polt. Noman von Alfred Meißner. mi8 llem l!eu!!c!>eu ^I'eiu!illn!ellle!.'ell Erster Band. j.orwe»sttiu'schr vorlagshaildlnng. N-^r-- ALMr ^ ^ -HM , MMfÄ M-d k^7. Feindliche Pole. Noman lM8 lleul jllein!!anien!Ä'en Alfred Meißner. Zwei Bände. H- B erlitt, L'oemeilstern'sche verlagshandluilg. Hrsthr Dilnä. ^Fs war an einem Herbstabend des Jahres 1867. Die Sonne ging eben unter, ihre Nosenfarbe hing noch an den Wolken. Weithin dehnte sich eine Landschaft, in welcher hohe, einzelnstehende Banmgruppen die Gleichförmigkeit der Wiesen und Felder unterbrachen. Hie und dort standen einzelne Bauernhäuser von frucht- belasteten Obstbäumen eingefaßt, wo sie enger zu einem Dörfchen zusammenrückten, blickte ein einfacher Kirchthurm über die ziegelrothen Dächer. Ganz in der Ferne blinkten kleine Teiche und spiegelten die Föhrenwaldung, die sich an eine Hügelkette hinanzog. Zwei Männer erschienen an der Wendung eines Feldweges und wandelten die Straße dahin, die an den äußeren Häusern des Dörfchens vorüberführte. Ihr Ziel schien ein mäßig gro- 6 ßes, alterthümliches Haus, jedenfalls ein alter Edelsitz, der etwas abseits auf einer kleinen Anhöhe stand. Der eine dieser Männer war ein Herr in der Mitte der Fünfzig, von gedrängter Statur und mittlerer Größe. Sein stark markirtes Gesicht trug eine kräftige Farbe der Gesundheit, fester Wille und ernste Freundlichkeit waren darin ausgeprägt. Auf seine Toilette schien er wenig Sorgfalt zu verwenden. Ein schwarzer Filz saß auf dem ergrauenden kurzgeschorenen Kopfe, eine graue Joppe auf den breiten Schultern, das Beinkleid stak in Stiefeln, die bis an die Kniee hinaufgingen. Es war Herr v. Gerditz, der Besitzer jenes alterthümlichen Hauses und wie dieses selbst mit der Gegend verwachsen. Sein Begleiter, der, mit nachdenklicher Miene oft stehen bleibend, hinter ihm herschlenderte, war anderer und nicht so leicht zu deutender Art. Es war ein schöner, schlanker, hochaufgeschossener Mann, etwas jünger als Gerditz. Er hatte einen schöngeschnittenen, geistvollen Kopf und 7 ein feines Gesicht, auf dem das Leben der Lei denschaften allerlei wunderliche Linien gezeichnet Haar und Bart waren von der Zeit noch nicht gestreift, vielmehr voll und braun, die Augen schienen wohlerfahren in den Seelen der Menschen zu lesen. Seine Kleidung war, das kleine Jägerhütchen abgerechnet, eine fast städtische. Die Häuser, jedes mit seinem Gärtchen davor, standen am warmen Herbstabend alle offen, kräftige Bursche, Greise, Mädchen mit blonden Haaren saßen und standen vor den Thüren. Alles grüßte, die alten Leute hoben das Käpp- chen. Gerditz erwiderte die Grüße mit freundlicher Hand, sein Begleiter lüftete nachlässig den Hut. „Brave Leute, mit denen ich ganz gut auskomme," sagte Herr von Gerditz. „In der Mehrzahl wackere, tüchtige Arbeiter. Wortkarg, aber empfänglich für jedes freundliche Wort, scheinbar unbeweglich, aber doch dem Fortschritte nicht abhold. Ich meine, auch Du wirst Dich unter ihnen bald wohl fühlen .... Wie hat sich doch," fuhr er nach einer Weile fort, „die 8 Welt nach dem Sturm vom vorigen Jahre beruhigt! Vor einem Jahre die Mobilmachung, monatelange Sorge, endlich der Krieg! Jetzt hat Alles seine Arbeit wieder aufgenommen, als wäre nichts gewesen. Alles geht wieder seinen ruhigen Gang — mir ist's oft wie ein Traum, daß wir Krieg gehabt." „Nicht der Krieg, die Friedenspause ist der Traum," sagte der Andere. „Nur zu Kalo wird es wieder heißen: Heraus! Die Muskete auf die Schulter! Den glücklichen Sieger läßt der Erfolg nicht ruhen. Krieg wird wieder Anlaß zum Kriege. Und hat der erste Schritt zur sogenannten Einheit soviel Opfer gekostet, wie wird es bei den weiteren gehen? .... Wir treiben zum Verfall, zum Ruin," setzte er kaum vernehmbar hinzu. „Da siehst Du wirklich düster, Vetter," erwiderte Gerditz. „Krisen, wie wir sie überstanden, macht man nur einmal durch, dann hält man fest, was man durch sie errungen. Kriege sind Gewitter. Vorher drückende Schwüle, Hitze, dann Wetterschläge, die allerdings locale Ver- Wüstung mit sich führen, zuletzt Erfrischung. Ich denke eigentlich gar nicht so schlecht von den Kriegen! Wie viel Großes und Schönes lassen sie sehen: Hingebung für einen großen Zweck, Liebe zu Weib und Kind, Liebe fürs Vaterland. Die Vereinzelung, das „Jeder für. sich" hört aus, Tausende fühlen sich als eine große Einheit." „Um desto heftiger gegen den andern Slawin csorganismus los zu rennen, der sich auch als solche fühlt." „Mag sein, die Geschichte kommt doch dabei vorwärts. Soll ich in wenig Worten meine Theorie vom Wesen des Krieges entwickeln? Sie ist diese: Die Nationen sind nicht mehr willenlose Werkzeuge in einer Hand, die Kriege werden von der Nothwendigkeit der Dinge selbst dictirt. Leben ist Entwickelungsprozeß; das Alte, Ueberlebte kann nicht erhalten bleiben; das Neue, Bessere fordert sein Recht. Es ist eine friedliche Usurpation. Wer erklärt nun den Krieg? Die im Culturwettstreit Ueberholten, die sich geschädigt, an die Wand gedrückt, aus ihrer Stellung geworfen fühlen, die erklären ihn. 10 Sie werden durch die neue, gesundere, intelligentere Kraft mit ihren Ansprüchen zurückgewiesen, und was ist das Facit? Der höheren Cultur ist der Sieg geblieben." „Welche utopistische Weltanschauung!" rief der Jüngere mit Heftigkeit. „Welcher Optimismus oder vielmehr: welcher Mangel an Geschichts- kenntniß! Die im Culturwettstreit Ueberholten wären es, die den Krieg erklären? Je feiner, entwickelter, begabter, cultivirter ein Volk, desto unkriegerischer. Barbaren sehnen sich aus ihrer Steppe auf bessere Weide und brechen ins Nömer- reich. Nicht Abel, Kam erhebt den mörderischen Knüttel —" Die Rede wurde ihm abgeschnitten. Vom alterthümlichen Hause, das eben in Sicht gekommen war, sprengten zwei mächtige Hunde heran und begrüßten ihren Herrn mit lautem Gebell. Es blieb nichts übrig, als die Debatte zu vertagen. Das Haus, vor dem die Beiden standen, war zweistöckig; ohne besonderen architektonischen Reiz, machte es doch einen guten Eindruck; das 11 — hohe Giebeldach, seitwärts der runde, alte Thurm, die uralten, mächtigen Bäume zu beiden Seiten gaben ihm Charakter. „Im Thurmzimmer ist es schon hell, meine Frau erwartet uns!" sagte Gerditz und eilte vorwärts. Sie schritten durch eine kurze Allee von alten Bäumen und traten durch das mit wilder Rebe umrankte Thor in einen weiten, offenen Flur. Über eine alte, breite Steintreppe gelangte man wieder in ein geräumiges Vorhaus. Es war ganz umstellt von alten, schwarzbraunen Schränken, Ungethümen, die eine Generation der andern überliefert, jeder derselben groß genug, eine ganze Aussteuer zu fassen. Eine Lampe, die von der Decke herabhing, beleuchtete dazwischen eine ganze Reihe gemalter, alterge- schwärzter Tafeln, Familienporträts von Herren in Allonge- und Stutzperrücken, Frauen in teller- ähnlichen Halskrausen und starren Gewändern. Herr v. Gerditz öffnete eine in schräger Wand befindliche Thüre, es war die des Thurmzimmers. Ein kleines, aber wundernettes rundes 12 Gelaß zeigte sich. Es war ganz mit Holz getäfelt und mit zierlichen Nehkronen decorirt. An dein runden Mitteltische, der zum Abendessen gedeckt war, stand ein großer silberner Armleuchter und stellte das alte Silberzeug, das schöne Service ins beste Licht. Die Herrin des Hauses, nur um wenige Jahre junger als ihr Gemahl, in einfacher schwarzer, aber sorgfältiger Toilette und einem Spitzenhäubchen, unter dem kluge Augen und ein freundliches Gesicht, von dünnen Löckchen umrahmt, hervorsahen, erhob sich aus einem Lehnstuhl am Fenster, wo sie bei einer Lampe gelesen, und begrüßte die Herein- tretenden herzlich. „Ich erwarte Sie schon eine ganze Weile, lieber Vetter," sagte sie. „Mein Mann hat Sie gewiß über Gebühr weit herumgeführt und Ihnen keine Einzelnheit seiner ökonomischen Wirksamkeit geschenkt." „Wir haben uns," war die Antwort, „Stall und Scheune, Keller und Speicher, Wiesen und Weiher gründlich angesehen und dabei allerlei ernsthafte Gespräche geführt." 13 Ein Diener in brauner Livree war indeß eingetreten und stellte eine höchst einladend duftende Platte auf den Tisch. „So hab ich's gern," sagte Herr v. Gerditz, „mit dem Eintreten in das Speisezimmer muß auch der Braten schon dastehen." „Sie werden," sagte seine Frau, „bei uus mit deutscher Hausmannskost vorlieb nehmen müssen. Wie Sie es in Paris gewöhnt gewesen, können wir es Ihnen nicht geben!" „Was des Leibes Nahrung anbetrifft," meinte der Gatte, die Serviette vor der Brust befestigend, „können wir es hoffentlich mit den Franzosen aufnehmen. Viele Schüsseln, zweifelhafte Waare! heißt's bei ihnen. Bei uns ist es einfacher, dagegen geht alles mit rechten Dingen zu." In der That ward dem Braten alle Ehre angethan. „Nun erst," sagte der Vetter, „da wir blos drei an der Zahl hier sitzen, komme ich dazu, eine Frage zu stellen. Deine beiden Söhne müssen schon große Jungen sein — von sechzehn und siebzehn Jahren etwa?" 14 „Sage: von zwanzig und einundzwanzig!" „Wo, sind sie?" „Der Jüngere," erwiderte Herr v. Gerditz, „studirt auf der landwirthschaftlichen Schule in Hohenhcim, der andere ist Polytechniker in Zürich. Vorige Woche hat er uns verlassen. Ein tüchtiger junger Mensch, von dem ich das Beste erwarte." „Er soll Techniker werden!" rief der Vetter, mit einem, wie es den Anschein hatte, mißbilligenden Staunen. „Ja!" war die kurze, aber bestimmte Antwort. „Hm, es hätte sich doch für einen jungen Mann seines Namens ein schöner Platz in der Armee oder in der Diplomatie finden lassen?" Herr v. Gerditz brach in ein lautes Lachen aus. „Vetter," sagte er, „meine Söhne sollen einmal etwas können, etwas sein, etwas leisten! Wenn die vier Facnltäten vornehm auf practi- sche Thätigkeit herabsehen, so mögen sie es bei sich verantworten! Aber der Hofmann soll mir uicht geringschätzig auf den Techniker blicken! Ist es denn etwas Geringes, Brücken und Stra- 15 ßen, Häfen und Leuchtthürme zu bauen, Ströme zu reguliren? Wer so in die Wohlfahrt von Millionen eingreift —" „Aber, wo soll er das Alles! doch nicht bei uns?" „Vetter," erwiderte Gerditz, „unser Vaterland wird sich bald strecken, sich bis aus Meer ausdehnen und Wogenbrecher und Dämme brauchen. Meinst Du nicht auch. Du, der Du endlich den Dingen auf den Grund gesehen hast, es sei etwas Anderes, auf dem Werkplatz zu comman- diren, als, mit dem Kammerherrnschlüssel deco- rirt, dem Fürsten die Cour zu machen?" Der Vetter biß sich die Lippen und unterdrückte eine Antwort. Frau v. Gerditz legte ihre Hand besänftigend auf die ihres Gemahls. Es war ihr eine große Erleichterung, daß der alte Diener wieder erschien, um einen Napf von altem Porzellan auf den Tisch zu stellen, aus dem der Duft des Moslers, vermischt mit dem der schwimmenden Orange, gar lieblich durchs Zimmer drang. Frau v. Gerditz füllte die Gläser, ihr Gemahl erhob 16 das seinige und sprach, nachdem er einen Moment sinnend in das goldene Naß geblickt: „Unser lieber Vetter Raimund v. Themar ist zu uns zurückgekehrt. Er hieß unser Geschäftsträger in Paris und waltete dieses Amtes viele Jahre. Wie schwer er an den Geschäften zu tragen gehabt, weiß ich nicht, ein tüchtig Bündel von schweren Vorurtheilen trug er mit dabei. Beim hereinbrechenden Abend des Lebens ist ihm die goldene Last der Würden zu schwer geworden, er hat den mächtigen Drang gefühlt, als freier Mann, des Fürstendienstes ledig, auf seiner eigenen Hufe zu wohiren. Er hat seine Entlassung genommen und daran, w'e ich meine, wohl gethan. Er fühle sich bald n.eder heimisch auf dem Boden, wo seine Bors hren gehaust, dies Glas gelte seiner glücklichen ck- kehr!" Er setzte das Glas an und leerte es auf einen Zug. „Und ich," fügte Frau v. Gerditz hinzu, „erlaube mir, an diesen allgemeinen Wunsch noch einen speciellen anzuknüpfen. Sie wollen sich in unserer Nähe ankaufen, lieber Vetter. Möge sich bald zum Hause, das Sie herzustellen im Begriffe stehen, auch eine würdige Hausfrau finden. Sie stehen noch in den besten Jahren und wenn Sie ernstlich suchen, werden Sie finden. Bester spät, als nie!" Herr v. Thsmar lächelte seltsam. „Gnädige Frau," sagte er, „die Damen haben immer diese Medicin für ein verwundetes Herz in Bereitschaft. Mir leider dürfte das Heilmittel nicht passen. Was versäumt ist, ist versäumt." Eine Weile später hatten die Herren zur Cigarre gegriffen. Frau v. Gerditz, die den Rauch in einem engen Gemach nicht gut ertrug, hatte sich in aller Stille entfernt. Das Gespräch nahm eine leichtere, unbefangenere Wendung. „Du hast also," fragte Gerditz, „neulich Audienz gehabt. Wie ging es zu? War" man nicht sehr verwundert, daß Du Deine Entlassung genommen?" „Ich glaube," erwiderte Herr v. Themar, 18 „den König eher verstimmt gesunden zu haben. Doch kann ich mich irren. Die Audienz dauerte nur kurze Zeit. Es liefen Vnese ein es war am Tag vor der Uebersiedelung der Herrschaften nach Rastdorf, kurz, ich ward verabschiedet, ehe ich Zeit gehabt, über die üblichen Phrasen hinauszukommen." „Der König," sagte Gerditz, „hat jetzt nichts als die Domänenfrage im Kopfe. Es geht seit Monaten der Streit hin und her, ob die Kra- nichsdorfer Waldungen Staatsgut oder Fami- lienstammgut seien. Diese Angelegenheit, die eine bloße Eigenthums- und Vermögenssache ist, stellt unsere ganze ruhige Entwicklung und den Bestand des Ministeriums.selbst in Frage. Minister v. Äuersteiu, der brave, treffliche, dem Lande so nöthige Mann, wird schief angesehen, weil nach seiner Auffassung diese Wälder Staatsgut sind, die Spannung zwischen ihm und dem König wächst bedenklich. Keiner will nachgebe»/ und Auerstein soll in letzter Zeit kaum mehr vorgelassen werden." „Ich hörte dergleichen schon vor Wochen," 19 erwiderte Themar ganz leichthin, wie wenn ihn die Sache kanin interessier. „Du kannst Dir denken," fuhr Gerditz fort, „daß wir hier über alle Vorgänge im Schlosse so ziemlich unterrichtet sind, allerdings auf indi- rectem Wege. Ich kümmere mich zwar nur um Acker und Haus — möchte imm ganzen Hofe am liebsten nichts wissen — wenigstens, so lange er so ist, wie er ist — dennoch höre ich so manches, ohne erst zu fragen. Nastdors ist eben kaum eine Stunde weit von uns entfernt. Da hört mau mancherlei. Im Ganzen hat sich der König recht erholt. Nach Königgrätz sperrte er sich ein, wollte Niemanden sprechen, er war von dein erlittenen Schlage ganz niedergeschmettert. Jetzt liegt die Sorgenzeit weit hinter ihm — wenn nur die Domänenfrage nicht wäre! Es geht feit einer Woche wieder ganz geräuschvoll in Nastdors zu. Tagsüber Jagden, Nachts Feste; wie es seinen Nerven bekommt, ist eine andere Sache.... Was sagst Du zur wichtigen Rolle, die jetzt Feldern spielt?" „Der Dbersthosstallmeister?" fragte Themar. 2 * - so — „Er ist doch, soviel ich mich erinnere, eine ziemlich unbedeutende Persönlichkeit?" „Das wohl," erwiderte der Vetter, „aber er hat eine Frau, die jetzt Alles gilt und mit ihren zwei Augen Alles durchsetzt, was sie will. Sie ist gescheidt, intriguant, dabei wunderschön — der König —" „Aber doch Alles platonisch?" fragte The- inar. Gerditz zuckte die Achseln, wie um zu sagen: was kann mau wissen? Dann sagte er mit hochgezogenen Brauen: „In der Residenz, auf dem Promeuadeplatz, wird ein Haus gebaut — wun- derfein — die Vorhalle daran mit rothen Marmorsäulen — man frägt sich- woher Feldern das Geld habe, und behauptet, es gehe aus den Säckel des Königs... „Ei, ei!" machte Themar. „Und Frau Haub?" „Die mußte das Feld räumen, als Frau von Feldern in Gunst kam!" ' „Was?" rief Themar, „die ist fort? die gute brave Haub?" 21 „Jetzt Baronin Sommer, an einen pensio- nirten österreichischen Obersten verheirathet." „Wo hat denn Feldern seine Frau gefunden?" fragte Themar. „So viel ich weiß, in Süddeutschland. Sie ist auch stark katholisch. Ihre Herkunft — ist, wie mir scheint, in einiges Dunkel gehüllt." „Ist sie nicht auffallend groß? Von leichtorientalischem Typus? Mit sehr dunklen Augen? Nicht mehr ganz in der ersten Jugend?" fragte der Vetter plötzlich lebhaft. „Du beschreibst sie ganz genau." „Ei, dann habe ich sie doch vor vier oder fünf Tagen in der Stadt gesehen! Ich sitze im Laden bei Valdier, dem Juwelier der vornehmen Welt, an der Ecke der Bahnhofstraße. Ich kenne ihn von Paris her. Da hält eine Hofequipage; eine Dame, wie ich sie Dir beschrieben, eine wunderschöne Frau, steigt aus. Ich bin fortgegangen, aber ihre Augen hatte ich wie Einer, der in die Sonne gesehen, noch lange vor mir." „Ja, in der Hofequipage mag sie fahren und Juwelen nach Herzenslust einkaufen," sagte Ger- — 22 — ditz. „Zu beneiden ist sie doch nicht. Felderns Gattin sein und nebstdem einen Fürsten unterhalten müssen, den die Langweile verzehrt. Wer war doch die Französin, welche jammernd ausrief: „O, welches Loos, einen durch nichts zu amüsirenden Fürsten amüsiren zu sollen?" Der Vetter antwortete nicht, er war schweigsam geworden und stützte den Kopf aus die Hand. „Du bist müde," sagte Gerditz. „Keiu Wunder, ich habe Dich, kaum aus dem Wagen gestiegen, kreuz und quer über Felder und Wiesen gejagt. Ich denke, ich führe Dich auf Dem Zimmer. Wir Landbewohner sind frühaufstehende Leute. Nur zu bald wird Dich das Hin- und Hergehen im Hause wecken." Herr von Themar sah auf die Uhr. „Allerdings sehr früh für Einen, der seit Jahren nie vor Mitternacht ins Bett zu kommen pflegte — doch wenn es morgen früh aufzustehen gilt —" Er zündete eine Cigarre an. Der Vetter führte ihn über einen Corridor 23 in ein großes, mit dunklen Tapeten bekleidetes Gemach. „Hier," sagte er, „soll Dein Absteigequartier sein, so oft Dn nach GernSbach kommst. Du bist hier ungestört, und kannst nach Belieben auf dem Zimmer frühstücken. Die Klingel dort," er warf einen Blick auf die Ecke neben dem Bette, „führt Dir, so oft Du etwas nöthig hast, den Jakob zu. Dort," er mies auf ein Fenster, „hast Du Flur und Wald vor Dir! Du sollst mir morgen die Aussicht loben! Gerade auf Rastdorf geht sie!" Herr v. Gerditz ging. Themar hörte zu, wie die Schritte im Corridor verhallten, dann veränderte sich der müde Ausdruck seines Gesichtes mit einem Male. „Aussicht auf Nastdorf!" rief er und sprang auf. Er ging an den Tisch, wo seine Reise-Effekten lagen, ergriff ein Opernglas, ließ das Rouleau des Fensters, das Gerditz bezeichnete, in die Höhe und blickte unverwandt in die Richtung des königlichen Schlosses, dessen Fronte noch hell- 24 beleuchtet, eine Reihe von Lichtpunkte», durch die Nacht herüberblickte. „Ich habe," sagte er sinnend, „in einer beneideten Stellung »reine Entlassung gegeben. Es war entweder ein Akt der Verrücktheit oder eine That — ein Einsatz zu neuem, hohem, endliche»! Gewinn .... Für den, der die Welt versteht, sind große geschichtliche Krisen der Moment, in dem er die Hand »ach der» Glücke ausstreckt. Ich hab's gethan. Macht will ich haben — den Platz, den jetzt Auerstein innehat, den obersten Ministersitz ... In der That ein hochfligender Plan, und meine Mittel, ihn durchzuführen, erbärmlich klein, fast die eines Abenteurers.... Und doch versuch' ich es. Habe ich Macht, wirkliche Macht, so habe ich auch Alles Übrige, wornach mein Herz dürstet. Die wahre Lebensphilosophie ist mir zwar spät, aber endlich doch klar geworden. Alan muß sich bei seinen Prinzipien Wohlbefinden, oder sie sind nur ein Wahn, um dessent- willen Gimpel darben. Alle Bedenken hören für denjenigen auf, der nach dem Höchsten langt. Auch ich will das Staatsbeste, wenn auch auf 25 anderem Wege. Der König haßt Anerstein, muß ihn hassen, falls noch ein Funke von Stolz und Selbstständigkeit in ihm steckt. Er muß ihn früher oder später entlassen. Nach wem soll er greifen- Ich überblicke die Reihen seiner Staatsmänner und finde Niemanden, der ihm paßte. .... Jetzt, ein glücklicher Anstoß, eine frische Brise und ich fahre mit vollen Segeln an's Ziel.... Doch — nicht aus der Rolle gefallen! In diesem Hause ist der Ehrgeiz verpönt und muß sich verstecken. Der demokratisch angefärbte Vetter würde mir den Krieg ankündigen . . . . " Er ließ das Rouleau herabfallen und ging zu Bette. In seinem Kopse aber wälzten sich lausend Gedanken und Pläne, jeder von einem noch kühneren und abenteuerlicheren verdrängt, bis sie zuletzt zu wirren Träumen wurden. Er wanderte in der Nacht auf weiten Wegen. Sein Ziel war ein Schloß, das von einer Höhe mit leuchtenden Fenstern ihm entgegenschaute. Er glaubte, es erreichen zu müssen, es wich zurück und er wanderte weiter. Freiherr von Themar, der letzte Sprosse einer alten Adelsfamilie, war als Jurist für die bu- reaukratische Laufbahn bestimmt gewesen, hatte es aber lange Zeit im Staatsdienst nicht weit gebracht. Trotz seiner unleugbaren Talente war er eine ganze Reihe von Jahren hindurch aller Vortheile verlustig geblieben, die ihm sonst sein Name und seine hohen Verbindungen gesichert haben würden. Wie kam dies? Er hatte sich, uneingedenk seiner Stellung als angehender Staatsbeamter, wenn nicht mit Thaten, denn dazu war er zu vorsichtig, doch mit Sympathien au der Zeitbewegung von Achtundvierzig betheiligt und das hatte genügt, ihn bei den kleinlichen und rachsüchtigen Negierungsmäunern der bald darnachfolgenden Neactionsperiode anrüchig zu machen. Er galt fortan als unruhiger Kopf, 27 wurde wiederholt im Avancement Übergängen und trug das Stigma, wenn nicht des Liberalismus, doch einer gewissen undisciplinirbaren Gesinnung. Andere hatten in ähnlicher Lage die ihnen verloren gegangene Gnnst der Machthaber durch zeitgemäßen Wechsel der Prinzipien wiedergewonnen, aber Herr von Themar war der geblieben, der er war und widerstand allen Versuchungen, die mehrfach und nicht selten in verlockendster Gestalt an ihn herantraten. Er blieb im Schmollwinkel und verkehrte nach wie vor mit Männern, die mit dem herrschenden System in Opposition lebten, vorausgesetzt, daß sich ihre gesellschaftliche Stellung und seine vornehme Geburt in keinen ungeziemenden Widerspruch befanden, denn ein Aristokrat war und blieb er durch und durch. Seine schiefe Stellung schien ihm keinen Kummer zu machen oder mindestens: er legte diesen nicht an den Tag. Ein vollendeter Lebemann trank er den Becher der Freuden mit ungestilltem Durste weiter, fand Zeit zu Liebschaften 28 inner- und außerhalb der Coulissen und vertheidigte seine Junggesellenfreiheit gegen die verschiedensten Anfechtungen. Er war und blieb ein gern gesehener Gesellschafter, der auf den Gütern seiner Freunde bei allen Festen und Jagden zu finden war, und zeigte sich dabei als ein Mann der nabeln Passionen, mehr, als es seinen Finanzen zuträglich sein konnte. Es gab in der Residenz viel Redens, als Herr von Themar wiederholt seinen Urlaub dazu benutzte, den Herbst der Fuchsjagden wegen in England zuzubringen; es war ein Aufwand, der seine Mittel weit überstieg. Er war bereits ein Vierziger, als er als Sekretär der Botschaft nach Paris kam und hier vollzog sich endlich eine Wendung in seinem Schicksal. Der Kaiser der Franzosen erinnerte sich plötzlich einmal bei einem Fest in den Tuile- rien des Mannes, der vor Jahren auf dem englischen Turf an seiner Seite geritten und der bei Tisch mit ihm über Cäsar und die alten Gallier wie ein Gelehrter gesprochen. Er zeichnete ihn fortan aus. Über Nacht war Herr v. 2 » Themar aus dem Dunkel seines Bureaus erlöst und sah sich bald als Bevollmächtigter am na- poleonischen Hose in den glänzendsten Vordergrund gestellt. Die Reisen nach England, die ihm einst von allen Seiten als Streiche des Leichtsinns vorgeworfen worden waren, hatten sich als Ursache seines Glückes herausgestellt! Der mit diesem Posten verbundene Gehalt war zur rechten Zeit gekommen! Er hatte längst sein väterliches Erbe durchgebracht und stand, ohne daß die Welt es ahnte, am Abgrund finanziellen Ruins. Als nach dem Feldzuge von Sechsundsechzig der König sein früheres Ministerium entlassen' mußte, und sich genöthigt sah, den deutschgesinnten Auerstein von der Oppositionsbank an die Spitze seines Ministeriums zu berufen, traten durchgreifende Personalveränderungen ein und auch Themar meinte, seinen Platz zu verlieren. Er blieb, und zwar auf Auersteins eigenen Wunsch. So diametral entgegengesetzt das Wesen Beider war — hier eiserne Verläßlichkeit und Ruhe, dort geistreiche Beweglichkeit und höhnischer Seepticis- 30 MUS — Auersteiii hatte für Themar, den er von Jugend an kannte, eine Vorliebe, die an Verblendung und Verzauberung streifte. Er rechnete es ihm hoch und weit über Verdienst an, daß er in den Zeiten der Wohldienerei Unabhängigkeit des Charakters bewiesen. Das lockere, ja der Sitte spottende Leben, so meinte Auerstein, habe Themar längst eingestellt. Und dieser seiner angenehmen, lukrativen Pariser Stellung hatte nun Themar plötzlich entsagt. Es war denen, die sich darum kümmerten, höchst auffällig, aber niemand ahnte den Grund. Da man den Mann nicht für geschäfts- oder weltmüde halten konnte, erklärte man sich den Schritt aus seinem unruhigen, sprunghaften Wesen. Niemand wußte, daß der Genußmensch von ehedem jetzt nur Ziele des Ehrgeizes vor Augen habe, niemand ahnte, daß, als er nach GernSbach, zu seinem Vetter zu Besuch kam, er damit nur eine Stellung genommen, von der aus er am besten die ersten strategischen Züge zur Ausführung seiner Pläne thun könne. Ebenso wenig, wie alle anderen, sah Herr 31 von Anerftein in die geheimen Ursachen von The- mar's Rücktritt. Er war äußerst ungehalten über denselben, machte Themar Vorwürfe und wollte ihn zur Rückkehr bewegen; die Form des Wiedereintritts würde sich ja finden lassen. „Sie haben," sagte er mit ziemlicher Schroffheit, „Ihre Entlassung auf rein amtlichem Wege gefordert und mir damit Ihren Posten gewissermaßen vor die Füße geworfen. Habe ich Ihre Freundschaft und Ihr Vertrauen plötzlich verloren? Waren Sie es mir nicht schuldig, ehe es vollendete Thatsache war, sich mit mir zu berathen und mir befriedigende Aufklärungen zu geben? Was Sie von Ueberdruß und Wunsch nach Ruhe sagen, scheint mir nur ein Vorwand. Deshalb verzichtet man nicht auf eine Stelle, die Ihren Talenten und Anlagen so sehr entsprach! Wer setzt sich in der Vollkraft des Mannesalters gern hinter den Ofen? Sie müssen das Opfer einer Intrigue fein, der es gelungen ist, uns zu entzweien. Geben Sie mir Aufklärung und machen Sie den beinahe thöricht zu nennenden Schritt rückgängig. Thun Sie es nicht aus Rücksicht 32 auf Ihren alten Freund, so thun Sie es für das allgemeine Staatsleben! Ich habe nicht allein keinen würdigen Ersatzmann für Sie, ich muß sogar fürchten, daß die Stelle durch arge Einflüsse, die am Hofe walten, in Hände geräth, die in Paris nicht zum Heile unseres Vaterlandes arbeiten würden. Der König hat wirklich bereits auf die Neubesetzung Anspielungen gemacht und einen Namen hingeworfen, der mir höchst zuwider ist." „Hätte ich eine Ahnung gehabt," erwiderte Themar, „daß Sie die Angelegenheit so ernst auffassen, so hätten mich Ihre Bedenken vielleicht in meinen Vorsätzen erschüttert — vielleicht! Aber nun ist's nicht mehr zu ändern; was geschehen ist, ist geschehen. Sie suchen die Motive meines Austrittes? Sie liegen sehr nahe und sind sehr einfach. Ich bin es müde geworden, mit einem pomphaften Titel herum- zustelzen, der den: großen Troß imponiren mag, aber dem Herzen nichts bietet. Ich konnte auf die Dauer den Zweck meines Daseins nicht darin finden, Pässe auszustellen, die Schulden — 33 — anderer Leute einzutreiben, auf Hochstapler zu vigiliren — und was dergleichen mehr ist. Das ist die Sache. Blich hat eine unwiderstehliche Sehnsucht ergriffen, wieder daheim bei meinen alten Freunden, womöglich auf meiner eigenen Scholle zu leben. Ich hätte ausharren sollen, wo es mir nicht mehr gefiel, weil auf meinem Posten ein anderer schaden könnte? Unnütze Sorge! Seit wir unter preußischer Hegemonie stehen, ist jede fremde Wirkung überwacht und eingeschränkt. Wir Repräsentanten der Kleinstaaten sind blos Automaten geworden. Doch lassen wir die Debatte; ich finde mich in meine Penfionirung, seien auch Sie mit ihr einverstanden. Sie werden nicht lange nach einem Manne nach Ihrem Herzen zu suchen haben, der mich vollständig ersetzt." Auerstein hatte den Kopf geschüttelt und damit waren Beide auseinander gegangen. Nun war Herr v. Themar wieder einmal in der Stadt gewesen — wie er sich äußerte, um mit seinem Banquier zu sprechen —> war aber bald wieder nach Gernsbach zurückgekehrt. Die Stimmung, die er mitbrachte, war die des 3 34 Mißmuths: er fing schon an zu bereuen, seine Entlassung genommen zu haben. Der Schritt hatte nicht den gewünschten Erfolg, machte nicht das Aufsehen, das er sich davon versprochen. Die größeren Zeitungen waren zu anderen Tagesfragen übergegangen, ein paar ihm ergebene Journalisten ohne Einfluß. Vom Hofe kam keine Einladung — und mau wußte doch, daß er in unmittelbarer Nähe, in Gernsbach bei seinem Vetter sitze! Auch seine Finanzen gaben dem Staatsmanne viel nachzudenken. Der Banquier hatte ihm über den Stand seiner Papiere nichts Erfreuliches melden können. Sein elterliches Vermögen war nicht groß gewesen, und er, wie schon gesagt, hatte nie zu sparen verstanden^ vielmehr das Seinige in verschwenderischen Neigungen vergeudet. Kecke Borsencoups hatten ihn ein paarmal beinahe reich machen können, das Geld hatte sich bei ihm nicht gehalten, er hatte bald Alles wieder verloren. Wie gewonnen, so zerronnen! Und wieder waren Schuldposten zu tilgen, dabei dem Decorum neue Opfer zu bringen. Unter 35 solchen Verhältnissen hatte Herr von Themar mit sich Rath gehalten und war zum Schluß gekommen, sich von einem Werthgegenstand zu trennen, der ihm allerdings sehr nutzlos war, sür die nächste Zeit aber seine materielle Lage namhaft verbessern konnte. Es war ein Fami- lienkleinod, das seit mindestens zwei Jahrhunderten in der Familie war: ein Diamantkreuz, im Werth von mindestens fünftausend Thalern. Herr v. Themar hatte dasselbe, mit der Absicht, es zu veräußern, zu dem bereits von ihm erwähnten Juwelier Valdier getragen und ohne mit demselben einig werden zu können, es in dessen Laden zurückgelassen. Der Juwelier hatte sich, als Herr v. Themar wieder bei ihn: vortrat, abermals gegen den enormen Preis des Gegenstandes gesträubt; Herr v. Themar war schon entschlossen, das Kreuz tief unter dem Preise zu lassen, da hatte ihm Valdier eine Mittheilung gemacht, die seinen Gedanken eine andere Richtung gab. Der Juwelier erzählte, daß die Gemahlin des Herrn Obersthofstallmeisters das Kreuz bei ihm gesehen 3* 36 habe und von den herrlichen Diamanten ganz entzückt gewesen sei. Sie habe sie immer wieder angesehen und schließlich nach dem Preise gefragt. Als er ihn genannt, sei sie erschrocken. „Herrlich, herrlich! Aber mir viel zu theuer!" habe sie gesagt und es damit beiseite gelegt. Herr v. Themar hatte darauf das Kreuz vom Verkaufe zurückgezogen und es wieder zu sich gesteckt. Ein verwegener Gedanke wälzte sich in seinem Kopf hin und her, konnte aber noch nicht Form und Gestalt gewinnen. Am andern Morgen wandelte Herr v. Themar in früher Morgenstunde durch den Rast- dorfer Park, es umgab ihn der Schatten des uralten Waldes. Das Schloß, ein vornehmer Roccocobau, zeigte sich bereits durch die perspektivisch in den Wald geführten Einschnitte. Die Anwesenheit des Landesherrn und des Hofes kündigte sich schon von Weitem durch regeres Leben an. Vor dem Wirthshause bei den Vorwerken standen Gruppen betreßter Lakaien, sie hatten ihr zweites Frühstück eingenommen und scherzten mit den Haustöchtern. In den — 37 Schattengängen patrouillirten paarweise schweigsame Hofgensdarmen, vor dem Schlosse selbst standen prachtvolle Equipagen, darunter eine vierspännige; das Kläffen großer Hunde deutete auf eine ausziehende oder heimkehrende Jagdgesellschaft. So spät es schon war, der Himmel war klar und blau, der fleißig gepflegte Rasenteppich von frischestem Grün. Nur das Blattwerk der hie und da in Gruppen vertheilten exotischen Bäume zeigte die Farben des Herbstes. „Tempe und das goldene Zeitalter!" sagte Herr v. Themar vor sich hin. „Ich sehe es leider nur als Spaziergänger! S dieser König! Wie eine leblose Bildsäule stand er bei der Audienz da und murmelte nur die alltäglichsten Phrasen; mit ihm ist nichts, gar nichts zu machen. Thorheit, auf einen Hampelmann zu speculiren, der in seiner hilflosen Apathie von den Eindrücken des gestrigen Tages nichts mehr weiß...." Er war in einen Pavillon gekommen, der in einem allerliebsten Wäldchen von Silberpappeln stand. Die Aussicht ging nach den Teichen und Gernsbach. 38 „Ja, mit dem König ist nichts zu machen," monologisirte Themar weiter, indem er sich auf eine Bank niederließ, „wie aber, wenn ich die Macht für mich hätte, durch die er sich beleben und leiten läßt? Die Feldern hat ihn in ihrer Gewalt. Sie wäre mir nnr eine Sprosse der Leiter, die nur so lange zu halten braucht, als ich darauf stehe, ummiteinem kräftigen Sprunge in die Höhe zu kommen. Doch wie komme ich an sie heran? Allerlei Zweifel lassen mich zaudern, die ersten annähernden Schritte an die gewaltige Frau zu thun, und indeß vergeht die Zeit. Die Verhandlungen nehmen ihren Weg und der König wird Auerstein nachgeben, des lieben Friedens willen! O, ich kenne das! Wäre ich Aschberg's Rath nie gefolgt und ruhig in Paris geblieben! Meine Demission habe ich gegeben und — damit einen Streich in's Wasser geführt." In diesem Augenblicke trat ein königlicher Diener auf Herrn v. Themar zu. „Dieser Theil des Parkes," sagte der Lakai, nur leichthin an den Hut greifend, da er den, den er anredete, nicht kannte, „ist allerdings dem 39 Publikum geöffnet, dennoch darf ich nicht gestatten, daß sich Fremde zu dieser Stunde im Pavillon niederlassen." „Und warum nicht, mein Bester?" fragte Herr v. Themar in nachlässigem Tone. „Weil die Frau Oberhofstallmeisterin, Frau v. Feldern, hier alle Morgen herzukommen und zu verweilen pflegen." „Allein?" „Nein, gewiß nicht allein. Mit ihrer Gesellschafterin oder ihrer Kammerfrau, wie es ihr eben paßt." „Das ist etwas Anderes!" erwiderte Herr v. Themar sehr ernst, indem er sich erhob, „Frau v. Feldern pflegt hier zu sitzen? Ich bin fremd und mit den Gewohnheiten unbekannt . . . ." Der Lakai rückte den Hut und Herr v. Themar ging langsam den Fußpfad zurück, der in den Fahrweg einmündete. „Ist es ein Wink des Glückes?" fragte er sich in höchster Aufregung. „Will mir der Zufall wohl? Soll ich? Soll ich nicht? Soll ich 40 den Einsatz verdoppeln? Dem ersten Wurf noch einen zweiten folgen lassen?" „So packe ich sie von einer Seite, wo jedes Weib schwach ist. Dies Kreuz — eine Königin könnte es tragen! Sollte die Feldern Brillanten von solcher Größe widerstehen? .... Brillanten von reinstem Wasser! Aber wenn mich der zweite Wurf im Stich läßt, wie der erste? Ein Weib, dessen Wunsch auf Diamanten gerichtet ist, kann auch undankbar sein —- und doch — es gälte meine nüchterne Bestechung in das Gewand einer gewissen formlosen Genialität zu hüllen, ihr ein romantisches Mäntelchen umzuhängen — wenn sie annimmt, was ich ihr biete, ist sie in meiner Gewalt! Dann lenke ich sie, und durch sie den — Stille, meine Gedanken! Ich thue es, ich wage es!" Er trat hinter eine Baumgruppe, dann riß er das Portefeuille hervor und kritzelte auf ein weißes Blatt die folgenden Zeilen: „Ein Unbekannter, dessen Namen Sie nie erfahren werden, hat zufälligerweise gehört, daß Sie das beiliegende Kreuz unlängst in einem 41 Juwelierladen bemerkt und mit besonderem Wohlgefallen betrachtet haben. Wie kam es dahin? Der Unbekannte, dem es gehört, ist alt und steht allein. Er trägt sein halbes Jahrhundert mit leidlichem Geschick, auf Frauengunst aber darf er keinen Anspruch mehr machen. Was sollte ihm das Kreuz? Er hatte Niemanden damit zu schmücken und darum wollte er es nicht mehr sehen. Er sagte zu sich: Trage es zum Trödler! .... Doch der Zufall wollte es anders. Sie haben es in der Hand gehabt, es hat Ihnen gefallen, und nun steht alles anders. Der Unbekannte wagt es, diese Antiquität, deren einziger Vorzug ihre alte und seltsame Form ist, Ihnen anzubieten. Warum sollten Sie sie nicht annehmen? Der materielle Werth derselben ist dem der Schmuckgcgenstände, die Sie besitzen, wohl kaum ebenbürtig. Doch gerade dieser glückliche Umstand dürfte die zarten Bedenken, das Geschenk anzunehmen, überwinden helfen. Sollte es aber unwürdig befunden werden, Ihre edle Brust zu schmücken, so würde der Un- 42 bekannte nichts desto weniger sich glücklich fühlen, eine Gelegenheit gesunden zu haben, Ihnen zu zeigen, wie er den leisesten Ihrer Wünsche zu erlauschen und zu erfüllen trachten möchte. Uebrigeus dürfen Sie denken, Sie hätten es gefunden, und der es verlor, sei todt." Herr v. Themar war fertig, er riß das Blatt aus dem Taschenbuche und legte einen in Seiden- papier gewickelten Gegenstand dazu. Dann schlich er zurück und ließ Beides durch das Fenster des Pavillons auf die Bank gleiten. Und schon sah er durch die Bäume zwei Damen herankommen. Die Eine, von hohem, auffallendem Wüchse konnte keine andere als Frau v. Feldern sein. Herr v. Themar zog sich weiter und weiter gegen die Grenze des Parkes zurück. Sein Herz schlug, fast bereute er seine That. „Wenn sie undankbar wäre!" monologisirte er. „Es war das letzte Erbstück, die letzte Kostbarkeit eines zertrümmerten Hauses! — Pah, ich habe schon manchmal mehr auf einer Karte stehen lassen. Muth, Raimund, Muth! Jetzt, 43 in diesem Augenblick findet sie das Kreuz und weiß vorerst noch nicht, ob sie es annehmen oder zurückstellen soll. Dennoch, meine ich, sie wird den Unbekannten kennen lernen wollen. Meine Persönlichkeit wird das Weitere entscheiden." Er eilte rasch aus dem Park heraus und warf sich in den Wagen, der ihn an einem Seitenthor erwartete. Herr von Themar war mit sich selbst zufrieden. Die Hoffnung auf Erfolg ließ ihn die Langweile seines ländlichen Aufenthalts kaum empfinden. Je mehr er über die Art und Weise nachdachte, wie er seinen improvisirten Streich ausgeführt, um so lauteren Beifall rief er sich zu. Es war ihm, seiner Meinung nach, von keiner Seite beizukommen. Die „formlose Genialität" der Ausführung rettete Alles. Als aber nun schon der dritte Tag verstrichen war, ohne ein Resultat zu bringen, begannen ihn trotz aller früheren Zuversicht die Zuckungen der Ungewißheit und einer immer getäuschten Erwartung zu martern. „Kein Zeichen von Nastdorf! Nichts, gar nichts!" rief er. „Als hätte ich das Kreuz iu's Meer geworfen! Was ist das? Ein Brillant- 45 kreuz von fünftausend Thalern Werth ist doch keine Stecknadel. Die Feldern hat es doch finden müssen. Sie muß doch geforscht haben, von wem es kommt? Wer vor ihr im Pavillon war? Sollte auch Niemand von den Leuten im Garten mich erkannt haben, was höchst unwahrscheinlich ist, hätte sie doch nur bei Valdier nachzufragen brauchen, von wem das Kreuz sei? Einfach es einstecken und behalten, das kann sie doch nicht.... Man sollte meinen, es sei? von guter Vorbedeutung, daß sie mir das Kreuz nicht zurückgeschickt!" „Und doch ist diese Stille unheimlich," fuhr er zu sich redend, fort. „Ich bin allarmirt und darf es sein. Ich habe es mit einer intriguan- ten Frau zu thun. Man erzählt sich manchen grausamen Zug von ihr. Ihr Kopf ist voll von Anschlägen. Sollte sie sich nicht damit begnügen, das Kreuz zu behalten oder es mir einmal vor die Füße zu werfen? Sollte sie mir vielleicht gar Noch einen bösen Streich spielen? Er sähe ihr ähnlich. Sie haßt Auerstein und seine ganze Partei, zu der ich mitgezählt werde. War ich 46 zu unüberlegt, zu keck, zu vertrauend, zu dünkelhaft? — Ich muß es fürchten! Ich wäre compromittirt, ich säße zwischen zwei Stühlen — zwischen ihr und Auerstein, der es mir nie verziehe. Das wäre ein Fußtritt, der mich politisch todt machte, wenn ich es nicht schon wäre. . . ," In dieser Stimmung ging er aus und schlug die Richtung gegen Rastdorf ein. Der Tag war hell, aber rauh, der Wind pfiff über die Stoppelfelder, wühlte in den Bäumen und schüttelte das vergilbte Laub auf die Landstraße. Eine halbe Wegstunde vom Dorfe an die Kreuzstraße gelangt, gewahrte Themar einen Zug von Reitern, der rasch hinter ihm herkam. Auch ein paar Amazonen waren dabei. Der Trupp nahm die Richtung gegen den Wald zu. „Der König reitet zur Parforcejagd!" dachte sich Themar. Er trat rasch eine Strecke zurück und schon sauste der Zug im raschen Trabe an ihm vorüber, ohne daß ihn Einer der Vielen beachtet oder erkannt hätte. 