ode an den Kaiser das bedeutungsvolle Wort: „ O Kaiser, du von neunundfünfzig Fürsten und Ständen, wie des Meeres Sand, das Oberhaupt, gib uns, wornach wir dürsten, ein deutsches Vaterland!" Auch sonst hat er über unsere politische Zerfallenheit und Ohnmacht manche strafende Rede ausgehen lassen. Aber aus seinem Patriotismus heraus erkannte er mit Bewußtsein die weltliterarst ehe Idee und Tendenz unserer Literatur und wußte dieselbe mit den concreten dichterischen Anschauungen aller Völker in Wechselwirkung zu bringen. Vor diesem Dienste, den er der Entwickelung der nationalliterarischen Cultur geleistet, treten seine sclbstständigen Versuche als Dichter in sehr bescheidene Entfernung zurück. Nur in seinen Jugendgedichten, da, wo er die tiefe Schwermuth einer mit Druck und Armuth männlich ringenden Seele enthüllt, klingt hie und da ein echtlyrischer Laut. Sonst herrscht überall, selbst in seinen populär gewordenen Legenden und Paramythien, die didaktische Absichtlichkeit vor, welche dann in den gänzlich verfehlten dramatischen Rhapsodien (Adme- tus, Ariadne, Prometheus u. a.) in gemachte Allegorien ausläust, die den Leser frösteln machen. Herder's gelehrte Thätigkeit setzte die Lesstng's fort und wie bei diesem erscheint auch bei ihm das innige Bündniß, welches deutsche Wissenschaft und Kunst in der höheren Einheit der Nationalliteratur 88 Neuhochdeutsche Zeit. eingegangen, in seiner ganzen Fruchtbarkeit. Auch auf dem wissenschaftlichen Gebiete erwies sich Herder als erfolgreicher Anreger, insbesondere für historische Forschung und vernunftgemäßere Behandlung der theologischen Fragen. Er begann mit der Preisschrist über den Ursprung der Sprache (1772), welche dieses Problem, gegenüber den kindischen theologistischen Ansichten darüber, zuerst wissenschaftlich zu lösen stichle, ließ dann seine Aelteste Urkunde des Menschengeschlechts (1774) folgen, welche der Bibel den Platz anwies, der ihr im Entwicklungsprozeß der Weltgeschichte zukommt, und lieferte in seinen berühmten Ideen zur Geschichte der Menschheit (1784fg.), welche den Gedanken des Humanismus und die fortschreitende Pcrfectibilität unseres Geschlechtes geschichtsphilosophisch begründeten, ein weltbürgcrliches Seitenstück zu seinen Volksliedern. In den späteren Arbeiten Herder's verräth sich überall eine unerquickliche, mit einer guten Dosis theologischer Rechthaberei versetzte Verstimmung und Verbitterung, die ihn sogar den Mißgriff begehen ließ, gegen die kantische Philosophie in einer Art zu reagiren (Metakritik 1799, Kalligone 1800), welche nur bewies, daß ihm Kant auf dem strengphilosophischen Felde unendlich überlegen war. Auch die Briefe zur Beförderung der Humanität (1793 fg.) und die Adrastea (1801 fg.) sind — Altersproducte, welche Göthe und Schiller zu der gegründeten Klage Veranlassung gaben, daß Herder darin den Ton eines vornehmen katholischen Prälaten angenommen, dem Mittelmäßigen eine unglaubliche Duldung an- gedeihen lasse, Gutes und Unbedeutendes rednerisch vermische, das Elende tolerire, das Vermoderte verehre und das Lebendige mißachte. So mußte also dieser große und edle Geist der Schwäche unserer Natur zuletzt ebenfalls seinen Tribut entrichten. (Herder's sämmtl. Werke, 1826fg., 55 Bde.) 10 . Wir sagten, Herder's Verhältniß zur Nationallitcratur sei das eines Vermittlers zwischen der lessing'schen Kritik und der originalen Production gewesen. Was er und sein großer Vorgänger in Beziehung auf letztere ahnend gewollt und gestrebt, fand zwar erst durch Göthe seine Erfüllung, allein auch in der Literaturgeschichte gibt es keine Sprünge und so müssen wir unsere Aufmerksamkeit zunächst noch aufdic Vorgänger und Mitstrebenden Neuhochdeutsche Zeit. 89 dessen richten, welchen man ohne Zwang als den Messias unserer Dichtung bezeichnen kann. Bei dieser Betrachtung begegnen wir zwei Dichtergruppen, dem göttinger Hainbund und der rhein - und mainländischcn Genossenschaft, welche beide von dem Sturm und Drang der Zeit erfüllt sind und gleichermaßen eifrig der Losung: Natur, Freiheit, Originalität, Genialität! folgen, dennoch aber unter sich schon dadurch verschieden erscheinen, daß die süddeutschen Stürmer und Dränger nur durch das Band der Zcitstimmung zusammengehalten werden, während die norddeutschen, in Nachahmung der sprachlichen und literarischen Orden des 17. Jahrhunderts, zu einem wirklichen Dichterbund zusammentreten und dadurch den Versuch machen, der Poesie eine soziale Gestaltung zu geben. Eine äußerliche Aehnlichkcit zwischen beiden Gruppen läßt sich jedoch auffinden: jede von ihnen hatte in ihrer Mitte einen praktisch verständigen Mann, welcher der literarischen Bewegung herzlich zugethan war und -dieselbe in seiner Art förderte, aber zugleich auch ihre Verirrungcn mit Takt in die gehörigen Schranken zurückwies. Unter den Göttingern spielte diese Rolle Heinrich Christian Boie (1744 — 1804), welcher mit dem Opcrndichter Friedrich Wilhelm Götter (1746 — 97) den göttinger Musenalmanach gründete (1770), den später Bürger und der Epistolograph und Epigrammatiker L. F. G. von Göckingk (1748 — 1828) redigirten, unter den Rhein - und Mainländern Heinrich Merck (1741—91), welchen Göthe im Scherze seinen Mephistophelcs nannte und dessen gescheidt sarkastische Kritik dem großen Dichter höchst ersprießliche Dienste leistete. Göttingcn hatte durch Kästner, Lichtenberg und mehr noch durch Hehne, welcher das Alterthum zu einer Schule für Herz und Verstand zu machen wußte, große Anziehungskraft für die strebsame Jugend gewonnen. Hier sammelten sich um Boie und Boß eine Anzahl mehr oder weniger begabter Männer und Jünglinge, Hölty, Miller, Wehrs, Ewald, I. F. Hahn, die beiden Stolbcrge, Esmarch, Clauswitz, Closen, Cramer, Klöntrup, Bürger^ In naher Beziehung zu diesem Kreise standen auch I. A. Leisewitz (1752— 1806), der in seinem Trauerspiel Julius von Tarent die Dranggenialität mit lessing'scher Formstrenge zu verbinden suchte, und Matthias Claudius (1740 — 1815), genannt Asmus, der Wandsbecker Bote, von welchem einzelne schöne Lieder zu großer Popularität gelangten (Bekränzt mit Laub den lieben vollen Becher — Der Mond ist aufgegangen), der aber aus seiner ursprünglichen aufklärerischen Stimmung in eine pictistische Verstimmung hineingetrieben wurde, deren Einfälle und Erpcctorationcn er in einer 90 Neuhochdeutsche Zeit. humoristisch sein sollenden Unform zu popularifiren sich bemühte. Die eigentliche Seele des göttinger Hainbundes war Johann Heinrich Voß (1751 — 1826) aus Sommersdorf in Mecklenburg. Auf seine Anregung wurde der genannte Bund von ihm und seinen nächsten Freunden geschlossen, indem die jungen Männer in der Abenddämmerung des 12. Septembers 1772 unter einsamen Eichenschatten das auf „Religion, Tugend, Empfindung und unschuldigen Witz" lautende Bundesgelübde feierlich ablegten und sich unter einander ewige Freundschaft schwuren. Voß wurde zum Aeltesten gewählt, Klopstock als Schutzpatron des Bundes proclamirt, dem „ Sittenverderber" Wieland Fehde geboten. Zugleich bestimmte man, daß an jedem Sonnabend die Gesellschaft zusammentreten sollte, um die angefertigten Gedichte der Mitglieder zu hören und zu beurtheilen; die für gut bcftmdcnen sollten in das zu diesem Zwecke angelegte Bundcsbuch eingetragen werden. Das öffentliche Organ des Bundes wurde zunächst der Boie'sche Musenalmanach, dessen Titel „ leider" ein welscher war. Leider! denn der Kern des göttinger Dichter- vereins war ein dem Voltaireismus und Wielandismus schroff entgegengesetzter klopstockisch-teutonischer Patriotismus mit obligatem Bardengeschrei einerseits, andererseits der klopstockisch-elegische Natur- und Freundschafts- enthustasmus, welcher letztere vielfach in eine ganz unglaubliche, ja geradezu komische Wehmuth und Empfindclci ausartete. Am liebenswürdigsten veranschaulicht diese elegische Seite des Hainbundes der sanfte Ludwig Hölty (1748— 76) mit seiner gemüthlichen, dem Natur- und Volksleben abgelauschten Lyrik, am breitesten Johann Martin Miller (1750— 1814) mit seinem thränentriefcnden Klosterroman Siegwart(1776), dessen Weincrlich- keit bekanntlich ein Meer sympathetischer Zähren hervorgerufen hat. Voß selber versuchte sich zunächst in der klopstock'schcn Bardenodc, sein aufbürger- lich-kernhafte Verständigkeit angelegtes Naturell verhalf ihm jedoch bald zur Emanzipation von dem forcirten Tcutonismus und er begann in naturgemäßeren Töne», mit Vorliebe in der Form des Idylls, seine dichterische Welt, das ländliche und bürgerliche Kleinleben des deutschen Nordens, zu schildern. In dieser Weise ist ihm besonders sein Idyll vom Schulmeister Tannn (der siebzigste Geburtstag) und das größere in drei Gesängen, Luise, gelungen und sind beide Gedichte der Nation bis auf diesen Tag lieb und werth geblieben. Voß war sein Lebenlang ein strenger Rationalist mit demokratischen Neigungen und er hat sich bei verschiedenen Gelegenheiten durch seine energische Bekämpfung aller romantischen Faselei um die deutsche Geistesfrciheit wohl- Neuhochdeutsche Zeit. 91 verdient gemacht. Noch Größeres für die nationale Bildung leistete er vermittelst seiner Uebersetzung des Homer (1781 fg.), wodurch dem deutschen Publicum die Welt des Alterthums eigentlich erst aufgeschlossen wurde. Wie sehr dies auch der Nationalliteratur zu gut kommen mußte, welche frisch- sprudelnde Quellen der Vernunft und Schönheit ihr dadurch zugeführt wurden, wird durch den. ganzen Verlauf ihrer Geschichte in den letzten zwei Dezennien des 18. Jahrhunderts bewiesen. Die Rückkehr aus der theologisch- christlichen Weltanschauung in die menschlich - antike manifestirtc sich immer entschiedener in ihr, und indem sie diese Rückkehr in classisch-schönen Werken ausprägte, verkündigte sie die Lehre des Humanismus stets Wirkungsreicher der eigenen Nation und den fremden Völkern. (Voß's sämmtliche Gedichte, 1802, 7 Bde.) Einen ganz anderen Rückzug aus dem teutonischen Freiheitsdrang als Voß machte der GrafFricdrich Leopold v. Stolberg (1750— 1819) — von seinem älteren Bruder Christian, der mit ihm zum Hainbund gehörte, ist gar nicht mehr zu sprechen— indem er die Kraftgcnialität, welche ihm ein Vardcngcbrüll entlockt hatte, das nach Inhalt und Form beinahe durchweg ein Attestat für's Tollhaus war, nach seinem Abgänge von Göttingen alsbald wieder mit der Gräßlichkeit zu vertauschen begann. Hinter der Maske altdeutschen Patriotismus trat dann die Sehnsucht kcS Mannes nach Restitution des Mittclalters in Kirche und Staat immer deutlicher hervor und er suchte für seine Person dieser Sehnsucht Genüge zu thun durch den Uebcrtritt zum Katholicismus, 'vorauf ihn Voß mit seiner grimmigen Schrift: Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier? litcrarisch mundtodt machte. Er ist jetzt mit seiner Dichterei, seinen Reise-beschreibungen und seiner kirchlich - dunkeln Historik in der Rumpelkammer der Literatur verschollen und nur darum noch zu nennen, weil er die Reihe der romantischen Ueberlaufer zur Römclei mit Eclat eröffnete. Der eigentliche Poet in der göttinger Dichtergruppc ist Gottfried August Bürger (1748 — 94) aus Wolmcrswcndc bei Harzgerode und er ist es gerade deßhalb, weil er sich nicht, wie die anderen, von der geschmacklosen Hohlheit des Bardcnthums bestechen ließ, wenn gleich ein Freiheitsdrang in ihm waltete, der an Kraft und Jn- lensivität den der Hainbündler weit übertraf. Man braucht, um dies wahr zu finden, nur seine eine Strophe vom Mannestrotz mit den Vardcnlicdcrn der letzteren zusammenzuhalten. Bürger kannte die Welt und das Leben. Er hatte diese Kenntniß mit zu viel Leid erkauft, um sich den Illusionen der Hainbündler hinzugeben, welche nach Merck's Ausdruck das Poetische ver- 92 Neuhochdeutsche Zeit. wirklichen wollten. Diese richtige Einsicht bestimmte auch sein Dichten. Er erkannte, daß es seit 1748, woKlopstock mit dem Messias hervorgetreten, schon lange her sei, daß daher die deutsche Poesie jetzt ganz anderer Anregungen bedürfe, als dieses Gedicht zu gewähren vermöge, und daß man dem poetischen Bedürfniß des Volkes, um es zu befriedigen, andere als Halleluja- kost bieten müsse. Auf populäre Wirkung aber war all sein Schaffen — dem wir bekanntlich auch die prächtige Münchhausiadc (1787) verdanken — mit Bewußtsein gerichtet, und wenn er dadurch oft zum Hinabgleiten in's Triviale verführt wurde, so stellt er sich im Ganzen doch als wirklichen Volksdichtcr im besten Sinne dar und wird von unserem Volke dankbar noch immer zu seinen Licblingspocten gezählt. Er schulte sein großes Talent zur Balladendichtung, die er in unserer Literatur erst einbürgerte, mit gutem Takt an den altcnglischen Balladen, welche Perey >76-7 wieder aus Licht gezogen hatte, und schuf dann seine Lconorc, seine wilde Jagd, sein Lied vvm braven Mann und andere derartige Dichtungen, die durch glückliche Wahl des Stoffes, durch Bestimmtheit der Zeichnung und Lebendigkeit der Malerei, Leichtigkeit des Versbaues und volksthümliche Frische der Sprache nun schon so vieler Generationen Phantasie und Gemüth ergriffen haben und dem Namen ihres Dichters nicht bloß eine bibliothekarische, sondern eine im Herzen und Mund des Volkes lebendige Unsterblichkeit sichern. (Sämmtl. Werke, 1829—33, 8 Bde.) Den Ucbcrgang von den norddeutschen Stürmern und Drängern zu den südwestdcutschen bildet Friedrich Müller (1750—1825), genannt der Maler Müller, aus Kreuznach. Ob er mit den Göttingcrn in näherem Verkehr gestanden, läßt sich nicht bestimmen, jedenfalls aber ging sein Dichten von teutonisch - ossianisch - heroischen Anschauungen aus (Rhin und Luitberta). Sonst verräth er überall das drangvolle Umhertasten der Dichterjugend jener Zeit nach neuen Stoffen und Formen. Er schreibt Idyllen mit Anklängen an Geßner nnd Voß, wagt sich aber zugleich auch daran, ein Lieblingsproblem der Sturm- und Drangperiode, die Sage vorn Doctor Faust, dramatisch zu gestalten (1776) und wird durch seine mit lyrischer Hast und Leidenschaftlichkeit hingeworfenen Gcnovcfa - Szenen ein Vorläufer der romantischen Schule. (Gesammelte Werke, 1825, 3 Bde.) Man erkennt demnach schon an Müller, daß die Main- und Rheinländer, für welche Straßburg, Gießen und Frankfurt locale Mittelpunkte abgaben, sich umfassendere und höhere Ziele steckten als die Hainbündler, deren Dichten nach Geist und Form ein Neuhochdeutsche Zeit. 93 wesentlich lyrisches war. Die südwestdcutschen Stürmer, Reinhold Lenz (1750—92), Friedrich Maximilian Klinger (1752 oder 1753—1831), Leopold Wagner (1747—79), Ludwig Philipp Hahn (1746—87) und Göthe, werden in ihrem jugendlichen Feuer und Ungestüm, in ihrer revolutionären Auflehnung gegen das Herkömmliche am besten durch das Wort Titanismus charaktcrisirt. Es gährte und brauste in ihnen ein titanisches ^ Wollen, eine Kraftgenialität, deren Gefühle und Ueberzeugungen sie mit Vorliebe vermittelst der „Wucht des dramatischen Pathos", vermittelst der Form des Drama's, geltend zu machen suchten. Freilich entsprach nur bet dem einen Göthe, wie wir sehen werden, dem Wollen das Können in vollem Maaße. Einige seiner Mitstrcbeudcn — er hat sie im 14. Buche seiner Selbstbiographie geschildert — verschwendeten ein unzulängliches Talent an tragischen Vorwürfen, aus welchen sie nur kraftgenialische Monstruositäten zu machen wußten, wie Hahn (der Aufruhr von Pisa) und Wagner (die Kindesmörderin), Andere wußten sich selbst mit der reichsten Begabung weder im Leben noch in der Dichtung zurechtzufinden. So der unglückliche Lenz, den der Zwiespalt zwischen Poesie und Wirklichkeit endlich nach vielen genialischen „Affenstreichen" im fernen Rußland dem Wahnsinn in die Arme trieb. Seine Dramen (der Hofmeister, die Soldaten, der neue Mcnoza u. a.) veranschaulichen, was Göthe damit meinte, wenn er sagte, die Verehrung Shakspeare's sei untck seinen Jugendfreunden bis zur Anbetung gestiegen. Hier ist überall ein Stück Shakspcarc, aber ein tollgcwordener Shakspcare. Da fährt Tragik und Komik, das Barockste, Fratzenhafteste und doch hin und wieder das Zarteste und Innigste in flimmerndem Gewusel durcheinander, daß Einem Sehen und Hören vergeht. (Gesammelte Schriften , hrsg. v. Ticck, 1828, 3 Thle.) Von gediegenerem Stoffe war Klinger, ein Mann voll sittlichen Ernstes, nach Ueberwindung seines jugendlichen Vulkanismus in der Uniform eines russischen Generallieutnants die stoisch unabhängige Gesinnung eines altrömischen Republikaners bewahrend. Unter seinen Erstlingswerken findet sich ein Schauspiel, Sturm und Drang, welches dieser ganzen Literaturpcriode ihren passenden Name» gegeben hat. Die Personen, welche darin auftreten, charakterisircn recht gut die titanische Verzweiflung und den titanischen Ucbermuth einer poetischen Jugend, welche sich, mit Klinger zu sprechen, über eine Trommel wollte spannen lassen, um eine neue Ausdehnung zu kriegen, oder im Raum einer Pistole hätte eristircn mögen, harrend, daß eine Hand sie in die Luft knallte. Das wahre Wesen der Neuhochdeutsche Zeit. 94 Kunst, ihre Sclbsthcrrlichkeit, hat Klinger nie begriffen. Er schrieb erst seine Trauerspiele, unter welchen besonders die Zwillinge, die den Preis über Lcisewitz's Julius von Tarcnt davontrugen, bekannt wurden, dann eine Reihe von Romanen, um zu demonstriren, zu warnen, zu strafen. Und worauf lief seine Didaris hinaus? Auf die trostlos fatalistische Ansicht, daß die Welt doch nur ein großes Narrenhaus sei, daß das Gute und Edle nur da sei, um zu leiden und unterzugehen, während das Gemeine und Böse trium- phirc. Seine Dramen, die trotz dem großartig vulkanischen Feuer der Sprache etwas Unbelebtes, Mumienhaftes haben, find jetzt kaum noch zu lesen, dagegen verdienen seine demonstrativen Romane (Faust, Giafar, Ra- phael de Aguillas, Reisen vor der Sündflut, Sahir, der Weltmann und der Dichter, Geschichte eines Deutschen, der Faust der Morgenländer) die Vergessenheit, welcher sie verfallen sind, keineswegs. Denn trotz vieler Graß- heiten und Grellheiten, in welchen sie sich gefallen, verrathen sie überall den scharfen Beobachter und gründlichen Kenner von Welt und Menschen und die edle Sinnesweise eines einsamen Denkers, welcher die lebhafteste Theilnahme an seinem Geschlechte mit dem Panzer der Resignation verhüllte. (Klinger s sämmtl. Werke, 1842, 12 Thle.) Wir haben nun, soweit es in Kürze geschehen konnte, das Wollen der Sturm- und Drangperiode und ihrer Repräsentanten charaktcristrt. Wir sahen, daß überall neue Mittel und Wege versucht, neue Verheißungen laut wurden. Jetzt müssen wir unsere Betrachtung den zwei Männern zukehren, welche für unsere Nationalliteratur die Erfüllung dieser Verheißungen brachten, Göthe und Schiller. Beide stehen auf dem Boden der Sturm- und Drangzcit. Aber Beide arbeiten sich aus den Unklarheiten, den Gegensätzen und Widersprüchen derselben siegreich heraus und erheben die Literatur in die Sphäre wirklich originaler Produktion, jener die ästhetische EntwicklungsPhase der deutschen und europäischen Cultur als vollendet freier Künstler abschließend, dieser den Uebergang von der Idee der Schönheit zu der Idee der Freiheit, von der freien Kunst zum freien Staat anbahnend und eröffnend. 11 . Johann Wolfgang Göthe wurde am 28. August 1749 zu Frankfurt a. M. geboren. Die Verhältnisse seines väterlichen Hauses waren so, daß dem Knaben nach allen Seiten hin eine harmonische Entwicklung keines Neuhochdeutsche Zeit. 95 geistigen und körperlichen Organismus gesichert war. Nie lernte er jenes qualvolle Ringen mit des Lebens Nothdurst kennen, welches in der deutschen Literatur so viele Unzulänglichkeiten und Mißgriffe verschuldet, so viele Talente vorzeitig geknickt, so viele auf Abwege geführt, so viel edles Streben zur Gemeinheit herabgedrückt hat. Die Natur hatte ihm einen Körper verliehen, dessen sorgfältig ausgebildete Vorzüge den Zauber der Schönheit, deren Prophet er werden sollte, scho.» in seiner persönlichen Erscheinung wirksam hervortreten ließen. Das Glück gab ihm eine Mutter, welche, selber in hohem Grade genial, dem Genius des Sohnes zu fröhlicher Entfaltung vcrhalf, einen Vater, dessen achtsame Verständigkeit und Solidität den jungen Wolfgang in die schwere Kunst des Maaßhaltens einweihte, endlich in Merck einen Freund, welcher recht eigentlich dazu geboren schien, die ebenso befruchtenden als widerspruchsvollen Anregungen, welche Göthe in seinen Jünglingsjahren von Seiten Hamann's und Herder's, Klopstocks und Lessing's, Basedow's und Lavater's, Winckelmann's und Jakobi's, Len- zen's und Klinger's erhielt, zum Besten zu lenken, einen Freund, der Göthe immer wieder aus dem Gedränge jugendlicher Leidenschaft und äußerlichen Tumults in die Stille des eigenen Herzens hinüberrettcte und ihm auch zuerst seine Mission als Dichter klar machte, indem er ihm gegenüber dem unfruchtbaren Bemühen der Stürmer und Dränger, das Poetische zu verwirklichen , die realistische Aufgabe zuwies, dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben, dem realen Stoff ein ideales Gepräge aufzudrücken. Indem Göthe diese Aufgabe erfaßte und löste, konnte er später sagen, daß alle seine Werke Bekenntnisse seien, d. h. daß er nur gedichtet, was er gelebt. Um dieses näher zu verstehen, braucht man nur seine Frauengestalten zu betrachten, auf deren Naturwahrhcit einer der schönsten Vorzüge göthe'scher Dichtung beruht. Was er an Grctchcn, Acnnchcn, Friederike, Lotte, Lili und Charlotte geliebt, was er durch sie und mit ihnen gelitten und genossen, das lebte in seiner Seele, als er die Maria, Margarctha, Lotte, Clara, Jphi- genia, Leonore, Dorothea, Natalie, Aurelie, Eugenie und Charlotte seiner Werke schuf, damit sie ein Leben ewiger Schönheit lebten. Hervorzuheben ist in Göthc's Bildungsgeschichte namentlich auch seine frühe Richtung auf die bildende Kunst. Daß er schon als Knabe den Stift des Zeichners fleißig handhabte und sein Auge an Kunstwerken künstlerisch übte und gewöhnte, das hat ihm später geholfen, seine poetischen Figuren mit so plastischer Sicherheit, Bestimmtheit und Rundung hinzustellen. 96 Neuhochdeutsche Zeit. Das Erwachen seines Genius begann sich während seines Aufenthalts auf der Universität Leipzig (1765—68) leise anzudeuten. Weniger jedoch in seinen um diese Zeit entstandenen beiden Lustspielen, die Laune des Ver- liebten und die Mitschuldigen, welche noch ganz nach französischem Zuschnitt in Alerandrinern geschrieben sind, als vielmehr in den ersten Klängen seiner Lyrik, welche das Leipziger Liedcrbüchlein von 1768 bewahrt. Man muß dieses aufschlagen oder die Musenalmanache jener Zeit, welche Beiträge von Göthe enthalten, durchblättern, um die Wirkung nachzuempfinden, die seine Lieder hervorbringen mußten. Hier war endlich unmittelbare, volle und ganze Poesie, aus einer reichen Brust gegriffen und in Formen gekleidet, die an Naivetät und Frische mit dem deutschen Volkslied in seinen edelsten Aeußerungen wetteifern. Die ganze Tonleiter der gothischen Lyrik, von dem flüchtigen Liebcsseufzer an, mit welchem er in der Sommernacht die Hütte der Liebsten verläßt, bis hinauf zu den herrlichen Oden und Hymnen, in welchen der Dichter, dem von ihm geschilderkewZcus gleich, aus rollenden Wolken segnende Gedankenblitze über die Erde säet, durchweht eine Gesundheit der Empfindung und eine Wahrheit des Ausdrucks, welche den Leser oder Hörer mühelos emporheben über die Pein und Noth des Lebens, dessen Realität hier ideale Gestaltung gewonnen hat. Man durfte mit Recht von der Lyrik des Meisters sagen, sie sei an Glanz, Duft und Geschmack altem edlem Wein vergleichbar, welchem man seine Heimat, sein Gewächs, seinen Jahrgang und Boden noch anschmccke, der aber von alledem nur die feinsten und lieblichsten Arome behalten und sie zur köstlichsten Weinblume vergeistigt habe. Wer die Wirkung eines gothischen Liedes, einer göthischen Elegie oder Ode nicht zu empfinden vermag, dem wird die Welt der Poesie stets eine verschlossene bleiben. In die Zwischenzeit von dem leipziger Aufenthalt des Dichters und dem in Straßburg, wohin er zur Vollendung seiner juristischen Studien 1769 ging, fallen allerlei körperlich und geistig krankhafte Verstimmungen. In Straßburg, wo deutsches und französisches Leben in anregender Wechselwirkung sich berührte, entriß er sich denselben. Herder's Umgang eröffnete ihm da>elbst die Welt Homer's, Ossian's und Shakspeare's. Die kraftgcmale Genossenschaft, die sich in der schönen Stadt zusammengefunden, Liebe und Naturgenuß regten ihn zum Schaffen an und die Beschäftigung mit bildci-- der Kunst und naturwissenschaftlichen Fragen bewahrte ihn vor einer Verzettelung von Leben und Talent in maaßlosem Sturm und Drang. Groß- 97 Neuhochdeutsche Zeit^ artige Probleme der Poesie schwebten ihm damals vor der Seele, die Legende vom ewigen Juden, welche in krastgenialer Manier nur sehr fragmentarisch ausgeführt wurde, die Geschichte Mohammed's, welcher er aber nur einen lyrischen Monolog abgewann, der Mythus von Prometheus, ebenfalls nur in seinen Grundzügen zu dramatischer Behandlung gediehen (1773), und die nationale Faustsage, aus welcher der Dichter sein und der deutschen Literatur größtes Werk gestalten sollte. Zunächst blieb dieses jedoch mehr nur Intention und Entwurf, denn die Lectüre der Denkwürdigkeiten des Ritters Götz von Berlichingcn drängte Göthe zur Conception und Ausführung seines gleichnamigen Schauspiels, welches auf Mcrck's Andringen 1773 erschien und mit Jubel aufgenommen wurde. Es ist eine Frucht der Bewunderung Shakspcare's, aber nicht einer nachahmenden, sondern selbstständig nacheifernden Bewunderung, ein herrliches Zeugniß von jener schon berührten Grundcigenschaft Göthe's, dem Wirklichen den Stempel des Ideals aufzu-' drücken. Denn bekanntlich war der gute Götz eigentlich ein sehr gewöhnlicher Geselle, durch unsern Dichter aber ist er zu einem deutschen Volkshelden geworden. Das Stück ist auch dadurch sehr beachtcnswerth, daß Göthe darin in weit höherem Grade, als jemals nachher, historischen Sinn bewiesen hat. Der Götz reproduzirt wirklich das 16. Jahrhundert, er führt uns mitten in den Sturm und Drang jener Zeit hinein und stellt uns ihre Zustände und Strebungen mit anschaulichster Wahrheit vor Augen, ohne daß irgend eine Modernität störend zwischen uns und das lebensvolle Bild träte, welches in Gehalt und Form zu einem durchaus deutschen Volksdrama sich abrundet. Hier hatte es der Sturm und Drang endlich zu einer großen nationalliterarischen That gebracht, die unsere Bühne vollständig vom Fran- zoscnthum und seiner kalten Regel emanzipirte. Nach Geist und Form war demnach der Götz ein poetischer Ausdruck des patriotischen Frcihcitsgefühls von damals. Die gemüthliche und soziale Seite desselben, das Anstürmen gegen die philisterhafte Convcnienz des deutschen Lebens gestaltete Göthe ebenso dichterisch meisterhaft in seinen Leiden des jungen Werther (1774), welcher erste deutsche Originalroman zunächst wieder als ein göthe'schcs Bekenntniß sich darstellt, als ein Bekenntniß seiner Liebe zu Charlotte Kcstner in Wetzlar, wohin der Dichter 1772 gegangen, um beim Reichskammergericht zu practiciren. Der Werther machte ungeheure Sensation. Er war aus dem Herzen der Zeitstimmung herausgeschrieben und wirkte so gewaltig auf dieselbe zurück, daß der bedächtige Le>sing dem Roman ein cyntschcs 7 98 Neuhochdeutsche Zeit. Schlußkapitel angehängt wünschte, um den Triumph der Mächte des Gemüths nicht in sentimentale Verschrobenheit und Tollheit ausarten zu lassen, wie das wirklich vielfach geschah. Die nächsten Jahre Göthe's werden durch kein Werk von größerer Bedeutung bezeichnet, denn die beiden Trauerspiele Clavigo (1774) und Stell« (1776) find ein so entschiedener Zurückgang von dem durch Götz und Werther markirten Vorschritt, daß der derbe Merck nicht so ganz Unrecht hatte, sie als „Quark" zu verwerfen. Eine größere Freude hatten er und alle gescheiten Leute an dem satirischen Krieg, welchen Göthe damals gegen Wie- land's Französirung des Hellenenthums, gegen Nicolai's kritische Anmaßung, Bahrdt's schnellfingrige Leichtigkeit, Vascdow's Cynismus, gegen die empfindende Freundschaftschmarotzerei und andere Zeitgcbrechen eröffnete (Götter, Helden und Wieland, Pater Brei, Satyros, Prolog zu den neuesten Offenbarungen Gottes, Jahrmarktsfest zu Plundersweilern). In den meisten dieser dramatischen Farcen brachte er den ehrlichen deutschen Knittelreim wieder zu Ehren, auf welchen ihn die Bekanntschaft mit Hans Sachs geführt, dessen poetische Sendung er in dem gleichnamigen Gedicht so schön gewürdigt hat. Die Berufung Göthe's nach Weimar (1775) durch den jungen Herzog ^ Karl August führte den Dichter in die Bahn des Hoflebens, welches durch ' ihn für eine Reihe von Jahren einen ganz genialischen Anstrich erhielt. Denn er bezauberte, wie Wieland meldet, Männlein und Weiblein und brachte es dahin, daß der ganze Hofhält nach seiner Pfeife tanzen mußte. Der Herzog stand mit Göthe auf dem Fuß traulichster Freundschaft und so kann es nicht Wunder nehmen, wenn für einige Zeit in der kleinen Residenz eine studentische Genicwirthschaft etablirt wurde, die mit mündlichen und schriftlichen Redensarten, wie „wir machen Teufels Zeug" — „ist uns auch sauwohl worden" — „man muß die bestialische Natur brutalisiren", nicht geizte. Der Lärm solcher in's Leben übertragenen Genialität, welche Jagd, Tanz und Gelage mit Liebes- unv Komödienspicl abwechseln ließ, war der Mu^e nichr sehr hold. Zwar beschäftigte sich Göthe in den Stunden, wo er sich aus dem Tumult in die Stille seines Gartenhauses zurückzog, mit größeren poetischen Entwürfen, fand aber doch nur Muße und Stimmung, ^ kleinere auszuführen. So die Dramen und Singspiele: die Geschwister, der Triumph der Empfindsamkeit, Lila, Jery und Bätely, wozu sich später die Fischerin und Scherz, List und Rache gesellten. Die Fartcatchers Göthe's, wie z. B. der gute Zelter in Berlin, haben sich noch lange nachher gn diesen Neuhochdeutsche Zeit. 99 Sächelchen erbaut. Der Unbefangene wird darin weiter Nichts finden wollen als niedliche Kleinigkeiten, die ein begabter Mann niederschrieb, um das Seinige zu den Unkosten höfischer Feste beizusteuern. So eine göthe'sche Beisteuer waren dann auch die Vögel, eine mit aristophanisch kecker Laune die urtheilslose Lcsesucht des Publicums geißelnde Farce, Es war ein Glück für Göthe, daß durch Uebertragung der Kammer- prästdcntschaft an ihn (1782) wieder mehr Stetigkeit in sein Leben kam, Doch drängte es ihn, für einige Zeit allen Verhältnissen, die ihn fesselten und wohl auch drückten, sich zu entreißen und jenem längst empfundenen Zuge seiner Seele nachzugeben, welcher ihn im sonnigen Süden neue Kraft und Lust zum Schaffen suchen hieß. Er ging daher 1786 plötzlich nach Italien, um fast zwei volle Jahre daselbst zu verweilen. Hier erhielt im Anschauen eines schönen Naturlebens und der Werke antiker Kunst seine plastische Künstlerschast ihre höchste Weihe und so weihevoll vollendete er sein Drama Jphigenie in Tauris, dessen hellenischer Marmorschönheit er so wunderbar die deutsche Seele einzuhauchen wußte. Auch das Drama Eg- mont kam hier zum Schluß und Tasso ward begonnen, um dann zwei Jahre ^ später, in jambischen Rhythmus gekleidet, der Jphigenie als ebenbürtiges ' Kunstwerk zur Seite gestellt zu werden. Der Egmont, welcher die prosaische Form des ursprünglichen Entwurfes beibehielt, ist eines der wirksamsten Bühnenstücke Göthe's, aber gerade in diesem Drama macht sich uns der Mangel des Dichters an historischem Sinn und Gefühl sehr bemerkbar. Es ist wahr, er hat seine Eigenthümlichkeit, in den Gebilden seiner Phantasie das Reinmenschliche zur Anschauung zu bringen, auch hier schön bewährt, allein sein früherer Meister Shakspeare hätte ihn belehren müssen, daß die Poesie keinesfalls berechtigt ist, aus einem Helden des 16. Jahrhunderts, aus einem Mann, der für die Freiheit seines unterdrückten Volkes das Blutgerüst beschritt, einen sentimental tändelnden Gardelieutnant zu machen. Weitere Früchte der italienischen Reise waren das glcichbetitelte vortreffliche Rciscwerk, ferner die prächtigen römischen Elegien, welche „die dürftige Maske der Heuchelei" so liebenswürdig verschmähen, und die geistvollen ^ Epigramme aus Venedig. Wenn es aber unserem Dichter nicht gegeben war, im Egmont eine um zwei Jahrhunderte zurückliegende Revolution historisch zu würdigen, wie hätte er diese Würdigung der so nahe an ihn herantretenden französischen Staatsumwälzung angedeihen lassen können? Er hatte zwar versucht, sich durch sein unbedeutendes Schauspiel der Großcophta, 7* 100 Neuhochdeutsche Zeit. worin die berüchtigte Halsbandgeschichte behandelt wird, in seiner Weise die Ursachen des welthistorischen Ereignisses klar zu machen, aber ohne Erfolg, und als er vollends seinen Herzog zu der jämmerlich mißlungenen preußischen Campagne in, der Champagne (1792) und zu der Belagerung von Mainz begleitete (1793) und bei diesen Gelegenheiten einerseits von allerlei Fürstlichkeiten bekomplimcntirt, wie andererseits von dem Unbehagen des Krieges verstimmt wurde, da blieb er nicht mehr dabei stehen, aus dem ihm unverständlichen Wirrwarr der Zeit in die Naturwissenschaften zu flüchten oder sich durch Umarbeitung des alten Reincke Fuchs in Hexameter in derselben zu orientiren oder auch vermittelst novellistischer Darstellungen (Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter) über die ganze fatale Geschichte sich hin- wegzumystifiziren, nein, er ging darauf aus, sich die französische Revolution vorn Halse zu schaffen, wie er sich seine Liebcsqualen vorn Halse zu schaffen gewohnt war, indem er sie künstlerisch objcctivirte. Aber es ist ein Unterschied zwischen einer Liebschaft und einer Revolution, ein so großer, wie zwischen dem Werther und den schaalen Dramen der Bürgcrgcneral und die Aufgeregten, worin Göthe mit der witzlosen Witzelei eines deutschen Philisters die Idee der Revolution lächerlich zu machen suchte. Die Göthomanen finden natürlich auch diese Sachen groß und bedeutend, allein man hat denn doch allmälig gelernt, das Geschwätz von Leuten unbeachtet zu lassen, welche in ihrer Bewunderungswuth schon so viel unnützen Papierkorbplunder Göthe's veröffentlichten und nicht ruhen werden, bis sie auch noch göthc'sche Papier- fetzen von einer nicht näher zu bezeichnenden Sorte edirt, commentirt und pflichtschuldigst adorirt haben. Unsern Dichter stieß das männliche Freiheitsideal ab — wohl! Seine Empfänglichkeit war nach anderen Seiten hin gerichtet und er bekannte offen, daß ihn die Ereignisse der amerikanischen und französischen Revolution (deren wohlthätige Folgen er jedoch später laut einer Aeußerung vorn Jahre 1824 anerkannte) nur insofern berührt hätten, als sie die größere Gesellschaft intercsstrten. Er selbst und sein engerer Kreis habe sich mit Zeitungen gar nicht befaßt, ihnen sei nur darum zu thun gewesen , den Menschen kennen zu lernen, die Menschheit überhaupt hätten sie gerne gewähren lassen. Gut. Es wird keinem billig Denkenden einfallen, Göthe darum zu schmähen, weil er sich zu einer Betheiligung an der geschichtlichen Bewegung der Zeit nicht erheben konnte. Aber was sollen wir denken, wenn wir unsern großen Dichter durch diese Bewegung so tief in die deutsche Lakaienhaftigkeit zurückgeschreckt sehen, daß er in seinen Propyläen den deut- Neuhochdeutsche Zeit. 101 scheu Künstlern im vor Devotion ersterbenden, wahrhaft hündisch kriechenden Curialstyl des 17. Jahrhunderts erzählen mochte, „Jhro des Königs der Niederlande Majestät habe ihm durch Jhro des Herrn Landgrafen von Hessen-Homburg Hochfürstliche Durchlaucht allergnädigst vermelden lassen, daß die hcmstcrhuys'sche Gemmensammlung in Allerhöchst Jhro Besitz wohl verwahrt sei." Kann man in dem Schreiber solcher Worte noch den Dichter des Götz und des Werther erkennen? Zwar schon im Taffo findet sich die bedenklich servile Aeußerung: „DerMensch ist nicht geschaffen, frei zu sein!" allein soweit war Göthe damals noch nicht vcrsürstelt, daß er, wie er später that, dem Naturdichter Hitler zugemuthet hätte, ein einziger Blick aus den Augen der Königin von Preußen müßte demselben genügt haben, „um sein ganzes Leben in eine würdige Hymne sich verlieren zu lassen." Ist das noch Göthe, derselbe Göthe, welcher mit stolzem Selbstgefühl von sich äußerte, er sei sich selber immer so vornehm vorgekommen, daß es ihm gar nicht merkwürdig erschienen wäre, wenn man ihn zu einem Fürsten gemacht hätte? derselbe Göthe, dem selbst Napoleon beim Schluß der bekannten Unterredung mit ihm zu Erfurt bewundernd nachrief: Das ist ein Mann!? Doch wir wollen uns nicht länger mit dem leidigen Geschäfte befassen, die Flecken der Sonne zu betrachten und zu zählen. Die Gunst des Geschickes, welche so augenscheinlich über Göthc's Leben gewaltet bat, führte ihm gerade in dieser Zeit, wo er in Gefahr war, sich selbst zu verlieren, den großen Freund und Mitstrebenden zu, Schiller, an dessen edler Natur sich seine erschlaffte Productionslust wieder neubeleben sollte. 12 . Johann Christoph Friedrich Schiller wurde am 11. November 1759 zu Marbach in Schwaben geboren. Die Verhältnisse seines väterlichen Hauses waren nicht der Art, daß sie, wie dies bei Göthe der Fall, dem Knaben und Jüngling die Mittel zu einer sorglosen und allseitigen Entwicklung von Körper und Geist gewährt hätten. Göthe wuchs in den behaglichen Zuständen eines wohlhabenden Hauses in einer reichen und vielfach bewegten Handelstadt heran, Schiller unter dem kleinlich pedantischen und kargen Zopfregiment, womit Herzog Karl von Würtemberg seine Karlsschule dirigirte. Der Druck, unter dem er athmete, erzeugte in seiner glühenden Seele jenen 102 Neuhochdeutsche Zeit. starken Gegendruck, welcher ihn emporhob in die ideale Sphäre, so gewaltig, so hoch, daß er die Berechtigung der Realität ftühe zu verkennen und zu ne- gircn anfing. Und weil er schon in jungen Jahren, wo die Eindrücke am lebhaftesten sind, mitten hineingestellt war in den Kampf des Lebens mit der Idee, so konnte er auf der einen Seite zu seinem Nachtheil nie zu jener objectiven künstlerischen Ruhe gelangen, welche Göthe der ungestört harmonischen Entwicklung seines Genius verdankte, auf der andern aber bildete gerade das einseitig sturmvolle Ringen mit der rauhen Wirklichkeit jenen stahlkräftigen dramatischen Nerv in ihm aus, welchen das mehr lyrische und epische Wesen Göthe's sehr oft vermissen läßt. Göthe's Dichtung wuchs aus dcr Unmittelbarkeit des Lebens hervor, Schillcr's aus der revolutionären Gedankenarbeit des Jahrhunderts. Jene nahm die Naturwisscnschaft und die bildende Kunst zu Führern, diese Philosophie und Geschichte; jene ist objectiv gestaltend, diese subjcctiv reflectircnd und selbst als Lyrik und Epik wesentlich didaktisch; jene findet in der Verwirklichung der Idee der Schönheit das höchste Streben erfüllt, diese will in der ästhetischen Welt der Schönheit die Idee der Freiheit als wesentliches Moment wirksam wissen. Beide Freunde sind vollkommen freie Menschen, beide haben sich von dem theologischen Dogma vollständig cmanzipirt, beide sind Heiden im edelsten Sinne des Wortes. Aber Göthe begnügte sich, ein freier Künstler zu sein und als solcher Alles, was die Vergangenheit und Gegenwart an süßen und schmerzlichen Erinnerungen, an Kraft und Leidenschaft, an Streben und Kenntniß besaß, zu Kunstwerken auszuprägen, Schiller dagegen betrachtete die Schönheit oder, was ihm gleichbedeutend ist, die allseitige humane Bildung als eine Schule der Freiheit und wies, vom Künstler zum Weltbürger aufsteigend, überall auf die Ziele der Zukunft hin. Diesem Wesen der beiden großen Männer entspricht auch ihre Wirkung. Die Idee der Kunst wird die Massen stets weniger elektrisiren als die der Freiheit. Daher die langsame Verbreitung der Schätzung von Göthe's Größe aus kleineren in weitere Kreise, daher die unermeßliche Popularität Schillcr's. Jene deutsche Prinzessin hatte vom prinzeßlichen Gesichtspunkte aus ganz Recht, wenn sie, in den Märztagen 1848 an Schillcr's Statue in Stuttgart vorübergehend, zornig ausrief: Der da ist an Allem schuld! Schillcr's Erstlingswerke, das Trauerspiel die Räuber und die lyrische Anthologie, erschienen 1781—82. Beide richteten sich mit wildgenialem Trotz ,,in t)'earmo8". Herzog Karl ging daher mit dem Gedanken um, den Neuhochdeutsche Zeit. 103 „ zugleich geschmacklosen und verbrecherischen" Dichter vom Titanismus zur Hospoctenschaft zu erziehen, wie ihm das vermittelst der hohenasperger Kerkerschule bei Schubart gelungen war. Der Rcgimentschirurgus Schiller fand indessen nicht für gut, einem solchen allergnädigsten Experiment sich zu unterwerfen, und floh im Herbst 1782 nach Mannheim, wo die Räuber mit rauschendem Beifall waren aufgeführt worden. Die Polizei des heiligen römischen Reichs war nicht so gut organisirt wie die des deutschen Bundes und so entging der Deserteur dem Mißgeschick einer Auslieferung. Aber es begannen für ihn kümmerliche Wandertage, bis er endlich imHause der Frau von Wolzogen zu Bauerbach bei Meiningen gastliche Aufnahme fand. Während seines unstäten Aufenthalts in den Rhein- und Maingegcnden vollendete er den Ficsko ( 1783 ) und Kabale und Liebe ( 1784 ). Beide Tragödien sind noch ganz im Sturm- und Drangstyl gehalten, doch macht die erstere den Versuch, sich auf den Boden positiver Verhältnisse zu stellen, was der zweiten wirklich gelingt, indem sie mit ebenso grellen als wahren Farben die Zeit schildert, wo deutsche Fürsten Tausende und wieder Tausende ihrer Unterthanen gleich Schafhcerdcn nach Amerika und Afrika verschacherten , um das Blutgeld mit fremden Büfflerinnen zu vergeuden. Die straffe Spannung in der Gemüthsstimmung des Dichters ließ allmälig »ach, sowie er Kreisen nähertrat, welche ihm mit freundlicher Theilnahme Welt und Leben in versöhnlicherem Lichte zu zeigen verstanden, als beide dem idealistischen Träumer in seiner Verlassenheit erschienen waren. Im Umgänge mit seinem trefflichen Freunde Körner, der ihn nach Sachsen eingeladen, faßte er neuen Lcbensmuth und dichtete deß zum Zeugniß sein berühmtes Lied an die Freude ( 1785 ), welches, namentlich in der erhabenen Schlußstrophe, den ethischen Kern von Schillcr's Weltanschauung bloßlcgt. Das Trauerspiel Don Karlos, welches schon zu Bauerbach begonnen und jetzt in Jamben umgearbeitet und vollendet wurde ( 1787 ), bezeichnet das Heraustreten des Dichters aus dem krastgenialen Ungestüm. Schon die metrische Form deutet auf eine Mäßigung und Selbstbeherrschung hin, welche den drei früheren, in heißblütigster Prosa hingeworfenen Dramen äbging. Seinem Gehalt nach ist das Stück eines der wirksamsten Werke Schillcr's geworden und der Malteser Posa, in welchem der Dichter unwillkürlich sich selbst und all sein Streben im edelsten Aufschwünge zeichnete, hat Hunderttausenden die Macht und Schönheit des Humanitätsprinzips bewiesen und Begeisterung dafür in die Seele geflößt. Der ein Jahr zuvor geschriebene, fragmentarische Roman der Geisterseher, Neuhochdeutsche Zeit. wozu Schiller durch die Schwindeleien Cagliostro's angeregt wurde, ist gewissermaßen ein Gegenstück zu Don Karlos, indem er nachweist, zu welcher Unfreiheit religiöse Unklarheit und moralische Haltlosigkeit führe. Mit seiner Elegie die Götter Griechenlands, deren seelenvoller Pantheismus den Pfaffen so viel Aerger verursachte, nahm Schiller 1788 einstweilen Abschied von der Dichtung. Er fühlte die Lücken seines Wissens und machte sich mit solcher Energie an die Ausfüllung derselben, daß aus seinen geschichtlichen und philosophischen Studien eine Reihe von historischen und ästhetischen Schriften hervorging. Allerdings lassen selbst seine zwei bedeutendsten historischen Arbeiten, die Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande (1788), welche seine Berufung als Professor nach Jena veranlaßte, und die Geschichte des dreißigjährigen Krieges (1790) in Rücksicht auf umfassendes Quellenstudium und diplomatische Genauigkeit Vieles zu wünschen übrig, allein die künstlerische Form und die gehobene, begeisterte Sprache dieser Werke weckten die Theilnahme des größeren Publicums an der Historie und nährten den Widerwillen gegen den Despotismus. Das Element der Restection, welches in Schiller so stark war, drängte ihn dann, eine philosophische Basis für sein Dichten zu gewinnen, und er sah sich um so mehr zu derartigen Untersuchungen veranlaßt, als ihm um diese Zeit das Wohlwollen zweier Verehrer seiner Muse, des Herzogs von Augustcnburg und des dänischen Ministers Schimmelmann durch Aussetzung eines dreijährigen Gehalts von 1000 Thalern freiere Muße gewährte, welche außerdem durch seine Heirat mit Charlotte von Lengefeld (1790) mit dem Reiz der Häuslichkeit geschmückt war. Er schrieb in Anlehnung an die kantische Philosophie, welche dadurch für die Nationallitera- tur erst recht fruchtbar wurde, seine kunstphilosophischcn Abhandlungen über die tragische Kunst, über das Erhabne, über Anmuth und Würde, über naive und sentimentalische Dichtung, von denen namentlich die letztgenannte durch ihre meisterhaft klare Entwicklung der Begriffe classisch und romantisch, antik und modern unserer Aesthetik wesentlich vorwärts geholfen hat. Indem er aber die Kunst analysirtc, ging unserem Dichter ihr Wesen und Werth als Erziehungsmittel der Menschheit in jener Fülle und Hoheit auf, wie seine Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) sie darlegen. Diese Schrift gehört ohne Frage zu dem Besten, was Schiller geschrieben. Sie faßt Alles, was von Winckelmann und Lcssing an in der Kunstphilosophie geleistet wurde, in der Idee zusammen, daß die Schönheit das höchste Gesetz Neuhochdeutsche Zeit. 105 des Menschen werden müsse, um ihn zum Bürger des kosmopolitischen Vernunftstaates heranzubilden. In dem Gedanken, daß die Menschheit nur aus dem Wege „ ruhiger Bildung" wahrhaft vorwärtsschreite, trifft Schiller mit Göthe zusammen und dieses Zusammentreffen ermöglichte den schönen Frcund- schaftsbund, welcher von 1794 an die beiden großen Männer vereinigte, zur gegenseitigen Förderung für sie und zur Ehre unseres Landes, für welches diese Freundschaft ein nie gesehenes Vorbild geistigen ZusammcnstrebenS ausgestellt hat. Die äußerliche Veranlassung zu diesem Bündniß war die Herausgabe der Zeitschrift die Hören durch Schiller, welcher Göthe zur Mitarbeit daran bestimmte. Schiller's Einleitung zu dem genannten Journal macht uns auch sein Verhältniß zur Revolution klar, welches in Folge seiner Beharrung auf dem Prinzip ruhiger Bildung ein ablehnendes sein mußte. Die Hören sollten dazu dienen, die politisch getheilte Welt unter der Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinigen und die Gemüther aus den beschränkten Interessen der Gegenwart in die Region des Reinmenschlichen und Ewigen emporzuheben. Wie der schiller'sche Idealismus gerade mitten in den Stürmen der französischen Revolution zu dieser Aeußerung kam, ist leicht zu begreifen, aber ganz eigen muthet es uns doch an, daß der Idealist Schiller die im Grunde ganz idealistisch - kosmopolitische Tendenz und die historische Nothwendigkeit jenes großen Ereignisses so wenig begriff als der Realist Göthe. 