47 Themar hatte sein Augenmerk vornehmlich den beiden Amazonen zugekehrt. „Sonderbar," sagte er Zu sich, dem Trupp nachsehend, „die allgegenwärtige Feldern war nicht darunter. Warum das? Sie ist doch, wie ich höre, eine leidenschaftliche Reiterin und Jägerin. Wäre ihre Stellung in's Wanken gekommen? Oder nicht die, die man ihr zuschreibt?" Ein Seufzer um sein Brillantkreuz und alles, was damit zusammenhing, stieg in ihm auf. „Pah," tröstete er sich, „Eine Macht, die auf eine Königslaune fußt, kann wohl im Augenblicke fallen, richtet sich aber im nächsten um so höher auf. Bei Hofe ist alles Räthsel und Zweideutigkeit. Ich will an Schlimmes erst glauben, bis es unwiderlegliches Faktum ist. Er giiiH sinnend weiter und kehrte dann auf einem langen Umweg nach Hause zurück, wo die Thurmuhr, als er eintrat, bereits auf Eins zeigte. Vetter Gerditz ließ heute zum Mittagsessen längere Zeit auf sich warten. Als er endlich 48 kam, seinen gewohnten Platz einnahm und die Suppe rasch herunter schlang, sah man ihm an, daß ein Verdruß in ihm arbeitete. Der alte Diener war kaum zum zweitenmal hinausgegangen, als Gerditz seiner Stimmung Luft machte. „Nein," sagte er, „es gehen doch zu starke Dinge vor. Zu starke Dinge! Wir haben es wahrlich nur »och den konstitutionellen Einschränkungen unseres Zeitalters zu danke», daß nicht ein öffentlicher Skandal im Style Ludwig XV. getrieben wird —" „Was gibt's? Was gibt's?" fragten gleichzeitig die Hausfrau und Themar, die erste ängstlich, Themar ruhig. „Es giebt eine förmliche Maitressenwirth- schaft," war die Antwort. „Es scheint, daß im Lande die Frau des Obersthofstallmeisters regiert. „Hast Du," wandte er sich an Themar, „die Geschichte des jungen Herrn von Gohr gehört?" „Er hat, wie ich in den Zeitungen gelesen, im Duell einen Offizier erschossen und ist, wenn 49 ich nicht irre, zu zwei Jahren Festungshaft ver- urtheilt worden." „Ganz richtig, ganz richtig," fiel Gerditz ein, „kennst Du aber auch das Weitere?" „Nein!" sagte die Hausfrau. „Daß ich nicht wüßte!" sagte Themar. „Die Familie," hob Gerditz an, „ist, wie Dir bekannt sein wird, eine sehr einflußreiche, sehr viel geltende, aber alle Schritte, die für die Begnadigung des Duellanten gethan wurden, fanden beim König nicht die geringste Berücksichtigung. Er war unerbittlich. Zufälligerweise hört der alte Gohr, der bis dahin Frau von Feldern konsequent aus dem Wege ging, daß sie eine besondere Vorliebe für Sevres- Porcellau hat. Er besitzt nun eine Vase von seltener Schönheit, die seit hundert Jahren im Besitz der Familie ist und beschließt, sie ihr zum Präsent zu machen. Was geschieht? Gestern ist der junge Gohr begnadigt worden. Ist das nicht horrend?" Themar mußte lachen. Die Geschichte hatte eine frappante Aehnlichkeit mit der seinigen und 4 50 rechtfertigte seine eigene Dreistigkeit. Sollte nicht, was eine Sövres-Vase vermocht hatte, logischerweise sein hundertmal werthvolleres Brillantkreuz ausrichte»? „Du lachst?" rief Gerditz zornig. „Wo bleibt die Gerechtigkeit?" „Wie, soll ich nicht lachen?" erwiderteThemar. „Wäre denn der Gerechtigkeit mehr gedient, wenn der Einfluß der Familie Gohr die Begnadigung zu Wege gebracht hätte und die Feldern entbehrlich gewesen wäre? Wir leben nun einmal in einer Welt, in welcher eine Hand die andere wäscht!" „Sehr schön gesprochen!" rief Gerditz und mußte eine fast übermenschliche Anstrengung machen, seine Selbstbeherrschung ausrecht zu erhalten, um die Gastfreundschaft nicht zu verletzen. „Alles Ansicht, individuelle Ansicht. Andere sehen es anders an. Ich meinestheils wollte, der König hätte nach der Schlacht von Königgrätz mit der Idee, abzudanken, nicht nur gespielt, sondern er hätte sie ausgeführt. Da wären heute unsere Zustände andere. Prinz Waldemar wäre daran- 51 gekommen, ein durch und durch liberaler, verfassungstreuer, deutschgesinnter Fürst. Der ließe sich nicht von den schönen Augen eines ränkevollen Weibes zügeln wie eine Drahtpuppe — da hätte unser braver Auerstein nicht fortwährend zu kämpfen —" „Auerstein!" warf Themar ziemlich wegwerfend hin. „Nun ja, ich hoffe doch noch in Dir einen Anhänger Auersteins zu sehen?" rief Gerditz. „Ich bin es," erwiderte Themar, „und doch kann ich sein Vorgehen, wie ich es schildern höre, nicht unbedingt gutheißen. Ich höre, daß er die Feldern fort und fort absichtlich beleidigt. Was soll das? Es ist eine rein ethische Entrüstung, die nichts nützt und viel schadet. Jagt er sie damit fort? Nein, er erschwert sich damit nur sein Verhältniß zum König! Wäre es nicht weiser, die Feldern hinzunehmen und ihren Einfluß auf den König zum Besten des Landes zu nutzen? Diesen Einfluß gewissermaßen zu läutern?" Das Gespräch begann auf Gerditz' mächtigen Appetit schon eine verstimmende Wirkung aus- 4 * 52 zuüben. Er wühlte in seinem Stücke Truthahn mit Messer und Gabel herum, ohne einen Bissen herunterzubringen. „Ich bin ganz starr darüber, solche Worte aus Deinem Munde zu hören," sagte er endlich. „Ich kann Dir noch mehr sagen," sprach Themar weiter. „Der König ist Wittwer und kinderlos. Sollte er nicht die Rechte eines gewöhnlichen Privatmannes haben und nach Herzenslust wählen dürfen? Ich weiß die Einwendungen zu würdigen, die man mir hier von zwei Seiten machen wird. Seine Geliebte soll nicht die Frau eines Anderen sein. Nimm aber an, lieber Gerditz, sie wäre seine legitime Frau, und zwar so eminent legitim, wie wenn das Paar vom heiligen Vater selbst in der Peterskirche eingesegnet worden wäre. Giebt es nicht und hat es noch nicht Königinnen gegeben, die einen dem Staate verderblichen Einfluß ausgeübt haben? Ich denke, wir brauchen gar nicht weit zu gehen" — „Wenn ich mich auch auf diese Hypothese einließe," erwiderte Gerditz rasch, aber etwas 53 verblüfft, „so wüßte ich doch nicht, was dadurch zu Gunsten der Feldern herauskäme. Da sie aber nicht die Konigin, sondern nur die Maitreffe ist, denke ich nur immer an die Peitsche, mit der man sie zum Lande Hinaustreiben sollte —" „Mit solchen Wünschen macht man nichts besser, eher schlimmer!" versetzte Themar scharf. „Und ich sage: es ist das einzige Mittel," sprach Gerditz. „So lange es aber Leute giebt, die ihre Duldsamkeit so weit treiben, wie Du, kann die Feldern allerdings ungenirt weiter walten und schalten und mit dem Verkauf von Aemtern und Gnaden ihren Säckel füllen." — „Welche Uebertreibung —" rief Themar. In diesem Augenblicke aber trat der alte Diener, der servirte, ins Zimmer und meldete, daß ein Lakai mit einem Briefe da sei. Er habe den Auftrag, ihn Herrn von Themar persönlich zu übergeben. „Er soll nur eintreten!" rief Frau von Gerditz. „Lassen Sie sich nicht stören, ich will selbst 54 nachsehen, was es giebt," sagte Themar und eilte zur Thüre. „Wenn es ein Brief der Feldern wäre!" durchtönte es seine Brust. Eine gewisse Verlegenheit trieb ihn hinaus. Alles ohne Aufsehen hinter dem Rücken seines Vetters abzumachen. Im Vorzimmer angekommen, bemerkte Themar auf den ersten Blick, daß der Lakai, der ihm sogleich entgegenging, die königliche Livree trug. Dies ließ Themar schließen, daß die Angelegenheit in erster Linie mit dem Hose und nicht mit Frau von Feldern in Beziehung stehe. — So verhielt es sich, aber die Enttäuschung konnte, als er den Inhalt des Schreibens kennen gelernt hatte, gar nicht größer sein, als sie fac- tisch war. Er erfuhr daraus, daß er zum Cercle im königlichen Schlosse geladen war und dort am heutigen Abend um Acht zu erscheinen habe, konnte aber diese Einladung keineswegs als eine genügende Antwort auf die heißen Wünsche seines 55 Ehrgeizes ansehen. Sie trug nichts Auszeichnendes an sich und bestand nur aus einem gedruckten Formulare, das der Oberhosmeister unterzeichnet und irgend ein Sekretär ausgefüllt hatte. Sie war mit einem Worte so beschaffen, wie man sie alle Tage der hoffähigen großen Menge zusendet. „Die Einladung ist eine zufällige, kann nur eine zufällige sein!" sagte Themar zu sich. „Wäre sie von der Feldern vermittelt, so hätte diese sich verteufelt wenig angestrengt, ihre Erkenntlichkeit zu zeigen .... Die Spannung, in der ich lebe, läßt nicht nach, sie hält an, ich muß warten, immer warten." Damit trat er wieder bei seinen Gastfreunden ein. Die Aufregung, die sich in seinen Zügen malte, der Ernst, mit dem er die Karte aus der Tasche zog und sie nochmals studirte, sein eiliger Aufbruch nach beendigtem Mahle machte, daß die Gatten- nachdem die Thür sich geschloffen, sich verwundert ansahen. „Hofmann bleibt Hofmann," sagte Gerditz, „der hat wahrlich seine alten Götter noch nicht abgeschworen." „Er ist mir ein Räthsel," sagte die Frau. „Ich kann mir seine Handlungsweise nicht mit seinen Reden vereinbaren ... Ich weih wirklich nicht, ob wir seinen Besuch hätten, wenn nicht Gernsbach so nahe bei Rastdort läge . . . Scheinbar hat er die Brücken hinter sich abgebrochen, saclisch scheint er neue schlagen zu wollen." „Meinst Du?" sagte Gerditz, „das thäte mir leid. Dann würden wir schwerlich Freunde bleiben können. Ja, er ist ein eigener Mensch. . Wo ich bei ihm auf deu Busch klopfe, weicht er aus, das aber merke ich, daß seine Ansichten und die «reinigen einander schroff entgegenstehen. Wenn er aber bei uns bleiben will, darf er sich nicht mit einer Clique verbinden, für die ich die aufrichtigste Mißachtung empfinde." Der Abend kam; Herr von Themar fühlte sich, als die Stunde endlich da war, sich anzukleiden, wie im Fieber. Gerditz, der ihm seine Equipage zur Versü- 57 gung gestellt hatte, und zu ihm herauf kam, fand ihn bereits in Gala geworfen, ganz schwarz, mit meister Binde, die Brust mit einem funkelnden Sterne geziert. „Weitblickender Mann," spottete Gerditz. „Auch wenn er auf's Land geht, der Welt und ihrem Treiben zu entfliehen, vergißt er nicht, Frack und Stern einzupacken!" „Jeder nach seiner Art, lieber Better," erwiderte der Staatsmann leichthin. „Dieser Stern da ist nun einmal dauerhaft an dies Dir verhaßte Kleidungsstück befestigt, und an das Kleidungsstück bin ich fast ebenso gewöhnt, wie Du an Deine Joppe. Der Stern gehört nun einmal auf den Frack des Diplomaten, ivie die Medaille auf den grauen Rock des Invaliden." „Und hat den Vorzug, durch kein Stelzbein erkauft zu werden," erwiderte Gerditz. Die Sonne war kaum untergegangen, als Herr v. Themar schon im Wagen saß. Eine große Unruhe arbeitete in ihm. Endlich näherte er sich dem hellbeleuchteten Schlosse. Das ver- goldete Gitter war weit aufgethan, zwei große Gascandelaber erleuchteten die Einfahrt. Der Empfangssaal war nicht groß, doch in edelstem Geschmacke. Die mattweißen Stuckwände stimmten mit den blauseidenen Möbeln und Draperien harmonisch zusammen. Herr v. The- mar war nicht unter den Ersterschieneneu. Die Damen, in elegantester Toilette, hatten sich in Gruppen zusammengefunden, Herren in blitzenden Uniformen wie in schwarzen Civilanzügen gingen von Gruppe zu Gruppe. Bald rauschte auch Frau v. Feldern heran am Arme des Gatten. Das schmale längliche Gesicht, von schwarzen Locken umrahmt, die großen schwarzen Augen, voll Feuer und Ausdruck, waren von einem südlichen Reize, Stirne und Nase von edelster Bildung, jede Bewegung Anmuth. „Nicht mehr ganz jung!" dachte sich Herr v. Themar, „aber die Schönste, wo sie auch auftreten mag!" Und er behielt sie fortwährend im Auge. Sie ging langsam, mit Dem und Jenem ein flüchtiges Wort wechselnd, auf eine Gruppe äl- 59 terer Damen zu, die sich in der Nähe des Kamins versammelt hatten. Da wurden die Flügelthüren weit aufgethan, der Landesherr trat ein. Er war ei» Sechziger, die Gestalt voll und stark, aber in der Haltung unsicher, das Antlitz wohlgeformt, von weichem Ausdruck, aber mit den Zügen der Erschöpfung. Aus seinen Augen sprach ein ermüdeter Geist, der sich gewaltsam zur Lebendigkeit stacheln mußte. Er trug Uniform, und zwar die seines Garderegiments, das breite Band des Haus-Ordens über der Brust. So näherte er sich den bevorzugtesten Damen. „Ei, da ist ja auch Herr v. Themar, der so lange in Paris war," wendete sich die Frau Oberjägermeisterin, eine ältliche Dame, an Frau v. Feldern. „Eine interessante Erscheinung — man begreift, daß er Glück bei den Damen gehabt. Wissen Sie, daß er den Namen „der Apollo von Belvedere" führte?" „Aus diesem Namen," scherzte Frau v. Feldern, „ist er freilich sehr herausgewachsen." „Damals paßte er ihm," sagte die Dame. 60 „Frau v. Gospot, die Schwiegcrmama des Theater-Intendanten, gab ihm den Namen. Er besaß nümiich von seinem Vater eine Villa, die das Belvedere hieß." Endlich, endlich war der König mit der Begrüßung der Damen zu Ende, er sah sich um, wie wenn er sich auf etwas besänne und erkannte Herrn v. Themar. Unmittelbar darauf begrüßte er ihn und zog sich mit ilnn in eine Ecke. „Seien Sie mir willkommen, lieber Herr v. Themar," begann der König im leutseligsten Tone. „Unsere neuliche Beaeanung erlitt mancherlei Störungen. Ich hätte mich schon längst gerne mit Ihnen über unsere Sturm - und Drangperiode ausgesprochen." „Wohl liegt eine Zeit furchtbarer Katastrophen hinter uns," erwiderte Herr v. Themar. „Ich freue mich, zu sehen, wie Euer Majestät dieselbe körperlich so rüstig bestanden." „An Aufregung hat es wahrlich nicht gefehlt," sagte der König. „Ich bin meinem Medicinal- rath Horst sehr verpflichtet. Er wacht mit bewunderungswürdiger Sorgfalt über mich und 61 ennt meinen Organismus wie kein Anderer .... Wie saßt man in Paris die Veränderungen in unserm Vaterlande aus?" „Frankreich," erwiderte Herr v. Themar sehr ernst, „suhlt sich kaum minder geschlagen als Oesterreich. Die Thatsache, daß sich mitten in Europa eine große preußische Militärmonarchie erhoben, lastet wie ein Alp auf dem öffentlichen Bewußtsein und wirft Beunruhigung in alle Gemüther. Diese Ueberzeugung kann man sich im Verkehr mit den Franzosen täglich holen. Ein Einziger, und zwar gerade der, den es ain nächsten angeht, läßt sich nichts anmerken. Es ist aber ganz unzweifelhaft, daß der schweigsame Mann der Tuillerien alle Eventualitäten in seine Berechnung zieht. Er glaubt eben den Augenblick noch nicht gekommen, die deutsche Frage zu einer europäischen zu machen." „Das ist's," sagte der König. „Es fragt sich, wie lange er in dieser Passivität verharrt?" „Die Frage stellt sich auch darnach," meinte Herr v. Themar, „wie man im Vaterlande diese Veränderungen nimmt. Wenn unsere Jnter- 62 essen gewahrt bleiben sollen, müssen wir Haltung zeigen. Beugt man sich immer nur den Thatsachen, sagen wir immer nur Ja, bis ganz Deutschland in der Hand Preußens zu einer con- creten Militärmacht geeinigt, dann —" „Sehr wahr!" siel ihm der König in die Rede. „Haltung fehlt uns, Haltung!" „Alan sollte meinen," fuhr Herr v. Themar fort, „daß die Ereignisse selbst uns nachgerade zu besserer Einsicht brächten. Ein starres, auf die Stammes-Eigenthümlichkeiten keine Rücksicht nehmendes Regiment erwirbt sich allerdings keine Freunde. Die guten Deutschen werden bald einsehen, daß sie Worte ohne eigentlichen Inhalt mit allzu großen Opfern bezahlen. Doch die Strömung ist einmal da. Leider hat es den Anschein, daß die Einsicht erst kommen wird, wenn es zu spät ist. . . ." „Ich wünschte," sagte der König, „daß Sie in diesem Punkte zu schwarz sähen. Vorderhand glaubt man Wunder, was erreicht zu haben. Die ganze öffentliche Meinung spricht sich dahin aus." 63 „Und dictirt auch dort, wo man es nicht erwarten sollte," fügte Herr v. Themar hinzu. „Warum haben Sie eigentlich Ihre Demission gegeben?" fragte der König, scheinbar, aber auch nur scheinbar, vom Gegenstände abspringend. „Ich will nicht hoffen, daß Sie sich über Ihren Chef zu beklagen hätten? Er liebt es allerdings, Personen zu brüskiren —" „Ich stoße mich nicht an seiner oft rauhen Art," erwiderte Herr v. Themar. „Im Grunde ist mir Herr v. Auerstein immer ein wohlwollender Vorgesetzter gewesen. Ich bin aus seiner Schule hervorgegangen und darf mich in mancher Beziehung seinen Schützling nennen. Ich beklage es von ganzem Herzen, daß unsere Richtung mehr und mehr auseinander ging . . . Eine gewisse Übereinstimmung der Gesichtspunkte muß da sein, wenn man mit Freude dienen soll —" „Allerdings, allerdings," sagte der König. „Ich, ohne persönlichen Ehrgeiz, habe meine Befriedigung darin gesucht, meinen Principien treu leben und wirken zu können," fuhr Herr v. Themar fort. „Die Zeit ist mir über den 64 Kopf gewachsen, neue Richtungen haben sich behauptet. Der Erfolg entschuldigt, rechtfertigt Alles. Ich höre immer nur die Worte: Führung, starke Hand, Agglomeration und sehe, wie mau in diesem Sinne die Existenz der Einzelnen beugt und bricht. Ich habe dieser Richtung, die die herrschende geworden, nicht entgegenzutreten, ich kaun ihr aber auch nicht dienen, ohne den Schein der Zweideutigkeit auf mich zu laden. Das ist die Ursache meines Austritts. Ich bin ein alter Edelmann, dessen Vorfahren der Dynastie immer treu gedient haben. Ich kann mich an einer Politik nicht bethciligen, die die Rechte meines angestammten Köuigshauses, dem meine Familie alles schuldet, Tag für Tag schmälert und beschneidet, bis endlich gar nichts mehr übrig bleibt." Der König hatte voll Spannung zugehört, mit dein Ernste eines Menschen, der auf Gefahren, die ihm drohen, aufmerksam gemacht wird. Er war überrascht und der gute Eindruck, den die schließliche Erklärung auf ihn gemacht, ließ sich nicht verkennen. Er schwieg einen Augen- 81 ihm meinen Rath, meinen Beistand wünschens- werth machten. Darin, nur darin besteht das wahre Band zwischen ihm und mir. Ich verachte vollständig, was böse Zungen darüber sagen mögen —" „Verdacht ist der Fluch, der die Schönheit überall hinbegleitet," bemerkte Themar, mit mehr Ritterlichkeit als Ueberzeugung. „Doch darüber wollen wir kein Wort verlieren. Ich sage: der König muß um jeden Preis daran verhindert werden, die Reise zu machen. Er muß unter Ihren Augen bleiben!" „Leicht gesagt," erwiderte Frau von Feldern. „Meine Augen haben nicht die Kraft, ihn festzubannen!" „Doch, doch!" rief Themar. „Es müßte schlimm zugehen, wenn Sie kein Mittel fänden—" „Ich hätte allerdings einen Plan" — sagte Frau von Feldern nach einer Pause. „Einen Plan, zu dessen Ausführung Sie mir sehr be- hülflich sein könnten. Gelänge er, würden Sie das Ziel, das Sie erstreben, im Fluge erreichen" — „Lassen Sie hören!" rief Themar, indem er tz 82 sich hoch aufrichtete und die gespannteste Aufmerksamkeit aus allen seinen Gesichtszügen sprach. „Ich kenne den König bis in die kleinsten Züge seiner Natur hinein," hob Frau von Feldern an. „Seitdem die Zuckungen im Staate aufgehört haben und das Land wenigstens auf der Oberfläche zur Ruhe gekommen ist, hat er meine Rathschläge und Dienste nicht mehr nöthig und — entfernt sich von mir. Es müßte eine Periode wilder Unruhe kommen, um ihn von meiner Hilfe wieder abhängig zu machen. Der Sturz des Miuisterums Auerstein brächte solche Unruhe mit sich. Es wäre eine große, nachhaltige und für das Land schließlich wohlthätige Krise, die zu verlängern in unserem Belieben stände. Der König würde nicht mehr an seine Reise, desto mehr an seine eigensten Interessen denken. Er ist eine eigenthümliche Natur. Von jeder Schwierigkeit, die sich ihm entgegenthürmt, entmuthigt und abgespannt, überläßt er sich sofort mit einer Art wirklich gefühlter Dankbarkeit den Händen derer, von 83 welchen er hofft, daß sie ihm die verlorene Ruhe und Sorglosigkeit wieder zurückbringen. — " „Merkwürdig!" rief Themar. „Ich hätte geglaubt, der König sinne Tag und Nacht auf Mittel und Wege, sich Auersteins und einer seiner Dynastie gefährlichen Politik zu entledigen. Das ist also ein Irrthum! Wie soll man Jemanden zu einem Staatsstreich von so widerhallender Größe treiben, der sich vor der kleinsten Action scheut?" „Er muß," erwiderte Frau von Feldern, „gleichsam mit verbundenen Augen so weit geführt werden, und das ist in diesem Falle nicht so schwer. Nein, nein; an Auerstein's Entfernung denkt er nicht. Er hat sich gewöhnt, Preußens Uebergewicht als ein Factum zu betrachten, an dem sich nicht rütteln läßt. Dabei hält er doch, während er das große Ganze preisgiebt, an dem Kleineren mit desto größerer Energie fest. Jeder Angriff auf das, was er seine Privatrechte oder sein persönliches Eigenthum nennt, bringt ihn sofort in Harnisch und kann eine wilde Kriegslust in ihm entflammen. Das hat 6 * 84 man in der neuesten Zeit bei der Domänensrage so recht deutlich gesehen. Auerstein wäre unfehlbar gefallen, wenn er seinen Widerstand in dieser Sache weiter getrieben hätte, oder wenn mir schon damals ein passender Ersatzmann für Auerstein zur Verfügung gestanden hätte. In diesem Falle hätte ich ihm den Rückzug abgeschnitten. Der König war auf's Aeußerste aufgebracht. Seitdem ist ein gütliches Arrangement von beiden Seiten angenommen oder so gut als angenommen worden. Man müßte da- zwischenfahren und dessen Zustandekommen vereiteln," fügte sie mit einem listigen Lächeln hinzu. „Die Mittel dazu sind da. Staatsrath von Warrentrapp, der das Referat in dieser Angelegenheit hat, ist mir ein treuer, ja blind ergebener Freund, auf den ich zählen darf. Auf meinen Wunsch verzögert er schon seit einigen Tagen die Vorlegung seines Berichtes — sonst wäre der König längst über alle Berge." Themar hatte gedankenvoll zugehört. „Das dürfte allerdings den gewünschten Conflict hervorbringen," sagte er nach einer 85 Pause mit einem Austilge von Hohn, der immer schärfer hervortrat. „Auerstein war ein Vierteljahrhundert lang Mitglied der. Bndgetcommission und hat die Manier eines handwerkmäßigen Sppositionsmannes, an den geringfügigsten Staatsausgaben zu mäkeln! Persönlich frei von Eigennutz und für seine Person von Knauserei frei, ist er von geradezu verrückter Sparsamkeit, wo es den Staat bereichern gilt . . . . " „Er soll sich bäumen und schäumen," erwiderte Frau von Feldern lächelnd, „wenn Warrentrapp seinen Vortrug macht. Ich glaube, er wird in die Falle gehen, aber es ist von unserer Seite die äußerste Vorsicht nöthig, ihn dieselbe nicht sehen zu lassen ... Zu meinem großen Bedauern sehe ich mich nun auch genöthigt, Ihnen, lieber Bundesgenosse, bis zum Tag nach der Entscheidung meine Thür zu schließen und mein Haus zu verbieten. Unsere Allianz darf vorläufig nicht das geringste Geräusch machen." „Auerstein," versetzte Themar, „hat nicht allein das massive Vertrauen eines auf seine vermeintliche Unentbehrlichkeit begründeten Dün- 86 — kels, er fühlt sich jetzt auch am sichersten und erwartet keinen Schlag. Da der König reist, hält er ihn von Ihnen losgelöst und das Ende Ihres Einflusses für bevorstehend." „So? So? Wissen Sie das?" rief Frau von Feldern. „Nun, so muß ich denn ungesäumt an's Werk gehen. Der Boden brennt mir unter den Füßen." Sie erhob sich und fügte mit einer beinahe wehmüthig angehauchten Stimme hinzu: „Es ist ein höchst kritischer Augenblick. Dieses Gemach betreten Sie entweder als Premierminister oder niemals im Leben, niemals, niemals mehr. Gestürzte Größen von der Kategorie, zu der ich gehöre, werden gemieden und ziehen sich selbst eilig in die Einsamkeit zurück. Ich könnte Ihnen nicht grollen, wenn auch Sie sich nie mehr bei mir blicken ließen, nein, ich könnte es nicht — ein Heer von Leuten, die von mir Wohlthaten empfangen haben, wird mir ja den Rücken kehren und mich nicht mehr kennen. Warum sollten Sie, den keine Verpflichtung an mich erinnern würde" — 87 „Gnädige Frau," rief Themar mit Feuer, „Sie fordern mich schrecklich heraus. Trotz der kränkenden Verkennung, die in Ihrer Aeußerung liegt, lasse ich mir doch nicht Ein Wort entreißen, das weiter geht, als meine Rechtfertigung erfordert. Ich bin kein Stellenjäger; ich weiß aus alter Erfahrung, daß es mir weit leichter fällt, meinen Ehrgeiz zu dämpfen, als mein Herz zu beruhigen. Mein Glück als Politiker, mein ganzes Glück mag von dem Schritte, den Sie zu thun im Begriffe sind, abhängen, aber da — hart an dieser Linie hört alle Niederlage für mich auf. Keine Macht der Welt kann den Eindruck Ihrer außergewöhnlichen Persönlichkeit, die Dankbarkeit für das Wohlwollen, mit dem Sie mich ausgezeichnet, in mir vernichten und mir den Pfad, der in Ihre Einsamkeit führt, absperren." „Wir wollen sehen," erwiderte Frau von Feldern in einem Tone, der den Zweifel wenig verhehlte. „Wir wollen sehen — aber am allerbesten wäre es, wenn es bis zu dieser entsetzlichen Probe nicht kommen müßte. Man 88 darf den Muth nicht sinken lassen. Wohlan, noch einmal: Sind Sie bereit, meinem Rufe zu folgen und alle Verantwortlichkeiten, die aus der Lage erwachsen, aus Ihre Schultern zu nehmen?" „Keine Situation und keine Aufgabe ist zu schwer," versetzte Themar, „so lange mir die Muse der Staatsweisheit gewogen bleibt und das hehre Orakel nicht verstummt, auf das ich wie auf die Quelle meiner Inspirationen lauschen werde!" Er küßte die weiße Hand, die ihm aufs - Freundlichste gereicht worden und verließ gleich darauf in einer Bewegung, die vielleicht ein wenig zur Schau getragen, aber durchaus nicht erkünstelt war, das Haus, indem er einen ihm bezeichneten neuen Weg einschlug, der über eine Wendeltreppe durch eine rückwärtige Thüre zum Garten hinausführte. 89 — Der König saß in seinem Kabinet, vor ihm stand ein stark beleibter ältlicher Herr mit einem einnehmenden Gesichte, das eben so sehr scharfe Intelligenz als Wohlwollen und biedermännische Offenheit zu verrathen schien. Es war ein Mann, der als eine große juristische Capacität galt, der Staatsrath von Warrentrapp, der nie vergaß, daß ihn Frau von Feldern auf seinen Posten gebracht hatte und sich in der Hoffnung, weiter zu kommen, als ein nie versagendes Werkzeug erwies, so oft seine Gönnerin einen Dienst benöthigte. Er hatte den König soeben durch seinen Vortrag über die Domänenfrage und die mündlichen Auseinandersetzungen, die er dem Vortrag folgen ließ, in die höchste Aufregung versetzt. »0 Diese inußle an Intensität gewonnen haben, da der Monarch seit einiger Zeit in ein nachhaltiges Schweigen verfallen war. Dem Staatsrath war nicht wohl zu Muthe, denn er wußte bisher noch nicht, ob sein Elaborat die bestimmte Wirkung erzielt, die man davon erwartete. Ja die scheinbar üble Laune des Königs schien ein solches Resultat zu verneinen. Endlich, wie aus eine»: peinlichen Nachdenken herausgerissen, regte sich der König und warf das fatale Aktenbündel, das er die ganze Zeit hindurch in der Hand festgehalten, ungeöffnet bei Seite, und auf den Tisch. „Ihre Arbeit ist gediegen und Ihres Rufes würdig," sagte er, endlich aufthauend, zum Staatsrath. „Hier finde ich den großen Gelehrten und den praktischen Mann in einer Person beisammen. Sie sind in das Dunkel einer fernen Vergangenheit zurückgegangen und haben die uns unbekannten Quellen unserer Besitzrechte theils genauer nachgewiesen, theils neu entdeckt. Die lichtvolle Darstellung ist mit 91 der Unparteilichkeit eines wahren Geschichtschreibers verfaßt, der nichts darnach frägt, ob er zu meinen Gunsten oder Ungunsten spricht. Sie bestreiten mir einzelne Objecte, die ich für unanfechtbar gehalten und erstatten mir andererseits in fraglichen Fällen volles, unbeschränktes Eigenthumsrecht. In dieser Hinsicht hat mich der Abschnitt über die Herrschaft Kranichsselden am meisten srappirt und es liegt auf der Hand, daß sich nun da der Kern des ganzen Domainen- streites concentrirt." „Majestät haben den wichtigsten Knotenpunkt meines langen Berichts mit der präcisesten Schärfe aufgefaßt," bemerkte der Staatsrath mit besonderer Betonung und fast feierlicher Zustimmung. „Dennoch wollte ich," hob der König wieder an, „Sie hätten mit bestem Wissen und Gewissen zu ganz anderen Ergebnissen gelangen können! Das ganze Arrangement, das ich mit Auerstein verabredet, fällt über den Haufen zusammen, wenn ich nicht, wie jetzt die Sache steht, noch größere Opfer bringen will, als ich schon zu bringen dachte!" „Wenn es Anerstein nicht um eine Überrumpelung zu thu» war," versetzte Warrentrapp, „so dürfte er ohne lange Widerrede eine neue, Ihrer Majestät Ansprüche besser berücksichtigende Basis der Verhandlungen aufstellen." „Das ist leicht gesagt," entgegnete der König aufseufzend. „Hinter ihm steht eine habgierige, despotische Kammermajorität, die Alles eher, als die Rechte des Fürsten respectirt. Ich bin da in ein Labyrinth gerathen, aus dem ich gar keinen Ausgang sehe." „So schlimm steht es um die Rechte des Fürsteu uoch nicht," entgegnete der Staatsrath. „Die Kammer wird sich fügen, wenn Aüerstein mit seinem Beispiel vorangeht. Er hat den Namen eines redlichen Mannes und wird sich als solcher bewähren; eswäre übrigens die flagranteste Ungerechtigkeit, dokumentarisch nachgewiesenes Privateigenthum anzutasten. Was sich auch noch zu Ihrer Majestät Gunsten einwenden ließe, soll nach getroffenem Arrangement als Ganzes bestehen bleiben; die Herrschaft Kranichs- felden jedoch muß bei dem Handel vollkommen 93 ausgeschieden werden! An die hat der Staat keinen Anspruch, keinen! Diese Besitzung gehört Ew. Majestät so gut wie Ihre Taschenuhr oder der Rock, deu Sie da tragen." „Kranichsfelden hat herrliche Forsten, Reichthum an allen möglichen Mineralien, den besten Getreideboden!" rief der König. „Es ist die Perle aller in Frage kommenden Domainengüter!" fügte Warrentrapp hinzu. „Es wäre doch ewig schade, dies Juwel fahren zu lassen" — rief der König mit immer feuriger aufflammeuder Begierde. „Kranichsfelden läßt sich ohne Schwertstreich nicht aufgeben," bemerkte der Staatsrath. „Um minder werthvolle Territorien haben Ew. Majestät Vorfahren jahrelange Kriege geführt." „Sehr wahr," versetzte der König mit Festigkeit. „Wir wollen gleich sehen, woran wir mit Auerstein sind. . . ." Er klingelte. Ein Kammerdiener trat ein. „Wir lasten Herrn von Auerstein bitten —" Eine Weile darauf trat der Genannte in das Gemach. 94 Er war ein breitschultriger rüstiger Sechsziger mit festen, energischen Zügen. Die Stirn mit dem dünnen, blonden, kurz gehaltenen Haar wölbte sich hoch und frei. Die hellblauen Augen hatten einen trotzigen Blick und doch war dem von einem leicht ergrauten Barte umrahmten Gesichte eher ein Zug der Güte eigen. Der König sagte, Auerstein mit freundlicher Miene die Hand reichend: „Wir wollen diesmal die endlose Domainen- frage zu einem endgiltigen Abschlüsse bringen. Staatsrath Warrentrapp wird als mein Beirath fungiren, da ich alle Details und alle Zahlen unmöglich im Gedächtniß behalten kaun. . . " „Niemand wird ein endgiltiges Resultat heißer herbeisehnen, als ich," erwiderte der Staats- Minister. „Ich werde schon von den Herren in der Kammer der Saumseligkeit angeklagt." „Ich gebe also," begann der König, „unserer Vereinbarung in allen ihren Grundzügen meine rückhaltlose Zustimmung —" „Dann ist Alles in Ordnung!" rief Auerstein, sich vergnügt die Hände reibend. 95 „Ich acceptire das Ganze in unveränderter Form," fuhr der König fort, „stelle aber die ausdrückliche Bedingung, daß die Herrschaft Kranichsfelden als mein freiverfügbares Eigenthum erklärt und anerkannt werde." Auerstein machte ein langes Gesicht, und stand, ein Bild der Verblüffung, einige Augenblicke starr da, ehe er Worte fand. „Wenn. wir das größte und werthvollste Stück herausreißen," sagte er derb und schroff, „dann ist das Ganze kein Ganzes mehr, folglich giebt es auch keine Vereinbarung mehr. Damit ist dem Faß der Boden ausgeschlagen." „Das Gesetz schützt heutzutage das Eigenthum des geringsten Bürgers," erwiderte der König sehr gelassen. „Wenn Sie nun die Urkunden, die weitzurückreichenden Dokumente sehen, die mir das beanspruchte Recht auf Kranichsfelden verbriefen, beweisen, erhärten? Dieselben sollen Ihnen vorgelegt werden! .... Wie viele sind ihrer?" wandte er sich an den Staatsrath. „Fünf, Majestät", erwiderte Warrentrapp, „doch habe ich nur zwei als Beilagen zu ver- 96 wenden für nöthig gefunden und die übrigen ins königliche Archiv zurückgeschickt. Die eine Urkunde ist vom Jahre 1303 , ein Schenkungsbrief eines der erlauchten Vorfahren des königlichen Hauses, des Herzogs Berthold des Gerechten, der andere ist ein Kaufbrief vom Jahre 1737 , aus welchem hervorgeht, daß Herzog Adalbert II zwölf einzelne mit Namen angeführte Güter um die Gesammtsumme von 182,000 Reichsthaler erworben hat, welche zwölf Güter noch zu dieser Stunde nicht den kleinsten Bestandtheil der Herrschaft Kranichsfelden bilden." „Herr Staatsrath," rief Auerstein in ziemlicher Erregung, „das gehört ja nicht hieher. „Der Besitzstand der beiden genannten Herzoge wird ja von Niemandem angefochten. Die Frage, die uns gegenwärtig beschäftigt, kann nicht durch antiquarisch-historische und juridische, sondern allein durch national-ökonomische Gründe gelöst werden. In allen Nachbarländern, in welchen die Eigenthumsgrenze zwischen dem Staat und den Regentenhäusern besteht, ist man von dieser 81 ihm meinen Rath, meinen Beistand wünschens- werth machten. Darin, nur darin besteht das wahre Band zwischen ihm und mir. Ich verachte vollständig, was böse Zungen darüber sagen mögen —" „Verdacht ist der Fluch, der die Schönheit überall hinbegleitet," bemerkte Themar, mit mehr Ritterlichkeit als Ueberzeugung. „Doch darüber wollen wir kein Wort verlieren. Ich sage: der König muß um jeden Preis daran verhindert werden, die Reise zu machen. Er muß unter Ihren Augen bleiben!" „Leicht gesagt," erwiderte Frau von Feldern. „Meine Augen haben nicht die Kraft, ihn festzubannen!" „Doch, doch!" rief Themar. „Es müßte schlimm zugehen, wenn Sie kein Mittel fänden—" „Ich hätte allerdings einen Plan" — sagte Frau von Feldern nach einer Pause. „Einen Plan, zu dessen Ausführung Sie mir sehr behilflich sein könnten. Gelänge er, würden Sie das Ziel, das Sie erstreben, im Fluge erreichen" — „Lassen Sie hören!" rief Themar, indem er 6 82 sich hoch aufrichtete und die gespannteste Aufmerksamkeit aus allen seinen Gesichtszügen sprach. „Ich kenne den König bis in die kleinsten Züge seiner Natur hinein," hob Frau von Feldern an. „Seitdem die Zuckungen im Staate aufgehört haben und das Land wenigstens auf der Oberfläche zur Ruhe gekommen ist, hat er meine Rathschläge und Dienste nicht mehr nöthig und — entfernt sich von mir. Es müßte eine Periode wilder Unruhe kommen, um ihn von meiner Hilfe wieder abhängig zu machen. Der Sturz des Ministerums Auerstein brächte solche Unruhe mit sich. Es wäre eine große, nachhaltige und für das Land schließlich wohlthätige Krise, die zu verlängern in unserem Belieben stände. Der König würde nicht mehr an seine Reise, desto mehr an seine eigensten Interessen denken. Er ist eine eigenthümliche Natur. Von jeder Schwierigkeit, die sich ihm entgegenthürmt, entmuthigt und abgespannt, überläßt er sich sofort mit einer Art wirklich gefühlter Dankbarkeit den Händen derer, von — 83 welchen er hofft, daß sie ihm die verlorene Ruhe und Sorglosigkeit wieder zurückbringen. — " „Merkwürdig!" rief Themar. „Ich hätte geglaubt, der König sinne Tag und Nacht auf Mittel und Wege, sich Auersteins und einer seiner Dynastie gefährlichen Politik zu entledigen. Das ist also ein Irrthum! Wie soll man Jemanden zu einem Staatsstreich von so widerhallender Größe treiben, der sich vor der kleinsten Action scheut?" „Er muß," erwiderte Frau von Feldern, „gleichsam mit verbundenen Augen so weit geführt werden, und das ist in diesem Falle nicht so schwer. Nein, nein; an Auerstein's Entfernung denkt er nicht. Er hat sich gewöhnt, Preußens Uebergewicht als ein Factum zu betrachten, an dem sich nicht rütteln läßt. Dabei hält er doch, während er das große Ganze preisgiebt, an dem Kleineren mit desto größerer Energie fest. Jeder Angriff auf das, was er seine Privatrechte oder sein persönliches Eigenthum nennt, bringt ihn sofort in Harnisch und kann eine wilde Kriegslust in ihm entflammen. Das hat 6 * 84 man in der neuesten Zeit bei der Domänenfrage so recht deutlich gesehen. Anerstein wäre unfehlbar gefallen, wenn er seinen Widerstand in dieser Sache weiter getrieben hätte, oder wenn mir schon damals ein passender Ersatzmann für Auerstein zur Verfügung gestanden hätte. In diesem Falle hätte ich ihm den Rückzug abgeschnitten. Der König war auf's Aeußerste ausgebracht. Seitdem ist ein gütliches Arrangement von beiden Seiten angenommen oder so gut als angenommen worden. Man müßte da- zwischenfahren und dessen Zustandekommen vereiteln," fügte sie mit einem listigen Lächeln hinzu. „Die Mittel dazu sind da. Staatsrath von Warrentrapp, der das Referat in dieser Angelegenheit hat, ist mir ein treuer, ja blind ergebener Freund, auf den ich zählen darf. Auf meinen Wunsch verzögert er schon seit einigen Tagen die Vorlegung seines Berichtes — sonst wäre der König längst über alle Berge." Themar hatte gedankenvoll zugehört. „Das dürfte allerdings den gewünschten Conflict hervorbringen," sagte er nach einer 85 Pause mit einem Ausluge von Hohn, der immer schärfer hervortrat. „Auersteiu war ein Vierteljahrhundert lang Mitglied der Budgetcommission und hat die Manier eines handwerkmäßigen Oppositionsmannes, aii den geringfügigsten Staatsausgaben zu mäkeln! Persönlich frei von Eigennutz und für seine Person von Knauserei frei, ist er von geradezu verrückter Sparsamkeit, wo es den Staat bereichern gilt . . . . " „Er soll sich bäumen und schäumen," erwiderte Frau von Feldern lächelnd, „wenn Warrentrapp seinen Vortrag macht. Ich glaube, er wird in die Falle gehen, aber es ist von unserer Seite die äußerste Vorsicht nöthig, ihn dieselbe nicht sehen zu lassen ... Zu meinem großen Bedauern sehe ich mich nun auch genöthigt, Ihnen, lieber Bundesgenosse, bis zum Tag nach der Entscheidung meine Thür zu schließen und mein Haus zu verbieten. Unsere Allianz darf vorläufig nicht das geringste Geräusch machen." „Auersteiu," versetzte Themar, „hat nicht allein das massive Vertrauen eines auf seine vermeintliche Unentbehrlichkeit begründeten Dün- 86 kels, er fühlt sich jetzt auch am sichersten und erwartet keinen Schlag. Da der König reist, hält er ihn von Ihnen losgelöst und das Ende Ihres Einflusses für bevorstehend." „So? So? Wissen Sie das?" rief Frau von Feldern. „Nun, so muß ich denn ungesäumt an's Werk gehen. Der Boden brennt mir unter den Füßen." Sie erhob sich und fügte mit einer beinahe wehmüthig angehauchten Stimme hinzu: „Es ist ein höchst kritischer Augenblick. Dieses Gemach betreten Sie entweder als Premierminister oder niemals im Leben, niemals, niemals mehr. Gestürzte Größen von der Kategorie, zu der ich gehöre, werden gemieden und ziehen sich selbst eilig in die Einsamkeit zurück. Ich könnte Ihnen nicht grollen, weiln auch Sie sich nie mehr bei mir blicken ließen, nein, ich könnte es nicht — ein Heer von Leuten, die von mir Wohlthaten empfangen haben, wird mir ja den Rücken kehren und mich nicht mehr kennen. Warum sollten Sie, den keine Verpflichtung an mich erinnern würde" — 87 „Gnädige Frau," rief Themar mit Feuer, „Sie fordern mich schrecklich heraus. Trotz der kränkenden Verkennung, die in Ihrer Aeußerung liegt, laste ich mir doch nicht Ein Wort entreißen, das weiter geht, als meine Rechtfertigung erfordert. Ich bin kein Stellenjäger; ich weiß aus alter Erfahrung, daß es mir weit leichter fällt, meinen Ehrgeiz zu dämpfen, als mein Herz zu beruhigen. Mein Glück als Politiker, mein ganzes Glück mag von dem Schritte, den Sie zu thun im Begriffe sind, abhängen, aber da — hart an dieser Linie hört alle Niederlage für mich auf. Keine Macht der Welt kann den Eindruck Ihrer außergewöhnlichen Persönlichkeit, die Dankbarkeit für das Wohlwollen, mit dem Sie mich ausgezeichnet, in mir vernichten und mir den Pfad, der in Ihre Einsamkeit führt, absperren." „Wir wollen sehen," erwiderte Frau von Feldern in einem Tone, der den Zweifel wenig verhehlte. „Wir wollen sehen — aber am allerbesten wäre es, wenn es bis zu dieser entsetzlichen Probe nicht kommen müßte. Mau 88 darf den Muth nicht sinken lassen. Wohlan, noch einmal: Sind Sie bereit, meinem Rufe zu folgen und alle Verantwortlichkeiten, die aus der Lage erwachsen, auf Ihre Schultern zu nehmen?" „Keine Situation und keine Aufgabe ist zu schwer," versetzte Theniar, „so lange mir die Binse der Staatsweisheit gewogen bleibt und das hehre Orakel nicht verstummt, auf das ich wie auf die Quelle meiner Inspirationen lauschen werde!" Er küßte die weiße Hand, die ihm auss Freundlichste gereicht worden und verließ gleich darauf in einer Bewegung, die vielleicht ein wenig zur Schau getragen, aber durchaus nicht erkünstelt war, das Haus, indem er einen ihm bezeichneten neuen Weg einschlug, der über eine Wendeltreppe durch eine rückwärtige Thüre zum Garten hinausführte. 89 FtHeL Der König saß in seinem Kabinet, vor ihm stand ein stark beleibter ältlicher Herr mit einem einnehmenden Gesichte, das eben so sehr scharfe Intelligenz als Wohlwollen und biedermännische Offenheit zu verrathen schien. Es war ein Mann, der als eine große juristische Kapacität galt, der Staatsrath von Warrentrapp, der nie vergaß, daß ihn Frau von Feldern auf seinen Posten gebracht hatte und sich in der Hoffnung, weiter zu kommen, als ein nie versagendes Werkzeug erwies, so oft seine Gönnerin einen Dienst benöthigte. Er hatte den König soeben durch seinen Vortrag über die Domänenfrage und die mündlichen Auseinandersetzungen, die er dem Vortrag folgen ließ, in die höchste Aufregung versetzt. 90 Diese mußte an Intensität gewonnen haben, da der Monarch seit einiger Zeit in ein nachhaltiges Schweigen verfallen war. Dem Staatsrath war nicht wohl zn Muthe, denn er wußte bisher noch nicht, ob sein Elaborat die bestimmte Wirkung erzielt, die man davon erwartete. Ja die scheinbar üble Laune des Königs schien ein solches Resultat zu verneinen. Endlich, wie aus einem peinlichen Nachdenken herausgerissen, regte sich der König und warf das fatale Aktenbündel, das er die ganze Zeit hindurch in der Hand festgehalten, ungeöffnet bei Seite, und auf den Tisch. „Ihre Arbeit ist gediegen und Ihres Rufes würdig," sagte er, endlich aufthauend, zum Staatsrath. „Hier finde ich den großen Gelehrten und den praktischen Mann in einer Person beisammen. Sie sind in das Dunkel einer fernen Vergangenheit zurückgegangen und haben die uns unbekannten Quellen unserer Besitzrechte theils genauer nachgewiesen, theils neu entdeett. Die lichtvolle Darstellung ist mit 91 der Unparteilichkeit eines wahren Geschichtschreibers verfaßt, der nichts darnach frägt, ob er zu meinen Gunsten oder Ungunsteu spricht. Sie bestreiken mir einzelne Objecte, die ich für unanfechtbar gehalten und erstatten mir andererseits in fraglichen Fällen volles, unbeschränktes Eigenthumsrecht. In dieser Hinsicht hat mich der Abschnitt über die Herrschaft Kranichsselden am meisten frappirt und es liegt aus der Hand, daß sich nun da der Kern des ganzen Domainen- streites concentrirt." „Majestät haben den wichtigsten Knotenpunkt meines langen Berichts mit der präcisesten Schärfe aufgefaßt," bemerkte der Staatsrath mit besonderer Betonung und fast feierlicher Zustimmung. „Dennoch wollte ich," hob der König wieder an, „Sie hätten mit bestem Wissen und Gewissen zu ganz anderen Ergebnissen gelangen können! Das ganze Arrangement, das ich mit Auerstein verabredet, fällt über den Haufen zusammen, wenn ich nicht, wie jetzt die Sache steht, noch größere Opfer bringen will, als ich schon zu bringen dachte!" 92 „Wenn es Auerstein nicht um eine Ueber- rumpelung zu thun war," versetzte Warrentrapp, „so dürfte er ohne lange Widerrede eine neue, Ihrer Majestät Ansprüche besser berücksichtigende Basis der Verhandlungen aufstellen." „Das ist leicht gesagt," entgegnete der König aufseufzend. „Hinter ihm steht eine habgierige, despotische Kammermajorität, die Alles eher, als die Rechte des Fürsten respectirt. Ich bin da in ein Labyrinth gerathen, aus dem ich gar keinen Ausgang sehe." „So schlimm steht es um die Rechte des Fürsten noch nicht," entgegnete der Staatsrath. „Die Kammer wird sich fügen, wenn Auerstein mit seinem Beispiel vorangeht. Er hat den Namen eines redlichen Mannes und wird sich als solcher bewähren; eswäre übrigensdie flagranteste Ungerechtigkeit, dokumentarisch nachgewiesenes Privateigenthum anzutasten. Was sich auch noch zu Ihrer Majestät Gunsten einwenden ließe, soll nach getroffenem Arrangement als Ganzes bestehen bleiben; die Herrschaft Kranichs- felden jedoch muß bei dem Handel vollkommen 93 — ausgeschieden werden! An die hat der Staat keinen Anspruch, keinen! Diese Besitzung gehört Ew. Majestät so gut wie Ihre Taschenuhr oder der Rock, den Sie da tragen." „Kranichsfelden hat herrliche Forsten, Reichthum an allen möglichen Mineralien, den besten Getreideboden!" rief der König. „Es ist die Perle aller in Frage kommenden Domainengüter!" fügte Warrentrapp hinzu. „Es wäre doch ewig schade, dies Juwel fahren zu lassen" — rief der König mit immer feuriger aufflammender Begierde. „Kranichsfelden läßt sich ohne Schwertstreich nicht aufgeben," bemerkte der Staatsrath. „Um minder werthvolle Territorien haben Ew. Majestät Vorfahren jahrelange Kriege geführt." „Sehr wahr," versetzte der König mit Festigkeit. „Wir wollen gleich sehen, woran wir mit Auerstein sind. ..." Er klingelte. Ein Kammerdiener trat ein. „Wir lasten Herrn von Auerstein bitten —" Eine Weile darauf trat der Genannte in das Gemach. 94 Er war ein breitschultriger rüstiger Sechsziger mit festen, energischen Zügen. Die Stirn mit dem dünnen, blonden, kurz gehaltenen Haar wölbte sich hoch und frei. Die hellblauen Augen hatten einen trotzigen Blick und doch war dem von einem leicht ergrauten Barte umrahmten Gesichte eher ein Zug der Güte eigen. Der König sagte, Auerstein mit freundlicher Miene die Hand reichend: „Wir wollen diesmal die endlose Domainen- frage zu einem endgiltigen Abschlüsse bringen. Staatsrath Warrentrapp wird als mein Beirath fungiren, da ich alle Details und alle Zahlen unmöglich im Gedächtniß behalten kann. . . " „Nientand wird ein endgiltiges Resultat heißer herbeisehnen, als ich," erwiderte der Staats- Minister. „Ich werde schon von den Herren in der Kammer der Saumseligkeit angeklagt." „Ich gebe also," begann der König, „unserer Vereinbarung in allen ihren Grundzügen meine rückhaltlose Zustimmung —" „Dann ist Alles in Ordnung!" rief Auer- stein, sich vergnügt die Hände reibend. 