13. Man darf jedoch nicht übersehen, daß die beiden großen Freunde gerade aus ihrer Erhebung über die wildgährenden Interessen des Tages das Vermögen und die Lust zu neuen künstlerischen Thaten schöpften. Beide haben es in ihrem berühmten Briefwechsel und anderwärts anerkannt, wie viel Hiebei einer dem andern verdankte. Ihre vertraute Bekanntschaft wurde für sie nach dem Ausdrucke Göthes ein neuer Frühling, in welchem Alles froh neben einander keimte, knospete und blühte. Bei Schiller schlug die neuerwachte Productionslust zunächst die lyrijch-didaktischc Weise an, welche in seinen Gedichten aus dieser Zeit (die Ideale, die Macht des Gesangs, die Würde der Frauen, der Spaziergang, der Pilgrim, Klage der Ceres u. a. m.) so gedankenschön tönt, bei Göthe äußerte sie sich episch, indem er, von 106 Neuhochdeutsche Zeit. dem Freunde aufgemuntert, den schon 1777 begonnenen Roman Wilhelm Meistens Lehrjahre wieder vornahm und denselben zum Meisterromane unserer Literatur abschloß (1795). Gemeinsam machten sie dann vermittelst der 414 Distichen, welche unter dem Titel Leinen in dem schiller'schen Musenalmanach für 1797 erschienen, ihren berühmten Feldzug gegen die Unzulänglichkeiten, Thorheiten und Schlechtigkeiten der zeitgenössischen Literatur, einen Fcldzug, welcher die litcrarische Atmosphäre gewitterhaft heilsam gereinigt hat. Ohne einzelne Fehlgriffe und Ungerechtigkeiten ging es dabei freilich nicht ab und namentlich sind die ebenso boshaften als läppischen Lernen gegen Georg Förster durchaus verwerflich. Ungestört durch den wüthenden Tumult, den viele der mit Lernen Bedachten in der Literatur erregten, machten sich die Freunde daran, durch neue positive Kunstschöpfungen der Nation zu beweisen, daß sie zum Tadel des Verfehlten und Mittelmäßigen berechtigt gewesen, weil sie Besseres zu geben im Stande seien. In den Jahren 1796—98 dichteten sie in schönem Wetteifer ihre herrlichen Balladen und Romanzen, Göthe mit Vorliebe die erstere (Erlkönig, König von Thule, der Fischer, der Sänger, der Gott und die Bajadere, der Zauberlehrling, die Braut vonKorinth), Schiller mehr die zweite dieser poetischen Gattungen pflegend (der Ring des Polykrates, die Bürgschaft, die Kraniche des Jbykus, das eleusische Fest, der Kampf mit dem Drachen, der Gang nach dem Eisenhammer u. a.). Göthe benutzte die epische Stimmung seiner Phantasie, um sein Gedicht von Hermann und Dorothea (1798) zu schaffen, das vorn bürgerliche» Idyll zum kosmopolitischen Epos sich erweitert und dessen homerisch einfache und naive Form vorn wärmsten deutschen Herzschlag erfüllt ist. Schiller seinerseits folgte wieder dem Zuge seines dramatischen Genius, der sich schon in seinem Lied von der Glocke (1799) mit ncubelebtcr Macht offenbarte und dem die Weimarer Bühne, welche von 1791 —1817 unter Göthe's Direktion stand, Raum zu voller Aeußerung gewährte. Die deutsche Schauspielkunst war durch ihre berühmten Jünger Ackermann, Eckhof, Schröder, Beil, Beck, Jffland und Fleck allmälig zu einer nationalen Ausbildung gediehen, welche sie befähigte, die dramatischen Meisterwerke unserer Klassik in würdiger Gestalt vorzuführen. Dies geschah namentlich auf der Weimarer Bühne, an deren Gedeihen Schiller, welcher 1799 nach Weimar übergesiedelt war, neben Göthe einen bedeutenden Antheil hatte. Seine große Trilogie Wallenstein wurde 1799 vollendet und aufgeführt und in den Jahren 1800—4 erschienen in rascher Neuhochdeutsche Zeit. 107 Folge seine Maria Stuart, seine Jungfrau vonOrleans, seine Braut von Mesfina und sein Wilhelm Teil, welcher die Idee der Freiheit, deren Verkündigung der Dichter in seinen Räubern wildgenial begonnen, in dem verklärenden Lichte geläuterter Schönheit der bewundernden Nation noch einmal voll und ganz enthüllte. Es ist vom Standpunkt strenger Kunstkritik aus Manches gegen den Tell und Schiller's Dramen überhaupt einzuwenden und eingewandt worden. Namentlich hat Platen das Richtige getroffen, wenn er dem Dichter zurief: Etwas weniger, Freund, Liebschaften! denn diese stören insbesondere im Wallenstein, in der Jungfrau, im Tell die Einheit und den Fortgang der Handlung gar sehr. Allein die Hervorkchrung dieser und anderer Schwächen Schiller's, worin sich vor allen die impotenten Romantiker gefielen, war nicht im Stande, die Dramen des Dichters dem deutschen Volke zu verleiden, welches wohl fühlt, daß es seincm edelsten Liebling eine Summe des Dankes schuldet, welche nie abbezahlt werden kann. Das Geschick, welches sich im Leben ihm so spröde bewiesen, bezeigte ihm seine Huld, indem es ihn als vollständigen Mann von hinnen nahm, so daß er, wie Göthe äußerte, „im Andenken der Nachwelt als ewig Tüchtiger und Kräftiger erscheint." Mitten in der Arbeit an der Tragödie Dcmetrius befiel ihn ein verzehrendes Fieber und raffte ihn am 9. Mai 1803 zu traucr- voller Ucberraschung der Nation hinweg. Der in unzähligen Eremplaren verbreiteten Gesammtausgabe seiner Werke wünschten wir als auch jetzt noch passendes Motto die Worte Posa's vorgesetzt: „Das Jahrhundert ist meinem Ideal nicht reif; ich lebe, ein Bürger derer, die da kommen werden." (Das einläßlichste Buch über Schiller's Leben, Geistesentwicklung und Werke lieferte K. Hoffmeister, 1838—42, 5 Thle.) Schiller's Tod machte aufGöthe einen Eindruck, dessen Tiefe undNach- haltigkcit er noch zehn Jahre später in dem Epilog zu Schiller's Glocke so schön beurkundet hat. Unmittelbar nach dem großen Verlust äußerte er, daß er in dem Freunde die Hälfte scines Daseins verloren habe. Er hatte sich in den letzten Zeiten ihres Zusammenwirkens mit verschiedenen epischen Entwürfen getragen und mit der Trilogie die natürliche Tochter, wovon aber nur der erste, erponircnde Theil fertig geworden ist (1704). Aus den diplomatisch kalten Strichen, in welchen dieses Drama wurzelte, und aus seinen Kunststudicn kehrte er in den folgenden Jahren immer wieder zu der Region zurück, woher es ihn warm und jugendfrisch anwehte, zu seiner Faustdichtung, und im 6. Bande der seit 1806 begonnenen Gesammtausgabe 108 Neuhochdeutsche Zeit. seiner Schriften erschien endlich der erste Theil des Faust (1808), welcher sich zum zweiten, der erst 1831 vollendet wurde, verhält wie die Jugend zum Alter, wie die schaffende Phantasie zur nüchternen Reflexion-, wieder Regenbogen zu seinem Schatten. Der Tragödie erster Theil offenbart die jugendliche Genialität des Dichters in ihrer frischesten und zugleich reifsten Schöpferkraft. An der Form, welche echtdcutsch jede ängstliche Regelfessel sprengt, hängt überall, wie man treffend bemerkt hat, der duftende Thau des Schöpfungsmorgcns. Der Inhalt ist die Geschichte des deutschen Geistes in seiner revolutionären Arbeit des 18. Jahrhunderts. Faust ist der Typus der deutschen Nationalität, deren kühner Idealismus das Universum zu umspannen und zu bewältigen strebt und an der Hand der Skepsis das Räthsel des menschlichen Daseins durchdrungen und lösen will, ein moderner Hiob, welcher, gebannt in die Schranken der Endlichkeit, von dem „schmcrz- lichsüßcn Gefühle der Unendlichkeit" rastlos getrieben wird, mit fragender Hand an die Pforte der Geisterwelt zu pochen. Und weil Faust ein echter Deutscher, d. h. ein Weltbürger, ist er zugleich ein Repräsentant der Menschheit und stellt sein tragisches Geschick das erhabene Trauerspiel des menschlichen Geistes vor, der „irrt, so lang er strebt", und untergeht, sowie er über die Schranken der eigenen Natur hinausstürmt. Es bedarf keiner Nachweisung, daß es eines Genius vom ersten Range bedurfte, um aus dem rohen Material der Volkssage vom Doctor Faust dieses psychologische Kunstwerk mit seinen lebensvollen Gestalten, diesen Mikrokosmos des Menschengeschickes zu bilden. - Wir wollen daher nur noch sagen, daß unser größter Dichter im Faust jede Gelegenheit benutzt hat, um seine Abweisung des christlichen Dogma's offen auszusprechen und in herrlichster Weise sein pan- theistisches Credo anzustimmen. Der zweite Theil der Tragödie macht den altersschwachen Versuch, eine Versöhnung zu finden. Dieser wird denn auch Faust durch allerhand Allegorien hindurch zugeführt vermittelst der göttlichen Gnade, die bei Licht besehen im kraß theologischen Sinn aufgefaßt ist. Der Schluß wirkt geradezu widerwärtig, denn es ist doch eine gar zu wohlfeile Erfindung, die Seele Faust's durch eine Schaar von Engeln, deren Nacktheit das faunische Gelüsten des Teufels reizt, diesem vor der Nase wcgpaschen zu lassen. An schönen Einzelnhciten ist freilich auch der zweite Theil reich, namentlich der dritte Act, wo die Hochzeit von Klassik und Romantik, Helenas und Faust's, gefeiert und dem Sprößling dieser Ehe, Lord Byron (Euphorien), eine schöne Apotheose gewidmet wird. Aber das Gefühl der Neuhochdeutsche Zeit. 109 Nation hat über den Werth des ersten und zweiten Theils der Faustdichtung richtiger entschieden als die vornehme Kritik, indem sie jenen mit liebevoller Verehrung im innersten Heiligthum der Nationalliteratur aufstellte und die Lectüre von diesem den Commcntatorcn überläßt. (Den besten und umfassendsten Commentar zur Faustdichtung gab H. Düntzer, 1850, 2 Bde.) Nicht lange nach dem Erscheinen des ersten Theils vom Faust, welchen der Obscurantismus dem deutschen Geiste nie verzeihen wird, veröffentlichte Göthe seine Wahlverwandtschaften (1809), über welche die Prüderie ein ganz dummes Geschrei erhob, während die Einsichtigen den Roman als ein classisches Muster der höheren Novellistik willkommen hießen. Er ist das letzte größere Kunstwerk Göthe's, welcher die freie Muße, die er in den äußeren Wirrsalen der Zeit und unter mannigfachen Verstimmungen seines Inneren noch finden konnte, hauptsächlich auf natur- und kunstwissenschaftliche Arbeiten oder auf seine Selbstbiographie verwendete (Farbenlehre 1810 — Aus meinem Leben 1811 — Kunst und Alterthum 1816). In den Jahren 1814—15 entstanden, zunächst durch Hammer's Fundgruben des Orients angeregt, die meisten der Lieder und Betrachtungen, welche nachmals (1819) unter dem Titel Westöstlicher Divan erschienen. Der mit dem vorschrciten- den Alter immer zunehmende Quictismus des Dichters flüchtete sich vor dem Lärm des Befreiungskrieges, dessen Bedeutung er nicht begreifen wollte ober vielleicht nur zu gut begriff, gerne in den Orient und es erhöhte seinen Ruhm keineswegs, daß er, welcher den Deutschen die Bildungsfähigkeit zur Nation so entschieden abgesprochen, von dem nationalen Vefrciungsjubel, der bald in schreiende Mißtönc auslaufen sollte, sich nöthigen ließ, in seinem frostig allegorischen Festspiel des Epimenides Erwachen (1814) „auf vornehme Manier auch patriotisch zu sein." Es stellte sich jetzt immer bestimmter heraus, wie providentiell für sich selbst Göthe gesprochen, als er Schiller glücklich pries, daß dieser ., von dem Gipfel des menschlichen Daseins zu den Seligen emporgestiegen." Die Gebrechen des Alters begannen sich deutlich und „ wunderlichst" fühlbar zu machen. Der große Mann verfiel immer mehr in den steifsten Hofpoetenton, sang allerlei Fürstlichkeiten „behaglichst" an und ergab sich immer widcrstandlvjcr dem Wichtig- und Schönthun mit Nichtigkeiten, dem Shmbolisircn, Allegorischen und Geheimnißeln, welches den zweiten Theil vom Faust und Wilhelm Meistens Wanderjahre (1821) so unersprießlich macht. Sehr rühmlich dagegen ist die schöne Theilnahme zu betonen, womit der alte Herr die Entwicklung der einheimischen und 11V Neuhochdeutsche Zeit. ausländischen Literatur verfolgte, überall bemüht, das deutsche Geistesleben mit dem europäischen zu vermitteln, unsere Literatur mit der ftemden in Wechselwirkung zu bringen und ihrer von ihm zuerst klar erfaßten und bestimmt ausgesprochenen weltliterarischen Bestimmung zur allseitigen Anerkennung und Wirksamkeit zu verhelfen. Thätig bis zuletzt, erkrankte Göthe im Frühling 1832 und starb in seinem dreiundachtzigsten Lebensjahre am 22. März mit dem Ruft: Mehr Licht! Er ruht mit seinem Freunde Schiller in der Weimarer Fürstengruft zur Seite Karl August's, dem die deutsche Culturgeschichte die preisende Anerkennung schuldet, daß er die Hauptstadt seines kleinen Landes zur gastlichen Heimat von Wieland, Herder, Göthe und Schiller gemacht. (Die vollständigste und schönste Ausgabe von Göthe's sämmtl. Werken ist die v. I. 1850—51 in 30 Bänden, gr. 8. Die Literatur über Göthe und seine Schriften füllt eine ganze Bibliothek. Sein Leben haben Vichoff und Schäfer geschrieben.) 14 . In der Weimarer Glanzperiode unserer Literatur traten eine Menge von Dichtern und Dichterlingen in den Kreis der Oeffentlichkeit, welche theils von der klopstock-voß'schen Richtung ihre Inspirationen entlehnten, theils Wieland's Manier verflachten, theils die Wege der göthe-schiller'schen Sturmund Drangzeit breit traten, theils in Anlehnung an die gereisteren Werke des großen Frcundespaares die Literatur wirklich bereicherten. In letzterer Beziehung erregt vor allen unsere lebhafte Theilnahme Friedrich Hölderlin (1770 —1843) aus Lausten in Schwaben, den leider schon im zweiund- drcißigstcn Lebensjahre die Nacht unheilbaren Wahnsinns umfing. Wenn feststeht, daß Göthe und Schiller den Gipfel ihrer Kunst erreichten im modernen Griechenthum, d. h. dadurch, daß sie die classisch edle Form mit romantisch vertieftem Seelenleben erfüllten, so darf gesagt werden, Hölderlin stelle sich mit seiner Lyrik nicht uncbenbnrtig ihnen zur Seite. In der ungezwungensten Weise hat er in seinen Hymnen, Oden und Elegien, in seinem schildernden Gedicht der Archipelagus, in seiner höchst eigenthümlichen poetischen Erzählung Emilie, in seiner (fragmentarischen) Tragödie Empedoklcs und in seinem Roman Hyperion das Hellenenthum reproduzirt, mit plastischer Neuhochdeutsche Zeit. 111 Anmuth die antiken Rhythmen handhabend und ihrGeädcr mit bestem deutschen Herzblut schwellend. Es ist etwas dämonisch Ergreifendes in seinen Gedichten, überall blickt uns aus denselben an „ des Dichters Aug', in schönem Wahnsinn rollendSeine berühmte Strafrede auf die Deutschen im Hyperion hat ihm viele Vorwürfe zugezogen. Sie ist auch bitter genug. Allein sein Wort von „deutscher Barbarei" wird Keiner ein ganz unberechtigtes nennen wollen, der sich die Mühe nimmt, die literarischcn Zustände von damals naher zu betrachten. Es ist wahr, die Nation hatte die Meisterwerke Göthe's und Schiller's mit Liebe aufgenommen, allein ihr Urtheil war noch keineswegs gebildet genug, daneben das Mittelmäßige und Jämmerliche zu verwerfen. Selbst Personen, denen man doch Bildung wird zuerkennen müssen, wie z. B. die berühmte Königin Luise von Preußen, zogen das elende Empstndsamkcitsgeschmier der Romane von H.J. Lafontaine (1756 — 1831 ) den Dichtungen unserer Meister vor. Die Babo und Törring, die Spieß, Cramer, Schlenkert, Veit Weber (Wächter) und Vulpius, welche aufGöthe's Götz und Schiller's Räuber die geistlose und rohe Spektakelet ihrer Ritterund Räuber-Schauspiele und Romane pfropften, hatten ein ungeheures Publikum, das sich auch lieber an den faden Spässen der Jobsiade von Kor- tüm und au der Zotenkomik des Schwankerzählers A. F. E. Langbein (1757 — 1835 ) als an Wieland's graziösem Witz erbaute. Schiller's großes Streben, das Theater zu einem Institut der nationalen Erziehung zu machen, konnte keineswegs verhindern, daß F. L. Schröder (1744 — ! 8 ! 6 ) und A. W. Jffland ( 1759 — 1814 ) und Andere mit ihren seichten Rührstücken die Bühne beherrschten und an Popularität nur August vonKotzebue (1761 — 1819 ) wichen, welcher der angeborenen und eifrigst ausgebildeten Niederträchtigkeit seiner Gesinnung litcrarisch zu europäischer Bedeutung zu verhelfen wußte, indem er überall der Gemeinheit und falschen Sentimentalität zu schmeicheln verstand und für eitle Schauspieler „dankbare" Rollen schrieb. Er hätte unstreitig das Zeug dazu gehabt, ein guter Lustspicldichter zu werden, aber er verlüderlichte, wie Alles, auch das eigene Talent. Den Tod durch den Mordstahl des schwärmerischen Sand hatte er tausendfach an Deutschland verdient. Er blieb jedoch nicht ohne würdige Nachfolger in der Literatur, denn Jedermann wird die Schilling, Clauren, Laun, Julius von Voß, Kurländer u. s. w. als eine echte kotzebuc'schc Generation anerkennen. Es ist demüthigend zu sagen und muß doch gesagt werden, daß die Stücke Kotzebue's, welche auf dem ganzen civilisirtcn Erdboden aufgeführt 112 Neuhochdeutsche Zeit. wurden, es waren, welche einer lebhafteren Theilnahme der Fremden an unserer Literatur den Weg bahnten. Man wird dadurch an die Worte des Pater Lorenzo in Shakspcare's Romeo und Julie erinnert: „ Was nur auf Erden lebt, da ist auch Nichts so schlecht, daß es der Erde nicht besondern Nutzen brächt'." Die literarische Bewegung hat stets Dolmetscher der sie bestimmenden Ideen nöthig. Ohne solche könnten dieselben kaum Gemeingut werden, da das größere Publikum für das Verständniß der höheren Kunstformen nur allmälig herangezogen werden kann. So ein Dolmetscher und Verallgemeiner des humanen Inhalts unserer Classtk ist Heinrich Zsch^kkLchl 77 i —1846), der, zuerst ein Epigone schiller'scher Räuberdramatik, später für den Mittelstand das wurde, was Wicland seiner Zeit für die aristokratischen Kreise gewesen war, ein allbeliebtcr Erzähler. Seine fruchtbare Novellistik, die insbesondere im komisch gefärbten Gewände wirksam auftrat, hat eine Menge gesunder und praktischer Gedanken in Umlauf gesetzt, während seine eigentlichen Volksschriften, wie das Goldmachcrdorf, Aufklärung und Humanität bis in die untersten Volksschichten verbreiteten. Auch sein auf den Rationalismus bastrtes Erbauungsbuch, die Stunden der Andacht, hat außerordentliche Verbreitung gefunden. Hier aber geht die gute Absicht doch gar zu sehr in die redselige Breite. Was in der Lyrik neben Göthe, Schiller und Hölderlin geleistet wurde, erhebt sich kaum hie und da über das Mittelmaaß. Poeten wie K. Ph. Conz und G. A. von Halcm, Poetinnen wie Luise Brachmann, Amalie von Helwig, Sophie Mcreau, Friederike Vrun und Elisabeth« von der Recke machten sich die Ausbildung der dichterischen Formen zu Nutze, ohne denselben einen Inhalt von Bedeutung geben zu können. Alle die genannten Dichterinnen stehen im Grunde nicht höher als ihre Vorgängerin Anna Luise Karsch, deren Poemata Friedrich der Große mit zwei Thalern hinlänglich honorirt glaubte. Uebrigens wurde die praktische Betheiligung der Frauen an der Literatur immer emsiger. Benedicte Naubert erzählte, Musäus nachtrcteud, deutsche Volksmärchen, Karoline Pichler gab eine lange Bändereihe gemüthlicher Strickstrumpfromantik und wurde in Lieferung dieser beliebten Waare durch Henriette Hanke, Johanna Schopenhauer, Helmina von Chezy, Fanny Tarnow und Amalia Schoppe ersetzt, während die Frau von Wcißcnthurn die Dramcnfabrikantinrolle ante- cipirte, welche in unseren Tagen Charlotte Birch-Pfeifser gespielt hat. Auf Hölth s Elegik weist die zu ihrer Zeit weit über Verdienst gepriesene poetische Neuhochdeutsche Zeit. 113 Landschaftsmalerei Fricdrich's von Matthisson (st. 1831) zurück und die von wirklicher Stimmung zeugende schwermüthige Liederdichtung des Schweizers Johann Gaudenz von Salis-Seewis (st. 1834). Auch August Mahlmann (st. 1826), der einige gefühlte Lieder gedichtet, und Christoph August Tiedge (st. 1 840) gehören zu dieser Richtung. Der Letztgenannte hat sich in den Kreisen ästhetischer Frömmelei einen populären Namen gemacht durch die leere Schönrednerei seines Lehrgedichts Urania. Mit mehr Beruf versuchte sich Valerius Wilhelm Neubeck (st. 1827) in der didaktischen Dichtung (die Gesundbrunnen) und wenigstens nicht ganz ohne Beruf Johann Falk (st. 1826) in der satirischen (Elysium und Tartarus, die Uhue, die Helden). Karl Ludwig von Knebel (st. 1834) ist eigentlich nur um seiner Uebertra- gung des Lucretius willen zu nennen, wogegen Karl Lappe (geb. 1773) die Anerkennung verdient, daß er in seinen Gedichten die edle Simplicität göthe'- scher Form mit Erfolg angestrebt hat. In haltungsloser Unsclbstständigkeit verflachte Ludwig Theobul Kosegarten (st. 1818) seine Muster Herder, Voß und Schiller, ebenso der Däne Jens Baggesen (st. 1826), welcher in seinen deutschen Dichtungen Klopstock, Wieland, Schiller und Voß nachahmte. Eine Frucht der Jdhllik des Letzteren ist die baggesen'scheParthenais, die vor der Schilderung schweizerischer Alpenschönheit durch Haller jedenfalls den Vorzug anschaulicher Belebtheit voraushat. Das Idyll erfreute sich überhaupt seit Voß fortwährend der Gunst des Publicums. In der Schweiz wurden die Herameteridylle Usterfls, den wir schon früher genannt, dankbar aufgenommen, in Schwaben die von Ludwig Neuster, der auch eine treffliche Verdeutschung von Virgil's Aeneis lieferte. Das kleinbürgerliche Leben seiner Vaterstadt Nürnberg wußte I. K. Grübel (st. 1809) mit Anwendung des Localdialekts in allerliebste idyllische Bildchen zu fassen, aber von weitaus höherem poetischen Werth, in ihrer Art geradezu vom höchsten, sind die Schilderungen von Natur- und Volksleben, welche Johann Peter Hebel (1700— 1826 ) aus Hausen imVadischen in seinen Alemannischen Gedichten entworfen hat (zuerst ges. 1803). Hebel ist der Meister unserer Jdyllik. Nichts kommt der Naturwahrheit und dem Frohsinn, der Frische und Herzigkeit seiner von Göthe lebhaft gerühmten „anmuthigen Verbauerung des Universums" gleich. Hier ist wirklich überall dem realen Stoff das ideale Gepräge aufgedrückt und Allem, was der Dichter anfaßte, wußte er einen poetischen Schmelz und Duft zu verleihen, welchen die liebenswürdige Naivetät der mundartlichen Form noch verstärkt. Hebel's Jdyllik hat namentlich 8 114 Neuhochdeutsche Zeit. im südlichen Deutschland und in der Schweiz höchst wohlthätig gewirkt. Sie half dort den Gebildeten über die mattherzige Stimmung der Miller- Jffland-Matthisson'schen Weinerlichkeit hinweg und erfüllte vielfach die Hoffnung ihres Schöpfers, daß „dem Volke das Währe, Gute und Schöne mit den vertrauten heimischen Bildern lebendiger und wirksamer in die Seele gehen würde." (Hebel's ges. Werke, 1843, 5 Bde.) Von Allem, was seither in mundartlicher Dichtung unternommen wurde, können unseres Trachtens nur die Pfälzischen Gedichte von Franz von Kobell und die Gemälde aus dem züricher Volksleben von dem Schweizer Jakob Stutz neben den alemannischen Gedichten als beachtenswerth genannt werden. 15. Das deutsche Culturleben des 18. Jahrhunderts führte nicht allein die Nationalliteratur, sondern auch die Kunst und die Wissenschaft in ihren mannigfaltigsten Verzweigungen zu immer reicheren und vielseitigeren Gestaltungen. Bach, Graun und Händel vollendeten in der Musik den deutschen Kirchensthl, Gluck, Haydn und Mozart hoben den weltlichen Styl zu idealer Schönheit und Beethoven gab in seinen ewigen Tonkunstwerken unserer Mustk die classische Weihe, welche Göthe und Schiller unserer Poesie gegeben. Auch auf dem Gebiete der bildenden Kunst regten sich productive Kräfte: Mcngs, Hackert, Angelica Kaufmann und Chodowiecki leisteten in Malerei und Kupferstechern Treffliches, Kunstschulen entstanden und reiche Bildergalerien thaten sich auf. Die Befruchtung der Wissenschaften durch die kritische Philosophie Kant's begann sich immer folgereichcr zu erweisen. Ein lebhaftes und gründliches Forschen hob an. Das moderne Griechenthum unserer Classik hatte aus der Kenntniß der antiken Welt gesundeste Nahrung gesogen und regte hinwiederum zu stets tiefer greifenden Studien über das Alterthum an. Was Heyne begonnen, brachte der geistvolle Philologe Friedrich August Wolf (1759—1824) zum Abschluß, indem er als Lehrer und Schriftsteller die Alterthumskunde dem Kreise des Buchstabenpedantismus entrückte und ihr diejenige Bedeutung und Würde eroberte, durch welche sie befähigt wird, ein ebenso edles als unersetzbares Mittel der Bildung zur Humanität zu sein. Neuhochdeutsche Zeit. 116 Am berühmtesten ist er geworden durch seine Prolegomena zum Homer, in welchen er mit meisterhafter Kritik und wahrhaft genialem Blick die Entstehungsgeschichte des homerischen Epos darlegte. Seine grammatikalische, archäologische und kunsthistorische Thätigkeit wurde bis in die neueste Zeit herein fortgeführt durch eine Reihe ausgezeichneter Philologen, wie Philipp Karl Buttmann, Karl August Völliger, August Böckh, Gottfried Hermann, Friedrich Thiersch, F. G. Welcher, Friedrich Jacobs, Ottfried Müller und andere. Aus dem Boden der Sprachforschung erwuchs auch die umfassende und preiswürdige Thätigkeit Wilhelm's von Humboldt (1767 —1835), welchen Böckh einen Staatsmann von pcrikleischer Hoheit des Sinnes genannt und welcher durch seine ästhetische Kritik, wie er sie namentlich an Göthc's Hermann und Dorothea meisterlich bewährte, auf unsere Klassik den bedeutsamsten und besten Einfluß geübt hat. Es war ein tief ideales Element in ihm, welches ihn drängte, überall vomBesonderen zum Allgemeinen aufzustreben. Er ist der eigentliche Begründer der vergleichenden, der philosophischen Linguistik und mit Recht nennt Hillebrand Humboldt's Hauptwerk in dieser Richtung, das Werk über die Kawi - Sprache, eine Art Epos von der Idee der Menschheit. (Ges. Werke, 1811 fg.) Nach Humboldt's Vorgang dehnte Julius von Klaproth (st. 1835) die vergleichende Sprachforschung auf die orientalischen Sprachen aus, wogegen Johann Christoph Adclung (st. 1809) mehr das Zunächstliegende ergriff und durch seine deutsche Grammatik und sein grammatisch-kritisches Wörterbuch den Grund zur deutschen Philologie legte. In der Geschichtschreibung wandelten den von Spittler, Planck und Heeren vorgezcichneten Weg verständiger Forschung, bald mit strengerer Festhaltung der aufklärerischen Prinzipien, bald mit größerer Nachgiebigkeit gegen Parteiforderungen, Sartorius (Geschichte der Hansa), Manso (Geschichte des prcuß. Staats seit dem Hubertusburger Frieden), Hegewisch, Archenholz und Schmidt, welcher zuerst eine deutsche Nationalgeschichte unternahm. Als der eigentliche Schöpfer des historischen Kunststhls ist Johannes Müller (1752—1809) aus Schaffhausen anzuerkennen, wenn gleich seine dem Sallust und Tacitus ängstlich nachgebildete Diction nur sehr bedingtes Lob verdient, weil sie dem Genius unserer Sprache häufig Gewalt anthut. Müller ging eben in der Form, wie in Allem, zu sehr auf den Effect aus, was ja stets ein Erbübel charakterloser Menschen ist. Er hat auch wirklich die Charakterlosigkeit zur Virtuosität ausgebildet und man muß 8 » 116 Neuhochdeutsche Zeit. wider Willen gerade bei den Pathetisch-patriotischen Krafrstcllen seines berühmtesten Werkes, der unvollendeten (nachmals von Glutz - Blotzheim und Hottinger fortgesetzten) Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft (1780 fg.), an die niederträchtigen Speichelleckereien denken, womit er einen König Jervme von Westphalen anrhetorisirte. Das Leben Müller's, dessen unleugbares historisches Talent sich am glänzendsten in der Schlachtenmalerei entfaltete, bietet ein widriges Bild der Erniedrigung, zu welcher Eitelkeit und moralische Schwäche einen deutschen Gelehrten bringen können. (Sämmtl. Werke, 1831, 40 Bde.) Die historischen Arbeiten von K. von Weltmann, welcher mit der Gesinnungslosigkeit Müller's schnöden Undank gegen diesen verband, und von E. L. Poffelt, dem ersten Redacteur derCotta'- schen Allgemeinen Zeitung, haben nicht viel zu bedeuten, doch machten sich die des Letzteren durch warme Theilnahme an den Ideen der Zeit bemerkbar. In seiner ganzen Schärfe wurde der historische Kriticismus zuerst gehand- habt durch Barthold Georg Niebuhr (1777—1831) und zwar in Anwendung auf die Geschichte Roms. Seine Römische Geschichte (1811 —32) ist in Beziehung auf gründliche Forschung ein Musterwerk für die neuere Methode der Historik geworden, während die spätere schriftstellerische Thätigkeit des Mannes durch reactionäre Gespensterseherei getrübt erscheint. Im Gegensatze zu Niebuhr und in noch direkterem zu Müller hat sich Friedrich Christoph Schlosser (geb. 1770 zu Jever) die Frische seiner jugendlichen Ueberzeugung, die Markigkeit einer unerschütterlichen Gesinnung bis ins höchste Alter bewahrt, ein Mann in jeder Fiber, ein Ehrenmann vom besten Schrot und Korn. Schlosser reicht zwar mit seinen beiden Hauptwerken, seiner großen Uniöersalhistorie und seiner Geschichte des 18. Jahrhunderts, lebendigst in die Gegenwart herein, allein wir nennen ihn schon hier, weil sein ganzes Wesen als Mensch und Historiker entsckicden auf den Prinzipien der kantischen Aufklärung fußt, weil er ein Klassiker ist und nicht den geringsten romantischen Beisatz hat. Eine neuere historische Schule, welche ihre Hauptstärke in der diplomatischen Vertuschung und Verwischung der Thatsachen und in der Hofwohldienerischen Schönrednerei sucht, wirft Schlosser vor, daß seine Auffassung der Geschichte eine zu subjective sei, und in der That, er hat es nirgends zu herzloser Objcctivität gebracht oder bringen wollen. Der strengsittliche Kern seines Charakters ist auch der seiner Werke, die an unbestechlicher Geradheit nicht ihres Gleichen haben. Sein immenses Wissen, fein kulturhistorischer Instinkt, seine schonungslose Brandmarkung Neuhochdeutsche Zeit. 117 der Lüge, Heuchelei und Eitelkeit, der Pfafferei und fürstlichen Tyrannei würden ihn unbedingt zu unserem größten Geschichtschreiber machen, wenn er es in viel zu weit getriebener Abneigung gegen alle Schöngeisterei nicht verschmäht hätte, seinen Werken eine künstlerischere Form zu geben. Kant hatte mit seinem Naturrecht auch in die Rechtswissenschaft reformistisch eingegriffen. Man begann auch hier den Werth einer philosophischen Methode anzuerkennen, welche die Empirie niit der Idee wissenschaftlich zu vermitteln geeignet war und zugleich in der Praxis den Grundsätzen der Humanität Eingang verschaffte. In ersterer Beziehung wurde insbesondere Gustav Hugo (1764—1844) durch seine Geschichte des römischen Rechts von nationalliterarischer Bedeutung, in letzterer hat vor allen Paul Johann Anselm Fcucrbach(1775—1833) eine rastlose und tiefeingreifende Thätigkeit entwickelt. Durch seine Revision der Grundsätze des peinlichen Rechts, sein Lehrbuch des peinlichen Rechts, seinen Entwurf zu einem neuen bairischen Strafgesetzbuch reformirte er die Criminalistik im Sinne der kant'schen Philosophie und in seiner Darstellung merkwürdiger Rechtsfälle beschenkte er unsere Literatur mit einem Buch, dem an meisterhafter psychologischer Kunst kein anderes Werk dieser Art gleichkommt. Neben Feuerbach mögen hier noch genannt sein K. L. W. von Grolmann (st. 1829, Grundsätze der Cri- minalwissenschaft) und K. S. Zachariä (st. 1843), dessen Anfangsgründe des philosophischen Kriminalrechts ebenfalls an Kant angelehnt find, der aber mit seinen späteren Schriften (Handbuch des französischen Civilrechts und Vierzig Bücher vom Staate) mehr auf den Boden der neuesten Zeit sich stellt. Wohin immer am Ausgange des 18 . Jahrhunderts auf wissenschaftlichem Gebiete unsere Blicke sich richten, überall begegnen sie den Spuren Kant's. Die Macht und der Reichthum seines Denkens durchdrang auch die Naturwissenschaften, so daß sich selbst Göthe, dem Kant sonst keine Theilnahme abgewann, auf diesem Felde von ihm anregen ließ. Am frühesten wußte Th. Kiclmeyer, der an der Karlsschule zu Stuttgart, wo Cuvicr sein Schüler war, und später an der Universität Tübingen lehrte, die kantischen Ideen für die Naturwissenschaften fruchtbar zu machen, wie seine berühmte Rede über die Verhältnisse der organftchen Kräfte unter einander im Reiche der verschiedenen Organisationen (1793) beweist, welche man ganz gut als die Ankündigung der deutschen Naturphilosophie bezeichnet hat. Aus der schon von Kielmeyer geahnten Erfassung des Naturganzen als eines Orga- 118 Neuhochdeutsche Zeit. nismus entwickelte sich nun eine vielseitige naturwissenschaftliche Forschung, deren erster und eifrigster Förderer einer, Johann Friedrich Blumenbach (1752 — 1840) aus Gotha, in der Vielerleiheit seiner Studien stets die bindende Einheit der Idee festhielt. Seine Untersuchungen richteten sich mit Vorliebe auf Physiologie und vergleichende Anatomie, welche letztere Wissenschaft er durch sein Handbuch (1805) eigentlich erst begründete. Ebenso bahnbrechend wirkten seine übrigen Hauptwerke (Handbuch der Naturgeschichte — Ueber den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschäft — Das Knochensystcm des menschlichen Körpers — Institution«!, pb^siologicae). Eine wesentliche Weiterbildung erfuhr die Physiologie durch S. Th. von Sömmering's (st. 1830) berühmtes Werk vom Bau des menschlichen Körpers, während Chr. W. Hufeland (st. 1836), I. Chr. Reil (st. 1814), M. Stoll (st. 1787) und I. P. Frank (st. 1824) die neuen naturwissenschaftlichen Errungenschaften in die medizinische Praxis schriststcllernd und practi- zirend einführten. Für die Geognoste wurde Abraham Gottlob Werner (1750—1817) aus Wehrau als Lehrer an der berühmten Bergakademie zu Frciberg in Sachsen für ganz Europa von epochemachender Bedeutung. Er bastrte die genannte Wissenschaft auf die Untersuchung der Erdrinde, er gab ihr zuerst wissenschaftliche Gestalt. Sein geognostischcs System, wornach die Bildungsgcschichte der Erdoberfläche fünf Perioden durchlaufen hat, erregte unter dem Namen des Neptunismus außerordentliches Aufsehen und heftig^ Bekämpfung von Seiten der Anhänger des Vulcanismus. Neben Werner erwarb sich anerkcnnungswerthe Verdienste um die Geologie Graf Kaspar von Sternbcrg (st. 1838), insbesondere durch seine Flora der Vorwelt. Was endlich die Theologie beider Konfessionen angeht, so hätte sie geradezu aller Empfänglichkeit baar sein müssen, wenn die Aufklärungspcriode wirkungslos an ihr vorübergegangen wäre. Wie weiter oben berührt worden, hatte die Aufklärung als Illuminatenorden inmitten des bairischen Katholicismus sogar soziale Gestaltung zu gewinnen gesucht, die freilich bald genug (1784) brutaler Gewalt erlag. Die Zoscphinischen Neuerungen in Oestreich aber gaben um die nämliche Zeit dem freisinnigeren'Element in der katholischen Theologie einen mächtigen Impuls, um so mehr, als das nationale Unabhängigkeitsgefühl in des edlen Nikolaus von Honthcim (st. 1778) berühmter Schrift von dem Zustand der Kirche und der legitimen Gewalt des Papstes (lum. bsbronii äe Mstu eec. et legit. poteslate rom. Neuhochdeutsche Zeit. 119 pontis. lib.) eine feste wissenschaftliche Basis gefunden hatte. Der Gedanke einer katholischen Nationalkirche wurde laut und schien durch die von vier deutschen Erzbischöfen entworfene Emser Punctation (1786) einen entschiedenen Vorschritt zu seiner Verwirklichung machen zu wollen, allein der Ultra- montanismus, der namentlich inBaiern, dem alten Lieblingssitz der virorum obseurorum, seinen Stützpunkt hatte, wußte alle derartige Bestrebungen zu lahmen und zurückzudrängen. Nicht einmal der landshuter Bischof I. M. Sailer (st. 1832) war den Obscuranten katholisch genug, weil er in seinen Erbauungsschriften den religiösen Glauben einigermaßen mit der Vernunft zu vermitteln suchte. Dennoch erhielt sich innerhalb des Katholicismus immer eine liberale Partei gegenüber von den Curialisten oder Ultramon- tanen. Blau, Hug und Schvlz thaten sich auf Seiten jener Partei als historische und philologische Kritiker hervor und Hermes (st. 1831) suchte die Forderung der Vernunft, daß nur eine auf wissenschaftliche Beweise gegründete Ueberzeugung in Glaubcnssachen Autorität sein könne, der katholischen Theologie zu vindiziren. Seine Lehre wurde jedoch von der Curie verdammt und seit den 30ger Jahren ist das katholische Deutschland wieder eine Hauptprovjnz des Curialismus geworden. Hievon später. Freier konnte sich der Einfluß der kantischen Philosophie in der protestantischen Theologie bewähren, wenn gleich es auch hier an vielfachen Hemmungen und Rückschlägen nicht fehlte und die lutherische Orthodoxie, wie der Pietismus an Unduldsamkeit mit dem Ultramontanismus redlich wetteiferte. Michaelis, Gricsbach und Eichhorn gingen in Anknüpfung an die Herdersschen Bemühungen um die richtige Werthung der Bibel rüstig damit voran, einer gesunderen Beurtheilung der biblischen Schriften und des biblischen Alterthums Raum zu schaffen, und ermöglichten es dadurch dem großen Choragen des Rationalismus, H. E. G. Paulus (1761 — 1851) aus Leonberg in Schwaben, vorn Standpunkt der Vernunft aus die Exegese der religiösen Urkunden des Christenthums zu unternehmen, wie er es namentlich in seinem Leben Jesu (1828) that. Paulus ist ein Geistesverwandter Schlosser's, neben welchem er zu Heidelberg lehrte. Wie dieser hat er sich bis ins höchste Alter den Eifer für Licht und Recht und die sittliche Kraft bewahrt, dafür zu streiten, indem er bis an sein Ende alles „Drachennachtgeleite", wo immer es „aus den Ecken schwoll", mit jugcndfrischer Energie auf den Kopf schlug. Wegscheider, Röhr und Bretschneider haben die paulussche Richtung des gesunden Menschenverstandes in der protestantischen Theologie ausgenommen 120 Neuhochdeutsche Zeit. und fortgepflanzt. Die Kanzelberedtsamkeit dieser Konfession wurde durch Prediger wie I. G. Marezoll, H. K. Ph. Henke, Chr. F. Ammon und F. D. Reinhard zu einer Stufe der Ausbildung geführt, auf welcher sie hinter der nativnalliterarifchen Entwicklung der übrigen schönen Prosa nicht zurücksteht. Auch A. H. Niemeyer (st. 1828) war ein Kanzelredner von Ruf und erwarb sich zugleich ein nicht gemeines Verdienst um die Pädagogik (Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts). Auf diesem Felde überragte jedoch Johann Heinrich Pestalozzi (1746 -— 1827) aus Zürich alle seine Zeitgenossen weit. In diesem merkwürdigen Manne verband sich eine streng demokratische Denkart mit klarer Einsicht in die Grundübel der, wenn überhaupt, nur nach dem theologischen Schlendrian betriebenen Volkserziehung und mit einem heiligen Mitleid für die geistige und leibliche Armuth der Armen und Niedrigen. Er bildete seine auf Rousseau gestützten pädagogischen Ansichten zur mathematisch - analytischen Methode des Anschauungsunterrichts aus, welche eine so höchst wohlthätige, dem Obskurantismus freilich sehr verhaßte, Reform im Elementar - und Realschulwesen herbeigeführt hat. In dem Staub und Dunst der Schulstube, wo er fünfzig Bettelkinder um sich versammelt, um ihrer Erziehung Zeit, Gesundheit und Vermögen zu opfern, schrieb er seinen trefflichen Volksroman von Licnhard und Gertrud. Seine glänzenden Erfolge und den Dank der Nachwelt erkaufte er durch eine Aufopferung, deren Glanzlosigkeit ihre Größe noch erhöhte. (Sämmtliche Schriften, 1819—20, 13 Bde.) 16 . Wir sind jetzt am Ausgangspunkte unserer Elastik angelangt. Sie hatte, wie wir sahen, zur nämlichen Zeit, als die französische Revolution durch den thatsächlichen Sturz des Feudalismus das gealterte Europa zu verjüngen unternahm, ihrerseits alle Räume des geistigen Lebens unserer Nation mit ihrem humanen Inhalt erfüllt. Die deutsche Wissenschaft und die deutsche Nationalliteratur hatten in innigem Bunde das erreicht, was auf der historischen Bildungsstufe unseres Volkes überhaupt zu erreichen war: die Freiheit und Selbstbestimmung der Kunst, die Freiheit und Selbstbestimmung der wissenschaftlichen Forschung und in beiden und durch beide Neuhochdeutsche Zeit. 121 die Befreiung des Individuums, die Autonomie der Persönlichkeit. So war die kosmopolitische Idee der neuen Zeit, zu deren Realisirung jenseits des Rheins ein praktischer Anlauf genommen wurde, diesseits desselben zu allseitiger theoretischer Durchbildung gelangt. Jetzt erfolgte ein Rückschlag, wie solche nun einmal in der weltgeschichtlichen Entwicklung schlechterdings nothwendig zu sein scheinen, im politischen Leben Frankreichs durch Napoleons Despotie und die bourbonische Restauration, im wissenschaftlichen und nationalliterarischen Leben Deutschlands durch die romantische Schule, welche an die Stelle der Freiheit die Willkür setzte und aus dieser naturgemäß in die Unfreiheit zurückfiel. Den Uebergang von unserer Klassik zur Romantik stellen in ihren Werken dar ein Philosoph und ein Humorist, Fichte und Jean Paul. Johann Gottlicb Fichte wurde am 19. Mai 1762 zu Rammenau in der Oberlausitz geboren und starb am 28. Januar 1814 zu Berlin. Sein Sohn. I. H. Fichte, hat seine gesammelten Werke herausgegeben (1845fg.) und sein Leben beschrieben (1830). In diesem vielbewegten, ringenden Leben stoßen wir auf zwei Glanzpunkte: auf den muthvollen Kampf, den Fichte in Jena (1798 — 99) für die Denk- und Lehrfreiheit gegen die Bedrohung derselben durch den Obskurantismus und die Staatsgewalt durch- gefochten, und auf die national-patriotische Wirksamkeit, die er durch seine bewunderungswürdig energischen, inmitten der französischen Besatzung zu Berlin (im Winter 1807 — 8) gehaltenen Reden an die deutsche Nation, welche den Vorschlag einer großartigen Nationalerziehung machen, sich eroberte. Wie in diesen Reden, hat Fichte auch in anderen feiner Werke (Zurückforderung der Dcnkfreiheit von den Fürsten Europa's — Beiträge zur Berichtigung der Urtheile über die französische Revolution — Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters) seine unmittelbare Beziehung der freien Wissenschaft auf den freien Staat klar und scharf documemirt und sich dadurch als einen der nobelsten, hellsichtigsten und furchtlosesten Charaktere unserer Literatur, als einen wahrhaft großen Mann erwiesen. Fichte's Philosophie ist in ihrer ersten und eigenthümlichen Gestaltung, wie er sie in seiner Wissenschaftslehre (1794) darlegte, die Konsequenz und Vollendung der kantischen. Er erhob Kant's kritischen Idealismus zum absoluten, indem er es unternahm, aus einem höchsten Prinzip heraus die ganze Welt mit wissenschaftlicher Folgerichtigkeit zu construiren. Dieses höchste Prinzip ist das Ich, welches Kant nur als maßgebendes in den Mittelpunkt der Dinge gestellt, 122 Neuhochdeutsche Zeit. das aber Fichte zum productiven Factor der Dinge selbst machte. Indem sich das Ich in seiner absoluten Souverainetät in seinem reinen Selbstbewußtsein setzt, setzt es zugleich auch seine endliche Gegenständlichkeit, die Welt. Um aber in dieser seine Freiheit nicht zu verlieren, muß es die von ihm selbst gesetzte Welt auch wieder durch sich überwinden oder aufheben, die gegenständliche Wirklichkeit als Bestimmung seiner selbst gewinnen und haben. Es war kein Wunder, daß dem Gedanken auf dieser isolirten Spitze des menschlichen Bewußtseins zu schwindeln begann. Fichte hatte die absolute Freiheit des Subjects theoretisch bewiesen, aber er vermochte sie praktisch nicht festzuhalten, gerade wie Kant den durch die Kritik der reinen Vernunft beseitigten Gott als eine Forderung der praktischen wieder statuirtc. In den Umarbeitungen der Wiffcnschaftslehre und in den späteren philosophischen Schriften Fichtc's bereitete sich allmälig ein Abfall seiner Philosophie vorn Wissen zum Glauben vor, bis dann in der Anweisung zum seligen Leben ( 1806 ) an die Stelle des Ich Gott und an die Stelle des Nicht-Ich die Welt geschoben wurde. Hier mündete also das speculative Denken in die christliche Weltanschauung aus. Von selbst jedoch versteht sich, daß der Rückschritt Fichtc's, dessen ursprüngliche Philosophie noch immer eine Menge Befruchtungskeimc für die Zukunft enthält, nicht so weit ging, daß er unter dem Christenthum etwas Anderes als Freiheit und Humanität hätte verstanden wissen wollen. Das Fichte'sche Ich nun ist die eigentliche Seele von Jean Paul's Hu- moristik. Der Humor setzt das menschliche Ich als Mittelpunkt der Welt, nicht etwa im gemein egoistischen Sinnes sondern um mit diesem absolut souveraincn Maaßstab alle Erscheinungen zu messen und sie durch den Kontrast mit der Idee zu vernichten. Dem Paradiesvogel gleich schläft der Humor fliegend und „ auf den ausgebreiteten Flügeln verschlummert er blind in seiner Höhe die unteren Erdstöße und Brandungen des Lebens im seligen schönen Traum von seinem idealischen Mutterlande." Der Humor anerkennt nur ein Gesetz, die Willkür seines Selbstgefühls, in welchem sich die gegenständliche Welt als in einem Hohlspiegel zur Caricatur verzerrt. Aber diese humoristische Willkür gewährt nirgends wirkliche Befriedigung und gesellt sich daher als Ergänzung die schwcrmüthigc Sehnsucht nach dem Idealischen oder mit einem Wort die Sentimentalität. Jede Seite in Jean Paul's Werken kann das angedeutete zweiseitige Auseinanderfalten des Lebens und der Poesie bestätigen, welches sich nirgends zu künstlerischer Einheit und Neuhochdeutsche Zeit. 123 Gestaltungskraft zusammenschließen will. Daß er dennoch eine mächtige Wirkung hatte, verdankt er der gränzenlosen Liebe und Milde seines Gemüths, welche unter den Grillen und Schrullen seiner humoristischen Willkür immer wieder siegreich und schön hervorblüht. Johann Paul Friedrich Richter wurde geboren am 21. März 1763 zu Wunsiedel im Fichtelgebirge und starb zu Baireuth am 14. November 1825. Seine gedrückte Jugendzeit hat er selbst als eine wahre Passionszeit und Hungerperiode bezeichnet, aber dennoch „ wogt ihm noch in alten Tagen das Herzblut", wenn er „ das Kuhglockcnspicl der hohen fernen Kindheitsalpen" wieder vernimmt. Kein Wunder, denn er ist sein Lcbcnlang „ ein ernsthaft spielend Kind" geblieben, selbst da, wo er sich, wie beim Beginn seiner Schriftstellcrlaufbahn in satirischer Richtung an dem Titanismus der Sturm- und Drangperiode bethei- ligtc (Grönländische Prozesse 1783, Auswahl aus des Teufels Papieren 1788). Mit der unsichtbaren Loge (1793) bezeichnet Jean Paul seinen Austritt aus der „Essigfabrik der Satire". Dieser pädagogisirendc Roman, namentlich die darin enthaltene Episode vorn vergnügten Schulmeisterlein Wuz, enthält die ganze nachmalige Dichtung Jean Paul's im Keime. Wuz ist der Mikrokosmus des Jean-Paulismus, wie der Titan (1800—2) sein Makrokosmus ist. Der Hesperus (1795), welcher Jean Paul's Popularität insbesondere irr der deutschen Frauenwelt feststellte, dann Quintus Firlein (1796), Siebenkäs (1796) und der Jubelscnior (1797) sind nur alsVor- stufen und Vorstudien zum Titan zu betrachten, welchen der große Humorist als seinen „Haupt-und Universalroman" angesehen wissen wollte. Es sollte darin sein bestes Herzblut ausgeströmt werden und er wollte in diesem Werke „Rheinfälle, spanische Donnerwetter, tragische Orkane voll Tropen und Wasserhosen anbringen, wollte der Hekla sein und das Eis seines Klima's und sich dazu auseinandersprengen und sich Nichts daraus machen, wenn es sein letztes wäre". Das war nun allerdings der Titan nicht, wohl aber, wie schon gesagt, das umfassendste. Hier breitet der humoristische Genius seine Schwingen über den ganzen Horizont des menschlichen Fühlens und Denkens, Schauens und Wissens, fliegt in den Himmel hinein und behält doch die Erde mit ihren kleinsten Freuden und Leiden im Auge. Die Absicht des Werkes ist die Darstellung der Entwicklungsgeschichte einer durch Anlagen, Erziehung und Verhältnisse harmonisch vollendeten Individualität von frühester Kindheit an bis zu allseitig gereifter Befähigung, das Leben in seinen höchsten Forderungen zu erfassen und zu führen. Diese Absicht 124 Neuhochdeutsche Zeit. wird auch erreicht, aber so, daß wir keinen rechten Eindruck davon empfinden, weil die ganze Zauberwelt, welche der Humor vor uns aufthut, haltlos in der blauen Luft schwebt und verschwebt. Wie sollten wir heimisch werden in diesem anarchischen Durcheinander, welcher vom Hundertsten ins Tausendste geräth, in labyrinthischen Einschachtelungen sich gefällt, uns athemlos durch blasse Mondschcinlandschaften fortreißt, uns mit Blüthcnstaubwolken einhüllt und mit Blumenthränen überströmt, ohne uns doch jemals recht über die nüchterne Empfindung wegzuheben, daß das Alles nur ein Spiel der Willkür sei, welche bacchantischen Taumel erkünstle. Was hätte uns Jean Paul werden können, wenn er, wie ihm Göthe und Schiller riechen, seinen Reichthum künstlerisch zu Rathe gehalten? Es ist etwas durch und durch Krankhaftes in ihm. Man vergleiche nur seine Lianen, Liuta's, Linda's und Lenetten mit der gesunden Schönheit der göthe'schen Frauengestalten. Ueberall fehlt ihm der Formstnn und daher find auch seine ins Gebiet der Wissenschaft hineinspielenden Arbeiten (Vorschule der Aesthetik 1804 , Le- vana oder über die Erziehung 1807 , Selina oder über die Unsterblichkeit 1827 ) nur Sammelsurien geistreicher Apercus. Mit den Flegeljahren ( 1803 ) begann Jean Paul seinen Rückzug aus der Hochidealischen Welt des Titan in die der Wuz'schen Idylle und Kleinlebigkcit, in welcher Feldprediger Schmelzle ( 1808 ), Katzenberger ( 1809 ) und Fibel ( 1812 ) spielen. In seinem letzten Roman, der Komet ( 1820 — 22 ), wollte Jean Paul den Deutschen einen Don Quirote schaffen, aber die Ermattung der Phantasie, welche hier bedenklich zu Tage tritt, ließ das Wollen nicht zum Thun werden. Zwei Jahre vor seinem Tode trug er sich noch mit dem Gedanken, einen Roman zu schreiben, welcher „eine Gencralsalve seines Kopses geben, ein Allerseelenfest seiner Gedanken feiern sollte". Der erst 1845 veröffentlichte Papierdrache enthält die Studien zu diesem Werke und läßt uns einen Einblick in die humoristische Wcrkstätte Jean Paul's thun, in welcher die wider- haarigsten Materialien chaotisch durcheinanderliegen. Die Werke Jean Paul's haben ihre Wirkung gehabt. Ihr Vorzug bestand darin, daß sie die Freiheit des Fühlens ihrem ganzen Umfange nach forderten und erkämpften, ihr Nachtheil darin, daß sie die Willkür der Genialität als höchstes Gesetz der Kunst proclamirten und daneben durch Verherrlichung der Misbre des Lebens eine thatlos sentimentale Schwärmerei pflanzten. Freilich, das Letztere wollte Jean Paul keineswegs. Denn in diesem gefühlsseligen Humoristen war auch eine starke Ader energischer Freiheitsliebe und durch ihre mit dem Neuhochdeutsche Zeit. 125 edelsten Freimuch vorgetragenen Aeußerungen (Freiheitsbüchlein 1808, Friedenspredigt 1808, Dämmerungen für Deutschland 1809) stellt er sich als Kosmopolit zu Schiller, als Patriot zu Fichte. Von ihm rührt der Ausspruch her, daß die Censur das gefährlichste Hülfsmittel der Tyrannei sei, und er hinwiederum hat den censirren Deutschen ein bedeutsames Trostwort gesagt, indem er den Feinden der Freiheit zurief: „Zerschlagt nur jeden Bund ihrer Freunde und zerstückt jedes Buch sogar mit dem, der es hinstellte, um darin die Geistersonnc, die Freiheit im Aufgangc zu zeigen: nun glänzt die Sonne nicht mehr aus einem Spiegel, sondern neu aus jeder Scheibe des zertrümmerten." (I. P. F. Richters sämmtl. Werke, 1826 fg. 60 Bde. O. Spazier lieferte einen fünfbändigen biographischen Commentar dazu, 1833.) Wie Jean Paul auf die Wezcl, Hippel und Thümmel als Vollender des deutschen Humors folgte, so lehnte sich an ihn eine Reihe von Humoristen, in bald minder bald mehr jeanpaülisirendem Tone die Srerne-Hippel- Richter'sche Humoristik ausklingen lassend. Der bedeutendste dieser Autoren ist der Graf Karl Christian zu Benzel-Sternau (1767—1844), der in seinen Romanen, worunter das goldene Kalb der beste, seine genaue Kenntniß der vornehmen Welt zur Unterlage einer ebenso geistreichen als freisinnigen Satire gemacht hat. Leichter, harmloser und heiterer spielt der Humor in den Erzählungen des Schweizers Ulrich Hegner (1759—1840), von welchen die Molkenkur am bekanntesten wurde. Ernst Wagner (1767—1812) suchte in seinen Romanen (Reisen aus der Fremde in die Heimat, Wilibald's Ansichten des Lebens u. g.) die jeanpaul'sche Gemüthlichkeit mit göthe'scher Stylklarheit zu verbinden, was ihm aber nur selten und nie so hübsch gelang wie den beiden späteren Humoristen Daniel Leßmann und Miscs (Fechncr). Unabhängiger von Jean Paul und mehr nach der Rousseau - Klingcr'schen Richtung hindeutend schrieb Friedrich Wilhelm Meyern (1760—1829) seinen didaktischen Roman Dya-Na-Sore (1787), welcher als ein Vorläufer der politischen Tendenzromane des 19. Jahrhunderts angesehen werden mag. 126 Neuhochdeutsche Zeit. 17. Während unsere Classik auf dem Höhepunkte ihrer Gestaltung und Wirksamkeit das Bewußtsein der Nation mit ihrem humanen Inhalt zu erfüllen begann, schob sich in die naturgemäße Entwicklungsgeschichte des deutschen Geistes eine Episode ei», deren reagirende Tendenz zuletzt aufs Engste mit den aus die Restitution des Mittclaltcrs in Kirche und Staat gerichteten Resultaten des Befreiungskrieges von 1813—15 zusammenschmolz. Diese Episode heißt in der Literaturgeschichte die romantische Schule. Sie gab sich zunächst für einen Fortschritt und gewiß ist, daß, wie bald sie auch im Ganzen und Großen von der Fortschrittsidee abgefallen, im Einzelnen aus vielen Gebieten Fortschritte durch sie angestrebt und erreicht wurden. Auch für sie gilt in vollstem Maaße das oben bei Kotzcbue citirte Wort des Pater Lorcnzo. Die romantische Schule knüpft einerseits an den jeanpaul'schcn Humor und die fichte'sche Lehre von der absoluten Jchheit an und leitet daraus den Begriff der Ironie her, wornach das Subject befähigt und berechtigt ist, mit der objectiven Welt ein geistreich-willkürliches Fangspiel zu treiben, andererseits ist sie in ihrem Streben nach Universalität lebhaft influenzirt von der Vergötterung des Universums, welche die schelling'sche Naturphilosophie lehrte. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling wurde am 27. Januar 1775 zu Leonberg in Schwaben geboren. Er machte sich, während Johann Friedrich Hcrbart (1776—1841) dem subjectivistischen Idealismus Kant's einen philosophischen Realismus gegenüberstellte, welcher ebensosehr über der gemeinen Erfahrungsvorstcllung stehen, als von der transcendental-subjecti- ven Produktion unabhängig sein soll, seinerseits an die Lösung der Aufgabe, das Prinzip Fichte's wissenschaftlich zu verwirklichen, d. i. den transcendentalen Idealismus als Naturphilosophie durchzuführen, die Identität des Idealen und Realen aufzuzeigen. Fichte hatte, wie wir wissen, in seiner Wissenschastslehre, welche das seit Kant in der deutschen Dcnkerwclt umgehende Geheimniß vorn Sturze des Deismus zu einem öffentlichen machte, vermittelst „intellektueller Eonstruction" aus dem Idealen das Reale geschaffen, ans dem Gedanken die Natur. Schelling verfuhr umgekehrt; er ließ Neuhochdeutsche Zeit. 127 das Ideale aus dem Realen hervorgehen, die Natur sich zum Gedanken vergeistigen, so zwar, daß die Natur der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur sei. Diese Einheit des Geistigen und Körperlichen ist das Absolute, welches sich in dem allumfassenden Leben der Natur als ein durch den Widerstreit entgegengesetzter Kräfte nach einem allgemeinen Gesetze der Polarität bildendes Prinzip offenbart, im subjektiven Bewußtsein des Menschen aber zu sich selber kommt, wobei alle Stufen des natürlichen Daseins ebenso viele Sprossen sind, auf welchen der Geist zu seiner Freiheit und zum Wissen von sich emporsteigt. So weit schritt Schelling, von Fichte ausgehend, vor, daß er die organische Einheit des Universums unter dem Prinzip der absoluten Vernunft feststellte. Dies ist das eigentliche Ergebniß seiner produktiven Periode, an die sich eine zweite reihte, in welcher er vermittelst sehr ungenirt aufgenommener Anleihen bei den Elcaten, bei Plato und Aristoteles, bei Bruno, Leibnitz, Böhm, Jakobi und Spinoza seine Ansichten zu einem System zu gestalten suchte. Er brachte es nicht fertig und seine dritte Periode verflüchtigte sich in phantastischen Versuchen, seinem Welt-Gott oder seiner Gott-Welt eine Mythologie zu schaffen. Hiebci schlug der Mangel an logischer Kraft geradezu in Impotenz um, welche sich an den christlichen Mythus anklammerte, um doch etwas Mythisches und Mystisches zu haben. Auch hiedurch, wie durch seine Naturphilosophie, hat er auf die Romantiker gewirkt, welche sich außerdem namentlich das schelling'sche Wort, daß die Deutschen eine eigenthümliche Kunst gewinnen müßten, bei ihren „ deutsch- rcligiös-patriotischen" Kunstbestrebungen gesagt sein ließen. Noch bei Gelegenheit seiner Berufung nach Berlin (l84I) verkündigte Schelling im pythischen Orakelton, „er sei im Besitze nicht einer nichtscrklärendcn, sondern einer sehnlichst gewünschte, dringend verlangte wirkliche Aufschlüsse gewährenden , das menschliche Bewußtsein über seine gegenwärtigen Gränzen erweiternden Philosophie." Aber siehe da, das mit solchen sclbstlobhudeln- dcn Posaunenstößen angekündigte Kreisen des Berges gebar nur eine lächerliche Maus, eine sogenannte Philosophie der Offenbarung, ein hölzernes Schüreisen. Paulus und Kapp haben dann dem Orakler sein Recht ange- deihen lassen und ihn dahin verwiesen, wohin er gehört, in die Reihen der romantischen Reactionäre und Visionäre. Uebrigens sollen deßhalb die Verdienste des Manncs aus früherer Zeit nicht vergessen werden. Damals arbeitete eine wirklich geniale Phantasie in ihm, deren Eingehungen er bekanntlich nicht nur als Philosoph, sondern unter dem Namen Bonaventura 128 Neuhochdeutsche Zeit. auch als Dichter zu gestalten suchte, am bleibendsten in seiner schönen Ter- zinendichtung „ die letzten Worte des Pfarrers zu Drottning." Schclling's Naturphilosophie hat zu ihrer Zeit auf dem ästhetischen, naturwissenschaftlichen und sogar auf dem theologischen Gebiete befruchtend und anregend sich erwiesen. Auf ihr fußt die naturphilosophische Thätigkeit von F. I. Schel- ver, I. I. Wagner, F. K. Baader, C. A. Eschenmayer, K. E. F. Krause, I. P. V. Trorler, G. H. Schubert (geb. 1780) und dem Norweger Henrik Steffens (1773—1845), welcher sich auch als Novellist hervorthat (Wal- feth und Lcith, Malcolm u. a.) und in seinem zehnbändigen, übermäßig redseligen Memoircnwcrk (Was ich erlebte) wichtige Beiträge zur Geschichte der romantischen Periode gegeben hat. Bei Steffens verlief sich später das Philosvphiren in den altluther'schen Dogmenglauben und was damit zusammenhängt, Schubert und Eschenmayer sind in ihren Schriften über den mystisch-pietistisch-poctischcn Dilettantismus im Grunde nie hinausgekommen. Schubert's Geschichte der Seele z. B. bewegt sich ganz in den Willkürlich- kciten phantastcrcichcr Gcfuhlsseligkeit, und was Eschenmayer betrifft, so sank er zuletzt bekanntlich zum gröbsten Teufels - und Gespensterspuckgläubi- gen herab. Im Gegensatz zu solchen Unzulänglichkeiten und Narrhciten erhob sich Ludwig Okcn (1779—1851) aus dem Boden der Naturphilosophie zu seiner großartigen Naturforschung, deren Resultate in seinem bekannten großen Werk Naturgeschichte für alle Stände am umfassendsten dargelegt sind. Oken erblickte in der Außenwelt das erweiterte Sinnensystem der empfindenden Wesen und das Thierreich war ihm der auseinandergelegte, in seine Organe zerstückelte Mensch. Im Einzelnen hat er höchst bedeutende Entdeckungen gemacht, z. B. daß der Thicrschädel aus drei mobifizinen Rückenwirbeln zusammengesetzt ist und daß der thierische Organismus betrachtet werden muß als der Bau einer kolossalen Universalzelle, welche ihre Organe zu physiologischen Systemen ausarbeitet, welchen das einfache organische Zellenleben dienend untergeordnet ist. Oken gehört zu den sehr wenigen Mitgliedern der naturphilosophischen Schule, welche geistige Gesundheit und Charakterfestigkeit bis zum Tode bewahrten. Einen ernsten, aber mißlungenen Versuch, die schelling'sche Naturphilosophie mit dein fichtc'schcn Idealismus höchster Potenz zu vermitteln, machte W. F. Solger (1780—1819). Das Schwanken zwischen logischer Klarheit und mystischer Vertiefung, welches seine philosophischen Ansichten charakterisier, findet sich auch in seinen ästhetischen, die namentlich im Erwin zusammengestellt sind. Er hat sich insbesondere Neuhochdeutsche Zeit. 129 mit der Begriffsbestimmung der Ironie abgequält, welche nach ihm ist „die Selbstvernichtung des Endlichen an dem freien Subject und durch dieses." Seine Uebersetzung der Tragödien des Sophokles gibt ihm Anspruch auf eine Stelle unter unseren Verdeutschungskünstlern. Fichte und Schelling sind die Jniziatoren der Romantik, Novalis ist ihr Prophet. Friedrich von Hardenbcrg, genannt Novalis, wurde 1772 zu Wiedcrstedt im Mannsfeldischcn geboren und starb schon 1801 an der Schwindsucht. Auch er ging von Fichte aus, allein bald kam er dazu, an die Stelle des fichte'schen freien Selbstbewußtseins als Absolutes die mpstisch- wunderbare und dunkle Gefühlswelt zu setzen. Hieraus ergab sich dann die Nothwendigkeit des Versuchs, die Philosophie mit der Religion zu versöhnen, die christliche Innigkeit in die Poesie zurückzuführen. Bei Licht betrachtet war das nur ein entschiedener Rückschritt von der Bahn humaner Freiheit und Selbstbefrciung, welche unsere Klassiker seit Lessing so kühn betreten hatten. Novalis mochte das auch dunkel fühlen, und weil er kein Obscurant war, so rang er gewaltig, eine Einheit zu finden, in welcher Religion, Poesie und Wissenschaft sich begegnen könnten, ohne die Freiheit zu gefährden. Es gewährt hohes Interesse, dieses Ringen einer engelhaft reinen Seele zu betrachten , wie es sich namentlich in den fragmentarischen Betrachtungen von Novalis darstellt. Wenn es ihm manchmal gelang, der Religion fest in's Auge zu blicken, erkannte er ihr innerstes Wesen und so sprach er das furcht- bareWort: „Es ist wunderbar, daß nicht längst die Association von Wollust, Religion und Grausamkeit die Menschen aufmerksam auf ihre innige Verwandtschaft und ihre gemeinschaftliche Tendenz gemacht hat." Aber zuletzt führen ihn alle seine Vermittlungsversuche zwischen Spinozismus, fichte'schem Idealismus, Schcllingianismus und Jakob Böhmismus doch nur zu dem allgemeinen Ziel der Romantik, zum Christenthum und zwar zum Christenthum in seiner Form als Katholizismus, denn, sagt er, „der alte Katholizismus war angewandtes, lebendiggewordcnes Christenthum, er war die echte Religion, er war es durch seine Allgegenwart im Leben, seine Liebe zur Kunst, seine tiefe Humanität, die Unverbrüchlichkeit seiner Ehen, seine menschenfreundliche Mittheilsamkcit, seine Freude an Armuth, Gehorsam und Treue." Nachdem sich Novalis mit einer Willkür, die der Kirchengerichte geradezu in's Gesicht schlägt, einen Katholizismus zurechtgemacht, prophezeit er, „nur die geistliche Macht desselben könne den streitenden Völkern den Pal- menzwcig darreichen. Es wird so lange Blut über Europa strömen, bis die 9 ISO Neuhochdeutsche Zeit. Nationen ihren fürchterlichen Wahnsinn gewahr werden, der sie im Kreise umhertreibt, und von heiliger Musik getroffen und besänftigt zu ehemaligen Altären in bunter Vermischung treten, Worte des Friedens vernehmen und ein großes Friedensfest auf den rauchenden Wahlstätten mit heißen Thränen gefeiert wird." Consequenterweise geht dann Novalis bis zum Lob des Jcsuitismus fort, verwirft die Reformation und die Aufklärung des Bestinun- testen, kehrt sich ab von dem „frechen Licht" des Tages, preist in schönen Hymnen die „heilige, unaussprechliche, gcheimnißvolle" Nacht und singt der Jungfrau Maria inbrünstige Lieder. Ucbrigens ist die dichterische Thätigkeit Hardenberg's, gleich seiner philosophischen, eine fragmentarische geblieben und er zeigt sich auch darin als echten Romantiker, daß er gerade da, wo er den größten Anlauf nahm, in seinem Heinrich von Oftcrdingen, auf halbem Wege stecken blieb. Dieser Roman sollte die Poesie der Poesie werden, wurde aber statt besten zur Unpoesie der Phantasterei und Allcgorik, nur in einzelnen der eingestreuten Lieder und in der Schilderung von Heinrich's und Mathildes Liebe genießbar. (Novalis' Schriften, 4. Aufl. l 826, 2 Bde. Dritter Theil 1846.) 18 . « Die romantische Reaction, auf welche Novalis prophetisch hingewiesen, erfüllte sich durch die Gebrüder Schlegel zunächst kritisch und literarhistorisch. Friedrich Schlegel (1772—1829) aus Hannover ist der eigentliche Doc- tringeber der Romantik, sein etwas älterer Bruder August Wilhelm Schlegel (1767—1845) ihr Propagandist. Ihre schriftstellerische Thätigkeit ging zuerst von Jena aus, wo sich im letzten'Jahrzehent des 18. Jahrhunderts um Fichte und Schclling ein Kreis von jungen Männern gebildet hatte, die sich berufen glaubten, eine neue Culturepoche für Deutschland zu schaffen. Friedrich Schlegel, unterstützt von Adam Müller (st. 1829), F. A. Bernhardt, Wilhelm Neumann (st. >835) und dem romantisch-pietiftischcn Ncbler ^ und Schwebler Franz Horn (geb. 1781), gab in seiner Zeitschrift Athenäum (1798—1800) und in der späteren Europa (1803—4) den romantischen Ton an, nachdem er sich gleich seinem Bruder durch kritische und literatur- geschichtliche Arbeiten, welche von einer tüchtigen Kenntniß alter und neuer Neuhochdeutsche Zeit. 131 Literatur zeugten, ein gewisses Ansehen erworben hatte. Was die negative Seite seiner Kritik betrifft, so war diese insbesondere gegen die Kotzebue, Merkel und Lafontaine, wie gegen die nicolaischen Aufklärer gerichtet. Göthe's künstlerischer Meisterschaft wurde gehuldigt, Schiller dagegen, dessen ethisches Freiheitsstreben den Romantikern von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen, ward vornehm ignorirt oder auch versteckt und offen befehdet. Die neue Kunstkritik trat überhaupt mit jener Unverschämtheit auf, welche alles unsaubere und ohnmächtige Streben charakterisirt und zu deren Beschönigung Friedrich Schlegel den Ausdruck „göttliche Grobheit" erfand. Fragt man, was denn eigentlich die neue Doctrin wollte, so lautete die Antwort schön genug: Sie wollte die Einheit von Leben und Poesie in der Un- mittclbarkeit beider begreifen, die Realität mit dem Idealismus durchdringcn, die Wirklichkeit poetisch verklären, hiedurch die Emanzipation der Gesellschaft von der Philisterei aller Art bewirken und die Bildung in eine Sphäre erheben , wo in dem Brennpunkt der Religion Leben und Kunst Eins werde. Friedrich Schlegel versetzte sich nun in einen poetischen Opiumrausch, um in seinem Roman Lucinde (1799) die Unmittelbarkeit des genialen Ich dichterisch zu veranschaulichen. Dichterischen Werth hat dieses lüdcrliche Buch indessen gar keinen, aber es zeigt, wohin die romantische Ironie strebte. Denn diese Ironie, vermittelst welcher man sich über sich selbst und über die ganze Welt wegsetzt, spielt in der Lucinde die Hauptrolle. Sie demonstrirt, das menschliche Ich finde, nachdem es die Schranke der Subjectivität vergeblich zu durchbrechen gesucht, seine wahre Fülle und Einheit nicht in der Thätigkeit, sondern umgekehrt im Nichtsthun, in der „ gottähnlichen Kunst der Faulheit," in welcher die Freiheit oder viclrüehr Frechheit des genialen Subjects sich selbst genießt. Je göttlicher der Mensch oder ein Werk des Menschen ist, je ähnlicher werden sie der Pflanze. Diese ist unter allen Formen der Natur die schönste und sittlichste und so ist das höchste und vollendetste Leben Nichts als ein reines Vcgetircn. Dieses Vegctiren, dieser Zustand des absoluten Nichtsthuns, in welchem das Ich sein höchstes Ziel erreicht, ist Religion. Nach solchen Prämissen kann es nicht Wunder-nehmen, daß Friedrich Schlegel auf den Schluß kam, die vegetative Glückseligkeit , die Religion der Faulheit finde sich am besten im Katholizismus verwirklicht, zu welchem er schon 1803 übertrat. Ucbcrhaupt war die Rückkehr zur mittelalterlichen Katholizität das Ende von dem romantischen Liede. Die mittelalterlich-katholische Weltansicht, welche vorgeblich Kirche und Staat, 9* 132 Neuhochdeutsche Zeit. Volk und Wissenschaft, Kunst und Leben zu einer Einheit zusammengefaßt hätte, müsse wieder hergestellt und vermittelst ihrer die deutsche und euro- . patsche Gesellschaft verjüngt werden. Der Wendepunkt zum Bösen in der Weltgeschichte sei eingetreten mit den Kämpfen der Ghibellinen gegen das Papstthum und hätte sich dann durch die Reformation und die Aufklärung vollendet. Daher weg mit dieser, weg mit der freien Forschung und es lebe die Denkfaulheit, die Inquisition, die Jesuitcrei und die päpstliche Jnfallibi- lität! In den Orient müsse man zurückgreifen, um das höchste Romantische zu finden, im alten Indien finde man vegetatives Leben und göttliches Nichtsthun in höchster Vollkommenheit. So geht die Schlegel'sche Litanei noch lange fort nnd wird, schon in seinen sonst vielfach verdienstlichen Werken die Sprache und Weisheit der Inder ( 1808 ) und Geschichte der alten und neueren Literatur ( 1812 ) angestimmt, in seiner sogenannten Philosophie der Geschichte ( 1828 ) und seiner Philosophie des Lebens ( 1829 ) ganz ekelhaft mönchisch. Ueberblickt man die Doclrin der Romantik im Ganzen, so wird man mit Rüge sagen müssen, daß sie darauf ausgegangen, der Aufklärung und Humanisirung der christlichen Welt die Wiederherstellung des Christenthums, der Freiheit die Unterwerfung unter Offenbarung und Autorität, der Kunst die Religion, der Begeisterung die Ironie, der Freiheit des Menschen die Frechheit des Genies entgegenzusetzen. Der ältere Schlegel gab sich willig dazu her, die romantische Doctrin seines Bruders zu propagiren, und reiste, wie weiland Lavater als Musterreiter der Bibclgläubigkcit, in Deutschland umher, um durch öffentliche Vorlesungen das neue Heil unter dem Publicum auszubreiten, wobei ihm das Patronat der Frau von Stael, die ihn zu ihrem Reisebegleiter machte, die vornehmen Cirkel eröffnete. Derartige Vorlesungen wurden die Licblings- form der Offenbarung romantischer Gcistrcichigkcit und nachmals durch Tieck zu dramaiischer Virtuosität ausgebildet. Uebrigens war Wilhelm Schlegel zu gescheidt, um sich von dem blauen Dunst der Romantik völlig benebeln zu lassen. Der eitelste der Menschen, cokettirtc er mehr nur mit der romantischen Mode, als daß er sie für baaren Ernst genommen hätte. Er wollte damit Lärm machen, weiter Nichts. Ein geschmackvoller Sprachkenner, der er war, cultivirte er mit Vorliebe die universalistische Seite der Romantik, und hat der herder-göthe'schen Idee der Weltliteratur wesentliche Dienste geleistet. Seine Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur ( 1809 ) setzten dem größeren Publicum das Wesen des griechischen, englischen, spa- Neuhochdeutsche Zeit. 133 Nischen und italischen Drama's theoretisch klar auseinander und seine Meisterschaft als Uebersetzer lieferte zu der Theorie überall die praktischen Belege. Er führte Dante, Camoens und Calderon in Deutschland ein, er lieferte eine noch immer unerreichte Uebertragung der Dramen Shakspeare's (von 1797 an) und eröffnete uns durch seine Verdeutschung einer Episode des Ramayana (die Herabkunft der Gang«) den Blick in die kolossale Phantastik der altindischen Epik. Seine kritischen und literarhistorischen Arbeiten erscheinen überall durch romantische Schrullen und Schnurren viel weniger getrübt als die seines Bruders und es ist nur gerecht, anzuerkennen, daß die edle Wissenschaft der Literarhistorik eigentlich erst von ihm datirt. Auch in Betreff der poetischen Production lief er dem Bruder den Rang ab, wenigstens wußte er sich, im Besitz großer stylistischer Fertigkeit, mehr das Ansehen eines Poeten zu geben als jener, dessen dichterische Hohlheit in seinem Trauerspiel Alarkos zu einer grellbunten Blase der Verrücktheit aufschwoll. Freilich wetteiferte auch Wilhelm Schlegel in seiner einzigen größeren Dichtung, dem Schauspiel Ion, nur unglücklich mit der göthe'schen Jphigenie. Von jeden: der Brüder pflanzt sich herkömmlicher Weise ein halb Dutzend Gedichte in den Anthologien fort, aber es sind kalte, leblose, gemachte Producte. Die Schlegel wollten den Mangel an Schöpferkraft und die Prosa ihrer Empfindungsweise durch Einführung des Klingklingelwescns südlicher Formen verdecken und es kam durch sie jene Sonetten- und Glossenwuth in Deutschland auf, welche der wackere Voß so herb als treffend persiflirt hat. Überhaupt ging das Schönthun der Schlegel mit den italischen und spanischen Dichtern bald so ins Ertrem, daß zum großen Nachtheil unserer Literatur eine Zeit lang gar nicht bezweifelt werden durfte, die crude-katholische Phantastik der Caldcron'schen Autos sei das Höchste in der Poesie. (Fr. Schle- gel's sämmtl. Werke, 1822—25, 10 Bde. A. W. Schlegel's sämmtl. Werke, hrsg. v. Böcking, 1846, 12 Bde.) 134 Neuhochdeutsche Zeit. 19 . Die Schlegel protestirten zwar dagegen, daß sie hätten eine Schule stiften wollen, allein eine solche war nun einmal da und die spezifischen Romantiker trugen Sorge, den romantischen Schulbegriff recht sektenmäßig auszubilden^ Ihr gemeinsames Merkmal ist die bald bewußte bald instinkt- mäßige Opposition gegen die Klassik, d. h. gegen Freiheit und Humanität, im weltweiten, kosmopolitischen Sinn der Aufklärung verstanden. Sonst spaltete sich die Sekte in verschiedene, sich vielfach berührende, manchmal auch abweisende Richtungen: in eine religiös-mystisch-katholizisirende, eine phantastisch-humoristische, eine junkerhaft-ritterliche, eine patriotische, eine ultra- montan - fanatische und eine politisch - reactionäre. So ziemlich alle diese Richtungen, mit Ausnahme der fanatischen, vereinigt in sich der Hauptpoet der ganzen Schule, Ludwig Tieck, geboren am 31. Mai 1773 zu Berlin. Die Schlegel hatten lange mit Sehnsucht umhergespäht, ob denn, da Novalis zu frühe wegstarb, kein Dichter kommen wolle, welcher thun sollte, was sie selbst nicht konnten, nämlich die Formen ihrer Doctrin mit romantischer Substanz erfüllen. Als Tieck sich nun der Schule zuneigte, wurde sein poetisches Messiasthum unter kritischen Fanfaren proclamirt, die uns heutzutage kaum mehr ein Lächeln, geschweige etwas Anderes entlocken. Tieck war ein Poet, keine Frage, und wo er seine lyrische Ader ohne romantische Affectatwn und Prätension gewähren ließ, trieb sie volle, warme und glänzende Licdcrstralen in die Luft, aber es hat sich bitter genug an ihm gerächt, daß er seine besten Jahre an ein lebensunfähiges und nur künstlich belebtes Kunstprinzip vergeudete. Er ist der Nation Nichts geworden, seine Wirksamkeit blieb eingeschlossen in die Kreise romantischer Gcistreichigkeit und Erclusivität. Er ließ, von seinen sonstigen unbedeutenden Erstlingswerken zu schweigen, zuerst in seinem weitschweifigen Roman William Lovell (1793 fg.), welcher die Werther - Faustfrage auf den Boden des Don Juanismus hinüberrückt, romantische Sympathien merken, kam aber erst durch seine Volksmärchen (1797) und noch entschiedener durch die gemeinschaftlich mit seinem Freunde Wackcnroder verfaßten Herzenscrgießungen eines kunstliebcn- den Klosterbruders (1797) und Phantasien über die Kunst (1799) mit den Neuhochdeutsche Zeit. 135 Schlegeln und ihrem Kreise in nähere Beziehung. Die neuen Freunde wußten ihn festzuhalten und seine Produktivität zu benützen. Er schrieb den Kunstroman Franz Sternbald's Wanderungen, welcher die mystisch-lüstern- kathvlische Richtung, die Göthe das Sternbaldisiren nannte, unter den Schwachköpfen unserer Künstlerwelt zur Mode machte, fertigte im Interesse der Schule seine literarisch-polemischen Komödien (der gestiefelte Kater, die verkehrte Welt, Prinz Zerbino u. a.), worin „mit wenig Witz und viel Behagen" gegen Armseligkeiten in der Literatur — worunter die Romantiker natürlich auch die Aufklärung verstanden — zu Felde gezogen wurde, übersetzte ganz vortrefflich den Don Quirote (1799 fg.) und dichtete die Märchen (der getreue Eckart, Tannhäuser, Ekbert, der Runenberg, die Elfen, der Pokal, Licbcszauber), welche nachmals mit den meisten der literarischen Komödien im Phantasus (1812—17) zusammengestellt und durch Kunstgespräche, in welchen Tieck seine ästhetischen Ansichten ausführte, unter sich verbunden wurden. Wir sagten in Bezug auf diese Märchen absichtlich, „ er dichtete" sie, denn hier ist Tieck wirklicher Dichter, hier weiß er, wie keiner der übrigen Romantiker, den Zauber der vielberufenen romantischen Waldeinsamkeit wirken zu lassen und dem Leben der Natur seine verschämtesten Geheimnisse abzulauschen. - Das war aber den romantischen Freunden noch nicht genug, sie wollten etwas ganz Großes, Dichtwerke, durch welche sich die Romantik über die Klassik wegheben oder sich derselben wenigstens ganz entschieden gleich stellen sollte. Tieck that sein Möglichstes und fchrieb sein Trauerspiel Leben und Tod der heiligen Genovesa (1799) und seinLustfpiel Kaiser Octavianus (1804). . Die Schule stimmte darob Lobpsalmen an, als wäre jetzt erst den Deutschen gezeigt, was eigentlich Dichten hieße. Insbesondere die Genovesa, diese plan- und einheitslose Apotheose des Mittelalters, rief die verrücktesten Urtheile hervor und wurde von den romantischen Narren unbedingt neben oder gar über Göthe's Faust gestellt. Heutzutage fällt es Niemand mehr ein, diese Bimbambumelei zu lesen, außer dem Literarhistoriker, der aber für seine Mühe einigermaßen entschädigt wird, da ihm die Genovesa den flagrantesten Beweis von romantischer Affcctation liefert, 'hier ist wirklich das Kokettiren mit mittelalterlicher Sinniglichkeit, Minnig- lichkeit, Jnniglichkeit und anderen Iglichkeiten auf die Spitze getrieben und man wird durch diese durchaus hohle und verlogene „Naturunmittelbarkeit" unwillkürlich an die Schnurre von den zwei Kammerjungfern erinnert, welche die Verjüngungselirirflasche ihrer Gebieterin aus einmal austranken 136 Neuhochdeutsche Zeit. und sich dadurch die eine zum Backfisch, die andere gar zum flennenden Wickelkind verjüngten. Selbst unsere edle, durch Lcssing, Göthe und Schiller so herrlich ausgebildete Sprache muß sich um der affectirten Mittelalterlich- keit willen die widerwärtigste Verhunzung gefallen lassen. Man lese nur Tieck's Uhuballadc die Zeichen im Walde, um zu fühlen, wie weit das ging. Tieck fand überhaupt ironisches Gefallen daran, die Geduld seines Publi- cums auf harte Proben zu stellen. Er verkaufte demselben die baarc, langweilige Prosa seiner italischen Rciseeinfälle als Reiffgcdichte und später war er sogar zu bequem, sich auch nur um den Schein eines Rhythmus zu bemühen, und veröffentlichte unter dem Titel Seelen zu Gedichten seine Lyrik in Prosa. Uebrigens gab er mit seinem Märchendrama Fortunat (1815) der anempfundenen und forcirtcn mittelalterlichen Romantik den Abschied und trat dann seit den 20ger Jahren mit einer langen Reihe von Novellen hervor, worin er auf der Basis göthe'schen Styls die Fragen und Probleme der neuen Zeit gegen diese zu kehren sich bemüht hat. Romantiker ist er demnach auch in seiner zweiten Periode geblieben, nur nahm er hier statt der Mittelaltcrlichkcit die Ironie zum Haupthülfsmittel. Zu wahrer und voller Poesie kommt es daher auch in dieser Novellistik nur selten. Es fehlt ihr der Herzschlag der Leidenschaft, sie bietet, wie jener englische Kritiker ganz richtig bemerkte, der Phantasie des Lesers viel zu wenig Stoff dar und die romantische Tendenz zerbröckelt die Erzählung in nüchterne Reflexionen. Einige dieser Novellen sind geradezu nur dialogisirte Abhandlungen, geschrieben, um die Berechtigung irgend einer romantischen Grille zu erweisen. Zu den einerseits durch feinen Humor, andererseits durch psychologische Meisterschaft ausgezeichnetsten Productcn tieck'schcr Novellistik gehören die Gemälde, der Jahrmarkt, das Zauberschloß, Dichtcrleben, der Auffuhr in den Cevcnnen, wovon aber nur der erste Theil fertig geworden, der Hercn- sabbath, der junge Tischlermeister und Dichters Tod. Der historische Roman Vittoria Accorombona (1840), womit Tieck, wie es scheint, seine schriftstellerische Laufbahn abgeschlossen, war noch ein sprechender Beweis siir sein mehr empfängliches als schöpferisches Talent. Er hatte sich zuletzt in verschiedenen Novellen in absprechendstcr Weise gegen die seit 1830 hcr- vorgctrctenen literarisch-sozialen Tendenzen ausgelassen, aber dessenungeachtet wirkten diese so mächtig auf ihn, daß er ihnen seinen Tribut sehr auffallend entrichtete, indencker in seiner Vittoria eine Emanzipirtc jeder Zoll zur Heldin seines Abschiedswerkes machte. Auch als Kritiker, Literarhistoriker, Neuhochdeutsche Zeit. 137 Herausgeber und Kommentator hat Ticck in heimischer und fremder Literatur eine vielseitige Arbeitsamkeit entwickelt, bei deren Resultaten man schon einige Schrullen, wie z. B. die von der unübertrefflichen Bortrefflichkeit der alt- englischen Bühnentechnik, mit in den Kauf nehmen kann. (Ges. Schriften, 1828 fg. 19 Bde. Ges. Novellen, 1838, 14 