95 „Ich acceptire das Ganze in unveränderter Form," fuhr der König fort, „stelle aber die ausdrückliche Bedingung, daß die Herrschaft Kranichsfelden als mein freiverfügbares Eigenthum erklärt und anerkannt werde." Auerstein machte ein langes Gesicht, und stand, ein Bild der Verblüffung, einige Augenblicke starr da, ehe er Worte fand. „Wenn wir das größte und werthvollste Stück herausreißen," sagte er derb und schroff, „dann ist das Ganze kein Ganzes mehr, folglich giebt es auch keine Vereinbarung mehr. Damit ist dem Faß der Boden ausgeschlagen." „Das Gesetz schützt heutzutage das Eigenthum des geringsten Bürgers," erwiderte der König sehr gelassen. „Wenn Sie nun die Urkunden, die weitzurückreichenden Dokumente sehen, die mir das beanspruchte Recht auf Kranichsfelden verbriefen, beweisen, erhärten? Dieselben sollen Ihnen vorgelegt werden! . . . . Wie viele sind ihrer?" wandte er sich an den Staatsrath. „Fünf, Majestät", erwiderte Warrentrapp, „doch habe ich nur zwei als Beilagen zu ver- 98 wenden für nöthig gefunden und die übrigen ins königliche Archiv zurückgeschickt. Die eine Urkunde ist vom Jahre 1303 , ein Schenkungsbrief eines der erlauchten Vorfahren des königlichen Hauses, des Herzogs Berthold des Gerechten, der andere ist ein Kaufbrief vom Jahre 1737 , aus welchem hervorgeht, daß Herzog Adalbert II zwölf einzelne mit Namen angeführte Güter um die Gesammtsumme von 182,000 Reichsthaler erworben hat, welche zwölf Güter noch zu dieser Stunde nicht den kleinsten Bestandtheil der Herrschaft Kranichsfelden bilden." „Herr Staatsrath," rief Auerstein in ziemlicher Erregung, „das gehört ja nicht hieher. „Der Besitzstand der beiden genannten Herzoge wird ja von Niemandem angefochten. Die Frage, die uns gegenwärtig beschäftigt, kann nicht durch antiquarisch-historische und juridische, sondern allein durch national-ökonomische Gründe gelöst werden. In allen Nachbarländern, in welchen die Eigenthumsgrenze zwischen dem Staat und den Regentenhäusern besteht, ist man von dieser 97 Auffassung ausgegangen. Sie können daher ohne der Sache zu schaden, auch diese zwei Dokumente wieder in's Archiv zurückwandern lassen." „Das nenne ich das Recht mit Füßen treten!" rief der Staatsrath mit wilder Geberde. „Sie stehen eben aus dem einseitigen Standpunkte eines Juristen," versetzte Auerstein, „eines Juristen, der ganz vergißt, daß Herzog Berthold der Gerechte keine Kammer hatte, die ihm eine großartige Civilliste zahlte. Man muß den Zeitverhältnissen Rechnung tragen." , „Lieber Auerstein", sagte der König mit einem gezwungenen Lächeln, „Sie sind heute hitziger, als gewöhnlich. Wir wollen die Verhandlungen über den Gegenstand abbrechen und sie erst wieder aufnehmen, bis Sie die darauf bezüglichen Akten einer tiefer eingehenden Prüfung unterzogen haben. Hoffentlich werden wir dann die neuen Einigungspunkte leichter herausfinden." Auerstein besann sich einige Augenblicke und sagte dann mit der größten Entschiedenheit: „Das Uebereinkommen, das aus eine so 7 98 überraschende Weise- fallen gelassen wird, hat die Anschauungen der Kammermasorität ausgedrückt und ich habe mein Wort dafür verpfändet. Sollte daher Ihre Majestät auf der neuen unerwarteten Forderung zu bestehen geruhen, so muß ich einen für beide Theile aussichtslosen Conflict vorhersagen und bitten, mich meines Postens allergnädigft zu entheben. Ich könnte mich mit den neuen Vorschlägen nicht vor die Kammer wagen, ich würde mit Hohngelächter empfangen werden." „Die national-ökonomischen Gründe Ihres Widerstandes entpuppen sich plötzlich als rein parlamentarische!" rief der Staatsrath mit der perfiden Absicht der Aufstachelung. „Der Ministerpräsident hat jetzt zu seinem Herrn und Meister, dem König gesprochen," erwiderte Auerstein mit strenger Würde. „Ich fordere Sie auf, bei Ihrem Leisten zu bleiben." ' „Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, Excellenz!" entgegnete der Staatsrath, die größte Höflichkeit und Betroffenheit affektirend, um das Odium des kleinen Zwischenfalls in den Augen 99 des Königs auf Auersteins barsches Wesen zu werfen. „Bei der unerwarteten Wendung der Dinge ist Ihre Gegenwart nicht mehr nöthig," wandte sich der König an den Staatsrath, der mit dem Ausgang seiner geheimen Mission wohl zufrieden, sofort verschwand und seiner nicht ferne harrenden Gönnerin Bericht zu erstatten eilte. „Ist das Ihr letztes Wort?" fragte der König mit scheinbarer Entschiedenheit, während er im Stillen nur die allerkleinste Concession von Auersteins Seite wünschte, um nicht die Dinge zum Äußersten getrieben zu sehen. „Ich bin bestürzt, sagen zu müssen, daß ich von meiner Meinung nicht abgehen kann," versetzte Auerstein. „Ich kenne die Stimmung der Kammer" — „Was würden Sie thun," sprach der König, „wenn die Kammer so gestimmt wäre, daß sie mit einfachem Votum alle meine Domainen sammt und sonders in Staatsgut verwandeln wollte?" „Meine Demission als Minister geben," gab 100 Auerstein zur Antwort, „oder Ew. Majestät bitten, die Kammer aufzulösen — und was das „Arrangement" betrifft, welches Ew. Majestät plötzlich gegen alle meine Erwartungen umzustoßen belieben, so hat es mich die größten Kämpfe gekostet, es zu Stande zu bringen. Mehr war nicht zu erreichen. Ich höre sogar Vorwürfe, daß ich die Rechte des Staates nicht sattsam gewahrt." „Diesen Vorwurf kann ich Ihnen nicht machen !" versetzte der König bitter. Auerstein senkte die Augen und erwiderte nach einigem Nachdenken in einem ruhigen, maßvollen Tone: „Es fällt mir ebenso schwer, mich der allerhöchsten Unzufriedenheit ausgesetzt zu fühlen, als den eingegangenen Verpflichtungen der Landesvertretung gegenüber untrer! zu werden. Ich will den Ministerrath sogleich zusammenrufen und die von Ew. Majestät erhobenen Ansprüche auf Kranichsfelden aus die Tagesordnung setzen. Darf ich um die bezüglichen Aktenstücke bitten?" „Hier sind sie," sprach der König, über 101 diesen Zug des Entgegenkommens erfreut. „Wenn beide Theile eine aufrichtige Verständigung wollen, so kommt sie auch gewöhnlich zu Stande. Ich werde Ihre schwierige Stellung in der Kammer mit derselben Willfährigkeit im Auge behalten, mit welcher Sie auf mein persönliches Interesse Rücksicht nehmen." König und Minister schüttelten sich ausein- andergehend die Hände. Während die Unterredung im Arbeitszimmer des Königs stattfand, wartete Frau von Feldern in einem Erkerzimmer des Schlosses, in welchem, wenn keine Gäste anwesend waren, der König das zweite Frühstück einzunehmen pflegte. Seit ihr Staatsrath Warrentrapp den stürmischen Beginn der Audienz berichtet, waren alle ihre Zweifel geschwunden, und ihre Hoffnungen zur vollsten Gewißheit gestiegen, daß der König mit der Meldung zurückkommen werde: ihr Todfeind sei nicht mehr am Ruder. Mit gerötheten Wangen und funkelnden Augen stand sie am Fenster und blickte in den Park hinaus. Der König trat endlich ein. 103 Obwohl ziemlich hochgebaut und corpulent, war er doch eine kränklich nervöse Natur, die Spuren jeder Erregung blieben auf seinem Antlitz noch lange sichtbar. „Wie aufgeregt, ich will nicht sagen, angegriffen Sie aussehen!" rief ihm Frau von Feldern zu, indem sie ihn mit der zärtlichsten Sorge zu betrachten schien. Der König warf sich in eine Sophaecke. „Aufgeregt bin ich," versetzte er, „aber doch — heiter aufgeregt. Ende gut, alles gut. Ja, die Herren Minister hängen an ihren Portefeuilles mehr, als man glaubt." „Hat Auerstein nachgegeben?" fragte Frau von Feldern, plötzlich von der düstersten Ahnung befallen, fast tonlos. „Noch nicht — wenigstens nicht ganz," erwiderte der König, „aber ein kleines Zugeständniß habe ich ihm doch abgerungen. Vielleicht, vielleicht wird ein größeres daraus. Auerstein lärmte erst wie ein Wilder, und wollte auf die Prüfung der Dokumente gar nicht eingehen. Doch als er mich auf das Aeußerste entschlossen 104 sah, lenkte er ein und gab klein bei. Er verhandelt erst mit seinen Eollegen. Ich bin mit dem Ausgange ganz zufrieden. Wir standen bereits am Rande eines vollständigen Bruches — es gelang mir aber doch noch, den furchtbaren Brausekopf zur Besinnung zu rufen." „Er hat wohl mit seiner Entlassung gedroht?" sagte Frau von Feldern mit durchklingendem Hohn. „Gedroht?" rief der König. „Er hat mir sie geradezu vor die Füße geworfen. Warren- trapp war zugegen und holte sich ein blaues Auge dabei" — fügte er lachend hinzu. „Und das scheint Sie zu amüsiren!" sagte Frau von Feldern zornig, mit einem Blicke, in welchem jeder bessere Menschenkenner Verachtung gelesen hätte. „Hinterher ist Manches komisch!" versetzte der König in allerbestem Humor. „Auf gleiche Weise lacht vielleicht jetzt auch Auerstein über den Verlauf der Audienz," sagte Frau von Feldern mit vor Wuth bebender Stimme. 105 „Was meinen Sie?" bemerkte der König, sie verwundert anblickend. „O Sie sind gut!" rief Frau von Feldern ironisch, „und das verstehen die Leute zu benutzen. Sie verdienen in der Geschichte den Beinamen des Gutmüthigen und die Nachwelt wird nachrechnen, was Ihnen der Titel kostet. Auerstein giebt Ihre Krone stückweise an Preußen hin und vertheilt Ihre Domainen unter Ihre eigenen Unterthanen. Und Sie halten es für einen großen Triumph, daß es nicht auf einmal geschieht!" „Ich verstehe Sie nicht!" sagte der König unruhig werdend. „Welche besondere Ursache haben Sie zu diesen Ausfällen?" „Ich rede so, weil ich es nicht länger ansehen kann, wie man Sie entblößt und beraubt!" rief Frau von Feldern mit aller Leidenschaft sich erhebend. „Ich möchte so fern von hier fortziehen, daß mich auch nicht die leiseste Kunde von Ihrem Hofe mehr ereilen sollte . . ." „Sind Sie verrückt, Helene?" rief der König, halb scherzend, halb ärgerlich. 106 „Sie sagen, die Minister hängen an ihren Portefeuilles!" fuhr Frau von Feldern in gleichem Tone fort. „Ich sage: Nein; Sie, Majestät, hängen an Ihren Ministern. Hätten Sie Auer- steins Entlassung nur zum Schein, zur Probe angenommen, so wäre er nicht halb, sondern ganz zu Kreuz gekrochen, oder der unheilvolle Mann wäre jetzt abgewiesen und ersetzt." „Das ist leicht gesagt!" warf der König hin; die Conversation fing schon an, ihm unangenehm zu werden. „Gerade der gegenwärtige Augenblick war unendlich günstig und wie dazu geschaffen, ihn abzuschütteln," sprach Frau von Feldern mit unvermindertem Eifer. „Man Hütte die Gelegenheit nicht entschlüpfen lassen, sondern bei den Haaren herbeiziehen sollen. Ist der vortreffliche Eindruck, den Themar auf Sie hervorgebracht, so ganz verlöscht, daß Sie sich seiner in der kritischen Stunde nicht mehr erinnern?" „Ich habe allerdings gesagt und sage es noch, daß ich mir einen so sympathischen Ministerchef wünschte," erwiderte der König leichthin. 107 „aber, liebe Helene, der Mensch hat auch schöne Träume... „Themar hat Geist, Thatkraft und ist der Dynastie blind ergeben," hob Frau von Feldern gleich wieder an. „Er ist ein Repräsentant unseres alten Adels, mit der Geschichte und den Traditionen unseres Vaterlandes verwachsen. Er hat den Muth, auch gegen den Strom zu schwimmen. Andererseits ist er bisher im Dienst gestanden, gilt für einen Gesinnungsgenossen der jetzigen Kammermajorität. Seine Berufung an die Spitze der Geschäfte würde auch beim Könige der deutschen Könige in Berlin keinem Mißtrauen begegnen, da der Ministerwechsel wegen einer Privatstreitigkeit in der Domainen- frage erfolgt und es sich scheinbar nur um Personen, nicht um Principien dabei handelt. Majestät, Sie haben eine große Unterlassungssünde begangen, Sie haben heute an Ihrem Glücke gefrevelt." „Helene," erwiderte der König gelassen, „Sie haben sich in eine Leidenschaft hineingeredet — die wirklich, wirklich Ihnen schädlich 108 werden kann. Wenn — wenn Sie ein Brausepulver nehmen wollten — oder etwas Vichy- wasser — Sie brauchen nur zu klingeln —" Helene, über eine solche Apathie empört, trat ohne eine Antwort zu geben, an's Fenster. Der König, der eine Weile schweigend ihre Rückkehr erwartet hatte, war gutmüthig genug, ihr entgegenzukommen. „Sie haben vollständig Recht!" sagte er. „Ich theile ganz Ihre Ansichten. Ich durchschaue alle Vortheile, die in diesem Wechsel liegen — er käme mir aber jetzt zur Unzeit! Täuschen wir uns darüber nicht. Er würde eine acute Krise zur Folge haben. Diese würde sich länger hinschleppen, als wir beide wünschen und denken. Sie wissen, meine Gesundheit braucht dringend Erholung. Meine Nerven sind, ich kann sagen, total zerrüttet. Medicinal- rath Horst dictirt mir die Bäder in den Pyrenäen, einen Aufenthalt in mildem Klima. Könnte ich unter solchen Umständen reisen? Könnte ich eine solche Krise hinter mir zurücklassen? Erwägen Sie das, erwägen Sie das 109 wohl, liebe Helene, und Sie werden meine heutige Mäßigung, Auersteiu gegenüber, gerechter beurtheilen. . . Diese Worte, die eine beruhigende Wirkung ausüben sollten, mußten begreiflicherweise das Gegentheil hervorrufen. Eine monatelang dauernde Reise nach Südfrankreich, an der das Ehepaar Feldern nicht theilnehmen sollte, war schon ein Zeichen der Erkältung, konnte zur Entfremdung führen, konnte Sturz bedeuten. Der König, Frau vou Feldern wußte es nur zu gut, war flüchtigen Neigungen unterworfen. Und wie würde sich indeß Auersteiu in seiner Stellung befestigen! Eifersucht, Sorge, Zweifel, Zorn über den Kleinmuth, der die wichtigsten Interessen seiner Krone opferte, rangen in ihrer Brust wild durcheinander. Sie sah alle Versuche, den König aufzuhalten aus demselben Grunde fehlschlagen, aus welchem der heutige Feldzug ein so trauriges Ende genommen. Indeß verhehlte Frau von Feldern ihre Auf- 110 regung, die auf die höchste Höhe gestiegen war, sorgsam unter dem Schein der Ruhe. Von diesein Momente an berührte sie den bisherigen Gesprächsstoff nicht mehr und wußte den aufsteigenden Haß und den sie zeitweise übermannenden Kleinmuth der Verzweiflung meisterhaft zu verbergen. Man scherzte, lachte, unterhielt sich über gleichgültige Dinge, bis sich der Tag zu seinem Ende neigte und die Stunde, zur Tafel zu gehen, kam. . Auf Frau von Felderns Veranlassung war heute großes Gala-Diner. Ausgesuchte Gegner Auersteins waren geladen, Themar befand sich aus naheliegenden Gründen nicht unter ihnen. So sehr hatte sie auf ihren Sieg gerechnet, daß sie gewissermaßen ein Todtenmahl veranstaltet hatte, um das Verscheiden des verhaßten Ministers zu feiern. Ihre Freude war in Trauer verwandelt und wenn sie auch bei der Tafel das an ihr rastlos nagende Gefühl der Niederlage mit der Lebhaftigkeit ihres Geistes zu maskiren verstand, so 111 reichten doch alle ihre Verstellungskünste nicht hin, ein einzigesmal sorglos zu lachen. Von den Gerichten, die herumgereicht wurden, brachte sie keinen Bissen über ihre Lippen. Bald nach dem Diner war der König ganz plötzlich unsichtbar geworden. Da er lange nicht wieder erschien, hörte Frau von Feldern auf ihre Anfrage, daß er sich in sein Kabinet begeben habe. Sie folgte ihm dahin und fand ihn dort allein mit gesenktem Kopfe im Fauteuil sitzen, wie .wenn er sich zurückgezogen habe, ein wenig zu schlummern. Sie trat zurück. „Nur herein!" rief ihr der König plötzlich nach. „Ich schlafe nicht, ich denke mit bitterer Reue an die weifen Rathschläge, die Sie mir gegeben und die ich nicht genug beachtet habe." „Wie soll ich das nehmen?" fragte sie stutzend. „Helene," sagte der König, sie zärtlich bei der Hand fassend, „Sie habeir Recht, Sie haben meistens Recht, immer Recht! Unter taufend Wahrheiten haben Sie mir auch heute gesagt, 112 -- daß die Minister nicht an ihren Portefeuilles hingen, sondern daß ich an den Ministern hänge! Soeben hat mir Auerstein und das ganze Ministerium, wie ein Mann, die Entlassung zugesendet. Was sagen Sie dazu?" Frau von Feldern war in einem Freudentaumel. „Und denken Sie die Entlastung anzunehmen?" fragte sie. „Sie halten mich für schwächer, als ich bin," versetzte der König verletzt. „Doch gehen wir jetzt zu den Gästen in den Saal zurück. Dann haben wir den ganzen Abend frei, uns mit dem Ereigniß zu beschäftigen." Sie verließen das Kabinet. / Noch in derselben Nacht wurde Themar ins Schloß gerufen und beauftragt, ein neues Ministerium zu bilden. 113 Hiedentes Aapiet. In allerkürzester Frist war das neue Ministerium fix und fertig und amtlich kundgemacht. Zur Charakterisirung der Persönlichkeiten, nach welchen Herr von Themar gegriffen hatte, genügt es zu bemerken, daß Staatsrath Warren- trapp das Justizministerium zugetheilt erhielt und gleichsam mit dem Schwerte der Gerechtigkeit dem Könige die Zusprechuug der Herrschaft Kranichsfelden gewährleistete. Die Wahl dieses Mannes allein wäre schon im ganzen Lande als eine schwere Herausforderung gefühlt worden, wenn sich. auch die übrigen Minister einer größeren Popularität zu erfreuen gehabt hätten. Unter diesen letzteren befanden 8 114 sich indeß ein paar sehr verpönte Namen neben einigen am Hofe beliebten harmlosen Nnllen. Es war sonnenklar, daß man sich die Kammermajorität vorn Halse schaffen und alsbald zur Auflösung des Landtags schreiten wolle und müsse. Das ganze Land war durch den unerwartet heraufbeschworenen Conflict in einen Zustand höchster Gereiztheit und Erbitterung versetzt Es hatte nicht den Anschein, daß die nächsten. Wahlen eine gefügigere Kammer liefern würden. Auerstein wurde mit Ovationen und Ergebenheitsadressen überschüttet. Das hohe Lob, das ihm seiner Festigkeit und Principientreue wegen in der ganzen Journalistik gesungen wurde, hatte eine natürliche und begreifliche Rückwirkung. Der neue Ministerpräsident war, bevor er noch ein Wort seines Regiernngsprogramms veröffentlicht, der verfehmteste Mann im Königreich geworden. Themar war auf diese Unpopularität gefaßt gewesen und hätte sich gewundert, wenn es anders gewesen wäre. Er wollte zur Macht ge- 115 langen, und war entschlossen, jeden Preis zu zahlen, der ihm dafür abverlangt werdenswürde. Seit seiner Erhebung hatte er Frau von Feldern nicht gesehen uud doch sehnte er sich, ihr seine Dankvisite abzustatten. Einzig und allein seine von einer schwierigen Amtsübernahme unzertrennlichen Pflichten hatten ihn Tag und Nacht in Anspruch genommen. Es war seine erste freie und zugleich wahrhaft glückliche Stunde, als er endlich durch die den Schloßpark von Rastdorf entlang führende Straße der Villa zueilte, welche er erst vor wenig Tagen in gedrückter Stimmung betreten hatte. Alles hatte sich inzwischen^ zu seinen Gunsten vom Grund aus verändert. Die mächtige Frau war jetzt auf seine Allianz angewiesen und konnte sich von ihm nicht mehr losreißen. Schönheitstrahlend empfing sie ihrens Günstling mit uugeheuchelter Freude und mit unzweifelhaft aufrichtigen Glückwünschen. Von ihrer Anmuth betroffen und^begeistert, erwiderte Themar: 8 * 116 „Gnädige Frau, ein Miuisterwechsel ist gewöhnlich eine sehr prosaische Sache, der gegenwärtige jedoch enthält auch ein romantisches Element. Ich hatte das Glück zur rechten Zeit an's Land zu fahren und Sie von einem gefährlichen Fnnde zu befreien. Ich bin damit auf die höchste Stufe meiner Wünsche gelangt, gestatten Sie aber auch dem übermüthigen Sieger, zu sagen, das; er Ihre Machtstellung neu befestigt hat!" „Das ist wahr," erwiderte Frau von Feldern. „Ich athme erst wieder ruhig, seit Auer- stein fort ist. Unser Sieg ist vollständig, nun gilt es, ihn zu behaupten!" „Wir wollen einander unentbehrlich sein!" sagte Themar. Frau von Feldern schlug in die dargebotene Hand. „Möge die Stunde niemals kommen, in der es anders würde," rief Themar mit hoher Wärme aus. „Alle meine geheimsten Gedanken sind in Ihren Händen, gleichwie die Ihrigen in meine Hände gelegt sind. Unser 117 Beider Existenz ist von einem gleichen Interesse umschlungen, wir sind zu einander in eine unlösbare Wechselbeziehung getreten. Sagen Sie selbst: ist nicht diese Allianz gleichbedeutend mit einem Seelenbnnde? Ich wenigstens fasse es so auf. Doch was sage ich! Wie schwer wird es mir werden, die Grenze eines solchen Bundes nicht zu überschreiten! Die schönste, die entzückendste Kau steht vor mir. Es wird an Ihnen sein, mich zur Besinnung zu bringen, wenn ich, dem berückenden Zauber Ihrer Schönheit ausgesetzt, in Gefahr komme, von der Stellung eines gleichberechtigten Alliirten herabzusinken zur Stellung eines Sklaven, dem alle Ihre Launen Gesetze sind." Frau von Feldern lächelte mit gesenkten Augen, nahm aber die kaum verhüllte Liebeserklärung nicht mit mädchenhafter Scheu und Verschämtheit auf. „Unersättlicher Mann," sagte sie mit ermutigend aufflammenden Blicken, „ist Ihnen Ihr Sieg unvollständig ohne die Eroberung eines schwachen Frauenherzens, dem es nicht mehr — 118 freisteht, Ihren Zorn durch Widerstand herauszufordern? Sie sollten wahrlich nicht so schnell zeigen, daß die Umstände Sie zu meinem Tyrannen gemacht haben. Doch Sie werden ruhiger werden und sich noch eines Besseren besinnen" — Ihre großen, dunklen Augen sahen ihn ernst und durchdringend an. Er näherte sich ihr, die schwarzen Locken streiften ihn beinahe, plötzlich umfaßte er sie. Sie wich zurück. „Sie werden doch nicht vom Recht des Stärkeren Gebrauch machen!" rief sie, sich wehrend, doch im nächsten Augenblicke waren ihre Lippen von Themar's Küssen geschloffen. „Ich bin der Gewalt gewichen —" sagte sie sehr ernst, sich gegen das Fenster zurückziehend. Themar folgte ihr dahin, langsam, langsam. Er neigte sich auf ihre Hand hinab und sagte: „Der demüthigste Ihrer Bewunderer steht vor Ihnen, herrliche Frau!" „Nun, nun, so will ich denn Alles nur dem — 119 Promotionsjubel zuschreiben," sagte sie zaudernd und leise. „Sonst müßte ich Ihnen gleich wieder gram werden . . . Doch Sie haben wirklich eine mir wenig passende Besuchszeit gewählt. Es ist dies der Tag und die Stunde, wo ich Besuch auf Besuch empfange und wir haben doch noch Manches zu besprechen, ich möchte nicht gerne gestört sein." Sie bedachte sich einen Moment. „Wollen Sie eine kurze Ausfahrt mit mir machen ? Dabei werden Sie gezwungen sein, eine ernste Miene wieder anzunehmen und über ernste Gegenstände zu sprechen. Es fehlt wahrlich nicht daran." Herr von Themar war überglücklich. Seiner Meinung nach hatte ihm die schöne Frau schon Alles geschenkt. Er fühlte sein Herz stürmisch, wie in der Jugendzeit, klopfen. „Und nun," sagte Frau von Feldern, nachdem sie geklingelt und dem Diener einen Befehl ertheilt hatte, „bitte ich Sie, den Gegenstand zurückzunehmen, den ich vor einigen Tagen im Pavillon gesunden. Sie haben ihn verloren, kein Anderer als Sie!" 120 „Ich nehme das Kreuz nicht zurück!" rief . Herr von Thcmar bestimmt und feierlich. „Vorn ersten Augenblick au, da ich wußte, daß es Ihnen gefallen, gehörte es Ihnen an. Sie haben nicht nur über meine ganze Dankbarkeit zu verfügen, auch über Alles, was ich mein nenne. Darf ich mich der Hoffnung hingeben, es, wenn ich wiederkomme, an Ihrer Brust zu sehen?" Frau von Feldern bedachte sich einen Augenblick und erwiderte dann: „Ja, ich will es anlegen — als Amulet, das Böses abwehrt. . . ." „Nur als Amulet? Das ist wenig." „Wenig?" „Nicht als Liebespfand?" fragte Themar. „Würde ich auch Nein sagen," versetzte Frau von Feldern, „so würden Sie doch nur eine Deutung herauslesen, die Ihnen bester gefällt." Sie blickte ihn schelmisch lächelnd an. Plötzlich ernst geworden, fetzte sie hinzu: „Und doch glaube ich, ich habe unrecht ge- 121 handelt. Einst werde ich sagen: ich'bin schwach gewesen!" „Sie werden es nie bereuen," erwiderte The- mar innig und warm. Er trat in ihre Nähe, er umschlang sie noch einmal und drückte einen Kuß aus ihre schwellenden Lippen, sie regte sich nicht. Wieder pochte es an die Thüre, der Diener meldete, daß der Wagen bereit stehe. 122 es Selig, wie ein Sieger auf der Höhe seiner Wünsche, führte der Minister Frau von Feldern am Arme die Treppe hinab. In der Einfahrt hielt der Wagen. Die Rappen im Geschirr mit den blanken neusilber- nen Beschlägen standen unbeweglich, auf dem Bocke saß der feierliche Kutscher, der Lakai stand, den Hut in der Hand, am offengehaltenen Schlage. „Die Chaussee bis zur alten Mühle, dann zurück!" sagte Frau von Feldern. Ein alter Herr in Uniform, die breite Brust mit dem eisernen Kreuze geziert, war eben im Begriff, ins Haus zu treten. Es war ein strammer alter Mann, stark ergraut, mit verwitter- 123 ten Zügen. Er hinkte am Stocke daher, das Beinkleid schlotterte um einen Stelzfuß. So näherte er sich langsam der Treppe. „Ei, sieh da, Herr Oberst!" wendete sich Frau von Feldern freundlich an ihn. „Wir haben uns lange nicht gesehen. Wie steht es um Ihre Gesundheit? Wie geht es?" „Immer bergab, schöne Frau, immer bergab!" gab der alte Oberst zur Antwort. „Wer so ein verfluchtes Bein hat, humpelt nur noch so fort — Wie kann es einem Invaliden anders gehen? .... Doch — was seh' ich?. ..." Er fixirte mit seltsamen Mienen Frau von Feldern's Begleiter, der deren Arm losgelassen und sich einige Schritte weit fortbegeben hatte. „Das ist unser neuer Premier - Minister!" sagte Frau von Feldern unbefangen, im Begriffe, beide Personen einander vorzustellen. Allein der alte Herr war ganz außer Fassung gerathen. Sein verwittertes Gesicht mit den harten Zügen verzerrte sich wie vor einem 124 Krampfanfall, die Augen loderten unter den grauen struppigen Brauen wild auf. Er schrie, indem er den Stock drohend erhob und auf Herrn von Themar zuhumpelte: „Hinaus aus meinem Hause, Mörder meiner Tochter —" Er hätte mit dem Stocke zugeschlagen, wenn Frau von Feldern nicht dazwischen gefahren und Themar, der den Kopf gesenkt hatte und stier vor sich hinsah, nicht rasch an den Pferden vorüber hinausgeschlüpft wäre. Der Wuthausbruch des Alten, dieser auf einen Mann wie Herr von Themar erhobene Stock, andererseits die mit der Ergebung eines Schuldbewußten ertragene Hinnahme eines Affronts, der unter Männern nur mit Blut abgewaschen werden kann, das Alles zusammen war von unaussprechlich schauriger Wirkung. Als die Beiden im Wagen saßen und dahin- fuhren, waren sie Anfangs ganz sprachlos. Frau von Feldern war auf's Höchste bestürzt, sie wußte nicht, was sie sagen oder auch nur denken sollte. Der Mann, der sich derart vor 125 — einer solchen Beleidigung aus dem Staube machte, wurde ihr das unheimlichste aller Geschöpfe und nahm vor ihren Augen die Züge eines Verbrechers an. Sie blieb stumm, da ihr Begleiter noch immer so bleich wie vorher, schweigend und in sich verloren vor sich hinstarrte. Der kurze und doch so schreckliche Moment schien ihm tief in den Nerven zu liegen. Seine Brust hob sich gewaltsam, die Lippen vibrirten und ließen einen pfeifenden Ton vernehmen, endlich lüftete er den Hut und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Frau von Feldern sah noch immer den Alten mit dem geschwungenen Stocke vor sich und schloß unwillkürlich die Augen. „Aber erklären Sie mir doch," hob sie nach einer langen, ängstlichen Pause an, „diesen abscheulichen Vorfall! Hat'der Oberst gewußt, was er spricht, oder ist er verrückt?" „Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig," erwiderte Themar, „und würde sie schon gegeben haben, wenn ich nicht der Sammlung . bedürfte.... Die Sache hat mich umsomehr 126 angegriffen, als sie unerwartet kam und mich in glücklich gehobener Stimmung traf. Aber wie ist das? Wohnt der Oberst in Ihrem Hause oder — ist es gar das seinige? Er hat ein großes Gut, nicht weit von hier, in Lassenbach." „Seit einigen Jahren," sagte Frau von Feldern, „seit er sich nicht mehr mit der Landwirthschaft befassen kann, wohnt er einen Theil des Jahres hier. Das Haus gehört ihm." „Das ist schrecklich, das ist unheimlich!" rief Herr von Themar. „Einen Umweg von fünfzig Meilen würde ich machen, ihm auszuweichen. Er in Rastdorf! Wie ist es nur möglich, nicht mit ihm in Contact zu kommen?" „Ich kann die Wohnung wechseln," versetzte Frau von Feldern, „doch reden Sie. Meine Beunruhigung ist durch Alles, was Sie da sagen, eher gewachsen als gefallen." „Erschrecken Sie nicht," sprach Herr von Themar in sichtlicher Ergriffenheit. „Mörder nannte mich der alte, der in seinen Ausbrüchen maßlose Mann. An meinen Händen klebt kein Blut. Mit demselben Rechte, mit dem er auf 127 mich losgestürzt, hätte ich auf ihn losfahren und ihn den Mörder meiner Jugendliebe, meiner Jugendgeliebten haben schelten können. Verhängnis;! Verhängniß!" Er drückte seinen Kopf wie in einem körperlichen Schmerze in die Seide des Kissens. Indeß flogen die Alleebäume vorüber, man war schon weit draußen im freien Felde und sah ins Land hinaus mit seinen Hebungen und Senkungen und den Linien des hundertjährigen Waldes im Hintergründe. Fußgänger, Landleute wandelten zur Seite der Chaussee, hielten still, da die glänzende Equipage an ihnen vor- überflog, und lüfteten grüßend den Hut. „Aber was ist das für eine düstere, schreckliche Geschichte," hob Helene wieder an. „Ich will Ihnen Alles erzählen. Alles beichten, gnädige Frau," sagte Herr von Themar. „Der Zufall hat Sie zur Zeugin des Auftrittes gemacht — ich wollte, nur Sie hätten das nicht gesehen, gehört — doch darnach fragt der Zufall nicht, da ist nicht zu helfen — also: Sie sollen 128 von mir hören, was ich noch nie einer lebenden Seele vertraut. Es ist ein Vierteljahrhundert her — ja ein paarJahre darüber— ich war selbstverständlich ein sehr junger Mensch, der der Universität kaum entschlüpft war. Ich verliebte mich in Ottilie von Rodenegg und sie liebte rnich^ Wir schwuren uns ewige Liebe, wir schwuren uns zu heirathen oder ewig unvermählt zu bleiben. Ich hatte einen guten, alten Namen und ein hübsches Vermögen von meinem Vater geerbt. Allerdings war dies Vermögen klein mit dem verglichen, das der Oberst seiner einzigen Tochter zu geben hatte. Doch glaubten wir nicht, daß unser Bund auf Schwierigkeiten stoßen würde. Der Vater sah mich in seinem Hause und im Hause Anderer mit seiner Tochter verkehren und konnte, wie mir schien, unsere Verbindung nicht mißbilligen. Doch das war ein trauriger Irrthum, ein Trugschluß jugendlicher Weltunerfahrenheit und Verblendung. Herr von Rodenegg dachte eben 129 nicht entfernt an die Möglichkeit, daß ich mich mit solchen Gedanken trage. Er hatte Ottilien bereits einem Andern, dem Sohn eines Jugend-- frenndes, zugedacht, ja versprochen, und als ich um sie anhielt, wurde ich auf das Beleidigendste zurückgewiesen. Doch — es gehört viel dazu, einen schwärmerisch Liebenden von der Eitelkeit seiner Wünsche zu überzeugen! Wir gaben die Hoffnung aus ein baldiges Glück noch immer nicht auf und correspondirten heimlich, auf schwierigen Umwegen, da die Tochter aufs Schärfste bewacht war. Bald aber mußte ich einsehen, daß mit solch einem eisernen Starrkopf wie der Oberst nichts anzufangen war und daß unsere Sache hoffnungslos stehe. Wir verabredeten eine Entführung. In einer trüben Winternacht, so dunkel, als man sie bei solch einem Vorhaben nur wünschen konnte, erschien ich im Hofraum, den ich mit seinen Nebengebäuden auf das Genaueste kannte. Ein Wagen, der uns in die nächste Stadt, eine Bahnstation, bringen sollte, wartete mit einem verläßlichen Kutscher, unfern von der 9 130 Straße. Ein kalter, dichter Nebel deckte die ganze Gegend. Ich tappte in einen Schuppen, den ich kannte, holte eine Leiter hervor und legte sie an einen Balcon des ersten Stockwerkes an, zu welchem die Geliebte durch eine lauge, unbewohnte Zimmerreihe am unbemerktesten gelangen konnte. Zitternd vor banger Erwartung, mit hochklopfendem Herzen wartete ich, bis die Schloßuhr das Zeichen zur verabredeten Flucht geben werde. Sie sollte Schlag Eins vor sich gehen. Endlich vernahm ich von oben ein leises Geräusch, wie wenn ein Fenster geöffnet werde. Es war keine Täuschung der Sinne, wie ich sie vordem mehrercmale gehabt. Eine Gestalt kam zum Vorschein. Ich flüsterte einige Worte hinaus. Da kein Gegenzeichen erfolgt und die Gestalt über mir unbeweglich dasteht, fängt mir dies Gegenüber höchst unheimlich zu werden an. Ich sinne nach, was zu thun sei, die Sache wird mir höchst verdächtig. Da tritt der Mond ein wenig aus dem Ge- 131 wölke — ich erkenne den Obersten — er natürlich auch mich. Ich nehme Reißaus, da fällt ein Schuß und streckt mich nieder. Ich raffe mich wieder auf, ich fühle, wie mir das Blut aus der linken Achsel dringt, aber ich erreiche die Thüre des Hofes und taumele vorwärts, vorwärts mit einer Empfindung, als sei Alles ein wüster, schrecklicher Traum, bis ich endlich in der Dunkelheit auf der feuchten Erde zusammenbreche und liegen bleibe. In einer Hütte erwachte ich wieder. Arme Leute hatten ein Wimmern gehört und hatten mich aufgehoben, auf ein Lager gebettet. Ich hatte noch die Kraft, einige Worte zu sprechen. Im Wagen, der mich mit der Geliebten hatte fortbringen sollen, wurde ich heimgeschafft. Ich hatte den Obersten v. Rodenegg als harten Vater kennen gelernt, ich sollte ihn noch von einer schlimmern Seite kennen lernen! Wochenlang war ich aus dem Schmerzens- lager gelegen, fast immer in Lebensgefahr. Als ich auf dem Wege der Wiedergenesung war, so 9 * 132 daß ich mich im Bette beschäftigen konnte, fand ich unter dem Hänfen von Briefen, die für mich seither eingelaufen waren, auch einen von Nodenegg. Ein grausamer, höhnischer Brief war.es, wie ihn eigentlich nur ein wirklich böser Mensch schreiben kann. Er lautete kurz so: „Als ich nach Ihnen schoß, glaubte ich es mit einem Diebe, der bei mir einbrechen wollte, zu thun zu haben, und wußte damals noch nicht, daß er mir nicht mein Geld und Gut, sondern das Theuerste, was ich besitze, meine Tochter rauben wolle." Ich geriet!) in Wuth, schwor Rache, Duell, Alles, was der Zorn mir eingab. Ich ahnte nicht, daß der Oberst inzwischen schrecklich gestraft war und ich die Strafe des zornigen Mannes unverdient zu theilen hatte. Ottilie, meine Geliebte, hatte sich, durch die Vorgänge zum Äußersten gebracht, in den Strom gestürzt, der an ihrer Besitzung vorbeifloß. Der Strom, auf dem das Eis im Gange war, gab die Leiche erst nach einiger Zeit, durch die 133 Eisschollen zur Unkenntlichkeit verstümmelt, heraus . . . „Entsetzlich!" rief Frau von Feldern, die bisher in starrer Ruhe der Erzählung zugehört. „Sie halte sich das Leben genommen? Eine düstere, unheimliche Geschichte. . . Aber," fuhr sie nach einer Pause fort, „mir scheint doch die That furchtbar überspannt — es wäre denn, daß ein noch stärkeres Motiv im Geheimen einen Druck auf das Mädchen ausgeübt hätte. Ottilien's Ehre war doch selbstverständlich nicht auf dem Spiele? . . ." Herr von Themar richtete sich auf und erwiderte mit großer Heftigkeit: „Gnädige Frau — die grausamste Behandlung im Hause — Zertrümmerung der ersten Jugendliebe — der Liebhaber durch die Hand des eigenen Vaters hingestreckt, und zwischen Tod und Leben hangend — sind das nicht Motive genug, als daß man noch eines unterschieben müßte, das mich beleidigt und den heiligen Schatten der Todten prvfanirt?" „Sie fahren mich wild an," erwiderte Frau 134 von Feldern. „Ich nehme es Ihnen nicht Übel. . . . . Verzeihen Sie mir! Der Zorn, mit welchem Sie meinen unbedacht geäußerten Verdachtsgedanken abwehren, macht Ihrem Charakter Ehre. . . „Ich danke Ihnen," erwiderte Herr von The- mar. „So lassen Sie doch noch etwas Gutes an mir! Ja, das ist die Geschichte meiner Jugendliebe. Es wird immer, wenn mich etwas an sie mahnt, dunkel in meiner Seele. Einst habe ich mir darüber die Haare ausgerauft, heute konnte ich Alles mit einer gelassenen Ruhe erzählen. Das ist meine Schuld! Wird mich Alles verdammen? Wer mißt die Tragweite der Dinge? Es ist schrecklich gekommen; es hätte auch minder schrecklich kommen können, wenn sich nicht eine fremde Gewalt, nennen wir sie das Unglück, hineingemischt hätte. Meinen Sie nicht?" „Gewiß," sagte Frau von Feldern. Sie hatten indeß den Ausgang eines kleinen Gehölzes erreicht. „Hier steige ich aus!" sagte plötzlich Herr von Themar. „Ich bin nach dem eben Erlebten 135 ein gar zu schlechter Gesellschafter. Abends sehe ich Sie wieder, hoffentlich in besserer Stimmung." Er sprang aus dem Wagen. Am Abend desselben Tages war großes Diner im Schlosse. Der Ministerchef nahm von allen Seiten Glückwünsche entgegen, er nahm an der Konversation lebhaften Antheil, bewegte sich mit Vorliebe um Frau von Feldern, konnte es aber zu keiner rechten Heiterkeit bringen. Die wunde Stelle, die an ihm berührt worden war, schmerzte noch immer. Er sagte zn sich, als er gegen Mitternacht heimfuhr: „Der Tag, an welchem ich den höchsten Triumph meiner Bestrebungen feiere, ist mit den bittersten Erinnerungen meines Lebens durch und durch getränkt. Wie war mir heute, mir, den Jeder für einen Glücklichen hielt? Ein Gespenst, nur meinen Augen sichtbar, saß mir gegenüber. Ottilie! Ottilie! geh' in Dein Grab zurück und verfolge mich nicht mehr!" 139 HHes Aiuznlel. Das helle Alorgenlicht stand auf den jenseits des Rheins aufsteigenden Bergen und zeichnete deren charaktervolle Linien klar gegen den tiefblauen Himmel ab. Gegen Norden zog sich ein Kreis hoher Felswände und lief da und dort in sanfteren Vorbergen aus, von deren Spitzen Schlösser und kleine Kirchlein in's Land sahen. In der Ebene wechselte Wiesengrund mit kleinen Waldparzellen und ein Fluß, der aus einem tiefen, tannendunkeln Thalgrunde hervorkam, breitete sich in einem ungeheuren, kiesigen Bette aus, schlang sich wie ein Silberband durch Gruppen von Weiden und sumpfliebendcs Gebüsch, bis er sich in einem weiten, blitzenden Wasserspiegel verlor. Das grüne Land, welches den Bodensce umfaßt, lag herrlich ausgebreitet 140 da. Gegen Süden öffnete sich das Rheinthal in erhabener Pracht. Im Vordergründe aber ragte auf einem mäßigen Hügel ein wunderliches, im gothischen Style aufgeführtes Gebäude mit mehreren Flügeln aus einer Masse dnnllen Grüns empor. Ein junger Mann, den Plaid über die Schulter geworfen, war aus der Thalfenkung einen schmalen beschatteten Fußweg herausgekommen. Er mochte höchstens fünfundzwanzig Jahre zählen, eine Gestalt über Mittelgröße, breitschultrig und gedrungen. Er hatte ein schönes, vornehmes Gesicht, schwarzes Haar, schwarzen Bart. Eine feste energische Stirne wölbte sich über zwei Augen von dnnllem Braun. Doch fehlte der rechte Schmelz der Jugend und war in einem höheren Ernst aufgegangen. Es war das Gesicht eines jungen Menschen, der früh in's Leben hereingeworfen wurde uud älter ist, als feine Jahre besagen. „Das ist sicher die Bodanburg!" sagte er zu sich. „In welchem Irrthum war ich doch! .... Gothische Giebel, Spitzbogen und Maß- 141 werk! Wie das Alles prächtig aus dem Grün der Bäume emporsteigt!" Dabei zog er ein rothgebundenes Handbuch aus der Tasche. Er hatte sich bald orientirt und las, ruhig weitergehend, Folgendes: „Eine halbe Stunde von der Stadt gelegen erhebt sich die Bodanburg, ein Erziehungs-Institut für junge katholische Damen, von Nonnen vom Herzen Jesu geleitet. Ein großartiges Hauptgebäude ist mit mehreren Seitengebäuden verbunden, eine neue, im gothischen Style erbaute Kirche überragt den ausgedehnten Garten- compler . . ." Dabei warf sich der junge Mann, noch immer lesend und blätternd, unmittelbar unter der Gartenmauer auf einen Nasenhügcl nieder, schob das Buch dann wieder in die Tasche und blickte vor sich hinaus. „Hier," sagte er zu sich, „habe ich Chaussee und Chausseebaus in Sicht und kann meinen saumseligen Reisegefährten nicht verfehlen. Wie schön.meine Wanderschaft anhebt! Welche Lust! Welche Aussicht! Wem ginge vor einem solchen 142 Panorama das Herz nicht anf! Dies gebirgum- schlossene Rheinthal, dies grüne Land, dieser silberne Seespiegel — und die wunderbaren Farbentinten des Hochgebirgs! Man muß doch ans den Fenstern dieses Baues des Schauens nicht müde werden . . Er sah empor und erblickte den Kopf eines wunderschönen Mädchens, das neugierig auf ihn herabgesehen haben mochte und nun scheu zurückwich. Das Plötzliche und Unerwartete der Erscheinung, die so hell bestrahlt auf ihn niederschaute, durchfuhr den jungen Man», er lüftete den Hut und sagte: „Um Entschuldigung, mein Fränlein, ist dies die vielbesprochene, vielberühmte Bodan- burg?" „Allerdings," war die schüchterne Antwort. „Hier sind also junge Damen aus allen Theilen der katholischen Welt beisammen und theilen ihre Zeit in Lernen und Gebet . . . ." „Wie in anderen Instituten." „Vielleicht doch nicht ganz so," sagte der 143 junge Mann. „Sie stehen unter einer klösterlichen Regel und dürfen, wie ich höre, kaum in die Außenwelt?" „Nur bei den dringendsten Veranlassungen." „Man gestattet Ihnen keinen Spaziergang?" „Der Garten ist sehr schön und groß." „Aber doch von hohen Mauern umschlossen. Als ich vor einer Weile die Höhe hier heraufgekommen war, und die übermannshohen Mauern, von schwarzen Tannen überragt, eine ganze Strecke lang umging, da dachte ich bei mir: Das wird gewiß ein Gefängniß oder ein Wildpark sein! Sie lächeln, es ist doch so. Ich ahnte nicht, welche liebliche Neberraschung mir zu Theil werden sollte.... Doch was mag es wohl," fuhr er rascher fort, um eine aufsteigende Verlegenheit zu maskiren, „mit dem Hause für eine Bewandtniß haben, das wie ein Annex Ihrer Burg, auch von festen, hohen Mauern umschlossen, seitwärts zwischen den Bäumen liegt? Es hat mit seinen verschlossenen Plankenthoren, die nie geöffnet zu werden scheinen, seinen verstaubten Fenstern etwas so Trau- 144 riges und Gespenstiges an sich... . Doch kein Büßerhaus?" „Wo denken Sie hin!" antwortete das Mädchen lächelnd. Dort wohnt unser Abbö . . . ." „Ihr Abbö?" „Abbs Deroni, der Seelsorger des Instituts —" - „Ein interessanter und beneidenswerther Mann, wenn er in soviel jungen Seelen lesen, der Wahrer so vieler zarter, halb kindlicher Herzensgeheimnisse sein darf. Abkö Deroni! Wie das Einen ins vergangene Jahrhundert zurückversetzt! Bei uns hat das Wirken der Abbö's aufgehört — es ist mythisch geworden."" „Und ich meine." war die Antwort, „daß Sie in Folge dessen mehr in sein Amt hineinlege», als in der That vorliegt. Er ist auch unser Lehrer. . . ." „So, so. Darf ich fragen, wie viel Zöglinge die Anstalt hat?" „An die Achtzig. Mädchen von jedem Alter, und in mehrere Classen getheilt. Das heißt, wir waren an die Achtzig und werden es im 145 Herbste wohl wieder sein. Jetzt — im August — ist Ferienzeit. Da sind säst Alle nach Hause gefahren." „Und Sie verbringen die Ferien hier?" fragte der junge Mann mit Theilnahme. „Die Ihrigen lassen Sie hier zurück? Das muß traurig sein. Sind Sie denn gar so fern von hier zu Hause?" Das Mädchen sagte nicht Ja noch Nein. „Im Zeitalter der Eisenbahnen gibt es allerdings keine Entfernungen," verbesserte sich der junge Mann. „Ich errathe, Sie sind eine Waise. . . ." „Meine Mutter lebt," antwortete das Mädchen. „Umstände. . . ." Sie sagte das letzte Wort mit einer tiefvibri- renden Stimme, hielt aber gleich inne, im Gefühl, nicht mehr sagen zu dürfen. „Wenn man nur nicht daran denkt, Sie ganz hier zu behalten?" — sagte der junge Mann, halb scherzhaft, halb besorgt. „O, das nicht," entgegnete das Mädchen. „Man zwingt Niemanden gegen seinen Willen." 10 146 Dabei schlug sie die Augen nieder, während die brennenden Blicke des jungen Mannes auf ihr hasteten. Der junge Reisende, der jetzt gewiß wußte, daß das schöne Kind sich im nächsten Augenblicke entfernen werde, rückte näher und näher heran. „O, bleiben Sie noch einen Moment," sagte er. „Sie müssen wissen, daß für mich, der aus einem protestantischen Lande kommt, ein Kloster einen romantischen Reiz hat. Als ich dort — er zeigte in die Richtung — um die Ecke kam, wurde in der Kirche gesungen und die Orgel erklang. Ich hörte einen Gesang, der mich an meine Vaterstadt mahnte, die auch eine katholische Kirche hat. Es ist eine mittelgroße Residenzstadt. Wenn ich über den kleinen Waldemar- Platz ging, blieb ich nicht selten stehen —" „Ei, das ist merkwürdig," siel ihm das junge Mädchen in die Rede, plötzlich vertrauter. „Da sind wir am Ende gar Landsleute? An der Ecke des Waldemar-Platzes gegen die Brücke zu habe ich noch vor acht Jahren gelebt." 147 „Jst's möglich! Und so fern von der Heimat treffen wir uns? Es gibt noch Zufälle!" Wo zwei junge Herzen sich in der Einsamkeit begegnen, ist etwas Elektrisches da. Und so geschah es wohl schon hunderttausend»!»! in der Welt, daß zwei junge Leute, von denen keines vor einer Stunde von der Existenz des Andern eine Ahnung hatte, plötzlich, blitzglsich in einer Liebesempsiudung zusammentrafen, die Beider Herzen für alle Folgezeit verhängnißvoll aneinander schmiedete. So war es auch hier der Fall. „Wissen Sie," sagte der junge Mann, indem er sich mit den Händen an der rissigen Mauer emporhob, „daß Sie mir wie eine Gefangene vorkommen — ich mir wie ein Ritter, der Sie befreien soll?" Ein schmerzliches Lächeln war die ganze Antwort. „Sie schweigen und sagen damit, daß ich -kein Recht habe, so zu Ihnen zu sprechen. Aber ein Erinnerungszeichen schenken Sie mir doch — eine jener Hagrosen, die neben Ihnen blühen ..." 10* 148 Das Mädchen bedachte sich einen Augenblick, dann brach es einen Zweig und ließ ihn langsam in die geöffneten Hände herabfallen. So über ihm, sanft zu ihm geneigt, war sie dem jungen Mann wirklich wie eine höhere Erscheinung. „^llons, inaäainoisölltz Lmma, gus Litss vvu8 8i prss äu inur?" ließ sich in diesem Augenblick eine trockene, heisere Stimme aus der Entfernung vernehmen. Das Köpfchen mit dem Strohhut fuhr auf und blickte scheu in die Richtung, von der die Stimme kam. „Leben Sie recht wohl, Landsmann," sagte sie eilig. „Es war unrecht von mir, so lange zu schwatzen. Aber — wenn man so fern vom Hause einen Landsmann antrifft, erscheint er uns wie ein Freund. . . . Die Rose, die Sie da in's Knopfloch stecken, ist recht garstig. Da ist eine schönere!" „Ob wir uns doch nie wiedersehen sollen?" rief der junge Mann. 149 — Er erhielt keine Antwort, aber die Augen sagten viel. Wieder ließ sich die alte, trockene Stimme vernehmen; das Köpfchen an der Mauer grüßte noch einmal mit Lippen und Augen, und war verschwunden. Gedankenvoll blieb der junge Mann unter der Mauer stehen und preßte dann die Hand vor die Angen. Es war ihm eine Weile, als habe er das Alles geträumt. Da kam ein Wägelchen, in welchem ein Herr saß, rasch die Landstraße daher. Der junge Mann erkannte seinen Reisegenossen. Er wendete sich noch einmal gegen die mauerum- gürtete Burg, dann hielt der Wagen, er stieg ein und fuhr in den schönen Sommermorgen hinaus. 150 Zweites Kapitet. Der junge Man», der an einem hellen Augustmorgen diese Begegnung mit dem schönen Klosterzögling gehabt, war von da ab mit dem Gefährten ungefähr gleichen Alters, den der Zufall ihm zugeführt, dem Polytechuiker Gerditz aus Zürich, imch Graubüudeu und ins Engadin gezogen. Er war zu den schneebedeckten Bergen und den tiesspaltigen Gleischern emporgestiegen, hatte auf dem Blumenteppich der Almwiesen und unter den majestätischen Arven der südlichen Hochalpen geruht, von den starren Zinnen des Majolapasses in die Lombardei hinabgesehen und das eisige Reich des Bernina durchschritten. Vier Wochen schwanden träum- 151 gleich dahin, cs war Reisezeit und jeder Gasthoftisch voll bunter Gesellschaft. Aber wo er auch stand und ging, wie viele hübsche Mädchen- gesichter er auch sah, das Bild des schönen Kindes an der Klostergartenmauer, gleichsam beim Eintritt in die Alpenwelt, stand und ging mit ihm, wurde sein Traum und sein steter Tagesgedanke. Hermann Zoller war trotz seines noch jugendlichen Alters ein ganzer und selbstgemachter Mann. So weit er zurückdachte, war er auf seinen eigenen Füßen gestanden. Er hatte als siebenjähriger Knabe seine Eltern verloren und war immer bei fremden Leuten geblieben. Die Beschützerin seiner Jugend war eine Tante, einer Schwester seiner Mutter, gewesen, die in Rußland als Gouvernante lebte. Als auch sie starb — er stand damals in seinem dreizehnten Jahre — da fühlte er, daß sie eine Heilige gewesen, die sein Leben aus der Ferne bestimmt und war über ihren Verlust ganz rathlos, ganz elend. Endlich raffte er sich aus seiner Schwer- muth auf. Mit dem kleinen Vermögen, das 152 sie ihm hinterlassen, begann er seine Studien, aber die Zinsen des kleinen Kapitals, das er nicht angreifen mochte, reichten kaum zu seiner anständigen Erhaltung hin. Dennoch kämpfte er sich durch, immer den Anderen voran, fast immer der Erste. Es war nicht blos Ehrgeiz, was ihn trieb und anstachelte. Er gehörte zu den rastlos strebenden Naturen, die da fühlen, daß das Gethane nur der Ausgangspunkt zu neuer Arbeit sei und die nie verlangen, daß das Schicksal sie besonders weich behandle. Mit zweiundzwanzig Jahren Doctor der Rechte geworden, konnte er zwei Wege einschlagen, den der practischen, advokatorischen Thätigkeit, oder den freien Beruf der Feder. Er hatte sich für das Letztere entschieden. Es war kein Sprung, kein gewaltsamer Ueber- gang. Proben seines Talents hatte er längst gegeben. Die politische Aufregung der Zeit hatte ihn erfaßt, sein Herz schlug für die Schicksale seines Volkes, er ergriff die Feder wie ein Schwert und stellte Wort und Leben in Dienst der öffentlichen Sache. Im Sommer 1866 war 153 er, mährend sein eigenes Vaterland an Oesterreichs Seite in den Kamps ging mit dem norddeutschen Heere, als Berichterstatter nach Böhmen gezogen. Die Artikel, die er von dort aus an die Blätter schickte, machten ungewöhnliches Aussehen. Er kehrte heim, kein Unbekannter mehr, aber seiner Regierung war er höchst mißliebig geworden. Seine Begabung, die Kraft und Frische seines Gemüthes hatten ihm Freunde erworben, er gründete mit ihrer Hilfe eine Zeitung, die eine Zukunft zu haben schien. Damit hatte er sich eine Last aufgebürdet, die für ihn fast zu schwer war. Noch immer blieb er des Glaubens, daß die schlimmsten Hindernisse schließlich vor dem Willen des Mannes zurückweichen und Keiner verloren geht, der sich nicht selbst aufgiebt. Doch war sein Leben eitclMühe — er hatte ja kein Kapital außer seinem Talente! Drei Jahre gingen unter Anstrengungen hin, die seine Gesundheit schließlich angriffen; der Arzt hatte zu einer Reise gerathen; es war eigentlich die erste freie Zeit, die sich der junge Mann vergönnt. Auf seiner Tour hatte er wiederholt die 154 Bodanburg nennen hören. In sehr verschiedene»! Sinne. Die Einen sprachen mit Lob von der Anstalt, Andere und zwar solche, denen er einen freieren Blick zutraute, bedauerten die armen Kinder, die dort ihre Jahre verbringen. So kam es, daß er sich gewöhnte, die Spenderin des Nosenzweigs als eine Gefangene und Gefesselte zu betrachten. Und konnte sie anders als unglücklich sein, wenn sie ohne Haus und Heim die Ferienzeit hinter hohen Klostermauern verbringen mußte? So kam's, daß er beschloß, sich von Herrn von Ge'.ditz, seinem bisherigen Gefährten, zu trennen und den Weg,, den er gegangen, wieder zur Heimreise einzuschlagen. Es war, als ob eine geheime Gewalt ihn triebe. Es waren gerade vier Wochen seit jenem Morgen verflossen, als Hermann die Bodanburg wieder zu Gesicht bekam. Die untergehende Sonne halte die gegenüberliegenden Schweizer Berge in violettes und goldenes Licht getaucht, die regnerische Luft sie ganz nahe gerückt. Ueber den schneebedeckten Säntis zogen Nebelstreifen, 155 die auf Momente in prächtigen Farben aufleuchteten, dann wieder erloschen und ihr graues Ge- spiilnst dichter und dichter zogen. Das Landschaftsbild war wie Hermanns Stimmung. Wie anders als an jenem Morgen! Alles erschien ihm ungewiß, unbestimmt. Wolken waren da, der Lichtglanz auf ihnen nur vergänglicher Widerschein. Der Moment, auf den er so lange gewartet, rückte heran, aber würde er ihn erhäschen? , So kam er der Bodanbnrg immer näher. Schweigsam, ernst, feierlich, unnahbar stand, von Gärten und Mauern umschlossen, der Ban vor ihm. (5s war doch ein Gefängniß, wie er zuerst gemeint! Es schien ihm sehr wie Jnge.nd- thoiheit und llcbermnth, daß er seine Nonte geändert, Pläne ausgegeben, um wieder hier zu stehen. Er sah ein geschlossenes Gitter vor sich, eine Portierwohnung, wo vielleicht nach Zweck und Namen gefragt werden würde. — Ein Nnck, und er wäre umgekehrt. Das Schicksal wollte es anders. Ein Trupp Arbeiter, Italiener, die in der Klosterkirche bc- 156 schäftigt gewesen sein mochten, kamen, laut unter einander sprechend, den gekiesten Hauptfahrweg daher und »ahmen sorgsam gearbeitete Architekturtheile und Steinmetzarbeiten in Empfang, die wohlverpackt auf Karren heranführen. Die Gitterthür wurde weit aufgethan. Scheinbar unbefangen, in die Gruppe der Leute gemischt, von denen seine Erscheinung nicht allzusehr abstach, trat Hermann in den Garten ein, wendete sich aber, während die klebrigen links abbogen, nach rechts, den waldähnlichen Anlagen zu. Jeder Liebende hat etwas von Romeo, jedem ist zu Muthe, als sei ihm beschieden, zur alten Tragödie der Liebe einen Act hinzuzudichten. Jeder hegt ein Geheimniß, daß das Licht scheut und den Schatten sucht. So etwas empfand auch Hermann. Und wieder wollte er gehen, ohne einen weiteren Versuch zu machen, sich dein Mädchen zu nähern. Vielleicht war sein Eintritt wirklich verpönt, vielleicht war die Anwesenheit jedes jungen Fremden hier verdächtig und konnte weitreichende Folgen haben. 157 Aber nein, um so schnöde wieder umzukehren, ja die Flucht zu nehmen, ehe noch ein Gegner sich zeigte, dazu hatte er nicht seine Reise geändert. Es war ja denkbar, daß er die Geliebte wiedersehen oder sie von seiner Rückkehr in Kenntniß setzen könne. Er blieb. Der Trupp, mit dem er den Rückzug antreten wollte, hatte gewiß bis zum Anbruch der Dunkelheit bei dem Baue zu thun. Es hatte im Laufe des Nachmittags strichweise geregnet. Der feine Kies, der die sich zwischen Gebüsch hinschlängelnden Wege deckte, zeigte eine Menge Abdrücke zierlicher Stiefel- chen. Hier waren vor Kurzem Damen gewandelt. Sie konnten wieder erscheinen. Hermann wollte vor der Hand beobachten. Eine kleine, aus dem Fichtengebüsch mit der Garienscheere herausgeschnittene Nische war für die Beobachtung der passendste Drt. Zwei Gartenstühle standen dort, man konnte sitzend, selbst ungesehen, eine ganze Strecke überschauen. Spione hätten das Plätzchen nicht zweckmäßiger schaffen können. 158 Hermann war nicht lange dagesessen, als wirklich ein junges Fräulein in der nonnen- artigen Tracht der Zöglinge heran kam. Sie ging, keines Beobachters gewärtig, gesenkten Kopfes; in der Hand, von der ein Rosenkranz herabhing, hielt sie ein Gebetbuch. Vor sich murmelnd kam sie des Weges. Nicht lange, und vier junge Damen erschienen. Sie gingen paarweise, halblaut unter einander sprechend. Eine hielt die Andere umfaßt. Schon meinte Hermann, Emma müsse darunter sein, aber das war nicht der Fall. Eine setzte sich auf eine unfern stehende Bank, die drei Anderen umstanden sie, mährend die Beterin im Laubgang eine kurze Strecke auf- und abmaß. Eines der Fräulein hatte ein Stück Papier aus der Tasche gezogen und entwarf mit einem Bleistift, auf den Knieen schreibend, einen Brief, der, wie es sich zeigte, aus lauter Personalnotizen bestand und voll Scherze war. Er schien an eine Freundin gerichtet, die einen ländlichen Ball, den ersten in ihrem Leben, mitgemacht und gratulirte ihr zu diesem 159 beneideiiswerthen Ereigniß. Jede wollte einen Scherz zum Briese beitragen, diese billigte, jene mißbilligte einen Ausdruck, aber Hermann konnte bei dem Gelächter und Gekicher aus dem Ganzen nicht recht klug werden. „Den ganzen Nachmittag schon redet Ihr von diesem Balle," sagte plötzlich die mit dem Gebetbuch Herumgehende und blieb stehen. „Alle möchtet Ihr dabei gewesen sein. Ihr solltet doch wissen, daß Diejenigen, welche Tanzbelustigungen beiwohnen, eine Sünde begehen!" Auf diese ernste Mahnung der jungen Dame, welche mindestens achtzehn Jahre zählte, hoch und schlank und sehr hübsch war, erhob sich eine ziemliche Einsprache. Ein kleines, dralles, blondes Fräulein meinte: Eugenie treibe es gar zu arg und möchte die ganze Welt in die Kutte stecken. „Allerdings," erwiderte Fräulein Eugenie, „sündigen die, welche Bälle besuchen, weil sie sich dorthin begeben, wo eine große Gefahr für das Seelenheil ist." „Da müßte die halbe Welt ihr Seelenheil 160 verlieren," replicirte die kleine Blondine. „Wer tanzte wohl nicht?" „Ich halte aber keineswegs alle Bälle für unerlaubt," meinte Eine, die noch nicht gesprochen. „Wo Eltern und Geschwister mitgehen, kann keine Gefahr sein." „Manche Bälle zu besuchen, ist sogar wohlgethan," meinte eine Dritte, ein netter, kleiner Backfisch, der mit der Zunge anstieß. „Zum Beispiel, wenn der Ball zum Feste eines Kir- chenpatrons veranstaltet wird." „Das ist allerdings ein AusnahmSfall," sagte die strenge Eugenie, „doch von einem solchen handelt es sich in diesen: Falle nicht.... Aber, mein Gott, ich schwatze da mit Euch, Ihr macht mich ganz wirr und ich muß wieder vom Anfang anfangen!" „Aber wie kommt es, daß Du, just die fleißigste von uns Allen, noch so im Rückstand bist?" fragte die Vierte. „Ach," erwiderte Eugenie, „mir ist ein Unglück zugestoßen. Montag und Donnerstag sind, 161 wie Ihr wißt, die freudenreichen Geheimnisse, Dienstag und Freitag die schmerzenreichen, Samstag und Sonntag die glorreichen Geheimnisse zu erwägen und ich — alberne Person — habe mich geirrt und heute, Freitag, die freudenreichen erwogen!" "Das ist allerdings sehr stark. Du mußt arg zerstreut sein," rief die Kleine, welche anstieß. „So etwas könnte mir nicht zustoßen, nie! Ich spüre, wenn wir Fastenspeisen haben, den ganzen Tag Magendrücken." „Aber wo bleibt doch Emma?" fragte eine Stimme, die lange geschwiegen. „Sie wollte doch zu uns herunterkommen.... Aber, mein Gott, habt Ihr es nicht dort in der Laube rascheln hören?" In der That hatte Hermann, der dem tollen Jdeenkreise der jungen Klosterdameu nicht ohne Neugier gelauscht hatte, aufgezuckt, als so unerwartet der Name der Geliebten genannt worden war. Aber ein überlegener kleiner Backfisch meinte: 11 162 „Wie Du schreckhaft bist. Hier hält sich kein Wild auf, nicht das schüchternste Häschen!" „Die gute Emma!" hob wieder Eine an. „Sie bleibt am liebsten auf dem Zimmer. Ob Schulzeit, ob Ferien, es ist ihr gleich. Heimweh haben, und doch kein Heim haben, das ist schlimm. Und vollends seit der Brief mit dem schwarzen Siegel gekommen und der Todesnachricht —" „Sie hat ihn eben sehr lieb gehabt!" meinte Eine. Wieder raschelte es in der Laube. „Wen hat sie lieb gehabt? Wer ist gestorben?" fragte der kleine Backfisch. „Du gehst wirklich immer wie im Traum herum und weißt nie, wovon gesprochen wird!" war die Antwort. „Weißt Du nicht, daß die Frau Oberin einen Brief erhalten, der den Tod des Doktor Müller meldete? War der nicht Emma's Vormund?" „Ja wohl, ja wohl. Aber der war sehr alt und unheilbar krank. Es ließ sich voraussehen, daß er nicht lange mehr leben werde." 163 „Aber das hindert doch nicht, daß Emma über den Verlust ihres einzigen Freundes tief unglücklich ist!" entgegnete das ältere Mädchen. „Gewiß nicht! Und sie thut mir auch von Herzen leid —" Länger mochte sich der junge Mann in seinem Verstecke nicht halten. Er trat aus der Laube und war mit ein paar Schritten mitten unter den Mädchen. „Alle Heiligen, was ist das!" riefen Alle auffahrend und auseinander stäubend. „Erschrecken Sie nicht, meine verehrten jungen Damen!" begann Hermann im allermilde- sten Tone, den er nur anschlagen konnte. „Ich bin nichts, nichts als ein harmloser Reisender, den dieser Park, dessen Gitterthüre offenstand, dieses Gebäude, das wirklich sehenswürdig erscheint, so anzog, daß er der Versuchung nicht widerstehen konnte, einzutreten und in den Laubgängen ein wenig zu verweilen. . . ." Wie Vöglein, denen man Krumen gestreut, näherten sich die Mädchen allmälig dem Sprechenden und schienen allesammt gleichzeitig die ii* 164 Bemerkung zu machen, daß er ein ungewöhnlich hübscher Man» sei. „Allerdings," fuhr Hermann in einen: Flusse fort — „ich will es Ihnen Allen nur gleich eingestehen, wirkte bei nur eii: Wunsch unwiderstehlich mit. Fräulein Emma, die Freundin, von der Sie eben sprachen, ist meine Landsmännin. Der Zufall führte mich jetzt, da ich die Heimreise antrete, in ihre Nähe und ich wünschte dringend" — „Aber, mein Herr," sagte die strenge Eugenie, indeß ihre schönen, funkelnden Augen nicht interesselos auf dem Eindringling weilten, „Sie haben da eine sonderbare Art, sich vorzustellen. Wenn Sie Emma Hamond zu sprechen wünschen, hätten Sie eine Eingabe an die Frau Oberin richten sollen.' Diese hätte dann, nach gehöriger Prüfung Ihrer Ansprüche, deren Zulässigkeit erwogen und Ihnen vielleicht schon in den nächsten Tagen einen Besuch des Fräuleins unter ihren Augen bewilligt." Sie haben vollkommen und vollständig Recht, mein Fräulein," erwiderte Hermann. „Ja, so. 165 so hätte ich es machen solle». Ich habe alle und jede Form bei Seite gelassen. Nun aber erwägen Sie, was ich bin! Ein Reisender, der heute spät Nachmittags eintrifft und gewiß schon um Mitternacht mit dem Zuge weiterbrausst. . Da bleibt nichts übrig, als Gnade für Recht ergehen zu lassen und eine Ausnahme von der Regel zu gestatten. Und so lege ich denn meine ganze Angelegenheit vertrauensvoll Ihnen an's Herz, die Sie gewiß ebenso gut wie klug sind und, wenn Sie mich jetzt zur Rede zu stellen wußten, ebenso gut zu schweigen wissen werden! Ist es Ihnen möglich, mir noch heute zu einer Unterredung mit Fräulein Emma zu verhelfen, so thun Sie dazu! Ich kann mit dem Versprechen, Ihnen ewig dankbar zu sein, nicht viel sagen, das Bewußtsein einer menschenfreundlichen Handlung muß Ihr Lohn sein." Die Mädchen hatten sich, während Hermann sprach, untereinander mit Blicken berathen. Diese Blicke waren freundlich und ermunternd. Die hoheityolle Eugenie aber senkte die schönen 166 Augen und sagte nach einem Moment des Nachdenkens sehr ernst: „Ich glaube mich keines Vergehens gegen unsere Vorgesetzten schuldig zu machen, wenn ich Emma Hamond von Ihrer Anwesenheit hier in Kenntniß setze. Sie mag dann thu», was ihr beliebt. Vielleicht ist es ihr möglich, noch in den Garten herabznkommen. Warten Sie an dieser Stelle: sie ist gut gewählt." Sie grüßte höflich und eilte, ohne Hermann's Dank abzuwarten, mit gesenkten Augen in die Richtung gegen das Kloster zu, die Uebrigen folgten. „Da bin ich in eine wunderliche Geschichte hineingerathen!" dachte Hermann. „Ich wollte nicht, daß meine Freunde mich sähen. Hab' ich da nicht einen tollen Streich gemacht?" Er ging unruhig hin und her. Indeß bedeckte sich der Himmel immer mehr mit Wolken. Die Italiener hatten sich, schon während Hermann mit dem Mädchen sprach, aus dem Gute entfernt und, ein mehrstimmiges Lied anstimmend, den Weg zum nächsten Dorfe 167 eingeschlagen. Alles ward still, nur die Grillen zirpten. Der Abend sank immer mehr, es wurde dunkel. Nun fielen erst einige Tropfen, dann mehrere, endlich brach ein ganzer Platzregen los. Hermann gab schon jede Hoffnung eines Wiedersehens auf, wie sollte sich Emma jetzt noch in den Garten hinabwagen? Er dachte nur daran, auf gute Weise fortzukommen. Das Gitterthor war jedenfalls schon verschlossen, der Rückweg mußte über die Mauer genommen werden. Zum Glück bot dies keine allzu großen Schwierigkeiten. Da drangen Schritte an sein Ohr, ein Kleid rauschte, eine Gestalt stand wenige Schritte von ihm entfernt und schien ängstlich umzublicken. War sie's? „Sind Sie da, oder hat das Wetter Sie vertrieben?" ließ sich eine gedämpfte Stimme vernehmen. „Hier bin ich," sagte Hermann und sein Herz klopfte laut. „Sind Sie doch gekommen? Wie danke ich Ihnen!" Die Gestalt machte einige Schritte hastig auf 168 ihn zu. Das Kleid des Mädchens triefte vor Regen, sie zitterte, ihre Zähne klapperten. „Stützen Sie mich — ich falle vor Angst und Sorge!" Sie schmiegte sich, seine Hand ergreifend, fest an ihn. „Dort — unter die Bäume — die geben etwas Schutz!" Er geleitete sie sanft vorwärts und sah ihr, so gut es die Dunkelheit und das gesenkte Köpfchen zuließ, in's Gesicht. „Um Himmelswillen — das ist ja nicht — Sie sind es, Fräulein? —" „Ich bin es, Eugenie Bendorf!" erwiderte die vorhin noch so hoheitvolle, jetzt verwirrte und zagsame Gestalt. „Es ist sehr gewagt, sehr unrecht von mir — aber es war mir unmöglich, mit Emma zu sprechen — ich hatte Sie gebeten hier zu bleiben — ich fürchtete, daß Sie länger und länger warten würden, vielleicht bis es zu spät —" „Sie haben sie nicht gesprochen?" „Nein, nicht gesprochen. Es ging nicht..." 169 „Und kamen selbst, es mir zu sagen?" „Damit Sje mich nicht für wortbrüchig hielten." „Sie sind sehr gut, liebes Fräulein!" sagte Hermann und drückte ihre Hand. Bei sich dachte er: ist das wirklich Mitgesühl — oder wollte sie spioniren? Doch im selben Augenblicke erschollen Schritte von zwei Seiten. Die hohe Eugenik befiel ein plötzliches, unbezwingliches Zittern, sie schmiegte sich fest an Hermann und jammerte vor sich hin: „O, wie leichtsinnig war ich! Es ist Alles entdeckt! Ich bin verloren!" „Oü s'est, eile niostee, In lerrible entstnt!" ließ sich eine heisere, ältliche Stimme vernehmen. „Korkes L l'inskank äs vokre eaestekke! Vokre xunikion sera exemplnire, exemxlaire! malsteureuse, Sie haben gewagt, zu schleichen herab im Dunkel der Nacht und zu promenir' am Arm eines jeune komme? Hat man jemals etwas gehört so enorme, so kerrible!" „Ehrwürdige Aebtissin, richten Sie nicht allzu strenge!" rief Hermann vortretend. „Sie thun 170 dem Fräulein Unrecht — ihre Absicht war eine gute —" „karäon, maäams, paräon!" fiel Eugenik, fast in die Knie sinkend, ein. „Ich habe gefehlt, schwer gefehlt, aber meine Absicht war keine böse —" Da ließ sich im Kreise der Umstehenden — es waren ihrer vier — ein Gekicher vernehmen, nicht laut, aber helle, es füllte das Herz der Ge- ängstiglen mit neuem Erstaunen. Eugenie zitterte noch in Hermann's Arm, jetzt kam sie zu sich und sagte: „mein Gott — Brigitte!" „Sie ist es," erwiderte die Stimme. „Nun aber fragen wir Dich, ob Du die Angst, die wir Dir eingejagt haben, nicht durch Deine Verstellung verdient hast? Ob wir nicht sehr großmüthig sind, indem wir die Maske so schnell fallen lassen? War es nicht unter uns bedungen, daß die kleine Lilly heruntergehen sollte, dem Herrn zu melden, daß Emma unwohl ist und zu Hause bleiben muß? O, wir haben Dich gut beobachtet. Du warst nicht damit einverstanden — 171 und handeltest wie immer auf eigene Faust. Da hast Du Deine Strafe!" Mit wirbelndem Kopf stand Hermann im Kreise der übermüthigen Kinder und betrachtete sich die kleine Brigitte, welche die Stimme der Oberin so trefflich nachzuahmen verstand. Aber die Ereignisse wuchsen ihm über den Kopf, es drängte ihn, ihnen ein Ende zu machen. Er sagte: „Nach der Art glücklicher Mädchen haben Sie mit uns Beiden gespielt. Ich wünsche aus ganzem Herzen, daß Ihrer Aller Abwesenheit nicht bemerkt worden ist und Sie ihretwegen keine Unannehmlichkeiten haben. Es war unrecht von mir, hier einzudringen, ich gehe. Beobachten Sie — ich flehe Sie darum — über Alles ein tiefes Stillschweigen, geloben Sie es mir. Von Fräulein Emma hör' ich Trauriges und wieder Trauriges. Richten Sie ihr meinen Gruß aus. Heute sollt' ich sie nicht sehen. Vielleicht führt mich das Geschick ihr doch noch einmal entgegen. Leben Sie wohl!" Er grüßte nach allen Seiten. 172 „Aber mein Gott, wie wollen Sie hinauskommen?" rief die Er-Aebtissin Brigitte mit angstvoller Stimme. „Das Gartenthvr ist längst gesperrt. ..." „Furchten Sie sich nicht. Ein Sprung über die Mauer führt mich in's Freie. Ich bin ein Turner." Die Mädchen stoben auseinander, dem Klostergebäude zu. „Der Himmel geleite Sie!" riefen sie noch im Forteilen. Hermann stand noch eine Weile im Schatten der Bäume. Dann ging er einige Schritte vorwärts. Eine Gestalt trat ihm entgegen: es war Emma, er erkannte sie augenblicklich. „Ich weiß Alles," sagte sie in fliegender Eile. „Ich bin unbemerkt in Ihrer Nähe gestanden und habe Alles mit angehört. Ich erfuhr von der kleinen Lilly, daß Sie da sind. Mein Herz hat um Ihretwillen sehr geklopft —" „Sie zürnen mir, daß ich mich unterfing —" „Nein, im Gegentheil, ich bin glücklich, daß 173 Sie mich noch sehen wollten, wiederkamen, wenn das Wiedersehen auch noch so flüchtig ist —" „Ich hätte nicht ohne Abschied ganz scheiden können —" „Das ist lieb von Ihnen, sehr lieb. Wer, wie ich, gegen seine Neigung zurückgehalten — allein in der Welt — " Ihre Stimme versagte, der Kopf senkte sich auf Hermann's Schulter. „Sie stehen doch im Alter," sagte der junge Mann, „wo man die Pension zu, verlassen pflegt. Ich habe mit Jubel gehört, daß Sie, wiewohl in einem adeligen Pensionat untergebracht, einen bürgerlichen Namen führen. Das ist viel in meinen Augen, ein ganzes Glück! Darf ich um Sie werben? Würden Sie sich nicht vor engen Verhältnissen fürchten? Ich bin nichts weniger als reich. Ich bin vorerst nur Doktor Hermann Zoller, der von seiner Feder lebt, aber eine Stellung erringe ich mir noch! Würden Sie es wagen, Ihr Loos an das meinige zu knüpfen?" 174 Sie drückte schweigend seine Hand. „An wen habe ich mich zu wenden?" fragte Hermann weiter. „Ihr Vater ist nicht mehr am Leben — aber Ihre Mutter — ich frage mich immer, wie sie sich so von Ihnen trennen konnte? Hat sie denn kein Herzensbedürfniß, Sie bei sich zu haben?" „Ich bin ihr fremd geworden, ganz fremd." „Nun, sehen Sie, liebe Emma," fuhr Hermann fort, „ich will alle Kräfte anspannen, Sie zu erringen. Ich habe Sie so wunderbar gesunden — Sie, so lieb, so schlicht, so herzig, so schön wie eine Blume! Ich liebe Sie und lasse nicht von Ihnen. Wollen Sie mein sein? Ja, Sie wollen es sein und wir bleiben verbunden. Nun, die Minuten drängen. Nicht wahr? Wir müssen scheiden. Aber gleich morgen können Sie mir schreiben, mir mittheilen, wo und bei wem ich um Sie anhalten darf.... Mein Brief dagegen —" „Die Aebtissin liest alle ankommenden und abgehenden Briefe!" rief das Mädchen mit Heftigkeit. „O, das Alles ist nicht so leicht!" 175 „Mein Gott," fuhr Hermann zurück, „sind Sie denn eine Gefangene?" „Eigentlich ja," war die tiefernste Antwort. „Aber eine Gelegenheit, ein Mittel wird sich doch finden lassen —" „Ja, so geht's," war die Antwort des Mädchens. „Im Pensionatsaale zu schreiben, ist unmöglich; eigene Zimmer haben wir nicht, auch würde mir Niemand einen Brief besorgen. Aber ich besuche zuweilen die Familie eines benachbarten Gutsbesitzers. Auch das nur unter Aufsicht — auf ein paar Stunden. Doch wird es mir möglich sein, aus diesem Hanse an Sie zu schreiben und dahin schreiben Sie dann zurück. Nun aber gehen Sie! Ich beschwöre Sie darum! Ein Verzug kann unberechenbare Folgen für mich haben. Es muß sein." „Emma," bat er, „liebe Emma, einen ersten freiwilligen Kuß!" Er schloß sie in die Arme, sie bot ihm aus freien Stücken die jungfräulichen Lippen hin. „Und nun," sagte sie, „leben Sie wohl, lieber Freund. Gedenke mein. Du Lieber!" 176 Nochmal berührte ein Hauch seine Stirne, dann riß sie sich los. Auch er eilte davon, sah noch einmal zurück, sah, wie sie davonflog. Der Vollmond stieg über dem Tannenwäldchen empor, die Galerie des Pensionats glänzte hellbeleuchtet von der sernen Anhöhe herüber. Mit einem Sprunge war Hermann auf, mit einem zweiten jenseits der Mauer und gelangte, von jedem Auge ungesehen, auf die Landstraße. Kurz vor Zehn hatte er die Stadt erreicht, mit dem grauenden Morgen saß er im Coup« der Eisenbahn und flog dem Norden zu. 177 Drei Tage nach dem Abenteuer im Klostergarten war Hermann wieder in seine Vaterstadt eingerückt. Es war um die Dämmerungsstunde, als er ankam. Morgen mußte die gewohnte Thätigkeit wieder aufgenommen werden, heute aber war er noch ein freier Mann und Herr seiner Zeit. Er ließ den Stoß von Briefen und Zusendungen aller Art, der seiner wartete, unberücksichtigt und ungewürdigt und machte sich ohne Weiteres auf, seinen Freund Lorenz Klein zu besuchen. Während Hermann durch die gaserleuchteten Gassen dahinschritt, dachte^er, welcher Scenenwechsel in seinem Leben stattgefunden und wie die Eisenbahn mitspiele, Erlebnisse unvermittelt 12 178 und jäh neben einander aufzustellen. Kopf und Gedanken waren noch in den Bergen und nun wandelte er doch in der Ebene und unter Menschen, die in Art, Sprache, Anschauungen kaum etwas mit den eben Verlassenen gemein halten. Hermann machte einen Umweg, um auf den Waldemar-Platz zu kommen — so benannt nach dem Bruder des regierenden Königs — und wollte das Haus ausfindig machen, das seine Emma bewohnt hatte. „Das Eckhaus gegen die Brücke zu." Er konnte sich aber bald überzeugen, daß die Häuser, die dort noch vor wenigen Jahren gestanden, eingerissen und durch neue ersetzt seien. In diesen großen Neubauten war Frau Hamond gewiß nicht zu erfragen. Hermann machte sich neue Vorwürfe, daß er sich nicht einmal direct erkundigt, wo er Emnia's Mutter zu suchen habe. Und vielleicht würde er manche Woche ohne nähere Auskunft bleiben müssen. Nun kam er in stillere, bescheidenere Quartiere. Dort wohnte der Freund. Er wußte daß er ihn um diese Stunde treffen werde bei 179 -seiner alten Mutter, bei seinen Büchern. Für Alles und Jedes hatte er an ihm einen Berather und Vertrauten. Hermann Zoller und Lorenz Klein waren miteinander im selben Hause aufgewachsen und von den Knabenjahren her treu und fest verbunden. Hermann, früh verwaist, hatte von Kleines Eltern manche Wohlthat empfangen und was das Beste war, bei ihnen eine Art elterlichen Heims gesunden. Mit Gütern war der Eine so wenig wie der Andere ausgestattet gewesen, Beide hatten schwer zu kämpfen gehabt, Klein kgmpfte eigentlich noch immer mit Sorgen. Sein Vater, ein subalterner Beamter, der seinen Beruf treu und ehrlich versah, hatte sich nichts zurücklegen können; daß er dem einzigen Sohne eine gute Erziehung gab, war Alles. Lorenz studirte unablässig, war aber nichts weniger als ein Pedant. Kindlichen Gemüthes, gut, sanft, menschenfreundlich im seltenen Grade, war er doch voll sprühender Geistesfülle. Einige Jahre älter als Hermann, war er jetzt als Docent an der Kunst-Akademie habilitirt und als 12 * 18 » Mitarbeiter bei Hermann's Zeitung thätig. Er lebte mit seiner alten Mutter zusammen, deren Sinnen und Denken ganz in der Sorge um den Sohn aufging. Klein wohnte noch immer in dem alten, unbequemen Hause, in welchem Hermann's Vater einen kleinen Kaufmannsladen gehabt. Die Treppe war enge und dunkel, wie gewöhnlich um diese Stunde, aber das bot keine Schwierigkeit, auch die Schelle an der Thür war Hermann geläufig und als sich schlürfende Schritte vernehmen ließen und eine Frauenstimme: „Wer ist draußen?" fragte, brauchte Hermann sich nur zu nennen, daß sie aufs Rascheste aufging. Mit leisen Schritten und wortlos wollte Hermann den Freund plötzlich überfallen, dieser aber hatte ihn gleich erkannt. „Unser Wanderer ist wieder da!" rief ein hoher, blonder Mann sich erhebend und unmittelbar darauf gabs ein großes Händeschütteln und gegenseitiges Betrachten. „Nun, bei Dir hat sich das Reisen bewährt!" 181 rief Lorenz. „Die Wangen sind wieder voll und rund geworden. Und nun komme und setze Dich gleich zu uns. Du triffst uns beim Abendessen. Das „Menü" kennst Du. Eine Schüssel Kartoffeln mit Butter, ausgeschnittenes Rauchfleisch, wie ich's vom Kaufmann mitzubringen pflege und einen Krug bräunlichen Biers. Doch halt: Du sollst mit Deinem eigenen, vorausgesendeten Geschenke bewirthet werden. Der Veltliner ist seit zwei Wochen da. Wir haben damit natürlich auf Dich gewartet. Mütterchen, er ist doch schon abgezogen?" „Und wohl verkorkt und versiegelt," nickte die Alte und eilte hinaus. Bald darauf stellte sie ein paar Flaschen auf den Tisch. „Du sollst gleich den Beweis haben," sagte Hermann, „daß ich mich Deiner in den sonnigen Thälern von Sondrio erinnert. Ich dagegen muß Dir den Vorwurf machen, daß Du wenig und nur flüchtig meiner gedacht. Nicht nur, daß ich von den verschiedenen Postbureaux, wo ich Briefe von Dir zu finden hoffte, oft mit leeren Händen und getäuschten Erwartungen 182 fortging, die wenigen Briefe, die Du mir schriebst, waren kurz und dürftig." „Doch ein treffliches Naß, dieser Veltliner," sagte Klein nachdenklich, indem er mit der Zunge über die Lippen fuhr. „Kaiser Augustus, der Schlankopf, hat sich doch auf die verschiedensten Dinge verstanden. „Naximtz ätzlsetg,tn8 68d rlEtieo," schreibt Suetonius, was in deutscher Uebersetzung so viel heißt, als: Rother Veltliner war sein Leibgetränk, Es ging ihm nichts darüber, Er leert ihn jeden Schmaus- War doch ein Mann, der nicht auf den Preis zu sehen brauchte —" „Sehr gut! sehr gut," erwiderte Hermann, „aber die Antwort bist Du mir schuldig geblieben. Du hast Dich über meinen erhobenen Vorwurf nicht gerechtfertigt." „Die Neuzeit," antwortete Klein bedächtig, „hat sich gegen das Briefschreiben erklärt. Dafür ist die Postkarte da. Wirklich moderne Geister huldigen sogar nur dem Telegramm von zwanzig Worten." 183 „Der Teufel hol' sie!" rief Hermann. „Wer da weiß, welches Labsal und welche Er- quickung dem Wanderer in der Ferne ei» acht Seiten langer Brief aus der Heimath ist —" „Wo es ohnehin so viel zu schreiben giebt, soll man Dir, Du Egoist, persönlich noch ein ganzes Feuilleton widmen?" „Du hättest es nur zu sagen gebraucht," erwiderte Hermann lachend, „daß Du bei Deinen Briefen Zeilenhonorar beanspruchst. Ich hätte gesehen, was sich thun läßt. Uebrigens muß ich Dir sagen, daß Du Dich in der Zeitung weniger thätig gezeigt hast, als mir und jedenfalls auch den Abonnenten lieb war. Du bist ein schweigsamer Mann gewesen —" „Man hat nicht immer etwas zu reden." „Dagegen," fuhr Hermann fort, „habe ich bemerkt, daß Dir das Theater wieder ein ungewöhnliches Interesse einflößt. Und Du warst jahrelang so ungerecht gegen das ganze Institut! Du warst eingenommen bis zur Verbissenheit. „Laß mich mit dem großen Guckkasten in Ruhe!" war Dein stehender Ausruf 184 — ich mußte Dich immer mit Gewalt ins Theater jagen —" „Ich bin auch heute noch nicht damit versöhnt," erwiderte .Klein eifrig. „Es ist eine Welt voll tückischen Scheins, die es Jedem anthut, uns den Kopf umwirbelt und von allem Ernsten abzieht. Da ist noch Keinem auf die Dauer wohl geworden. Das Schauspielervolk —" Er hielt inne. „Ist in der Regel eitel, in widrigem Grade anspruchsvoll und der Wahrheit wenig Freund," ergänzte Zoller, „aber — wer sonst als der Schauspieler soll uns schließlich Shakespeare, Schiller und Göthe lebendig machen?" „Nun ja, ja," versetzte Klein mürrisch, „das thut der Schauspieler allerdings — so ausnahmsweise, Ironoris euusg., ab und zu. Wenn man aber daraus folgern wollte, daß er für das Ideale im Leben wirke, wäre man doch wieder ein großer Thor. Der Zwiespalt zwischen Poesie und dem heutigen Theater ist so groß — so groß — er kann gar nicht größer sein!. . . . " 185 „Zugestanden!" erwiderte Zoller. Ich weiß auch, daß die Theaterkritik nicht Dein Metier ist. Du hast andere Aufgaben vor Dir, als den Helden des Abends Abhandlungen zu widmen. Eine Kritik aus der Pistole zu schießen, ist nicht Deine Sache, Du kannst nicht immer und nicht immer so schnell kommen. Aber ab und zu brauchen wir Dein festes, gesundes, gediegenes Urtheil und Alles freut sich, wenn Du Dich hören läßt. So stehen die Sachen. Apropos, was ist's denn mit jenem Fraulein Anselmi, dem Du schon mehrere Artikel voll Pindar'schen Feuers gewidmet?" „Das ist unsere neue tragische Liebhaberin," erwiderte Klein, leicht erröthend und nicht ohne einen Anflug von Verlegenheit. „Findest Du, daß ich zu warm geworden? .... Sie ist aber eine Darstellerin, die ihre Rollen so auffaßt, daß sie immer zu denken geben." „Und nun muß ich Dir sagen," hob Hermann an, indem er Messer und Gabel beiseite legte und dem Freund ins Gesicht sah, „daß Du mir heute gar nicht gefällst. Du hast in Deinen Zu- 186 gen etwas Ermüdetes, Gedrückter, Niedergeschlagenes. Du bist doch gesund?" „Kerngesund." „Und doch ist er nicht, wie er sein sollte," fiel die Mutter ein. „O, Sie haben einen scharfen Blick, Sie haben es gleich erkannt. Ich sage schon seit zwei Wochen und länger: Lorenz, Dir fehlt etwas! Du solltest hinaus und Dich zerstreuen! Du brauchst Luftveränderung! Schreibe! Telegraphire! Verabrede ein Zusammentreffen mit Hermann. Ein paar Wochen im Gebirge bringen Alles wieder in die alte Ordnung, sagte ich — aber er wollte nicht." „Und was hättest Du indeß allein angefangen, Mütterchen?" fragte Klein. „Du hättest Dich zu Tode gelangweilt." „Ja, rede Dich nur aufmich aus. Du Schelm!" rief die alte Frau mit erhobenem Finger. „Ich weiß es bester." „Allerdings," sagte Klein, wiederum leicht errathend mit großem Nachdruck, „ist bei einer Reise heutzutage der Kostenpunkt wohl ins Auge zu fasten. Der Winter steht vor der Thüre, die 187 Holzpreise gehen immer mehr in die Höhe, die Steuern desgleichen." Die alte Dame war ihm wirklich auf den Leim gegangen, sie sagte mit einem Seufzer: „Ach ja, die theure, theure Zeit! Immer wieder fehlen die Mittel. Wer so knapp angebunden ist, wie unsereiner, der wird nie frei, der kommt zu keiner Lebensfreude." „Da siehst Du nun eine Unzufriedenheit," rief Klein, zu seinem Freunde gewendet, „gegen die ich immerfort ankämpfe und die ich durchaus nicht aufkommen lassen will. Ich sage Dir, liebes Mütterchen, ich bin einer der freiesten Menschen, die es nur giebt. Ich arbeite immer nur aus Lust und Liebe zur Sache, nie aus Muß — kein Minister hat es so gut! Was fehlt uns eigentlich? Was hast Du zu klagen? Du hältst wunderbar Haus mit unserm kleinen Einkommen lind fütterst mich halb todt mit nahrhafter Kost und guten Dingen. Wir zahlen den Hauszins auf den Tag und haben keinen Heller Schulden. Oder ist es nichr so?" „Schulden haben wir allerdings nicht," 188 meinte die Mutter. „Mein Gott, das fehlte noch! Aber wenn Du sagst, daß Du sorgenlos und frei bist —" „Ja, Mutter," entgegnete Klein, „ich bin wirklich frei, denn frei ist, wer wenig Bedürfnisse hat. Die armen Ermerbsmenscheu sammeln und sammeln und haben nie genug, sie sind unglücklich, weil sie nicht Alles haben. Wir Männer der Wissenschaft besitzen Alles, worauf wir Werth legen. Ich habe zudem gelernt, mit dem auszukommen, was Anderen allerdings wenig scheinen mag und genüge mir dabei — ist das nicht etwas Schönes? Unser Heim und unser Haushalt sind klein. Es kann sich im Kleinen viel spiegeln. Uebrigens sind wir Schriftsteller jetzt nicht mehr die Stiefkinder des Glückes — es ist kein leeres Wort, das Wort von den Rittern vom Geiste —" „Seid mir sonderbare Ritter," meinte die Mutter kopfschüttelnd mit einem Blicke über die Stube. „Wir sind es," erwiderte der Sohn. „Mutter, es sind jetzt neue Stände emporgekommen, von 180 — denen die alte Zeit sich nichts hat träumen lassen. Und an Ehre, Macht und Einfluß fehlt es ihren Söhnen nicht. Sieh' einmal den Stand an, dem ich angehöre. Der Feuilletonist, also der Mensch, der von Einfällen — und auch von Au'sfällen — lebt, ist er nicht sehr geachtet, mitunter gefürchtet, macht ihm nicht Alles den Hof? Es ist doch eine schöne Sache, das Steuerruder der öffentlichen Meinung zu dirigiren. Und ein anderer, seit Kurzem selbst - ständiger und hochgehaltener Stand ist der des Gelehrten, des Professors. Der braucht weniger Geist, mehr Fleiß. Auch diesem Stande gehöre ich an — freilich nur erst dem untersten Grade — aber ich werde noch vorwärts kommen...." „Ach," rief die alte Frau, „wie Du Dich täuschest! Wie lange ruht schon Deine Eingabe um die Professur? Drei, vier Monate. Sehen Sie, Herr Zoller, das Professoren-Collegium ist auf seiner Seite, hat Alles auf's Günstigste befürwortet. Aber oben sitzt das Hinderniß. Alan trägt es ihm heute noch nach, daß er 1848 — 190 damals fast noch ein Knabe — mit der Revolutionspartei gegangen ist. Da sitzt der Haken. Einer hat über die Besetzung der Stelle zu entscheiden und der mag ihn nicht, und so wird er nichts erreichen. Ich meine den Herrn von Themar, den Minister. Und mein Sohn da — ehe der den schwarzen Frack anzöge und dem da seine Aufwartung machte, möchte er lieber jahrelang so weiterthun. Nun, er hat einen harten Kopf und ich sage nichts und Niemand hat ihn jemals zu etwas bewegen können, was er nicht selbst wollte — aber—" „Und da hat er Recht," fiel Hermann lebhaft ein, „Loren; ist Einer der Unseligen. Statt dem Minister die Aufwartung zu machen, denkt er lieber mit uns daran, wie er zu stürzen ist." „Den wird Niemand stürzen!" rief Frau Klein. „Der sitzt fest. Klug wie er ist, vorn König und dessen Anhang gehalten, lacht er über seine Gegner!" „Erlauben Sie mir, da anderer Meinung zu sein," entgegnete Hermann. „Der lacht nicht 191 — lange mehr. Wir werden demnächst eine große Publicistische Waffenthätigkeit eröffnen. Dann werden Sie bald anders reden . . . ." Die alte Dame ging hinaus, etwas vor sich hermurmelnd, was nicht verstanden wurde. 