Bde.) Ticck machte durch seine Novellistik den Versuch, mit der vorschreiten- dcn Zeit, wenn auch nur in vornehm abweisender Form, sich in Beziehung zu setzen. Dagegen sehen wir in Zacharias Werner (1768—1823) aus Königsberg, dem Hauptvcrtretcr der mystisch-religiösen Seite der Romantik, die rückwärtszcigcnde Befangenheit der Schule auf den Kulminationspunkt gelangen. Werner rettete sein durch systematische Lüdcrlichkeit zerrüttetes Gemüth in den Schooß der katholischen Kirche (1811) und hat sich dann in Wien zu Tode gepredigt. Es ging in ihm ein großes dramatisches Talent verloren, verloren in bodenloser Nebclei und Karfunkelei. Er hatte sich in seiner besseren Zeit mit dem Plane getragen, vermittelst der erweiterten Idee der Freimaurerei mitten in der Wirklichkeit eine ideale Welt, einen religiös- künstlerischen Gchcimbund zu begründen, und hatte in seinem Drama die Söhne des Thals (1803) diesen Plan poetisch zu entwickeln und zu organisiern gesucht. Dies blieb seine dichterische Hauptleistung. Doch schon hier und mehr noch im Kreuz an der Ostsee beginnt jene melodramatische Spektakelei mit mystischer Hysterie, Mirakeln und Gespenstern zu rumoren, die seine späteren Dramen zu Schatzkästlein romantischen Wahnsinns macht. Am berüchtigtsten ist sein Trauerspiel der vicrundzwanzigste Februar geworden, welches das griechische Fatum zur willkürlichsten Fratze verzerrt und eine Reihe von romantischen Schicksalstragödien hervorgerufen hat, welche die Schicksalsidec zum gemeinsten Aberglauben entwürdigten und unsere Bühne für einige Zeit mit dem plumpsten fatalistischen Spuk erfüllten. Adolf Müllncr (st. 1829, dieSchuld), Ernst vonHouwald (geb. 1778, dasBild) und Franz Grillparzcr (geb. 1790, die Ahnfrau) gewannen durch solche Schauertrauerspiele den Beifall des großen Haufens. Der Letztere hat, ausgestattet mit einem schönen Talent, auch den Versuch gemacht, tragische Probleme des Alterthums zu romantistren (Sappho, das goldene Vließ, Hero und Leander), ohne es weder hier noch in seinen sonstigen dramatischen Arbeite» zu einem poetischen Totalcindruck bringen zu können. Diesen vermissen wir auch überall in den Dichtungen von Clemens Brentano (1777 —1842), der recht eigentlich an der romantischen Mystik und Phantastik 138 Neuhochdeutsche Zeit. zu Grunde gegangen ist, wahrhaft geniale Anlagen in Willkür und Zerrissenheit aufzehrend und zuletzt bis zu kapuzinerhaftem Blödsinn hcrabsinkend. Er spielt mit seinen Werken, deren meiste 1851 in einer Gesammtausgabe von 7 Bänden neu aufgelegt find, in die mystische, humoristische und patriotische Richtung der Romantik hinein, doch schlägt die erstere vor. Die zweite berührt er durch seine Satire die Philister vor, in und nach der Geschichte (1811) und durch seine Erzählung die mehreren Wehmüllcr (1831), die dritte durch sein Festspiel Victoria und ihre Geschwister (1813). Wie in seinem historisch-romantischen Drama die Gründung Prags (1815), nahm er in seinem Romanzcnchklus vom Rosenkranz ebenfalls einen großartigen Anlauf, aber auch das Schönste, was er hier vorführt, verschwimmt und vcrguillt alsbald wieder in die fratzenhaften Gebilde wüster Mystik. Die Romanzen vom Rosenkranz sah er selber für sein Bestes an, und wie denn die Romantiker von dem göthe'schcn Wort: Nur die Lumpe sind bescheiden! die ausgedehnteste Nutzanwendung machten, so sagte Brentano von diesem Gedicht, es sei, als hätte es Shakspeare geschrieben, der den Dante im Leibe gehabt. Mit Vorliebe cultivirte jedoch Brentano das Märchen, denn hier konnte die romantische Willkür ganz schrankenlos ins Himmelblaue hinein- phantafiren. Man braucht auch nur sein Märchen von Gockel, Hinckel und Gackcleia zu lesen, um zu erfahren, wie diese Märchencaprice zuletzt ganz in- stpid und kindisch wird. Am wenigsten steht sich der Leser unangenehmen Störungen ausgesetzt in Brcntano's schöner Geschichte vom braven Kasperl und der schönen Anncrl (1838). Diese meisterhafte Erzählung und die Romanze der lustigen Musikanten aus dem gleichnamigen Singspiel lehren uns den Dichter von der liebenswürdigsten Seite kennen. Brentano gab mit seinem Schwager Achim von Arnim (1781—1831) aus Berlin gemeinschaftlich des Knaben Wunderhorn heraus (1803, 3 Bde.), jene berühmte Sammlung älterer und neuerer deutscher Volkslieder, deren Text die Herausgeber freilich vielfach romantisch willkürlich entstellten. Die Wirkung dieser Volkslicdersammlung thut sich in der ganzen neueren Lyrik höchst erfreulich kund, jedoch müssen wir bei dieser Gelegenheit bemerken, daß die Romantiker das Schönthun mit der Volksdichtung häufig bis ins Läppische trieben und das Publicum mit aller Gewalt zwingen wollten, auch den rohe- sten und nichtssagendsten Aeußerungen des Naturalismus Geschmack abzugewinnen. Was Arnim betrifft, so steht er an genialer Begabung keinem der Romantiker nach, und bei ihm haben wir es noch mehr als bei seinem Neuhochdeutsche Zeit. 139 Schwager zu beklagen, daß das „ Schwelgen in dunkeln Stimmungen und schattenhaften Phantasien, wie die Unfähigkeit der rundenden Form" sein reiches Talent zu keiner künstlerischen Harmonie gelangen ließ. Er hat sogar Dor Tieck das Vermögen voraus, wirkliche, mit Leben und genialem Humor erfüllte Gestalten zu zeichnen, allein alle seine größeren Werke leiden an einer Zerbröckelung und Ungleichheit, die das Schönste und Größte hart neben das Häßlichste und Aermlichste stellt; am unerquicklichsten in seinen dramatischen Versuchen, wo ihm die Form ganz ins Nebulose zerrinnt. In seinen Romanen die Gräfin Dolores (1810) und die Kronenwächter (1817), von welchem im großartigsten Style angelegten historischen Roman aber nur die erste Hälfte geschrieben wurde, ferner in seiner Novelle Jsabclla von Aeghp- ten (1812) finden sich Stellen, die dem größten Dichter Ehre machen würden , aber daneben auch wieder solche, namentlich in der Dolores, wo die Poesie in völlig aberwitzigem Stammeln verklingt oder ihre Gebilde uns Plötzlich ein grauenhaft verzerrtes Antlitz zukehren. Am grellsten tritt die spukhafte Formlosigkeit, das schemenartige Schwanken aller Gestalten und Gedanken in der Päpstin Johanna zu Tage, wogegen sich Arnim's tiefes Gefühl und phantasicvoller Humor in seiner Novelle Fürst Ganzgott und Sänger Halbgott zu einem vollendet schönen Kunstwerk zusammenfaßte, dem wir in dieser Art gar Nichts zur Seite zu stellen wüßten. (Sämintl. Werke, hrsg. v. W. Grimm und Bettina, 1839 fg. 18 Bde.) Die phantastische Humoristik, welche das Wesen von Armin ausmacht, schnappte in Werner's Landsmann, Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776—1822), geradezu über. In den Phantasie- und Nachtstücken, in den Märchen und Novellen dieses Mannes läßt der tollgewordene Humor seinen krampfhaften Grimm gegen die Wirklichkeit dadurch aus, daß er derselben mit dämonischer Schadenfreude eine Welt voll unerhörter Fratzcnhastigkcit, Doppeltgängerei, Somnambulismus und gespenstigem Blindekuhspicl gegenüberstellt. Welches Buch man von Hoffmann aufschlagen mag, aus allen riecht Einen höchst Widerwärtig der Alkohol an, welcher bekanntlich der Spiritus familiaris einer Romantik war, deren Fratzen zuletzt ihrem eigenen Schöpfer eine solche Angst einjagten, daß seine Frau bei ihm wachen mußte, wenn er sie schuf. (Sämintl. Werke, 1844—45, 12 Bde.) Karl Wcisflog (st. 1828) suchte in seinen Phantastcstücken und Historien die Manier Hoffmann's möglichst zu copiren, schielte dabei aber auch nach Jean Paul hinüber. Wie dem Callot-Hoffmann das Dämonische und Gespenstige zur firen Idee wurde, so 140 Neuhochdeutsche Zeit. dem Baron Friedrich de la Motte Fouqus (1777—1843) das ritterliche Junkcrthum, welches er in Vers und Prosa, in Heldengedichten, Dramen und Romanen zu Ehren bringen wollte. Nordisches Rcckenthum, altdeutsche Minniglichkeit, abenteuerliches Spukwesen und frömmelnde Gläubigkeit hat er zu einem romantischen Brei zusammengequirlt, über welchen das Publikum mit wahren: Heißhunger herfiel. Der letztere Umstand verleiht FouguS literarhistorische Bedeutung. Durch ihn wurde die Mittelaltcrlichkcit wirklich in den weitesten Kreisen populär, aber das rasche und gänzliche Schwinden dieser Popularität zeigt zugleich, wie schnell das Interesse an den Pointen der Romantik selbst unter den urtheilslosesten Lesern verwitterte. Heutzutage würde Fouqus, obgleich seine Werke 1841 in einer Auswahl von 12 Bänden neugcdruckt wurden, gänzlich zu den Verschollenheiten gehören, wenn nicht hie und da ein großes Kind noch sein Märchen Undine läse. Besser als Fouqus mit seinen: Romantistren altnordischen Reckenthums zu- wcgekam, löste diese Aufgabe der Däne Adam Oehlenschläger (1774—1849), der mit der deutschen Romantik in der engsten Verbindung stand und die meisten seiner Werke auch in deutscher Sprache herausgab, wie dies seine Landsleute Baggcscn und Andersen vor und nach ihm thaten. Oehlen- schläger wußte aus der Quelle des nordischen Sagenschatzes mit geschickter Hand zu schöpfen und mit nicht minder geschickter seinen Recken, wie sie in den Tragödien Hakon Jarl, Palnatoke, Arcl und Walborg, Stärkodder und in anderen seiner Dichtungen auftreten, das romantische Gewand umzulegen, ohne ihre germanische Nationaleigenthümlichkeit zu verwischen. Außerdem danken wir ihm eine recht gelungene Wiederdichtung unseres alten Romans von der Insel Fclscnburg (die Inseln in: Südmeer). Neben Oehlcnschläger stellt sich Ernst Konrad Friedrich Schulze (1789—1817) aus Celle, insofern er in seinem Hauptwerk, dem Heldengedicht Cäcilia, einen nordisch- heroischen Stoß, die Bekehrung Skandinaviens zum Christenthum, behandelt hat. Schulze's Cäcil:a (1818), wie seine poetische Erzählung die bezauberte Rose (1818), gehören zu den jetzt noch lesbarsten Producten der Romantik. Diese von warm lyrischem Gefühl getragene Epik ist formschön gerundet und von großem sprachlichen Wohllaut. Gibt sie sich auch hie und da etwas zu seidenweich, so ist sie doch weit entfernt von der Süßholzigkeit, womit in neuester Zeit Friedrich Halm (Münch-Bellinghausen, geb. 1806) in seinen Dramen (Griseldis, der Sohn der Wildniß) altes Ritter- und Barbarenthum so unausstehlich versentimentalisirte. Neuhochdeutsche Zeit. 141 20 . Die patriotische Seite der Romantik führt wiederum ganz deutlich auf Fichte zurück. Sie bemühte sich um die Erweiterung und Popularisirung der Idee einer nationalen Wiedergeburt, wie sie der tapfere Philosoph in seinen Reden an die deutsche Nation vorgczcichnet hatte. Es lag in der Natur der Verhältnisse, daß unter dem Druck napolcon'scher Fremdherrschaft der Gedanke des Kosmopolitismus, welcher unsere Klassik beseelt hatte, vor dem der Nationalität zurücktrat, daß treffliche Männer nur in der Wcckung und Kräftigung des Nationalsinns Heil und Hülfe erblickten. Von diesem Gesichtspunkt aus waren nicht nur die Bemühungen des Tugendbundes, nicht nur die Bestrebungen ausgezeichneter Patrioten, wie Stein, Scharn- horst, Gneiscnau, Schilt, Arndt und Andere, vollkommen berechtigte, sondern thaten sogar die schriftstellerischen Aeußerungen des „alten und ewigen Gymnasiasten" und Turnkunstmeistcrs F. L. Iahn, wenigstens in ihren Anfängen (Deutsches Volksthum 1810), gute Dienste. Später freilich wurde gerade Iahn ein Typus jener geistlosen Dcutschthümelci, jener plumpen Affcctation waldursprünglichcn Tcutonismus, welcher innerlich ebenso unfrei und bornirt, als in seinem äußerlichen Gebühren albern und lächerlich war. Die Stimmung der trüben Jahre von der Schlacht bei Jena an bis zu den ersten Anzeichen einer nationalen Erhebung nach dem Brande von Moskau prägte sich nationallitcrarisch am schärfsten und bedeutendsten aus in Heinrich von Kleist, der sich, geboren 1776 zu Frankfurt a. d. Oder, im November 1811, unfähig, die Schmach des Vaterlandes länger mitanzusehen, selbst den Tod gab. Kleist war eine spartanische Natur, weitaus der kernigste, männlichste Charakter der romantischen Schule und dabei ein großer Poet. Die Geniälitätsgrillcn, Glaubcnsschnurren und ironischen Frechheiten der Romantik konnten ihn: nicht die mindeste Theilnahme abgewinnen. Alles ging bei ihm auf das Große, Edle, Ethische, und sogar da, wo er unmuthig scherzt, wie in seinem lieblichen, lange nicht genug gekannten Idyll der Schrecken im Bade, ist der Scherz nur die Folie hochsittlichen Ernstes. Im Drama entwickelte er eine Fülle tragischer und komischer Kraft. Unsere 142 Neuhochdeutsche Zeit. Literatur hat nur wenige so künstlerisch durchgeführte und dennoch vollkommen bühnengerechte Schauspiele auszuweisen, wie Kleist's Prinz von Homburg, und Käthchen von Heilbronn, und gar kein Lustspiel, wie sein zerbrochener Krug eines ist. Ebenso einzig steht seine Erzählung Michael Kohlhaas da mit ihrer markigen und konsequenten Charakteristik. Kein Produkt der nachmaligen Besreiungskricgslyrik kommt an conccntrirtem Zorn, an Energie des Hasses dem Mahnruf gleich, welchen Kleist 1809 die Germania an ihre Kinder richten ließ, und kein deutscher Dichter wußte dem vielbehandeltcn Stoff der Hermannsschlacht eine so historisch treue Gestaltung und zugleich eine so natürliche zeitgemäße Beziehung zu verleihen, wie er. (Ges. Schrift., hrsg. v. Tieck, 1826, 3 Bde.) Die Erhebung Deutschlands gegen Napoleon repräsentiern in ihren Gedichten vornehmlich die drei Lyriker Körner, Arndt und Schenkendorf. Theodor Körner, geboren 1791 zu Dresden, gab sich in seinen Dramen (Zriny, Rosamunde) der Nachahmung Schiller's zu jugendlich unselbstständig hin, um als Dramatiker etwas Gediegenes zu leisten. Dagegen ist seine feurig patriotische Kriegslyrik („ Leier und Schwert"), die er als Lützow'schcr Freiwilliger übte, von um so bleibenderer Wirkung geworden, als er ihre Wahrheit durch seinen Heldentod hei Gadcbusch besiegelte (am 26. August 1813). Ernst Moritz Arndt (geb. 1769) aus Schoritz auf der Insel Rügen theilte mit vielen ausgezeichneten Männern die Bemühungen für Weckung und Bethätigung vaterländischen Sinnes zur Zeit der Fremdherrschaft, wie nachmals die Wirkungen jener Verdächtiguugs- und Vcrfolgungswuth, welche nach Abschüttelung des Franzosenjoches die deutschen Regierungen ergriff, als sie patriotischer Begeisterung nicht mehr zu bedürfen glaubten. Aus dem Innersten von Arndt's biederem Gemüth sind seine allbekannten vaterländischen Lieder entsprungen, die den Enthusiasmus ihres Dichters auf den Schwingen Herrlicher Melodien über ganz Deutschland hintrugen. Arndt's Erinnerungen aus dem äußeren Leben (1840) zeichnen sowohl den Mann als seine Zeit sehr gut. (Sämmtl. Gedichte, 1840.) Auch die Lieder, welche Mar von Schenkendorf (1784 — 1817) aus Tilsit in und nach den Befreiungskriegen sang, sind ganz und voll aus der Zcitstimmung in ihrem reinsten Aufschwünge herausgcdichtet. Sie wurden ebenfalls, wie die von Körner und Arndt, wirklich gesungen, haben in Tausenden edle Begeisterung entzündet und ihre Tiefe und Wärme, ihr elegischer Schmelz reihen sie für immer unter die Perlen unserer natio- nalenLyrik. (Sämmtl. Gedichte, 1837.) Den patriotischen Liederton führten Neuhochdeutsche Zeit. 143 später die Brüder A. L. Follen, K. Folien, E. Hinkel, I. F. Maßmann und Andere in Burschenschafts - und Turncrgesängen noch lange fort und unter diese mischte nach langem Schweigen auch das deutsche Volkslied wieder einige herzhafte Klänge. Der patriotischen Romantik lassen sich ohne Zwang die Heldengedichte (Tunisias, Rudolfias) des Erzbischofs Johann Ladislaw Pyrker (geb. 1772) anreihen, in welchen im Gewände des Hexameter vaterländische Stoffe nicht ohne episches Talent, aber mit mehr romantischer als homerischer Breite vorgeführt werden. (Sämmtl. Werke, 1845, 3 Bde.) Zwei andere Oestreichs, die Brüder Heinrich Joseph von Collin (1772 — 1811) und Matthäus von Collin (1779 — 1824), lehnen sich in ihren Romanzen und Dramen mehr an Schiller an, von welchem sie aber, wie andere Dramatiker dieser Periode, A. Klingemann, I. A. Apel (Verfasser des callot-hoffmann'schen Gespensterbuchs) und E. Gehe, nur die rhetorische Seite zu erfassen vermochten. Von unstreitig größerer Befähigung zum Tragiker als diese war Joseph von Auffenberg (geb. 1798) aus Frciburg, der den schiller'schen Styl in einigen seiner Stücke (z. B. im Nordlicht von Kasan) geschickt copirtc, dann aber in seiner Alhambra sich in eine zügellose Bilderschwelgcrei, in eine romantische Maaß - und Formlosigkeit stürzte, deren Wortschwall alles künstlerische Streben erstickte. (Ges. Werke, 1843 fg., 21 Bde.) Da wir gerade bei dramatischen Unzulänglichkeiten sind, die mit der Romantik in näherer oder entfernterer Beziehung stehen, so nennen wir hier auch noch Ernst Raupach (geb. 1784), der, ein Kotzebue in Jamben, seine praktische Bühnenkenntniß dazu benützte, einem genügsamen berliner Publicum eine unendliche Reihe von Dramen „ ernster und komischer Gattung" (Sorte sollte es eigentlich heißen) aufzutischen, ferner den wiener Schauspieler Karl Raimund (1790 — 1836), welcher die Kasperlkomödic mit allegorischer Romantik ausstaffirte, und endlich den bühnenkundigen Karl Eduard von Holteh (geb. 1797), dessen melodramatische Stücke (Leonore u. a.) zu ihrer Zeit Glück machten. Wir dürfen die patriotischen Romantiker nicht verlassen, ohne einige Augenblicke bei einer Gestalt zu verweilen, welche sich in den ersten Reihen derselben hervorthat, um später eine beispiellose stylistischeVefähigung gegen die theuersten Interessen des Vaterlandes zu wenden. Wir meinen Joseph Görrcs (1776—1850) ausKoblcnz, von welchem Gentz sagt, daß Niemand «erhabener, furchtbarer und teuflischer" geschrieben habe als er. Görreswar in seiner Jugend trunken von republikanischer Freihcitsbegeisterung und so Neuhochdeutsche Zeit. 144 intensiv war die demokratische Färbung, welche sein Wesen damals angenommen, daß er sie später auch mit dem besten Willen nie gänzlich vertilgen konnte. In ihrem brennendsten Hochroth erschien diese Farbe in seinem rothen Blatt (1796), worin er ganz offen die Republikaniflrung der Rheinlande anstrebte. Als der Gang der Revolution seinen excentrischen Hoffnungen nicht entsprach, warf sich Görres in das Mittelaltcr und die Romantik. Während seines Aufenthalts in Heidelberg eng mit Brentano und Arnim befreundet, gab er deutsche Volksbücher und Volkslieder heraus und schrieb, angeregt durch den mythologischen Tic der schelling'schen Naturphilosophie, seine Mhthengeschichte der asiatischen Welt, worin der görrcs'sche Styl zuerst seine ganze Meisterschaft entfaltete, eine Meisterschaft, die in seinem während der Befreiungskriege unternommenen Journal „ der rheinische Merkur" eine solche Gewalt politischer Beredtsamkeit übte, daß man Görres damals den fünften Alliirten nannte. Aber dieser Alliirte war »ach errungenem Siege über die Franzosen keineswegs geneigt, mit der heiligen Allianz durch Dick und Dünn zu gehen, sondern wendete sich mit in Deutschland unerhörtem Freimuth gegen die beginnende Reaction und ihre Miethlinge, z. V. gegen den elenden Denuncianten Schmalz. Görres stand auch als Sprecher an der Spitze der Deputation, welche 1818 den König von Preußen Namens der Rheinprovinz an die Erfüllung feierlich gegcbenerVerfassungsvcrsprechen mahnte. Von diesem Höhepunkte seiner öffentlichen Laufbahn sehen wir nun den genialen Mann mit raschen Schritten abwärts und zurückgehen. Schon in seiner Schrift Deutschland und die Revolution (1819), welche er nach Unterdrückung des rheinischen Merkurs herausgab, und noch mehr in dem Buche Europa und die Revolution (1821) führt ihn der darin aufgestellte Dualismus zwischen Kirche und Staat zu den bedenklichsten Konsequenzen, zur bildcrprächtigen Anpreisung der mittelalterlich-katholischen Weltanschauung. Kochenden Grimm gegen Preußen im Herzen, war er nach München gegangen und schleuderte von da aus 1838 sein fulminantes Pamphlet Athanasius in die bekannten kölner Wirren. Dieses Buch sicherte ihm die nicht beneidenswcrthe Rolle als Hauptchampion des Ultramonta- nismus in Deutschland und er suchte durch Schriften über die christliche Mystik (1836) und über Kirche und Staat (1842) dieser Stellung in einer Weise Genüge zu leisten, die zu unserem Bedauern darthut, daß ein solches Genie unrettbar in die Nacht fanatischen Wahnwitzes versank. Systematischer, aber unendlich geistloser und gemeiner als Görres, suchte der 1820 Neuhochdeutsche Zeit. 145 katholisch gewordene Schweizer K.L. von Haller, ein Enkel des Alpensängers, vermittelst seines bandwurmlangeu Buches Restauration der Staatswifsen- schaft (1816 fg.) der Reaction der Restaurationszeit doctrinäre Wege zu bahnen. Der eigentliche Publizist jener unseligen Periode aber war Friedrich Gentz (1764—1832), der Protokollführer des Wiener Kongresses, dieFedex Metternich's, der Meister jenes diplomatischen Sthls, welcher den verworfensten Tendenzen und der herzlosesten Niederträchtigkeit ein glänzendes Mäntel- chen umzuhängen weiß. Wir glauben zur Ehre unseres Landes, daß es keinen zweiten Mann hervorgebracht hat, welcher so schändlich feig und feil wäre, wie Gentz es war, der um Geld ebenso unbedenklich, wie seine eigene, auch die Ehre seiner Mutter verkauft hätte. Er ließ in der Virtuosität der Apo- stasie die Adam Müller, Schlegel, Haller u. s. s. meilenweit hinter sich. Mit Görres kann er gar nicht verglichen werden, denn dieser war nie gemein und feil. Dennoch hat Gentz in der deutschen Kulturgeschichte eine nicht unwichtige Stellung. Er steht mit seinem lasterhaften Egoismus und Epi- kuräismus, mit seiner geistreich frechen Schaustellung von Lüdcrlichkcit, Unverschämtheit und Blastrtheit, die sich selber „unendlich schlecht" nennt, mit seiner raffinirten Genußsucht und seiner schandbaren Käuflichkeit da als die Personifikation der letzten Konsequenz romantischer Willkür, als warnendes Beispiel, in welche Kloake die romantische Ironie zuletzt nothwendig ausmünden mußte. Es thut ordentlich wohl, daß wir uns von der niederschlagenden Betrachtung gcntzischcr Gemeinheit und Verlogenheit wieder aufrichten können durch den Hinblick aus eine Frau, in deren intellectuellem und sittlichem Wesen Humboldt zufolge die Wahrheit der auszeichnende Zug war. Es ist dies Rahel Lcvin (1771 — 1833) aus Berlin, welche, ohne selber als Schriftstellerin aufzutreten, gleichwohl durch ihre Persönlichkeit und ihren Briefwechsel auf viele der namhaftesten Männer ihrer Zeit im besten Sinne anregend gewirkt hat. 2n allen Dingen wußte sie mit wunderbarem Instinkt das Wahre herauszufinden und das Gefundene auch Andern zu Nutzen und Frommen zu wenden. So war sie z. B. mit unter den Ersten, ja sie war geradezu die Erste, welche die wahre Stellung Göthe's in der Geschichte des deutschen Geistes zu erkennen und zu würdigen verstand. Mit Recht hat man sie „den persönlichen Chor in dem großen Drama ihrer Zeit" genannt. Ihr reicher Briefwechsel, welchen ihr Gatte Varnhagcn veröffentlichte (1834 — 36, 5 Bde.), enthüllt den trcuesten Spiegel der romantischen 10 146 Neuhochdeutsche Zeit. Epoche und der Restaurationsperiode und läßt uns in die krystallklare Seele einer Frau von seltenem „Zusammenhange in Gemüth und Ueberzeugung" hineinblicken, die von sich sagen konnte und durste: „ Mehr gedemüthigt als ich wird man nicht, mehr Kummer erlebt man nicht, größeres Unglück in Allem, worauf man den größten und kleinsten Werth setzt, erfährt man nicht, mehr ficht man nicht untergehen, eine gepeinigtere Jugend erlebt man nicht, kränker war man nicht, dem Wahnwitz näher auch nicht— und geliebt habe ich! Wann aber sprach die Welt mich nicht an, wann fand mich nicht alles Menschliche, wann nicht menschliches Interesse, Leid und Kunst und Scherz!" Das verständige Streben Rahcl's, die Idee überall mit der Wirklichkeit in Beziehung zu setzen, hüllt sich in den Büchern, womit Bettina (Elisabeth, geb. 1787), die Schwester Brentano's und Gattin Arnim's, aufgetreten, in die buntschillernden, wimmelnd und wirbelnd daherfahrendcn Wolken der romantischen Phantasie, aus welcher viel geniale Blitze brechen, viel lachender Donner fährt, daneben aber auch mystisches Jrrwischgeflacker und unerquicklicher Wind. Man muß das eben nehmen, wie es kommt, denn Bettina ist die souveraine romantische Willkür in Person, sie ist ein Kind, das Kind, welches uns seine genialen Einfälle vorplaudert, wo, wann und wie sie ihm gerade einfallen. Sie hat das Interesse des Publicums zuerst erregt durch ihren 1835 veröffentlichten Briefwechsel eines Kindes mit Göthe (3 Bde.) und dasselbe seither durch andere Briefwechsel und Gespräche (mit dcrGünde- rode, mit der Frau Rath d. i. Göthe's Mutter, mit ihrem Bruder Clemens) lebhaft wach erhalten. Alle diese Briefwechsel und Gespräche sind im Grunde Bettina'sche Dichtungen, welche namentlich durch ihre wunderbar schönen Naturschildcrungen und die naive Offenbarung der süßesten Geheimnisse einer Mädchcnscelc anmuthig wirken. Bettina strebt aber nach Höherem, und wenn sie in ihren neueren Schriften (z. B. im Königsbuch durch Darstellung des Elends der berliner Familienhäuser) ihre Theilnahme an den brennendsten sozialen Fragen der Gegenwart edel manifestirte und dem politischen Aberglauben tüchtig zusetzte, so trug sie sich, inspirirt von der Naturphilosophie, früher hauptsächlich mit der Idee, eine neue Religion, die Religion der freien Persönlichkeit zu stiften, in welcher Wahrheit, Schönheit und Liebe zusammenklingen und die ganze Weltgeschichte zur Harmonie wird. Als bewegendes Agens, als den Gott dieser Religion, bei der es, wie sie der Günderode schreibt, der Menschheit wieder wohl werden soll, faßt sie die Leidenschaft und gibt daher der nach Gott fragenden Freundin zur Antwort: Neuhochdeutsche Zeit. 147 „ Gott ist die Leidenschaft. Fühlst du nicht auch: das Göttliche, was den Geist des Erschaffens gibt, sei die ungebändigte Leidenschaft? Was ist Leidenschaft als erhöhtes Leben durch's Gefühl, das Göttliche sei dir nah, du könnest es erreichen, du könnest zusammenströmen mit ihm? Was ist dein Glück, dein Seelenleben als Leidenschaft, und wie erhöht sich deines Wirkens Kraft, welche Offenbarungen thun sich aus in deiner Brust, von denen du vorher noch nicht geträumt hattest? Ja drum! Der Irrthum der Kirchenvater, Gott sei die Weisheit, hat gar manchen Anstoß gegeben, denn Gott ist die Leidenschaft. Groß, allumfassend im Busen, der alles Leben spiegelt wie der Ozean, und alle Leidenschaft ergießt sich in ihm wie Lebensströme, und sie alle umfassend ist die Leidenschaft die höchste Ruhe." Schon diese kurze Stylprobe kann zeigen, daß man Grund hatte, Bettina die Sibylle der Romantik zu nennen, aber zugleich auch, daß eine geniale Zukunftsahnung dieser Sibylle in ihrer Jugend das Wort eingab: „Oft dacht' ich, ich müsse mit fliegender Fahne den Völkern voranziehen." 21 . Wir haben uns nun mit den dichterischen Epigonen der Romantik zu beschäftigen, die theils widerstandlos in der „ mondbcglänztcn Zaubernacht, die den Sinn gefangen hält", befangen blieben, theils aber auch dem Banne sich entrafften, um gesunder und freier in der Gegenwart zu athmen, wenn sie gleich die Nachwirkung des romantischen Zaubers nie völlig zu überwinden vermochten. Unsere Betrachtung wird hier nur eine zerbröckelte, katalog- artige sein können, denn es hieße den Eigenthümlichkeiten der Männer, welche wir im Auge haben, Zwang anthun, wollten wir sie unter irgend einem Parteibegriff zusammenfassen. Wir wüßten auch außer der Bezeichnung romantischer Epigonenschaft gar keinen solchen Gesammtbegriff zu finden und dieser hat wieder einen so anrüchigen Beigeschmack, daß wir ihn keineswegs auf alle in Frage stehenden Poeten angewendet wissen möchten. Ganz getränkt mit mittelalterlich-katholisch-patriotischer Romantik erscheint Joseph von Eichcndorss (geb. 1788) aus Lubowitz in Schlesien. Er hat noch 1847 der romantischen Schule ein apologetisches Buch gewidmet, worin er derselben nur den Vorwurf macht, daß ihre Richtung sie mehr nur 10 * 148 Neuhochdeutsche Zeit. bis vor die Thüre der katholischen Kirche als in das Heiligthum selber geführt hätte. Was sein Dichten angeht, so ist ein träumerisches Helldunkel die Region, in welcher es sich bewegt, weshalb ihm auch dramatische Versuche am wenigsten gelangen. Seine Stimmung ist durch und durch lyrisch und die seelenvolle Innigkeit seiner Lied" macht ihn zu einem Lyriker ersten Ranges. Auch seine Novellistik ist Lyrik in der Form ungebundener Rede. Freilich, zur befriedigenden Durchführung größerer Romandichtungen (Ahnung und Gegenwart, Dichter und ihre Gesellen) reicht diese in prächtig frischer Naturmalerei schwelgende, gläubig phantasirende, zuweilen auch schelmisch blickende Lyrik nicht aus, wohl aber vollständig zu kleineren Novellen, wie deren Eichendorff einige höchst anmuthige gedichtet hat (Leben eines Taugenichts, die Glücksritter— Ges. Werke, 1843, 4 Bde.). Verwandt mit Eichendorff in lyrischer Grundstimmung ist ein anderer populärer Liedersänger, Wilhelm Müller (1794—1827) aus Dessau, dessen „zartes rasches flackerndes Gefühl und von Witz leicht aufgeregte Einbildungskraft" sich namentlich in der lyrischen Ausmalung hübsch erfundener Situationen aus dem Volksleben gefielen, der vermittelst seiner männlich feurigen Griechenlieder (1822) den durch die matte Literatur der Rcstaurationsperiode verflachten Sinn seiner Landsleute zuerst wieder auf höhere Ziele lenkte und gegenüber deutschthümelnder Verbohrtheit und Engherzigkeit den romantisch umwölkten Horizont des deutschen Kosmopolitismus wieder aufhellte. Dieser ließ sogar einen Franzosen, den trefflichen Adalbcrt von Chamiffo (1781 — 1838) aus der Champagne, auf deutscher Erde heimisch werden. Chamiffo hängt der Form nach eng mit den Romantikern zusammen und stellt sich mit seiner Geschichte des schattenlosen Peter Schlemihl (1814), welche seinen Ruf zuerst begründete, mitten in die romantische Märchendichtung hinein. Aber es war ein republikanisch strenges und stolzes Element in ihm, dessen Entwicklung ihn immer entschiedener von der Romantik eman- zipirte. Man lese nur sein schönes Gedicht, in welchem er den Ackersmann l egnct, welcher über den Trümmern seines in der Revolution zerstörten väterlichen Schlosses den Pflug führt, und man wird begreifen, daß nur ein der. neuen Zeit zugewandtes Herz so sich äußern konnte. Hier, wie in seinen Romanzen von der alten Waschfrau und vom Bettler mit seinem Hund, ist ein tiefdemokratischer Zug, welcher an Beranger erinnert, der auch unstreitig auf Chamiffo gewirkt hat. Die Charakterherbigkeit des Letzteren läßt ihn jedoch nicht dazu gelangen, sein Material mit so souverainer Heiterkeit zu Neuhochdeutsche Zeit. 149 gestalten, wie es der französische Chansonnier zu thun vermochte. Meisterhaft ist er in der humoristischen Romanze, die man ihm als eigenthümliches Territorium mit Recht zugewiesen, und in der poetischen Erzählung in Ter- zinenform, wozu er, der wie Georg Förster die Welt umsegelt hatte, die Stoffe mit meist glücklicher, jedoch das Gräßliche zu stark accentuirender Wahl aus den entlegensten Räumen herholte. (Sämmtl. Werke, 1836—39, 6Bde.) Chamisso's Art und Weise zu dichten .erbte sich fort in seinem Freunde Franz von Gaudy (1800 — 40), der nach unsicherem Umhertasten in mancherlei Stimmungen und Richtungen endlich den rechten, ihm ganz zusagenden Ton im humoristischen Lied und in der humoristischen Novelle (z. B. Aus dem Tagebuch eines wandernden Schneidergesellen) kaum gefunden hatte, als ein vorzeitiger Tod ihn abrief. (Sämmtliche Schriften, 1844 fg., 24 Bdchn.) Wenn diese beiden Dichter mit allem Ernst sich bemühten, aus der Verstimmung durch widerwärtige Schicksale in die Betheiligung an den Interessen der Neuzeit sich zu rette», so sehen wir dagegen Karl Jmmcrmann (1796— 1840) aus Magdeburg Leben und Talent in starrem, vornehm kaltem Opponiern gegen diese Interessen aufbrauchen. Dieser Mann hoher Begabung konnte sich sein Lcbenlang nicht von dem im Grunde ganz kleinlichen Acrger erholen, den ihm in seinen Studcntenjahren das Treiben der patriotisch- romantischen Phantasten bereitet hatte, welche auf der Wartburg die „ unsauberen " Bücher verbrannten. Unter diesen hatte sich auch ein Pamphlet Jmmermqnn's gegen die Burschenschaft befunden, mit welcher er zu Halle in Streit gerathen war. Es geht ein unversöhnter und unerquicklicher Zwiespalt durch sein Wesen und seine Werke. Auf der einen Seite war er durch eine streng altpreußische Erziehung zu nüchterner Verständigkeit herangebildet worden, während doch auf der andern die Poesie in ihm zu mächtig war, um hierin Befriedigung zu finden. So sollte er, ohne einen festen Mittelpunkt finden zu können, stets zwischen mancherlei Schulen und Mustern schwanken, insbesondere zwischen Shakspcarc, Göthe und den Romantikern; zu den letzteren gehörte er in seinem Wesen als Dichter ganz und gar, obwohl er es oft nicht haben wollte. Er hat viele Komödien und Tragödien geschrieben, von welchen letztem Andreas Hofcr und Ghismonda am bekanntesten geworden sind. Die im großartigsten Styl angelegte Trilogie Aleris erfüllt in ihrem Verlaufe die schönen Hoffnungen nicht, welche die ersten Acte erregen, und wenn man Jmmermann's mythisches Drama Merlin, dessen Vorspiel allerdings kühn und erhaben gedacht und ausgeführt ist, als einen 150 Neuhochdeutsche Zeit. zweiten Faust hat geltend machen wollen, so muß man das als eine romantische Grille abweisen. Der Roman die Epigonen (1836), welcher sich gut liest, erinnert nicht zu seinem Vortheil gar zu deutlich an Göthe's Wilhelm Meister und der weitere Roman Münchhausen (1839) ist in seiner negativen, satirischen Partie ebenso unerfreulich als in seiner positiven, der westphälischen Hofschulzcngeschichte, gediegen und erfreulich. Hier that Jmmermann nach vielen Mißgriffen einmal einen glücklichen Griff und dieses markige Bild aus dem Volksleben, wodurch er Vorbild und Bahnbrecher der späteren Dors- novellistik geworden, ist der beste Fund seines ganzen Dichterlebens. Am Schlüsse desselben kehrte er mit neuer Liebe zu romantischen Anschauungen zurück und schrieb in Anlehnung an Gottfried von Straßburg sein Gedicht von Tristan und Isolde, in welchem warmes Blut pulfirt und das, wenn der Tod dem Dichter die Vollendung gegönnt hätte, unseres Trachtens unter allen größeren Dichtungen der romantischen Schule als die dastände, welche der Achtung der Nation am würdigsten wäre. Auch hier waltete wieder der Fluch, welcher gerade in die besten Intentionen der Romantik störend eingriff. Das isolirte Schwanken Jmmcrmann's auf der Gränzscheide romantischer Dämmerung und moderner Tageshelle theilt Christian Grabbe (1801 — 1836) aus Detmold, eine unheimliche Gestalt, die in ihren Lebenswirren und ihrem dämonischen Genicdrang an Callot - Hoffmann erinnert, zugleich aber alle zerstörenden Elemente modernster Zerrissenheit und modernsten Weltschmerzes in sich ausgenommen hatte. Die vulkanischen Ausbrüche seiner dichterischen Kraft gemahnen auch an Klinger, denn wie bei diesem erstarrt die ausgeworfene Lava alsbald zu steinern lebloser Härte. Seine Dramen (Gothland, Aschenbrödel, Barbarossa, Heinrich VI., Hannibal, Don Juan und Faust, Napoleon, die Hermannsschlacht) sind wahre Lavawüstcn voll bizarrer, oft erhabener, noch öfter wildgrotesker Bildungen, bedeckt mit Gewitterwolkenfinstcrniß, aus welcher grelle Hyperbelblitze zucken und in welcher der Donner dämonischer Zcrstörungslust umherwühlt. Grabbe's Gestalten kränkeln alle an krampfhafter Uebertreibung, sie sind mehr aufgereckt als groß und trotz aller Bemühung des Dichters, sie fest und scharfum- riffen hinzustellen, doch wieder Verblasen und nebelhaft. Eine ganz eigenthümliche Kunst muß jedoch Grabbe, der sich kühn an die höchsten psychologischen und historischen Probleme der Poesie wagte, ganz unzweifelhaft zugestanden werden, nämlich die, Massen dramatisch wirksam in Bewegung zu fetzen, und diese Kunst hat er namentlich in seinem Napoleon bewährt, der Neuhochdeutsche Zeit. 151 überhaupt als die einzige deutsche und ausländische Napoleon-Dichtung bezeichnet werden kann, welche der Größe ihres Gegenstandes einigermaßen adäquat ist. Es war Ludwig Uhland (geb. am 26. April 1787) aus Tübingen vorbehalten, den wirklich poetischen Elementen, welche in der Romantik lagen, zu nationalliterarischer Wirkung und Geltung zu verhelfen, und es gelang ihm dies so schön, weil er es ohne alle Nebengedanken unternahm. Er trat an das Mittelalter heran mit dem ruhigen und klaren Wollen eines sinnigen Künstlers, der aus seinem Stoffe nicht mehr machen will, als sich naturgemäß aus demselben machen läßt. Weit entfernt, sich von diesem Stoff überwältigen zu lassen, gestand er ihm nur die poetische Bedeutung zu, welche demselben wirklich innewohnte. Er verhielt sich zum Mittelalter ganz so, wie sich Göthc zu den dichterischen Problemen der Sturm- und Drangzeit verhalten hatte, künstlerisch bewältigend, und daher konnte er freien Gemüthes den Bestrebungen der neuen Zeit, der Idee des freien Staates, jene wackere Theilnahme zuwenden, die ihn, der stets deutsch war ohne jemals zu deutschthümeln, zu den bewährtesten Freunden der Freiheit und des Vaterlandes stellt. Ueber diese edle und kernhafte Natur hatte nie etwas Greisenhaftes und Grillenhaftes Macht und da, wo so viele patriotische Renommsen ihren Glanz schmählich verloren, in den Stürmen von 1848 — 49, hat Uhland's reicher Lorbeerkranz nur neue Blätter angesetzt. Denn treu und bieder hat er die Fahne der guten Sache bis zum Ende aufrecht erhalten helfen, wie er früher nach den Täuschungen der Befreiungskriege den Mahnruf nach Erfüllung heiligster Versprechungen in Liedern metallenen Klanges furchtlos an die Fürstenburgen hatte klopfen lassen. Es gereicht dem gesunden Sinne der Nation zu hohem Lobe, daß sie Uhland's Dichtungen mit wärmster Liebe hegt, während sie weitaus die meisten Producte der Romantik nach rasch gestillter Neugierde dem Schlummer bibliothekarischer Vergessenheit anheimgegeben hat. Uhland, welchen die Kritik nach erster Veröffentlichung seiner Gedichte (1815) lange vornehm ignorirte, ist in der That neben seinem Landsmann Schiller unser populärster Dichter geworden. Seine Lieder klingen unter der Dorflinde, wie in der Werkstatt und auf der Studentenkncipe, und er ist überall hochgeehrt außer da, wo man einem Manne Gesinnung, Redlichkeit und Vaterlandsliebe nie verzeiht. Hauptmerkmale seiner Dichtung sind ihre Gesundheit und eine gewisse sonntägliche Stimmung, die er namentlich auch seinen Naturgemälden einzuhauchen weiß. 152 Neuhochdeutsche Zeit. Die Stoffe zu seinen Balladen und Romanzen hat er mit glücklichstem Takte aus allen Sagenkreisen der europäischen Völker gewählt und allen eine deutsche Seele gegeben. Er, aber auch nur er wußte das Mittclalter so naiv zu idealisiren, daß es uns wirklich anheimelt, daß wir seine Lust und sein Leid mitfühlen. Wenigen Dichtern alter und neuer Zeit war es ferner in dem Maaße wie Uhland gegeben, mit so einfachen Mitteln die poetische Idee zu so vollständiger Erscheinung zu bringen. Man vergegenwärtige sich nur seinen Bertran de Born und seine verlorene Kirche, um deutlich zu verstehen, was wir meinen. Seine dramatischen Dichtungen (Herzog Ernst 1818, Ludwig der Baier 1819), die gleich den Balladen voll dramatischen Lebens sind, hat man mit der Aeußerung abfertigen zu können geglaubt, daß sie eben bloß dramatisirtc Balladen seien. Es ist dies aber, wie Wienbarg treffend nachwies, nur die elende Ausflucht einer Hofdramaturgie, welche lieber den jämmerlichsten Abhub der pariser Boulcvardstheater über die Bretter gehen lassen mag als die edlen, einfach großen Gebilde Uhland's. Mag er sich für diesen und andern Unglimpf damit trösten, daß das deutsche Volk seines Sängers Fluch: „Weh euch, ihr stolzen Hallen!" ebenso wenig je vergessen wird als Schiller's Wort: „Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei!" Bei Erwähnung Uhland's, der sich bekanntlich auch als Sagenforschcr und Literarhistoriker verdient gemacht, pflegt man gewöhnlich von einer schwäbischen Dichterschule zu sprechen. Es ist aber damit Nichts und einer der dazu Gezählten hatte ganz Recht, zu sagen: „ Bei uns (in Schwaben) gibts keine Schule, mit eignem Schnabel jeder singt, was halt ihm aus dem Herzen dringt". Allerdings hat der uhland'sche Natursinn sowohl als die uhland'sche Balladendichtung auf viele seiner älteren und jüngeren Landsleute mächtig eingewirkt, allein nicht mehr und nicht minder als auf eine Menge von Poeten in allen übrigen deutschen Stämmen. Einer der vertrautesten Jugendfreunde Uhland's, Justinus Kerner (geb. 1786) aus Ludwigsburg , unterscheidet sich sogar als Dichter ganz wesentlich von jenem. Oder will man zwischen der lauteren Geistcsklarheit von Uhland und dem somnambulistischen Mystizismus Kerner's irgend eine Achnlichkeit auffinden? Kerner ist ein Romantiker vom reinsten Wasser, obgleich er dann und wann, wie in seinen Reiseschatten des Schattcnspielers Luchs (1811) und in seinem Bärenhäuter (1835), einem unwiderstehlichen Jucken nachgab, sich humoristisch über den romantischen Quark lustig zu machen. Seine Lieder sind ihrer Form nach höchst vortrefflich; sie reproduziren aus wunderbar täuschende Neuhochdeutsche Zeit. 153 Weise das Volkslied und lassen in ihrer melancholischen Innigkeit das Her- einragen von man weiß nicht recht was für einer Geisterwelt spüren. Die in Kerner's letztem Blüthenstrauß (1853) gedruckten, meist an allerlei Prin- zeßlichkciten und Gräflichkeiten adressirtcn Altersschwächen, in denen eine faselnde Romantik die Bestrebungen von 1848 beschimpft, lassen wir füglich unberührt; ebenso des Mannes gcisterseherische Bücher (die Seherin von Prevorst, Magikon), welche allfällig in einer Literaturgeschichte des Unsinns, wo sie dicht neben Sprcngcr's Hexenhammcr von 1489 zu stellen wären, einen breiten Platz ansprechen könnten. (Kerner's Dichtungen, 1841, 2 Bde.) In viel engerer Wahlverwandtschaft als Kcrner steht zu Uhland sein Freund Gustav Schwab (1792—1850) aus Stuttgart. Er hat sich als Schilderer von Land und Leuten (die schwäbische Alp, der Bodensce, die Schweiz mit ihren Ritterburgen), als Ucbersctzer, Sagcnerzählcr, Biograph, Antholog und Herausgeber vielseitig und wacker in der Literatur umgethan und jüngeren Talenten eine väterliche Theilnahme bewiesen. Sein dichterischer Werth beruht hauptsächlich auf seinen Balladen und Romanzen, voll Gcmüthstiese