192 Frau Klein hatte sich wirklich zurückgezogen, die Freunde saßen beieinander. Traulich erhellte die Lampe den niedern, aber behaglichen Raum, der eigentlich eine einzige große Bücherei war. Das Kätzchen war geblieben und schlief auf Frau Klein's gepolstertem Lehnstuhl. Die Schwarzwälder Uhr ließ ihr eintöniges Tiktak hören. „Und nun," begann Klein, mit dem Glase heranrückend, „will ich Dir die ganze Geschichte der letzten Zeit erzählen. Alles, was mir zugestoßen, während Du fern warst. Daß Du fern warst, ist vielleicht verhängnißvoll. Du hättest mich von Manchem abgebracht — doch höre. 193 Ich habe vor Dir nie ein Geheimniß gehabt, werde nie Eins haben. Das Erscheinen Fräulein Anselmi's ist für mich wirklich folgenschwer gewesen. Ich hatte sie spielen sehen und über sie geschrieben. Ein gewöhnliches Referat. Vielleicht hatte sich eine ungewöhnliche Wärme darin kundgegeben — aber, ich sage Dir, es war nur der Eindruck einer großen Naturerscheinung, die sich da widerspiegelte. Sie ist es doch! Tags daraufkomme ich nach Hanse und höre, daß sie bei uns gewesen ist. Ueber eine Stunde ist sie bei der Mutter gesessen, hat ihre Freude über den Artikel ausgesprochen,' den Wunsch geäußert, mich kennen zu lernen. Nun, Du weißt ja, daß es mein Grundsatz, Besuche, die ich als Recensent empfange, nie zu erwidern. Es ist in meiner Stellung unschicksam. Die Mutter sagt es ihr, sie bedauert es. Ich sage Dir, auch sie, die alte Frau, die sie nicht spielen gesehen, war ganz bezaubert. Einfach und herzlich hat sie geplaudert, theilmeise über HauS- angelegenheiten, wie wenn sie selbst eine alte 13 194 Frau wäre. Sie hat eben Sinn und Verständniß für's Größte, wie für's Kleinste . . . Eine Woche vergeht, sie spielt wieder, ich schreibe ein zweites Btal. Tags darauf sitze ich um die Nachmittagsstunde dort bei meinen Büchern, da klopft es, eine Dame rauscht herein. Sie ist es. Ich sage Dir, eine Gestalt, wie eine moderne Minerva! Denke Dir die lieblichsten Züge, von einem Schattenzug von Trotz verschönt, idealische Locken — lächle nicht, Alles echt! — Blicke, die unter seidenen Wimpern wie Pfeile hervorschießen. Ich war froh, daß die Mutter da war und die Kosten des Gesprächs trug. Sind Sie immer so stumm? fragte sie mich lächelnd, nachdem ich lange geschwiegen. Wer kann, erwiderte ich, sprechen, wenn er Sie das erste Mal sieht? Sie erröthete, ich hätte viel darum gegeben, wenn mir das Wort nicht entschlüpft wäre." „Wie alt ist denn das Fräulein?" warf hier Hermann die Frage ein. „Vier-, fünfundzwanzig Jahre, vielleicht auch etwas älter," sagte Klein. „Doch ich fahre fort. 195 Sie erzählt von Petersburg, wo sie bis vor Kurzem gelebt hat — sie war am dortigen deutschen Theater — sie erzählt von den Kabalen, die ihr die hiesigen Rivalinnen spielen; nun, das ist überall das Gleiche. Sie erwähnt der wenigen Bekannten, die sie hier hat. Obenan steht unter diesen Herr von Lutteroth, der Polizei- director, der ein naher Freund ihrer Mutter gewesen sein mag. Er hat sie eigentlich hergebracht. Auch daß der König sich für ihre Leistungen interessire, erzählt sie uns und plaudert so weiter und weiter. Ich finde sie einfach, natürlich, offen, mehr sogar als nöthig wäre. „Ist das nicht ein herrliches Geschöpf?" frage ich die Mutter, als sie draußen ist. „Schade nur, daß sie eine Schauspielerin ist!" erwidert sie mir und hat eigentlich damit das Wort der Situation ausgesprochen. Von da ab. Freund, habe ich mich gegen mein eigenes Herz mit allen Kräften gewehrt. Ich habe mir Alles vorgehalten, was ich ehedem über Schauspieler und Schauspielerinnen gedacht und gesprochen: Daß die Lüge der Schauspiel- 13 * 196 kunst, gleich einer giftigen Schminke, das Gemüth ruinirt nnd zersetzt, bis endlich das ganze Leben dieser Personen mit allen Gefühlen nnd Aeußerungen zum Schauspiel wird. Sollte ich denn, sagte ich zu mir, wirklich das Unglück haben, ernstlich in eine Schauspielerin verliebt zu sein? Abends, im Wirthshause, habe ich den Collegen mit schaurigem Behagen zugehört, wie sie ihr Leben nnd ihre Kunst zersetzten nnd zerfetzten. Hör' nur zu, sagte ich zu mir selbst, nimm Dir daraus, was Dir zuträglich ist, es ist bittere Medicin für dich. Da ist vor Allein der alte Thaidinger, der versteht es, das Scalpel an einen Charakter zu legen. Keine Rolle von ihr war ihm recht. Dich verblendet das herrliche Profil! sagte er zu mir, die hohe Gestalt, die prachtvollen Schultern verblenden Dich. Ihrem Spiel fehlt die Wahrheit, die echte Empfindung. Sie bringt es mitunter zu schönen Effecten, aber es sind eitel Tüuschungskünste, sie ist kalt, innerlichst kalt, ein blinkender Eiszapfen. . . . Kurz, er äußerte sich in seinem ganzen finsteren Pessimismus und wollte nebenbei 197 von ihren Beziehungen zn allerlei Leuten, unter anderen zu Herrn von Lutteroth wissen. Hör' nur zu, dachte ich, es bringt Dich los. Ich stellte mich mit meiner ganze» Gedankenwelt, meinem bisherigen Leben, meinem Fleiße, meinen Kenntnissen gegen eine solche rein äußerliche Existenz, mein Wesen gegen Maske, Flitter und Tand, und beschloß, wenn 'mich der Zufall jemals ihr wieder entgegenführt«, kalt zu sein. Es waren Vorsätze. Ich habe sie schlecht gehalten. Eine Woche später nahm ich eine Einladung zu Tisch von ihr an. Ich kam spät, sie empfing mich mit bitteren Vorwürfen über meine Unsichtbarkeit, über die Zurückhaltung, ja Kälte in meinen letzten Urtheilen. Und doch durfte ich sie zu Tische führen! Die Gesellschaft war die, die ich erwartet hatte, ein paar junge Herren vom Adel, ihre Ritter aus der ersten Nanglogenreihe, ein paar Schauspieler, der Ober - Regisseur. Der Champagner kam sehr bald und versetzte Alles in die beste Stimmung, es war ein heiteres Symposium. Nach Tisch blieben wir in einem kleinen 198 Boudoir zurück. Ich sitze wieder uebeu ihr. Man bringt die Lichter. Da äußert der Ober- Regisseur, er wisse, daß sie improvisiren könne: Verse, wirkliche Geschichten in Versen. Man wundert sich, man will sie auf die Probe stellen. „Es gelingt mir manchmal so ziemlich," sagte sie, „aber nur im Finstern, Zauberer haben einmal so ihre Anstalten." Das reizt um so mehr, die Fauteuils werden zusammengerückt, die Lichter werden hinausgetragen, egpptische Finsterniß tritt ein und man giebt ihr einen Stoff auf. Das Thema ist: Der moderne Nimrod. Sie beginnt wirklich unmittelbar darauf Verse zu sprechen und jeder Vers klingt schön und vi- brirt in die Seele hinein, wenn sie ihn spricht. Sie schildert ihren Nimrod jung, rauh, trotzig, als einen Weiberfeind — da fühle ich eine Berührung, ihre weiche, warme Hand drückt sich in die meinige und schließt sie fest. Sie beschreibt seinen Aufenthalt in der Alphütte, seine Wanderung durch ein Felsenthal, den Einbruch der Nacht — etwas Warmes uaht meinen Augen, es ist ihre brennende Wange, die sich an die 199 meinige legt und auf ihr eine Weile ruht. Sie hält einen Augenblick inne und ein flüchtiger Kuß streift meine Lippen. Das Alles, im Schutze des Dunkel, mitten unter allen Anwesenden, bringt mich in unbeschreibliche Verwirrung, ich sehe Funkenkreise, ich sehe Sonnen. Indeß ist der moderne Nimrod in eine Villa gelangt, er klopft: „die Thür springt auf —" Und wirklich öffnen sich in diesem Augenblicke die Flügelthüren gegen den Salon zu, ein älterer Herr tritt mit einem, wie mir schien, höchst gezwungenen Scherze ein. Es war Herr von Lutteroth. Fräulein Anselmi ging ihm lachend entgegen, reichte ihm die Hand und forderte ihn auf, unter uns Platz zu nehmen. Aber mit der Improvisation war's vorbei. Sein Erscheinen und die Helle der Lichter hatten alle Stimmung verscheucht. Es trieb mich bald fort. Ich weiß nicht, wie der Abend ausging. Nun aber nimm das Sonderbare bei der Sache: mit jenem Kuß im Dunkeln war Alles vorbei. Am nächsten Tag, als ich wiederkam, that sie, als ob sie davon nichts wisse. Fremd 200 fremd und große Dame! Die Augen sagen: was sollen diese Andeutungen? Sie haben wohl im Finstern geträumt? Sieh, so steht es nun mit mir. In meinem Herzen arbeiten zerstörende Wunsche. Ich wünsche mir ihren Besitz und fliehe davor. Sie erscheint mir wie eine Feindin, die mich aus der Stille meiner Studien, aus der Gleichmäßigkeit meiner Stimmungen herauswirft. Ich hasse sie, und liebe sie doch. Ich werde aus mir selbst nicht klug. Sollte ich blos ihr Werkzeug sein? Den Gedanken ertrage ich nicht und so lebe ich in Zweifeln und Wünschen hin. Nun --- was sagst Du?" „Vorerst gar nichts," erwiderte Hermann, welcher gegen den Schluß zu immer aufmerksamer zugehört hatte. „Gar nichts, so lange ich nichts Näheres von Deiner Schönen weiß. Daß es bei Theaterdamen nichts Ungewöhnliches ist, daß sie für flüchtige Liebesgunst Reklame eintauschen wollen, weißt Du, das brauche ich Dir nicht erst zu sagen. Doch — Du bist ein Bursche, dessen Blondkopf einem Weibe schon gefallen kann und so läßt sich die äs kflelo- 201 Liebeserklärung im Tunkcln wohl begreifen. Nimm nur das Ganze nicht gar so unausstehlich tragisch und ernsthaft. Die Sache verdient das nicht. Was mir nicht recht ist, was mir nicht gefallt, ist, daß Tu da eine Gesellschaft mit dem Aerwel streifst, die nicht für Dich paßt. Hast Du die jungen Herren aus den ersten Ranglogen und den Polizei-Director wiedergesehen?" „Doch ja, sie benahmen sich jedesmal charmant." „Das thun sie immer, wenn ihnen damit gedient ist. Doch nun sprich, was meint Dein Cousinchen dazu? Merkt Hildegard nichts?" „Sie kommt in letzter Zeit auffallend wenig zu uns." „So merkt sie die Rivalin schon und ist unglücklich. Und Deine Mutter?" „Die ist gegen die Anselmi jetzt schrecklich eingenommen! Sie bringt ihren Namen nicht mehr über ihre Lippen. Du hast es auch vorhin bemerken können, wie sie die Anspielungen, die Du machtest, nicht weiter beachtete . . . . Ach Freund," fuhr Lorenz nach einer Pause 202 fort, „wenn Du wüßtest, wie es in mir aussieht —" Er fuhr sich mit tragischer Geberde über die Stirn. „So allerdings," sagte Hermann, „sollte sich eine Liebe nicht ankündigen! Aeußere Hindernisse sind nichts, mit solchen! inneren Widerstreit verglichen. Doch wir wollen schon Alles in die richtige Bahn bringen. Gute Nacht für heute. Ich habe zwei Neisenächte nachzuholen." „Leb wohl, liebster Hermann," sagte Klein, Leuchter und Hausschlüssel ergreifend. Er leuchtete ihm die Treppe hinab und nahm auf's Herzlichste Abschied. „Da ist ein Mann der Bücher in die Hände eines recht verführerischen Weibes gerathen," sagte Hermann zu sich selbst im Gehen. „Man muß auf ihn Acht haben wie auf ein kleines Kind, denn das ist er auch. Ein paar Schritte noch und er verfällt der Gesellschaft unserer Gegner und macht ein braves Mädchen, das ihn liebt, recht unglücklich. Ich denke, ich bin rechtzeitig heimgekehrt." _ 203 Drei kleine, unter einander verbundene Zimmer bilden das Redactionsbureau der „Neuen Zeit". Das erste, dessen Wände Fachgestelle, mit Zeitungen vollgepfropft, bekleiden, wird als Vorzimmer benützt, im zweiten, das schon elegantes Mobiliar und eine kleine Handbibliothek ausweist, sitzt ein struppiger, ältlicher Herr und läßt die Feder rastlos knirschend über das Papier streifen, im dritten, das ein Stehpult in seiner Mitte hat, geht Hermann Zoller auf und ab. Er schreibt den morgigen Leitartikel, die ersten Blattseiten desselben wurden eben abgeholt, aber den ganzen Vormittag blieb er keine halbe Stunde von Störungen frei. Einem Finanz- 204 man», der sich über die Fassung einer ihn betreffenden Notiz beschweren zu müssen glaubt, folgt ein Schauspieler, der gefallen zu haben behauptet, wiewohl die Kritik dies nicht anerkennen wollte, schließlich erscheint ein Jüngling, dessen Erstlingsnovellenbuch „Lorbeer und Leder" durch ein Versehen des Setzers als „Lorbeer und Leder" angezeigt worden ist. Er glaubt darin eine hämische Kritik zu erkennen und führt bittere Beschwerde. So wird viel kostbare Zeit vergeudet, es wird aber Hermann überhaupt schwer, seine Gedanken, die sich noch wie ledige Rosse tummeln, cinznfangen und an den Wagen zu spannen. Er weilt im Geiste noch in der romantischen Welt der Berge, er steht noch im dämmerigen Klostergarten und sie steht vor ihm. Jedes ihrer Worte tont ihm noch im Ohre nach. Allerlei Fragen drängen sich ihm aus. Vor allem: wer ist ihre Mutter? Wo und in welcher Stellung lebt sie? Im Adreßbuch war ihr Name nicht zu finden. Sie wohnt also nicht mehr hier. Ehe der versprochene Brief eintrifft, wird Her- 205 mann keine Ruhe finden. Nichts wird gehörig vorwärts gehen, bis er den Weg, den er zu gehen hat, deutlich übersieht. „Die Post!" ruft in diesem Augenblicke ein Kopf durch die geöffnete Thür des zweiten Zimmers herein nnd ein Packet Briefe fliegt auf den Tisch> an welchem der struppige ältliche Herr schreibt. „Keiner an meine specielle Adresse dabei?" ruft Zoller. Aber der Redactionsbote ist schon wieder verschwunden und Thaidinger ruft statt seiner mißmuthig: „Woher?" „Vom Bodensee." „Du hast schon gestern und vorgestern darnach gefragt," sagt Thaidinger, indem er die Briefe durch seine Hand gehen läßt. „Muß Dir viel an dem Correspondenten liegen. Neu angeworbene, talentvolle Feder, he? Nein, kein Brief vom Bodenses und an Deine specielle Adresse ist da. Schreibe nur ruhig zu." Seine Feder knirscht schon wieder. 206 Eine Seitenthür des ersten Zimmers öffnet sich, wieder blickt ein Kopf herein. „Wir brauchen das Manuscript vom Leitartikel." „Der Anfang ist doch eben vom Setzerburschen abgeholt worden!" grollt Thaidinger. „Welcher war's denn?" „Florian." Der Kopf verschwindet wieder. „Ist doch wie eine Verschwörung unter den Correspondenten," ruft Thaidinger. „Es giebt Tage, an welchen keiner schreibt, dann schreiben sie alle mit einemmal und alle über dasselbe Thema. Drei Viertel der Briefe gehören heute von rechtswegen in den Papierkorb." Wieder geht die Thüre auf. „Kein Florian und kein Manuscript zu finden!" Thaidinger eilt grollend hinaus. Er kreuzt sich in der Thüre mit einem sehr erhitzt aussehenden Manne. Es ist ein Publi- cist, dessen letzte Broschüre arg mitgenommen wurde. 207 „Schreib' nur ruhig zu/' sagt Thaidinger zu seinem Freund. „Ich empfange den Herrn." Damit schlägt er die Thüre zu, die Stimmen tönen fortan gedämpfter, aber die Worte: Preß- klage. Civilklage sind bis in Zoller's Heiligthum vernehmbar. „So geht es den ganzen lieben Tag!" ruft Hermann. „Ich habe noch nicht die Nerven, die dazu gehören, inmitten dieser Unruhe zu arbeiten. Thaidinger hat sie." Er geht an die Thüre und fragt: „Thaidinger, hat sich das Manuskript gefunden?" . „Ja," ist die Antwort. „Florian und Manuskript sind da. Der Junge hat die Manie, der Erste wissen zu wollen, was morgen in der Zeitung stehen wird. Ganz besonders hat er es auf Deine Artikel abgesehen. Man hat ihn lesend in einem Winkel der Treppe angetroffen. Es ist nicht das erste Mal. Was fangen wir mit dem Burschen an?" „Wir schelten ihn aus und freuen uns über seine Wißbegier." 208 „Einverstanden." Wieder werden ein paar Zeilen aufs Papier geworfen, als geklopft wird und auf Thaidin- ger's Herein ein Besuch eintritt. „Guten Tag, Thaidinger. Ist Zoller zu sprechen?" „Eigentlich nein, er schreibt den Leitartikel." Hermann hatte die Stimme augenblicklich erkannt. „Nur herein, Excellenz, nur herein. Für Sie hat man immer Zeit. Es war meine Absicht, Sie dieser Tage zu besuchen —" „Also richtig,uach Zusage eingetroffen," sagte der Eintretende, es war Herr von Auerstein. „Ich habe au Ihrer Pünktlichkeit nicht gezweifelt. Schön. Wir haben Sie mit Ungeduld erwartet, ich habe Ihnen wichtige Mittheilungen zu machen. Thaidinger, Sie kommen doch uiit herein?" Die Herren waren ins dritte Zimmer getreten und nahmen dort Platz. „Es haben," begann Auerstein, zu Hermann gewendet, „in Ihrer Abwesenheit mehrfache Unterredungen der Theilhaber der „Neuen Zeit" 209 stattgefunden. Das Blatt ist in seiner alten Form ungenügend. Es gilt mit größeren Mitteln eintreten, um daraus eine wirklich große Zeitung zu schaffen. Die Berathungen haben praktischen Erfolg erzielt, die älteren Theilhaber haben sich zu größeren Beiträgen entschlossen, neue sind hinzugetreten; vom Oktober an kann das Blatt auf neuer, erweiterter Basis erscheinen. „Ich habe von Ihren Plänen schon Manches gehört," erwiderte Hermann, „und würde mich herzlich darüber freuen, wenn ich nur darüber beruhigt wäre, daß mit dem Zutritt neuer Theilhaber die alte Richtung nicht alterirt werde." „Darüber wache ich nicht minder eifrig wie Sie selbst, lieber Freund," entgegnete Auer- stein. „Die Grundsätze bleiben dieselben, die Richtung dieselbe. Uebrigens hat sich das Co- mitö damit einverstanden erklärt, Ihnen volles Pouvoir einzuräumen." Hermann war auf das Freudigste überrascht. „Wir sind und bleiben das alte Oppositionsblatt!" sagte Auerstein. „Wir führen den Kampf 11 210 gegen die jetzige Regierung, ganz besonders aber gegen die zweideutige Persönlichkeit, die jetzt am Steuer steht. Dieser Kampf soll immer schärfer hervortreten. Und damit sind Sie gewiß einverstanden." „Wie wäre ich es nicht!" rief Hermann. „Wir können nur vorwärts schreiten, wenn von maßgebender Seite her unzweideutig der Geist ausströmt, der die neue Lage vollständig accep- tirt. So lange die Regierungspartei im Stillen die Hoffnung auf Umkehr nährt und in diesem Sinne ihre Minen legt, muß man an jedem wahren Fortschritt verzweifeln. Wir müssen Errungenes weiter bilden, Scheinleben zu wirklichem Leben umbilden und zur deutschen Einheit die weiteren Schritte thun. So lange die bewußte ehrgeizige und gewissenlose Persönlichkeit obenan steht, ist da nichts zu hoffen. Es soll meine Aufgabe bleiben, deren Schliche und Ränke aufzudecken. Sehen Sie, eben bin ich daran, in einer Reihe von Artikeln den Nachweis zu führen, daß bezüglich der Presse und der Vereine ein polizeiliches Element Ein- 211 gang gewonnen, das unser ganzes Verfassungsleben gefährdet. Und so ist es. Auf Vereine, Abgeordneten-Conferenzen, Besetzung von Professuren wird ein unausstehlicher Druck geübt. Ich getraue mir nachzuweisen, daß das freie Wort nie mehr beschränkt war —" „Ganz mit Ihnen einverstanden," entgegnete Auerstein. „Sie stehen übrigens mit Ihrer Ansicht nicht mehr vereinzelt da. Der Nimbus des Herrn von Themar ist rasch geschwunden. Es zeigt sich immer klarer: mit seiner Ernennung war schon ein Rückfall vollzogen, ein Rück- fall in die Zeit unserer ärgsten politischen Sünden. Man sucht die neugeschlossenen Bande zu lösen, die Ausgestaltung unserer staatlichen Organisation zu hindern, die Elemente partikula- ristischeu Widerstandes zu stärken. Das Ideal ist die Zeit, da sich ein deutsches Läudchen gegen das andere abschloß. Schließlich würde man auch nicht vor einer Einmischung des Aus- landes zurückschrecken. Nun, der Widerstand gegen diese Richtung erstarkt und mit der Opposition soll auch das Blatt wachsen. Es soll bes- 14 * 212 ser fundirt und größer werden. Für die nächste Zeit soll Ihnen aber Freund Thaidinger einen Theil der Last abnehmen und „Verantwortlicher" werden, denn mit Ihnen haben wir noch Anderes vor." Hermann sah den alten Herrn erwartungsvoll an. „Wir brauchen Sie in der Kammer." Die Nöthe der Ueberraschung flog über Hermanns Wangen. „Lange genug," sagte Herr von Auerstein, „haben Sie die Wahlkörperschaften einexerciren helfen, jetzt treten Sie in unseren Generalstab ein." „Das ist mehr, als meine kühnsten Hoffnungen . . . ." „Schon gut, wir wissen, was wir an Ihnen heben und setzen große Hoffnungen aus Sie. Nur ein Bedenken wurde geäußert: Sie haben doch das vom Gesetz geforderte Alter?" „Und ein volles halbes Jahr darüber!" sagte Zoller. „Und sind wahlberechtigt?" 213 „Wie denn nicht? Ich bin sogar hier in der Residenz geboren." „Nun, dann ist Alles gut," sagte Auerstein. „Die Neuwahlen stehen vor der Thüre. Daß Sie durchdringen, daran ist kein Zweifel." „Wenn nur Ihr persönliches Wohlwollen," meinte Hermann, „meine Kraft nicht überschätzt!" „Nur ruhig, junger Freund," entgegnete der alte Herr mit einem wohlwollenden Lächeln. »Ihre Feder hat Sie längst zu einem populären Manne gemacht. Alles wird ruhig bedacht und wohl erwogen. Wir setzen Sie keinen Chancen aus. Ich spreche im Namen meiner Partei zu Ihnen. Vorerst" — er legte den Finger auf den Mund — „noch tiefes Schweigen über unsere Pläne! Noch Eines, meine Herren! Morgen um Sieben Abends findet eine letzte Berathung der Herren Theilhaber statt. Ich ersuche Sie, derselben beizuwohnen und Ihre neuen Bedingungen in Betreff Ihrer Stellung kundzugeben. Und damit wäre meine Mission beendigt. Adieu, meine Herren, Adieu." 214 Herr von Auerstein entfernte sich, Beide begleiteten ihn bis in den Corridor. Dann ging Thaidinger wieder an seinen Tisch zurück. „Nun, was sagst Du zu alledem?" fragte Hermann nach einer Pause. „Daß Du, wenn Du's darauf anlegst, eine höllische Suade entwickeln kannst. Wir wollen Deine Reden in kxtsnso bringen. Aber vergiß' mir nur nicht den Leitartikel —" Es giebt Zeiten, seltene Zeiten, wo es dem Individuum zu Muthe, als seien Schwingen, die höchsten Höhen zu erreichen, seinen Sohlen angebunden. Da geht es hinan, hinan! Die Brust fühlt sich in einem ungewohnten Elemente, aber frei von jeder Last. Alle Sorgen und Zweifel sind in der Tiefe zurückgeblieben. Eine solche Periode fühlte Hermann für sich gekommen. Das Feld seiner Ideale lag, vom hellsten Sonnenschein erleuchtet, vor ihm da. Ein hoher Lohn, doppelt schön, wenn in der Jugend erreicht, winkte ihn heran. 215 Er mußte die Fenster öffnen und frische Luft einathmen, um seine Bewegung zu dämpfen. Aber das Freie, in das er blickte, bestand nur in einem engen Hof und einigen Waaren- speichern mit schwarzen Dächern. „Ich übernehme eine große Last," sagte er zu sich; „aber ich getraue mir, sie zutragen. Wenn » ich nun vor Emma's Mutter hintrete und sage: ich liebe Ihre Tochter, vertrauen Sie sie mir an — darf sie mich zurückweisen?. Wird sie es? Ich bin nicht mehr der erste Beste." Da weckte ihn Thaidinger's Stimme aus seinen Träumen. „Zoller, die Abendpost! „Herrn Dr. Hermann Z oller zu eigenen Händen." Hier der erwartete Brief. Aber, alle Weiter, der neue Korrespondent vom Bodensee ist eine Dame!" Eiligst griff Hermann nach dem Briefe und flüchtete damit in die entfernteste Ecke seiner Zelle. Dort erst öffnete er ihn. Er war lang, er zählte mindestens acht Seiten. Hermann durchflog ihn heiter, überglücklich, in jeder Zeile das Geständniß offenster, hingebendster Liebe zu 216 lesen, die Sprache eines Herzens zu hören, das in ihm den Freund und Berather sah, bis ihn zuletzt ein Absatz jäh auffahren hieß und ihn von der Flughöhe der Freude jäh und schrecklich herab auf die Erde schleuderte. Lange saß er da, verstörten Blickes die verhängnisvolle Stelle betrachtend. Die Stelle lautete folgendermaßen: „Ich werfe die Frage gar nicht auf, ob Sie »och mein gedenken und fern von mir Ihre Absichten festhalten werden'-' Ich weiß, daß Ihnen wie mir dieses Begegnen kein Zufall war, nichts, was man vergißt. Und warum hätten Sie mich nach einigen Tagen vergessen, da Sie mich in vier Wochen nicht vergessen hatten? Ja, mein Freund, Sie denken noch meiner. Ob Sie aber nicht etwas anderes von mir entfernen wird? Ich zweifle nicht, daß, wenn Sie um mich anhalten, Ihnen meine Hand gewährt wird — man legt ja gar keinen Werth auf mich — aber ohne ein Stellen von Bedingungen wird es nicht abgehen. Sie werden mich so gut wie ohne Aussteuer und gleichsam im Geheimen 217 fortnehmen muffen, vielleicht wird man sogar verlangen, daß Sie aus der Stadt ziehen und sich nicht mehr da sehen lassen .... Es dürste still hergehen bei unserer Trauung! Selbst meine Mutter dürfte dabei fehlen, denn — sie vermeidet jede Berührung mit mir. Wie Frau von Feldern sich in ihrer zweiten Ehe den Namen ihres ersten Gatten — und er war doch ein Ehrenmann — aus dem Kopf geschlagen hat, so bin auch ich ihr nichts, ich könnte, wenn ich ein angenommenes Findelkind wäre, ihr nicht weniger sein. Nun sehen Sie, das schreckt mich, das ängstigt mich und ich möchte nun um Alles gern in Ihr liebes Antlitz sehen können, um zu wissen, ob jetzt Ihre Stirn, die sehr schön ist, und Ihre Brauen, die sehr dunkel sind, sich ärgerlich runzeln, oder ob Sie nur mit Wegwer- sung rufen: Jst's nichts weiter? Mein Haus gründe und schaffe ich mir mit ihr allein...." So lauteten die Zeilen. Hermann starrte sie noch immer an; an's Stehpult war er nicht mehr getreten. „Nun bin ich für's Erste fertig," ließ sich — 218 Thaidinger in diesem Moment aus dem Nebenzimmer vernehmen und holte seinen Ueberrock. „Die Reporter bleiben wieder hübsch lange aus. Wie stehts mit dem Leitartikel?" „Du hast recht, mich darau zu mahnen!" erwiderte Hermann. „Ich versank in Gedanken." 219 Am Abend dieses für Hermann so verhäng- nißvollen Tages hatte die schöne Tragödin, Fräulein Anselmi, als Maria Stuart einen großen Triumph gefeiert. Ihre Leistungen, welche fortwährend Gegenstände der Debatte zwischen den Kritikern der Hauptstadt abgaben, waren immer frappant und charakteristisch, heute aber war es ihr gelungen, auch die Widerstrebenden fortzureißen. Den guten Klein auf seinem Ecksitz hatte ein wahres Fieber ergriffen. Er hatte die Augen starr auf die Schauspielerin gerichtet und folgte jeder ihrer Bewegungen. Zuweilen war es ihm, als ob sie mit ihm im Rapport stehe und ihn sixire. Das nahm ihm gleichsam die Besinnung. Es überlief ihn bald heiß, bald kalt. — 220 Aber noch ein ganz anderer Zuschauer empfand heute den Zauber, den dies schöne Weib auszuüben verstand. Es war der alte, müde, doch noch immer für Fraucnschönheit warmfühlende König. Er hatte das Opernglas viel in der Hand. Sonst mit Beifallsbezengungen äußerst karg, höchst zurückhaltend dem weiblichen Theil der Darsteller gegenüber, weil er sich beobachtet wußte, zeigte er sich heute ganz anders. Sein Beifall brach sich erst schwach, dann immer eifriger Bahn, schließlich applaudirte er demonstrativ. Was dazu beitragen mochte war der Umstand, daß Frau von Feldern heute nicht in ihrer Loge anwesend war. Eine Persönlichkeit, die in einer Loge zweiten Ranges, der königlichen schräge gegenüber, in die Ecke zurückgelehnt saß, beobachtete dies Alles mit großer Aufmerksamkeit. Es war der Intendant der königlichen Schauspiele, Herr von Gospot-Kircher. Seine Beobachtungen führten ihn zu Gedankencombinationen, die er sich bald so, bald anders zurechtlegte. Er begann schon im Geiste Schlösser zu bauen, an denen auch er 221 seinen Theil hatte, gewissermaßen eine Seiten- treppe. „Sie wäre jedenfalls das Weib, ihn zu fesseln!" sagte er öfter vor sich hin. Im Zwischenakt nach der großen Scene zwischen den beiden feindlichen Königinnen hatte sich etwas scheinbar Geringfügiges und doch nicht Unwichtiges ereignet. Der König hatte in aller Stille seine Loge verlassen und scheu wie ein Schulkunde, der verbotene Wege geht, die Richtung gegen die kleine Wendeltreppe eingeschlagen, die auf die Bühne führte. Hier war er jedoch aufgehalten worden, denn der Regisseur Rambach, der eben dem Intendanten den frischgedruckten Theaterzettel für den morgigen Tag überreichen wollte, war im Hinaufgehen begriffen. Da hatte der König einen Moment gezögert und hatte sich umgewendet. Er blieb aber wie versteinert stehen, als er am Ende des Corridors Frau von Feldern mit ihrem Gesell- schastsfräulein aus dem Foyer treten sah. Der König wendete sich sofort von der kleinen Treppe fort und ging den Damen mit einigen scherz- 222 haften Worten entgegen. Nachdem er mit ihnen eine Weile auf- und abgegangen, kehrte er in seine Loge zurück und Fräulein Anselmi spielte ihre Rolle zu Ende, ohne daß sich die königlichen Hände mehr zum Applaus zusammengefunden hätten. So ging die Vorstellung zu Ende. Fräulein Anselmi war von Allem unterich- tet; der Regisseur Nambach hatte ihr sofort berichtet, daß der König der Bühne die Ehre seines Besuches zugedacht habe, aber in dieser Intention durch die Dameu gestört worden sei. Die Augen der schönen Frau strahlten vom Glück eines doppelten Sieges, ihre Brust wogte stolz und heftig. So war sie wirklich eine aspasia-artige Schönheit. Sie hatte sich umgekleidet und verließ, von den Darstellern vielleicht die letzte, das Theater. Der Wagen wartete schon lange. Der Theaterdiener trug noch den Korb, in welchem die Toiletten der schottischen Königin ruhten, hinaus, und hob ihn auf den Bock. Noch rief die Anselmi einen Befehl zum 223 Wagenfenster hinaus, die Pferde fetzten sich in Bewegung. Sie war eben im Begriffe, sich in's Eckkissen zurückzulehnen, als sie in der halben Dunkelheit des Wagens die Gestalt eines Mannes, der von der anderen Seite ganz still eingestiegen war, neben sich erblickte. Ihr Kopf war noch so erhitzt von den ehrgeizigen, siegesgewissen Gedanken, von denen sie den ganzen Abend erfüllt, ja berauscht gewesen, daß es sie blitzartig durchfuhr: „das ist der König!" Gleichzeitig fühlte sie sich von zwei Armen leidenschaftlich umschlungen. Brennende Küsse fielen mit rasender Schnelligkeit auf Mund und Wangen. Dies feurige Ungestüm und ein volles weiches Haar, das ihr Gesicht streifte, mußte ihre Illusion im Augenblick zerstören. „Wer ist das?" rief sie zurückfahrend. Eine Stimme, die ihr bekannt und doch seltsam verändert war, antwortete: „Es ist Mortimer! Es ist Lhastelard!" „Sie sind es. Klein?" rief die Schauspielerin 224 fest und im Tone des Unwillens. „Sind Sie von Sinnen?" Klein hielt sie noch .immer fest umschlossen und raubte der Widerstrebenden Kuß um Kuß. Dann rief er: „Ich habe gelebt! Halten Sie es nun mit mir wie Sie wollen! Ich habe gelebt! Fahre Alles hin!" Außer sich vor Verwunderung, den blonden Germanen, den sie für den schüchternsten der Menschen gehalten, so kühn zu finden, von seiner Exaltation geängstigt, riß sie sich energisch los und streckte die Arme vor sich aus, um ihm abzuwehren. Aber das that nicht noth. Klein war ruhig geworden und saß gesenkten Hauptes, Unverständliches vor sich hinmurmelnd, in der Ecke. Die Anselmi ließ ihre Arme niedersinken. „Klein, Klein," sagte sie lächelnd, „Sie sind ein wilder Mensch. Mit Ihnen wird die Geliebte einst ihre liebe Noth haben!" „Verspotten Sie mich? HabeivSie das Herz dazu?" fragte Klein wieder wild auffahrend. 225 „Wer denkt an Spott?" sagte die Anselmi. „Ich bin böse. Sie haben mich durch Ihren Ueberfall schwer beleidigt. Was denken Sie von mir? Wenn Sie Jemand gesehen hätte . . ." „Es hat mich Niemand gesehen," erwiderte Klein. „Doch — wie finster Sie blicken! O, wasj habe ich verbrochen! Verzeihen Sie, verzeihen Sie!" Er warf sich vor ihr auf die Kniee. „Dies sei unsere letzte Unterredung," sagte die Schauspielerin in ernstem Tone, „wenn Sie nicht ein anderes Benehmen geloben." Sie machte eine Bewegung, die der unglückliche Klein so deutete, als ob sie halten lassen und aussteigen wolle. „Verzeihen Sie," rief er noch einmal und dringender, „dem unglücklichsten der Menschen. Ich sah Sie und liebte Sie schon. Und Sie — jener Abend — darauf das kalte Verschmähen! O, ich kenne Sie wohl! Auch wenn Sie mich liebten, wäre ich unglücklich. Aber — Sie kennen die Liebe nicht! Sie sind verwöhnt durch Huldigungen. Wir müssen uns trennen, ich 15 226 muß Sie verlassen und darf Sie nicht wiedersehen! Aber — wie wird mir dann zu Muthe sein?" Er versank in sein früheres düsteres Schweigen. „Wie soll ich das verstehen," fragte die An- selmi nach einer Pause, „daß Sie auch unglücklich wären, wenn ich Sie liebte?" „Weil —" „Reden Sie, ich will es wissen!" „Nein, ich sage es nicht," erwiderte Klein finster. „Sie würden mich nicht verstehen. Leben Sie wohl!" Einen Augenblick später war er aus dem Wagen heraus mit einem Sprunge, vor dem die Anselmi sich entsetzte. Aber das Glück war mit dem Tollkühnen, sie sah ihn ungefährdet durch vorübereilende Equipagen auf's Trottoir gelangen. Einige Minuten später rollte der Wagen in die hellbeleuchtete Einfahrtshaüe des Hotels „Victoria", in welchem die Schauspielerin wohnte. Hier erwarteten sie bereits mehrere ihrer wärm- 227 sten Verehrer unter Anführung des Lieutenants Christen. Der heutige Abend wurde von denselben als der ihrer größten Triumphe bezeichnet. Es war kurz vor Mitternacht, als sich die jungen Leute entfernten. Alexe, das junge Stubenmädchen der Schauspielerin, trat heran, ihre Herrin zu entkleiden. „Herr Doctor Klein," sagte Alexe nach einer Pause, eine Nadel zwischen den Zähnen, „war schon lange nicht da." „Er wird sich vermuthlich auch lange nicht sehen lassen," erwiderte ihr die Herrin. „Das wäre doch recht schade," meinte das Mädchen. „Ein so freundlicher, hübscher Mensch! Und er liebt Sie so heiß, so treu und wahr!" „Was weißt Du davon?" „Mein Gott, wer sieht ihm das nicht an den Augen an? Er liebt Sie wirklich und innig, während die Übrigen — nur so thun. Da sind Sie wohl recht hart gegen ihn gewesen, Fräulein ?" „Nicht härter und strenger, als ich sein muß." 15 * 228 Das Mädchen lachte. „Weißt Du, daß dies Lachen beleidigend ist?" fragte die Schauspielerin. „Inwiefern? fragte das Mädchen. „Es wird doch auch für Sie eine Zeit kommen, wo Sie die Männer anders beurtheilen werden als bisher." „Und das wäre?" „Wo Sie fragen werden, wenn Einer Ihnen gefällt und Sie fehen, daß er Sie liebt: Ist er auch der Mann, mich zu heirathen? Denn daran mißt sich doch die Liebe. Nicht wahr?" „Meinst Du?" „So gewiß, als man von etwas sagen kann, es sei wahr. Es gibt allerdings auch da Ausnahmen, wie bei jeder Sache —" „Zum Beispiel?" „Zum Beispiel, wenn ein so verschuldeter junger Herr wie der Lieutenant Christen Ihnen den Hof macht und jeden Augenblick geneigt scheint, Sie zn heirathen, da ist gar nichts darauf zu geben. Er ist mit seinem Stande unzufrieden, möchte je eher, je lieber austreten und 229 mit Ihrem Gelde sein gewohntes Leben lustig weiterführen. Wenn dagegen ein so braver und solider Mann, wie Doctor Klein, sagt: Ich liebe Sie, so ist das etwas und man kann darauf Häuser bauen!" „Aber nur sehr kleine Häuser, liebe Alexe," sagte die Schauspielerin. „Könntest Du mich Dir vorstellen als Frau Doctor Klein?" „Ei warum nicht!" „Du bist ein Kind," erwiderte die Anselmi. „Uebrigens sage ich Dir, ist Doctor Klein auch nicht anders als die Meisten. Die Männer," setzte sie mit einem Seufzer hinzu, „sind ein sonderbares, egoistisches Geschlecht. Man muß sie behandeln, wie sie es verdienen. Doch — das ist unnützes Zeug und verstimmt nur. Gute Nacht." Fräulein Anselmi verschwand in's Neben- gemach, das ihr Schlafzimmer war. Inzwischen stand Hermann noch immer vor seinem Pulte. Blattseite um Blattseite wurde ihm von dem Setzer abgenommen. Anderen bringt der Abend Erholung im Familienkreise, 230 Theater, Whistpartie, behagliches Gespräch mit Freunden im Speisehause; der Redacteur sieht seine volle Arbeit erst mit Einbruch der Nacht beginnen. „Wo bleiben nur die Curse so lange," sagte Hermann. „Und wenn die Curse da sind, wo bleibt Klein? Ich hätte so gerne mit ihm gesprochen, mit ihm mich berathen. Er ist sonst die Pünktlichkeit, Ordnung, Zuverlässigkeit selbst. Jetzt ist es anders. Nein, ich erwarte ihn heute nicht mehr; es ist so spät und ich bin müde . . . ." Es schlägt Mitternacht. Zoller geht in die Druckerei und giebt noch an, wie ein möglicherweise eintretender Ausfall zu decken sei. Dann entfernt er sich. Alles schläft im Hause mit Ausnahme der Setzer, welche Nachtarbeit haben. 231 Elf Monate am Steuerruder des Staatsschiffes hatten Herrn von Themar stark verändert, doch nicht zu Ungunsten seiner äußeren Erscheinung. Seine Gestalt hatte sich strammer aufgerichtet, das Feuer, das in seinem Innern brannte, hatte neue Nahrung erhalten und brauchte nicht mehr wie früher an seinem eigenen Selbst zu zehren. Der fortwährend im Hinterhalt liegende, hungrig nach der Macht spähende Sinn war beruhigt, gesättigt. Er hatte, was er begehrt, und brauchte heute uur noch den Besitz zu vertheidigen. Sah sich Themar jetzt in den Spiegel, so blickte ihm einer der bedeutendsten Staatsmänner entgegen. Das freute ihn, um die Mundwinkel spielte ein Lächeln der 232 Zuversicht. Einmal Minister geworden, hatte er auch die Frage »ach der Ordnung seiner Finanzen scharf in's Auge gefaßt und hierin bald Erfolge erzielt. Damit war ein schwerer Stein von seinem Herzen gefallen; er war auch nach jener Seite hin gelassener und ruhiger geworden. Der Staatsmann saß in seinem Arbeitsca- binet, das beinahe dem eines reichen Knnstdilet- tanten ähnlich sah. Die Möbel waren Meisterstücke der Kunsttischlerei, der Schreibtisch nicht mit Büchern und Acten überladen, vielmehr mit zierlichen Nippes aller Art ausgestattet. Alles kokett — im höchsten Grade kokett. Heute hatte Herr von Themar in Erwartung seiner Dinerstunde Erholung von seinen Arbeiten in einem französischen Roman gesucht. Die Vormittage der Aristokratie sind lang; die Herbstsonne senkte sich bereits zum Untergänge und warf ihre dunkelrothen Lichter auf die Draperien über den Thüren, auf die Bilder und Bücher, die das Gemach zierten. Das sanfte Pochen des Kammerdieners störte den Staatsmann aus der epikuräischen Stim- 233 mung auf, in die ihn Gustave Droz versetzt hatte. Es wurde eine Karte abgegeben. Herr von Themar überflog sie, biß die Lippen und sagte nach einer Secunde des Nachdenkens: „Weisen Sie den Herrn ins gelbe Cabinet!" Der Lakai ging. „Hermann Zoller!" sagte der Minister. „Daß mir die Feldern diesen Besuch nicht erspart hat! Ich wüßte Niemanden, den ich unlieber sähe, und doch ist er nicht abzuweisen. Die Kühnheit des jungen Menschen, sich bei mir zu zeigen — nach Allem was er selbst geschrieben, oder über mich durch Andere hat schreiben lasten, grenzt an Unverschämtheit." Er schleuderte das Buch, das er noch in der Hand hielt, in eine Sopha-Ecke und ging gemessenen Schrittes an die Thür, die znm gelben Cabinet führte. Hermann Zoller stand vor ihm. Man sah dem jungen Mann das Opfer an, das ihm der Besuch kostete. Ein finsterer Ernst 234 lag, als er eintrat, auf jedem Zuge seines Gesichtes, „Es, ist mir keine geringe Ueberraschung," sagte Herr von Themar mit einem eigenthümlichen Lächeln, „einen der thätigsten und unbeugsamsten meiner Gegner bei mir zu sehen. Ich nenne Sie dessenungeachtet willkommen." Ein Blick unverkennbaren Haffes flog dabei über den jungen Mann. „Ich habe kein Anliegen an den Staatsmann," begann Hermann sehr ruhig. „Eine kurze Mittheilung, die mir von der Frau Obersthofstallmeisterin Frau von Feldern auf einen Brief zu Theil geworden, weist mich an Sie, Herr Baron, als den neuernannten Vormund des Fräulein Hamond, ihrer Tochter aus erster Ehe." „Ja so, ganz richtig," sagte Herr von Themar, Hermann mit einer Handbewegung zum Sitzen auffordernd. „Frau von Feldern hat mich sogar" — er hob eine Karte auf und ließ sie wieder fallen — „auf Ihren Besuch vorbereitet." Er lächelte wieder, wie um zu sagen, die Sache habe 235 keine Wichtigkeit, und fuhr fort: „Vor Allem bekenne ich mein Erstaunen, wie Sie zur Bekanntschaft mit Fräulein Emma Hamond kommen?" „Eine Sommerreise," erwiderte Hermann, „hat mich in die Gegend geführt, in der das Fräulein fern von den Ihrigen in einer Art von Verbannung lebt. . . ." „Ihre Ansicht über diesen Punkt ist durchaus unrichtig," erwiderte der Minister. „Doch damit ist meine Frage nicht beantwortet. Soviel ich weiß, haben junge Männer keinen Einlaß in Mädchenpensionate auch von minder strenger Observanz? Wer hat Sie eingeführt? Wie haben Sie das junge phantastische Mädchen dazu gebracht, auf Ihre Wünsche und Hoffnungen einzugehen?" „Meine Begegnung mit Fräulein Hamond," ' erwiderte Hermann gelassen, „ist allerdings eine sehr kurze gewesen. Sie zählte nur Minuten, keine Stunden. Dennoch hat sie lange genug gedauert, unsere Herzen fest mit einander zu verknüpfen. Es ist in anderen Fällen auch nicht 236 anders. Man sieht sich, und fühlt sich gegenseitig angezogen, gebunden. Wenn ich mir nun, Herr Baron, Ihre Vermittlung bei Frau von Feldern erbitte, so geschieht es mit voller Kenntniß der Vermögensverhältnisse des Fräuleins, wie der Stellung, die sie zu ihrer Mutter einnimmt. Ich ambitionire nicht in den Kreis, in den sehr exclusiven Kreis, den jetzt Frau von Feldern beherrscht, zugelassen zu werden, oder auch nur, mich ihm zu nähern. Ich wünsche mir und erbitte mir nichts, als Fräulein Ha- monds Hand — für das Uebrige wird zu ihrem und meinem Glück gesorgt sein." Herr von Themar sammelte sich im Moment, dann erwiderte er: „Sie sind mir ausgewichen und haben mir noch immer nicht gesagt, wer Ihre Bekanntschaft vermittelt hat. Ein Pensionat —" „Ist kein Gefängniß, Herr Baron, nicht einmal ein Kloster!" fiel Hermann, kurz abfertigend, ein. „Nun gut, ich lasse diesen Punkt fallen!" sagte Herr von Themar. „Im Weitern kann ich 237 kurz sein. Sie haben Luftschlösser gebaut. Die Wellen Ihrer Phantasie sind — in diesen, wie in anderen Dingen — hochgehend; ich dagegen stehe auf realem Boden. Die Hindernisse, die in dieser Angelegenheit obwalten, sind zweifacher Gattung. Fräulein Hamond hat nach dem Wunsch ihrer Mutter eine streng katholische Erziehung erhalten. Frau von Feldern ist nicht gesonnen, durch Zulassung einer Heirath mit einem Protestanten einen Conflict in das Gemüth ihres Kindes hineinzutragen. Dann aber ist sie auch nicht gesonnen, ihre Tochter aus erster Ehe, wiewohl diese nur einen bürgerlichen Namen trägt und jedenfalls nur ein geringes Vermögen zu erwarten hat, als Gattin eines —- Journalisten zu sehen. Das ist in ihren Augen kein Boden — es ist eben Papier, Papier! Dabei ganz davon abgesehen, Herr Doctor, daß Ihre politischen und anderen Ueberzeugungen Sie dorthin rangiren, wo der schärfste Gegensatz zu allen Anschauungen herrscht, in denen Frau von Feldern ihre Tochter erzog. Ihnen ihre Tochter geben, Herr Doctor, hieße für die edle Frau so 238 viel, als diese verlieren. Gestehen Sie selbst, ob nicht' die Entfremdung von Mutter und Kind in solcher Ehe systematisch gepflegt werden würde ? Doch ich habe der unübersteigbaren Hindernisse genug angedeutet. Nebstdem kreuzen Sie Pläne, Herr Doctor; Fräulein Hamond sollte nicht lange mehr in jener Anstalt bleiben und bald eine Wahl, die auch der Mutter convenirt, treffen. Ich kann Sie nur auffordern, jeden Gedanken an Fräulein Emma aufzugeben und nicht länger im Gemüth des jungen unerfahrenen Mädchens eine zwecklose und schädliche Unruhe zu nähren." „Herr Baron," erwiderte Hermann, „ich gestehe, daß mir der Gang hieher schwer gefallen und mir ein Opfer war, das ich Fräulein Hamond brachte. Ich habe auch von diesem Gange im Vorherein wenig gehofft. Ich habe es nicht nöthig, den Gegensatz erst kennen zu lernen, in welchem die Hofwelt zur übrigen Welt steht. Ich kenne ihn ganz gut. Könnte ich Entgegenkommen von einer Mutter erwarten, die, wiewohl in einem protestantischen Lande lebend. 239 kein Institut für ihre Tochter geeigneter findet, als ein ultramontanes, außer Land gelegenes, wo junge Gemüther im schärfsten Gegensatze zu allen hier geltenden Ueberzeugungen großgezogen werden? Nein. Diese Frau exilirt ihr Kind, dessen Name sie an ihre frühere bürgerliche Stellung erinnert, und schickt es weit, weit fort — wie sollte sie später das Herz dieses Kindes berücksichtigen? Sie verfügt darüber nach eigenem Gutdünken; irgend ein Garde-Lieutenant, irgend ein Baron ist willkommen, am allerwenigsten aber ein Zeitungsschreiber; jedenfalls ein odioses Geschöpf, vor dem man eines- theils Scheu, anderseits Furcht empfindet. Nun sehen Sie, daß meine' Werbung, Herr Baron, mehr eine Sache der Form war! Ich liebe das Fräulein, sie vertraut mir von Herzen, ich gebe sie nicht für verloren und halte meine Hoffnungen fest. Als Norm unseres künftigen Handelns werden wir unser Herz befragen." „Das klingt sehr amerikanisch und sehr kriegerisch," erwiderte Herr von Themar. „Ich nehme Act von Ihren Worten. Mutter und 240 Vormund werden das Mädchen vor eigenen Entschlüssen wie vor verderblichen Anschlägen zu schützen wissen." Er machte eine Handbewegung, welche sagen wollte, daß dies sein letztes Wort sei, und Hermann verließ das Gemach. „Hab' ich mich von meinem Unwillen zu sehr fortreißen lassen?" fragte sich Herr von Themar, als er wieder allein war. „Hätte ich ihn länger festhalten, hätte ich ihm gar einen Köder hinwerfen sollen? Ich habe aus der Unterredung nichts erfahren, als daß die jungen Leute sich lieben. Wann er ihre Bekanntschaft gemacht hat, ob sie correspondiren und auf welchem Wege — darüber hab' ich kein Wort erfahren. Es wird übrigens gut sein, sich über die Personalien des jungen Mannes ein wenig zu unterrichten." Er ging an den Tisch, warf einige Zeilen aufs Papier und brachte das Blatt unter Couvert. Dann klingelte er. „Diesen Brief sogleich an seine Adresse!" 241 Der Kammerdiener entfernte sich durch die Thüre zum gelben Cabinet, während ein anderer, durch eine zweite eintretend, meldete, daß das Diner aufgetragen fei. 16 Am Abend desselben Tages gab es ein kleines Fest im königlichen Schlosse. Vom großen Saale her erscholl Musik, dort drehten sich die jungen Paare, die Tänzer fast ausschließlich Offiziere des Garderegiments. Eine Reihe kleinerer Säle war geöffnet, die Damen hatten im Halbkreis Platz genommen, alte Helden in Gala-Uniform, Beamte, hohe und Staatswürdenträger im besternten Frack mühten sich um ihre Unterhaltung. Der König war gemessenen Schrittes durch die Gemächer gewandelt, hatte für Jeden ein freundliches Wort gehabt, sich aber schließlich, wie es seine Art war, zurückgezogen, denn längeres Stehen ermüdete ihn. Und nun begann eine gewisse Ungezwungenheit zu walten. 243 Frau von Feldern saß, von einem Kreis von Damen umgeben, in einem kleinen Salon in einer Sopha-Ecke. Herr von Themar hatte den Salon kaum betreten, als die Frau Obersthosstallmeisterin ihn mit einer leichten Kopsbewegung an sich heranzog. Der Minister trat heran, küßte die Hand, die ihm gereicht worden war, und ließ sich nach einer Verbeugung gegen die anderen Damen auf einen Stuhl neben der schönen Frau nieder. „Nun," sagte er in gedämpftem Tone, sobald die Damen ihre Konversation wieder aufgenommen hatten, „der junge Mann, der die Absicht hat, Sie Schwiegermama zu nennen, war bei mir." „Also doch!" sagte Frau von Feldern, „also doch! Ich habe mich vom Erstaunen über seinen Brief noch immer nicht erholt. Wie kommt er dazu, mein Töchterlein zu kennen?" „Der Himmel weiß es, er hat darüber kein« Auskunft geben wollen." „Ich bin stutzig geworden," sagte Frau von Feldern nachdenklich. „Ist auch Alles in jenem 16 * 244 Institute in guter Ordnung? Herrscht die nöthige Aufsicht?" „Daran ist kaum zu zweifeln," erwiderte der Minister. „Die ganze Sache ist flüchtiger Natur; Jugend findet sich — es ist die alte, ewig neue Geschichte." „Ach, dies Kind! Sollte es schon so früh beginnen, mir Sorgen zu machen?" „Vorerst sehen wir nur, daß die Kleine es versteht, im Fluge ein Herz zu erobern. Wie sollte das nicht sein? Sie ist ja Ihre Tochter!" „Sind Sie," fragte Frau von Feldern nach einer Pause, „recht scharf an einander gerathen?" „So ziemlich," war die Antwort. „Nun wird er es Sie in feiner Zeitung recht entgelten lassen. Böse Artikel werden kommen." „Daran bin ich gewöhnt," erwiderte Herr von Themar im Tone des Gleichmuths. „Er kann es übrigens kaum ärger treiben als bisher." Frau von Feldern erhob sich in der Absicht, eine Tour durch durch den Saal zu machen. 245 der Minister bot ihr den Arm und sie schritten langsam hin. „Wie schön Sie heute wieder sind!" sagte Herr von Themar. „Endlich einmal sehe ich das Kreuz au Ihrem Halse, das unsere Bekanntschaft eingeleitet hat. Sie haben es kaum jemals getragen. Ich danke Ihnen, daß Sie es heute angelegt. ... Es erinnert mich an eine bereits alte Zeit. Damals — ich weiß nicht, ob Sie eine kleine Geschichte des Boccaccio kennen? Ein Edelmann — Fedrigo heißt er, meine ich — ist ganz verarmt, von allen Vesitzthümern seiner Familie ist ihm nichts geblieben; aber einen Falken nennt er sein, er ist ihm über Alles werth. Eine vornehme Dame, die er liebt, gewährt ihm die Ehre ihres Besuches — wie soll er sie bewirthen? Er tödtet den edlen Vogel, den er so sehr liebt, und setzt ihn der Dame als Braken vor. Auch ich besaß damals nichts Anderes als dies Kreuz, es war mein Falke — doch er hatte Ihnen gefallen, und als die Huldigung Eines, der Ihnen stets fremd und unbekannt zu bleiben dachte, legte ich ihn zu Ihren Füßen 246 nieder. Zweifeln Sie daran, wie sehr ich Sie vom ersten Augenblicke an liebte?" „Ich weiß, ich weiß," sagte Frau von Feldern. „Ich vergesse es nicht. Aber etwas Lüge war doch dabei. Der Spender gab sich für einen alten, lebensmüden Mann aus." „Das war er auch, bis Sie ihm neues Leben schenkten!" sagte Herr von Themar. „O," sagte er leise, aber innig ihren Arm drückend, „lassen Sie uns treu zu einander halten. Dann besiegen wir jeden Feind." Frau von Feldern sann seinen Worten nach; so schritten beide eine Zeitlang stumm neben einander hin. „Wissen Sie aber, liebe Freundin," sagte Themar nach einer Pause, „daß ich Sie seit einiger Zeit ungewöhnlich ernst finde?" „Vielleicht bin ich es auch," erwiderte Frau von Feldern. „Nicht bloß große Katastrophen rauben uns Frauen den Humor, auch kleine, elende Widerwärtigkeiten, die kleinen Miseren des Lebens üben ihre Macht auf uns.. Wenn ich mir den König ansehe —" 247 „Den König!" fiel Themar ein. „Nehmen. wir ihn, wie er ist. Lenksam ist er jedenfalls!" „Zu Zeiten wohl, dann kann er wieder unberechenbar werden. Man muß bei ihm kleiner heimlicher Streiche stets gewärtig sein. Ach, die Sache ist so niedrig — so tief unter mir, und doch —" „Was meinen Sie?" „Was sagen Sie dazu, daß er jetzt ein passionirter Theaterfreund geworden, der keine Vorstellung ausläßt, in welcher Fräulein Anselmi auftritt? Er wäre im Stande, glaube ich, allerlei Thorheiten ihretwegen zu begehn! Und ihr — einer Abenteuerin, nach allem, was ich von ihr höre — käme wohl nichts erwünschter. In wie weit könnte sie gefährlich werden? Uns Allen? Man weiß das nie im Voraus. Daß sie es auf den König abgesehen, ist klar. In Toiletten, die geradezu herausfordernd sind, nimmt sie, die Augen zur Hofloge gewandt, zuweilen die merkwürdigsten Posen an. Wer kennt sie? Sie steht in Beziehungen, die mir nicht klar sind, zu Lutleroth und hat an dem 248 uns Allen feindlichen Blatt, der „Neuen Zeit", ein ergebenes Organ. Giebt das nicht zu denken? Eine Intrigantin ist sie jedenfalls. Und der König? Man ist bei ihm, wenn einmal seine Sinnlichkeit im Spiele ist, nie sicher —" Themar dachte nach, wog die Sache, sie schien ihm unwichtig. „Ich denke," sagte er, „daß Sie sich mit leeren Schreckbildern quälen. Ein Wort an Gospot-Kircher, und Fräulein Anselmi hat ihre Künstlerlaufbahn hier bald beschlossen." „Und wenn der König dagegen sie hält?" „Auch dann noch! Ueben Sie nur einen Druck, Ihrer Macht gemäß!" „Meine Macht!" wiederholte Frau von Feldern mit einem Seufzer. „Sie überschätzen sie gewaltig! Eine so rein geistige Macht ist wenig. Ja, einst hätte ich sie begründen können — ich wies den Gedanken von mir. Und jetzt ist es so, daß ein Windstoß alles umblasen kann..." „Nein, nein," tröstete Themar. „Sie. werden noch lange Ihre Macht behaupten. Sehen Sie, liebe Freundin, ein mit außerordentlicher Schön- 249 heit ausgestattetes Weib ist eine wahre geborene Königin, und zwar eine solche, deren Reich keine Grenzen hat; denn überall, wo sie sich zeigt, in allen Ländern, an allen Orten findet sie Sklaven, Höflinge, Neider — wie eine wirkliche Herrscherin . . . ." „Welche Redensarten!" erwiderte die Feldern mit unmuthig gesenkten Augen. „Solcher Klingklang von Worten könnte einen großen Theil meiner Mitschwestern trösten — mich nicht —" Indeß waren mehrere Herren an die Beiden herangetreten. Excellenz von Warrentrapp näherte sich mit tiefen Verbeugungen. Themar wollte sich entfernen. „Bleiben Sie!" bat Helene. „Noch auf ein Wort!" Er trat zurück, hielt sich aber in ihrer Nähe. Frau von Feldern machte sich in der That rasch von dem zur Unzeit Herbeigekommenen frei und kehrte zu Herrn von Themar zurück. „Sie meinen doch," sagte sie, zu ihrem früheren Thema zurückkehrend, „daß der junge 250 Mann nach seiner Unterredung mit Ihnen von seinen thörichten Prätensionen zurücktritt. . . .?" „Wer kann das sagen, liebe Freundin! Jedenfalls wird er mit sich zu Rathe gehen. Zudem wirst sich sein Ehrgeiz jetzt ganz auf die Politik. Die Seinen sehen ihn. schon als Abgeordneten in der Kammer." „Diese Verbindung ist völlig undenkbar," hob Frau von Feldern, ernstlicher als zuvor, wieder an. „Dies Kind, meine Emma, ist in der Welt auf eine bescheidene Stellung angewiesen. Sie darf nicht in meiner Nähe sein. Je weniger ihre Existenz bekannt ist, je weniger man von ihr spricht, desto besser. Dabei kann sie glücklich sein. Sie kann keine großen Ansprüche machen, ich werde bei einem Gatten für sie weder hohe Geburt noch großes Vermögen im Auge haben. Daß sie aber einen Menschen heirathen sollte, der das Metier hat, Lärm in der Welt zu machen — nie, nie! Was ist im Uebrigen dieser Doctor Zoller für ein Mensch?" „Er hat unleugbar manche glänzende Fähigkeit. Manieren, die für einen Menschen von 251 bürgerlicher Abkunft ganz passabel sind, gewandte Rede, leidliche Tournure und — abscheuliche Grundsätze. Ueber seine sonstigen Verhältnisse, seine Familie, weiß ich nichts, ich habe mich aber um Auskunft an Herrn von Lutteroth gewendet. Ist er Ihnen begegnet?" „Ich sah ihn vorhin mit dein Intendanten von Gospot-Kircher sprechen." „Um diesem die Interessen des Fräuleins Anselmi an's Herz zu legen," sagte Herr von Themar. „Wird unfruchtbare Mühe sein. Wer Ihnen mißfiel, ist verloren. Vielleicht haben Sie gar schon die Künstlerin in's Auge gefaßt, die bestimmt ist, Fräulein Anselmi zu ersetzen. Doch — es ist Zeit, daß ich mich weiter umsehe. ^u revoir." Der Minister entfernte sich und machte, mitunter stehen bleibend, seinen Gang durch die Säle. Es war gegen Mitternacht, als er auf Herrn von Lutteroth stieß. Dieser löste sich sogleich aus dem Kreis von Herren, in welchem er stand. 252 „Ich habe," sagte er, „im Laufe des Nachmittags das Briefchen Euerer Excellenz erhalten. Ich habe darauf ungesäumt in nieiiiem Bureau angefragt und bei dieser Gelegenheit wieder einmal den durchdringenden Blick Eurer Excellenz bewundern können. Der Herr Minister hatten bei Ihrer Anfrage jedenfalls den Umstand im Auge, daß die Linke demnächst den Doctor Zoller in die Kammer zu bringen wünscht —" „Allerdings," sagte Herr von Themar. „Da sind nun die Aufschlüsse, die ich erhalten, sehr eigenthümlich und führen zu einem seltenen Resultat. Selbst im Falle, daß der Doctor Zoller gewählt werden sollte, wird seine Wahl auf ganz gesetzlichem Boden angefochten werden können. Es liegt nämlich, wie Excellenz ganz richtig geahnt zu habe?! scheinen, eine bewußte oder unbewußte Täuschung vor. Er ist nicht Staatsbürger, vermuthlich gar nicht im Königreiche geboren, hat keine Heimaths- Berechtigung. Man weiß eigentlich kaum, wo er hingehört." „Merkwürdig!" rief Herr von Themar, hoch- 253 erfreut, mehr gefunden zu haben, als er je hätte hoffen können. „Nicht heimathberechtigt?" „Verlassen sich Excellenz darauf. Die bezügliche Nachforschung soll weiter geführt werden. Dann wird die Sache so stehen: Die Wahl ist entweder einfach ungiltig, oder mau geht weiter in der Annahme, daß die in Rede stehende Person Täuschung und Irreführung beabsichtigte. Dann freilich fällt ein Makel auf den Namen, es bleibt etwas an der Ehre hängen." „Hm, hm," murmelte Herr von Themar. „Die Sache interessirt mich. Ich erbitte mir jedenfalls Bericht über ihren weiteren Verlauf." „Excellenz dürften mit dem Resultat zufrieden sein. Ich bemerke nur noch, daß die Recherche, ich meine das Sammeln und Feststellen der Daten, etwas Zeit brauchen wird. Wo es dunkel ist und man die Laterne nöthig hat, läßt sich nicht vorwärts stürzen . . . ." Herr von Lutteroth entfernte sich. Er kam an Herrn von Gospot vorbei und grüßte ihn verständnißvoll mit den Augen, aber dieser, tief in Gedanken, sah ihn kaum. 254 „Was habe ich zu thun?" murmelte Gospot vor sich hin, „der König gratulirt mir zur neuen Requisition und spricht den Wunsch aus, Fräulein Anselmi häufig beschäftigt zu sehen. Frau von Feldern dagegen erklärt laut: Die Anselmi genüge nicht und recommandirt für ihre Stelle eine Frau Marbach. Halten — fortschicken —Was thue ich? Wer ist mächtiger? Der schlaffe König oder die leidenschaftliche Fa- vorite, die Einem lieber gleich den Krieg erklärt? Die Franzosen haben ein Wort: es gus keiums veut, Oieu le vsut, .... Ich habe mich, wenn ich's befolgte, immer wohl befunden; doch wir wollen sehen ... das geht nicht so rasch!" Aeuntes AajM. Der Intendant des königlichen Hoftheaters, Baron Gospot-Kircher, vereinigte so ziemlich alle Eigenschaften in sich, die in der Regel der vornehmen Gattung der Hostheaterleiter zukommen. Frühe schon zu dieser Stellung befördert, weil ihn die Hofkreise einiger Novellen und Gedichte halber, die unter dem Niveau des Mittelmäßigen standei», für einen Dichter hielten, hatte er sich jahrelang unverrückt im Sattel zu halten und trotz mancherlei Stürme seine Stellung zu behaupten gewußt, weil er schmiegsam und willfährig nach oben, barsch und despotisch nach unten zu sein verstand. Er hatte für die Stimmen aller Derjenigen, die ihn für einen herz- und charakterlosen Windbeutel erklärten, immer 256 nur ei» verächtliches Lächeln gehabt. Seine Talente waren gering und gehörten in ein Gebiet, das jedenfalls mit Kunst und Literatur nichts zu thun hat. Gewiß, er war ein ausgezeichneter Erzähler zweideutiger und unzweideutiger Anekdoten, ein unübertrefflicher Wein- und Cigarrenkenner, auch konnte er verblüffende Kartenkünste und kleine Taschenspielerstückchen mit einer Virtuosität ausführen, die ihn befähigt hätte, jeden Augenblick als Professor der Magie aufzutreten. Sogar ein Bauchredner war Herr von Gospot - Kircher. Niemand verstand es besser als er, den Knoten der weißen Binde zu schlingen, auch war ihm schon frühe der unwiderstehliche Reiz klar geworden, der in der Verbindung eines wohlrasirten Kinnes und wohl- gepflegter Bartcottelets liegt, die über ein starr gebauschtes Hemd malerisch Herabfließen. Damit hatte er sein Glück am Hofe und bei den Damen gemacht. Aber befähigte ihn das zum Bühnenleiter? Liebe zum bequemen Leben und guten Diners ist wohl im Ganzen ein gemeinsames 257 Merkmal deutscher Hoftheater-Jntendanten, aber selten gab es wohl Einen, in welchem wie in Baron Gospot-Kircher diese Neigung sich bis zur Leidenschaft ausgebildet hatte. Er erheiterte nicht selten eine ganze lustige Tafelgesellschaft durch Proben einer wunderbaren Gefräßigkeit im Style von Rabelais' Gargantua. Früh schon für bequeme Genußexistenz begeistert, hatte er immer in diesem Sinne gedacht und gestrebt, und endlich das Problein realisirt, mit möglichst geringer Anstrengung möglichst gut zu leben. Nur scheinbar widersprach seiner notorischen Faulheit der Umstand, daß er ein leidenschaftlicher Spaziergänger und gelegentlich auch Jäger war; er wußte nur zu gut, daß ein dauerhafter Appetit Bewegung in frischer Luft zur Bedingung hat. Zur Zeit, als Prinz Waldemar, des Königs jüngerer Bruder, noch unverheirathet war und ein ziemlich flottes Leben nach Art des guten Prinzen Heinz führte, stand ihm Herr von Gospot-Kircher, wiewohl keineswegs corpulent, als moderner Ritter Falstafs zur Seite. Man be- 17 — 258 hauptete, daß eine geheime Dutzbruderschaft, eine Dutzbruderschaft zwischen vier Wänden, zwischen beiden bestanden habe. Damals veranstaltete der junge Intendant in der „Waldmühle," einer feinen Restauration in der Nähe der Stadt, lustige Soupers voll zwangloser Heiterkeit, bei denen auch Damen von, Theater erschienen. Bei diesen producirte sich Herr von Gospot höchst vor- theilhaft durch seine Kunst, das Gebell verschiedener Jagdhunde nachzuahmen. Er war, er allein, nicht selten eine ganze Meute. Später wußte er dieses Stückchen noch dadurch zu beleben, daß er eine Anzahl Cottelcts, die ihm sein hoher Freund vom andern Tischende zuwarf, unter fortwährendem Gebell in der Luft auffing und mit wahrhaft jagdhündischer Gefräßigkeit verschwinden ließ. Das war nun schon Jahre her, der Prinz war seit seiner Verheiratung äußerst solid und moralisch geworden — aber von den lustigen Nächten in der „Waldmühle" ging noch immer die Sage.... Am Theater selbst interessirte Herrn von Gospot nur das Aeußerliche, die Ausstattungs- 259 und Costümfragen. Ensembles zu gruppiren, Züge aufzustellen, Gefechte und dergleichen ein- studiren zu lassen, das war sein Fach, darin hatte er auch Geschick. Er konnte mit peinlichster Gewissenhaftigkeit erwägen, welche Wappen und Schilder, welche Bilder und Ornamente einen Saal zieren sollten und welcher Sessel diese oder jene Tragödie bedürfe. Auch der Ausstattung eines modernen Salons konnte er den vollsten künstlerischen Ernst und den Geschmack des besten Tapezierers entgegenbringen. Im Uebrigen ließ er die Regisseure für sich arbeiten, wußte sich aber doch immer wieder den Schein der Thätigkeit zu geben. Gegen Autoren freigebig mit Versprechungen und Zusagen, weil jedes seiner Worte eine falsche Münze war, konnte er immer wieder auf eine Schaar von Leuten zählen, die etwas von ihm „erwarteten". Seit etwas mehr als einem Decennium tauchte ab und zu die Notiz in den Zeitungen auf: Baron Gospot - Kircher stehe auf dem Punkte, sich durch eine große That den Dank der Mit- und Nachwelt zu sichern. Er gedenke 17 * 260 die Frucht langer literarischer Thätigkeit, eine mustergiltige Bearbeitung des zweiten Theiles des Goethe'scheu „Faust", auf die Bühne zu bringen. Er selbst war's, der das Gerücht immer wieder anregte. Er war sich wohl bewußt, daß ihm, wenn er in Ehren seiner Faulheit leben wolle, der Hinweis auf ein großes Project, das ihn im Stillen beschäftige, unerläßlich sei. Für seinen Zweck nun paßte nichts bester, als das mit unüberwindlichen Schwierigkeiten gesegnete Werk des greisen Goethe. Man konnte sich da, wenn auch die Sache binnen Jahren keinen Schritt vorwärts machte, auf den Capell- meister ausreden, dessen Musik, und auf den Maschinisten, dessen Flugwerke noch immer nicht genügten. Schon der aus der Flasche herausredende Homunculus ließ sich wahrlich nicht aus dem Aermel schütteln! Wenn nun der Herr Baron das Repertoire wie einen müden Gaul im alten Geleise forthumpeln ließ, vor jeder neuen Einrichtung eines Theaterstückes einen gelinden Schrecken hatte und auf einem Stoße neuer dramatischer Erscheinungen, die er unge- 261 lesen gelüsten, einschlief, konnte er immer auf das große Unternehmen, mit dem er schon in nächster Zeit hervorzutreten gedenke, hinweisen. Man sollte gar nicht glauben, daß Phorlyas und die „Mütter" einem lebenden Menschen unseres Jahrhunderts so reelle Dienste erweisen könnten! Baron Gospot-Kircher war in eine fatale Klemme gerathen, als seine neue Acquisition, Fräulein Anselmi, ein Feuer der Bewunderung im Gemüthe des Königs entzündet, aber im gleichen Grade die Antipathie der vielmächtigen Frau von Feldern geweckt hatte. Was sollte er thun? Sie halten oder sie entfernen? Er wählte seinem Charakter gemäß einen Mittelweg und bald las man im „Theatersecretär," im „Theaterdiener" und in zehn andern ähnlichen Zeitungen, daß der treffliche, rastlose, geniale, für die Hebung der deutschen Bühne immer thätige Gospot-Kircher Frau Marbach, eine ebenbürtige Rivalin im selben Fache, demnächst für ein längeres Gastspiel herangezogen habe. Groß war Fräulein Anselmi's Bestürzung, 262 als sie diese Maßnahme erfuhr. Warum genügte sie nicht mehr? Einer berühmten Nebenbuhlerin ihre Rollen geben, hieß so viel, als sie exiliren, sie in den Schatten stellen und fallen lassen! Und sie war doch mitten auf dem Wege zu Ruhm und Glanz gewesen! Sie errieth rasch, von wem dieser gegen sie ge-' führte Schlag ausgehe. Furcht vor der mächtigen Frau, die mit einer Fächerbewegung so zu treffen wußte, bemächtigte sich ihrer. Wie war ihr zu begegnen? Sollte sie aufkündigen? Sollte sie ausharren? Ihre Freunde wußten ihr nicht zu rathen. Die Einen stimmten für Nachgeben, die Anderen für entschiedenen Bruch. Sie selbst schwankte, ihre Stimmung wechselte zwischen Zorn und tiefer muthloser Verstö- rung. In dieser Gemüthsverfassung tauchte Klein's Bild, des Verschwundenen, wieder und immer lebhafter vor ihr auf. Er hatte wie kein Anderer an sie als Künstlerin geglaubt. Sie sah ihn jetzt nur von Weitem, er vermied es augenscheinlich, auch nur einen Blick nach der Theater- 263 loge zu senden. Und wie fehlte ihr jetzt seine Feder, wo sie sie am meisten brauchte! Eines Abends war Fräulein Anselmi wieder ganz ihren traurigen und wirren Gedanken anheimgegeben, als ein wohlbekanntes Klopfen an ihrer Thüre sich hören ließ. Rasch hob sie den Kopf und rief lebhaft: „Herein!" Klein trat ein. „Sieht man Sie endlich wieder?" fragte die Schauspielerin, dem jungen Gelehrten freudig entgegeneilend. „Man sollte wirklich meinen, daß unsere Gedanken zuweilen die Kraft haben, Personen heranzuziehen. Ich dachte eben an Sie!" „Ich lese unter den Notizen, daß Sie uns zu verlassen gedenken," sagte Klein, „und käme nicht her, Ihnen von diesem Schritte abzura- then? Für wen halten Sie mich?" „Für einen unzuverlässigen Freund," erwiderte die Anselmi, „der heute ganz Gluth und am andern Tag ganz Asche ist!" Sie wies ihm einen Platz an ihrer Seite an. „O, wie verkennen Sie mich!" rief Klein, 264 ihr in die schönen Augen schauend. „Aber was sollen da noch Vetheuerungen! Sie wissen Alles. Ist es denn wirklich wahr, daß Sie uns verlassen wollen?" „Es wird nichts Anderes übrig bleiben," erwiderte die Künstlerin. „Ja, es ist meine Absicht, die Stadt zu verlassen, in der man nur so begegnet. Ich fordere nur jene Rücksicht, die ich beanspruchen kaun. Was die Notiz betrifft, so ist sie ohne mein Zuthun in die Zeitung gekommen. Die Sache hätte noch nicht publik werden sollen. Indeß hat die Veröffentlichung ihr Gutes gehabt. Vor einer Stunde war der Baron bei mir." „Gospot-Kircher?" „Er selbst." „Nun, und was war die Folge Ihrer Unterredung?" „Er entschuldigte sich, er bat mich zu bleiben und schwur hoch und theuer, daß ihm Alles daran liege, mich hier zu behalten." „Es ist ihm allerdings," sagte Klein, „wenig zu glauben, doch lügt er vielleicht nicht immer.'' 265 „Er legte mir die Gründe dar, warum er mich durchaus nöthig habe. Sie wissen vielleicht, daß er mit dem Gedanken umgeht, den zweiten Theil des „Faust" auf's Theater zu bringen?" „Allerdings weiß ich das," sagte Klein lächelnd. „Ich soll die Helena spielen." „Nun, dann bleiben Sie uns noch lange erhalten," rief Klein. „Bis er mit den Vorbereitungen fertig ist, läuft noch viel Wasser in's Meer." „Ich freue mich, Sie wieder lächeln zu sehen." „Es giebt Dinge," sagte Klein, „die auch dem traurigst Gestimmten ein Lächeln abzwingen müssen. Der zweite Theil des „Faust" — und dieser, gerade dieser Bearbeiter! Das ist himmlisch! Wozu haben Sie sich entschlossen?" „Ich will noch abwarten." „Das ist schön, das ist recht!" „Abwarten und auf Ihre Unterstützung bauen!" fügte die Anselmi, Klein's Hand drückend, hinzu. 266 „So weit meine Kräfte reichen, haben Sie über mich zu verfügen." „Sehen Sie," sagte die Künstlerin und lehnte sich mit einer reizvollen Bewegung in die So- pha-Ecke zurück, „ich habe mich nach Ihnen gesehnt. Ich habe mir Vorwürfe über jedes herbe Wort gemacht, das ich Ihnen gesagt. Wie oft, wenn ich an Ihrer Wohnung vorüberkam, hat es mich gedrängt, zu Ihnen hinauf zu gehen und an Ihre Thür zu pochen. Aber Ihre gute Mutter empfängt mich nicht mehr in alter Weise. Was hat sie doch gegen mich?" „Sie ist," sagte Klein, „eine alte Vürgers- frau. Das hat so seine Vorurtheile, seine —" „Sehr engherzigen, sehr grausamen Vorurtheile, ich weiß es. Und auch Sie, ihr Sohn, sind von denselben nicht frei. Doch lassen wir das. Es stimmt so traurig. Noch Eines soll Ihnen beweisen, wie ich, während Sie sich so auffallend von mir zurückzogen, Ihrer gedacht." „Nun?" fragte Klein. „Ich habe für Sie zu wirken gesucht," sagte die Schauspielerin, „nach meinen bescheidenen 267 — Kräften. Es ist ein Wahn von Ihnen, wenn Sie vermeinen, in dieser Welt, wie sie ist, durch- dringen zu können, ohne Schutz und Fürwort der Einflußreichen! O, Ihre Mutter hat mir Sie ganz geschildert, wie Sie sind. Ihre Verdienste allein sollen Ihnen Anerkennung schaffen, so will's Ihr Stolz. Doch Sie blicken so finster. Sie zürnen —" „Fräulein," sagte Klein sehr ernst. „Lassen Sie mich nur wie ich bin. Wenn ich zufrieden bin, genügt es," „Sie sind böse, daß ich mich in Ihre Angelegenheiten mische. Sie verachten die Hilfe Einer, die in Ihren eigenen Angelegenheiten hilflos. Wenn ich gewußt hätte, daß Sie es so aufnehmen . . ." „Lassen Sie mich mindestens sogleich wissen, was Sie für mich gethan haben wollen!" sagte Klein. „Ich habe Herrn von Lutteroth für Sie zu interessiren gesucht," sagte die Schauspielerin. „Er ist einflußreich, er hat die größten Konnexionen. Er hat mir versprechen müssen, bei 268 der ersten passenden Gelegenheit ein Wort für Sie einzulegen, damit jene Professur, um die Sie petitionirt, unter dem früheren Ministerium petitionirt haben —" Klein fuhr zornig auf. „Was fiel Ihnen ein? Was haben Sie gethan!" „Verzeihen Sie. Es war fo gut gemeint." „Aber tactlos!" erwiderte Klein, „sehr tact- los. Unsere Zeitung steht in voller Opposition gegen das Ministerium, und Herr von Lutteroth ist ein Werkzeug Herrn von Themar's. Wollen Sie auf mich den Schein eines Bittstellers fallen lassen? Wenn ein einziger Mensch glauben könnte, daß ich mich von meinen Freunden und Gesinnungsgenossen trenne und nach dem andern Lager schiele — ich sänke vor Scham in die Erde!" „Mein Gott! Mit wie überreizten Nerven Sie das auffassen!" rief die Auselmi. „O diese Männer mit ihrer Principienreiterei, ihrer Parteigesinnung! So hören Sie doch! Ich kann 269 mich mit vollem Vertrauen an Herrn von Lut- teroth wenden —" „Immer wieder höre ich von Ihnen seinen Namen," rief Klein. „So reden Sie doch — in welchem Verhältnisse steht er denn zu Ihnen?" „Ich habe es Ihnen bereits gesagt," sagte Fräulein Anselmi gesenkten Hauptes und mit großem Nachdrucke, „daß er der Freund meiner verstorbenen Mutter war." „Sagen Sie," rief Klein, dem jetzt ein Licht aufging, „ist er Ihr Vater?" „Nicht vor der Welt," erwiderte die Künstlerin, „denn er war schon früh vermählt und meine Mutter lebte zwar — wie das bei Schauspielern so oft der Fall ist — von ihrem Gatten getrennt, jedoch nicht gesetzlich geschieden. Dem Herzen nach ist er mein Vater und ich habe seit Jahren seine wohlthätige Hand gefühlt. Was sagen Sie nun?" „Dasselbe wie vorhin. Sie hätten vorher bei mir anfragen sollen. Doch — o diese Schauspielerinnen! Diese Schauspielerinnen! Ihre 270 excentrische Stellung in der Gesellschaft, das Urtheil der Welt über sie —" Er verstummte, um nicht zu beleidigen. „Dürfen Sie," fragte die Künstlerin, „den Stein auf eine einsam stehende Frau werfen, die ihr Mann schmählich verlassen hatte? Trifft sie denn allein der Tadel? O Klein, die bürgerliche Tugendhaftigkeit, wie sie die meisten Männer verlangen —" „Ist, wenn Sie wollen, eine spießbürgerliche Eigenschaft, liebes Fräulein — und doch hat ohne sie noch kein Mann ein wahres Glück bei einem Weibe gefunden." „Das heißt recht wie ein Mann geredet!" sagte die Anselmi. „Den Mann, den Tyrannen der Schöpfung, behaftet ein Liebesverhältniß mit keinem Makel. Er darf treulos sein, darf von Einer zur Andern gehn. Er nennt das mit frohem Stolze eine Eroberung machen. Das Weib, das im gleichen Falle ist, gilt für entehrt. Wo ist da die Gerechtigkeit?" „Liebes Fräulein," erwiderte Klein, „so ist es einmal in der Welt. Den Grad der Berech- 271 tigung dieses Urtheils zu prüfen, fällt den Moral-Philosophen zu. Warum führt das, wird gefragt, was der Mann eine Eroberung nennt, bei den Frauen den Verlust der Achtung mit sich? Sind nicht beide Geschlechter gleichberechtigt, oder sollte es mindestens nicht so sein? Alte, ewig wieder gestellte Fragen! Ich könnte sagen, daß jedes Geschlecht seine eigene Sittlichkeitsund Schicklichkeitsmaximen hat und daß für das eine nicht gilt, was für das andere gefordert wird. Ich könnte sagen, daß der volle Reiz des Weibes in seiner Unberührtheit liegt und daß das Frauenherz als ein zarter und köstlicher Besitz betrachtet wird, der durch Uebertragung seinen Werth einbüßt —" „O, ich kenne diese Ansichten an Ihnen," sagte die Anselmi. „Sie haben sie mir gleich scharf und herb vorgehalten, wie wenn auch ich in jene Kategorie zählte." „Wo? Wann hab' ich Sie je mit einem Worte gekränkt?" fragte Klein. „Doch, Sie haben mich gekränkt. Was sagten Sie damals im Wagen zu mir? Sie sagten: 272 Wir muffen uns trennen, denn ich wäre selbst dann unglücklich, wenn Sie mich liebten. Was können diese Worte anders bedeuten als das, was ich ihnen unterlegen muß? Sie denken gering von uns Schauspielerinnen und stellen mich in Ihren Gedanken so tief, wie die anderen . . . „Ich nehme nichts zurück von meinen Worten," erwiderte Klein aufspringend und heftig im Zimmer auf- und abgehend. „Es ist wirklich schwer, Euch zu lieben und dabei glücklich zu sein! Es gehört ein großer, ein beneidenswerther Leichtsinn dazu — und mir fehlt er ganz! .... Wie wächst doch solch' ein Theaterkind heran? Im jüngern Dumas lernt es buchsta- biren. Es sieht in der Wohnung seiner Mutter einen Mann aus- und eingehen, der sich wie ein Vater benimmt, aber einen ganz anderen Namen als die Mutter führt. Es wächst heran und erhält einen „Lehrer," der die ersten Rollen mit ihm einstudirt — o welche Schule! Vor Allem Julie, Julie bei Romeo — „es ist die Nachtigall und nicht die Lerche." Und bald kommt der 273 Schatten der Coulissen — das trauliche Du der Kollegen — es ist, »m sich die Haare auszuraufen .... Und man soll Euch lieben? Wahrhaft lieben — nicht blos zum Scherz?" Fräulein Anselmi hatte diesen Ausbruch der Leidenschaft mit großen, weitgeöffneten Augen angehört. „Ihre Schilderung ist abscheulich!" rief sie. „Sie sollten wissen, daß keine Mutter die Unschuld ihrer Tochter ängstlicher bewacht, als eine Frau, die selbst durch die Leidenschaft gelitten. Meine Mutter — o, ich war schon ein sehr großes Mädchen — über die Zwanzig — und wurde peinlicher bewacht, als ein PensionsFräulein!" „Und woher dann die schmachtenden Töne der Hero?" rief Klein. „Woher der Verführungszauber der Eboli? Woher —" „Aus dem Herzen, aus der Mädchenbrust, die Alles ahnt, die durch Instinkt.... doch wozu das Alles? Sie haben es darauf abgesehen, mich zu verwunden. Sie sprechen alle Vor- urtheile der Welt mit erbarmungsloser Härte 18 274 aus. O die Welt, o die Welt! die ungerechte Welt'." Sie war auf den Chaiselongue gesunken und weinte. Klein sprang auf sie zu und umfaßte sie. „Nein, nein," sagte sie, „ich hasse Sie, Sie sind böse, ich muß Sie Haffen." Er kniete vor ihr nieder, er bedeckte mit Küssen die Hand, welche kalt und schlaff war. Er schlug die Arme um den schönen, schlanken Körper, den ein leises Beben durchzitterte. „Können Sie mir vergeben?" flüsterte er. Sie hob das Haupt mit schmerzlicher Bewegung, aber kein Wort kam aus dem schönen, halbgeöffneten Munde. Ein elek.rischer Strom schien von ihr auszugehen. Er umschloß sie fester und fester. Draußen begannen schon die Wagen in's Theater zu rollen. Aber das Rollen der Räder brauchte diesmal die Beiden nicht zu kümmern. Fräuliin Ans.lmi war heule nicht beschäftigt. Im ganzen Lande bereitete man sich auf die neuen Wahlen vor. Herr von Themar, der oft genug hatte hören müssen, daß er nur durch eine Hinterthür zu seiner Stellung gelangt sei und sie lediglich der königlichen Gunst und einer Co- terie verdanke, hatte die Absicht, seine Position hinterher dadurch zu legitimiren, daß er sich als Abgeoroneteu wählen lasse. Er kündigte seine Candidatur für den Wahlbezirk Großdorf-Gsrnsbach an und schickte ein schwungvolles, politisches Programm in die Welt. Er war fest überzeugt, daß er in diesem Wahlbezirke leichter als in manchem anderen durchdrungen werde. Der Bezirk stieß an Rastdorf und hatte von dieser Nachbarschaft man- 18 * 276 chen Vortheil. Dazu kam noch eins: Vetter Gerditz war eine Hauptperson unter den dortigen Liberalen. Es war dies allerdings ein Punkt, den Herr von Themar, je nach seiner Stimmung, in mehr oder minder günstiger Beleuchtung sah. Unmittelbar nach seiner Ernennung zum Minister war es ihm lästig gewesen, vor Gerditz zu erscheinen. Seine Stimmung war so gehoben, er wollte sie sich nicht durch den Vetter trüben lassen. So war denn Herr von Themar von Rastdorf direkt in die Residenz gefahren und hatte seine Ernennung Gerditz nur brieflick angezeigt. Die Antwort darauf war ein lakonischer Glückswunsch, dessen ironischer Ton zn keinen: weiteren Verkehr einlud. Aber was machte er sich damals aus den Meinungen eines Vetters, zu den: er immer nur in oberflächlicher Beziehung gestanden! Er war eine Zahl in seiner Rechnung und nichts weiter gewesen. Heute lagen die Sachen anders, eine warme Protec- tion von Seite des Vetters wäre ihm höchst willkommen gewesen. Solche erwartete er heute 277 allerdings nicht. Doch wenn er auch bei dem Gegensatz der Meinungen auf seine Unterstützung nicht hoffen durfte, einer Gegnerschaft von seiner Seite versah er sich nicht. Auch Hermann Zoller, von seinen Parteigenossen gedrängt, war aus dem Punkte mit seiner Kandidatur hervorzutreten, doch noch unschlüssig in Bezug auf den Wahlkreis. Indeß hatte seine Begegnung mit dein Minister die politische Gegnerschaft bis znr persönlichen Feindschaft gesteigert und der Gedanke, demselben direkt entgegenzutreten, hatte für ihn etwas äußerst Verlockendes. Die Parteigenossen, mit denen sich Hermann über den Punkt berieth, äußerten Erstaunen über den Muth und das hohe Selbstvertrauen des jungen Mannes, der gleich beim ersten Schritt in die politische Arena sich einen so mächtigen Gegner aussuchte. Sie hatten ihre Bedenken, die Hermann jedoch nur noch mehr in seinem Vorsätze bestärkten. Da erinnerte er sich seines Reisegefährten, des jungen Züricher Polytechnikers Gerditz. Er wendete sich an ihn mit der Frage, was er von 278 einer Wahlkandidatur in Gernsbach halte und ob er wohl bei der zwischen Herrn von Gerditz und dem Minister bestehenden Verwandtschaft auf eine Möglichkeit des Erfolges hoffen dürfe? Die Antwort kam in kürzester Zeit, und zwar von Herrn von Gerditz selbst. Sie enthielt eine Aufforderung, ihn zu besuchen und sich das Terrain im Wahlbezirke selbst anzusehen. Nun waren die Parteigenossen, Anerstein obenan, entschieden der Meinung, daß Hermann als Kandidat für Gernsbach-Großdorf zu halten sei. Hermann war eben im Begriffe, nach Gernsbach abzureisen, als ein Brief eintraf, auf dem er sogleich Emma's Handschrift erkannte. Er konine sich keine Rechenschaft ablegen, warum er ihn mit einem Gefühl der Beklemmung ansah und sich vor seinem Inhalte fürchtete.... Sein Vorgefühl war ein nur allzu richtiges gewesen. Emma schrieb ihm in größter Gemüthserregung. Eine Lehrerin, die ihr sehr zugethan war, hatte ihr unter dem Siegel des Geheimnisses verrathen, daß ihr eine Änderung 279 ihres Schicksals bevorstehe. Es sei ein Brief der Frau von Feldern an die Äbtissin eingetroffen, der den Vorwurf aussprach: Emma sei nicht genugsam gehütet worden und in Folge dessen in Beziehung zu einem jungen Mann getreten. Um diese Beziehungen gründlich und für immer abzuschneiden, beabsichtige man einen Ortswechsel und wünsche sie in eine Anstalt desselben Ordens nach Belgien zu versetzen. Nicht lange nach Empfang dieser Mittheilung war Emma znr Oberin beschieden worden und mußte ein scharfes Kreuzverhör bestehen. Nachdem sie eine freimüthige Erzählung des Herganges im Klostergarten gegeben, wurde ihr eine zermalmende Strafpredigt gehalten. , Seitdem, so schrieb sie, behandle man sie wie eine Verbrechern,. Der Brief war kurz, hatte aber den Ton eines Aufschreies, des Hilferufs einer geängstigten Seele. Hermann war tief ergriffen. Wenn man sie mir entrisse! dachte er. Wenn man sie dorthin entführte, wo ich sie nicht mehr finde! O, ich erkenne in diesem Plane Herrn von The- 280 mar's, ihres Vormunds, Hand! Sein letztes Wort au mich lautete: Mau wird das Fräulein vor Ihren verderblichen Anschlägen zu schützen wissen! Das Gemüth sträubt sieb zu glauben, dasi das ganze kommende Leben voni Werke einer Stunde, vom Gelingen eines listigen Anschlages abhängig sei; es ist doch so. J'gre Klage greift an meine innerste Seele — die Hilflosigkeit eines zarten weiblichen Wesens wirkt bewältigend und ruft das ganze Mitgefühl wach. Tiefer als je fühle, ich, wie sehr ich sie liebe. Ich habe geschworen, ihr Freund und Helfer zu sein; aber wie komme ich ihr zu Hilfe? Wo werbe ich ihr einen Freund? Er sann und saun und blieb rathlos. Das Bild des Mädchens, wie es an jenem Morgen von der Mauer zu ihm herabgelüchelt, stand vor ihm, aber die Mauer war höher geworden, unübersteigbar. Wichtiger als alle Aussichten seines eigenen Lebens wurde ihm das Loos der Zurückgelassenen. 281 In dieser Stimmung kam er in Gernsbach an und stellte sich Herrn von Gerditz vor. Der Empfang bei dem Gutsherrn und dessen Gemahlin war ein sehr warmer. „Sie sind uns langst kein Fremder," sagte die freundliche alte Dame. „Jeder Tag bringt uns mit Ihnen in Beziehung, denn wir lesen Ihre Zeitung. Außerdem hat mir mein Heinrich wiederholt geschrieben, wie glücklich er gewesen, Sie zum Reisegefährten zu haben." „Es waren glückliche Wochen, gnädige Frau," erwiderte Herrmaun. „Wir paßten trefflich zusammen. Wir hielten uns nicht au das rothe Buch, wir ließen uns von unseren Einfällen leiten und fuhren gut dabei. Ich wünschte, solche Tage könnten wieder kommen. Doch es ist ein Wahn, man erlebt sie nur einmal!" „Und nun rasch zur Angelegenheit, die Sie hieher geführt hat," sagte Gerditz. „Ich kann Ihnen sagen, daß ich nicht unthätig war und Alles im besten Gange ist. Sie sind schon als Caudidat aufgestellt. Heute Abends treffen in Großdorf die angesehensten Leute des Wahlbe- 282 zirks zu einer Besprechung zusammen; Sie sind angekündigt, man erwartet Sie, ich werde Sie vorstellen." „Sie gehen weiter, Herr von Gerditz, als ich je hätte hoffen können!" erwiderte Hermann. „Ich hatte doch nicht ungegründete Besorgnisse! Mein Gegencandidat ist Ihr Vetter!" „Es gibt Vetter und Vetter," erwiderte Gerditz. „Ebensowenig wie Herr von Themar bei seiner Politik meine Ansichten berücksichtigt, berücksichtige ich die seinigen. Ich kann meine Ueberzeugungen nicht verwandtschaftlichen Rücksichten unterordnen." Der Diener hatte ein Gabelfrühstück aufgetragen, man setzte sich, aber Gerditz hatte keine Ruhe dabei. „Liebe Frau," sagte er bald aufstehend und die Serviette bei Seite legend, „halte unsern jungen Freund nicht länger. Es sind Besuche zu machen, die Ortschaften liegen ziemlich auseinander — wir haben wenig Zeit." Er eilte an's Fenster und sah in den Hof, 283 Wo der leichte Korbwagen schon in Bereitschaft stand. Die Wärme, mit der er Hermann's Angelegenheit führte, war unverkennbar. Bald stiegen die Männer in das leichte Gefährt und flogen ins Land hinaus. Mit einbrechender Dämmerung füllte sich der Saal des Gasthauses in Großdorf. Das Wahl- comit« war beisammen, die Neugier, Hermann zu sehen und sprechen zu hören, hatte eine zahlreiche Wählermenge herbeigezogen. Ein paar kurze Reden zur Empfehlung Herrn von Themar's verliefen ohne sonderliche Wirkung. Da erhob sich Hermann. Er ging zunächst von der politischen Tagesfrage aus. Auf die Vergangenheit zurückblickend, bezeichnete er sie als eine Periode der Mißgriffe und eines trotzigen, engherzigen Widerstandes, der mit einigen raschen aber gewaltigen Schlägen gebrochen worden sei. Das Ministerium Auerstein sei dann als Ministerium der Versöhnung aufgetreten, aufrichtig bereit, mit den richtigsten Mitteln den Frieden herzu- 284 stellen, die Wunden des Landes zu heilen und es dem schließlich zu erstrebenden Ziele: der Einigung der deutschen Stämme auf dem Boden einer unzerreißbaren Rechts - und Jnteressen- Gemeinschaft, zuzuführen. Da sei Herr von Themar gekommen. Er habe aufwallende Mißhelligkeiten benutzt und sich mit der verwegenen Keckheit eines politischen Abenteurers der Situation bemächtigt. Hermann schilderte ihn als einen verderblichen Archimedes, immer nach dem Orte aussehend, wo er den Hebel ansetzen könne, die Welt nach rückwärts zu bewegen. Er durchlief seine Geschichte von seinem ersten Auftreten bis zum heutigen Tage, er zerlegte sein ganzes Ich mit der Ruhe eines Anatomen und signalisirte schließlich die Gefahren, die dem Lande von solch einem Geiste drohten .... Hermann war wirklich zum Redner geschaffen. Er hatte eine angeborene Ruhe, Sicherheit, das gewandte, fehllos treffende Wort. Seine jugendlich schöne Erscheinung und ein volltönendes Organ thaten das Ihrige hinzu. Während Hermann weitersprach, bemerkte er 285 nicht fern von sich einen alten Herrn in Uniform mit einem strengen, wildenergischen Gesichte, dessen eigenthümlich scharfe Augen mit'Eindringlichkeit auf ihn gerichtet waren. Es war ein Blick, ernst bis zum Feindseligen, und so scharf und kühn, daß er jeden Andern außer Fassung gebracht hätte. Die Augen des alten Mannes hatten wirklich ein dämonisches Feuer, und als die Anklagen gegen Herrn von Themar schärfer und schärfer einschlugen, leuchtete es in ihnen aus wie ein wildes Frohlocken! Diese Augen, welche jeden Andern in Furcht gesetzt hätten, übten indeß auf Hermann eine Art von Zauberbann. Bald schwanden die übrigen Zuhörer für ihn, nur der alte Mann blieb und an diesen richtete er seine Rede. Er schloß seine Anklage, die an drei Viertelstunden gedauert, mit einem Hinweis auf die Verantwortlichkeit, welche die Wähler von Großdorf-Gernsbach auf sich nähmen, wenn sie den Mann, der in kurzer Zeit bereits so verderblich gewirkt, durch ihr Votum legitimirten und sozusagen freisprächen. 286 Schneidend waren seine Worte gefallen, die Wirkung auf die Wähler war eine gewaltige und äußerte sich durch tiefen Ernst auf allen Gesichtern. Hermann hatte kaum geendigt und seinen Platz verlassen, die Bravorufe der Gesinnungsgenossen waren kaum verhallt, als der alte Herr mit dem strengen Blicke, der den Redner gleichsam magnetisirt hatte, sich erhob und langsam — denn er ging auf einem Stelzfüße — auf Hermann zugehumvelt kam. „Ich hatte die Absicht," sagte er kurzangebunden, mit einer heiseren Stimme, „auch mit meiner Meinung über Herrn von Themar hervorzukommen. Nach Ihrer Rede ist es überflüssig. — Haben Sie Dank und zählen Sie bei vorkommender Gelegenheit auf mich. Ich bin der Oberst Nodenegg auf Lassenbach." Damit schüttelte er dem jungen Manne kräftig die Hand und entfernte sich so rasch, als es sein Fuß zuließ, ohne daß dieser ein Wort hätte anbringen können. „Schars! scharf!" wendete sich nun Herr von 287 — Gerditz an Hermann. „Scharf, aber wahr. Fahren Sie mit mir nach Gernsbach?" „Ich danke," erwiderte Hermann. „Ich möchte noch vor Tagesanbruch zu Hause sein." * * * Eine Woche später ging Herr von Themar in einer Gemüthsuncuhe, die der eines Feldherrn vor der Schlacht wenig nachgab, in seinem Zimmer umher. Er hatte ein chiffrirtes Telegramm in der Hand, das er von Zeit zu Zeit überlas. Es lautete also: „Die Wahl findet unter großer Betheiligung statt. Polizei ist zur Aufrechthaltung der Ordnung aufgeboten. Herr von Rodenegg macht sich durch ein gehässiges Auftreten gegen den ministeriellen Candidaten bemerkbar. Er scheint Personen gedrillt zu haben, die dafür sorgen, daß eine bestimmte Anzahl ihrer Obhut anvertrauter Wähler auch den „gehörigen" Gebrauch von ihrem Stimmrecht machen . . . ." Herr von Themar warf sich aufs Sopha. Er sah im Geiste den geöffneten Rathhaussaal. Auf 288 — der Gasse und in den Korridoren haben sich die Bürger versammelt, die Stunde schlägt, die Wahlcommission begiebt sich an ihre Plätze, die Urne wird auf den Tisch gestellt. Ein Bürger nach dem andern tritt heran, seine Stimme abzugeben.... Wie er so in der Sopha-Ecke lehnt, ist ihm, als sähe er, unsichtbar Allen, dem Wahlvorgange zu. Aber der Vorgang im kleinen Großdorf ist nur ein symbolischer, es ist ihm, als werde er gewogen im ganzen Lande und Hunderttausende blickten nach ihm. So ging der Tag hin. Da überbrachte der Kammerdiener ein Telegramm. Es war aus Großdorf und lautete folgendermaßen: „Um 2 Uhr Nachmittags das Scrutinium begonnen. Von 600 abgegebenen Stimmzetteln wurden bis jetzt, 4 Uhr, 300 entrollt. Minister von Themar 55 Stimmen, Hermann Zoller 233, unleserlich . . . „Ich weiß genug," sagte Herr von Themar. „Ich habe es eigentlich vorausgesehen. E r und der Alte sind meine bösen Dämonen!" (Ende des ersten Bandes.) - -WMWM MZMD WUW HLM z »M-'s M F M-M 4 M-*'' L ^DU ' ^ O Feindliche Dole. Noman au8 llem ^Ieill!inaienlÄ'en ! von Alfred Meißner. Zweiter Band. Bkrti», I>!7^ - Loewenstein'I'che verlagshandiung Feindliche Pole. Roman M8 dem denMm Rem^aaienUen Alfred Meißner. Zwei Bände. Berlin, 1878. Lsewrnstein'sche Verlagshan-lung. Iwrith Hrtllö. ^ //? Das Haus der Familie Felder» hatte Einfluß und eine gewisse Macht; der Haushalt glich dem eines kleinen Hofes, dessen'Königin Frau von Feldern war. Sie hatte ihre Audienzstunden, zu denen sich Leute in den bedeutendsten Stellungen einfanden. Die Einen wollten sich ihren Einfluß zunutze machen. Andere zog ihre Schönheit an. Man antichambrirte je nach der Laune der schönen Frau längere oder kürzere Zeit und entnahm ihrem gnädigen oder ungnädigen Gesichte den Erfolg des Gesuches. Vor einem Jahre noch war es anders. Da hatte Alles noch ein gewisses Maß. Die Rücksicht auf die öffentliche Meinung hielt da Frau von Feldern noch in Schranken. Jetzt liebte sie es, mit ihrer Macht zu glänze», der Nest von Scheu, Zurückhaltung war abgestreift. Sie hatte sich immer mehr in den Glauben an die Niedrigkeit der Menschen eingelebt. Immer schärfer faßte ihr Blick Diejenigen iu's Auge, die sich nicht zu Dienern hergeben wollten. Jeder beleidigte sie, der sie nicht zu bemerken schien. Bei alledem lagerte über dem Hause, wie eine schwere Lnft, eine gewisse Atmosphäre der Mißachtung. Je glänzender das Haus wurde, je prachtvoller die Feste, desto schwerer dieser Dunstkreis. Jedem Besucher, der den Fuß über die Schwelle setzte, wurde er fühlbar. Er war nicht zu bannen. Es war etwas an all' dieser Pracht und Herrlichkeit, was zu cpnischen Scherzen und Bemerkungen Anlaß gab. Die Damen, die sich im Hause sehen ließen, waren größten- theils Durchreisende, oder sie befanden sich in einer unregelmäßigen Stellung zur Gesellschaft. Das ganze Haus mit seinem prachtvollen Saale und seinem großen dahinterliegenden Garten war gleichsam eine Art von Monaco, das Jeder 5 gesehen haben wollte, worin aber ein ständiger Gast zu sein, schimpflich war. Schwerer noch als auf der Frau lagerte die Verachtung auf dem Manne, der, sei's aus Schwäche, wie ein Theil meinte, sei's aus Habsucht, wie ein anderer sagte, die Augen über das Thun und Treiben seiner Frau zudrückte. Herr von Feldern war ein Alaun in den Vierziger Jahren, hoch und hager, nicht von unedlen Zügen. Ursprünglich heiter und liebenswürdig, hatte er mit der Zeit etwas Scheues und Unsicheres angenommen. Bei den Festen, die im Hause gegeben wurden, erschien er weniger als Hausherr, als wie ein Gast, deu die Sache nichts anging und der davon gelangweilt war. In vorgebeugter Haltung, das Haar vorzeitig vom Frost des Alters gestreift, auf deu Lippen ein gezwungenes Lächeln, kam er daher wie Einer, der das gegen ihn gesprochene Urtheil der Gesellschaft kannte und von dessen LaA erdrückt war. Man war es gewohnt, daß er sich bald zurückzog und das Fest sich selbst und den Anordnungen seiner Gattin überließ. Niemand vermißte 6 ihn und der gewohnte nngenirte Ton wurde noch ungenirter, wenn das „Gespenst des Hanfes," wie ihn die vom engeren Kreise nannten, fort war. Denn es war schon erlebt worden, daß das Gespenst unwirsch wurde und Aeußerungen, die ihm nicht gefielen, mit schneidender Schärfe heimzahlte. Abermals hatte ein größerer Abendschmaus stattgefunden, die Gäste halten sich erst in den frühen Morgenstunden entfernt. Die Unordnung, die solchen Gelagen folgte, war noch nicht getilgt. Im großen Speisesaale und in den Vorzimmern waren die Diener mit Aufräumen beschäftigt. Es hatte eben Acht geschlagen, und schon ging Herr von Feldern die kleine Treppe hinunter, die von seinem Schlafzimmer in den ersten Stock führte. In einem Vorzimmer warteten Briefe, die die Post eben gebracht, auf einer silbernen Platte der Herrin. Herr von Feldern warf einen Blick auf einen derselben, der größer als die anderen war. Das Siegel zeigte ein Kreuz mit einer französischen Umschrift. Indem Feldern ihn auf- 7 hob, verdüsterte sich seine Stirne, um die Mundwinkel lief ein nervöses Zucken, mit einer Bewegung des Unwillens ließ er ihn wieder auf die Platte fallen. Nun näherte er sich der großen Kinderstube. Hier forschte er. Nichtig! Es ließen sich schon die Stimmen seiner Kleinen vernehmen. Beim Ton dieser glockenhellen Kinderstimmen entwölkte sich sein Gesicht, er trat rasch ein. Er fand seine beiden kleinen Mädchen, drei und vier Jahre alt, unter der Obsorge einer Kinderfrau in einer mit frischem Quellwasser gefüllten Badewanne plätschernd. Beim Anblick dieser kleinen Geschöpfe, die sich in ihrer Nacktheit unbefangen wie kleine Amoretten Correggio's tummelten und ihn mit lautem Zuruf begrüßten, begann das eben noch so düstere Gesicht des Mannes in lichter Vaterfreude zu strahlen. „Ei, fast hätte ich Euer Lever verschlafen," rief er. „Ihr seid schon auf? Ihr seid schon im Wasser? Kleines Volk, wie geht es?" Die Kleinen klatschten dem Vater mit den 8 nassen Händen in's Gesicht, die Kleinste kam eifrig herbei, ihm ans beiden Händen Wasser auf den Kopf zu gießen. Und nun eilte Herr von Feldern zu dem leicht geheizten Ofen, wo an den Stuhllehnen die Bademäntclchen hingen. Nun begann das Geschäft der Abtrocknnng nnd der Toilette, doch der Vater konnte es nicht lassen, erst die eine, dann die andere der Kleinen wie triumphirend und unter allerlei Possen auf und nieder durch die Kinderstube zu tragen. Dies war die Stunde im Tage, in der er Alles vergessen konnte, was ihn quälte, die einzige fast, in der er glücklich war. Nun trat Fräulein Marx, die Erzieherin, ein, ein ernstes, schönes Mädchen, und wurde nicht minder laut, als vorhin der Vater, begrüßt. Man brachte noch die kleinen blonden Löckchen in Ordnung. Und nun zog Alles in das Frühslückszimmcr, wo bereits der Kaffee über der Weingeistflamme brodelte. Gegenüber den drei Stühlen, wo die Kinder mit ihrer Erzieherin saßen, hatte der Vater seinen Platz. 