im Gehalt, voll gediegener Pracht in der Form. Von einer bloßen Nachahmung Uhland's ist da überall keine Rede, von einem glücklichen Wetteifer dagegen zeugen zahlreiche Proben. Für die romantische Epigonenschast ist Schwab besonders einflußreich geworden durch seine eifrige Cultur der historischen Romanze (der Appenzellerkrieg, die Kammerboten, Herzog Ehristoph's Jugendlebcn u.a.), welche bis auf unsere Tage herab einen so großen Raum unserer Dichtung einnimmt und durch ihre compacte Stofflichkeit den weitesten Kreisen Interesse abgewonnen hat. (Schwab's Gedichte, neue Auswahl, 2.Aufl., 1846.) Wollen wir noch andere schwäbische Poeten hier anführen, wie Karl Mayer, den Grafen Alexander von Würtemberg (1801 — 44), Albert Knapp, Wilhelm Zimmcrmann, Gustav Pfitzcr, Wilhelm Waiblinger (1804 — 30), Eduard Mörike und Ludwig Sceger, so bemerken wir, daß ihre Bestrebungen keineswegs schulmäßig einseitig waren. Während Mayer das gemüthliche Landschastsbilb zur epigrammatischen Pointe zusammendrängte und Zimmcrmann, der ausgezeichnete Geschichtschreiber des Bauernkriegs, den uhland - schwab'schen Romanzcnton, welchen Knapp verpietisteltc, am frischesten fortführte, versuchte Alexander von Würtemberg in seinen Liedern eines Friedenssoldatcn und seinen Sturmliedern andere Weisen, versetzte Pfitzer die Naturbctrachtung und Balladcndichtung mit philosophischer Reflexion und verwob Seeger in seinem Sohn der Zeit in die gelungene 154 Neuhochdeutsche Zeit. Schilderung schweizerischer Alpenschönheit den Sturm und Drang unserer jüngsten politischen Lyrik. Mörike seinerseits hat in manchem seiner Lieder, wie in der Novelle Maler Nolten und in dem reizenden Idyll Fischer Martin die Rückkehr aus den Dämmerungen der Romantik zur classischen Helle und Klarheit in einer lyrischen Unmittelbarkeit dargelegt, zu welcher sich der in trüben Lebenswirren zu früh untergegangene, reich befähigte Waiblinger, in dessen Erzählungen aus Griechenland der Byronismus übcrbyronisirt ist, nur in einzelnen seiner reifsten Gedichte (Blüthen der Muse aus Rom) zu erheben vermochte. Richten wir die Blicke nach der Epigonenschaft der Romantik in anderen deutschen Ländern, so begegnen wir im Süden und Norden, Osten und Westen einer Menge von Lieder- und Romanzendichtern, die zum Theil auch mit größeren lyrisch-epischen Schöpfungen hervortraten. Wir nennen aus Oestreich I. Ch. von Zedlitz (Gedichte, Todtenkränze, Waldfräulein, altnordische Bilder), K. E. Ebert, I. G. Seidl, I. N. Vogl, A. von Tschabuschnigg, L. Halirsch, U. Horn, L. A. Frank! und E. Duller (Gedichte, der Fürst der Liebe); aus Mittel - und Norddeutschland L. Bech- stein, V. Strauß, A. F. v. Heyden, K. Schimpcr, F. W. Rogge, H. Stieglitz, R. Reinick (ganz vortrefflich im schalkhaften Lied), A. Peters, O. F. Gruppe, A. Kopisch (ausgezeichnet im humoristischen Märchen und im Schwank), F. Kuglcr, A. Bube, A. Schutts, A. Böttgcr, Ph. E. Nathu- sius, E. Fcrrand und V. von Lepel; aus der Schweiz I. A. Henne, A. E. Fröhlich (bedeutend als Fabulist und Schlachtenmaler), K. R. Tanner, S. Tobler, W. Wackernagel, L. Ettmüller und G.L. Rochholz; am Rhein hinab Adolf und August Stöber, A. Schnezlcr, W. Smets, E. von Schenk, Wolsgang Müller (der jedoch mit seinen Bruderschaftslicdern auch in die sozial-politische Lyrik hinübergreift), Ch. I. Matzerath, G. Pfarrius, L. Schücking und K. I. Simrock, auf welchen als trefflichen Wiederdichter unserer altnationalen Heldensage schon früher dankend hingewiesen wurde. Entschiedener, als bei den zuletzt Genannten verschmelzen sich in den Werken von Julius Mosen (geb. 1803 im sächsischen Voigtland) die Tendenzen der neuesten Zeit mit den romantischen Formen der Restaurationsliteratur. Eigentlicher Romantiker ist er nur in seinen historischen Dramen, wo freilich lyrische Reflexion die dramatische Handlung überwuchert, und in seinem anmutigen Novellcnbuch (Bilder im Moose). Mit seiner Lyrik, die sich im sangbaren Volkston bewegt, und mit seinem historischen Roman der Con- greß von Verona kehrt er sich den Interessen der Gegenwart zu. Seine Neuhochdeutsche Zeit. 138 zwei epischen Dichtungen Ritter Wahn und Ahasver bringen es zwar, trotz des energischen Ringens des Dichters, nicht zu einer vollkommen befriedigenden künstlerischen Gestaltung der ihnen zu Grunde liegenden großartigen Ideen, sind aber reich an Silberblicken echtester Poesie. In Betreff der Dichterinnen, die bei der Romantik ihre Anregungen holten, möge hier an Agnes Franz, Henriette Ottcnheimcr, Adelheid von Stoltcrfoth, Luise von Ploennies, Betth Paoli (ElisabethGlück) und Annette von Droste-Hülshof (st. 1850) flüchtig erinnert werden. Die Letztgenannte hat in ihren Gedichten (1844) Balladen und poetische Erzählungen geliefert (z. B. der Geierpfiff, der Graf von Thal, der Spiritus familiaris des Roßtäuschers, die Schlacht im Loener Bruch), die von der männlichsten Energie Zeugniß geben. Eine Romantikerin von reactionärstcr Färbung, hat sie mit wirklich originellem Geist die verblaßten Anschauungen der Romantik neuzubeleben gewußt; nur Schade, daß ihre Diction durch das gesuchte Spielen mit dunkclsinnigen Provinzialismen oft abstoßend manierirt wird. Ungczicrtcr, ja, von wahrhaft reizender Natürlichkeit find die 1846 in einer Gcsammt- ausgabe erschienenen Gedichte von Elisabeth Kulmann (st. 1825), die im fernen Rußland in der Sprache ihrer deutschen Mutter die Geschichte eines kurzen, aber höchst reichen Seelenlebens in einer Liedcrchronik niederlegte, welche jedem Empfänglichen Theilnahme abgewinnen muß. Gleich der historischen Romanze ist auch ihre Uebertragung in die Form der Prosa, der historische Roman, wesentlich ein Product der Romantik. Allerdings finden wir, daß schon der Liebes- und Heldenroman des 17. Jahrhunderts es liebte, an historische Stoffe sich anzulehnen, aber diese verflüchtigten sich dort bis zur Unkenntlichkeit in einem Meere von Abenteuerlichkeit. Ferner kann man mit Grund sagen, daß der historische Roman bei uns erst durch den Einfluß Walter Scott's recht in Flor kam, allein bevor dieser Einfluß sich geltend machte, waren in Deutschland durch einige Romantiker, namentlich durch Armin, höchst bedeutende Anläufe zur historischen Romandichtung gemacht worden. Außerdem ist genugsam bekannt, daß der berühmte Schotte, ehe er seinerseits auf Deutschland zurückzuwirken begann, seinen romantischen Geist mit Bürger's Balladen, Göthe's Götz und Ticck's Märchen genährt hatte. Es war also ein verwandtes und bekanntes Element, welches das deutsche Publikum in den Romanen Scott's so lebhaft willkommen hieß. Die historische Novellistik wurde durch seinen Vorgang für lange Zeit, insbesondere aber für das Jahrzehent von 1820 — 30, der po- 156 Neuhochdeutsche Zeit. pulärste Zweig der Literatur. Damals und weit später, bis in die 40 ger Jahre hinein, erschienen eine Menge historischer Romane und Novellen und auch gegenwärtig hat in den Leihbibliotheken die Nachfrage selbst nach den plattesten Büchern dieser Art, wie die von Van der Velde, Tromlitz, Blumenhagen und Wachsmann sind, noch nicht gänzlich aufgehört. In seinen edleren Leistungen konnte übrigens der historische Roman, so zweifelhaft sein Kunst- werth sein mag, nur Vortheilhaft wirken, indem er immerhin den Sinn für Geschichte und geschichtliche Anschauung wecken hals. Als der gediegenste deutsche Nachcisercr Scott's erscheint uns Ph. I. Rehfucs (1779— 1842) aus Tübingen, Verfasser der beiden vortrefflichen historischen Romane Scipio Cicala und die neue Mcdea, als der gelesenste darf unstreitig K. Spindler (geb. 1795s angesehen werden, der es in seiner langen Reihe historisch-romantischer Gemälde (Bastard, Jude, Nonne von Gnadenzell, König von Zion u. a. m.) verstand, das Mittelältcr in drastisch-realistischer Weise zu vergegenwärtigen. Mit Auszeichnung muß in dieser Richtung ferner genannt werden Willibald Aleris-Häring (Cabanis, Roland von Berlin, Waldcmar, die Hosen des Herrn von Bredow) und Erwähnung heischen W. Hauff (st. 1827), der durch seine gutcrzählte romantische Sage Lichtenstcin und seine Novellen namentlich in seinem Heimatlande Schwaben populär geworden, dann L. Bcchstein (Grumbach u. a.), E. Duller (Kaiser und Papst u. a.), L. Rellstab (das Jahr 1812), A. von Bronikowsky, R. Heller und Bernd von Gusek. In die historischen Romane von V.A.Huber (Skizzen aus Spanien), Heinrich König (die hohe Braut, Shakspeare, die Clubistcn von Mainz), Theodor Mundt (Thomas Müntzer, Mendoza), Gustav Kühne (Klosternovellcn, die Rebellen von Irland), Heinrich Laube (die Bandomire, die Gräfin von Chateaubriant), Theodor Mügge (Toussaint u. a.), Adolf Stahr (die Republikaner in Neapel), Lcvin Schücking (die Ritterbürtigcn u. a.) und Friedrich von Uechtritz (Albrecht Holm) spielen schon zu deutlich die politischen, sozialen und religiösen Tendenzen unserer modernsten Novellistik hinein, als daß sie für unbefangene Dichtungen in Scott's Manier gelten könnten oder wollten. Viele Leserinnen haben die Romane der Auguste von Paalzow (Godwie Castle, Saint-Roche, Thomas Thprnau, Jakob van der Necs) gefunden, in welchen die Geschichte mit Glacehandschuhen auftritt, die Parfüms pietistelnd-aristokrätelnder Sentenzen um sich verbreitend. Feinschmecker in der Lectüre mögen auch dann und wann noch in den deutschen Denkwürdigkeiten des Freiherrn K. F. v. Rumohr Neuhochdeutsche Zeit. 157 blättern, welcher, wie der Novellist E. von Bülow, seinen erkünstelt göthe'- schen Styl mit tieck'scher Ironie verquickte. Endlich sei hier, da wir die von der Romantik influenzirten Aeußerungen der schönen Prosa doch schon bis in die Gegenwart herein verfolgt haben, gerade noch des berühmten Weltfahrers Fürst Hermann von Pückler-Muskau gedacht, welcher zuerst mit seinen Reisebriefen eines Verstorbenen (1830) große Aufmcrl)amkeit erregte, dann unter dem Namen Semilafso reiste und zuletzt als „Vergnügling" mit anerken- nungswerther Offenheit merken ließ, daß in ihm die romantische Lebensphilosophie eines Friedrich Schlegel und Gentz einen ihrer treuesten Jünger gefunden. Wenn wir unserem bunten Mosaikgemälde der romantischen Epigonen- schast auch das Bild von Friedrich Rückcrt (geb. am 16. Mai 1789 zu Schwcinfurt) einfügen, so dient uns zur Rechtfertigung, daß dieser große Poet niit seiner Lyrik, die er nachmals universell ausgebildet hat, ursprünglich ein Partisan der patriotischen Romantik war. Als solcher trat er wenigstens unter dem Namen Freimund Reimar 1814 mit seinen deutschen Gedichten hervor, welche auch die geharnischten Sonette enthielten, die gedankenvollste Hervorbringung der Bcfrciungskriegslyrik. Im Kreise dieser bewegte sich Rückcrt's Muse auch noch in seiner politischen Komödie Napoleon (1816) und in seinem Kranz der Zeit (1817), welcher wirkliche Zeit- gedichte enthielt, die Ernst und Scherz in klarschöne Bilder ausprägten. Die Hinweisung auf den Orient durch Göthe's westöstlichen Divan beherzigend, holte sich Rückert dort Stoff und Stimmung zu seinen östlichen Rosen (1822), in welchen die Formen orientalischer Lyrik, namentlich das Ghasel, ihre sprachlich meisterhafte Einbürgerung in unserer Lyrik fanden. Das Morgenland blieb von da ab die immer wieder mit Vorliebe ausgesuchte poetische Fundgrube Rückerks. An der Hand seiner Sprachstudien stieg er, die weltliterarische Tendenz unserer Literatur aufs Schönste zu bethätigen, in diese Fundgrube hinab und förderte aus ihr kostbare Barren zu Tage, die er vermittelst des Stempels seiner Sprachvirtuosität, deren spielender Uebermuth nur manchmal zu weit ging, als gangbare Münze in Umlauf setzte. Er hat durch seine Wiederdichtungen den Horizont unserer poetischen Anschauungen wesentlich erweitert und durch die seltenste Aneignungskrast für den Univcrsalismus des deutschen Geistes ruhmvolles Zeugniß abgelegt. Aus Arabien brachte er uns die prächtigen Eulenspiegeleien des Abu Seid von Hariri (1826), in welchen unsere Sprache den höchsten Triumph 138 Neuhochdeutsche Zeit. ihrer Biegsamkeit und ihres Reichthums feiert, ferner die Lieder des Amril- kais (1843) und die edlen Gesänge des altarabischen Volksliederbuches Hamas« (1846), aus Indien die herzige Episode des Mahabharala von Nal und Damajanti (1828), das Liebesglut sprühende Idyll Gitagovinda und die ticsrührende Erzählung von Savitri's Treue bis in den Tod (Brahmanische Erzählungen 1839), aus China das von Confucius zusammengestellte Buch nationaler Gesänge (Schi-King 1833), welches uns in Theilnahme erregender Weise eine in tausendjähriger Stabilität beharrende Gesellschaft erschließt, aus Persicn endlich die dem großen Firdust nachgedichtete Heldengeschichte von Rostem und Suhrab (1838), deren liebliche Partien so naiv, deren heroische so einfach groß sind. Rechnet man dazu die trefflichen Nachbildungen der altcnglischen Heldensage vom Kind Horn, der Ritornelle und Sicilianen Italiens, der altdeutschen Minnclieder durch Rückert, so wird man gestehen müssen, daß er berechtigt war, mit Beziehung aus sich zu sagen: „Die Poesie in allen ihren Zungen ist dem Geweihten eine Sprache nur." Alle die genannten Leistungen machen jedoch nur eine Seite der rastlosen Productivität des Dichters aus. Die andere bildet seine selbstständige Lyrik, Welche in sechs starken Bänden (1834—39) gesammelt vorliegt, mit didaktischen und epischen Anklängen reichlich durchflochtcn. So gestaltet durchläuft sie die ganze Tonscala vom naiv plaudernden Kindermärchen an bis hinauf zur geistvollen poetischen Erzählung (Edelstein und Perle, die drei Quellen, Flor und Vlancflor), von den unmuthig idyllischen Erinnerungen und Phantasiespielen dörflicher Jugend (Jugendgcdichte, Amaryllis) bis zu dem hochsinnigcn pantheistischcn Credo, dessen tiefgefühlte Ueberzeugung aus dem Gedicht die sterbende Blume so tröstlich duftet. In diesem Gedicht erreicht die didaktische Betrachtung Rückert's, welche sich in der tagcbuchartigen Lchrdichtung die Weisheit des Brahmanen (1836—39) zu gedankenreicher, wenn auch hie und da etwas monotoner Mosaik auseinanderbreitet, ihren Glanzpunkt, wie seine reine Lyrik in dem Liebesfrühling, der ein unerschöpfliches Füllhorn von Blüthen über uns ausschüttet, ihre eigentlichste Beseelung fand. Betrachtet man, wie man soll, Rückert's poetische Stellung in ihrer Totalität, so wird man auch an seinen Dramen (Saul, Herodcs, Kaiser Heinrich IV., Colombo), mit welchen er seit 1843 hervortrat, sowie an seiner Evangclicnharmonie (Leben Jesu 1839) nicht theilnahmlos vorübergehen dürfen, wiewohl das kaum etwas Anderes als subjcctive Abfindungen mit Stoffen und Fragen sind, wie sie gerade den Dichter oder die Zeit be- Neuhochdeutsche Zeit. 139 wegten. Denn das eben ist das Eigenthümliche an Rückert, daß er Alles, was in der Form des Gefühls, des Gedankens und des Ereignisses in Lust und Leid an ihn herantrat, dichterisch faßte und gestaltete. So haben auch ihm, so gut wie Jean Paul, alle Jahreszeiten geblüht, alle ihm ihre Früchte gebracht, und er durfte im Rückblick auf seine Laufbahn die schöne Selbstkritik äußern: „Daß mein Leben ein Gesang, sag' ich's nur geworden; jeder Sturm und jeder Drang dient' ihm zu Akkorden." Mit Rückert theilt die Poetische Wiederspicgelung eines lauteren und harmonischen Daseins Leopold Schefer (geb. 1784 ) aus Muskau in der Niederlausitz. Ihm laufen die tausend Stralenbrechungen des Lebens in den Brennpunkt eines pantheisti- schcn Naturdienstcs zusammen, als dessen Priester er in Stein, Pflanze und Thier, wie im Menschen, das Walten der Wcltseele aufzeigt. In den seelen- v ollen Betrachtungen seines Laicnbreviers, welchem sich die Vigilien und der Weltpriester anschlössen, predigt er eindringlich mild einen von schelling'schcr Naturphilosophie mystisch angehauchten Humanismus, dem er auch in der besten seiner Novellen, die leider an jcanpaulistrender Zerfahrenheit des Sthls leiden, in der göttlichen Komödie zu Rom, deren Held der Märtyrer Giordano Bruno ist, ein schönes Ehrenmal errichtet hat. (Ausgcw. Werke, 1845 — 46 , 12 Bde.) 22 . Biegen wir vom nationalliterarischen Felde wieder einmal auf das wissenschaftliche hinüber, so sei zum Voraus gesagt, daß uns auch hier, wie zuletzt auf jenem, Erscheinungen begegnen werden, welche, obgleich in der romantischen Periode wurzelnd und in ihren Anfängen enger oder loser mit der Romantik verflochten, dennoch in ihrem Fortgange siiglich bis zur Gegenwart und in diese herein verfolgt werden können, um nicht den Faden der Darstellung abbrechen und später mit Umschweifen wieder anknüpfen zu müssen. Wir beginnen mit der vaterländischen Sprach- und Alterthumsforschung, welche als ein erstgeborenes und gesundestes Kind der Romantik mit Freuden zu begrüßen ist. Wenn die Romantik im Ganzen und Großen nichts Anderes war als der Versuch, das Mittelalter in Poesie, Kunst und Leben 160 Neuhochdeutsche Zeit. wieder zu erwecken, so mußte sie, wie sie that, die gelehrte Forschung naturgemäß «»eifern, jene Zeit sich und Anderen allseitig klar zu machen. Man begann daher bis zu den Quellen des mittelalterlichen Lebens zurückzugehen, und wo flössen diese reichlicher als in den Werken unserer alten Literatur, welche man unter dem Staub von Jahrhunderten hervorgrub? Aber diese Werke blickten das nachgeborcne Geschlecht so fremdartig an, daß ihr Verständniß und ihre Würdigung nur möglich wurde auf der soliden Unterlage von Sprach - und Sagenstudien. Hier war es, wo sich die beiden Brüder Jakob Grimm (geb. 1785) und Wilhelm Grimm (geb. 1786) aus Hanau unverwelkliche Lorbeeren erwarben. Jakob Grimm verband mit seiner großartigen Thätigkeit als Sprachforscher, deren Resultate in dem Riesenwerke seiner unsere nationale Sprachwissenschaft ganz neu aufbauenden deutschen Grammatik (1818 fg.) und in seiner Geschichte der deutschen Sprache (1849) verarbeitet sind, höchst bedeutende Forschungen in einheimischer Rechts- und Mythengeschichte (deutsche Rechtsalterthümer 1828, deutsche Mythologie 1843 u. A.). Wilhelm Grimm hat neben vielfacher Bemühung um die Findung, Herausgabe und Erläuterung alter Schriftdcnkmale als Hauptwerk die deutsche Heldensage (1829) geliefert. Gemeinschaftlich unterzogen sich die Brüder der Sammlung und Bekanntmachung unseres Märchen- und Sagenschatzes (Kinder- und Hausmärchen 1812, deutsche Sagen 1816) und gemeinschaftlich gingen sie an die kolossale Arbeit, unseren ganzen Sprachschatz in ihrem deutschen Wörterbuch (1852 fg.) zu heben und zu sichten, ein Werk, wie es sicherlich kein anderes Volk auszuweisen haben wird. Neben ihnen haben sich in der deutschen Philologie hervorgethan Büsching, Gräter, Grass, Docen, Zcune, von der Hagen, Beneke, Mone, Aufseß, Laßberg, Lach- mann, Haupt, Maßmann, Sau Marte (Schulz), Haltaus, Ettmüller, Wacker- nagel, Pfeiffer und viele Andere, während Heyse und Becker die neugewonnenen Standpunkte der Sprachwissenschaft für den höheren Unterricht nutzbar zu machen wußten. Mit großem Eifer richtete sich die von der Romantik angeregte Linguistik auch auf den Orient, wohin ja die beiden Schlegel so angelegentlich gewiesen. Gcscnius und nach ihm Ewald leisteten im hebräischen, Vopp, Lassen, Böhtlingk, Bohlen und Ncumann im indischen und chinesischen Sprach- und Altcrthumsgebiet Tüchtiges. Als der Erste aber, welcher, mit umfassender Kenntniß der orientalischen Sprachen und Literaturen ausgerüstet, die Pforten des Morgenlandes ausschloß, muß Joseph von Hammer - Purgstall (geb. 1774 zu Grätz) gerühmt werden. Er that es Neuhochdeutsche Zeit. 161 vermittelst seiner Fundgruben des Orients (1810 fg.), welche Göthe's und Rückcrt's orientalisircnde Lyrik weckten und deutscher Gelehrsamkeit östliche Ziele der Forschung in'sAuge rückten. Dann schrieb er seine mit zahlreichen Proben belegten Geschichten der persischen, türkischen und arabischen Literatur und seine treffliche große Spezialgeschichte des osmanischen Reiches (1827 fg.). Als Uebersetzer der Divane des berühmten persischen Dichters Hafis und des im Morgenland kaum minder berühmten arabischen Mutanabbi hat er freilich die Meisterschaft Späterer nicht erreicht, aber alle seine Nachfolger auf dem Felde der Verdeutschung orientalischer Dichtung stehen auf seinen Schultern. Rückcrt's eminente Kunstfertigkeit in dieser Richtung haben wir schon berührt und bcnützen diese Gelegenheit zu der Bemerkung, daß unsere poetische Uebersetzungskunst durch die rege Rcceptivität der Romantik nach allen Seiten hin mächtig gefördert wurde. So schließt sich an A. W. Schlegel eine lange Reihe von Uebersctzungskünstlern, welche die dichterischen Klänge und Reden des Südens und Nordens, Ostens und Westens zu der grandiosen Harmonie eines deutsch-weltliterarischen Concertes zusammentönen lassen: Gries (Ariosto, Tasso, Calderon), Streckfuß (Dante), Kannegießer (Dante, Leopardi, Mickiewicz, Stagnelius), Förster (Petrarca), Witte (Boccaccio), Regis (Rabelais, Cidromanzen), Donner (Sophokles, Camoens), Droysen (Acschylos, Aristophanes), W. Grimm (altnordische Heldenlieder), Simrock (die Edda), Mohnike (Tegner), Talvj (serbische Volkslieder), Vaihinger (Hiob), Weil (Märchen der tausend und einen Nacht), Hoefer (indische Gedichte), Graf (Sadi), Meier (Sakuntala), Hoffmann (spanische Lyriker), Schwab (Lamartine), Seeger (Beranger, Aristophanes), Freilig- rath (Victor Hugo, Moore, Hcmans, Burns), Kaufmann, Heintze und Gerhard (Burns), Pfitzcr (Byron), Böttger (Byron), Zedlitz (Childe Harold), Hilscher (Byron's Manfred), Dohrn (spanische Dramatiker), Arentschildt (spanische und portugiesische Lyriker), Dicz und Heise (Troubadours), Missen (neugriechische Poeten), Sanders (neugriechische Volkslieder), Fiedler (schottische Volksdichter), Ploennies (französische, englische, niederländische Poeten), Kapper (slavische Volksgesänge), Bodenstedt (Lcrmontoff). Schon dieses auch nicht einmal annähernd vollständige Verzeichniß kann andeuten, mit welcher Liebe der deutsche Kosmopolitismus um die Rcalisirung des rückert'schen Wortes: „Wcltpoeste ist Weltvcrsöhnung!" sich bemüht hat. Die Ergebnisse der emsigen Bemühungen im Fache der sprachlichen, literarischen und archäologischen Forschung mußten auf die Historik alsbald 1t 162 Neuhochdeutsche Zeit. einen höchst bedeutenden Einfluß äußern und wir sehen die deutsche Geschichtschreibung seit der Periode der Romantik zu einem Umfang, einer Vielseitigkeit und Gediegenheit heranwachsen, wie fie noch im vorigen Jahrhundert gar nicht denkbar gewesen. Eine ganz neue Regsamkeit führte das Aufgraben und Fassen mittelalterlicher Quellen auf dem Gebiete unserer Nationalgeschichte herbei, welche nach umfassendstem Maaßstabe zu schreiben Heinrich Luden (geb. 1780) unternahm. Seine Geschichte des deutschen Volkes (1826 fg.) , welche nicht vollendet wurde, wurzelt in der patriotischen Romantik und ist in einzelnen Partien sehr gediegen gearbeitet, ohne es im Ganzen zu einer rechten genetischen Entwicklung und organischen Gliederung des Stoffes bringen zu können. An Luden reihen sich als Historiker, welche die nationale Geschichte als solche im Ganzen oder in einzelnen Zeiträumen oder auch als Spezialgcschichre der verschiedenen Stämme und Staaten behandelt haben: K. A. Mcnzel, I. K. Pfister, W. Wenzel, H. Zschokke, G. A. H. Stenzel, D. Ch. von Rommel, I. Voigt, I. G. A. Wirth, I. G. Pahl, Ch. F. Stälin, I. W. Barthold, I. A. Henne, I. E. Kopp, W. Pensen, L. Häusscr, H. Wuttke. Sehr wichtige Anhaltepunkte für unsere nationale Geschichte gewähren die ältesten Documente derselben, wie sie G. H. Pcrtz für sich allein und in Verbindung mit Anderen herausgegeben. Zur Aufhellung der historischen Verhältnisse östreichischer Länder und östreichischer Diplomatie hat namentlich die lange Reihe der geschichtlichen Arbeiten Joscph's von Hormayr (1781 — 1818) beigetragen. Die Glanzparticn des Mittclaltcrs haben dargestellt F. Willen in seiner Geschichte der Krcuzzüge (1807 fg.) und Fr. Räumer in seiner Geschichte der Hohcnstaufen (1824 fg.), in welcher das unerquickliche Justemilicu des Verfassers weniger Gelegenheit hat, sich zu äußern, als in seiner Geschichte Europa's seit dem Ende des 15. Jahrhunderts. L. Ranke wählte sich zu seinen historischen Arbeiten, unter denen die Geschichte der Päpste im 16. und 17. Jahrhundert und die deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation vorragen, mit Vorliebe die Periode, in welcher der Wendepunkt des Mittelaltcrs zu der neuen Zeit liegt. Sein Hauptvorzug besteht in der Fähigkeit, sich in die Anschauungsweise der von ihm geschilderten Zeiten und Völker hineinzuversetzen. Im klebrigen ist er der directc Gegensatz von Schlosser, dessen strengstttlichcm und rationalistischem Standpunkt gegenüber er den diplomatischen repräsentirt. Von diesem aus mögen freilich so herz- und blutlose Historien, wie Ranke's neun Bücher preußischer Geschichte, wo Neuhochdeutsche Zeit. 163 das Diplomätcln bis zur servil-höfischen Vertuschung oder Verschweigung „brutaler" Thatsachen geht, ihre Berechtigung haben. Wir unsererseits können uns nicht vorlügen, ein Glacühandschuhstyl, welcher den Paradeeinzug irgend einer Prinzlichkeit und die Greuel der Bartholomäusnacht im ganz gleich glatten Tone erzählt, sei der wahre historische Kunststyl, und es will uns bedünkcn, eine Historiographie, welche das Volk und sein Leben nur so beiläufig beachtet und die Entwicklung der Gesellschaft bloß als ein Gewebe diplomatischer Kniffe und Pfiffe aufzufassen liebt, müsse zuletzt nothwendig zur Falschmünzerei der Geschichte werden. Bei Schlosser fühlen wir überall, daß die Weltgeschichte das Weltgericht ist, in Rankc's Geschichtswerken betreten wir einen niedlichen Salon, wo historische Charaktere der entgegengesetzteste» Prinzipien und Handlungsweise in gleicher Abgeschliffenheit zu einem geistreichen Thee versammelt find und Leute, wie Cäsar Borgia und Karl IX., sich in den anständigsten Umgangsformen bewegen. Nach Nie- buhr's Vorgang wurde die Geschichte des römischen und griechischen Alterthums einläßlich beleuchtet durch Böttigcr's, Ottssied Müller's, Boeckh's und Anderer historische und archäologische Arbeiten, während 2. Ph. Fall- mcraher die Strenge seiner Kritik an den Zuständen der byzantinisch-griechischen Welt im Mittclaltcr erprobte und G. Weil das Dunkel der Khalifcn- geschichte lichtete. Der Universalgeschichte wandten neben Schlosser ihre Thätigkeit zu K. H. L. Pölitz, 2. F. B. Schneller, K. F. Becker, 2. W. Loebcll und G. Weber. Am populärsten wurde die Weltgeschichte von K. W. vonRotteck (1775—1840), in welcher sich, obgleich ste schon 1813 zu erscheinen begann, mit der patriotischen Romantik die rhetorische Anteci- pation des Liberalismus der 30gcr Fahre verschmilzt. 2n schneidendem Kontrast zu der rottcck'schen Universalgeschichte steht die von H. Leo, der den Standpunkt rcactionärer Mittelalterlichkcit mit energischem Fanatismus, mit cynischer Bissigkeit vertritt. Ein Unternehmen, welches unserem Lande Ehre macht, ist die von Heeren und Uckert begründete Geschichte der europäischen Staaten. Hier finden sich ausgezeichnete Leistungen, wie Lappenberg's Geschichte von England, Leo's Geschichte der italischen Staaten, Schmidt's Geschichte von Frankreich, Scknifer's Geschichte von Portugal, Rocpcli's Geschichte von Polen und- die Geschichte Dänemarks von F. Ch. Dahlmann, der auch die Geschichte der englischen und französischen Revolution ebenso .geschmackvoll als gründlich geschrieben hat. 2n der biographischen Kunst gilt K. A. Varnhagcn von Ense als Meister, doch ist die Plastik seiner bio- 11 * 164 Neuhochdeutsche Zeit. graphischen Denkmale mehr nur eine porzellanene als marmorne. Preuß mit seinen Schriften über Friedrich den Großen und Dropsen mit seinem Leben Stein's haben sich als umsichtige Biographen bewährt. Sehr erfreulich ist es, daß sich die historische Forschung von der bloßen Cabinetts - und Kriegsgeschichte immer mehr der inneren Entwicklung der Völker zuwendet. Der ungemein thätige W. Wachsmuth hat auf dem Gebiete der Culturhistorik durch seine europäische Sittengeschichte und seine allgemeine Culturgeschichte rühmliche Leistungen aufgestellt und noch weitere Ziele steckte sich G. Klemm in seiner Kulturgeschichte der Menschheit, in welcher jedoch das reiche Material mehr bloß gesammelt als verarbeitet ist. Zur deutschen Cultur- und Sittengeschichte haben insbesondere Voigt, Barthold und K. Hagen (Deutschlands relig. und lit. Verhältnisse im Rcformationszettalter) schätzcnswerthe Beiträge geliefert, wobei auch an die älteren Autoren dieses Faches, wie Anton, Fischer, Flögel, Stettcn, Hüllmann, dankbar erinnert werden mag. Die Resultate des deutschen Forschungseifers, welcher sich nach der Bahnbrcchung durch Arnold, Walch, Schröckh und Planck auf die Kir- chengeschichte richtete, liegen in den Arbeiten von I. A. W. Ncander, G. K. L. Gieselcr, I. H. K. von Wefsenberg, I. G. V. Engclhardt, K. A. Hase, A. Gfrörer, Ch. W. Niedner, K. R. Hagenbach, E. geller und Anderer vor. Die Geschichte der Philosophie fand im Ganzen und Einzelnen eine große Anzahl von Bearbeitern, von denen genannt sein mögen E. Reinhold, Sigwart, Brandis, Braniß, Chalybäus, Michclet, Biedermann, I. H. Fichte, Carriere, Erdmann, Schweglcr, Fcuerbach, Fortlage und H. Ritter, dessen Werk in den weitesten Dimensionen sich aufbaut. Es gebührt der Romantik die Anerkennung, daß sie es war, welche die Wahrheit, nur die Ausmessung der Höhen und Tiefen der Literatur eines Volkes vermöge den Schlüssel zum Verständniß der Geschichte desselben zu liefern, zuerst vollständig zur Anerkennung brachte, und wir haben oben erwähnt, daß die Literaturhistorik, welche diesen Namen wirklich verdient, erst mit den Schlegeln beginnt. Die von ihnen ausgehende Anregung führte Fr. Bouterwek zur Ausarbeitung seiner Geschichte der modernen Poesie und Bcredtsamkeit (1801—ig, 12 Bde.) und L. Wachlcr zu Durchführung seiner Univcrsal- historie der Literatur, die namentlich in der zweiten Umarbeitung noch immer brauchbar ist. In die Fußstapfen dieser Vorgänger trat I. G. Th. Gräßc, mit dem ungeheuren Material einer allgemeinen Literargeschichte kräftig ringend, aber höchst illiberal in der Auffassung moderner Literaturzustände Neuhochdeutsche Zeit. 163 und incorrect im Einzelnen. Was für die Kenntniß der griechischen Literatur K. O. Müller, G. H.Bode, G. Bernhardt), A. Schöll, F. G.Welcker, der römischen I. Chr. F. Bahr, der provenpalischen F. Diez, der spanischen L. Clarus und A. F. von Schack, der italienischen E. Ruth, der englischen H. Ulrici, der germanischen und slavischen Volkspoesie Frau Th. A. L. Robinson (Talvj), der modernen europäischen Literaturzustände Th. Mundt geleistet haben, gehört zu den schönsten Zeugnissen des weltbürgerlichen Sinnes der Deutschen, denen es, wie sonst keiner Nation gegeben ist, sich in die Anschauungsweise fremder Völker zu versetzen. Wollten wir alle Werke namhaft machen, welche die Geschichte unserer Nationalliteratur behandelten, seit E. I. Koch 1790 durch sein Compendium und E. G. Jördens durch sein Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten (1806 fg.) nachhaltigen Anstoß dazu gaben, so müßten wir mehrere Seiten mit Autornamcn und Büchertiteln füllen. Statt dessen begnügen wir uns, zu sagen, daß Wachter zuerst ein Gesammtbild unseres nationalliterarischen Werdens und Seins ausstellte (Vorl. ü. d. Gesch. d. d. Nationallit. 1818) und daß seither G. G. Gervinus in seiner auf dem gründlichsten Quellenstudium beruhenden genetischen Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen (5 Bde. 3. Aufl. 1846) ein classisches Werk der Literarhistorik geliefert hat, neben welchem als ehrenhafteste Leistungen erwähnt werden müssen A. Koberstein's Grundriß der Geschichte der deutschen Nationalliteratur (4. Aufl. 1845), I. K. F. Rinne's innere Geschichte der deutschen Literatur (1842), A. F. C. Vilmar's Geschichte der deutschen Nationalliteratur (2. Aufl. 1847), I. Hillebrand's deutsche Nationalliteratur seit Lessing bis auf die Gegenwart (3 Bde. 2. Aufl. 1850), W. Wackernagel's Geschichte der deutschen Literatur (1851), E. R. Prutz's (unvollendete) Geschichte des deutschen Journalismus (1845) und des Göttingcr Dichterbundes (1841), endlich K. Hoffmeistcr's Werk über Schiller, K. Rosenkranz's Monographie über Göthe und H. Düntzer's Studien zu Göthe's Leben. Die lebhafte Beschäftigung der Romantik mit der Kunst brachte nicht nur eine Menge von Kunstromanen zuwege, sondern wurde auch für die Kunstgeschichte sehr fruchtbar. A. Hirt zeigte sich zwar in seinen Büchern über antike bildende Kunst und Architektur mehr noch an die Winckelmann-Göthe-Meyer'schcn Kunststudien angelehnt und in den bezüglichen Schriften von Fr. Thiersch und I. K. L. Schorn über die hellenische Kunst fand diese gerechte Würdigung, wogegen G. Fr. Waagen, I. D. Passavant, S. Boisserse und der Tragödien- und Romandichter Fr. 166 Neuhochdeutsche Zeit. von Uechttitz in ihren kunsthistorischen Arbeiten romantische Färbung tragen. Als classische Werke unserer neueren und neuesten Kunsthistorik darf man bezeichnen Karl Schnaase's Geschichte der bildenden Künste und Gottfried Kinkel's Geschichte der bildenden Künste bei den christlichen Völkern, als sehr instructiv Franz Kugler's Handbuch der Kunstgeschichte und Ernst För- stcr's Geschichte der deutschen Kunst. Eine gehaltvolle und anziehende Geschichte der deutschen Schauspielkunst hat Eduard Devrient geliefert. ^ Die Romantik bemühte sich angelegentlichst, die geschichtlichen Studien zur systematischen Formulirung ihrer Idee des sogenannten christlichen Staates zu benützcn, wie sie insbesondere Adam Müller aufgestellt halte. Die patriotischen Romantiker suchten mit derselben die nationalen Interessen zu verflechten, machten aber weit weniger Glück als der schon früher erwähnte Halter, der mit seiner Predigt von dem im Territorialbesitz wurzelnden, von der Kirche getragenen fürstlichen Absolutismus, von welchem die Rechtspflege nur als ein willkürlicher Gnadcnact ausfließt, so recht ein politischer Theoretiker nach dem Herzen der Restaurationspolitiker und ihrer Gebieter war. Doch blieb er nicht ohne Opposition und zwar ward ihm die besonnenste und kräftigste zugleich gemacht durch I. L. Klübcr ( 1762 — 1837 ), der mit gediegener Wifsenschaftlichkeit und männlichem Frcimuth in seinem berühmten Buch Ocfsentlichcs Recht des deutschen Bundes ( 1817 ) das deutsche Staatsrecht auf dem Fundament konstitutioneller Freiheit aufzubauen unternahm, uneingcschüchtert durch die Verfolgungen, welchen er sich dadurch aussetzte. Stahl's Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht (1830 fg.) ist bei Licht betrachtet nur eine neu aufgelegte Hallerci, reich verbrämt mit theologischen Wunderlichkeiten. Sehr Tüchtiges wurde geleistet für die wissenschaftliche Entwicklung der deutschen Straf- und Civilrechtstheorie und für die Geschichte des deutschen Rechts. Hier steht voran K. Fr. Eichhorn mit seiner deutschen Staats- und Rcchtsgeschichte ( 1808 — 18 ) und seinem deutschen Privatrccht ( 1823 ). An ihn schließen sich die rechtsgeschichtlichen und rechtsthemetischen Arbeiten von Böhmer, Wilda, Albrecht, Beseler, Wigand, Waitz, Gaupp, Wächter, Hcffter, Mittcrmaier und Anderen. Für das römische Recht und seine Geschichte that das Meiste und Beste F. K. von Savigny vermittelst seiner zwei berühmten Bücher Geschichte des römischen Rechts im Mittelaltcr ( 1815 — 26 ) und System des römischen Rechts (1840 fg.). An Savigny einerseits, an A. F. I. Thibaut andererseits knüpft sich die lebhafte Bewegung, welche durch die Spaltung unserer Juris- Neuhochdeutsche Zeit. 167 prudcnz in eine philosophische und in eine historische Schule entstand. Thi- baut hielt, besonders kräftig von dem Hegelianer Gans unterstützt, die philosophische Ansicht fest, daß nationales Recht und Gesetz aus dem lebendigen Volksgcist zu entwickeln sei, Savigny dagegen, unter dessen Partisanen Puchta sich hervorthat, verfocht die Ansicht, daß Recht und Gesetz nur aus dem geschichtlichen Entwicklungsgänge des nationalen Rechtsbewußtseins erwachsen könne. Im Vorschritt der Zeit machte sich die Wichtigkeit der staatswirthschaftlichen und nationalökonomischen Wissenschaft immer nach- drucksvoller geltend. Hicbei aber zeigte sich, daß der Mangel an öffentlichem Leben und die vielfache Hemmung praktischer Theilnahme an der universalen Bewegung der Industrie und des Handels keine günstigen Voraussetzungen von Kenntnissen seien, wie sie der Engländer Smith und der Franzose Sah unter ihren Landsleuten verbreitet hatten. Erst in Friedrich List erhielt Deutschland einen Nationalökonomcn, der mit tiefer Kenntniß der faktischen Verhältnisse originalen Geist verband. Sein nationales System der politischen Oekonomic ist in wissenschaftlicher Beziehung grundlegend geworden und hat bekanntlich auch schon praktische Wirkung gethan. Die große Frage der sozialistischen Reform der Gesellschaft, wie sie von den Franzosen Saint- Simon, Fouricr, Cabet, Prondhon und Blanc angeregt worden, hat in Deutschland wenigstens einen trefflichen Geschichtschreiber ihres bisherigen Verlaufs gefunden in L. Stein (Gesch. d. sozialen Bewegung in Frankreich). Eine encyklopädische Bearbeitung der Staatswissenschaften in ihrem ganzen Umfange gibt vom Standpunkte des Liberalismus aus das Staatslerikon von Rotteck und Welckcr. Möge der Erwähnung dieses Werkes gerade noch die der riesenhaften Allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften und Künste von Ersch und Gruber, sowie der Konversationslexika von Brockhaus, Wi- gand und Pierer anzureihen gestattet sein. Das Vorhandensein der letzteren kann jedenfalls beweisen, daß der Drang und Trieb nach Bildung in unserem Volke immer weitere Kreise sich zieht. Die naturphilosophisch-romantische Bewegung verlief in ihren weitaus meisten Richtungen in religiöse Postulate und es konnte daher nicht ausbleiben, daß die romantisch-religiöse Stimmung der Zeit in der deutschen Theologie ihren wissenschaftlichen Ausdruck fand. Die Theologie erhob sich dabei zu der Kühnheit der sichte'schen Subjectivitätslehre, um durch den spi- nozistischen Pantheismus und die böhm-schelling'sche Theosophie hindurch ihren Rückzug in die christliche Weltanschauung zu bewerkstelligen. Diesen 168 Neuhochdeutsche Zeit. Entwicklungsgang zeigt die berühmteste theologische Autorität der Romantik, F. D. E. Schleiermacher (geb. 1768 zu Breslau, gest. 1834 zu Berlin), in seinen Schriften deutlich auf. Er hat als akademischer Lehrer, als Schriftsteller und bewunderter Kanzelredner ungemein tiefgreifend auf seine Zeitgenossen gewirkt und sich zwischen Philosophie und Theologie eine Mittelstellung zu verschaffen gewußt, die den verschiedenartigsten wissenschaftlichen Parteien eine Berufung auf ihn ermöglicht. Wenn dies aber ein rühmliches Zeugniß seiner geistigen Beweglichkeit und Vielseitigkeit abgibt, so ist es zugleich auch ein bedenkliches hinsichtlich seiner Festigkeit und Konsequenz. Es findet sich bei Schleiermacher in hohem Grade das charakteristische Merkmal der Romantik, die Empfänglichkeit, welche ihn dreißig Jahre lang das Schwanken des deutschen Geisteslebens redlich hat mit durchmachen lassen. Daher verräth sein ganzes Wesen etwas Schaukelndes, daher konnte er beim Beginn seiner Laufbahn entzückte Briefe über Schlegel's Lucinde schreiben und noch in seinen Monologen (1801) die Macht des fichte'schen Ich verherrlichen, während er, gewiß mit ebenso guter Ueberzeugung, am Schlüsse seines Lebens den Genuß des christlichen Abendmahls als die beste Vorbereitung zum Sterben betrachtete. Eines seiner Hauptwerke, die christliche Glaubenslehre, hielt sich bei ihrem ersten Erscheinen (1821) zwischen fichte'- schem Idealismus und schelling'scher Naturvergöttcrung in der Schwebe, näherte sich aber in ihrer späteren Umarbeitung mehr dem kirchlichen Dog- mcnglaubcn und suchte, was Schleiermacher's spätere Werke überhaupt beabsichtigten, darzuthun, daß nur im Glauben an Gott und in der kirchlichen Gemeinschaft das Leben Realität habe. Das höchste Ziel seines Wollens, die Ausgleichung der Welt der Sinne und der des Geistes, hat er mit dem künstlerischen Spiel seiner Dialektik nirgends erreicht und deßhalb durfte man ihn mit Fug und Recht einen theologischen Schachspieler nennen, „der seine wissenschaftlichen Figuren hin- und herschickt, wobei weder die Philosophie noch die Theologie das Spiel gewinnt, während er selbst zuletzt so müde wird, daß er das Schachbrett sammt allen Figuren fortwirft und in ftomm- seliger Hingabe an das Jenseits endigt." Im Uebrigen muß ihm nachgerühmt werden, daß seine geschmackvolle Art, theologische Fragen zu behandeln, auf den theologischen Styl heilsam gewirkt hat, und außerdem, daß er gegen reactionäre Heillostgkeiten, wie z. B. gegen die Schmalzische Denunciationsschufterei, die vernichtenden Waffen eines edelgesinnten Mannes richtete. (Sämmtl. Werke, 1836—42, 12 Bde.) Schleiermacher's Vermittlungs- Neuhochdeutsche Zeit. 169 versuche zwischen Philosophie und Theologie wurden auf dem Gebiete des Protestantismus fortgeführt durch W. M. L. de Wette (1780—1849), welcher mit Augusti eine ausgezeichnete Bibelübersetzung lieferte. K. Daub (1765—1836) und Ph. K. Marheineke (geb. 1786) gaben dann diesen Vermittlungsversuchen durch Herbeiziehung der Hegel'schen Logik eine erweiterte Grundlage, wogegen die Tholuck, Hcngstenberg, Harleß, Lange, Harms und Krummachcr aus den Gesichtspunkten der Mystik, der altluther'- schen Orthodoxie und des Pietismus reagirten. Katholischerseits fand die Reform der Theologie im Sinne der Romantik einen geistvollen Förderer an F. Baader (1765—1841), der uns schon unter den Naturphilosophen begegnet ist und bei Ausführung seiner religiösen Ansichten aus die Mystiker des Mittelalters und auf Jakob Böhm zurückgriff. Günther und Windisch- mann suchten den philosophirenden Katholicismus auf der Höhe romantischer Speculation zu halten, ohne jedoch verhindern zu können, daß derselbe in Bekämpfung des Hermestanismus, dessen antipäpstliche und antijcsuitische Konsequenzen namentlich Ellendorfmit Geist und Schärfe zog, immer mehr zu ultramontaner Verfinsterungssucht herabsank und so, an Unduldsamkeit mit der protestantischen Orthodoxie wetteifernd, die kraßrcactionären End- absichten der Romantik in Sachen der Religion ebenso abschreckend bloßlegte, wie dies die Haller und Gentz in Sachen des Staates gethan hatten. Ein Ausstuß des romantischen Theologismus war die lebhafte Hingabe an mythologische Forschungen, wie wir solche schon bei Schelltng und Görres getroffen. Die linguistische Eröffnung des Orients gewährte den Mythologen die weitesten Räume und die deutsche Phantasie war thätig genug, dort den Centralpunkt aller mythologischen Anschauungen zu suchen und zu finden. Es baute sich aus denselben insbesondere durch G. F. Kreuzer (geb. 1771 zu Marburg) ein mythologisches System auf (Symbolik und Mythologie der alten Völker, 1810—22), welches, bekämpft von Voß, als das symbolische bezeichnet werden kann, indem es die Mythen als äußerliche Symbole tiefer liegender religiöser Ideen faßt und aus ihrer Gesammtheit eine gemeinsame ideelle Weltanschauung aller Nationen herausdeuten will, einen ursprünglichen Monotheismus, welcher im Verlaufe der Zeit durch Einwirkung der Poesie zum sinnlichen Polytheismus geworden sei. Der Symbolstreit wurde nachmals durch den Katholiken Möhlcr und den protestantischen Dogmenhistoriker Baur in die Arena einer confesstonellen Polemik versetzt, die bis in die Gegenwart hereinspielte. Was Stuhr und Rhode in der asiatischen 170 Neuhochdeutsche Zeit. Mythengeschichte leisteten, wurde in Schatten gestellt durch die Darstellung des ältpcrstschen und ältägyptischen Religionssystcms, welche E. Röth im ersten Bande seiner epochemachenden Geschichte der abendländischen Philosophie (1847) gegeben hat. Daß die Naturphilosophie vom weitgrcifendsten Einfluß auf die Naturwissenschaften sein mußte, ist klar und oben schon an dem Beispiele von Okcn nachgewiesen worden. In der panthcistischen Idee der Einheit des Wcltorganismus fanden die verschiedenen naturwissenschaftlichen Fächer ihre Verschmelzung zu einem organischen Ganzen, fand die Empirie ihre Beseelung durch den Gedanken, unter dessen Herrschaft die deutsche Forschung in Physik, Chemie und Physiologie, in Gcognoste, Geologie, Zoologie und Botanik, in Astronomie und Geographie so erstaunliche Resultate gewonnen hat, Resultate, die ihre reformistische Macht auf allen Feldern des praktischen Lebens geltend machen und immer mehr geltend machen werden. Man vergleiche, um von diesen wunderbaren Fortschritten einen deutlichen Begriff zu erhalten, nur den Zustand, in welchem sich unsere Erdkunde zu Ausgaug des vorigen Jahrhunderts befand, mit der Höhe, auf welche sie gehoben wurde durch Karl Ritter (geb. 1779 zu Quedlinburg), den Schöpfer der vergleichenden Erdbeschreibung, welcher in seinem großen Werke (die Erdkunde im Verhältniß zur Natur und zur Geschichte des Menschen, 18 >7 fg.) das mit umfassendster und pünktlichster Gelehrsamkeit gesammelte geographische Material zu einem Gemälde zu verarbeiten weiß, in welchem sich philosophische Combination in lichtvollster und anschaulichster Darstellung ausprägt. Ausgezeichnete Rciscwerke, wir erinnern nur an die von Martins, Lichtenstein, Neuwicd, Pückler-Muskau, Hügel, Koch, Fallmcrayer, Orlich, Rüppell, M. Willkomm, Venedey, Stahr, Gerstäcker, Blasius, Kohl, gewähren unserem geographischen Wissen immer neue Aufschlüsse und Anhaltpunkte. Was für zahllose und zum Theil höchst bedeutende Finduugcn in Mathematik, Physik und Astronomie gemacht wurden durch Gaus, Olbers, Schröter, Enke, Mäkler, Pfaff, Littrow, Struvc, Chladni, Weber und Ermann, in der Gc- ognvfie und Geologie durch Leopold von Buch, Link, Ehrcnbcrg, Goldfuß, Lconhard, Kloedcn und Andere, in der Chemie durch Mitscherlich, Wöhler, Liebig, Gmelin, Löwig und Schloßbergcr, in der Physiologie, Psychologie, Pathologie und Operationskunst durch Burdach, Autcnricth, Johann Müller, Carus (den Ausbildncr der Gall'schcn Schädellchre), Heinroth, Schönlcin, Heule, Bischof, Valentin, Dieffenbach und Andere, in der Theorie des thieri- Neuhochdeutsche Zeit. 171 schcn Magnetismus durch Nees von Esenbeck, Kiefer und Ennemoser — das Alles kann hier nur angedeutet werden durch Namhaftmachung der gefeierten Männer, welche die reiche Geisteskraft unseres Volkes und die Größe unserer Literatur auch auf dem naturwissenschaftlichen Gebiete so glänzend bewährt haben. Höchst anerkennungswerth ist an unseren Naturforschern auch das, daß sie sich immer entschiedener bemühen, durch gemeinfaßliche Werke der Ergebnisse ihres Fleißes die Wissenschaft mit dem Leben in unmittelbare Beziehung zu setzen: so Burmeister durch seine Geschichte der Schöpfung, Licbig durch seine chemischen Briefe, K. Vogt durch seine physiologischen und zoologischen Briefe, Euler und Müller durch ihre physikalischen Briefe, Schleiden durch sein Leben der Pflanze, R. Wagner durch seine Darstellung der Chemie auf ihrem neuesten Standpunkte. In Alexander von Humboldt (geb. am 14. Scpt. 1769 zu Berlin) besitzt die Universalität der deutschen Naturforschung einen Repräsentanten von europäischer Berühmtheit. Humboldt legt das Bekenntniß des Zusammenhangs seiner allseitigen naturwissenschaftlichen Thätigkeit mit der Naturphilosophie ab in seinem bekannten Worte, daß die höchste Tendenz der physikalischen Forschung darauf gehe, in der Mannigfaltigkeit die Einheit zu erkennen, von dem Individuellen aus Alles zu umfassen, was die Entdeckungen der letzteren Zeitalter uns darbieten, die Einzelnhcitcn prüfend zu sondern und doch nicht ihrer Masse zu unterliegen, der erhabenen Bestimmung des Menschen eingedenk den Geist der Natur zu ergreifen, welcher unter der Decke der Erscheinungen verhüllt liegt, und so den rohen Stoff empirischer Anschauung gleichsam durch Ideen zu beherrschen. Ihm, der allen Ländern Europa's, der Amerika und Asien die Fußstapfen-seiues universellen Forschereifers eindrückte, war es gegeben, diese großartige Auffassung der Naturwissenschaft in seinen Reisewerken, in seinen Ideen zu einer Geographie der Pflanzen (1811), endlich am umfassendsten in seinem Kosmos (1845—51, Bd. 1— 3), welcher den genialen Versuch macht, mit Zusammenfassung aller Resultate bisheriger Forschung „ die Natur lebendig und in ihrer erhabenen Größe zu schildern und in dem wellenartig wiederkehrenden Wechsel physischer Veränderlichkeit das Beharrliche aufzuspüren" oder, mit einem Wort, eine Weltgeschichte der Natur zu schreiben — zu wissenschaftlicher Realität zu gestalten. Die höchste nationalliterarstche Schönheit erreicht Hum- boldt's Styl in seinen Ansichten der Natur (2 Bde. 3. Aufl. 1849). Hier erhebt sich die Wissenschaft, ohne aufzuhören, solche zu sein, zu 172 Neuhochdeutsche Zeit. classischer Poesie, welche die Natur mit ihrer eigensten Stimme sprechen zu lassen versteht. 23 . Die wissenschaftlichen Strebungen, welche wir im vorstehenden Abschnitte skizzirten, gehen zwar in ihren Anfängen tief in die romantische Periode zurück, bewegen sich aber in ihrem Fortgange und ihren neuesten Entwickelungen schon auf dem Boden der Jetztzeit und gerade auch in Humboldt manifestirt sich deutlich die Umkehr des deutschen Geistes aus der „mondbe- glänzten Zaubernacht" in die classische Tagcshelle. Allerdings ist diese Umkehr noch keineswegs ganz vollbracht und findet selbst in unseren Tagen die Romantik, gehalten von dem Patronat allerhöchster Herrschaften, noch Raum genug zu den bedenklichsten Aeußerungen. Allein in dem Entwicklungsprozeß unserer neuesten Literatur hat sie ihre Sache so vollständig und schmählich verloren, ist sie, um eines ihrer eigenen Worte zu gebrauchen, so unwiderlegbar als Golem erkannt und entlarvt worden, daß man es der re- actionären Staatsraison wohl gönnen kann, noch eine Weile ihre Zärtlichkeiten an die geschmückte und geschminkte Leiche zu verschwenden. Tritt man mit unbefangener Kritik an die productive Romantik heran, so findet man, daß sie über den Dilettantismus in der Poesie nie hinausgekommen. Im ganzen Umfange ihrer Leistungen trifft man nicht ein einziges Werk, welches so elektrisch und elcktristrend auf die Nation gewirkt hätte, wie die Dichtungen Klopstock's, Göthe's und Schillcr's. Dies erklärt sich auch ganz leicht aus dem Umstand, daß die romantischen Versuche nicht ein Product des Nationalgeistes in seinem Vorschreitcn, sondern das einer rück- wärtsstrebcnden Sekte waren. Allem Beginnen derselben mußte man das Hohle, Willkürliche, Gemachte anmerken. Sogar das Christenthum der Romantiker war nur ein gemachtes, ästhetisch zubereitetes, und der größte Karfunkelpoet der Schule, Werner, ließ sich das Geständniß entwischen, das Christenthum sei eigentlich nur für den großen Haufen da, denn, sagt er, „was dir dein Glaube an dein Ideal, das ist dem Volk sein Heiland und sein Fetisch." Es gab aber dennoch Leute, welche das romantische Christenthum buchstäblich nahmen, und das waren insbesondere die deutschen Künstler, die Neuhochdeutsche Zeit. 173 Maler, welche groß zu sein glaubten, wenn sie zu Rom katholisch wurden, die Haare s I» Dürer wachsen ließen, jüngste Gerichte mit Horden von Teufeln und Engeln und andere dergleichen crüde Anachronismen malten. Wahrlich für diese Menschen hatten unsere Lesstng, Herder, Göthe und Schiller gar nicht gelebt, für sie gab es in der deutschen Literatur nur drei Hauptwerke, den Herenhammer, Canifii Katechismus und Pater Kochenüs Himmelsschlüssel. Indessen begann auch unsere Kunst der romantischen Bestrickung allmälig wieder sich zu entlasten und die Hussitenbilder von Karl Friedrich Lcssing z. B. geben das schönste Zeugniß, daß unsere Malerei ganz andere Aufgaben zu lösen vermag als die Klecksung von Heiligcnschindereicn und Tcufelsfratzcn. Wie in derartigen Werken unserer modernen Kunst die Helle des Zeitbcwußtscins über die Dunstschichten romantischer Verfinsterung siegreich sich emporringt, so hatte unsere Poesie schon früher den Faden naturgemäßer nationalliterarischer Entwicklung, welchen die Romantik abgebrochen, wieder an unsere Classik angeknüpft, um das Grundmotiv derselben, den Humanismus, weiterzubilden. Mit der Romantik im Ganzen und Großen ist's aus in unserer Literatur. Sie spukt nur noch in den hohlen Schädeln einiger Verspfuscher und Reimerinncn oder wird von der gemeinen Industrie als Maske vorgenommen, um Hofprofcssuren zu ergattern. Im Jahre 1847 sagte Eichcndorff, es sei noch kein Menschcnalter vergangen, seit die moderne Romantik wie eine prächtige Rakete funkelnd zum Himmel emporstieg, um nach kurzer wunderbarer Beleuchtung der nächtlichen Gegend oben in tausend bunte Sterne spurlos zu zerplatzen. Mit dem Zerplatzen hat es seine Richtigkeit; die „wunderbare Beleuchtung" und die „tausend Sterne" wollen wir als poetische Licenzen des Parteigängers der Romantik hinnehmen. Freilich bewerkstelligte sich das Zerplatzen nicht so raketenhaft schnell, wie Eichcndorff vorgibt. Es ging langsam und mit Hinterlassung des übelsten Geruchs von statten. Man erinnere sich nur der Taschenbuchliteratur der 20ger Jahre, in welcher die Romantik zu ihrer ganzen Leichtigkeit und Miserabilität abgeschwächt war. Die Apathie, welche sich nach den rasch und gewaltsam vernichteten Illusionen der Befreiungskriege der Nation bemächtigt hatte, fand in der Literatur einen trostlosen Ausdruck. Neben der Bude, wo die Tromlitzc, Blumcnhagen und Wachsmänner ihre historischromantischen Gliedermänncr ausboten, hatte Clauren seine Mimilipüppchen von Dreck und Zucker feil. Wo die früher erwähnte Generation Kotzebue's die Theater nicht occupirt hielt, da beherrschten Raupach die Szene mit seinen 17L Neuhochdeutsche Zeit. lcdcrüberzogenen Historien oder die Müllner und Houwald mit dem plumpen Spuk ihrer Schicksalstragödien. In Berlin hatte der Calembourgist Saphir ein Wortwitzcleigeschäft etablirt und in Wien handelte Castelli mit anekdotisch-belletristischer Kurzwaarc. Die Abgestandenheit der Romantik theilte sich sogar ihrer besten Seite, der patriotischen Lyrik, mit und es war einem ihrer Vertreter, Stägemann, vorbehalten, von der innerlichen Unfreiheit und Engherzigkeit dieser ganzen Richtung noch einen recht flagranten Beweis zu liefern. Stägemann war es nämlich, welcher in brutal - reactionäre Wuth ausbrach, als 1830 das, was er früher gepriesen, nationale Freiheit, auch ein nichtdcutsches Volk, das polnische, zu erringen trachtete. Gegen alle die angedeuteten Jämmerlichkeiten im Einzelnen, wie gegen die abgestandene Romantik im Ganzen richtete sich die polemische und positive Poesie des Grafen August von Platen, welcher, am 24. Oktober 1796 zu Anspach geboren, am 5. Dezember 1835 in der Locanda dell'Aretusa zu Syrakus starb. Er ist der Mann, welcher die nationalliterarische Wiederaufnahme der Idee der Freiheit und Humanität markirt und dieselbe, indem er sich den Romantikern als Classikcr gegenüberstellt, weiterführt, weiterführt dadurch, daß er ihr eine bestimmte Beziehung auf den freie» Staat gibt. Weit entfernt also, Platen's Bedeutung so oberflächlich zu fassen, daß man sie mit dem Zugcständniß seiner formellen Meisterschaft für erschöpft hielte, muß man ihm vielmehr die Ehrenstcllc des Chorführers einer neuen Litcra- turperiode einräumen, welche sich, gestützt auf die Errungenschaft freier Kunst und Wissenschaft, die politische und soziale Freiheit zum Ziele setzt. Das erste Auftreten Platen's war ein noch romantisch befangenes. Er lieh der Anerkennung, daß Schelling als akademischer'Lehrer tief auf ihn gewirkt, bewundernde Worte, erboste sich heftig, daß der deutsche Michel die dramaturgischen Experimente Ticck's mit Calderon auszupochen „gewagt" habe, dichtete orientalische Ghaselen und Komödien (der gläserne Pantoffel, der Schatz des Rhampsinit u. a.) im romantiflrenden Jronicstyl, in welche» die eigcn- lobsclige Gcnialitätspointe der Romantik mehr als billig betont wurde. Allein sein gutes Naturell rang sich bald zu einer freieren Auffassung des Lebens und der Kunst durch und in seinen beiden litcrarisch-polemischen Lustspielen die verhängnißvolle Gabel (1826) und der romantische Oedipus (1829) steht er bereits auf der Höhe der hellenistisch-classischen, der menschlich-freien Anschauung. Die erstere dieser Komödien, welche den Dichter jedenfalls berechtigten, sich einen Aristophanidcn zu nennen, wendet sich gegen Neuhochdeutsche Zeit. 17L die romantische Schicksalstragödie, die zweite gegen die Romantik überhaupt; jene ist ein Manifest der classischen Aesthetik gegen die Schänder der Kunst, diese ein Manifest des gesunden Menschenverstandes gegen die „empor sich schraubende Ohnmacht" romantischer Willkür. In Rhythmen vom herrlichsten Tonfall kehrt sich hier der schlagfertige Witz gegen alle Seiten der Romantik, erspäht ihre Blößen und schnellt ihr die Bolzen der Satire ins Herz. Gleichsam als Epilog zu diesen Lustspielen hat Platcn 183o noch eine Parabase gedichtet, in welcher er seine Polemik prägnant und fulminant zusammenfaßt und an deren Schluß er denDeutschen zuruft: „Nicht schreitet zurück, krankhaft dem Gewesenen hold, das lange vermorscht! Abwendet das Ohr paradoxem Geschwätz, seid Männer und steht, mit dem Fuß vorwärts, unerschütterlich fest, sucht Wahres und lacht des romantischen Quarks und ^ erquickt das Gemüth an der Schönheit!" Platcn begnügte sich aber nicht f damit, das romantische Phantom in sein Nichts aufzulösen, er war auch po- f sitiver Künstler. An die Stelle des weggefegten romantischen Wustes setzte er die gehaltvolle Lyrik seiner späteren Sonette, seiner Oden und Festgesänge, in welchen letzteren er mit Pindar um den Preis ringt. Ucbcrall in dieser Lyrik ist der gedankenreiche, zur sonnigsten Klarheit durchgearbeitete Gehalt ! ^ in der classisch - edlen Form marmorner Plastik ausgedrückt und hier hebt, i um ein Wort aus des Dichters Hymnus aus Sizilien zu entlehnen, das ! wiedergewonnene humane Bewußtsein Deutschlands, „ die entwölkte Stirn mit Weisheit krönend, den wahnfrcicn Blick stolz empor." Durch mehrere seiner Oden und durch seine Polcnlicder wurde Platcn der Begründer uchcrer modernen Frciheitslyrik, die sich von der patriotisch-romantischen wesentlich unterscheidet, indem sie den nationalen Egoismus der letzteren in der kosmopolitischen Idee der Völkersolidarität untergehen läßt. Platcn hat es in seinen politischen Gedichten zuerst unumwunden ausgesprochen, daß das sogenannte Recht von Gottes Gnaden nur eine romantische Lüge sei, denn „ seit es Könige gegeben, rief sie nur das Volk ins Leben", und indem er , dem Ultra, welcher „ der Rede eine Schranke setzen, Wort und Schrift ein- i kerkern will", triumphircnd zuruft, der Glutgedanke der Freiheit „ wälze sich ^ bacchantisch und unsterblich fort", erhebt er sich aus der Verneinung der romantischen Unfreiheit zur freudigen Prophetie der freien Zukunft. (Gest Werke, 1843, 5 Bde. mit der Biographie des Dichters von K. Gödekc.) Die Poesie für sich allein war aber zu schwach, um die Gcltendmachung des antiromantischen Prinzips durchzusetzen. Die Philosophie mußte ihr 176 Neuhochdeutsche Zeit. zu Hülfe kommen, um die Vernunft wieder allseitig in ihre Rechte zu installiern. Sie that es in der Person von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, geboren am 27. August 1770 zu Stuttgart, gestorben am 14. November 1831 in Berlin, wo er seit 1818 an der Universität gelehrt und eine zahlreiche und rührige Schule herangezogen hatte, die freilich später in mancherlei Richtungen auseinander ging, zu der aber anfänglich insbesondere Marheineke, Gans, Schulze, Hennings, Hotho, Michelet, Förster, Vatke, Gabler und Rosenkranz gehörten. Hegel's culturhistorische Bedeutung für Deutschland und für die civilisirte Welt überhaupt beruht darauf, daß er die Vernunft als das eigentliche Wesen des gesummten Seins erfaßte und das freie Welt- vcrnunftbcwußtsein in dem ganzen Umfange der Wissenschaft methodisch durchführte. Seine Philosophie ist der systematische Commentar zu dem Satze, worin er, der Stifter des absoluten Idealismus, die absolute Sou- verainetät der Vernunft proclamirte: „Alles Wirkliche ist vernünftig und alles Vernünftige ist wahrhaft wirklich." Hegel's Verhältniß zur Wissenschaft hat große Aehnlichkeit mit dem Verhältniß Göthe's zur Nationallite- ratur. Dieser faßte die ganze Vergangenheit und Gegenwart in den Rahmen seiner Dichtung, jener systematistrte die ganze bisherige Gcisteswclt. Seine Theorie derselben, nur da schwach, wo sie sich zu Concessionen an das Bestehende in Staat und Kirche herbeiläßt, baut sich mit logischer Unerbittlich- keit zugleich zu einem Arsenal auf, welches der zerstörenden Kritik der Vergangenheit und Gegenwart die schärfsten Waffen und mithin auch dem Aufbau der Zukunft passendes Handwerkszeug liefern kann, geliefert hat und liefern wird. Hegel fußt auf seinen Vorgängern Fichte und Schelling. Sein System kann im Allgemeinen bezeichnet werden als die mit Mcistcrschlägcn geschmiedete Combination der Methode von jenem und der ursprünglichen Substanz des Philosophirens von diesem. Fichte ließ alles Sein aus dem Ich entspringen, Hegel deducirt ebenfalls alles Sein aus dem Denken, aber so, daß er dem idealistisch Deducirten zugleich die objective Realität vindicirt. Das Endresultat der Philosophie ist nach ihm der Gedanke, welcher in seinem Beistchsein das Universum erfaßt und es in intelligente Welt verwandelt. In seiner Phänomenologie des Geistes (1807) suchte Hegel seinen Standpunkt des absoluten Wissens zuerst systematisch zu begründen. Das hier mehr nur Angedeutete fand dann in seiner Logik (1812—18), in seiner Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817) und in seinen erst nach seinem Neuhochdeutsche Zeit. 177 Tode im Druck erschienenen Vorlesungen über die verschiedenen Zweige der Philosophie seine allseitige Entwicklung, Begründung und Abrundung. Hegel setzt als höchstes Interesse der Vernunft die Vereinigung und Aufhebung der Gegensätze von Geist und Sinnlichkeit, Intelligenz und Natur, Subjektivität und Objektivität in der Einheit des allumfassenden Seins, des Absoluten. Dieses Absolute ist aber keine starr und ruhig beharrende Einheit , sondern ein ansang - und endloser Prozeß, eine ewig fortschreitende Bewegung, vermittelst welcher das substanzielle, unpersönliche, unendliche, unbedingte, nur nach seinen eigenen Gesetzen und Formen thätige Denken seinen ideellen Inhalt in der Form des äußerlichen Daseins und der unmittelbaren Existenz darstellt und verwirklicht. Durch diese Darstellung bringt es die absolute Idee oder Vernunft zur Selbsterfassung, zum Offcnbarwerden in sich selbst und dadurch ist sie, was sie an sich ist, auch für sich. Die absolute Idee läßt uns in ihrem Sein drei von einander unzertrennliche und in einander übergehende Momente wahrnehmen. Sie ist nämlich erstens die Idee an und für sich oder die reine logische Idee im abstractcn Elemente des Denkens; sie ist zweitens die Idee in ihrem Anderssein oder in der Aeußer- lichkeit, d. h. die Natur; sie ist drittens die aus ihrem Anderssein in sich zurückkehrende Idee, d. h. der Geist. Hiernach bestimmt sich die Eintheilung des hegcl'schen Systems in Logik, Naturphilosophie und Geistesphilosophie -— Thesis, Antithesis und Synthesis. Die Logik ihrerseits zerfällt wieder in die Lehre vom Sein, die Lehre vom Wesen und die Lehre vom Begriff. Sie bewegt sich im Aether des reinen Denkens und entwickelt vermittelst der von einem Gedanken unaufhörlich zum anderen fortschreitenden Dialektik die reinen Vernunftbegriffe, d. h. jene Begriffe oder Kategorien, die das Fundament von allemDenken und Sein ausmachen, die ebensosehr das subjektive Erkennen bestimmen als sie die objective Wirklichkeit beseelen. In der Naturphilosophie durchläuft die Natur oder die Idee in ihrem Anderssein die drei Phasen der Mechanik (die Materie in ihrem abstractcn dumpfen Jn- sichscin), der Physik (die Materie in ihrer Qualifikation zur Individualität, zum Körper) und der Organik, in welcher sich die in der Physik zur Individualität bestimmte Natur zur Subjectivität fortbildet. Die organische Natur stellt sich in drei Formen dar, als geologischer Organismus (Mineralreich), als vegetabilischer Organismus (Pflanzenreich) und als animalischer Organismus (Thierreich), in dessen höchster Bildung, dem Menschen, der die Natur beseelende Geist als bewußte Jchheit, als vernünftiges Selbst sich cr- 12 178 Neuhochdeutsche Zeit. faßt. Gegenstand der Geistesphilosophie ist die zu fich selbst gekommene Idee, der seiner selbst bewußte Gedanke, der freie Geist, dessen Sein und Leben drei Stufen durchläuft. Er ist nämlich als Erkennen und Wollen des Individuums subjektiver Geist (dessen theoretische Seite die Intelligenz, dessen praktische der Wille), er ist objectiver Geist in seiner Gestaltung als Recht, Sitte und Staat, er ist endlich absoluter Geist in der Einheit seiner Subjcctivität und Objcctivität. In seinen Auslassungen über die objective Form des Geistes als Sitte, Recht und Staat legt Hegel eine ticfsittliche Betonung auf die Heiligkeit der Ehe und der Familie und neigt sich in Beziehung auf den Staat der antiken Auffassung desselben zu, indem er die freie Bewegung der Individualität der Omnipotcnz der Staatsidee opfert. Als Staatsform gefällt ihm vor alle» andern die ständische Monarchie, in welcher, wie er sagt, der König das Tüpfelchen auf dem t ist. Doch ist das so unbestimmt hingestellt und verclausulirt, daß der preußische Absolutismus und Bureaukratismus nicht minder als der Liberalismus seine Argumente aus Hegel schöpfen konnte, ja daß dieser geradezu vielfach als königlich preußischer Staatsphilosoph betrachtet wurde. Der absolute Geist ist zunächst für die sinnliche Anschauung vorhanden als die sinnliche Erscheinung, der Idee, d.h. als Schönes, als Kunst, die mit der Architektur beginnt und durch die Skulptur, Malerei und Musik hindurch zu ihrer Vollendung in der Poesie sich fortbildet. Aus der Sphäre der Aesthetik aber tritt der absolute Geist in die der Rcligionsphilosophie hinüber, denn die Poesie vermittelt den Ucbcrgang der Kunst in die Religion, welche ist die Versöhnung des Endlichen mit dem Unendlichen, des Subjects mit Gott, die Einheit des Göttlichen und Menschlichen. Diese Einheit strebten schon die Naturreligionen des alten Orients an, ferner das Judenthum (die Religion der Erhabenheit), das Griechcnthum (die Religion der Schönheit) und das Römerthum (die Religion des Verstandes oder der Zweckmäßigkeit); allein die wirkliche Versöhnung voit Gott und Welt erreichte erst das Christenthum, welches in der Person des Gottmenschen Christus die realisirte Einheit von Göttlichem und Menschlichem anschaut. Zerbricht endlich der absolute Geist die Form der religiösen Vorstellung, so gelangt er auf den Standpunkt der absoluten Philosophie, d. h. des sich selbst als alle Wahrheit wissenden, das ganze natürliche und geistige Weltall aus sich selbst rcproducirenden Gedankens. (Vollst. Ausg. von Hegcl's Werken in 18 Bänden, 1832ff. Hcgel's Leben von Karl Rosenkranz, 1844.) Die hegel'sche Philosophie, zu deren Pro- Neuhochdeutsche Zeit. 179 pagirung die berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik gestiftet wurden (1827) und deren Methode aus den meisten deutschen Universitäten raschen Eingang fand, ist für unsere Zeit gerade das geworden, was die karelische für die Periode der Aufklärung war, die planmäßige und organisch gegliederte Construction des wissenschaftlichen Zeitbewußtseins. Seither haben sich in der hegellschen Schule manche Divergenzen und Schwankungen bemerkbar gemacht und ist, während Rosenkranz, Gabler, Erdmann und Andere das Hegelthum in seiner ursprünglichen Form festzuhalten suchten, die von dem jüngeren Fichte, Weiße und Anderen gebildete äußerste Rechte, der sogenannte Pseudohegelianismus, allmälig ins Lager der neuschclling'schcn Glaubensphilosophie übergegangen. Wie und durch wen die praktischen Konsequenzen der hegel'schcn Philosophie gezogen wurden, werden wir später sehen. 24. Das charakteristische Merkmal der neuesten Entwicklungsphase unserer Literatur ist der Geist der Kritik, welcher nach allen Seiten hin die Errungenschaften unserer Kultur einer strengen Prüfung unterwirft, das Wahre und Ewige vom Falschen und Vergänglichen sondert, das Verlebte und Vermoderte beseitigt und hicdurch den sprossenden Keimen der Zukunft, die nur der Unachtsame übersehen kann, Luft und Raum schafft. Die literarische Polemik Plateirs enthält den kritischen Bruch mit der Romantik, das hegel'sche System ist als Theorie der bisherigen philosophischen und theologischen Weltanschauung zugleich auch ihre Kritik und in Ludwig Börne (geb. 1786 zu Frankfurt a. M., gest. 1837 in Paris) thut der deutsche Kriticismus den wichtigen Schritt aus dem religiösen und ästhetischen Gebiet vorwärts in das des Staats. Wie Lessing als nationalliterarischer Kritiker unsere ästhetische, Kant als philosophischer unsere wissenschaftliche Befreiung einleitete, so Börne als politischer unsere staatliche. Schon beim Beginn seiner kritisch- humoristischen Laufbahn in seinen Journalen die Zeitschwingen (1818—20) und die Waage (1820 — 21 ) findet Alles, selbst die Theaterkritik, feinen Bezug auf den Staat, welchen er vom Standpunkt des demokratische« Radi- calismus aus kritisirt. Die zahllosen Philistereien und Armseligkeiten des deutschen Lebens, an welchen er sein kritisches Messer schärfte, dienen ihm 12 * 180 Neuhochdeutsche Zeit. nur dazu, unsere politische Unfreiheit, Unmündigkeit und Nullität an ihnen aufzuzeigen. Indem er ein Houwald'schcs Trauerspiel analysirt oder die Thurn und Taris'sche Postschnecke secirt, demonstrirt er zugleich die Kläglichkeit unserer öffentlichen Zustände. Was nicht politische Bedeutung hat, nicht dem politischen Fortschritt dient, verwirft er mit einer Konsequenz, die nothwendig zur Einseitigkeit werden mußte. Er preist Zean Paul, aus dessen Styl er den seinigen meisterhaft Herausbildete, weil ihn aus Jean Paul's Werken hinter all der humoristischen Willkür hervor immer wieder die eine große Freiheitsidce anblickte? Er bekämpft Göthe mit leidenschaftlichem Haß, er nennt ihn einen grauen Staar im Auge Deutschlands, weil ihn Göthe's altersschwacher Quietismus abstieß, weil er in dessen Werken keine Beziehung auf die Idee des freien Staats zu finden vermochte. Die Julirevolution kam mit ihren stolzen Hoffnungen und schmerzlichen Enttäuschungen. Börne ging nach Paris und setzte von dort aus den daheim begonnenen Kampf gegen das Bestehende im größeren Style fort. Die sechs Bände seiner Briefe aus Paris (1831 ff.) enthalten die unerbittlichste Kritik der Geschichte Deutschlands und Europa's während der ersten Hälfte der 30 gcr Jahre. Die Kritik wird darin zur Poesie, zur Poesie des Zornes, welche zermalmende Anklagen auf den Despotismus und die Kncchtseligkeit schleudert und die Rosen ihrer Liebe unter den Dornen des bittersten Sar- kasmus verbirgt. Daß Börne die deutschen Schooßsünden, welche schon Herder in den Worten „ duldsam träge Eselei und Lakaienhaftigkeit".summirt hatte, schonungslos aufdeckte, das konnte ihm der deutsche Philister nicht verzeihen. Er nannte Börne, der von Patriotismus glühte wie außer Heinrich von Kleist vor ihm noch kein Deutscher, um der Enthüllung des deutschen Sündenregisters willen einen Verräthcr am Vatcrlande. Der frische und stürmische Hauch dieses republikanischen ^Geistes blies unserer politischen Ofenhockerei zu schneidend ins Gesicht. Wahr ist, daß Börne in seiner letzten Zeit seiner Verzweiflung an Deutschland einen oft zu gallsüchtigcn Ausdruck lieh, aber wer hat in der Fremde schöner für sein Land plaidirt als gerade er? In der Balance, einem Journal, welches Börne Behufs der Vermittlung zwischen dem geistigen und politischen Leben Deutschlands und Frankreichs französisch schrieb , gesteht er den Franzosen nur das Talent zu, während er den Deutschen das Genie vindizirt. Er rühmt seinen Lands- lcutcn nach, daß sie „ eine edle Gerechtigkeit üben gegen Alles, was groß und schön ist, in jeder Gattung, in jedem Lande und zu jeder Zeit", und ein Neuhochdeutsche Zeit. 181 andermal sagt er den Franzosen das schöne Wort: „Das deutsche Leben gleicht einer hohen Alpengegend, es ist groß, königlich, die Krone der Erde, die mit ihren ewigen Gletschern schimmert." Wo hat sich der deutsche Patriotismus je selbstbewußter geäußert? Aber allerdings ein bornirter Patriot, einDeutschthümler war er nicht, denn er „liebte die Familie mehr als sich, das Vaterland mehr als die Familie, die Welt mehr als das Vaterland." Er halte für dasselbe gelebt, er starb an ihm: das deutsche Elend brach ihm das Herz. Hlber bevor er sich zum Sterben hinlegte, schrieb er noch seinen Wenzel der Franzosenfresser, seine schönste Schrift. In diesem Absagebrief an die Bourgeoisie, wo die 1848 factisch erfolgte Loslösung der deutschen Demokratie vom Liberalismus publicistisch antecipirt ist, nahm Börne Abschied von seinem Publicum mit den Worten: „Wer in dieser schnöden pest- beherrschten Welt sich vor Ansteckung sichern und gesund erhalten will, muß sich in Essig baden, um alle verbuhlten Lavendelseelen und bleisüßen Herzen von sich entfernt zu halten. Es gibt darum noch brave Männer genug, welche auch die sauere Hand eines ehrlichen Mannes drücken und diese verstehen mich und lächeln mir zu." (Börne's ges. Schriften, 8 Thlc., 2. Anst., 1840. Börne's Leben v. K. Gutzkow, 1840.) Man hat sich einmal gewöhnt, in der Literaturgeschichte neben Börne Heinrich Heine (geb. am 13. Dezember 179H in Düsseldorf) zu stellen, und thut dies wirklich nicht ohne Grund. Zu der kritischen Verurtheilung des Bestehenden durch Börne gehört die witzige Vernichtung desselben durch Heine. Beide ergänzen sich ebenso sehr als sie sich abstoßen. Sie verhalten sich mutslis mulgnllis wie Wolfram von Eschcnbach und Gottfried von Straßburg, Klopstock und Wieland, Schiller und Göthe, wie der Idealismus und Realismus, der Spiritualismus und Sensualismus sich zu einander verhalten. Sie unterstützen sich wechselseitig und sind doch durch eine ungeheure moralische Kluft von einander getrennt. Börne ist der gesinnungsvolle Ernst, Heine der geniale Spaß; jener zürnt über seine Zeit und seine Zeitgenossen, dieser verhöhnt sie und lacht sie aus. Börne ist wesentlich Politiker, Politiker in jeder Fiber, Heine wesentlich Poet, Poet auch in der Politik. Börne glaubt an das Ideal des freien Staats, Heine's Skepticismus glaubt an Nichts, wenn nicht an den Witz. Börne ist groß durch seinen Charakter, Heine gerade umgekehrt durch seine Charakterlosigkeit: wie sich auch das Chamäleon dreht und wendet, immer spielt es in den prächtigsten Farben. Wie Börne aus Jean Paul hervorgegangen, so Heine aus der Romantik, 182 Neuhochdeutsche Zeit. aber er wuchs in der französirtcn Rheinprovinz auf, er wurde „ großgezogen unter den Wirbeln französischer Trommeln" und ihm sprang ein Funke vol- tairrschcn Esprit ins Blut, der seine Seele für die Größe der französischen Revolution und ihrer kosmopolitischen Mission entzündete, soweit entzündete, als der Witz überhaupt Feuer fangen kann. 'Als Lyriker zeigte sich Heine bei seinem ersten Auftreten (Gedichte 1822) von des Knaben Wunderhorn inspirirt und seine Lyrik konnte diese romantische Erinnerung überhaupt nie ganz loswerden. Es eristiren Gedichte von ihm, wie z. B. viele Lieder in seinen „Jungen Leiden", sein Nordseebild Frieden, die Wallfahrt nach Kevlaar und andere seiner Romanzen, in welchen das romantische Gefühl seine zartesten und duftigsten Blüthen getrieben hat. Aber eine national- litcrarischc Macht wurdeHeine erst durch seine Reisebilder (1826sg., 4Bde.), welchen sich das Buch der Lieder (1827) anschloß. In diesen beiden Werken tritt der fertige, ganze Heine vor uns. Die heine'schc Poesie des Witzes ergreift die souveraine Pritsche und schlägt sie dem deutschen Michel lachend um die Ohren. Heine hat die Bedeutung des Witzes für die Gegenwart, d. h. für die Zeit seines eigenen Auftretens, ganz gut angegeben. Er sagt: „Es gibt trockene Leute in der Welt, die den Witz gern proscribiren möchten, und man kann täglich hören, wie Pantalon sich gegen diese niedrigste Seelenkraft, den Witz, zu ereifern weiß und als guter Staatsbürger und Hausvater die Polizei auffordert, ihn zu verbieten. Mag immerhin der Witz zu den niedrigsten Scelenkräften gehören, so glauben wir doch, daß er sein Gutes hat. Seitdem es nicht mehr Sitte ist, einen Degen an der Seite zu tragen, ist es durchaus nöthig, daß man Witz im Kopfe habe. Und sollte man auch so übellaunig sein, den Witz nicht bloß als nothwendige Wehr, sondern sogar als Angriffswaffe zu gebrauchen, so werdet darüber nicht allzusehr aufgebracht, ihr edlen Pantalone des deutschen Vaterlandes. Jener Angriffswitz, den ihr Satire nennt, hat seinen guten Nutzen in dieser schlechten nichtsnutzigen Zeit. Keine Religion ist mehr im Stande, die Lüste der Erdenbeherrscher zu zügeln, sie verhöhnen euch ungestraft und ihre Rosse zertreten eure Saaten; eure Töchter hungern und verkaufen ihre Blüthen dem schmutzigen Parvenü, alle Rosen dieser Welt werden die Beute eines windigen Geschlechts von Stockjobbcrn und bevorrechteten Lakaien und vor dem Uebcrmuth des Reichthums und der Gewalt schützt euch Nichts als der Tod und die Satire." Diese Satire nun, dieser Angriffswitz, tritt bei Heine mit unerhörter Kühnheit auf. Wie sie das eigene Selbst, das eigene Denken Neuhochdeutsche Zeit. 183 und Fühlen verhöhnt, wie sie jeden zartesten oder begeistertsten Herzenslaut durch Anhängung eines schneidenden Lachtrillers wieder aufhebt, so vernichtet sie überhaupt das Ideelle, Erhabene, Rührende, Uebcrschwängliche durch den Zusammenstoß mit dem Realen, Komischen, Gemeinen und Cpnischen. Die Liebe, die weibliche Schönheit, die sentimentale „Jugendeselci", die Freiheit, der Patriotismus, der Enthusiasmus, die Sittlichkeit, die Idee, die Philosophie, die Politik, die Unsterblichkeit, die Religion, Alles wird in dieser Werkstätte des zerstörenden Witzes zerschnitten, zerfressen, zu Staub zerrieben und lachend in die Luft gestreut. Der Witz kennt nichts Heiligstes, er achtet, glaubt und hofft Nichts. Er hat auch keine Leidenschaft. „Apfeltörtchen, sagt Heine, waren früher meine Passion; jetzt sind es Liebe, Freiheit, Wahrheit und — Krebssuppe." Aber man würde sehr irren, wollte man glauben, daß das Zerstörungsfeucrwerk des heinc'schcn Witzes eben nur die Bedeutung eines Feuerwerkes hätte. Es wohnt diesem Zcrstörungsjubel, unter dessen Fanfaren sich die Romantik, ihr eigenes Räthsel lösend, in den Abgrund der Vernichtung stürzt, eine mächtige befreiende Kraft inne. Heine ist Satiriker, der größte, welchen die Welt seit Aristophanes, Cervantes und Rabelais gesehen, die Misston seines Humors ist erfüllt, nachdem derselbe die Nichtigkeit der alten und offiziellen Gesellschaft und ihrer Ideale aufgezeigt; aber die Einsicht in diese Nichtigkeit muß nothwendig die Sehnsucht nach einer neuen, vom Supranaturalismus und was daranhängt erlösten Gesellschaft wecken. Das ist das befreiende Moment in Heine's Poesie und um deßwillen durfte er sagen: „DiePoesie, wie sehr ich sie auch liebte, war mir immer nur ein heiliges Spielzeug oder geweihtes Mittel für höhere Zwecke. Ich habe nie großen Werth gelegt auf Dichterruhm. Aber ein Schwert sollt ihr mir aus den Sarg legen, den» ich war ein braver Soldat im Befreiungskriege der Menschheit." Die Originalität dcr Reisebilbcr und des Buchs der Lieder hatten Heine inmitten der Flachheit der Restanrationsliteratur eine sehr hervorragende Stellung verschafft. Die 3vgcr Jahre gefährdeten aber dieselbe sehr. Die Julirevolution hatte ihn gleich Borne nach Paris geführt, allein, er nahm den Umschlag der Bewegung leichter als dieser. Der Witz half ihm belachen, worüber Börnc verzweifelte. Er unternahm es, die Franzosen in ihren Journalen über die Entwicklung der deutschen Wissenschaft und Literatur zu belehren, schrieb seine französischen Zustände (1833), deren politische Achselträgerei ihre fatale Erklärung in dem Umstände findet, daß Heine aus der 184 Neuhochdeutsche Zeit. Pensionarliste der guizot'schen geheimen Fonds stand, und erließ sein Manifest gegen die romantische Schule (1836), wo die Kritik, wie in seinem gegen die schwäbischen Dichter gerichteten Schwabenspiegel (1839), allzusehr zur persönlichen Jnvective hcrabstnkt. Noch unerquicklicher und geradezu verwerflich ist sein Buch über Börne (1840), in welchem das chamäleontische Farbenspiel des Styls die feige Tendenz, das Grab eines großen Todten zu entweihen, nur dürftig maskirt. Einige Jahre zuvor hatte Heine seine zerstreuten Aufsätze unter dem Titel der Salon (1834 fg. 4 Bde.) zu sammeln begonnen. Das Beste darin sind die Florentinischen Nächte und der Rabbi von Bacharach, zwei Novcllenfragmente, die leider solche geblieben. Die 40ger Jahre brachten drei bedeutende Productionen von Heine: das humoristisch-polemische Epos Atta Troll (1843), welches der Dichter als „letztes freies Waldlied der Romantik" bezeichnet, durch dessen „altes Thema moderne Variationen gaukeln", dann die neuen Gedichte (1844) und zugleich das Wintermärchen Deutschland. Namentlich im letzteren nimmt die hcine'- sche Satire, die schon im Atta Troll und in den politischen Gedichten der neuen Sammlung wieder zu prächtiger Aeußerung gekommen, noch einmal alle Genialität ihres Witzes zusammen. Diese meisterhafte Satire ist ein sarbcnsprühcnder Holzstoß, dessen schwelgende Flammen das „ alte offizielle Deutschland, das verschimmelte Philisterland", verzehren. In Heine's letzter Gedichtsammlung, Romanzero (1851), erreicht die Satire solche Energie und Pracht nicht mehr und fliegt der Witz oft mit halbgelähmter Schwinge. In dem Schlußwort zum Romanzero hat der kranke Dichter aus seiner pariser „ Matratzengruft" heraus seine Bekehrung zum Glauben an einen persönlichen Gott und an eine persönliche Unsterblichkeit zu erkennen gegeben. Das sieht aber bei Licht betrachtet einem heine'schen Witz aufs Haar gleich. In dem letzten Gedicht des Romanzero disputiren ein Rabbi und ein Mönch über die Vorzüge ihrer Religionen. Die Königin Blanka gibt die Entscheidung: „Welcher Recht hat, weiß ich nicht; doch es will mich schier bedünkcn, daß der Rabbi und der Mönch, daß sie alle beide stinken." Das ist der beste Commentar zu dem heine'schen Bekehrungswitz. Neuhochdeutsche Zeit. 185 25. Die Wiederaufnahme der humanistischen Freiheitstendenz durch Plaren, die hegel'sche Philosophie, die eindrucksvolle Kritik Börne's, in welcher der politische Liberalismus seine Spitze gefunden, endlich die satirische Auflösung der Romantik durch Heine gaben zu Anfang der 30gcr Jahre den Anstoß zu einer neuen literarischen Bewegung, welche durch die Julirevolution und ihre Folgen, durch die Rebellion Belgiens, die Jnsurrection Polens, durch die Radicalrcformen in der Schweiz, durch die revolutionären Versuche in Italien und da und dort in Deutschland selbst in rascheres Rollen gebracht wurde. Sie manifestirte sich zunächst in der höheren Belletristik und belletristischen Kritik durch die Thätigkeit einer Gruppe von Schriftstellern, welche man ziemlich willkürlich unter dem Collectivbegriff des jungen Deutschlands zusammenzufassen pflegt. Zu der jungdeutschen Schule, wenn dieses Wort überhaupt statthaft ist, zählte man insbesondere L. Wienbarg (geb. 1803), Heinrich Laube (geb. 1806), Gustav Kühne (geb. 1806), Theodor Mundt (geb. 1807) und Karl Gutzkow (geb. 1811), fünf Autoren, die bald nach verschiedenen Richtungen hin auseinandertratcn und zum Theil mit einander in bitterpcrsönliche Fehden gcriethen. Als litcrarische Producte der jungdeutschen Manier können gelten Wienbarg's Wanderungen durch den Thierkreis, Laube's Reiscnovellen und sein Roman das junge Europa (die Poeten, die Krieger, die Bürger), Kühne's Novelle die Quarantäne im Irrenhaus, Mundt's Novelle Madonna, Gutzkow's Roman Wally, seine Briefe eines Narren an eine Närrin und seine Tragödie Nero. Man darf jedoch nicht glauben, daß diese Literatur durch ein gemeinsames, consequcnt verfolgtes Prinzip zusammengehalten worden sei. Sie hatte zwar gemeinsame Elemente und es waren diese faust'schc Skeptik und Zerrissenheit, byron'schcr Weltschmerz, börne'sches Unbehagen an den politischen Zuständen, rousseau'scher Naturenthusiasmus,und damit verbunden die sozialresormistische Tendenz der gcorge-sand'schen Genialität, woraus sich dann die Verneinung unserer staatlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse ergab und die Forderung sozialer Umgestaltungen, der Emanzipation der Frauen und der Einsetzung der Sinnlichkeit in ihre Rechte. Aber diese Elemente