9 Man hörte ihn öfter sagen, daß ihm nichts schmecke, als das Frühstück. Und nun gings an ein Plaudern. Die Kleine» erzählten von einem Vogelnest, daß sie gestern zwischen den halbentlaubten Zweigen eines Baumes entdeckt. Es habe die Form des zierlichsten Hütchens. Der Vater solle sie hinführen und Jedes hinausheben, daß sie es genau ansehen könnten. Und da die Sonne trotz der vorgerückten Jahreszeit warm und freundlich herunterblickte, machte sich Feldern, ein Kind an jeder Hand/,gleich auf den Weg. Fräulein Marx folgte. Endlich, gegen Elf, hatte Frau von Feldern ihr Toilettezimmer verlassen und sich in den untern Stock begeben. Die Briefe wurden ihr über- bracht, sie durchlas sie, auch den mit dem Kreuzeszeichen gesiegelte», ohne daß sich ein Zug in ihrem Gesichte verändert hatte. Dann schellte sie zweimal. Das war das Zeichen für die Erzieherin zu erscheinen. 10 Als diese nicht kenn, erscholl die Glocke bald doppelt heftig. Fräulein Marr trat ein. „Wo stecken Sie? Wo bleiben Sie so lange? Wissen Sie nicht, daß Sie täglich um diese Zeit bei mir zur erscheinen haben?" fragte Frau von Feldern mit einem strengen Blick. „Ich war im Garten bei den Kindern." „Und d i e setzen Sie der scharfen Morgenluft aus?" „Herr von Feldern selbst hat sie mitgenommen —" „Sie sollten wissen, daß Sie sich nur an meine Ordre zu halten haben. Doch vor allem Andern sollten Sie Sitte und Anstand lernen. Sie sind ohne Verbeugung hereingekommen. Statt sich zu entschuldigen, werfen Sie den Kopf zurück. Sie haben noch zu sehr den Dünkel der Beamtenstochter...." „Dann erlaube ich mir zu fragen —" sagte das Mädchen hocherröthend. „Gehorsamst zu fragen," fiel Frau von Feldern 11 ein. „Bei mir fragen Sie gehorsamst, wenngleich Ihr Vater Kreisgcrichtsrath war!" „Nur auf seinen ehrenvollen Namen bin ich stolz, nicht auf seinen Titel!" erwiderte das Mädchen. „Sie erlauben sich, vor mir Theater-Sentenzen auszukramen? Gehen Sie jetzt, ich werde selbst nach den Kindern sehen." Fräulein Marx entfernte sich; unmittelbar darauf trat ein Kammerdiener ein. „Geheimrath Hammer wünschen seine Aufwartung zu machen." Der Name hatte in Frau von Feldern's Ohren keinen guten Klang. Der Mann hatte sich nie vor ihr gebeugt. Jetzt aber wünschte er für seinen Schwiegersohn eine Stelle in den königlichen Forsten; die Leute waren ohne Vermögen. „Ich lasse bitten, ein andermal!" sagte Frau von Feldern kurz. „Der alte Herr," sagte der Kammerdiener gleichsam fürbittend, „sind zu Fuß gekommen . . . ." 12 „Ich bedauere, ein andermal!" '.niederholte Frau von Felder». Der Kammerdiener entfernte sich. „Man muß die Leute erziehen!" sagte Frau von Feldern zu sich. „Jahrelang war er unhöflich, jetzt kommt er als Bittsteller! Endlich hat er wollen müssen und hat nicht dürfen." Sie erhob sich und schritt auf dem Wege nach der Kinderstube durch einen kleinen Salon. Da stand auf einer Staffelei, halb vollendet, ein Porträt von ihr, das von einem ausgezeichneten Künstler gemalt wurde. Vor diesen: Bilde, daß sie mindestens um zehn Jahre verjüngt zeigte, hieß es sie weilen; sie rückte eitlen Stuhl heran und setzte sich; es überkam sie eine dämmernde Erinnerung an ihre Vergangenheit. Sie mußte sich sagen, daß die Schönheit, die ihr entgegenträte, auch ihr Fatum war. Diesen Augen, diesen Brauen, diesen Linien verdankte sie Alles, Gutes und Schlimmes! Sie sah sich, die Tochter eines armen Handwerkers, wie sie, das Körbchen am Arme, über die Gasse gehend, schon alle Blicke auf sich lenkte. Mit dem Be- 13 wußtsein ihrer Schönheit war auch der Ehrgeiz erwacht. Sie sah die niedrige, ärmliche Wohnung, den kranken Vater im Bette und den jungen, dunkellockigen Arzt, der, von ihren Augen gefesselt, immer wieder kam, bis der Vater starb und sie allein stand .... Sie sah sich als junge Frau plötzlich, durch die Wallung einer edlen Natur, die nur der innern Stimme gemäß, wenngleich dem Rathe der Welt zuwider, zu handeln gewohnt war, emporgehoben ans aller Sorge nud allem Schmutz und in eine ihr neue Welt versetzt. Ihm verdankte sie Alles, auch die Erziehung, und sie wäre immer auf gerader Bahn geblieben, wenn seine feste Hand sie noch länger geleitet hätte. Aber er starb in der Blüthe der Jugend, und sie, ohne Vermögen, ein Kind an der Hand, halb gebildet, voll des Dranges, die Welt zu genießen, befand sich in einer gefährdeteren Lage als je zuvor . . . . Die kleine Stadt war ihr unerträglich geworden, sie begab sich mit ihrem Töchterchen in die große süddeutsche Residenz .... Hier hatten ihre schönen Augen bald wieder Wunder gewirkt. 14 Ein junger, in den aristokratischen Kreisen einflußreicher Mann, Graf und Priester zugleich, wurde auf sie aufmerksam und trat ihr näher. Beichtvater und Gewissensrath vornehmer Damen, vermittelte er ihr den Zutritt in mehrere hochkatholische Adelsfamilie». Ihre Schönheit, ihre tadellose Aufführung empfahlen sie, sie flößte in ihrem Trauerweide ein melancholisches Interesse ein. Ihre kunstfertige Hand lieferte feine Arbeiten, die sie ganz still in die Modemagazine trug. Niemand verstand es so, feine Guipüren herzustellen. Sie half vornehmen Frauen Teppiche und Paramente, prächtige Kirchengewänder sticken. Auf ihren Drang, die Welt zu genießen, mußte sie verzichten, sie lebte wahrlich nur, wie die Spanier von frommen Personen sagen, xara, V68t,ir los sniitos, die Heiligen zu bekleiden — wohl aber gestaltete sich ihr Leben ruhig und angenehm. Sie war in eine ihr bis dahin völlig unbekannte Welt eingetreten, in der Niemand ganz verloren geht, der ihre Formeln bekennt. Es wurde für sie gesorgt. Sie lernte einsehen, welches ungeheure 15 Gewicht auf den Schein, auf die strenge Erfüllung äußerlicher Uebungen gelegt wird. Da nahm sie ihr Senfkorugroß Katholicismus, daß sie als Doctor Hamond's Gattin kaum jemals practisch geübt, wieder hervor. Sie steigerte es den Anforderungen jener Kreise gemäß und sah es gedeihen und wunderbare Früchte tragen. Man behandelte sie mit großer Rücksicht, fast wie eine Angehörige, ja man setzte sie in den Stand, ihr schönes Töchterchen in das vornehme Pensionat unterzubringen, wo an sechshundert Gulden jährliche Pension zu zahlen waren . . . In einem jener aristokratischen Kreise hatteFeldern sie zuerst erblickt und war von ihrer Schönheit wie von einem Pfeil getroffen worden. Sie hatte sich seine Huldigungen eine zeitlaug still gefallen lassen, dann aber ihn rasch und mit sicherer Hand der Heirath zugeführt. Es gelüstete sie längst, den Kreisen, in denen sie bisher nur geduldet war, selbst anzugehören. Fünf Jahre waren es nun, daß Feldern sie an den Hos gebracht. Da hatte der König eine Leidenschaft zu ihr gefaßt. Er zeichnete sie vor allen 16 Damen aus, man kann wohl sagen, er lag ihr zu Füßen. Das war für Helene von Feldern eine große seltsame Zeit, wunderbar noch immer für sie, wenn sie zurücksah! Der König beschwor sie, sich von Feldern scheiden zu lassen, sprach von Trauung an der linken Hand. Er beschwor sie, für ihn allein zu leben. Sie wies seine Anträge zurück mit einer Art Entsetzen, das nicht gespielt war. Eine gewiße Furcht vor dem Urtheil der Welt, eine Furcht, die ihr jetzt kindisch erschien, das Wagniß der Sache gab ihr Widerstandskraft. Feldern liebte sie damals so sehr, es wäre sein Tod gewesen. Sie wies den Antrag zurück. Sollte sie es jetzt bereuen? Sie kannte jetzt den König besser. Vielleicht wäre er in der letzten Stunde mit dem Hinweis auf die Schwierigkeit einer solchen Verbindung, den Widerwillen in der öffentlichen Meinung, den Eelat, den es machen würde, zurückgetreten, vielleicht hätte sie ihre ganze Zukunft einem wankelmüthigen Alaune geopfert, der nach Erreichung seiner Wünsche ihrer überdrüssig geworden und sie verlasse» hätte .... Sie verstand — 17 es damals, ihn abzuweisen in einer Art und Weise, daß sie in seiner Meinung wuchs und als eine Heroine der Pflicht, der Entsagung vor ihm stand. Sie verstand es, ihn abzuweisen und doch festzuhalten . . . Sie duldete nur seine Geschenke, alles mit Widerstreben. Noch war ihr jeder politische Ehrgeiz fremd, sie kümmerte sich blutwenig um NegieruugSsachen. Sie war zufrieden, Auszeichnung zu finden, im Lurus zu leben, Pferde, Spitzen. Juwelen in Fülle zu haben. Aber der mächtige Eindruck, den die katholische Genossenschaft aus ihr Gemüth geübt, hatte sich ihr dauernd eingeprägt und blieb auch in protestantischer Umgebung gleich lebendig; es gab. für sie nur eine im Tode wie im Leben seeligmachende Kirche. Ihr Herz hatte sie langst abgeschworen. Der Gatte wurde ihr alltäglich, . der greise königliche Wittwer mit seiner süßlichen Vergötterung langweilig; da wurde ihr Herr von Themar, der so keck und herausfordernd an sie herantrat, interessant. Sie fühlte sich unheimlich angezogen von diesem Manne und von seiner tyrannischen Superiorität überwältigt, ji, 2 18 Dieser Mann war ihr mehr als gewachsen. Er weckte den Sinn für Politik in ihr immer stärker und stärker. Hand in Hand mit ihm fühlte sie sich doppelt stark. Ob sie ihn zu ihrem Werkzeug gemacht, ob nicht vielmehr er sie zu dem seinigen, das erörterte sie nicht . . . Ja, die Schönheit war ihr Fatum, aber ein mit Vergänglichkeit behaftetes, allen Zufällen ausgesetztes. Wie lange würde es noch in voller Kraft wirken? Das Alles zog halb klar, halb verhüllt an ihrer Seele vorüber, als sie so vor ihrem Bilde in nachdenklicher Selbstbetrach- tnng saß. In dieser Stimmung traf sie ihr Gemahl. Die Verwandlung, die über ihn kam, wenn er bei den Kindern war, war wieder verflogen; düster, mit der gewohnten, umwölkten Stirne, trat er vor sie hin. „Guten Tag, Helene," sagte er. „Ich suche Dich schon lange. Hast Du nicht einen Brief aus dem Kloster erhalte»? Von der Oberin? Was ist's mit Emma? Soll sie wirklich nach Belgien?" 19 „Allerdings," erwiderte Frau von Feldern. „Doch wozu die schon oft gepflogenen, nutzlosen Erörterungen?" fügte sie nach einer Pause hinzu. „O Helene," rief Feldern. „Wie lieb war Dir einst dies Kind! Wie lieb mir, in jener schönen, ersten Zeit! — Kannst Du sie wirklich in ihren jungen Jahren so zwischen Klostermauern einsperren wollen? Ich frage Dich: hat sie eine Jugend? Denke doch, wessen Tochter sie ist! Was würde ihr Vater, wenn er noch lebte, zu dieser Kloster-Erziehung sagen!" Frau von Feldern liebte es nicht, an ihre Vergangenheit gemahnt zu werden. „Und würdest Tu unser Haus für einen passenderen Aufenthalt eines jungen Mädchens halten?" fragte sie zurück. Diese Frage lautete scheinbar unverfänglich, dem Gatten aber versetzte sie einen Stich. „Uebrigens," setzte Frau von Feldern hinzu, „handle ich da ganz im Einverständnisse mit ihrem Vormunde, Herrn von Themar —" Dieser Name, der Feldern der allerverhaßteste war, steigerte seine zornige Erregung. „Das ist eine Verschwörung!" ries er. „Ich will nicht, daß man mit einem Kinde so verfahre, das ich wie mein eigenes liebe. Nein, ich erlaube es nicht! In dieser Frage habe ich auch etwas zu sagen. . . ." Die Gattin antwortete mit einem Blicke, der dies ironisch verneinte. „Ja, ich habe etwas da zu sagen, ich, der Gatte ihrer Mutter, ich, der ihr jahrelang ein Vater war, stehe ihr näher, als jener Mensch, der —" Er brach ab, seine Frau hatte sich erhoben und verließ das Zimmer. Sie war an solche Ausbrüche gewöhnt, wußte aber auch, daß sie wie Strohfeuer in einer dichten, gesperrten Luft zu verlöschen pflegten. „O Weid, Weib, Weib!" rief Feldern, als er allein war. „Wie kam doch dieser Hochmuth, dieser Frost, all' dies Böse in ihre Seele? Wie heilen, wo der Giftstoff im Blute sitzt?" Die Misöre seiner Ehe starrte ihn von allen 21 Seiten an. Ein weicher, allerdings auch leichtsinniger Mann, litt er von der Erbärmlichkeit eines schnöden, herzlosen Weibes und wurde von ihr für Alles, was er an ihr gethan, nur verhöhnt. Sein Lebensglück war vernichtet. Sollte er weiter zusehen? „Nein," rief er, plötzlich sich sammelnd. „Zu lange schon lasse ich in meiner thatlosen Melancholie Alles geschehe». Ihr süßes, liebes Gesicht steht vor mir. Ihr Gram soll ein Ende haben. .Ich will wie ein Mann handeln." Es kam ihm ein Gedanke. Seine alten Eltern, die beide noch am Leben waren, hatten ein Gut in der Nähe der Stadt, wo sie ganz still und zurückgezogen lebten. Sie standen außer allem Verkehr zu seiner Frau. Zu ihnen beschloß er Emma Hamond zu bringen. Bei ihnen war sie gut aufgehoben. Am Abend desselben Tages war Herr von Feldern abgereist; wie es hieß, in einer Dienst- sache, in Wahrheit flog ,er mit der Eisenbahn nach dem Süden. Während Hermann, von Gernsbach heim- — 22 kehrend, rathlos verzweifelte, war seiner Emma ein Beschützer erstanden. Er hätte diesen Namen nie errathen und, wenn er ihm genannt worden wäre, sich gewiß nur mit Verachtung über den Mann geäußert. Und doch war er vorn Schicksal bestimmt, in der wichtigsten Angelegenheit seines Lebens sein Helfer und Bundesgenosse zu sein. 23 Zweites AaMet. Es war ein paar Tage nach seiner Wahl zum Abgeordneten von Gernsbach-Großdorf, als Hermann ein höflich stylisirtes Schreiben des Polizei-Dircctors Herrn von Lutteroth zukam, in welchem er ersucht wurde, baldmöglichst in dessen Bureau zu erscheinen. Hermann mußte lachen. „Da giebt's was Neues, Thaidinger," wendete er sich an seinen Freund. „Ich habe alle diese Tage einer Klage des Staatsanwaltes wegen Beleidigung des Ministers entgegengesehen. Ich habe sie erwarten dürfen. Aber der kreisende Berg gebiert nur ein unscheinbares Mäus- lein. Sie werden mich wegen einer Preßsache hecheln. Ich gehe gleich, die Sache abzuthun." 24 Bald darauf schritt Zoller die düsteren Trep-. pen eines großen Gebäudes hinauf und durchwanderte eine Reihe von Zimmern, in welchen Foliobücher hoch an den Wänden aufgeschichtet waren und allerhand ältliche Schreiber, den Kopf auf die Hand gestützt, den gedankenvollen Blick auf einen Actenbogen gerichtet hatten. Alif seine Frage nach Herrn von Lutteroth wurde Hermann an's Ende der Zimmerreihe, an eine niedrige Thüre gewiesen. Als Hermann in das Gemach eintrat, hob sich ein Kopf, der ein militärisches Element mit dem bureaukratischen verband, langsam hinter der Galerie seines Schreibtisches empor, zwei gescheidte Augen schauten den Ankömmling durch eine goldene Brille an., Dieser Kopf, diese Augen, diese Brille gehörten Herrn von Lntte- roth. Sein leicht ergrautes Haar, das einst von blendender Schwärze gewesen sein mochte, krönte in einem vollen, fast theatralisch wohlgeordneten Toupet das Haupt; der dichte, schwarze Schnurrbart schwang sich in zwei völlig symmetrischen Partien hoch über die Mundwinkel ein- 25 zior, die in einem jovialen Lächeln wohlerhal- tene Zähne sehen ließen. Als Hermann seinen Namen genannt, erhob sich der Polizei-Director und lud den Ankömmling mit .weltmännischer Handbewegung auf's Verbindlichste ein, in einem Fautenil ihm gegenüber Platz zn nehmen. Dann legte er den Blaustift in die Acten, die er zuschlug und begab sich mit elastischen Schritten an die Thüre. „Sie erlauben," sagte er, „daß ich die Ordre ertheile, uns ganz ungestört zu lassen. Die Angelegenheit, die ich mit Ihnen zu verhandeln habe, ist so wesentlich delicater und privater Natur, daß uns jede Unterbrechung höchst lästig sein müßte." Hermann konnte nicht umhin, von einem kleinen Dämon gekitzelt, leichthin zu lächeln. „Sie sind, verehrter Herr Doctor," begann der Polizei-Director, als er wieder in seinem Stuhle saß, >,meinem Rufe auf die Minute gefolgt. Das ist ein gutes Anzeichen. Nehmen wir uns nun vor, die Angelegenheit, die uns zusammenführt, ganz ruhig zu behandeln. Eine 26 verletzende Absicht, einen nnimus infnri-rmli setzen Sie gewiß bei mir nicht voraus. Jede politische Tendenz liegt mir ferne. Ich, als administrativer Beamter, habe keine Parteistellung, ich achte in Ihnen den charakterfesten, Überzeugungstreuen Publicisien und demnach —" „Dürfte ich wohl bitten," warf Zoller ein, „mit Fortlassuug aller Präambula an Ihre Mittheilungen oder Fragen gehen zu wollen?" „Allerdings will ich das," erwiderte Herr von Lutteroth, sauft zurückgeneigt, indem sich feine Stimme in einer melodischen Cadenz gleichsam wiegte, „und Sie weiden mir nichts übel nehmen, weil Sie sogleich erkennen werden, daß ich nicht beleidigen will. Ich gehe von der Ueberzeugung aus, daß die Wahrheit Ihnen werth und heilig ist und Sie nichts mehr verabscheuen, als einen Erfolg durch das Mittel der Täuschung. Verstehen wir uns über diese Auffassung?" Hermann nickte: „Vollständig!" „Eine Anzahl von Wählern des Districts, den Sie jetzt als Landtagsmitglicd zu vertreten 27 hätten," hub Herr von Lutteroth langsam lind mit Betonung jedes Wortes an, „hat eine Eingabe an das hiesige Amt gemacht und bittet nachzuforschen, ob sie auch in der That die zur Nechtmäßigkeit Ihrer Wahl erforderlichen Staatsbürgerrechte und das Heimathsrccht im Königreiche besitzen? Nach den gepflogenen Untersuchungen muß man es verneinen und es fragt sich nun, ob Sie sich einer Täuschung schuldig gemacht haben, oder sich im Zustande der Selbsttäuschung befinden. Wie können Sie sich über Ihre Staatsbürgerrechte legitimiren?" Hermann war nicht wenig überrascht, nahm die Sache aber doch nur von der humoristischen Seite auf. „Bis jetzt," erwiderte er, „habe ich ruhig in dem Glauben hingelebt, das Heimathsrecht im Königreiche zu besitzen. An eine Legitimation habe ich nicht gedacht und bisher nie eine gebraucht. Ich bin hier in der Residenz geboren, in der hiesigen protestantischen Pfarrkirche zu St. Paul getauft, meine Eltern hießen Tho- 28 inas und Maria Zoller, mein Vater war Bürger „Gut," erwiderte Herr von Lutteroth. „Wie kam es nun, daß Thomas Zoller, Kaufmann allhier, den Sie als Ihren Vater bezeichnen, sein Haus, Berggasse Nr. 16, das Sie bewohnten, sammt seinen: kleinen Vermögen an seinen nächsten Anverwandten, seinen jüngeren, nunmehr verstorbenen Bruder Andreas Zoller, vererbte, und Sie, sein Kind, vollständig, überging? War Ihnen das nie auffällig?" „Wahrlich nicht. Ich habe mich nie darum gekümmert." „Haben Sie nie. daran gedacht, dies Testament als ungesetzlich anzufechten?" „Niemals." „Das ist seltsam. Sie hätten dazu volles Recht gehabt. Das Hans gehört jetzt der Tochter des verstorbenen Andreas Zoller und ist auf deren Namen eingetragen. . . ." „Ich gönne es ihr von ganzem Herzen." „Sollte nun aber nicht das Räthsel Ihrer Umgehung im Testamente dadurch seine Lösung finden, daß Sie nicht das Kind der Ehelente Thomas und Maria Zoller, sondern nur deren angenommenes Pflegekind sind?" „Lächerlich!" erwiderte Zoller, indem eine hohe Nöthe in seine Wangen stieg. „Ich habe bis zum Tode meiner Eltern volle Kindesrechte genossen, alle Nachbarn, welche noch am Leben sind, werden bezeugen können —" „Darin," erwiderte Herr von Lutteröth, „dürften Sie sich täuschen. Ich glaube nicht, daß die noch lebenden Nachbarn nnd Hausgenossen, zur Aussage aufgefordert, Ihre Abkunft von Thomas und Maria Zoller bestätigen würden. Glaubwürdige Personen darunter sind der Ansicht, daß diese beiden Ehegatten nur Ihre Pflege-Eltern gewesen. Wenn man, wie das geschehen ist, das Alter der Maria Zoller, das genau ermittelt werden konnte, in Betracht zieht, bleibt kaum ein Zweifel daran. Doch eine Frage. Besitzen Sie einen Taufschein?" „Zur Hand habe ich ihn eben nicht," erwiderte Hermann, „er dürfte aber unter den alten Papieren meines Vaters liege». Ich bin eigent- 30 lich nie in die Lage gekommen, ihn irgendwo vorlegen zu sollen. Jedenfalls bedarf es nur eines Ganges auf die Pfarrei — ein Nachschlagen der Taufregister und ich habe ihn." „Das wird nicht so leicht gehe», wie Sie glauben," entgegnete Herr von Lutteroth. „Sie kommen im Geburtsregister unserer Sprengel nicht vor." „Und daraus schließen Sie?" fragte Hermann. „Daß sich das Ehepaar Zoller nur aus Gutmüthigkeit von Ihnen Vater und Mutter nennen ließ. Es war eine oft vorkommende Rücksicht auf ein Waisenkind. Wie alt waren Sie, als Thomas Zoller starb?" „Sieben Jahre. Die Mutter war kurz zuvor gestorben." „Bei wem haben Sie seit dein Tode des Zoller'schen Ehepaares gelebt?" „Es ist lauge her, zwanzig Jahre beinahe," erwiderte Hermann, „ich entsinne mich aber sener Zeit ganz genau. Kurz nach dem Begräbnisse meines Vaters kam eine Tante aus 31 — Moskau zu mir und nahm mich mit sich. Ich verlebte zwei Jahre in Rußland. Nach dieser Zeit führte sie mich nach Deutschland zurück und gab mich — der Schule wegen — dem hiesigen Advokaten Wittich in Kost nnd Wohnung." „Wollten Sie mir wohl den Namen dieser in Rußland ansässigen Tante nennen?" „Sie hieß Olga Denin und war Gouvernante in einem gräflichen Hause in Moskau, Demetrius Nscherosf. Alljährlich besuchte sie mich, leider nur kurz, und bald hörten ihre Besuche ganz auf. Ich war dreizehn Jahre alt, als sie starb. Sie vermachte mir ihr kleines Vermögen, mit dem es mir möglich wurde, die Universität zu beziehen." „Sehr gut," sagte Herr von Lutteroth. „Wenn Sie nun meine Einwendungen scharf in's Auge fassen — würden Sie sich nicht als reifer Mann und Rechtskundiger zur Annahme getrieben fühlen, daß die „Tante" Olga Denin Ihre wahre Mutter gewesen sein mühe?" „Ich würde," erwiderte Zoller rasch und in 32 großer Bewegung, „mich gewiß einer so herrlichen, so edlen Mutter nicht schämen. Aber — das ist eine Fabel, ein Phantasiegebilde polizeilichen Verdachts." „Und das ist vorläufig Alles," sagte Herr von Lutteroth ruhig, „was mir heute miteinander abzumachen haben. Benutzen Sie, verehrter Herr Doktor, die Zwischenzeit, bis ich Sie wieder vorrufe, zur Erhebung Ihres Taufscheines und Ermittelung Ihrer Hsimatsberechtigung. Ich wünsche von Herzen, daß Sie, mit wirklichen Beweisen ausgerüstet, bei mir erscheinen." - Die Unterredung war zu Ende. In unbeschreiblicher Aufregung verließ Hermann das Haus, das er so gleichmüthigen Sinnes betreten. Zweifel stiegen in ihm auf und wühlten in ihm, ein grenzenloses Mißbehagen erfüllte ihn ganz. Es war ihm, als wandle er in der Dunkelheit, im Walde, auf tückischem Moorgrund, der unter den Füßen bald weicht, bald aufwallt, und sähe Irrlichter höhnisch vor ihm hertanzen. Daß das Haus seines Vaters jetzt nicht ihm. "1 33 sondern einer Cousine gehörte, war unstreitig seltsam, auffallend. Er hatte dieser Thatsache nie nachgefragt, so sehr waren seine Gedanken von jeher Allein abgekehrt, was Geld und Besitz hieß. Hätte ihn ein Anderer darauf aufmerksam gemacht und nach der Ursache gefragt, er hätte kurz geantwortet: Der Vater wird wohl das Haus vor seinem Tode verkauft haben. Er hätte keine Minute weiter darüber gegrübelt. Nun erst, aus dem Munde des Polizeidirectors, frappirte ihn die Thatsache und hatte für ihn eine ganz andere Tragweite. Noch etwas Anderes fiel ihm jetzt als sonderbar auf. Olga und seine Mutter sollten Schwestern sein. Aber Olga Denin's Hände waren so klein und weiß, die der Mutter so roth und voll Frostbeulen! Olga Denin war in seiner Erinnerung eine feine, hochgebildete Dame, seine Eltern dagegen waren schlichte Bürgersleute. Der Abstand zwischen Beiden war unleugbar. In welchem Verwandtschaftsgrade war sie denn zu seiner Mutter gestanden? !l. 3 34 Vielleicht, ja sehr wahrscheinlich wußte Klein's Mutter etwas über alle diese Dinge. Sie hatte ja schon im Hause gewohnt, als Zoller und dessen Ehefrau noch am Leben waren. Sollte er sich an sie wenden? Er konnte darüber zu keinem Entschlüsse kommen. Eines nur stand jetzt für ihn fest: er wollte das kaum errungene Mandat niederlegen. Ihm graute vor möglichen, ja sicher eintretenden Erörterungen und Erhebungen, vor einer Publici- tät in Dingen, die nicht in die Publicität gehören. Alles gährte in ihm, Alles, der nächste Tag schien ihm unsicher. So kam er in die Redaction zurück. „Nun, wie stand es um des Berges Aus- und Mausgeburt?" fragte Thaidinger. „Darüber ein andermal," sagte Hermann kurz zu seinem Freunde. „Ja, es war eine Maus! Das teuflische Thier hat mir aber ein wichtiges Papier, ein wichtiges Dokument zernagt!" fügte er zu sich selbst redend hinzu, 3o „Es hat mit scharfem Zahne die Pfosten zerfressen, aus denen das Gelände meiner Ruhe, meines Friedens stand!" Thaidinger fragte nicht weiter. Ihn schreckte beinahe der Ausdruck der Verstörung im Gesichte des Freundes. 36 Herr von Lutteroth hatte dem Minister von Themar einen mündlichen Bericht über die mit Hermann Zoller gepflogene Unterredung abgestattet. Der Minister war über die gewonnenen Resultate hocherfreut. Dieser juuge Mensch, der ihn vom ersten Tage an bekämpft hatte, dieser Gegner, der ihm immer wieder quer über den Weg ging, dieser Mann, dessen Bedeutung unleugbar im Steigen begriffen war und der zu einem Volksmann heranwuchs, hatte einen ganz acuten, persönlichen Haß in ihm erzeugt. Er konnte sich die Miene geben, als verachte er seine publicistische Thätigkeit; sich selbst zu belügen war er nicht 37 im Stande. Zoller führte, gestützt auf seinen reinen Namen, seine untadelige Vergangenheit, offen und mit blanken Waffen einen Kampf gegen ihn, der, wenn die Masse Augen und Ohren hatte, schließlich zu seinem Verderben führen mußte. Er fürchtete ihn. Welcher Makel war er sich bewußt, was hatte er nicht Alles zu verbergen! Zoller's Angriffe gegen seine Person in der Wählerversammlung von Groß- dorf-Gernsbach waren ihm hinterbracht worden, sie trafen seine Ehre. 'Nun sollte der Verhaßte, dem es weder an unerschrockenem Muthe, noch an zäher Ausdauer fehlte, in dieKammer kommen! Zoller's Rednergabe war ihm aus seiner juristischen Vergangenheit bekannt. Der Minister konnte diese Gegnerschaft unmöglich unterschätzen. Sie hinwegzuräumen, war das nächste Ziel, das er sich setzte. „Also in den Tausregistern unserer Hauptstadt nicht aufzufinden?" sagte er. „Vielleicht nicht einmal im Lande geboren? Manches, was auf russischen Ursprung hinweist? Ich will mir doch die zwei Namen: Graf Demetrius Uscheroff 38 in Moskau und Olga Denin notiren. Da muß man Näheres zu erforschen suchen. Was meinen Sie, lieber Lntteroth? Wird sich der Nimbus dieses Pnblicisten noch einen Tag lang halten, wenn die Negierungsorgane schreiben: Der junge Moskowite, welcher unter dem Namen Hermann Zoller seine deutsch-nationale Thätigkeit entwickelte und sich in die Reihen unserer Landesvertreter einzuschmuggeln verstand .... Ich denke, das wäre ein tödtliches Gift!" „Aus der Kammer ist er schon so gut wie ausgemerzt," erwiderte der Polizei-Director. „Daß Doctor Zoller bis zum Zusammentritt des Hauses die ihm fehlenden Papiere austreibe, ist undenkbar. Alan sonsflirt dann die aufgestiegenen und wohlbegründeten Zweifel dem richtigen Manne aus der Wahlprüfnngs - Commission und die Wahl ist null und nichtig." „Ja, Ihre Aufschlüsse sind sehr werthvoll," schloß Herr von Themar. „Rechnen Sie auf meine Erkenntlichkeit. Für einen Mann von Ihrem Scharfblick und Ihrer Anhänglichkeit 39 muß ich bald etwas thun. Haben Sie irgend ein Anliegen?" „Ich werde mich schon seinerzeit," erwiderte Herr von Lntteroth mit einer Verbeugung, „vertrauensvoll an Eure Excellenz wenden. Heute hab' ich noch einen Widerruf zu leisten und ein xater paeeavi zn sagen. Das Ministerium hat mir vor einigen Monaten ein Zeugniß über Doclor Lorenz Klein's politische Führung abverlangt. Mein Gutachten lautete unvortheilhaft. Ich habe seitdem die persönliche Bekanntschaft dieses jungen Gelehrten gemacht, er hat mein volles Interesse gewonnen, ich muß revociren. Er hat sich, wie es scheint, völlig von seinen ehemaligen Gesinnungsgenossen losgesagt und lenkt in die besten Bahnen ein. Es ist von ihm gewiß kein schädlicher Einfluß auf die studnende Jugend zu erwarten und seine Kenntnisse weisen ihm sicher die Stelle an, die er im Auge hat." „Gut, gut," sagte der Minister. „Seine Eingabe soll noch einmal geprüft werden. Das Hinderniß lag ganz besonders in Ihrer Note." 40 Der Polizei-Dnector entfernte sich. „Diesen Toctor Zoller gründlich zu beseitigen, fft und bleibt eine Hauptangelegenheit!" sagte Herr von Themar zu sich, als er wieder allein war. „Ich werde »ach Moskau schreiben lassen, vielleicht lohnt es sich sogar, der Beschleunigung wegen, einen Comnüssär erpreß hinzuschicken. Graf Demetrius Uscherosf, Olga Denin, Gouvernante. Man muß herausbekomme», wer sie war .... Doch, das trifft sich ja herrlich! General Aschberg ist wieder da ... . Seine Karte liegt schon seit einer Woche auf meinem Tische. . . . . Er hat jahrelang in Moskau gelebt, irr den besten Kreisen. Vielleicht hat er gar die Familie Uscherosf gekannt, jedenfalls wird er mir angeben können, wo man sich nach ihr am besten erkundigt. Ich besuche den General." Eine Viertelstunde später fuhr der Minister in die Villa des Generals. Sie lag unsern, aus einer bewaldeten Anhöhe, welche die Aussicht auf Stadt und Stromgebiet beherrschte. General Aschberg, aus einer kurländischen 41 Familie, war ei» gebrechlicher Herr am Anfang der Sechzig. Ursprünglich ein lioinme ä donntzs koituiitzs am Hofe des Kaisers Nikolaus, winde er dann ein braver Soldat. Er hatte eine vornehme Russin geheirathet, aber keine glückliche Ehe mit ihr geführt. Von seiner Frau getrennt, kinderlos, in seinem Vermögen stark geschädigt, hatte er bald nach dem Krimfeldzug seinen Abschied genommen. Körperliche Leiden setzten ihm zu, Unruhe, Unzufriedenheit trieben ihn in der Welt herum. Er war bald in Nizza, bald in den böhmischen Bädern, pflegte aber immer wieder auf kurze Zeit die einsame Villa zu beziehen, die er, mit dem besten Vorsatz der Seßhaftigkeit, vor Jahren hier erworben. Herr von Thcmar traf den einsamen alten Herrn auf der Terrasse vor seinem Hause mit dem Einwintern und Eindecken seiner Oleander und Erpressen beschäftigt. „Aber, General, bei diesem schneidend kalten Winde arbeiten Sie im Freien!" rief der Minister mit warnender Stimme. 42 — Das Aussehen des alten Soldaten schien ihm, seitdem er ihn zuletzt gesehen, sehr zu dessen Nachtheil verändert. Herr von Aschberg rics einen Gürtnerjuugen herbei, trug ihm aus, nach seiner Anleitung fortzufahren und führte seinen Besuch ins Hochparterre, wo Beide in behaglichen Lehnstühleir Platz nahmen. Das Erste, was der General that, war, Herrn von Themar zu seiner Stellung zu gra- tuliren. „Man hat längst ansgehört. Minister zu beneiden," erwiderte dieser. „In diesem Punkta ist die Welt sehr vernünftig geworden." „Doch haben Sie, so viel ich weiß, Ihr Ideal nie in bürgerlicher Glückseligkeit gesucht." „Das wohl," erwiderte Herr von Themar. „Doch ist man hinterher erstaunt, im Besitze einer solchen Stellung so wenig Zufriedenheit zu finden. Man begegnet einer Gehässigkeit, die man kaum für möglich gehalten, und sieht, daß man den Menschen, wie man auch über sie dachte, »och immer ein allzu günstiges Vorur- 43 theil entgegengebracht. Der Hofwelt wird man bald überdrüssig —" „Das ist ein Ball, auf dem ich schon lange nicht mehr mittanze," fiel der General ein. „In der Politik aber," fuhr der Minister fort, „treten immer neue Schwierigkeiten auf, von Tag zu Tag, daß man ermüden zu müssen glaubt. Dabei diese PreßzustLnde! Man ist die Zielscheibe der unwürdigsten Angriffe und in Wahrheit schutzlos gegen sie. Unsere moderne Gesetzgebung hat sonderbare Verhältnisse geschaffen! Den Angreifern gewährt sie alle denkbare Freiheit des Angriffs, den Angegriffenen bleibt sie die Unterstützung schuldig. Man wird mit Nadeln gestochen, die Ehre wird angetastet; was läßt sich dagegen thun? Die sich geschickt hinter den Paragraphen des Paßgesetzes zu verbergen wissen, sind fast nie zu fassen und faßt man sie doch — der Schaden ist unser! . . . ." „Wie soll ich das nehmen?" fragte der General, der bisher ruhig zugehört hatte, nicht ohne Ironie. „Machen Sie mir Vorwürfe? Ich 44 ivar's doch, der Ihnen in Paris zuredete, eine Stelle, die nnr eine elegante Form des Müßigganges war, niederzulegen und, nachdem das Ministerium Auerstein wankend geworden, Ihr Glück hier, in der Nähe der Macht, zu suchen. Wäre es Ihnen lieber, daß Herr von Auerstein heute noch Minister und Sie sein Untergebener wären?" „Das nicht!" antwortete Herr von Themar. „Das nicht. Noch heute danke ich Ihnen für den Wink, den Sie mir damals — im Salon der Gräfin Jwanoska — gaben." / „Nun, jetzt gefallen Sie mir besser. Sehen Sie, es regiert Niemand ungern!" „Man hat sein Schicksal," sagte Herr von Themar für sich, „und muß mit demselben fertig werden." „Und Sie werden damit fertig!" rief der General. „Damit ist nicht ausgeschlossen — ich spreche mit soldatischer Offenheit — daß mein kluger Freund zuweilen auch über's Ziel hinausschießt und einen Mißgriff begeht. Ein solcher war's, meines Erachtens, die Candidatur in —" 45 „Ich gebe Ihnen vollkommen Recht, vollkommen Recht!" rief Herr von Themar, indem ein Schatten über sein Gesicht zog. „Sie sind damit," fahr der General fort, „gewissermaßen vor das Land hingetreten und haben die Vertrauensfrage gestellt. Das war gar nicht nöthig. Weder für Ihre Selbsterhal- tnng, »och für die Regierung. Sie verdanken Ihr Mandat keiner unzuverlässigen Wählerschaft, sondern etwas unendlich Festerem: dem Willen des Königs. . . ." „Sehr nähr, sehr wahr!" sagte der Minister. „Es war eine überzarte Gewissenhaftigkeit, wenn Sie wollen, politische Empsindelei, die mich so handeln ließ. Auch war der Platz sehr ungünstig gewählt. Nun, ich fühle meine Position dadurch nicht erschüttert. Einer guten Regierung kommt das Vertrauen von selbst entgegen .... Doch lassen wir die leidige Politik .... Heute führt mich eine persönliche Angelegenheit zu Ihnen — vielleicht können Sie mir eine gewünschte Auskunft ertheilen —" „Ich stehe stets zu Diensten." 40 „Sie wareü jahrelang in Moskau und müssen die ganze dortige Gesellschaft kennen. Ist Ihnen ein Graf DemetrinS Uscheroff bekannt?" „Ei, das will ich meinen," erwiderte Herr von Aschberg. „Ihn und seine Gemahlin kenne ich. Sie war eine Jugendfreundin meiner Frau — und Beide hatten Besitzungen in unserer nächsten Nähe. Das heißt, wir hatten etwa nur hundertundsechszig Werst von Schloß zu Schloß. Das nennt man in Rußland nahe. Solche räumliche Dimensionen sind in Europa einzig —" „Vielleicht," fuhr Herr von Themar fort, „können Sie mir auch über eins Person Aufschluß geben, die zur Familie Uscheroff in naher Beziehung stand. Die Sache betrifft einen trefflichen jungen Mann, für den ich mich sehr in- teressire und dem ich einen Dienst erweisen möchte ..." „Ich bin Ihnen gern behülflich," sagte der General, „doch bemerke ich, daß ich die Familie seit Jahren nicht gesehen habe. Ich weiß nur, daß der Graf und seine Frau noch am Leben 47 sind. Unsere Beziehungen sind durch meinen Aufenthalt im Auslande '—- und der dauert jetzt schon fünfzehn Jahre — sehr gelockert worden." „Das trifft sich nicht so unglücklich," erwiderte der Minister. „Das, wonach ich fragen möchte, ist auch ein Ding der Vergangenheit. Erinnern Sie sich vielleicht an eine junge Dame, die, ich weis; nicht recht, in welcher Eigenschaft — als Gesellschafterin oder Erzieherin — im Hause der Gräfin lebte, ihr Name ist Olga Denin?" „Olga Denin! Gewiß erinnere ich mich ihrer!" rief der General auffahrend. „Es giebt Personen, die etwas wie ein Licht in der Seele zurücklassen. Olga Denin! Sie kam bei Usche- rofss in dem Jahre an, da ich als junger Ehemann zu ihnen in Beziehung trat. Wir kannten uns sehr gut. Ich habe eine verehrungsvolle Erinnerung an sie bewahrt. Sie war ein herrliches Geschöpf, schön, gut, hochgebildet, eine Helferin aller Kranke» und Nothleidendeu, selbstlos bis zur Aufopferung! Sie war ein Liebling 48 der Familie und mehr als Schwester wie als Dienende im Hanse." „Was war sie für eine Landsmännin?" „Jedenfalls deutscher Herkunft. Die Umgangssprache im Hause war französisch, sie sprach es wie eine Französin, wir aber pflegten, als wir genauer bekannt wurden, sehr oft deutsch mitsammen zu sprechen. Fast immer. Ach, und was für eine Tonkünstlerin sie war! Oft waren wir mit der Absicht, Karten zu spielen, zusammengekommen, da war sie aus Clavier getreten, spielte deutsche Musik und Mitternacht kam heran, ohne daß wir's merkten; der guine Tisch war unbesetzt geblieben. . ." „Wissen Sie nichts über ihre Familie?" „Es war," erwiderte der General, „viel Räthselhaftes an ihr. Sie ermähnte nie ihrer Familie, ihrer Schicksale. Wir rührten auch nie an ihren Geheimnissen. Dazu hatten wir sie viel' zu lieb. Sie flößte im Ganzen ein melancholisches Interesse ein. Es war klar, daß sie etwas zu verbergen hatte, was ihr geheim am Herzen nagte. Wir nahmen eine Unglück- 49 liche Liebe an. Sie sorgte und sparte und legte zurück für einen Knaben, einen — sogenannten Neffen. Sie brachte ihn sogar nach Moskau und ich erinnere mich, ihn gesehen zu haben. Als ihr aber einmal zu Ohren kam, daß man das Kind — es war ihr wie aus den Augen geschnitten — für das ihrige halte, entfernte sie es gleich wieder. Sie war über zehn Jahre bei der Familie Uscheroff, da erkrankten die Kinder an einem bösartigen Scharlach. Sie pflegte sie wie eine Mutter und brachte sie alle durch. Wachte Tag und Nacht! Die Nscheroffs verehrten sie wie eine Heilige. Da erkrankte sie selbst zuletzt an dem schrecklichen Uebel und nach kurzer Zeit war sie eine Leiche. Die Familie war trostlos." „Würde wohl," fragte Herr von Themar weiter, „Gräfin Uscheroff jetzt etwas Näheres über ihre Herkunft und ihre Familie sagen können?" „Schwerlich," erwiderte der General. „Noch oft und oft haben wir danach unsere beiderseitigen Gedanken über das Mädchen ausgetauscht, aber nichts herausbekommen. Ich weiß freilich 4 II. 50 einen Ort, an welchem ihr Geheimniß bekannt sein dürfte. Aber es ist die Frage, ob man dort Auskunft würde ertheilen wollen. Ich glaube kaum." „Sie spannen meine Ncugier," sagte Herr von Themar. „Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Ihre Mittheilung nicht mißbraucht wird." „Als Fräulein Denin," hob der General nach einer Pause wieder an, „auf das Sterbelager kam, bat sie die Gräfin Uscheroff, ein versiegeltes Packet in Empfang zu nehmen und es im Falle ihres Todes sogleich an seine Adresse zu senden. . . „Lautete die Adresse an einen Mann?" fragte Herr von Themar mit großer Spannung. „Ja, an einen Mann, an einen deutschen Officier. In welcher Beziehung er zu ihr gestanden, weiß ich nicht, kann sie mir aber denken. Vermuthlich der Nichtsmürdige, der an ihrem Unglück, an einem ganzen verfehlten Leben die Schuld trug. Ich habe seitdem seinen Namen nie nennen hören — es ist ein paarmal gesche- 51 hen — ohne daß ich auffuhr und mir dachte: der verdient vermuthlich eine Kugel. . . ." „Wie hieß der Mann?" fragte Herr von Themar nicht ohne Erregung. „Er hieß von Rodenegg. Näheres über ihn wäre allerdings zu erfahren. Er war oder ist Oberst — ich weiß nicht, in welcher Armee." Herr von Themar war einen Moment ganz fassungslos. Er war bleich geworden, seine Augen stierten in's Ungewisse. Ein Schauer durchrieselte ihn vom Kopf bis zu den Füßen. „Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Mittheilungen," murmelte er. Er stand auf und ging ein paar Schritte, als ob er seinen Hut suche, den er auf den Stuhl neben seinen Sitz gestellt. „Warten Sie, bleiben Sie noch ein wenig!" sagte der General, der, selbst tief in Gedanken versunken, für die Bewegung des Anderen kein Auge gehabt hatte, „mir fällt etwas ein." Er klingelte, ein Diener trat ein. „Geh' hinauf ins rothe Mittelzimmer," sagte 4 * 52 der General. „Das Bureau dort ist offen. Darin liegt eine Anzahl alter Albums mit Photographie». Bringe Alles herunter, Alles." Der Diener ging. Herr von Themar war noch immer außer sich. Er fürchtete — er wußte kaum, was. Es war ihm zu Muthe, als solle ein Geist citirt werde» und die Grabeserscheinung werde den Mantel anseinanderschlagen und die Hand nach ihm ausstrecken. „Geh," rief es in ihm. „Suche eine» Vorwand, dich fortzustehlen, ehe das Buch kommt. Das Schreckliche nicht wissen, ist das Beste. Wenn — aber ich träume ja und fasele — es ist .unmöglich, undenkbar! Ottilie hat sich ja in den Strom gestürzt. Eisschollen sind über sie weggegangen. Nein, sie ist es nicht. Das Alles sind Punkte, die nur meine Phantasie für eine Contour hält. Der Schuldige sieht überall Gespenster und fährt bei einem zufällig gesprochene» Wort zusammen . . ." So vergingen qualvolle Minuten, welche ihm Ewigkeit schienen. 53 „Wir finden sie vermuthlich Alle noch da," sagte der General; „den Grafen Demetrius, seine Frau, die Kinder, Olga Denin. Es inter- essirt Sie vielleicht. . „Gewiß, gewiß. Sehr," erwiderte Herr von Theinar aus gepreßter Brust und trat ans Fenster. „Es giebt," sagte Herr von Aschberg, „ein passives Heldenthum, das mir immer Achtung abgerungen hat, wo ich ihm begegnete, in der Hütte, in der Zelle, in der Klause, im Salon. Wo werkthätige Liebe waltet, wo Geduld und Sorge um Andere — da wird ein Adelsbrief verdient, wohlverstanden, ein wirklicher Adels- brief! Hut ab davor! Hut ab! Oder hab' ich nicht Recht? . . . Sie sagen nichts? Das versteht man erst, wenn die Haare grau — die Abendzeit da ist, wenn man gescheidter und besser geworden. Oder hab' ich nicht Recht?" In diesem Augenblicke kam der Diener zurück und hatte die Albums mitgebracht. Der General blätterte eine Weile in dem Buche, das er zunächst ergriffen, dann rief er: 54 „Das ist sie! Das ist das sinnend gesenkte Haupt! Das sind die schönen träumerischen Augen!" Herr von Themar ging mit dem Buche in die Fensterbrüstung, wo sein Gesicht abgewendet blieb und sah das Bild an. Er war sprachlos, starr, außer sich. Er hatte das Bild Ottilie von Nodeuegg's vor sich. Er vermochte nicht auf die Bemerkungen Aschberg's Antwort zu geben. Endlich sagte er: „Ich habe das Mädchen nie gesehen . . . Die Photographie, die recht verblaßt und verwittert ist, giebt keine rechte Vorstellung von ihr. . . aber sie muß schön gewesen sein . . . ." „O, sie war wunderschön!" sagte Aschberg noch ganz warm. „Ich kann mir kein schöneres Bild einer stillen Dulderin denken . . . Wer erkennt nicht die Spuren stumm durchkämpften Weh's auf diesem Gesichte?" „Es scheint wirklich so!" murmelte Herr 55 von Themar. Er hatte seinen Hut ergriffen und schüttelte dem alten General die Hand. „Leben Sie wohl und haben Sie Acht auf Ihre Gesundheit! Wir werden uns jetzt hoffentlich recht oft sehen! Ich zähle darauf." Der Minister ging und Aschberg ließ es sich nicht nehmen, ihm bis an die Grenze seines Gutes das Geleite zu geben. An den Oleandern auf der Terrasse vorübergehend, blieb er stehen und pflückte noch eine der schönen, vollen, hochrotsten Blumen. „Da," sagte er, und reichte sie Herrn von Themar hin. „Xeiinin oäorum. Wie sie duftet! Auch diese Blüthen erinnern mich oft an sie, von der wir eben so viel gesprochen. Sie trug sie so gerne im Haar..." Themar nahm die Blume nur zögernd in die Hand. „Adieu, alter Freund, Adieu!" sagte er und machte sich eilig davon. 