wußten keine prinzipielle 186 Neuhochdeutsche Zeit. Einheit zu gewinnen, obgleich sich namentlich der männlich charakterfeste Wienbarg Mühe gab, in seinen ästhetischen Feldzügen (1834) eine solche zu finden. Es ist dies ein geistvolles, frisches Buch, läuft aber doch auf das negative Resultat hinaus, daß es den Deutschen „an einem gemeinsamen Mittel der Bildung fehle, weil ihnen das gemeinsame Leben mangle." Die jungdeutsche Opposition wäre zweifelsohne als eine Prinziplose noch bälder verschollen, als sie wirklich that, hätte ihr nicht die Verfolgung durch den Bundestag laut Beschluß desselben vom Jahr 1835 die Theilnahme der Nation noch für einige Zeit gesichert. Dieser polizeilichen Verfolgung jung- deutscher Schriften und Autoren lag die Denunciation zu Grunde, welche Wolfgang Menzel (geb. 1798) in seinem Literaturblatt gegen sie gerichtet hatte. Menzel war durch energische Bekämpfung der Leichtigkeit und Prätension der Rcstaurationslitcratur zu einer gewissen kritischen Autorität gelangt und wendete nun dieselbe gegen die junge Schriftstellergencration. Ein Gegner Göthe's und Verehrer Tieck's, ging Menzel durchweg von den Gesichtspunkten der patriotischen Romantik aus. Den Wendepunkt, welchen die litcrarische Bewegung zu Anfang der 30ger Jahre von der Idee der nationalen Freiheit zu der der sozialen nahm, verstand er nicht und mochte er nicht beachten. Er blieb Romantiker, nachdem die Romantik in dem vor- schreitendcn Zeitbewußtscin längst überwunden und abgethan war. Daraus entsprangen alle seine Verirrungen, deren größte die war, daß er die engherzigste christlich-germanische Moral zum obersten Maaßstab der Kunst machen wollte. Die Jungdeutschen räumten der durch Menzel gegen sie erregten Entrüstung des bornirten Philisterthums und den Maaßnahmen der Polizei ziemlich schnell das Feld und zogen sich, von ihrem oppositionellen Standpunkte mehr oder weniger abfallend, auf die unverfänglicheren Gebiete der Pückler'schen Wcltfahrcrei, der historischen und litcrarischcn Portraitirkunst und der literarhistorischen Kritik zurück. Manche von ihren Leistungen in diesen Fächern hat das Publikum mit Dank entgegengenommen: so Laube's französische Lustschlösser und moderne Charakteristiken, Mundt's Geschichte der modernen Literatur, Kühne's männliche und weibliche Charaktere, Portraits und Silhouetten, Gutzkow's öffentliche Charaktere, Göthe im Wendepunkt zweier Jahrhunderte, die Zeitgenossen, die Briefe aus Frankreich und die Biographie Börne's. Laube, Kühne und Mundt cultivirten auch den historischen Roman, wie wir schon früher zu bemerken Gelegenheit hatten. Neuhochdeutsche Zeit. 187 Uebrigcns sind die meisten Mitglieder des sogenannten jungen Deutschlands in kurzer Zeit uralt geworden, wie z. B. Laube's greisenhaftes Buch über' das erste deutsche Parlament beweist. Gutzkow muß nachgerühmt werden, daß er sich die lebhafte Theilnahme an den Fragen der Zeit am frischesten erhielt und diese Theilnahme in beweglicher Productionskraft fortwährend beurkundete. Sein Philosophisch -humoristischer Roman aus früherer Zeit, Maha Guru. sollte nicht vergessen werden, eher der mißlungene komische Roman Blasedow und seine Söhne. Seine Meisterschaft als sozialer Novellist, wie er sie im Saduccäer von Amsterdam und anderen Erzählungen an den Tag legte, bewährte sich auch höchst erfreulich in seinem großen Roman die Ritter vom Geiste (9 Bde.), welcher die Interessen, Strebungen, Kontraste, Tugenden und Schwächen der Gegenwart in einem glänzenden Gemälde vorführt. Gleich Laube, der in seinen Karlsschülern einem populären Stoff dramatisch wirksame Gestalt gab, hat sich Gutzkow unseres Theaters mit Eifer angenommen und der Erfolg seiner Komödie das Urbild des Tar- tuffe, wie der seiner Tragödie Uricl Acosta, war ein durchaus verdienter. Die jüngere Poetcngcneration hat überhaupt mit anerkennungswerthcr Emsigkeit sich bemüht, unser Theater der aus der Restaurationspcriode stammenden Schmach, bloß von den Abfällen des französischen zu leben, zu entreißen. Manches von dem, was E. Baurcnfcld, F. Mosenthal, G. Freitag, R. Bencdir, L. Fcldmann und I. v. Plötz im Konversationsstück und Cha- raktcrlustspicl, H. Marggraff, I. Kuranda, H. Küster, I. L. Klein, R. Grie- penkcrl und R. Gottschall im historischen Drama geleistet haben, darf als eine wirkliche Bereicherung unseres Repertoir angesehen werden. Ebenso dürfen dies die historischen und bürgerlichen Dramen von Fr. Hcbbel, die bei allen Auswüchsen eine schöne Kraft und Originalität verrathen. Die Zeit scheint freilich noch ferne, wo dramatische Dichtungen, wie der Tod Danton's von dem allzu früh weggerafften Georg Büchner(18l3 —1837), die ihnen innewohnende Wirkung von der Bühne herab geltend machen können. Dazu gehört ein freies Nationälleben. Der Mangel desselben, der Mangel einer nationalen Bühne, die nicht von den Launen höfischen Ungeschmacks abhängig wäre, macht das Aufkommen einer wahrhaft gesunden und edlen Dramatik dermalen zur Unmöglichkeit. Ein gutes Zeichen der Zeit ist jedoch, daß das geschmacklos tolle Opcrnclcnd, welches unsere Bühne überwuchert, einen tüchtigen Widersacher gefunden hat in Richard Wagner, der als Komponist die Kunstreform zu realisiren sucht, welche er als Schriftsteller fordert (das Kunst- 188 Neuhochdeutsche Zeit. werk der Zukunft 1850, Oper und Drama 1852). Am nachhaltigsten haben die Anregungen, welche von der jungdeutschen Richtung ausgegangen, auf dem Gebiete der sozialenNovellistik fortgewirkt, auf welches auch mehrere ausgezeichnete Pfleger des historischen Romans einbogen, wie Spindler, Alcris - Häring, Mügge und König. Freilich ist noch kein Poet unter uns aufgetreten, welcher die sozialen Conflicte zu Bausteinen so vollendeter Kunstwerke, wie die Französin Aurora Dudevant (George Sand) sie schuf, hatte zu benutzen verstanden, dennoch aber müssen wir unseren Novellisten zugestehen, daß sie uns die Physiologie der deutschen Gesellschaft allseitig darzulegen wußten. Alle Standpunkte und Parteischattirungen haben in dieser Novellistik ihre Vertreter gefunden. Während sich Emerentius Scävola (von der Hchdcn) in der weltschmcrzlichcn Zerrissenheit sinnlich-derb umherbewegte, ließ E. Boas in seinem Kricgscommiffär Pipitz komische Streiflichter auf die Philisterwelt fallen und suchten Schücking nach romantischen, K. Reinhold (Köstlin), F. Hackländer und Claire von Glümcr nach künstlerisch unbefangenen Gesichtspunkten adelige und bürgerliche Kreise zu schildern. Die Societät im erclufiven Sinn, die Aristokratie, hat ihre novellistischen Mysierienenthüller gefunden in dem gewandten und fruchtbaren Alexander von Sternberg und in der leidenschaftlich bewegten VollblutaristokratinJda von Hahn-Hahn, die in ihren alten Tagen fromm geworden ist und zur Abbüßung ihrer Sünden — wir meinen nur poetische — ein Kloster gestiftet hat. Diesen Salonsnovellisten psr sxeellimee schließen sich an Therese von Bachcracht und Jda von Düringsfcld, letztere reichbegabt und versöhnlich gestimmt. Dagegen ist Fanny Lewald, welche in ihrer Diogcna die hahn-hahn'sche Manier so trefflich satiristrte, eine liebenswürdige Parteigängers der Demokratie, deren Sache novellistisch geführt wird von L. Starklof (Armin Galoor), E. Willkomm (Weiße Sklaven) und MarWaldau (Spiller von Hauenschild), welcher letztere sich vermittelst seiner geistvollen Romane (Nach der Natur — Aus der Junkerwelt), wie durch seine Canzonen und seine melodische poetische Erzählung Cordula rasch einen bedeutenden Rufverschafft hat. Auch Otto Müller, H. Pröhle und Professor Klencke, der zuletzt mit literarhistorischen Romanen de- bütirte (Lessing, Herder), können hiehcr gezogen werden. Jsolirtcr steht Adelbert Stifter da, dessen Studien (6 Bde.) die poetische Landschaftsmalerei zu wundersamer Belebtheit ausgebildet haben. Man kann sich in ihrer Art nichts Reizenderes denken als diese stifter'schen Spiegelbilder der Natur. Sie athmen Feldblumenpoesie und duften von HochwaldSsrische. Neuhochdeutsch« Zeit. 189 26. Es ist von Interesse, zu beobachten, wie die geistige Bewegung, aus welcher die Literatur der Gegenwart erwuchs, unter allen Himmelsstrichen Deutschlands Führer und Verkündige! sich erweckte. Süddeutschland gab uns Platen und Borne, vorn Rhein her kam Heine, im deutschen Norden schlug die hegcl'sche Philosophie Wurzel, mit ihrer Dialektik die jungdeutsche Kritik fördernd, und nun ergriff der oppositionelle Geist auch Oestreich, welches sich seit dem Tode Joseph's II. chinesisch gegen die Einflüsse des wissenschaftlichen und nationalliterarischcn Entwicklungsprozesses vermauert hatte. Der Geist spottet solcher chinesischen Mauern, er fliegt darüber hinweg wie die Lerche, verhöhnt tirilirend die unten aufpassenden Zöllner und Sünder und bringt die verbotene Gedankenfracht glücklich an Ort und Stelle. Das zeigte sich recht augenscheinlich, als mitten in dem mctternichtigen Oestreich ein Dichter auftrat, Anastasius Grün (Anton Alerandcr Graf von Auersperg, geb. am 11. April 1806 zu Laibach), ein Dichter, welcher seine von den zeitbewegendcn Ideen angefachte Begeisterung lerchenhaft frisch nach Deutschland heraus erschallen ließ. Grün gewann die Aufmerksamkeit und Liebe weiterer Kreise zuerst durch seinen Romanzenkranz der letzte Ritter ( 1830 ), dessen Held Kaiser Mar l. ist. Die Romantik dient in dieser Dichtung zum epischen Hintergrund einer Frciheitslyrik, welche einen Kranz glühender Rosen um die Alpenfirnen der Schweiz windet. Noch entschiedener trat die freie Gesinnung, wie die poetische Eigenthümlichkeit des Dichters, in den Spaziergängen eines Wiener Poeten zu Tage ( 1831 ). Er ist erfüllt von Schmerz und Trauer über die Kirchhofruhe seines Heimatlandes, er führt uns in die prachtfunkelnden Salons der Paläste, an deren Mauern die Klagen des Volkes ungehört verhallen, er malt uns die „ dicken und dünnen" Pfaffen, denen er wünscht, daß die ersteren die letzteren auffressen möchten, „denn nicht lange mehr kann leben, wer so gifkgeKost genoß", — er führt uns den Nadcrer vor, welcher auf Gedankenwild lauert, den Censor, der es meuchelt, aber bei Alledem verklingt die Klage immer wieder in dem Jubel der freudigsten Zukunftshoffnung, die ihr Thema: „Freiheit ist die große Losung, deren Klang durchjauchzt die Welt!" in tausend Wendungen 19V Neuhochdeutsche Zeit. zu variiren und mit einer Bilderpracht auszustatten weiß, wie sie in so un- versieglicher Fülle nur Grün zu Gebote steht. Jeder Gedanke wird ihm zum poetischen Bild, jede Wahrnehmung zur Metapher, aus deren Hülle stets die große humane Freiheitsidec hervorblickt, oft die lächelnde Thräne des Humors im Auge. So in der Sammlung seiner lyrischen Gedichte (1837), so in den vier lyrisch-epischen Dichtungen, welche, unter dem Titel Schutt zusammengestellt (1835), über den zusammenstürzenden Gestaltungen der Vergangenheit den Bau der Zukunft prophetisch sich wölben sehen. Wandelt der Dichter durch die Gaffen der Todtenstadt Pompeji, so tritt ihm das vom fröhlichsten Lebenstrieb durchpulste Aufstreben Amerika's vor das geistige Auge, betritt er Kerker- und Klosterruinen, so sieht er, wie die vorschreitende Zeit die Blumengewinde ihrer Gesittung darüber hingebreitct hat, und in dem Schlußgedicht vom Schutt gestaltet sich ihm die Legende von der alljährlichen Erscheinung Christi zur Osterzeit auf dem Oelberg zu der Vision von einer Zeit, wo Schwert und Kreuz unbekannte und namenlose Dinge sein werden. In den zwei neueren größeren Dichtungen von Grün, die Nibelungen im Frack (1843) und der Pfaff vom Kahlcnbcrg (1850), labt der köstliche Humor gewiß Jeden, der in unserer Zeit nicht etwa das Lachen ganz verlernt hat. Beide Gedichte sind wahre Komödien des Lebens, die letztere, mit ernsterem Grundgedanken, aus der bunten Ritter- und Bauernwelt des Mittelalters, die erstere, deren Held der geigenwüthige Herzog Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg, aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts, absolute Heiterkeit verbreitend. Die seltene Eigenschaft, Alles im tröstlichen Lichte zu sehen, ist überhaupt das eigenste Wesen von Grün's Dichten. Die Poesie ist ihm das frische Waldesgrün, in dessen Anschauen sich das Seelenauge stärkt und erquickt, die Knechtschaft der Menschheit ein vorübergehender Winter, dessen Fesseln Lenz, der „fröhliche Rebell", brechen und so tief unter Rosen verstecken wird, daß man sie nimmer finden kann, die Erde selbst ein Freudensaal, aus welchem der letzte Mensch als letzter Dichter singend und jubelnd hinausziehen wird. Neben Grün's Poesie steht die seines Freundes Lcnau wie neben der Freude die Trauer, neben der Hoffnung die Schwermuth, wie neben dem stralenden Frühlingstag die thauschwere Sommermondnacht. Grün ist die Lerche, Lcnau die Nachtigall der deutschen Frcihcitslyrik. In dem schönen Nachruf, welchen Grün dem Freunde gewidmet hat, sagt er, sich und ihn treffend charaktcrisirend: „Dein Banner war tiefschwarze Seide, ich schwang Neuhochdeutsche Zeit. 191 ein rosenroth Panier." Lenau (Nikolaus Nicmbsch von Strehlenau) wurde am 13. August 1802 zu Csadad im Banat geboren. Die wühlende Skepsis, welche den Grundzug seiner geistigen Existenz ausmacht, ließ ihm schon in jungen Jahren nicht Ruhe noch Rast. Er suchte im Studium der Philosophie, der Jurisprudenz und der Medizin nacheinander Befriedigung, ohne sie finden zu können. Seine Strophe: „Du begleitest mich durch's Leben, sinnende Melancholie; mag mein Stern sich stralend heben, mag er sinken, weichest nie" — drückt die percnnirende Stimmung seines Daseins ganz wahr aus. Selbst die Urwälder Amcrika's, wohin er 1832 gereist, vermochten das grüblerische Sehnen seines Gemüths nicht zu stillen; er sah auch dort, wie überall, nur einen „ großen ew'gen Schmerz" auf dem Antlitz der Natur liegen und kehrte unbefriedigt nach der alten Welt zurück. Es wäre jedoch unstatthaft, zu glauben, der lenau'sche Weltschmerz verliere sich in weinerliche Sentimentalität. Der Dichter ringt kräftig mit ihm und es ist gewiß kein stegwartisch thrancnseligerWunsch, wenn er ausruft: „Könnt' ich leben also innig, feurig, rasch und ungebunden, wie das Leben jenes Blitzes, der dort im Gcbirg verschwunden!" Lenau fand bei seiner Rückkehr aus Amerika seinen Dichterruf durch ganz Deutschland verbreitet, denn Schwab hatte während seiner Abwesenheit die erste Sammlung seiner Gedichte herausgegeben (1832, neue Sammlung 1838, Gedichte, 2 Thle. in einem Bd. 8. Aufl. 1840). Auf seiner Lyrik beruht Lenau's Dichtergröße und das Hauptmerkmal dieser Lyrik ist eine wunderbar tiefe und innige Natursymbolik. Kein deutscher, ja kein Poet überhaupt hat es wie Lenau vermocht, die Natur zu beleben und zu beseelen; ^eine Naturmalerei ist Durchdringung der Natur mit Gefühl und Geist, so daß sie aus seinen Frühlingsund Hcrbstliedcrn, aus seinen Haide-, Schilf- und Waldlicdern mit tausend geheimnißvollcn Stimmen zu uns spricht. Er weiß auch, z. B. in seinen schönen Romanzenkränzen Clara Hebert und Johannes Ziska, das Menschenleben mit dem Leben der Natur in so originelle Beziehung zu setzen, daß jenes in ganz eigenthümlicher Beleuchtung erscheint. Lenau's Sehnsucht nach Befreiung, Gewißheit und Befriedigung richtet sich vorwiegend auf das religiös-philosophische Gebiet. Die alte und ewige Hiob - Faust - Manfred- Frage nach des Menschenlebens Sinn und Frommen ist das Thema, welches in den größeren Schöpfungen des Dichters zu lösen versucht wird, in dem episch-dramatischen Faust (1836), in den lyrisch-epischen Gedichten Savo- narola (1837) und die Albigenser (1842), endlich in dem fragmentarisch 192 Neuhochdeutsche Zeit. hinterlassenen Don Juan (1851). Zu einer befriedigenden Lösung des Räthsels kommt es freilich nirgends, denn mit der Rückkehr aus der Philosophie zum Christenthum, wie sie in dem, übrigens künstlerisch vollendeten, Savvnarola angedeutet wird, ist Nichts gewonnen. Das zeigt uns Lenau selbst sehr deutlich, indem er in den Albigensern wieder tiefer als je in die religiöse Skepsis zurückgefallen erscheint. Das Resultat, welches sich aus dieser Dichtung ergibt, ist die Erkenntniß der Nothwendigkeit eines rastlosen Entwicklungskampses der Menschheit; denn „Waffen braucht die Welt; kein Liebcslächeln kann das Elend ihr von dannen fächeln, wär's ein Lächeln auch wie das vordem auf dem Kreuze zu Jerusalem. Wie die Faust einst Brand und Eisenruthen, muß der Geist sein Schwert, sein Feuer brauchen, bis die Herzen der Despoten bluten und zerfallend ihre Burgen rauchen." Lenau lebte, was er dichtete. Die Saiten seiner Seele spannten sich in dem schmerzlichen Ringen mit qualvollen Zweifeln immer fieberischer und sprangen dann plötzlich mit dem gellenden Aufschrei: „Ich will in die Freiheit!" entzwei. Mit diesem Ausruf verfiel er 1844 dem Wahnsinn. Vorahnend hatte er einst gesungen: „ Ich sehne mich nach einer stillen Nacht." Sie hielt ihn nicht so lange umfangen wie seinen Geistes- und Schicksalsgenossen Hölderlin: er starb am 22. August 1850 zu Döbling bei Wien. Mit so aufrichtiger Hingabe, wie kaum irgend ein Anderer, hat er die Schmerzen unserer Zeit in der Brust getragen und seine innigste Klage war, daß er die Zukunft nicht mehr schauen sollte. „Tiefer, sang er in den Albigensern, tiefer schmerzt als das Geröll Zeit und Tod zu meinen Füßen, daß ich nicht erleben soll, wie sich Welt und Freiheit grüßen. Doch, setzte er hinzu, doch der Geist, der bald den Riß enden wird durch diese Hülle, lebt in Andern einst gewiß seine Freiheit, Macht und Fülle!" Wie die Lyrik Grün's und Lenau's von dem Herzschlag der Gegenwart bewegt ist, so ist es auch die eines dritten Ocstreichers, Karl Vcck's (geb. 1817), der gleich Lenau aus Ungarn stammt. Beck hat die überschwängliche Bilderschwclgerei seiner Erstlinge (Nächte, der fahrende Poet) in der umgearbeiteten Gesammtausgabe seiner Gedichte (1845) aus ein verständiges Maaß zurückzuführen gesucht, ohne daß es ihm im Ganzen gelungen wäre. Seine Poesie ist wie ungarischer Wein, feurig, süß, berauschend, aber wie ungarischer Wein in der Gährung: der Stoff klärt sich darin nur selten zum ideellen Gehalt ab. In seiner poetischen Erzählung Janko der Roßhirt-überwuchern die lyrischen Arabesken das mit kühnen Phantasiezügen entworfene Gemälde Neuhochdeutsche Zeit. 193 aus dem ungarischen Volksleben und von seiner Tragödie Saul hat man mit Recht gesagt, es seien lauter lyrische Dichter, welche das Drama ausführen. Bcck's Lieder vorn armen Mann (1846) dvcumentiren das Eingehen der sozialen Fragen in unsere Lyrik, die freilich hier noch nebelhaft und derblasen genug auftritt. Gedichte jedoch, wie die alte Jungfer, Anne Marie, Knecht und Magd, bezeugen unwiderlegbar, daß ein wirklicher Poet sie geschrieben. Fast zugleich mit Beck war Ferdinand Frciligrath (geb. 1810 zu Detmold) aufgetreten (Gedichte 1838), in seinem markigen Realismus der directe Gegensatz zu der träumerischen Verschwommenheit von jenem. Frciligrath war eine wahrhaft heilsame Erscheinung: er brachte neue Stoffe und Formen, er trat die Monotonie der conventioncll gewordenen hcinc'schen Liebeslyrik und die weltschmerzliche Koketterie der Zerrisse»hcitspocten mit dem dröhnenden Schritt seiner Verse zu Boden. Ein poetischer Weltumsegler ging er auf Entdeckungen aus und stellte heimgekehrt dor dem staunenden Publicum jene Bilder aus, welche, plastisch gezeichnet und mit der intensivsten Farbenglut gemalt, die Schrecken und die Erhabenheit des Ozeans, der Vulkane Islands, der afrikanischen Wüsten, der Savannen Amerikas, des Urwalds der Tropen mit magischer Gewalt mitten in die deutsche Binnenpoesic hineinversetzten und uns den jagenden Löwen, den Kampf des Tigers mit der Boa, die Fata Morgana der Sahara, die vom Samum vernichtete Karaoanc, das Pionier- leben am Fuß der Felscngebirgc, das in ferner Mceresöde mit dem Sturm auf Leben und Tod kämpfcnde Schiff vor die Augen zauberten. Frciligrath, dem wir später noch einmal begegnen werden, hat sich einmal scherzend den Van Akcn der deutschen Poesie genannt: er ist vielmehr der Columbus, welcher ihrem Kosmopolitismus neue Regionen der Anschauung aufthat. Seine Originalität weiß auch abgelebten Formen einen ganz neuen Lebens- sunken einzuhauchen. Man sehe nur seinen Alerandrinervers an. Das ist freilich „der Renner nicht, den Boileau gezäumt und mit Franzosenwitz ge- schulet", das ist das leibhaftige „Wüstenroß aus Alerandria", welches über »die leidige Cäsur" hinwegsetzt, als wäre sie „ein Felsenriß des Sinai", dem Fels des Kiesels Blitze und des Echo's Donner entlockend. Uebrigens hat sich in Freiligrath der nationale Gehalt keineswegs in fremden Stoffen und Formen spielerisch verflüchtigt. Unsere ganze Literatur hat, um ein Beispiel vom Gegentheil anzuführen, nurwenigeDichtungen auszuweisen, in welchen sich das deutsche Gemüth und der deutsche Charakter ein so herrliches Denkmal gesetzt, wie in Freiligrath's Liedercyclus der ausgewanderte Dichter. 13 19L Neuhochdeutsche Zeit. Die geographische und ethnographische Poesie, welche zu suchen Freilig- rath's Phantasie den Wanderstab ergriff, brachte uns Charles Sealsficlb als Gastgeschenk von unseren germanischen Verwandten jenseits des atlantischen Ozeans. Ein geborener Nordamerikaner, hat Sealsfield seine Werke deutsch geschrieben (der Legitime und die Republikaner (1833), der Virey, Morton oder die große Tour, Lebensbilder aus der westlichen Hemisphäre, deutschamerikanische Wahlverwandtschaften, das Cajütenbuch, Süden und Norden). Wahrscheinlich bewog ihn hiezu die richtige Voraussetzung, daß der offene Sinn der Deutschen die Bedeutung dieser Bücher am besten zu würdigen wissen würde. So geschah es auch und wir zählen Sealsfield mit Freude zu den Unsrigcn. Seine Schreibart ist die novellistische, allein der Roman ist ihm überall nur Beiwerk. Die Hauptabsicht geht auf Schilderung eines Landes und einer Gesellschaft, welche ihm ein ebenso unerschöpfliches als meisterhaft bewältigtes Material darbieten. Wenn, wie wahrscheinlich, der Schwerpunkt der Zukunft in Amerika zu suchen ist, so hat uns Sealsfield einen außerordentlich wichtigen Dienst erwiesen. Denn er bringt uns die amerikanischen Verhältnisse mit einer Anschaulichkeit zur Kenntniß, die alle derartigen Versuche weit überflügelt. In seinen Schriften lebt Amerika mit seinen ungeheuren Waldwildnissen und seinen wimmelnden Handelsstädten, mit der erhabenen Einsamkeit seiner Prairien und mit der Pracht seiner Tropengcgenden, mit seinen endlosen Strömen und Alligatorsümpfen, mit seiner Millionen Schosse treibenden jungen Cultur, mit seiner Hinterwäldlerge- sundhcit und der überfirnißtcn Gemeinheit seiner Geldaristokratie, mit seinen hundert religiösen Sekten und seiner ruhelos vorwärts strebenden Demokratie, mit seinem germanischen Racekampf gegen das spanische und crcolische Element, mit seilten Indianern und Negern, mit seinem Ausbreitungsdrang und seiner Abenteuerlust, mit all seinem Denken und Handeln, Wollen und Können. Wahrlich, ein ungeheures Bild, und wie ist es gemalt! Mit welcher greifbaren Bestimmtheit weiß Sealsfield darin die Unterschiede der Nationalitäten zu veranschaulichen! Und mit derselben Meisterschaft, womit er die nationale Charakteristik handhabt, zeichnet er auch seine individuellen Charaktere. Erinnern wir uns nur an seinen Tokeah, den letzten Sachem der Oconees, an den Piraten Lafittc, an den Sgnire Copeland, an den Conde San Jago, an den Squatterregulator Nathan, an die Indianerin Canondah. Shakspcare sogar hätte keine realeren Gestalten zu schaffen vermocht als diese Neuhochdeutsche Zeit. 195 find. Die vornehme Kritik wirft Sealsficld vor, er sei zu tendenziös. Ja fteilich. Aber die Tendenz liegt in der Sache selbst und Sealsficld kann Nichts dafür, wenn der Kontrast der republikanischen Jugendfrische Amerikas mit der altersschwächlichen Legitimität Europa's auf die Nerven gewisser Leute unangenehm wirkt. 27. Die philosophischen Taschenspieler und Eiertanzkünstler, welchen das hegel'sche System nach demTodc des Meisters zunächst in die Hände gefallen, hatten es glücklich zuwegegebracht, daß diese Philosophie aus dem Leben wegcscamotirt und in den blauen Dunst der Theologie entrückt wurde. Bald galt es für ausgemacht, daß Hegel eigentlich bloß für den Theologismus und für das Mandarinenthum des abstracten Bcamtenstaats gelebt und gedacht hätte. Sein System wurde als die Vollendung des Protestantismus und Bureaukratismus, welche sich beide so vortrefflich und brüderlich daraus verstehen, dem Menschen die himmlische Existenz zu versprechen, um ihm die irdische und staatliche zu verkümmern — von den preußischen Kathedern gelehrt und eine heuchlerische Fricdcnsmienc breitete sich über die deutsche Wissenschaft aus. Der faule Friede währte aber nicht lange, denn der deutsche Kriticismus hatte keine Ruhe, und wie er sich in Lenau's Poesie septisch abmühte, so sehen wir ihn jetzt zuvörderst seine ganze Energie gegen den Kirchenglauben wenden und dann der Bekämpfung des religiösen Absolutismus auch die des politischen anreihen. Durch diesen wissenschaftlichen Kampf, in welchem Strauß, Bauer, Fcuerbach, Daumer und die Kritiker der Hallischcn Jahrbücher voranstchcn, wurde das hegel'sche System seiner Abstraction vom Menschen entrissen, wurde die deutlchc Philosophie überhaupt erst praktisch wirksam gemacht, auch in stylistischer Hinsicht, denn die jüngeren Philosophen, dieJunghegelianer, erwarben sich auch das Verdienst, daß sie die abstruse Terminologie unserer Philosophie einmal in die menschliche Sprache übersetzten. David Friedrich Strauß (geb. 1808 zu Ludwigsburg) gab 1835 sein Leben Jesu heraus, welches bekanntlich in der theologischen Welt einen wahren Sturm des Aufsehens erregte. Die altkirchliche Ercgese hatte es ohne Weiteres für Thatsache genommen, daß in der Geschichte Jesu, wie die 13 * 196 Neuhochdeutsche Zeit. Evangelisten sie geben, Geschichte sei, wenn auch übernatürliche mit natürlicher gemischt. Die rationalistische Exegese dagegen hatte die natürliche Geschichte von der übernatürlichen ausgeschieden, mit Verwerfung der letzteren. Strauß nun untersuchte, ob die Evangelien überhaupt aus geschichtlichem Grund und Boden stünden, und gelangte zu dem verneinenden Resultat, es sei an den Berichten der Evangelisten gar nichts Historisches, die evangelische Geschichte sei ein Conglommerat von Mythen, eine Mythe aber nichts Anderes als die geschichtliche Gewandung der zu einer bestimmten Zeit herrschenden Begriffe vermittelst der Poeste. In dieser Weise habe man die Geschichte Jesu aus dem jüdischen Messiasbegriff, wie derselbe die ersten anderthalb Jahrhunderte nach Christus in den christlichen Gemeinden verbreitet gewesen sei, herauscvnstruirt, indem man alle alttcstamentlichen Vorstellungen von dem Messias auf Jesus von Nazareth übertrug, der nichts Anderes gewesen als eben der Rabbi Jesus, welcher gleich vielen Andern von Johannes getauft ward, in der festen Ueberzeugung von seiner messianischen Sendungseine Lehre verkündigte, dadurch denHaß dcrorthodorcnJudenpriester- schaft erregte und von dieser an's Kreuz gebracht wurde. Strauß blieb aber, wenn auch philosophischer Theolog, immerhin noch Theolog. Denn beim Schlüsse seiner kritischen Untersuchungen angelangt, versuchte er den historisch vernichteten Christus vermittelst des hegel'schcn Begriffs vom Gottmenschen philosophisch wieder zu rehabilitiren, indem er sagte: „Mit Beiseitestellung der Begriffe von Unsündlichkeit und schlechthinigcr Vollkommenheit als un- vollziehbarer, fassen wir Christus als Denjenigen, in dessen Selbstbewußtsein die Einheit des Göttlichen und Menschlichen zuerst mit einer Energie aufgetreten ist, welche in dem ganzen Umfange seines Gemüthes und Lebens alle Hemmungen dieser Einheit bis zum verschwindenden Minimum zurückdrängte; der insofern einzig und unerreicht in der Weltgeschichte steht; ohne daß jedoch das von ihm zuerst errungene und ausgesprochene religiöse Bewußtsein der Läuterung und Weiterbildung durch die fortschreitende Entwicklung des menschlichen Geistes sich entziehen dürfte." Diese Ansicht führte dann Strauß weiter aus in seinem zweiten großen Werke (die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft 184U). Auch hier faßte er das Christenthum als ein nothwendiges Moment in der Geschichte der Menschheit, als ein Vorschreitcn über die jüdische und heidnische Weltanschauung hinaus, als eine berechtigte Entwicklungsphase, die aber in der Zukunft der Offenbarung des sich selbst bewußten Neuhochdeutsche Zeit. 197 Mcnschengeistes weichen müsse. Das Endcrgebniß der strauß'schen Kritik ist die Einsicht in die Unvereinbarkeit von Christenthum und Philosophie, denn jenes hat die Phantasie und das Gemüth, diese die Vernunft und die Wahrheit zu ihrem Inhalt. Damit war die Vertheologisirung der hegel'- schen Philosophie beseitigt und die aus der „toll gewordenen Speculation" wieder zum gesunden Menschenverstand zurückgeführte directe menschliche Vernunft erwies sogleich ihre siegreiche Macht, indem die Bekämpfung der strauß'schen Kritik vom orthodoren, pietistischew, romantischen und ultramontanen Standpunkt aus ganz kläglich scheiterte. Die wissenschaftliche Bewegung, in welcher die Abwendung von der rcactionären Strömung und die Wiederhinwcndung zum humanistischen Fortschritt enthalten war, stand nicht stille. Auf Strauß folgte Bruno Bauer mit seiner Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker und des Johannes (>841—42). Er legt seinen Untersuchungen die Forderung zu Grunde, daß der Protestantismus, wenn er die Forschung in der Schrift überhaupt als eine freie anerkenne, jedes Resultat dieser Forschung freigeben müsse. Bauer's Kritik geht über die von Strauß hinaus. Denn wenn dieser die Evangelien als Productc des „ mythcnbildendcn Geistes der Gemeinde" betrachtete, so stellt und erledigt Bauer die Frage, durch wen und wie dieser mythenbildcnde Geist denn eigentlich zum Vorschein gekommen sei. Er zeigt, daß Marcus, bei welchem die Empfängniß und Geburt Jesu noch als eine natürliche erscheint, der Urevangelist sei, welchen die andern abgeschrieben und in theologischen Absichten verändert hätten. Diese Absichten werden dann des Näheren erörtert und aus der Erörterung ergibt sich das Resultat, das Christenthum sei eine Schöpfung der theologischen Phantasie und Tendenz, ein Product der Theologie, die Religion, wie sie sich in den Evangelien darstelle, sei diejenige Zcrspaltung des Selbstbewußtseins, in welcher die eigene Bestimmtheit desselben ihm als eine von ihm verschiedeneMacht entgegentrete, diejenige Zcrspaltung, welche Saft und Kraft, Blut und Leben der Menschheit, Natur und Kunst, Familie, Volk und Staat vampyrartig aufsauge. Das war erklärter Hochvcrrath an der Religion und Kirche und die letztere zauderte auch nicht, die Staatsgewalt zur Einschrcitung gegen den Hochvcrräther zu veranlassen. Bauer wurde von seinem Lchrstuhl an der Universität Bonn entfernt. Von seinen späteren Büchern verdient besondere Erwähnung die Bibliothek der religiösen und politischen deutschen Aufklärer im 18. Jahrhundert, welche er gemeinschaftlich mit seinem Bruder Edgar Bauer herausgegeben hat. 198 Neuhochdeutsche Zeit. Den unermeßlich wichtigen Schritt von der philosopbirenden Theologie zur Anthropologie, aus der Metaphysik zur Realität des Lebens machte die deutsche Wissenschaft durch Ludwig Feuerbach (geb. am 28. Juli 1804), den vierten der fünf Söhne des berühmten Kriminalisten, die sich alle in verschiedenen Fächern wissenschaftlich hervorthaten. In Ludwig Feuerbach erfüllte sich das Dichterwort: „Der sich lange selbst vergessen, ist am Ziel der Unglücksbahn, und der Mensch, der sie durchmcssen, kommt beim Menschen endlich an." Der Mensch auf dem Grund und Boden der Natur ist das Prinzip, woraus Feuerbach Alles herleitet und worauf er Alles zurückführt, und dieses humane Prinzip setzt er an die Stelle der abstracten philosophischen und religiösen Prinzipien. Er begann seine schriftstellerische Laufbahn mit seinen Gedanken über Tod und Unsterblichkeit (1830), lieferte dann historisch-kritische Arbeiten über Bacon, Spinoza, Lcibnitz, Bayle, und erhob sich in seinem berühmten Buch das Wesen des Christenthums (1841) zur productiven und positiven Wirksamkeit. Ueber seine Stellung zu Strauß und Bauer spricht sich Fcucrbach in der Vorrede seines Werkes dahin aus, daß Strauß das Leben Jesu und die christliche Glaubenslehre, also die dogmatische Theologie, Bauer die evangelische Geschichte, also die biblische Theologie, zum Gegenstand habe, er aber die Religion, wie sie unmittelbares Wesen des Menschen ist. Im ersten Theil seiner Schrift zeigt Feucrbach das wahre, d. h. das anthropologische Wesen der Religion auf, im zweiten das unwahre, d. h. das theologische. Die vollständige Auflösung der ganzen übermenschlichen Welt in die wirkliche ist das Resultat seiner Beweisführung. „ Die Religion, sagt er, ist der Traum des menschlichen Geistes. Sie ist das Verhalten des Menschen zu seinem eigenen Wesen — darin liegt ihre Wahrheit und sittliche Heilkraft — aber zu seinem Wesen nicht als dem seinigcn, sondern als einem andern, von ihm unterschiedenen, ja entgegengesetzten Wesen — darin liegt ihre Unwahrheit, ihr Widerspruch mitVernunft und Sittlichkeit, darin die unheilschwangere Quelle des religiösen Fanatismus, darin das oberste Prinzip der blutigen Menschenopfer, kurz der Urgrund aller Greuel, aller schaudererregenden Szenen in dem Trauerspiel der Rcli- gionsgeschichte." Nimmt diese Entzweiung des Menschen mit sich selbst reflectirte Gestalt an, d. h. wird sie zur Theologie, so produzirt sie Unendliche Lügen, Illusionen, Blendwerke und Widersprüche. Das Christenthum markirt nach Feuerbach keinen Fortschritt gegenüber vom Heidenthum; beide bilden nur die zwei Seiten der religiösen Verirrung, indem im Heiden- Neuhochdeutsche Zeit. 199 thum das Individuum der Gattung, im Christenthum umgekehrt die Gattung dem Individuum geopfert wurde. Im Heidemhum gestaltet die Religion die Wünsche einer ausschweifenden Phantasie, im Christenthum die krankhaften Bedürfnisse des Herzens zu hohlen, für wirklich gehaltenen Phantomen, an welche der Mensch seine besten Gesinnungen und Kräfte, welche dem Leben, dem Menschen zugewandt werden sollten, vergeudet. Das Geheimniß der Theologie, sagt Feuerbach in der Schlußanwcndung seiner Deductionen, ist die Anthropologie, des göttlichen Wesens das menschliche. „Aber die Religion hat nicht das Bewußtsein von der Menschlichkeit ihres Inhalts; sie setzt sich vielmehr dem Menschlichen entgegen oder wenigstens sie gesteht nicht ein. daß ihr Inhalt ein menschlicher ist. Der nothwendige Wendepunkt der Geschichte ist daher dieses offene Bekenntniß und Eingeständniß, daß das Bewußtsein Gottes nichts Anderes ist als das Bewußtsein der Gattung, daß der Mensch sich nur über die Schranken seiner Persönlichkeit erheben kann und soll, aber nicht über die Gesetze, die Wesensbestimmungen seiner Gattung, daß der Mensch kein anderes Wesen als absolutes, als göttliches Wesen denken, ahnen, vorstellen, fühlen, glauben, wollen, lieben und verehren kann als das menschliche Wesen. Die Religion ist das erste Selbstbewußtsein des Menschen. Heilig sind die Religionen, eben weil sie die Ueberlieferungen des ersten Bewußtseins sind. Aber was der Religion das Erste ist, Gott, das ist der Wahrheit nach das Zweite, denn er ist nur das sich gegenständliche Wesen des Menschen, und was ihr das Zweite ist, der Mensch, das muß daher als das Erste gesetzt und ausgesprochen werden. Die Liebe zum Menschen darf keine abgeleitete sein, sie muß zur ursprünglichen werden. Dann allein wird die Liebe eine wahre, heilige, zuverlässige Macht. Ist das Wesen des Menschen das höchste Wesen des Menschen, so muß auch praktisch das höchste und erste Gesetz die Liebe des Menschen zum Menschen sein. llomo Iiomini Heus est (der Mensch ist dem Menschen Gott) — dies ist der oberste praktische Grundsatz, dies der Wendepunkt der Weltgeschichte." (Feucrbach's sämmtl. Werke, 1846—51, 8 Bde.) Fcucrbach hat mit einer Unerschrockcnheit und Konsequenz, in welcher sich der philosophische Genius Deutschlands mit ganzer Kühnheit offenbarte, das verschleierte Bild von Sais entschleiert und has Räthsel der religiösen Sphinr gelöst! der absolute Geist ist der Menschengcist. In Anlehnung daran schrieb Georg Friedrich Daumcr seine zwei historisch-kritischen Bücher, der Feuer- und Molochdienst der alten Hebräer und die Geheimnisse des Neuhochdeutsche Zeit. 200 christlichen Alterthums (1847). Das antichristlichc Bewußtsein wird aber hierin vielfach zum Erzcß und die daumer'sche Beweisführung erinnert, weil sie zu viel beweisen will, namentlich in der zweiten Schrift oft an jenen Mann, der eine Brille mit rothen Gläsern aufgesetzt hatte und nun behauptete, die ganze Welt sei roth. Freilich ist es Daumern gar nicht um's Scherzen zu thun, im Gegentheil es ist ihm mit seiner Ansicht vom Christenthum blutiger Ernst. Dieses ist nach ihm die Religion des Geistes, welche das natürliche und reale Sein der Dinge, also auch das Menschliche, absolut negirt und unter den Benennungen Welt, Sünde, Fleisch, Teufel fanatisch bekämpft. Diese schreckliche Negation und Abstraction, die sich aus der objectiven und natürlichen Welt in die hohle, nur von Schemen und Spukgestalten erfüllte Tiefe der Innerlichkeit zurückgezogen hat, wurzelt in dem molochistischen Menschenopfcrcult, welcher die urvätcrliche Religion der Hebräer war und sich erst bei vorgeschrittener Gesittung aus demphönizischen Molochismus zum Jehovahdicnst abschwächte. Es blieb aber im Judenthum immer eine Partei zurück, welche von der Humanisirung des Molochismus Nichts wissen wollte und die blutigen Mysterien desselben im Geheimen fortwährend beging. Diese Partei trat zur Zeit des Auftretens Christi aus ihrem Dunkel wieder hervor und setzte den alten Greuel unter dem Namen des Christenthums, welches ist der Jesuitismus des Jndenthums, aufs Neue in die Welt. Der molochistische Mysticismus stellte sich dem Humanismus der griechischen Religion feindlich entgegen. „Die Zeit und Welt, sagtDaumer, welche auf diesen holden Göttcrdienst, auf diese edle affirmative Entwicklung des menschlichen Lebens folgte, war die der Einsiedler, Säulen- heiligcn, Mönche und Pfaffen, der die Natur hassenden, die menschliche Gesellschaft fliehenden, fleh selbst mißhandelnden, alle Welt entzweienden, Mord und Tod predigenden Ascetcn und Fanatiker, die Zeit der Bußen und Peinigungen des Fleisches, der Glaubensinguisitionen, Schaffote, Scheiterhaufen, Judenschlachten, Herenprozeffe, Bartholomäusnächte, eine Zeit und Welt, deren Unglück, Finsterniß und Greulichkcit beispiel- und namenlos ist." Dies wird auch der für richtig erkennen, den die Beweise, welche Daumcr für leine Behauptung, daß die molochistische Kinderschlächterei bis tief ins Mittclalter hinein von der christlichen Kirche im Meßopfer (bei der Verwandlung von Brot und Wein in das Fleisch und Blut Christi) kanni- balftch fortgesetzt worden sei -— beizubringen weiß, nicht zu überzeugen vermögen. Neuhochdeutsche Zeit. 201 Nachdem durch die vollendete Kritik der Religion das humanistische Prinzip, welches unsere Aufklärung und Klassik des 18. Jahrhunderts beseelt hatte, wieder zu vollster wissenschaftlicher Geltung gelangt war, mußte sich der kritische Geist ganz folgerichtig gegen die in Literatur und Wissenschaft, Kirche und Staat noch factisch bestehenden Gestaltungen der prinzipiell abgethanen Weltanschauung kehren. Er that dies vornehmlich in den Hallischen, nachmals Deutschen Jahrbüchern, welche Theodor Echtermehcr (1806—44) und Arnold Rüge (geb. 1802) im Jahre 1838 gegründet hatten. Dieses Journal, an welchem Strauß, Bauer, Fcuerbach, der berühmte, unsere Kunstphilosophie auf ihrem jetzigen Standpunkte zu einem harmonisch schönen Bau abschließende Aesthctiker Friedrich Theodor Bischer (Aesthetik 1846—52, 3Thlc.), Stahr, Nauwerck und Andere mitarbeiteten, wurde ein Centralorgan für die deutschen Humanisten — Hegclingen nannte sie Leo in einer fanatischen Denunciationsschrist. Der Hauptkämpe auf Seiten der Jahrbücher aber war Rüge, dessen geistvolle publizistische Arbeiten jetzr in seinen gesammelten Schriften (1846—47, 7 Bde.) vorliegen. Die Jahrbücher richteten ihre kritischen Waffen gegen die Romantik in jeder Form, sei es, daß sie als Pietismus, als ltltramontanismus, als verzopftes Preußenthum, als hengstcnberg'sche Orthodoxie, als tholuck'schc Mystik, als göschel'scher Mißbrauch des hcgcl'schen Systems, als neuschelling'schc Offcn- barungscharlatanerie, als görres'sche Jnquisitionslicbhaberei u. dgl. m. erschien. Ucberall trafen sie die Reaction, und als ihre Opposition, wie sie mußte, immer deutlicher die politische Richtung einschlug, da fand das wüthende Geschrei der Obskuranten und Reactionärc aller Sorten gegen das Journal Erhörung. Die Jahrbücher wurden 1843 unterdrückt, denn sie waren eine Macht geworden, die man zu fürchten hatte. Wenige Monate darauf widerfuhr das auch der Rheinischen Zeitung, welche den Humanismus ins Praktische, d. h. in den Socialismus, übersetzt hatte. Die Wirkung der Jahrbücher auf die gebildete deutsche Welt war aber eine tiefcindringende gewesen. Sie hatten die wissenschaftliche Befreiung des deutschen Geistes von der Romantik vollbracht, eine Befreiung. ohne welche das alsbaldige Erscheinen von politischen Schriften, wie I. Jacoby's vier Fragen, H. Si- mvn's Annehmen oder Ablehnen?, L. Walcsrode's untcrthämgeReden, H. Heinzens preußische Bureaukratie, nicht wohl denkbar gewesen wäre. Jn Wigand's Vierteljahrsschrift, in den Jahrbüchern der Gegenwart und in ccnsurflüchtigen Büchern fand dann die wissenschaftlichcOpposition Raum zu weiterer Aeußerung. 202 Neuhochdeutsche Zeit. 28 . Die deutsche Wissenschaft war aus der Abstraktion, aus dem Reiche der Einbildung in die Realität zurückgekehrt, sie hatte die Beschäftigung mit dem Jenseits aufgegeben, um ihre Kraft und ihre Liebe dem Diesseits zuzuwenden und mit ihrer ganzen Energie die Nation aus theologischer Ver- bohrtheit und politischer Versumpfung aufzurütteln, eine ungeheure Arbeit! Denn jetzt erst, als die Philosophie des gesunden Menschenverstandes — von welchem die schulphilosophischen Jongleurs das mystische Ding „spekulative Vernunft" wohlweislich getrennt wissen wollen, denn wie könnten sie sonst ihre sophistischen Gaukeleien aufführen? — ja, jetzt erst, als die Philosophie des gesunden Menschenverstandes eine romantische Illusion nach der andern- vor unsern Augen in ihr Nichts auflöste und vernichtete, kamen wir zum Bewußtsein, wie tief wir Alle noch in der Romantik gesteckt hatten und welche Anstrengung es kostete, uns völlig von ihr zu befreien. W e diese Erfahrung gemacht hat — und es hat sie Jeder gemacht, der auf der Höhe der Zeit steht und seinen Standpunkt nicht heuchlerisch verleugnet — der wird wohl begreifen, wie unendlich langsam die Befreiung in die Massen dringen und auch dort sich vollziehen kann. Die Nationalliteratur folgte dem Zuge der Wissenschaft. Auch sie wurde real, praktisch, politisch, dircct oppositionell. Klar veranschaulicht den nationalliterarischcn Uebergang der wissenschaftlichen Doctrin zur politische» Poesie Friedrich von Sallet (1812—43), der in seinem Laicnevange- lium (1812) den populären Stoff der evangelischen Geschichte zu einem Streitgedicht gestaltete, welches mahnend, warnend und drohend alle Kreise des Lebens, insbesondere des deutschen Lebens durchschreitet und namentlich in der deutschen Frauenwelt, welche die warme Hcrzenssprache der Dichtung darüber wegsehen ließ, daß man neuen Wein nicht in alte Schläuche füllen soll, großen Anklang gefunden hat. Die Sammlung von Sallet's krischen Gedichten (1843) läßt uns den Entwicklungsgang eines reichen Geistes und eines hochsinnigen Gemüthes durch Naturlebcn und junge Liebe, durch Zerrissenheit und Pantheismus hindurch zum klarsten Fühlen, Denken und Wollen in anziehendster Weise mitmachen.. Dieses Fühlen, Denken und Neuhochdeutsche Zeit. 203 Wollen hat Sallet zuletzt in seinem epigrammatischen Zuruf an die hegel'- schen Commentatoren von Göthe's Faust hübsch und bündig ausgedrückt: „Zeit ist's. daß ihr fasset freier Faust's, Helencn's Hochzeitsfcier. Flieht die Zellen der Scholastik, wandelt auf des Lebens Bahnen! Wenn der Tiefsinn der Germanen ragt in griechisch schöner Plastik, ist erfüllt des Weltgeists Mahnen. Faustcns und Helencn's Sohn sei die That, Euphorien!" Der philosophischen Umhüllung entkleidet, frisch, unmittelbar, kühn, trat die Poesie in die politische Oppositionsstellung über in Georg Herwegh's (geb. 1816 in Stuttgart) Gedichten eines Lebendigen (1. Bd. 1841, 2. Vd. 1843), welchen sich Heinrich August Hoffmann (geb. 1798 zu Fallerslebcn) mit seinen „unpolitischen" Liedern (1841, 2 Thle.), Franz Dingelstedt mit seinen Liedern eines kosmopolitischen Pachtwächters (1842) und Robert Eduard Prutz mit seinen neuen Gedichten (1843) anschlössen. Es ist ganz irrig, wenn man glaubt, Herwegh's politische Lyrik sei durch den 1840 zwischen Deutschland und Frankreich drohenden Conflict geweckt worden. Die meisten Gedichte eines Lebendigen waren schon vorher gedichtet, aber allerdings mochte die Veröffentlichung derselben durch die Aufregung, welche jener Conflict und die Illusionen, die sich an die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm's IV. knüpften, verursacht hatten, mitbcdingt worden sein. Sie trafen die Zeitstimmung ins Herz und ihr republikanisches Feuer riß Alles unwiderstehlich mit sich fort. Hier war, was die Anhänger der alten und ewig jungen guten Sache drückte und quälte, was sie haßten und liebten, glaubten und hofften, mit hochpathetischein Schwung in blankschönen, energischen Formen ausgesprochen. Daher die unerhört schnelle Popularität, welche der Lebendige gewann. Hinterher kamen dann die Recensenten, wackelten an dem und jenem und behaupteten, Herwegh sei schon mit seinem zweiten Bande tief unter den ersten hcrabgesunken, was ganz unbegründet. Denn wenn sich der Dichter in der zweiten Sammlung mehr der satirischen als der pathetischen Stimmung hingab, so zeigt dies gerade, daß er wirklicher Poet einer Zeit war, für welche nach rasch wieder eingetretener Ebbe der öffentlichen Meinung die Satire, die freilich Keiner so meisterhaft wie Heine zu handhaben vermochte, als der passendste poetische Ausdruck anerkannt werden mußte. Auch Dingelstedt schlug in seinen Nachtwächterlicdcrn diese Saite an, kam aber aus der wcltschmerzlichcn Sentimentalität nicht recht heraus. Hoffmann von Fallerslebcn, welcher früher die Volksliederweise trefflich rcproduzirt hatte, drängte die politische Lyrik zum humoristisch-sati- 20L Neuhochdeutsche Zeit. rischen Epigramm zusammen, das bei scheinbarer Harmlosigkeit seine Stacheln nur um so tiefer einbohrte. Ein Namensvetter von ihm, Heinrich Hoffmann aus Frankfurt, hatte in seiner Komödie die Mondzügler (1843) dem aristophanisch-polemischen Lustspiel Platen's zu weiterer Entwicklung verhelfen und auch Prutz übertrug die Tendenzen der politischen Opposition in diese Form, so zwar, daß nur grämliche Leute seiner Komödie die politische Wochenstube (1845) die Zuerkcnnung der Tüchtigkeit weigern können. Später wandte sich Prutz, dessen wir als Literarhistoriker schon früher gedacht, mit Erfolg zur socialen Novellistik (das Engclchen, Felix). Epische Gestalt nahm die politische Satire an in dem neuen Reineke Fuchs s 1846) von Adolf Glaß- brenner. Die politische Lyrik, in welche sich immer deutlicher socialistische Tendenzen verflochten, wurde fortgeführt von Th. Opitz, Th. Althaus, E. Mautner, R. Gottschall, dem wir schon unter den jüngeren Dramatikern begegnet, H. Püttmann, G. Weerth, T. Ullrich, Gottfried Keller, dessen Gedichte (1846) endlich der Schweiz einen unmittelbaren, der Schönheit und Größe ihrer Natur würdigen Poeten gaben, Hermann Rollett, dessen frische Lieder (1848) wirklich frisch und voll lyrischen Duftes sind, und von vielen Anderen. So von den beiden Deutsch-Böhmen Moritz Harrmann, der in seinen Gedichtsammlungen (Kelch und Schwert 1845, neuere Gedichte 1847) den oppositionellen Geist mit realen Anschauungen glücklich zu vermitteln verstand und in seiner Rcimchronik des Pfaffen Mauritius (1849) die Unglücksgeschichtc der Märzbewegung von 1848 mit zwischen Elegie und Satire wechselnden Tönen begleitete — und Alfred Meißner, welcher in seinen Gedichten (1845) die socialen Kontraste wahrhaft poetisch wirksam aufzeigte und in seiner schönen epischen Dichtung Ziska (1846) einen alten Freiheits- heldcn der lebhaften Theilnahme der Gegenwart nahebrachte. Auch Frciligrath war mit seinem politisch-lyrischen Glaubensbckcnntniß (1844) förmlich in die Reihen der Opposition übergegangen und sein Rachcruf der Todten an die Lebendigen (1849) hebt sich mit energischer Kraft über die trostlose Apathie der Gegenwart hinweg. Wie Freiligrath's Poesie, entwickelte sich die von Gottfried Kinkel (geb. 1815 zu Obcrcassel bei Bonn), den wir schon unter den Kunsthistorikern trafen, zur entschiedensten Parteinahme für die revolutionären Bestrebungen der deutschen Demokratie. In der ersten Auflage feiner Gedichte (1843), welche auch die höchst anmuthige rheinische Geschichte Otto der Schütz enthält, ist Kinkel noch Romantiker, in der zweiten dagegen (1856) tritt er als fertiger Republikaner vor uns, der das in be- Neuhochdeutsche Zeit. 205 geisterten Liedern preist, wofür er auf dem Schlachtfeld gefochten und im Kerker geduldet. Die Erzählungen, welche er gemeinschaftlich mit seiner Frau Johanna (1851) herausgab, sind insbesondere werthvoll durch die zwei meisterhaften Dorfgeschichten (Margret, die Heimatlosen), welche sie bringen, und so mag er uns als Uebergangspunkt zur Dorfnovellistik dienen. Diese ist die andere Seite der demokratischen Gestaltung unserer Na- tionallitcratur in der Gegenwart, während die politische Lyrik die erste bildet. Die soziale Novellistik, wie sie vom jungen Deutschland in Anregung gebracht worden, war allmälig sehr abgestanden. Das Geschnatter der novellistischen Gänse und Gänseriche, die „ gemästet mit Tendenzen", begann die Lesewelt endlich recht sehr zu langweilen, als Bcrthold Aucrbach (geb. 1812 zu Nordstetten im Schwarzwalde) mit seinen Schwarzwäldcr Dorfgeschichten (1843—53, 3 Bde.) wieder einen frischen Zug in die literarische Bewegung brachte. Das Genre als solches war nicht neu, denn die Jdhllik des deutschen Bauernlcbens war schon von Jung-Stilling (in seiner Jugendgeschichte), von Brentano (Geschichte vom braven Kaspar), von M. Martell (der lahme Hans), Adelheid Reinbold (Irrwisch - Fritze) und Jmmermann (im Münchhausen) zu novellistischen Darstellungen benutzt worden. Allein Auerbach schuf dem Dorfroman einen ganz neuen Boden, indem er in unge- suchtestcr und bedeutsamster Weise das Leben des Volks, des Landvolks, mit dem der übrigen Stände in Beziehung zu setzen wußte und, uns mitten in die süddeutsche Baucrschaft hineinführend, die Stellung derselben in der politischen und socialen Entwicklung unserer Zeit als wirklicher Poet zur Anschauung brachte. Dies, wie auch die instinktmäßig sichere Nutzung und Hebung der im Volke ruhenden poetischen Schätze, ist keinem seiner Nachfolger und Nebenbuhler so gut gelungen wie ihm, wiewohl wir gerne anerkennen, daß uns A. Wcill aus dem Elsaß, W. O. von Horn (Oertel) aus den Rhein - und Maingegenden, I. F. Lentner aus Tyrol, Jozeph Rank aus dem Böhmerwald, G. Schirges und E. Hoefer, dessen Geschichten aus dem Volk (1852) wir besonders betonen möchten, auS Norddeutschland, Andere anderswoher Gemälde aus dem Volksleben gebracht haben, welche beweisen, welche Fülle von Gesundheit noch in unserem Volke lebt. Ein Meister in der Bauerncharaktcristik ist Jeremias Gotthclf (Bizius), der seine berner Dorfbilder mit niederländisch treuem und minutiösemPinsel gemalt, aber zu viel pfäfstsche Ochsengalle und reactionärcn Blcizucker unter die Farben gemischt hat. Die große Gunst, welche sich die Dorfgeschichtschreibung zu er- 206 Neuhochdeutsche Zeit. ringen wußte, ist uns ein Beweis, daß die demokratische Strömung unserer Zeit selbst in Kreisen, die ihr widerstreben, unwiderstehlich sich Bahn bricht. Ja, sie bricht sich Bahn. Der Salonsbeifall, welchen seit dem unseligen Ausgang der Bewegung von 1848 eine anachronistische Romantik gefunden, wird keinen Vernünftigen vom Gegentheil überzeugen. Gönnen wir den romantischen Fledermäusen ihr Bischen Schwirren in der reactionären Dämmerung, bevor ein neuer Tag kommt. Zur Romantik init ihrer patriotischen Färbung in der Befreiungskriegsperiode hatte zuerst wieder Emanuel Geibel (geb. 1815zuLübeck) zurückgegriffen (Gedichte >840) und sich dann mit einem gegen Hcrwcgh gerichteten Lied und mitscinenZcitstimmen(1841) gegen die demokratische Lyrik in directe Opposition gesetzt, die sich auch in seinen Juniusliedern (1847) fortspann, obgleich er ihre Aeußerungen nur als „ die menschliche Berechtigung der Poesie" gegenüber der Tendenzdichtung § angesehen wissen möchte. Wir sind übrigens weit entfernt, das harte Urtheil zu billigen, welches Geibel nur „gedankenlose Süßholzraspclei" zugestehen will, und halten sogar dafür, daß es mit seiner aristokrätelndcn Verachtung der „Menge", des „Pöbels" oder welche Ausdrücke für Volk ihm sonst belieben, nicht so ernst gemeint sei. Er besitzt drei Noten, altdeutsche Treue, altdeutsche Gottesfurcht) altdeutsche Minne, die er mit großer Ge- schicklichkeit abwechselnd zu greifen und in höchst musikalisch - melodischen ^ Tönen zu variiren versteht. Den Platz, an welchen er eigentlich gehört, den > Platz neben Schenkendorf nämlich, füllt er ganz ehrenhaft aus. Aber wahr ist, daß sich an den Ruhm, welchen sich Geibel an den Thcetischen der aristokratischen Societät erworben, ein Schweif von romantisch-gedankenlosen Süßholzrasplern angeleimt hat. Diese Revenants souqus'scher Narrethei setzten Dinger in die Welt, wie z. B. die Amaranth des Herrn Oscar von Redwitz eines ist. Wahrlich, die deutschen Frauen, für welche doch Göthc und Schiller auch gedichtet, sollten crröthcn über eine Unverschämtheit, welche es wagt, ihnen so ein mit dem Kleister der Frömmelei überzogenes Ding von Dreck und Zucker — denn das ist die Amaranth so gut wie Clauren's Mi- mili's und Liscllls — mit der zudringlichsten Prätention darzubieten. RudolsRodt hat in seinen Gedichten in allerlei Humoren (1852), wo überhaupt die litcrarischen Narrheiten der letzten Zeit gut persistirt werden, eine ergötzliche Kritik dieser redwitzisch-romantischen Schneiderpocsic geliefert. Angesichts solcher Jämmerlichkeit verdient die Schlachtenmalerei, welche H. Neuhochdeutsche Zeit. 207 Schcrcnberg in seinen preußischen Bataillcnstücken (Waterloo, Leuthen) entfaltete, verdient auch die sporenklirrende, von echtem Troubadoursgeist getragene Romantik des in trotzigster Jugendkrast (1847) weggerafften Grafen Moritz von Strachwitz (Gesammtausg. s. Gedichte 1850) alles Lob. Da ist doch Kraft und Saft, männliche Intention und plastisches Gestaltungsvermögen darin. Im klebrigen hat sich unsere Dichtung erst wieder zu fassen, zu sammeln und genau in der Zeit zu orientircn, bevor wieder, mit Göthe zu sprechen, wahrhaft „Menschcngeschickbestimmende" Leistungen von ihr zu erwarten sind. Das entschiedene, zu Fleisch und Blut gewordene Bewußtsein, daß „das Menschliche das Göttliche, das Endliche das Unendliche, ist die Quelle einer neuen Poesie und Kunst, die an Energie, Tiefe und Feuer alle bisherige übertreffen wird." Wir acccpiiren diese Prophezeiung des Philosophen und glauben in den köstlichen hafisischen Liedern von G. Fr. Daumer (Hafis, 184 6), welchen sich die Lieder des Mirza-Schaffy (1852) von Fr. Bodenstedt anschließen, Vorboten der Erfüllung solcher Verheißung begrüßen zu dürfen. Der Universalismus deutscher Poesie und Wissenschaft hat seine Aus- stralungen in die civilisirte Welt begonnen. Wie unsere Literatur mit wunderbarer Aneignungskraft alle weltliterarischen Elemente in sich aufgenommen, so wirkt sie nun ihrerseits mit kosmopolitischer Macht aus die Völker. Mögen es diese auch hochmüthig leugnen, wer den Erscheinungen des europäischen Geisteslebens auf den Grund zu sehen vermag, wird dennoch erkennen, daß die Entwicklung des deutschen jenes wesentlich mitbestimmt hat und daß sein geräuschloses, aber rastloses Wirken überall von Tag zu Tag bedeutender und erkennbarer hervortritt. Des Dankes können wir uns begeben, aber wir sind uns selbst die Anerkennung schuldig, daß unser Höchstes und Theuerstes, unsere Literatur, ihren Eroberungsgang durch die Welt siegreich angetreten hat und fortsetzt. Sie ist das Band, welches unsere Stammgcnossen in der Schweiz und in den Niederlanden noch immer beim Reiche, beim Reiche des deutschen Geistes, festhält, sie hat in Dänemark Baggesen's, Oehlcnschläger's, Hauch's und Anderstes Muse geweckt und genährt, wie in Schweden die Dichtung von Gcijer, Tegner, Atterbom und Stagnelius. Ohne das, was unsere Literatur im 18. und 19. Jahrhundert geworden, hätte Frankreich 208 Neuhochdeutsche Zeit. wohl nie einen Chateaubriand, Lamartine, Hugo und George Sand gesehen, Italien nie einen Leopardi, Manzoni und Niccolini, England nie einen Scott, Byron und Bulwer, Polen nie einen Mickicwicz, Garczynski und Krafinski, Rußland nie einen Lomonossoff, Kryloff, Puschkin, Lermontoffund Marlinskh, so wenig als Böhmen einen Schafarik und Palacky. Betrachtet euch die spanische und neugriechische Literatur, ihr werdet in Arriaza's und Martine; de la Rosa's, in Korais', Sutsos' und Rhangawis' Werken die Spuren der deutschen Classik und Romantik vorfinden. Schifft nach Amerika hinüber und ihr trefft diese Spuren in Brhant's, Longfellow's und Dana's Dichtungen. Unsere wissenschaftliche Forschung übt allwärtshin den tiefsten Einfluß. Wo immer ein bedeutendes Geschichtswerk erscheint, bezeugt es die Anwendung des deutschen Kriticismus, wo irgend ein kühner Gedanke emanzipationslustig gegen die mittelalterliche Tradition sich aufrichtet, weist er auf die deutsche Philosophie als auf seine Mutter zurück. Wahrlich, wir haben Ursache, vem deutschen Publicum zuzurufen: Halte dein Palladium fest! Wirkt es so nach außen, warum sollte es nicht auch nach innen wirken? Unsere Literatur hat einen reichen, viclbewcgtcn Entwicklungsgang hinter sich. Ihre Geschichte ist die des deutschen Geistes. Sie erhob sich durch die karolingisch-christliche Cultur aus dem Naturalismus teutonischer Barbarei, gelangte in der hohenstaufischen Zeit zur höchsten Blüthe der Romantik, eroberte im 16. Jahrhundert die religiöse Freiheit, gewann fich in unserer Klassik des 18. Jahrhunderts den Preis freier und humaner Kunst und Wissenschaft und strebt, nach Beseitigung der neuromantischen Episode, im 19. Jahrhundert dem Ziele des freien Staats, des Freistaats, mit Macht zu. Der Geist, den diese litcrarische Geschichte geboren und herangezogen, ist nichl wieder zu bannen oder einzuschläfern. Für jeden Rückschlag, den unser Vor- schreitcn erleidet, hat er einen Gegenstoß in Bereitschaft. Als in den TOger Jahren eine Reaction, welche selig entschlafene Streitfragen des Nonsens, wie die über die gemischten Ehen, wieder galvanisch belebte, ihrer Sache so sicher war, daß sie sogar Heiligenrockfetischmus aufführen zu dürfen glaubte, kamen der Deutschkatholicismus und die freien Gemeinden von Uhlich und Wislieenus, deren Wirkungen keineswegs „ spurlos verschollen sind." Die Jahre 1818 —49 sodann haben uns bei allem Unglück dennoch eine unent- rcißbare Errungenschaft hinterlassen, die Vernichtung der Illusion des Liberalismus. Die nächste Gegenwart freilich blickt trostlos trübe. Die öffent- ' liche Meinung ist unglaublich corrumpirt ober — confiscirt. Es ist wahr, Neuhochdeutsche Zeit. 209 erschreckend wahr, wenn Fcucrbach sagt: „ Schein ist das Wesen der Zeit, Schein unsere Politik, Schein unsere Sittlichkeit, Schein unsere Religion, Schein unsere Wissenschaft. Wer jetzt die Wahrheit spricht, der ist impertinent, ungesittet, wer ungesittet, unsittlich. Wahrheit ist unserer Zeit Un- sittlichkeit. Sittlich ist die taktlose Halbheit, aber unsittlich die ihrer selbst gewisse und sichere Ganzheit; sittlich der lüdcrliche Widerspruch, aber unsittlich die Strenge der Consequcnz; sittlich die Mittelmäßigkeit, weil sie mit Nichts fertig wird, nirgends aufden Grund kommt, aber unsittlich das Genie, weil es ausräumt, weil es seinen Gegenstand erschöpft — kurz sittlich ist nur die Lüge, weil sie das Uebel der Wahrheit oder, was jetzt eins ist, die Wahrheit des Uebels umgeht, verheimlicht. Rathlostgkeit im Kopfe, Thatlosigkeit im Herzen, Wahrheits- und Gesinnungs losigkeit, kurz Charakterlosigkeit ist daher jetzt die nothwendige Eigenschaft eines echten, rccommandabcln, koschcrn Gelehrten" — und Deutschen überhaupt, setzen wir hinzu. Es ließe sich eine Menge der schmerzlichsten Betrachtungen daran knüpfen, aber wir unterdrücken sie. Schreien doch die Thatsachen von allen Dächern, Thatsachen wie die, daß ein Conststorialrath es wagen darf, in einem Rcgierungsjournal, in offiziellen Artikeln den Menschenhandel, welchen deutsche Fürsten im vorigen Jahrhundert trieben, als die rechtmäßigste Sache von der Welt zu vertheidigen. Doch trotz Allcdem lassen wir uns nicht bange machen. Wir betrachten die Weltgeschichte nicht unter dem byronftchen Bilde der in ewigem Einerlei steigenden und zurückweichenden Flut und Ebbe des Meeres. Uns ist sie ein endloser Strom, der seine Wogen in zahllosen Krümmungen da- hinwalzt, in Krümmungen, die oft so stark und lang nach rückwärts biegen, daß der Strom selber zurückzurollen scheint. Die Gegenwart ist eine solche Krümmung. Aber der Strom der Zeit wird seine Wendung wieder nach vorwärts nehmen, weit er sie nach vorwärts nehmen muß. Nein, wir gehören nicht zu den Verzweifelnden. In der für ihn trostlosesten Situation des siebenjährigen Krieges sagte Friedrich der Große: „Mag ich untergehen, es wird der Freiheit Deutschlands und Europa's nie an Vertheidigern fehlen." Laßt uns hoffen, laßt uns unseren Glauben und unfcrc Liebe unseren Kindern als Saat der Zukunft fest in die jungen Herzen pflanzen, damit sie, unv wenn nicht sie, ihre Kinder und Kindeskindcr die thcorctifch vollzogene Befreiung in die Praxis des Lebens übertragen. 14 Druckfehler. Seite 18, Zeile 2 v. u. lies „Feinheit" statt „Freiheit." ,, 23, ,, 1 ». u. I. „G n o mik" st. „Chronik". ,, 18, ,, 12 ». o. l. „M cl auchthon" st. „Melanchton." „ k», „ 7 ». u. l. 1730 st. ,720. „ 64, „ 6». u. sind die Worte „anf unsere Literatur" zu streichen. „ 78, „ 6 v. o. l. „M end elssohn" st. „Mendelsohn". „ 83, „ 17 v. o. l. „gefordert" st. „gefördert." „ 126, ,, 16 ». o. l. „Fangt all spiel" st. „Fangspiel." „ 138, „ I»v. u. I. 1808 st. 1863. „ 161, „ I» v. u. l. „Aren t«schildt" st. „Arentschildt." „ 164, ,, 2 v. o. l. „Drohsen mit seinem Leben Adrk's und Pertz mit seinem Leben Stein'i haben sich" —st. „und Drohsen mit seinem Leben Steins haben stch." Register A. Abbt .... Abcilinus . . Abraham a Sancta Clara Ackermann . . Aoclung . . . Agricvla, Georg Agricola, Rudolf Alberus . . . Aleranderlicd, das Alcrts-Häring . Althaus . . . Alringer . . . Ammon . . . Auakrconnker, die Anvreä . . . Angelus Silesius Anbatt-Köthen, Ludwig i Annolied, das Anton . . . Apcl . . . Aichenbol; . Areittsschildt Arndr, Johann Arnbk, E. M. Arnim Arnold Auerbach . Auffeuberg Aucklärung. die Aufieß . Autenrieth Ayrer . . Baader Babo . Bach . ^acheracht F^gesen vahr . Bahrdt B. Tberese von Leite Seite Seite Balbe. Bolilen .... 160 Barken .... 4 Bohm. 45 75 Banbvld .... 162, 164 Bobmer .... 166 42 Basedow .... Bvhtltugk . . . 160 54 Bauer. B. . . . . 197 Boie ../... 89 106 Bauer, E. Boisscree . . . 165 1l5 Baumgarten. . . . 75 Boner. 23 4» Banr. . 169 Bopp. 160 32 Baurenfeld . . . Borne. 179 36 Bebel. Böttqer . . . . 154. 161 13 Bechstein .... 154, 156 Völliger . . . . 115, 163 156 Bcck. Bouterwek . . . 164 204 B-rk Karl . . . . Brachmann, Luise . 112 69 Becker. (Grammatiker) . 160 Brandts .... 164 120 Becker. (Historiker) . 163 Braniß .... 18» 66 Beethoven . . . . Braut. 37 49 Beil. Braunschweia, Ulrich von 53 36 Beiträge, die Bremer . . 62 61 50 Beuedix. Brentano . . . 137 12 Beneke. . 160 Bretschnelder . . 119 164 Beusen. Briefe, die der Dnnkelmän 143 Benzel-Stkrnau . . . 125 ner .... 33 115 Beowulf. Lied von 6 Brockes .... 58 161 Berlichtngen, Göh von . 42 Bronikowskv . . 156 Beruharbi, . . . . 130 Brnn, Friederike 112 142 Bernharby . . . . . 165 Bube. 154 138 Benholo von Augsburg . 25 Bnch, Leopold von 170 Beseler. Bucer .... 45 205 Besser. Buchhvli .... 53 Bettina. Büchner . . . 187 71 Biedermann . . . . Bullinger . . 45 Biester. Bülow . . . 157 170 B rch.Pf-iffer, Charlotte 112 Burdach .... 170 Bitten. Bürger . . Bischof. . 170 Burmeister . . i än Blasius. . 170 Buttniann . . . 115 Blau. Blumauer . . . 70 169 Blumendach . . . . C. 111 Biumenhagen . . . . 156 114 Boas . . . . . . Campe 77 188 Bobc. . 165 Canlsius . . 45 113 Bodenstedt . . . 161. 207 Canitz .... 57 165 61. 65 Caplio . . 45 75 Böckh. 115, 183 Carpzov .... 45 212 Register. Carriere .... Seite . 164 Carus. . 170 Castell, .... . 174 Celtes. . 32 Chalybäus . . . . 164 Sbamisso .... . 148 Chezv, Helmina von , 112 Chlabni .... . 170 Chvtowiecki . . . . 114 Chroniken . . . 24, 41 Clarus .... . 165 Claudius .... . 89 Clauren .... . 173 Clauswitz. . . - . 89 Clodius .... . 60 Closen .... . 89 Crllm, die Bruder . 143 Conversationslexlka . 167 Cvuz. . 43 . 89 Cram-r. I. A. . 62 Crcuzer . . . . . 169 Seile Einmel.42 Encyklopädien .... 167 Engel.67 Engelhartt.164 Enke.170 Ennemoser.171 Epigouenschaft, diederRo- inanrck .... 147 Erasmus von Rotterdam 32 Erdmann.164 Ermann ..170 Ernst, Geeicht vom Herzog . 12 Eschenmaver .... 128 Esendeck, Nees von . . 171 Esmarch.89 Ettmüller . . . 154,160 Euter.171 Ewald, (HainbünUer) . 89 Ewald, (Orientalist) . . 160 F. D. Dach.31 Dalilmann.163 Daub.169 Daumer .... 199, 207 David .41 Driften, die.73 Denaisius.49 Denis ..65 Devrient .166 De Wette.169 Dieffendach.170 Die;.161, 165 Dingelstedt.203 Dohrn .161 Donner.161 Dozen . 160 Droste-Hülshof, Annette von.155 Dropsen .... 161, 164 (vgl. das Druckfehlerverzeichniß) Duller .... 154, 156 Dünher.165 Dürer.43 Düringsfeld, Jda von . 188 Dürr.53 Dusch .59 E. Eberhard .75 Eben.62 Eben, K. E.154 Echtermever. 201 Eckart .... 25 Eckkof ^ 106 Edda die. g Edelmann . . ' 75 Edrenberg . . . ' ^ 170 Eicl'endorff . . 147 Eichhorn, J.G. . ^ 76 Eichhoin, K. S. ... 166 Ellendorf. 199 Missen. 161 Fahrende (Sänger) . . 3 Falk ....... 113 Fallmeraver .... 163 Feldmann.187 Ferrand.154 Feßler.70 Feuerbach. P. I. A. . . 117 Feuerbach, L. . . . 164, 198 Fichte, I. G.121 Fichte, I. H.164 Fiedler.161 Fi'chart.38 Fischer.164 Fleck.106 Flecke.16 Flemming .... 52 Flögel.164 Folien, die Bruder . . 143 Fol;.38 Fvnque.140 Förster.86 Förster, (Ueber-scher . . 161 Förster, (Kunsthistoriker) . 166 Fortlage.164 Frank. L>.41 Frank. J.P.118 Frankl ..154 Franz. Agnes .... 155 Frauenlob.23 Freidank.23 Freili'grath . . 161.193, 204 Frertag.187 Friedrich der Große . . 72 Friedrich von Hausen . . 21 Fries.82 Frlscl'liu.37 Fröhlich.154 G. Gabler.176 Gallomanie, die ... 57 Gans.167 Gärtner.62 Garve.75 Seite Gaudv ..140 Gaupp.166 Gaus.170 Gebe ...143 Geibel .206 Geiler von Kaisersberg . 32 Gellert.59 Gensbein .24 Gentz.145 Gerhard.3b Oerstacker.170 Gerstenberg.66 Gervinus .165 Gesenius.160 Geßner, Kvnrad ... 44 Geßuer, L-alomon . . 65 Gfrörer.164 Gieseler ...... 164 Glaßbrenner .... 204 Gleim .66 Gluck.114 Gtümer, Claire von . . 188 Gmeliu.170 Göcknigk.89 Goldfnß.170 Görres.143 Götbe.94 Götter.89 Gott'ried von Reifen . 21 Gottfried von Straßburg 15 Gottschall . . . 187. 204 Gottsched .60 Götz.66 Giäbbe.150 Graf.161 Grass.160 Gräye.164 Grärcr.160 Graun.1>4 Griepeukerl.187 Gnes. 161 Griesbach.119 Grillparzt'r.137 Grimm, die Bruder . . 160 Gnmmelshanien ... 53 Grobianlslnus, der . . 35 Grolmanu.117 Grübet.113 Grün.188 Gruvpe.154 Gropbius .52 Gutrun. die.20 Günther, I. Chr. ... 58 Günther, A.169- Gusek.156 Glltzkow.185 H. Hackert.114 Hacklander.188 Hagedorn . - - - . 58 Hagen. Gottfried ... 17 Hagen, K.164 Hagen, von der .... 160 Hagenbach.164 Hahn, I. F.89 Hahn. Bb. L.93 Halm-Hahn. Jda von . 188 Hainbund, der ... . 89 Register. 213 Seite Seite Seite Halbleiter .27 Hcyne.77 Kant.80 Halem .112 Heyse.16» Kantzow.41 Haiirsch . .... 154 Hstoebrand, Lied von . . 6 Kapper.18, Halter, A. v.58 Hillebrand.165 Karl der Große ... 7 Halter. K. L. v. ... 145 Hilscher.161 Karsch, Anna Luise . . 112 Halm.140 Hinket.11b Kästner.zg Haltaus.180 Hippel .7V Kaufmann.181 Hamann.81 Hirt.165 Kaufmann. Angelika . . 114 Hammer-Purgflall . . 18» Hirzel.75 Keller .. Händel.114 Hoefer. A.161 K-ppler.44 Hanke. Henriette . . . 112 Hoefer, E.205 Kerner.. Hanswurstkomödie, die . 6» HoffmannvonHoffmanns- Khcvenhiller .... 58 Hardenberg, s. Novalis. malvau .... 52 Kielmeyer.117 Häring, s. Aleyis. Hoffniann. E. Tb. A. . . 139 Kiefer .171 Harten.16» Hoffmann von.Fallersle- Kinkel .... 188. 204 Harms.18» den.203 Kirchenlied, das ... 36 Harsdörfer.52 Hoffniann, H. 204 Kiai.52 Hartmann von der Aue . 14 Hvffmkister.165 Kiaproth .115 Harimann, W.2V4 Höfische Kunst .... 11 Klein .187 Harlmod. 7 Höfische Sagenkreise . . 12 Kleist, E. Chr. v. . . . 66 Hase.164 Holdem.41 Kicist, H. v.141 Hauff.156 Hölderlin .ll» Ktcmm.184 Hanvt .16» Holle» .,41 Kiencke.188 Haupt, und Staatsactionen 6» Hölty.90 Kling-mann .... 145 Häuffer.162 Hontlieii» .>18 Klingec.93 Haydn.114 Horinavr .162 Ktoeden.17» H-bbel .187 Horn, Ar.15» Klöntiup.8» Hebel.115 Horn, II.154 Klopstock.62 Heeren.76 Horn, W. O. v. ... 2Ü5 Kiosterschulen, die . . . 7 H-ffker.166 Horneck, O. v.17 Klüd-r.186 Hegel.176 Hotbo .176 Knapp .153 H-gel'sche Schule ... 179 Houwald.157 Knebel.113 Hegewisch.115 Hraban Maurus ... 7 Knigge.7» Hegner.125 Hrosuitd. 9 Kochest.114 Heilmann.75 Hubcr.158 Koberstein.185 Heimburg, Gregor von . 35 Hufelanb.118 Koch, (Literarhistoriker) . 165 Heine.181 Hlig.119 Koch, iReiseschriststester) 17» Heinrich von Freiderg . 16 Hnqo.117 Kohl.17» Heinrich der Glicheser . 12 Hüllmann.164 Komödiantenbanden, die 6» Heinrich von Morungen . 21 Humanisten, die ... 52 König, u. v.57 Heinrich von Nördlmgen 2» Humboldt. W. v. . . . 115 König. H.156 Heinrich von N-ldeke . . 15 Humboldt, A. v. . . . 171 Konrad. der Pfaff . . 12 Hcinrvth.170 Hünen .33 Konrad von Würzbnig . 16 He'nse .7» Hntter .45 Konisch.154 Heintze.161 Kovv.162 Heinzen.201 » Körner.142 Heise.181 Kortüm.111 H-ld-nbuch, das große . 19 Jacobs.115 Kosegarlcn.1>3 Heldenbuch, das kleine . 20 Jabn.14, Küster. 1.41 Heiland, der . . - , 8 Jahrbücher, die Haitischen 20t Küster, H.187 Heller .156 Jakobi, I. G.66 Köstlin.188 Hclmbold.56 Jakobi, Fr.H.82 Kotzebue.111 Helwig, Amalie von . . 112 Jakob».201 Krastgenialltät, die .' . 84 Hengstenberg .... 169 Jean Paul, s. Richter. Krause.128 Henke . ..12» Jerusalem.75 Kretschmann .... 65 Henle.17» Jffland.111 Krug.82 Henne. 154, 162 Illuminatenorden, der 75, 118 Krummacher , ... 189 Hennings.178 Jmmermann .... 149 Kuqler .... 154 , 168 Herbert von Fritzlar . 13 Jonas .56 Kutinann, Elisabeth . . 155 Herder.86 Jvrdens.165 Knnharr von Stoffel . . 16 Hermann von! Busche . 32 JornandeS. 5 Kurlänber.111 Hermann Eontractlis . 9 Joseph II.73 Hermann, N.38 Jung-Stilling , , 84, 205 Hermann, G.115 Lachmann.18» Hermes, I. Th. ... 7» K. Lafontaine ... .111 Hermes, G.119 «amtiert von Aschaffenburg 9 Herwegh. 203 Kaiserchronlk, die . . . 12 Lamprecht, der Pfaff . . 13 Aeß.52 Kalender, die ersten . , 42 Langbein.111 Heyden, A. F. v, ... 154 Kannegießer .... 161 Lange.169 214 Register. Seile -seile Seite Lappe . Opik, M. . 51 Lappenberg . . . . 183 Moin-gesang, der . . 21 O,»tz, Th. Laßderg . . . . QrUch . . 170 Lassen , . . . . 170 Ots'rid. 8 Lande. 156, 185 Mitlermaicr . . . 166 Oltenheimer, Henriette . 155 Saun. . 169 Ollo von Freisingen . 9 Lauremberg . . , . 161 Lavaier . . . . 8S, 8ä Mone .... . 160 Lelbnih . . . . . 153 P. Lcisemitz . . . . . 70 Lenan . . . . . . 190 Moicherosch . . . 53 Paalzow, August- von . 156 Lentner . . . . . 154 Pahl. Lenz. Paoii, Beny . . . . 155 Leo . . 75 ParacelsuS . . . . Levnhard . . . . . 170 Mös-r .... . 75 Pastavant . . . . Lepel . . 75 Paulus. Leßmann . . . . 114 P-rtz. Lcsstnq, G. E. . . . 77 Mügge .... . 156 Peiialozz, . . , . Leising, Ä, Fr, . . . 173 Müller. Adam . . i3v, 166 PererS . Lewald, Fanny . . 188 Müller. Z. G. . . . 7V Peurbach . . . . . 43 Lichienberg . . . . . 85 Müller, Friedrich . . 92 Pstrst. . 170 Lichtenftein . . . . 115 . 154 Lichtwer . , . . 163, 165 Pl-'ff-l. . 58 Liediq. 170, 171 Müller, Wilhelm . . 148 Ps-iff-r. Link .... . 154 Pfinzing. . 17 Liscow . . . . 170 Psistec .... List .... . 188 Pfitz-r. 153. 161 Littrow . . . Pichler, Karoline . . . 112 Lolnvasser . . 165. 185 Pietismus, der . . . 56 LoebeU. . . . . 42 Pirkheuner . . . Logau . . . . 37 Planck .... . 76 Lohenstein . . . 70 Platen .... . 174 Lvwig . . . . 62 Ploennies, Luise von 155. 161 Luden . . . . 26 Poiiß. . 163 Luther . . , Poffelt .... . 116 Pottreuter, die . . 42 M. Mädler.170 Mahlmann.113 Manso.IIS Manuel.39 Marezoll .129 Marggraff.187 Marheineke.109 Warner.23 Martcll.20S Uiartius.170 Maßmann . . . 143, 160 Matlhisson.113 Matzeralh.1S4 Maulner .... 204 Maximilian 1.17 Mayer.1S3 Meier .161 Meißner. A. G. ... 70 Meißner, Alfred . . . 20i Meistergesang, der . . 23 Melanchlho» .... 4ä Mencken.zz AlengS ^ . 114 Alendelssohn . . 7 z Sll-nz-l, K. A.inz svl-nzel, W. . . . igz, IM Merck.. Aiereau, Sophie . . . uz Meyern.ILS Michael!», I. B. . . . 68 Michaeli», I. D. . . . ng Michelet.184 N. Narrenhistorien Nalhusius Naudert. Benedicte Bauwerk. . . Neander . . . Neuveck . . . Neuster . . . Neumann, W. . Neumann, K. Fr. Neuwieo, Prinz von Nibelungenlied, daS Nlbelungenstrophe, Vi Nicolai . . Mebuhr . . Niedner . . Niemeyer Nikolay, Ph. 4lckolay, H. v. Nttharl . . Nvlker . . Novalis . . Nvvellistik, die soziale Novelllstik, dle Lörstlche O. Oberg, Eilhart von Oehlemchläger . . OikolainpabiuS Oken. Olbers . . . . 41 154 112 20t 164 113 61 113 130 160 170 19 11 74 11 « 164 120 36 60 22 7 129 188 205 14 140 45 128 170 Prcup . . Prvhle Prutz . . . Puchia. Puckler - Muskau . . Pnfcneors .... Puncralivn, die Emser Pultmann .... Pyrkec. R. 164 . . 188 165, 203 . . 167 . . 157 . . 56 119 204 Rabener .... Machet .... Nabel (Levini . . Naimuno . . . Rainler .... Rank. Nanke .... Nanvnalismus, der Naumer .... Naupach .... Nealis de Vicnna . Net'bun .... Necke, E. v. d. . . Ncvwltz . . . . Neformation, die . Negenvogen . . Negiomvntanus Negis .... Nelstues .... Neit. Reimarus . . . Neurbolv, Adelheid 143 59 52 145 143 66 205 162 74 162 143 72 39 112 206 30 23 43 161 156 118 75 205 Register. 215 Seite Rnneke Vos, der ... 37 Reinhard .12V Reinhold, V.164 Reinhold, K. L. ... 8V Remick.184 Reinmar von Zweier . . 23 Reißner.41 Relationen, die ... . 42 Rcllstab.158 Reiewitz ...... 77 ReuchUn .32 Rbote .^69 Richter (Jean Paul) . . 122 Ringwalbt.36 Rinne .165 Rist.36 Ritter, H.164 Ritter. K.17V Rvchbolz.154 Rochow.77 Rodt.2V6 Roepett. 163 Rogge .154 Rohr.119 Rolandslied. das . . . 12 Rollcnhagen .... 37 Rollert.204 Roman, der historische . 155 Romantische Schule, die 126 Rommel .162 Rosendlüt.38 Rosenkranz . . . 165,176 Rc>tb.170 Rotteck.163 Rückert.157 Rudolf von Ems ... 16 Rüge.201 Rumohr.156 Rnolher. Gedicht vorn König 12 Rüppell.170 Ruch.165 Rürncr.41 Ruysbroek.25 Sachs . . . Sachsenspiegel, der Sagenkreise, die Satter Salis Sallet Salzmann Samund . Sanders . Sän Marte Saphir . Sartorius Savignh . Scavöla . Schach Schäfer . Schere Schefer . ScheUing Schelver . Schenk Schenkendorf Scherenberg . 39 25 5 119 113 202 77 6 161 160 174 115 166 188 165 163 Sch^rnbergk Scbertlin. Schiller . Schilling Schimper Schrrges . Scklcgcl, I. E. Schlegel, I. 2l. Schlegel, 2l. W. Schlegel, Fr. Schleiden . . Schleiermacher . Schlenkert Schioßderger Schlosser Schlözer . Schund, K. A. Schmidt, M. I. Schmidt . Schnaase Schnabel Schneller Scbnetzler Sä'ött . Scholz Schönaich Schönlein . . Schoppe, Amalia . . Schoppenhauer, Johanna Schern SctnöSH . Schröder . Schröter . Scbubart Schubert Schücking Schüler Schutts Schulz Schulze Schupp Schwab .... Schwabenspiegrl, der Schwarrenberg Schwegter Schweinichen Seaisfield Seidl . . Semler . Seume Sigwart Simon Simrock . Sleidan . Smets . Solger Sömmering Sonnenberg Sonnenfcls Spaltung Svee . . Spener . Spengler Spieß Spindler Spittler . Sprache, die deutsche Svrachgesrttschaften, die Spretten 159 126 128 154 142 . 207 Slägemann.174 Seite 39 42 101 1L1 154 205 62 62 130 130 171 168 111 170 116 76 62 115 163 166 54 163 154 165 119 60 170 112 112 165 76 111 170 66 128 154, 156 66 154 75 140 54 153 25 45 164 42 194 153, 161 154 75 86 164 201 154 41 154 128 118 66 73 75 36 56 36 111 156 76 4 50 36 2V Seite Stahl.166 Stahr .... 156, 170, 2V! Stattn.162 Starklof.188 Steffens.i2-< Stein ..187 Steitthowel.17 Skenzel . . . . ! ^ 1«z Stcruberg. K. v. . . . uz Sternberg, A. v. . . . 188 Steilen.. Stieglitz.^ 154 Stifter.188 Siöber.154 Stolberg. die Brüder . S1 Stell.1i8 Stolterfoth.155 Stratdwitz.207 Strauß, B.154 Strauß, D. Fr, , , , 195 Streckfuß , ^. . . . 181 Stricker, der .... 17 Struve.178 Stuhr ...... 18S Sturm. u. Drangperlode, die.84 Sturz.75 Stutz.114 Suizer.78 Suso.25 T. Talvj.181, 185 Tanner.154 Tarnow, Fanny . . . 112 Tauler.25 Tbibaut. IKK Ülmrsch .... 115, 185 Thietmar von Merseburq 9 Tboiuck. .189 Thomas», von Aerclar . 23 Tbomasius.55 Thümmel.78 Deck.134 D'edae.413 Tobler.154 Töllner.75 Törring.111 Treizsauerwein ... 17 Trimberg.23 Tromlitz.158 Trorlcr.128 Tsckiabnschnigg .... 154 Lläiudi.41 Turnmayer . 41 Twingcr von Königshöfen 24 u. llechtritz . . . Uhland . . . ' vlfilas .... Ullrich .... Ulrich von Lichtenstcin Ulrich von Turheim U'rici ..... Usteri. Uz. 156, 166 . 151 4 . 204 . 22 . 16 . 165 . 65 . 66 216 Register, Seite Seite Seite V Waitz.166 Willkomm. E.188 ' Walafrid. 7 Wimofeling.82 Vaihinger.161 Walch .164 Wiuckelmann .... 76 Valentin.17V Waldau ...... 188 Winkisännann .... 169 Ban der Beide .... 156 Waldis.37 Wmsbecke und Winsbeckin 23 Barnhagen.163 Walesrode.2Vi Wirnt von Grafenberg . 16 Barke.176 -Walther, der. v. Aquimnien 6 Winh .162 Belthen ....... 60 Walthervon der Vogelweide 22 Witte.161 Benedey ...... 170 Warnefrid. 3 Witukind von Corvey . 9 Vilmar.165 Weber, B.27 Wühler.170 Bischer.201 Weber, G.163 Wolf. Chr.55 Bog!.134 Weber, (Physiker) . . 170 Wolf. Fr. A.114 Bogt.171 Wechherlin.49 Wolfram von Eschenbach 14 Boigt. 162,164 Weerth. 204 Wolttnann.116 Volksbücher, die deutschen 40 Wegscheider.1iS Wünemberg, A. v. . . 153 Volkslied, das ... . 27 Wehrs.89 Wuttke.162 Bo-ksmäßig - nationale Epik 18 Weigcl.45 Wyle. Nik. v.17 Bölusva, die ... . 7 Weil.161, 163 Boß, I. H.90 Weilt.205 Bulpius.111 Weiße .77 Weißenthurn .... 112 Sacharin. I. W. ... 59 Weisfloq.139 Zacharm, K. S. ... 117 88. Weisbauvt . . . . 73 Zaürow.42 Welcker, F. G. . . 115, 165 Zazickoven.14 Waagen.165 Welcher, K. Th. . . . 167 Zedlch.154. 161 Wachter .... 164, 165 Werder, Dietrich von dem 50 Zeitung, die rheinische . 20l Wachsmann .... 156 Werner, A. G. ... 118 Zeitungen, erste ... 42 Wachsmuth .... 164 Werner. Z.137 Zelter.164 Wächter (Beit Weber) . 111 Wessel.32 Zesen ...... - 52 Wächter, E. G. ... 166 Wtssenberg.164 Zeune ....... 160 Wackenroder .... 134 Wezel..' . 70 Ziegier.53 Wackernagel . . 154, 165 Wieland.67 Zimmermann, I. G. . . 75 Wagner, Leopold ... 93 Wienbarg.185 Zimmermann, W. . . 133 Wagner, Ernst .... 123 Wiganb.166 Zinkgcef.4l Wagner, 1.1.128 Wilda .166 Zmrenkorf.36 Wagner, Rudolf . . . 171 Wilken.162 Z'chokke .... 112 162 Wagner, Richard . . . 187 Williram. 7 Zwmgli.34, 36 WaibUnger.133 Willkomm. M. . . . 170 Druck von Otto Wigand in Leipzig. Johann Friedrich Murnenbach geb. den 11. Mai 1782 zu Gotha, gest. den 22. Jan. 181Ü zu Göttingen. ? M'O ^ M- Ludwig Borne -GW>- geb. den 22. Mai 1786 zu Frankfurt a> M., gest. den 12. Febr. 1837 zu Paris. Gottfried August Bürger -E88W- geb. den 1. Jan. 1748 zu WolmerSwende, gest. den «. Juni 17g» zu Göttingen. A-albert von Chamiffo -W8>- geb. den 27. Januar 1781 auf dem Schlüsse Bvncaurt in der Champagne, gest. den 21. August 1888 zu Berlin. Paul Johann Anselm v. Feuerbach geb. am 14. Nov. 1778 zu Jena, gest, den 2S, Mai 1888 zu Frankfurt a, M, Ludwig Feuerbach -GLW- geb. den 28 . Juli 1804 zu Landshut. --E8M>- Johann Gottlieb Fichte -SlLW- geb. den 19. Mai 1762 zu Nammenau, gest. den 28. Januar 1814 zu Berlin. Georg Gottfried Gervinus geb. den 20. Mai ISÜ 5 zu Dannstadt. Johann tvolsgang von Göthe -WW- geb. den SS. August 17iS zu Frankfurt a. M-, gest. den 22. März I8S2 zu Weimar. !Ur Jacob Ludwig Karl Grimm —GW— geb. den 4. Januar 1785 zu Hanau. Anastasius Grün geb. den 11. April I80S zu Laibach. Wilhelm Karl Grimm geb. dcn 24. Februar 1786 zu Hauau. — G8W- Joseph Freiherr o. Hammer-Purgstall -TW>- geb. im Jahr 1774 zu Gratz. E-N8 Georg tvilhelm Friedrich Hegel geb, den L7. August 177V zu Stuttgart, gest. den 14. Ndv. 18LI zu Berlin. -GM- x ZxM-' ,.T ^ .V Johann Gottfried von Herder geb. den 25. August 1741 zu Morungen, gest. den 18. Dcc. 18ÜZ zu Weimar. UM' Heinrich August Hofsmann von Falters leben — GM — qeb. den 2. April 1798 zn Fallersleben !S«W ^xi»«M«r?^> Karl tvilhelm v. Humboldt geb. den 22. Juni 1767 zu Potsdam, gest. den S. April 18ZS zu Tegel bei Berlin. --Ä8W Friedrich Heinrich Alexander v. Humboldt geb. den 14. Sept. 1769 zu Berlin. Ulrich von Hütten . geb. den 20. April 1488 auf seinem Familienschloffc Siackclderg, gest. den 31. 'August 1523 ;u Ilfnau. einer kleinen Insel im Züricher See. Imrnanuel Kant geb. den 22. April 1724 zu Königsberg, gest. den 12. Febr. 1804 zu Königsberg.. KUH» ' - K>K ^ MM. LMÄÄV Johann Kepler ged. den 27. Der. 1571 zu Magstadt, einem Dörfchen bei der schwäbischen Reichsstadt Weil, gest. den IS. Nov. IKZv. » Johann Gottfried Kinket geb. den 11. August ISIS zu Oberkasse!. ckM tV^> Friedrich Gottlieb Mopstock geb. den L. Juli 1724 zu Quedlinburg, gest. den 14. März 18VZ zu Hamburg. --E8>- Nicolaus Kopernikus -S888D- geb. den 19. Febr. 1173 zu Thorn, gest. den 21. Mai 1513 zu Frauenburg. ?! ! / ^ M»., ^ »>»- » Gottfried Wilhelm von Eeibnitz --GM-- >zcl>. dc» 3. Juli Ik>i« zu Leipzig, >zcst, kcu li. Rvv. 171« zu Huuuovn-, Nikolaus Lenau (Nieml'sch von Strehlenau) -GWW>- geb. den 1L. August 18Ü2 zu Csadad in Ungarn, gest. den 22. Augnst ISS« z» Dvbling bei Wien. MU M - . O Gotthol- Ephraim Lefsing -Z8W>-- geb. den 22. Januar !72S zu Aamenz, gest. den 1S. Februar 1781 zu Braunschweig. KMISWi ' Mk .M^ . ' . -? MG Georg Christoph Lichtenberg -GM- geb. den I. Juli 1742 zu Obcrramstädt bei Darmstadt, gest. den 21. Febr. 17SS zu Göttingen. 7 ^ Martin Luther -MW- geh. den Iv. Nv». 1483 zu kisleben, gest. den 18 . Febr. 1S4K zu Eislcben. - Johannes von Müller geb. den 3. Januar 1752 zu Schaffbausen, gest. den 29. Mai 1809 zu Kassel. ^ ..W. Johann Heinrich Pestalozzi -SW- geb. den 12. Januar 1746 zu Zürich, gest. den 17. Februar 1827 zu Brugg im Aargau. -T88V- ^ -il August Graf v. Plalen geb. den 21. Oct. 1796 zu AnSbach. gest. den 5. Dec. 1886 zu Shrakus. l Nahel Antonie Fric-erike llarnhagen von geb. den I. Pfingftfeiertag 1771 zu Berlin, gest. den 7. März 1833 zu Berlin. Jean Paul Friedrich Richter - geb. den 21. März 178Z zu Wunstedel, gest. den 1t. Nd». 1S2S zu Buireuth. Karl Ritter geb. den 7. August 1779 zu Quedlinburg. Friedrich Nüekert geb. den tk. Mai 17SS zu Schweinsurt. ZWM Friedrich von Sallet -TW>- geb. den 2V. April 1812 zu, Neiße, gest. den 21. Fcbr. 1813 in Reichau. Hans Sachs geb. den S. Nov. t49i zu Nürnberg, gest. den 2S. Januar 1S7« zu-Nürnberg. Lohann Christoph Friedrich von Schiller -GLW- geb. den 11. Nov. I7SS zu Marbach, gest. den s. Mai 180S zu Weimar. ^ ^ F>MWA .,7 - rttür fk-rEM DsMrH- Wilhelm Joseph von Schelling -ZWN- geb. den 27. Januar 1775 zu Leonberg. L ET Friedrich Christoph Schlosser -G88Z>- geb. den 17. N°v. 177S zu Jeder. Friedrich Ernst Daniel Schieiermacher -ÄW>—- geb. den 21. Nov. 1768 zu BreSlav, gest. den 12. Febr. 1864 zu Berlin. AV albert Stifter geb. de» 23. Ottubcr I8VK zu Ol'crplan in Bühimn. ' -- ^ M» Johann Gabriel SeiÄl gcd. den 20. Juni I8vt zu Wien. Ludwig Ticrk geb. den 31. Mni 1773 zu Berlin. ^ L Johann Ludwig Uhland —Z88W- geb. den 28. April 1787 zu Tübingen. Johann Heinrich -MW— geb. den Lö. Fcdr. 17Z1 zu SommerSdorf in Mecklenburg, gest. den 2S. Mlärz 18LK zu Heidelberg. Christoph Martin tvielan- geb. am S. Sept. 1788 zu Oberholzheim, gest. am 20. Januar 1818 zu Weimar. Johann Joachim tvinckelmann ->8W>- gell. den s. Dec. 1717 zu Stcndal, gemordet den 8. Juni 17K8 zu Trieft. Heinrich Zschoche geb. den 22. März 1771 zu Magdeburg, gest. den 27. Juni 1818 zu Aarau. >'L""-