56 Herr von Themar saß wieder in seinem Wagen. Vor ihm ging die Sonne unter und spiegelte eine breite Säule geschmolzenen roth- glühenden Erzes über den Fluß. Das Geräusch der des Abhanges wegen gehemmten Räder auf dem kiesigen Boden war scharf und knirschend. Er war ganz verstört. Bald schloß er die Augen, und dann hatte er ein Gefühl, als würde er auf eine Richtstätte geschleift; dann öffnete er sie wieder und erwachte aus seiner Verstö- rung zum Bewußtsein der Lage. Das Erste, dessen er inue wurde, war ein Gefühl des Schreckens, daß Alles so sei, wie es war. Er hatte so lange nicht mehr jener schrecklichen Ereignisse gedacht, hatte die Gedanken 57 daran, wenn sie vor ihm auftauchten, durch Zerstreuungen jeder Art wieder verjagt. Als er damals Frau von Feldern die Geschichte seiner Jugendliebe erzählt, hatte er den wichtigsten Jncidenzsall derselben nicht blos verschwiegen, sondern geleugnet, leidenschaftlich und mit dem Schein der Empörung geleugnet. Er hatte gelogen, ebensowohl aus Schonung der Geliebten, als mit der Absicht, seine Schuld zu verkleinern. „Nun weiß ich Alles," sagte er zu sich, wie ein Kranker in der Wagenecke liegend. „Ottilie hat sich nicht in den Strom gestürzt. Sie hat nicht das grauenhafte Ende gefunden, wie die Welt damals gemeint, das Ende, von dem ich hundertmal Nachts geträumt. Ihr Kind unter dem Herzen, von mir auf das Schändlichste verlassen, ist sie heimlich entflohen, um unter fremden Namen, als Dienerin in einem fremden Hause, fern von all den Ihrigen, weiterzuleben — aber wie? Mir graut, daran zu denken, wie es in ihr ausgesehen. Hier war sie verschollen. Trügerische Umstände haben den 58 Schein erzeugt, ihr Verschwinden als . Selbstmord zu erklären. Alles stimmt. Alles stimmt!" „Hermann Zoller ist mein Sohn. Mein erbittertster Gegner, der Feind, der mich zn stürzen strebt, mein ärgster Feind ist mein Sohn!" „O das Schicksal! Es läßt Vieles hingehen, dann einmal wieder ist es gerecht und straft grausam!" „O, ich Thor! Ich, dem Alles daran gelegen, daß das Geheimniß verscharrt bleibe, habe nicht gerastet, bis es an den Tag kam. Ich habe die Schaufeln in Bewegung gesetzt, es auszugraben; ich habe, wie von einem Dämon getrieben, selbst mitgeholfen. O, mir wäre besser, ich wäre nie dahintergekommen, nie!" „Eines ist klar und gewiß," dachte er weiter. „Mein Sohn weiß nichts von seiner Abkunft, ahnt sie nicht. Aber das Packet, das Ottilie an ihren Vater sendete — was enthielt es? Die volle Anklage gegen mich? Wie weit gingen die Enthüllungen? Gleichviel. Entweder weiß der Oberst nicht das Schlimmste, den Fehltritt seiner Tochter mit mir und dessen 59 Folgen, oder er ist stolz genug, zu schweigen. Dann ist nur er der Wissende, und er ist all, er wird sein Geheimniß mit hinüber- iiehinen. So läuft Beides auf Eines hinaus. Er und Zoller kennen sich nicht, wissen nichts von einander. Die Enthüllung, die ich da muthwillig aufgestöbert, wird keine weiteren Konsequenzen haben. Nur ich, ich genieße im Stillen das Schauspiel, wie mein eigener Sohn mit allen Mitteln gegen den Vater schlägt!" Mit diesen Gedanken trat er in sein Haus und ging über eine Seitentreppe in sein Arbeitszimmer. Gleich darauf, voll Unruhe, klingelte er; der Diener erschien. „War nicht Herr Hofrath von Lntteroth hier?" „Er wartet im Vorzimmer," lautete die Antwort. „Bitten Sie ihn, einzutreten." Unmittelbar darauf trat der Polizei-Director ein. „Lieber Hofrath," sagte Herr von Themar, 60 „soeben habe ich über Fräulein Olga Denin Erkundigungen eingezogen. Sie war eine geborene Russin und stand zu den Eheleuten Zoller in gar keiner näheren Beziehung. Zoller ist im Lande geboren. Es ist kein Zweifel mehr, daß mir wenigstens sein Heimathsrecht nicht be- streiten können." Lutteroth wollte repliciren. „Nein, nein," rief der Minister. „Ich weiß, was Sie sagen werden, es ist aber besser, einen Gegner, wie ihn, nicht unnützerweise herauszufordern. Wir lassen die Sache auf sich beruhen." Herr von Lutteroth war auf das Höchste frappirt. „Aber, Excellenz," wendete er ein, „unnützerweise! Er ist so gut wie schon beseitigt!" „Ich will nichts davon wissen!" rief der Minister mit Heftigkeit. „Ich gehe sogar weiter. Laden Sie schnellstens den Doctor vor — geben Sie einen Irrthum von Ihrer Seite zu, und — bestärken Sie ihn im Glauben an seine Abkunft." 61 „Ich stehe blindlings Euer Excellenz zu Befehl," murmelte Herr von Lutteroth, „aber—" „Es bleibt dabei!" betonte der Minister, „es bleibt dabei!" Herr von Lutteroth verbeugte sich und war im Abgehen, als ihn Herr von Themar nochmals zurückrief. „Noch Eins, lieber Hofrath! Erkundigen Sie sich — aber ganz privatim — nach den Ehe- lenten Zoller. Suchen Sie herauszubekommen, was sie waren. Ihr Vorleben —" „Das ist bereits geschehen, Excellenz!" erwiderte der Polizei-Director. „Die Untersuchung war wirklich eine höchst sorgfältige. Thomas Zoller war ein Kaufmann, der sein Geschäft in seinem späteren Alter aufgab und sich bald darauf verheirathete. Seine Frau war auch schon so ziemlich bei Jahren. Sie war fünfundzwanzig Jahre lang bei dem jetzigen Obersten Node- negg auf Lassenbach in Diensten gestanden. Als Stubenmädchen, glaube ich. . . ." „Nun sehen Sie!" murmelte Herr von Themar. „In welcher Beziehung sollte die gebo- 62 reue Nnssin Olga Dcnin zu den Zollers stehen! Sie laden heute noch Herrn Doktor Zoller vor. Wir würden einen großen politischen Fehler begehen, wenn wir auf dem eingeschlagenen Wege weitergingen." Der Polizei-Direktor entfernte sich, Herr von Themar blieb in größter Aufregung zurück. „Wenn da noch ein Zweifel möglich wäre, jetzt ist er behoben!" rief er, sich in einen Stuhl weisend. „Wenn mir noch ein Bedenken übrig geblieben wäre — ich sollte sagen, eine Hoffnung — jetzt wäre sie verschwunden! Alles ist klar. Ottilie hat bei einer ihr ganz ergebenen Person Unterkunft gefunden und durch deren Hilfe ihr Geheimniß gewahrt. O, sie war klug —" Er schloß schmerzensmüde die Augen. Auch Herr von Lutteroth stand noch lange im Gedankenkreise, den diese Unterredung um ihn gezogen. „O, diese Großen!" dachte er, langsam den Weg zu seinem Bureau einschlagend. „Wie wetterwendisch sind sie! Wie springen sie um! . . 63 Sie wissen nicht, was sie wollen. Die vielen Untersuchungen, voll Fleiß, voll subtilen Scharfsinnes — sind umsonst. Man hat die gesuchten Jndieien, da heißt's, die Grube wieder zuschütten, Alles lassen, wie es war. Jetzt soll ich Irrungen eingestehen, Widerruf leisten, Abbitte thun! Wer sagt noch, daß es nicht schwer sei, mächtigen Herren zu dienen? 64 Die Veränderung, die mit Lorenz Klein vorgegangen, war tief eingreifend und äußerte sich täglich deutlicher. Er ließ sich kaum mehr an den Orten sehen, die er sonst zu besuchen gewohnt war, und wich seinen Freunden, wo er konnte, aus, wie wenn er sich vor einer Straf- rede fürchtete. Es hatte wirklich das Aussehen, als ob seine Verbindung mit Fräulein Anselmi in eine Heirath auslaufen solle. Jener Abend, an welchem sich das Geständ- niß hingebender Liebe den Lippen der Schauspielerin schmerzlich und widerstrebend entrungen, war dem guten Menschen äußerst verhäugnißvoll geworden. Er fühlte sich in seiner treuen Seele fortan gebunden und verpflichtet, derjenigen, die 65 im Kampfe mit sich selbst ihren Gefühlen unterlegen war. Alles zu sein. Er hielt sich für den Gegenstand einer späten und dennoch ersten, tiefschmerzlichen Liebe und wollte, was Opferfähigkeit betraf, nicht hinter der Geliebten zurückbleiben. Er stellte sich die Frage, ob die Ehe zwischen einem Gelehrten und einer Theaterdame überhaupt denkbar und möglich sei und mußte es sich verneinen. Di-e Ehe eines großen deutschen Denkers mit einer gefeierten Sängerin stand als warnendes Exempel vor ihm. Doch das änderte nichts an dem Factum: er war gebunden und hatte nichts zu thun, als dem kategorischen Imperativ zu folgen. Immer wieder erwachten Zweifel in ihm, aber er gebot ihnen Schweigen. Dabei machte ihn seine Pflichttreue nicht glücklich, ja er mußte sich sagen, daß er in seinem ganzen Leben, das bisher so glatt und ruhig verlaufen, nie so unzufrieden mit sich selbst gewesen sei. Vor vier Wochen noch hätte er den Gedanken an eine solche Heirath mit Empörung von sich gewiesen, jetzt hatte er sich damit vertraut gemacht. Seine Zweifel waren il. 5 66 nicht widerlegt, aber durch den Gedanken der Pflicht und einen' Theil Leidenschaft zurückgedrängt, mußten sie schweigen. Fräulein Anselmi dagegen, die ebenso vor Wochen die Verbindung mit der guten Schulmeisterseele — so nannte sie Klein — ganz undenkbar gefunden hätte, sah jetzt die Sache anders an. Es lag einmal in ihrer Natur, von den hochfliegendsten Aussichten zu sehr nüchternen zurückzukehren, und diese Zeit der Depression war für sie gekommen. Sie überschaute ihr Leben. Hier, wo ihr das Glück eine Weile so absonderlich schön gelächelt, war sie wieder durch die Ränke der Frau von Feldern zurückgeworfen worden. Ihr Glaube an ein Mißgeschick, das sie persönlich verfolge, trat wieder hervor. Mehrmalige Versuche, reiche und große Partien zu machen, waren jedesmal gescheitert. Sie näherte sich jetzt den Dreißigen und hatte Verstand genug, einzusehen, daß ihr Talent der Unterstützung durch ihre Erscheinung gar sehr bedürfe. Den wahrhaft großen Künstlerinnen durste sie sich nicht beizählen, sie hatte sich nir- gendwo dauernd in der Gunst des Publikums erhalten. Mußte sie, wenn sie Klein heirathete, auf's Theater verzichten? Solch ein Opfer kam ihr nicht in den Sinn, wohl aber begriff sie die Vortheile, die ihr aus dieser Verbindung erwachsen konnten. Der Titel Fräulein klingt nicht mehr gut, wenn man sich den Dreißigen nähert. Die journalistischen Verbindungen Kleines versprachen ihrem Namen häufigere Nennung und erneuerten Glanz. Seine Stellung konnte durch Lutteroth verbessert werden, jedenfalls hatte sie als seine Gattin eine ganz andere Stellung als bisher in der Gesellschaft zu gewärtigen. Als Mann hatte ihr der blonde Gelehrte gar gut gefallen, obgleich sie dessen wirklichen, dessen innern Werth zu würdigen ganz außer Stande war. So hatte sie nach und nach den Schwärm ihrer lärmenden Verehrer verabschiedet und häuslichere Gewohnheiten angenommen. Sie war aus dem theueren Hotel, das ganz außer Verhältniß zu ihren Mitteln stand, fortgezogen und hatte sich in eine noch immer hochelegante, aber 5 * 68 wohlfeilere Wohnung eingemiethet. Klein sah diese Einschränkungen und war geneigt, diesen Maßregeln, die doch nur aus ihrer Klugheit hervorgingen, einen innern Werth beizulegen. Er reflectirte viel darüber und deutete schließlich Alles, wenn es sich nur erst befestigt hätte, zu seinen Gunsten, als eine Möglichkeit des Glückes. Er hatte das Wort Heirath noch nicht über den Rand der Lippen gehen lassen, wälzte aber Tag und Nacht den Gedanken daran im Kopfe herum. Manchmal stieg das Bild eines lieblichen Mädchens vor ihm auf, das seine Schülerin war und mit verehrungsvolleu Augen zu ihm emporsah, aber vor der stolzen Schönheit der tragischen Liebhaberin mußte das einfache Bürgerkind bescheiden in den Schatten treten. Eines Abends hatte sich Klein mit seinem Besuche fast um zwei Stunden verspätet. Es war um die Dämmerungszeit. Er fand die Thüre des Vorzimmers offen, entledigte sich seines Ueberrockes, den er an einen Haken des Kleiderrechens aufhing, und war eben im Be- 69 griffe, an die Thüre der Geliebten zu pochen, als Alere, das Dienstmädchen, rasch herausfuhr. „Fräulein sind recht unwohl!" sagte sie in ängstlich gedämpftem Tone, den Finger auf dem Mund, wie wenn sie in einem Krankenzimmer wäre. „Mein Gott, doch nichts Ernstliches?" murmelte Klein erschreckt. „Hoffentlich nicht. Wohl nur die gewöhnliche böse Migräne. Das Fräulein war den ganzen Tag über sehr fleißig, beschäftigte sich mit der Herstellung der Toilette für „Donna Diana" und richtete sich dann ihr Boudoir her. Mindestens zwölf Lorbeerkränze — die schönsten mit den breitesten Bändern — hat sie da aufgehängt. Ob sie sich dabei erkältet hat? Ich weiß nicht. Sie fühlte plötzlich Kopfschmerz. Nun wünscht sie sich möglichste Ruhe. Bis vor Kurzem hat sie Sie erwartet, nun aber hat sie sich niedergelegt. Ich glaube, sie schläft schon." „Ich werde morgen früh wieder anfragen," sagte Klein, auf leisen Sohlen den Rückzug an- — 70 tretend. „Melden Sie ihr, wenn Sie sie noch sehen sollten, mein innigstes Bedauern, meine besten Grüße und Wünsche für ihre Besserung." Das Mädchen versprach es. Und Klein trat wieder an den Kleiderrechen, zog den Ueberrock an und ging fort. Er bedauerte die Geliebte, die krank dar- niederlag, und ärgerte sich über sich selbst, daß er darüber nicht unglücklicher war. Denn in der That war es ihm gar nicht unangenehm, einmal einen freien Abend vor sich zu haben. Es war wohl ein Göttersest, das schöne Weib zu umschlingen, es war aber auch sehr angenehm, einmal den Druck nicht zu spüren, der ihn fest und sicher dem Hafen der Ehe zuführte. Er merkte, wie er durch diese Verbindung aus dem Kreise seiner Freunde herausgekommen und in gesellschaftliche Klassen hiueingerathen, für die er nicht passe. Er war der Adelswelt und den bloßen Genußmenschen immer vorsichtig aus dem Wege gegangen, nun mußte er zu ihnen in Beziehung treten; denn das Schauspielervolk bildet ein Anhängsel dieser Kasten. 71 Ihm graute, wenn er die Kreise der eigentlichen Freunde und Verehrer seiner Geliebten übersah! Und nun seine alte Mutter, die nicht ohne ihn leben konnte! Wie sollte die sich zur Schauspielerin stellen? War eine Hoffnung da, daß sie sich jemals verständigten? Ihm war, als ginge es an Fräulein Anselmi's Seite zur Fahrt in ein sremdes Land, in dem er nie heimisch werden könne.... Und sie selbst? Ließ es sich hoffen, daß sie jemals seine Interessen zu ihren eigenen machte? Hatte sie Verständniß, Geduld, Zeit, Sinn dafür? Er hatte schon oft versucht, sie in seine Welt einzuführen, hatte aber immer gesunden, daß der seichteste Theaterklatsch sie mehr inter- essire, als alle Probleme der Gegenwart. Er hatte ihr Bücher gebracht, sie hatte sie angesehn, hatte gegähnt und sie bei Seite gelegt. Das einzige Buch, in welchem sie gern las, war ein Buch, das ihr der Buchbinder zu Stande gebracht hatte. Auf den weißen Blättern desselben pflegte sie seit Jahren die ihr günstigen Recensionen einzukleben.... 72 Dies alles bedenkend seufzte Lorenz Klein aus tiefster Brust. „T es wäre besser, wenn ich minder glücklich liebte!" dachte er und schlenderte langsam und auf Umwegen der Redaction entgegen, wo er noch etwas abzugeben hatte. Im schmalen, nur von einer Ocllampe erhellten Corridor traf er Thaidinger. „Hier, Bester," sagte er, „ist das gewünschte Manuscriztchen!" Er zog ein Blatt aus der Tasche, das er Thaidinger übergab. „Willst Du nicht hereinkommen?" fragte dieser. „Zoller ist da. . . ." „Er schreibt gewiß und ich mag ihn nicht stören," sagte Klein. „Morgen oder übermorgen besuche ich ihn in seiner Wohnung." Er wollte forteilen. „Du, hör' einmal," rief Thaidinger ihm nach, „da hast Du Dich geirrt. Das ist nichts Geschriebenes, das ist etwas Lithograzihirtes. Ein Menü —" „Merkwürdig!" sagte Klein und fuhr wieder 73 rasch in die Brusttasche. „Aha, da hab' ich das Rechte!" Wieder übergab er Thaidinger ein Papier. „Auch das ist es nicht!" rief Thaidinger, das Ding beim Schein der Lampe prüfend. „Das ist das Repertoire der nächsten Woche—" „Ich bin doch merkwürdig zerstreut," rief Klein lachend und in allen Taschen herumfahrend. „Verkehrtes hab ich eingesteckt und das Nichtige zu Hause gelassen." „So geht's, wenn man Frauenzimmer im Kopfe hat," meinte Thaidinger. „Heute noch sende ich Dir das Bewußte unter Couvert," erwiderte Klein, ohne auf den Vorwurf weiter einzugehen. Er eilte die Treppe herunter und stellte sich an die nächste Gaslaterne. ü la xuräe ä'artielrots — 8kkr- latck ä Irr Russe — gssneau L la ^Vtz^inore- tanck — 8ansslier," las er. „Wie bin ich doch zu diesem Küchenzettel gekommen?" fragte er sich. „Wann habe ich das Alles gegessen? Mein 74 Magen hat wirklich ein gar zu kurzes Gedächtniß . . Noch war er in Nachdenken darüber versunken, als ein Blick auf seinen Rock ihm Alles erklärte. Derselbe paßte ihm wie auf den Leib gegossen, hatte aber neue Knöpfe und eine andere Farbe bekommen und war mit einem. Worte nicht der seinige. Zu Hause hatte er doch den seinigen angezogen — wo hatte er' den fremden eingetauscht? Offenbar nur inr dunklen Vorzimmer des Fräuleins AnselmO Also: während die Geliebte, an heftiger Migräne leidend, zu Bette lag und ihn nicht empfangen konnte, war Jemand bei ihr. Wer war es? Eifersucht und wilder Zorn erwachten in dem sonst so ruhigen Manne. Nachdem Klein ein paar Straßen auf- und abgelaufen war, ohne zu einem Entschlüsse kommen zu können, wendete er sich schnurstracks der Wohnung der Künstlerin zu. Er klingelte scharf, Alexe öffnete ihm, unleugbar mit einem verblüfften Gesichte, sie wollte das vorher Gesagte wiederholen und ihn abweisen; er aber, sie bei- 75 feite drängend, stürmte vorwärts, durch den halbdunklen Salon in das daran anstoßende Cabinet, dessen mousselinverhängte Glasthüre einen starken Lichtschimmer hereinfallen ließ. Auf einer Causeuse, pittoresk hingelagert, im reizendsten der Costüme, ruhte Fräulein Anselmi. An dein herangerückten runden Tisch saß der Intendant des Hoftheaters, Gospot-Kircher, und knackte noch einige Krachmandeln, die zu den Ueberresten des gemeinsam verzehrten Soupers gehörte». Klein blieb beim Anblicke dieses Nstö-L- tet,8 wie vom Blitze getroffen, Fräulein Anselmi richtete sich mit einem verlegenen Gesichte auf, nur Gospot-Kircher war ganz ruhig und suchte der Sache eine humoristische Seite abzugewinnen. „Ihre Migräne hat sich unter ärztlicher Behandlung schnell gegeben," war das erste Wort, das von Klein's Lippen kam. „Mein Kopfleiden," sagte Fräulein Anselmi, „ist nervöser Natur. Es war den ganzen Tag über äußerst heftig, plötzlich Abends war es wie weggeblasen. Da ich seit achtzehn Stunden nichts über die Lippen gebracht, ließ ich mir nun mein Mittagessen als Souper serviren. Unser lieber Intendant traf mich, als er vor zehn Minuten hier eintraf, in voller Thätigkeit und war so freundlich, mit theilzunehmen." „Wie schlimm, daß ich Sie Lügen strafen muß, Fräulein Anselmi!" sagte Klein. „Als ich vor etwa anderthalb Stunde» vor Ihrer Thüre abgewiesen wurde, saß der Herr Baron schon hier." „Das ist zum Lachen!" rief die Schauspielerin. „Alexe wird es Ihnen bestätigen können —" „Und ich werde sie widerlegen," erwiderte Klein, „denn ich trage den Beweis dessen, was ich sage, mit an meinem Leibe herum . . . ." Er riß an seinem Rocke. „O, mir das in's Gesicht zu behaupten — doch wie sagt der Dichter: „Alt ist das Wart, doch bleibet hoch und wahr der Sinn, Daß Scham und Schönheit nie zusammen, Hand in Hand, Den Weg verfolgen über der Erde grünen Pfad —" 77 „Na," fiel der Baron, gezwungen lachend, in die Rede, „fein ist Ihr Citat nicht und die Verse, von wem sie auch sein mögen, lahm und schlottrig. Eigene Arbeit, Herr Doktor?" „Nein, nicht eigene Arbeit, hochgeehrter Herr- Intendant!" erwiderte Klein. „Es sind Verse und vielleicht die allerberühmtesten aus dem zweiten Theile des „Faust", den auf die Bühne zu bringen Sie sich zur Lebensaufgabe gemacht haben. Was dem Lande diese Absicht schon kostet, dürfte leicht nachzurechnen sein." ' . „Sie werden sehr anzüglich. Klein," sagte der Intendant, „doch heute nehme ich Ihnen nichts übel. Werden Sie ruhig, setze» Sie sich zu uns und nehmen Sie an einem zwanglosen Mahle Theil." Er langte bereits nach den Flaschen. „Ja wohl, zwanglos! Zwanglos im buchstäblichen Sinne des Wortes! Zwanglos, wie die Soupers in den Pariser Restaurants, wenn der Opernball zu Ende!" erwiderte Klein, mit einem wilden Blick auf Fräulein Anselmi's ver- 78 führerisches Negligv. „Zu zwanglos für meinen Geschmack!" Bei diesen zornig hingesprochenen Worten begann das Phlegma des Barons zu schmelzen. Er erhob sich in ganzer Höhe und fragte: „Beabsichtigen Sie eine Othelloscene aufzuführen? .... Wie kommen Sie dazu? Besitzen .Sie hier Hausrechte?" „Zum Glücke noch nicht!" erwiderte Klein. „Und war ich Thor genug, sie mir zu wünschen, der heutige Abend lehrt mich darauf verzichten! .... Fräulein Anselmi, ich habe einen angeborenen Widerwillen gegen Masken, und wo ^sich die Schauspielkunst ins Leben fortsetzt, halte ich nicht mit. Leben Sie wohl! Auf der Bühne will ich Ihre Kunst, zu täuschen und sich zu verwandeln, bewundern, aber der Betrogene in der Comödie zu sein, die Sie zu Hause spielen, dazu fühle ich mich zu gut!" Es wäre für einen unbetheiligten Vierten, der diese Scene mit angesehen hätte, eine Freude gewesen, den ehrlichen Zorn, den sich selbst befreienden Losbrach in dieser sonst so schüchternen 79 und zurückhaltenden Natur zu sehen. Erhobenen Kopfes stand der junge Mann da, während Fräulein Anselmi bleich und verstört dasaß und ckein Wort aus ihren sonst so beredten Lippen hatte. Der protzige Hoftheaterleiter, der mehrmals ritterlich einsetzen wollte, kam nicht über 4>ie mangelhaftesten Versuche hinaus. Klein hatte sich indessen des verhängnisvollen Rockes, der ihm wie ein Nessusgewand am Leibe zu brennen schien, entledigt, zwei Blätter sielen auf den Boden. „Hier, Herr Baron," sagte Klein, „die beiden Objecte, um die sich von jeher Ihre Weltanschauung gedreht: ein Menü und ein Wochen- Nepertoire!" Er legte Beides auf den Tisch. „Und nun viel Vergnügen!" Damit war er fortgestürzt. Eine Viertelstunde später stand Klein vor seinem Freunde, der am Tische eines in der Nähe j>er Redaction gelegenen Speisehauses allabendlich zu gewohnter Stunde zu treffen war. „Da, lieber Hermann, bin ich wieder!" rief 80 er mit gedämpfter Exaltation. „Nimmst Du mich wieder auf?" „Warst Du mir denn wirklich jemals verloren gegangen?" fragte Zoller lächelnd. „Doch, doch," sagte Klein, wie ein reuiger Sünder. „Ist Dein Verhältniß zur Anselmi gelöst?" 'fragte Hermann. „Auf immer und ewig." Zoller reichte ihm die Hand hin und drückte die des Freundes energisch. Klein erzählte dem Freunde den ganzen Vorgang. „Es konnte nicht besser kommen, als es gekommen ist. Deine Freunde und Alle, die es gut mit Dir meinen, waren über Dich in Sorge und Trauer, aber wie war Dir zu helfen, da Du nichts mehr von uns wissen wolltest? Du warst einem Phantasiereiz erlegen. Der Ekel, das höchste Mißfallen hat kommen müssen, um Dich mit der Kraft eines Emeticums zu heilen. Jetzt bin ich um Dich weiter nicht in Sorge. Nun wird Ortsveränderung und neuübernom- — 81 mene Pflicht das Uebrige dazuthun. Dich völlig wieder herzustellen." „Wie meinst Du das? Ortsveränderuiig . . fragte Klein. „Nun," sagte Hermann, „Tu weißt doch, daß Du die Professur erhalten hast?" „Kein Wort." Er war auf's Höchste erstaunt. „Deine Ernennung steht im heutigen Amtsblatte." „Wird sich meine Mutter freuen!" sagte Klein. „Du freust Dich doch hoffentlich auch?" „Meine Ernennung —" sagte Klein mit stockender Stimme, „ich fürchte, ich fürchte, ich verdanke sie — zum Theil wenigstens, meinem geheimen, zukünftigen, jetzt allerdings nicht mehr zukünftigen Schwiegerpapa. Herr von Lutteroth ist ihr Vater." „So sagt die Welt," erwiderte Zoller. „Doch vor Allem verdankst Du Deine Ernennung Deinen Verdiensten. Du hättest die Professur schon lange, wenn das frühere Ministe- ii. 6 82 riuin am Ruder geblieben wäre. Das jetzige hatte die Absicht, die schwebende Angelegenheit zu beseitigen — wer mag nachforschen, wieso und wodurch es auf den rechten Mann zurückgeführt worden ist, wie es dazu gekommen ist, gerecht zu sein? Du darfst die Stelle mit voller Beruhigung hinnehmen. Dir ist nur das geworden, was Du verdienst." Klein schwieg nicht ohne Bewegung. Ihm war der Urtheilsspruch des Freundes von jeher wie ein Orakel. „Du wirst Dich bald an den Ort Deiner neuen Thätigkeit begeben müssen," fuhr Zoller fort. „Er ist nicht so weit, um uns auseinander zu reißen und dennoch weit genug, daß wir uns manchmal ein Vierteljahr nicht sehen werden. Ich werde Dich schwer vermissen, jetzt schwerer als je. Liebende sind egoistisch; wärst Du nicht ganz in Deiner Leidenschaft gesteckt, hättest Du merken müssen, daß auch mit mir etwas vorgegangen. . . ." Klein horchte hoch auf und sah dem Freunde prüfend ins Gesicht. 83 „Du sollst Alles erfahren," sagte Hermann. „Aber ein andermal. Heute hast Du genug zu thun, mit Dir selbst fertig zu werden. Heute nichts mehr davon, keine Sylbe!" 84 Einigt Tage nach der Ernennung Klein's zum Professor der Kunstgeschichte bewegte sich, in den Abendstunden ein kleiner Zug zu Fuße nach dem nicht allzufern gelegenen Bahnhöfe. Es waren Freunde, die dem Scheidenden das Geleite gaben. Voran, an der Seite der alten Frau, ging Hermann, in der Absicht, den Freund an seinen neuen Aufenthaltsort zu begleiten und dem unpraktischen Manne bei seinem Eintritts in lauter neue Verhältnisse zur Seite zu stehen. Die Wohnungsfrage lag der alten Dame gar sehr am Herzen und während sie zurückblieb und das Einpacken des Mobiliars besorgte, sollte Hermann dem Sohne ein Quartier nach ihrem Herzen ausfindig machen helfen. 85 In zweiter Reihe schritten Klein und Thaidinger. Sie hatten ein junges Fräulein in ihre Mitte genommen, hochgewachsen, blond, von sanften, angenehmen Zügen, welches, wenn es auch Thaidinger, der heute besonders gesprächig, ein Ohr zu leihen schien, doch fortwährend nach dem jüngeren Begleiter die blauen Augen verstohlen gleiten ließ. Es war Hildegard, Klein's Cousine. „Unsere germanische Eiche ist heute ganz besonders sentimental," sagte Thaidinger mit einem ironischen Blicke aus Klein. „Sie senkt das Haupt und nur melancholische Seufzer entsteigen dem Wipfel. Hat man je einen jungen Mann so traurig seinem Glücke entgegengehen sehen?" Auch das Fräulein war nicht zum Scherzen aufgelegt und blieb still. „Er muß doch etwas hier zurücklassen, was ihm besonders lieb ist," fuhr Thaidinger beharrlich fort. Was mag das wohl sein? Die Mutter geht ja mit und seine Bücher kommen auch bald nach." 86 Diese Neckereien waren Klein unangenehm, mochten sie nun auf Fräulein Anselmi oder auf die Cousine zielen. Er erwiderte: „Rede doch nicht so. Stelle Dich nicht härter, als Du bist. Bin ich denn ein Nomade, der gleichgiltigen Herzens das Zelt abbricht und weiterzieht? Ich verlasse meine Vaterstadt, das alte Haus, in dem ich so viele Jahre gewohnt. In Stunden, wie diesen, zieht die ganze Vergangenheit an uns vorüber. In wenigen Tagen werde ich meinen ältesten und besten Freund von mir scheiden sehen. Wer wäre nicht ernst an meiner Stelle?" Hildegard warf Klein einen dankbaren Blick zu. „Das wird ein trüber Winter werden!" sagte sie. „Ach, diese Lese-Abende! Wie viel Mühe, Lorenz, hast Du Dir gegeben, etwas Kenntnisse in meinen Kopf zu bringen! Das bleibt nun Alles liegen. . . ." „Dafür sollen Sie dieses Jahr mehr tanzen!" sagte Thaidinger. „Besser Bälle, als Lesekränzchen." „O, davon will ich gar nichts hören!" rief 87 Hildegard. „Ganz und gar nichts. Der bloße Gedanke daran ist mir schrecklich." „Wie schwer wäre es mir doch sonst geworden die Stadt zu verlassen und das Haus, wo ich meinen Sohn zum Bkanne heranwachsen sah", sagte indeß Frau Klein zu Hermann. „Jetzt bin ich fast froh, daß wir fortziehen." „Und ihn der gefährlichen Zauberin entrücken? —" sagte Hermann. „O, von dieser Seite ist keine Gefahr mehr, der Zauber ist gebrochen, der Kranke hat die Krise überstanden." „Ja, wenn das so gewiß wäre!" meinte Frau Klein. „Wenn man eine schwere Krankheit überwunden hat, ist man noch lange nicht vor Rückfällen sicher . .. ." Sie waren in der Bahnhofshalle angekommen. Das Locomotiv dampfte schon, zischende Laute, grelle Pfiffe mischten sich miteinander, Gepäckkarren wurden eilig vorbeigeschoben und bedrohten Knie und Beine, da und dort stand eine Gruppe um einen Abschiednehmenden. Da kam noch ein Dienstmann, der sich den Schweiß von der Stirne wischte, rasch an Klein 88 heran und übergab ihm einen Brief. Dieser sah die Adresse flüchtig an und steckte ihn rasch, ohne ihn zu öffnen, ein. „Wer schreibt Dir noch in letzter Stunde?" fragte die Mutter. „Ein Abschiedsbillet. Es hat gar keine Bedeutung," erwiderte der Sohn. „Wenn ihn das unglückselige Frauenzimmer nur losläßt," flüsterte die Mutter Hermann zu. „Da hat sie ihm wieder geschrieben. Er sagt mir nichts davon, aber ich weiß Alles. Reden Sie ihm ordentlich zu, lieber Doctor!" Hildegard hatte nicht gefragt. Aber eine leichte Nöthe auf Klein's Wange und die Hast, mit der er den Brief zu sich gesteckt, hatten auch ihr Alles gesagt. Sie fühlte es wie einen Dolchstich. Sie nahm ein strenges Gesicht an und trat, ohne es zu wissen, zurück in den Hintergrund. „Nur gelassen, wir kommen noch fort!" sagte Hermann zu seinem Freunde, der ganz nervös geworden war. Er hatte zugleich das richtige Coupö ausfindig gemacht und schwang sich rasch 89 empor. Klein in der Handhabung seiner Effecten behilflich zu sein. „Leb' wohl, lieber Lorenz!" sagte die Mutter am Halse des Sohnes. „Und schreib' recht bald und recht ausführlich." „Leb' wohl, Vetter," sagte Hildegard und reichte ihm eine kleine, zitternde Hand. In ihren Augen standen Thränen. „Wie lange hab' ich Urlaub?" wendete sich Hermann an Thaidinger. „Drei, vier, fünf Tage!" war die Antwort. „Geh' nur dem Umzug in die neuen Localitäten aus dem Wege. Aber am Dreizehnten gehts in der Kammer los." Der Zug setzte sich in Bewegung. Das schnaubende Ungethüm, der Menschen- sracht vorgespannt, war bald draußen vor der Stadt und schien auf offenem Felde erst recht lebendig zu werden. Weit, weit streckt sich die herbstlich graue Fläche, der schwere Wolkenzüge am Himmel den Eindruck starrer, abgeschlossener Ruhe geben. Auf den Stoppelfeldern weiden Schafheerden und senken die Köpfe erschrocken, 90 wie das Ungethüm herkommt. Man fliegt am Arsenal vorbei, an Kasernen, an kleinen Dörfern und einzelnen Weihern. Schwarze Vögel verlassen aufgescheucht die schwirrenden Telegraphendrähte und ziehen schaarenweise dem Felde zu. Man befand sich in einer weiten Landschaft, die von der in einer Wolkenwand untergehenden Sonne nur streifenweise beschienen war. Die Freunde, die einander gegenüber in den Eckplätzen saßen, allein miteinander, schwiegen eine geraume Zeit. Klein hatte den vom Dienstmanne ihm über- gebenen Brief hervorgezogen, ihn wiederholt durchgelesen und war in tiefes Nachdenken versunken. „Tu hast noch einen Brief von Fräulein Anselmi erhalten?" sagte Hermann. „Was schreibt sie Dir denn?" Lorenz reichte dem Freund das Blatt mit kaum unterdrückter Bewegung hin: Zoller las: „Wie schrecklich straft sich die kleinste Un- 91 Wahrheit! Weil ich einen Besuch vor Ihnen verleugnen ließ, aus dem Gefühl heraus, daß Begegnungen zwischen Director und Kritiker selten erfreulicher Natur sind —^darum, ja darum habe ich das Herbste erfahren müssen! Sonst habe ich doch nichts an Ihnen verbrochen. Aber die Fassungslosigkeit, mit der ich Ihre Zornausbrüche hinnahm? Wo Verstellung Worte findet, bleibt Unschuld stumm und hat nur den Schmerzensblick des Vorwurfs! Sie haben arg an mir gefrevelt. Freund! Werde ich Ihnen je verzeihen können? Darf ich es, ohne meinem Stolze zu viel zu vergeben? O, diese Tage! Sie haben mich mürbe gemacht, sie haben mich gelehrt, daß mein Leben des Ihrigen bedarf. Es scheint mir ohne Sie kaum zu bestehen. Jeden Tag — jede Stunde habe ich Sie erwartet: als reumüthigen Sünder, mir zu Füßen! Aber, o die Männer sind hart, hart und kalt. Wie lange müßte ich warten? Bis zur letzten Minute bäumte sich mein Stolz; er muß kommen! Nein, er geht, geht ohne Abschied. Das ist zu viel! Allein, freundlos, von ihm verkannt — 92 das trage ich nicht. Eilen Sie zurück. Freund, sonst komme ich. Alles beiseite werfend, zu Ihnen. . . „Rührende Klagen!" sagte Hermann ironisch, nachdem er zu Ende gelesen. „Lauter Mißverständniß, Weltunerfahrenheit, die sich nicht rechtfertigen kann!" „Thue ich ihr doch nicht am Ende Unrecht?" fragte Klein ganz kleinlaut. „Unrecht! Ueber die schmähliche Thatsache der vorgespiegelten Krankheit und darüber, daß Sie in Gegenwart eines Dritten Dich zu belügen versuchte, geht sie eilig hinweg. Das Souper war harmlos. Das Däto-ü-tsts Zufall. Was solltest Du denn noch mehr sehen, um überzeugt zu sein? frage ich. Der Kniff, Dir Vorwürfe zu machen,, gehört zu den allerplumpsten. Sieh, ich finde in der ganzen Epistel keinen Gran wahren Gefühls. Alles Schminke, Lüge, Carmin und Bleiweiß! Alles dem Farbenkasten der Phrase entnommen!" „Und was soll ich thun? Was ihr schreiben?" „Du sollst den Brief keiner Zeile Antwort 93 würdige». Schweigen ist auch eine Antwort. Keine Debatte über das, was Dn doch mit eigenen Augen gesehen hast." „Und wenn sie kommt?" „Sie wird es bleiben lassen.... Doch da haben wir auf der zweiten Seite noch eine Nachschrift. Was sind wir für zerstreute Leute! Wir hätten sie fast übersehen!" Hermann bog das Blatt um und las, während Klein mit vorgestrecktem Kopfe zuhörte. Folgendes: „Postscript. Fast hätte ich vergessen. Dir, lieber Freund, zur Erlangung Deiner Professur zu gratuliren. Wo blieb mein Kopf? Ach, vor dem Affront von neulich, über den Schmerz, den Du mir zugefügt, ist alles Weitere in den Hintergrund getreten. Nun, ich wünsche Glück. Herr Professor Klein klingt sehr gut. Vergiß nicht. Bester, einige Zeilen an meinen edlen Beschützer, Herrn von Lutteroth, zu richten, an den Mann, dem Du in schroffer Parteistellung nie Gerechtigkeit widerfahren ließest, und der 94 nun — — ich weiß, sein Wort war von entscheidender Wirkung.... 2. Postscript. Ich überlese meinen Brief und sehe, daß das „Du" des Postscripts nicht zum „Sie" der ersten Seite stimmt. Pardon, Herr Kritiker! Pardon!" Klein's Wangen waren hochgeröthet. „Auch das noch!" rief er, plötzlich wild auf- sahrend. „Ihr soll ich die Stelle danken! Wenn das wahr wäre — wenn das Jemand glauben könnte — wenn Jemand so dumm oder so boshaft wäre —" „Sei ruhig. Freund," tröstete Hermann. „Die Frau ist klug, sie kennt Dich. Sie bringt alles vor, was Dich binden kaun und thut es so unvorsichtig, daß sie dabei sogar Deinem Stolz zu nahe tritt. Laß gut sein! Du bist kein Günstling. Wer Dich für ein Protections- kind der Hofpartei hält, mag sich für's Geld sehen lassen! Das ist mein letztes Wort. Und nun den Kopf in die Höhe und frischen Muth!" „Ja, Du giebst mir wieder Muth!" rief Klein, des Freundes Hand ergreifend und schüt- 95 telnd. „Ich bin wieder ruhig, wenn ich Dich zur Seite habe. Wie danke ich Dir, daß Du mir das Geleite gibst!" „Ich verdiene keinen Dank!" versetzte Hermann. „Wenn Du wüßtest, wie mir zu Muthe ist, wüßtest Du auch, daß ich es daheim nicht aushalte. Mir wirbelt der Kops; ich brauche Bewegung." „Ich weiß, ich weiß, wie Dir ums Herz sein muß." „Eine eigenthümliche Stimmung ist in mir," fuhr Hermann fort, „eine grenzenlose Unruhe und Unzufriedenheit. Wo ich nicht bin, dahin zieht es mich, und wo ich sitze, glaube ich es nicht aushalten zu können. Ich frage mich, was nur wieder aufhelfen kann?" Klein drückte theilnehmend des Freundes Hand. „Sieh," sagte Hermann, „eine zwiefache Last liegt auf mir. Ich habe Dir Alles erzählt. Du weißt, was in dieser letzten Zeit auf mich einstürmte. Was ist aus Emma geworden? Das ist das Eine. Kann ich ihr helfen? Nein, ich 96 muß Alles gehen lassen, wie es geht. O, diese Liebe war schon von Anfang an zu einem gewaltsamen Ende verurtheilt. Ihre Mutter — so fremd sie ihr auch stehen mag, sie ist doch ihre Mutter. Und diese Erziehung! Emma wird am Kloster zu Grunde gehen. Wenn ich sie je wiedersehe, wie werde ich sie finden? Ach, das sah ich schon von allem Anfang an, schon am Tage, als mir ihr erster Brief ihre Herkunft enthüllte! Aber Eines fesselte mich so stark und immer wieder auf's Neue: ihre Hilflosigkeit. Einen Freund kann man dulden und kämpfen sehen — er fällt neben uns von einer Kugel getroffen, wir reichen ihm ein letztes Mal die Hand und stürmen weiter. Aber ein Mädchen, das uns zu seinem Schutze anruft: das ganze Herz füllt sich mit Mitgefühl, alle Fassung weicht und das Auge füllt sich mit Thränen, weil sie weint. Also das ist das Eine: der Kummer um sie. Nun das Andere! Ich sage Dir, seit meiner Unterredung mit dem Polizei-Director Lutteroth habe ich keine ruhige Stunde mehr. An der Geschichte unserer Abkunft darf nicht 97 gerüttelt werden, wenn wir im Geleise bleiben sollen. Zweifeln, Grübeln und Deuteln ist seitdem bei mir eingekehrt. Ich besitze nichts von meinen Eltern. Es waren arme Leute. Nicht einmal ihre Bilder habe ich, von irgend einer Stümperhand in Oel gemalt, aber ich trage ihren Namen, ich bin mit ihm verwachsen. Da kommt nun Einer und rüttelt daran. Gestern hat mich der Polizei-Director wieder zu sich gerufen und mir gesagt: Alles sei in Ordnung. Er habe sich geirrt. Mich beruhigt die Erklärung nicht. Wer bin ich? frage ich mich . . . . Hast Du, wie ich Dich bat, mit Deiner Mutter über die Sache gesprochen?" „Ich habe es," erwiderte Lorenz, „Deinem Wunsche, Deinem Auftrage gemäß gethan. Wir haben gestern darüber stundenlang verhandelt. Meine Mutter weiß nichts. Die Eheleute Zol- ler, sagte sie, hielten Dich immer ganz wie ihr eigenes Kind. Namentlich warst Du der Liebling der Frau. Daß Du das kleine Vermögen des Kaufmanns Zoller nicht geerbt hast, siel ihr auch auf. Aber sie war damals jung, küm- ii 7 98 inerte sich wenig um anderer Leute Sachen. Indessen, sagt sie, legte sie sich's doch aus ihre Weise aus —" „Nun? Rede!" „Ach, es war so eine Erklärung, wie sie Einem durch den Kopf geht —" „Sage, was sie meinte." „Nun, als in das Häuschen Zoller's Bruder als Besitzer einzog, fuhr es ihr durch den Kopf — aber Du darfst ihr deshalb nicht gram werden, — ob Dich nicht Frau Z oller in ihre Ehe hin- übergenommen, als ein —" „Ich verstehe. Wie sollte ich ihr gram sein! Ich will ja Wahrheit, Wahrheit. Erinnert sich Deine Mutter der Tante Denin?" „Gewiß, freilich, als einer wunderschönen Dame in der Mitte der Zwanzig. Sie wurde nur Fräulein Olga oder Tante Olga genannt. Meine Mutter hält sie für Deiner Mutter Schwester oder Halbschwester. Sie sagt: Wer Frau Zoller sah, wie sie Olga beim Wiedersehen an's Herz drückte und küßte und bewunderte, der zweifelte nicht, daß hier eine ältere, ganz in 99 der Hauswirthschaft aufgegangene Schwester mit einer Art Mutterliebe an der jüngeren, schöneren, begabteren, feiner erzogenen Schwester hing, und, stolz aus ihre Bildung und Schönheit, sich an ihr sonnte . . . „Das Verhältniß Beider bleibt doch rätselhaft!" murmelte Zoller. „Die unverheirathete Olga Denin kann die wahre Schwester meiner Mutter nicht gewesen sein, denn deren Familienname war Bürger. Es giebt hier allerdings etwas, was unklar ist. Und nun Olga's unendliche Liebe — wie sie herflog aus dem fernen Rußland nach dem Tode meiner Eltern — wie ihre Sorge in Allem und Jedem sich äußerte — o, ich weiß, ich war ihr mehr, als blos das verwaiste Kind einer Verwandten! Das fällt Einem nicht ein, so lange man glücklich ist, da grübelt man nicht. Aber ein Tropfen Verdacht in die Seele geworfen und Alles gährt und brodelt und wirbelt durcheinander. Wie viel schlafloses Sinnen in der Nacht! Was ziehen da alles für Bilder vorüber! Längstver- gessenes taucht auf. Neulich fiel mir ein, wie 7 * 100 wir — es war der letzte Reisetag — der Graf hatte seine Pferde entgegengeschickt und wir sollten noch vor Einbruch der Nacht auf dem Gute eintreffen — im Schlitten dahinflogen. Ich lag, in einen Frauenpelz eingewickelt, an der Seite der Tante; mich schläferte, nur dann und wann warf ich einen Blick über die weite Landschaft, wo da und dort ein kleines schwarzes Tannengehölz aus der Schneedecke hervorschaute. Der Abend war da, der Nachtsturm pfiff, da rissen die Pferde, vom Kutscher gepeitscht, wie rasend aus, denn ein Geheul, wohlbekannt, war aus dem Walde gekommen. Den Gesichtsausdruck Olga's, wie sie mich an ihre Brust drückte, vergesse ich nie. Näher und näher erscholl das Geheul, feurige Augen großer schwarzer Wölfe leuchteten aus dem Dunkel. Ich schrie laut auf und schloß die Augen. Wir entkamen. Dank den trefflichen Pferden. Aber so — so drückt nur eine zum Tode erschrockene Mutter ihr Kind aus Herz. . . ." Hermann hielt inne, in die Traumwelt der Erinnerung fortgerissen. >. 101 Der Zug war indeß langsamer gegangen. Er hatte die Knotenstation erreicht, wo der große Schienenweg aus dem Süden einmündete. Hier schien Alles in Bewegung. Die Einsteighalle wimmelte von Soldaten und Offizieren, dazwischen schritten höhere Beamte in Parade-Uniform. Man wurde daran erinnert, daß in der Nähe das große Herbstmanöver stattfinde. Der Zug hielt, der Schaffner riß den Schlag auf und rief: „Dreißig Minuten Aufenthalt! Man erwartet einen Separatzug mit Sr. Majestät dem König." Die Freunde sprangen aus dem Wagen und wandelten rasch, ohne dem Trubel irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken, der Restauration zu. Hier wurde an einem Tische Platz genommen und das Gespräch ging weiter. „Ja, in Dir gährt es!" sagte Klein. „Du willst Klarheit und chast sie nöthig. Nun, Du kannst sie haben. Es steht Dir doch ein Weg offen, die gewünschten Aufschlüsse zu erhalten. Olga Denin hat bei der Familie Uscheroff in Moskau gelebt, sie brachte Dich nach dem 102 Tode der Zollers bei ihr unter. Wenn die Leute noch am Leben sind, müssen sie sich doch noch des Knaben erinnern, den sie bei sich aufgenommen hatten. Schreibe an sie, verlange mit allem Nachdrucke Auskunft. Sie kann Dir unmöglich versagt werden. Dann wirst Du — so oder so — zur Ruhe kommen." „Du hast Recht, das will ich thun," erwiderte Zoller. „Dieser Tage — vielleicht schon morgen — schreibe ich den entscheidnngsvollen Brief. Wenn man mir nur Auskunft zu geben vermag und geben will —" In diesem Augenblicke erscholl ein Glockenzeichen, man sah einen Zug in die Bahnhalle einfahren, es war der Schnellzug aus dem Süden. Auch er hatte begreiflicherweise des erwarteten Separatzuges wegen Aufenthalt, die Reisenden strömten in die Restauration, der ganze Saal füllte sich. Hermann und sein Freund, Beide tief in Gedanken, ließen Alles ganz unbeachtet. Auf einer Bank, den Freunden schräg gegenüber, hatte eine junge Dame Platz genommen. 103 mit ihr war ein Herr gekommen, schlank, leicht, ergraut, in den Vierziger - Jahren, in grauer Kleidung, der sich jetzt gegen das Büffet bewegte. Die junge Dame blieb allein zurück. Ihre Augen musterten die bunten Gruppen, da fuhr sie plötzlich in freudigster Ueberraschung auf, eine helle, helle Rothe flog über die lieblichen Wangen. Sie nahm rasch ihren Weg quer durch den Saal und stand in der Nähe der jungen Leute. Hier blieb sie wieder, da keiner von ihnen sie beachtete, zögernd stehen. „Hermann —" hauchte sie leise vor sich hin. So leicht auch das Ltzort über die Lippen der jungen Dame gegangen war, der Angeredete hatte es gehört und war, Emma Hamond erkennend, wie emporgeschnellt aufgesprungen! Wer lange Zeit durch Hindernisse ferngehalten wurde und sich selbst eingeredet hat, er müsse verzichten und vergessen und nun die Geliebte plötzlich, unerwartet, unvermittelt, mit dem Lächeln der Liebe vor sich sieht, der zweifelt an der Wirklichkeit und meint, wachend zu träumen. 104 Es vergingen einige Secunden, bis Hermann eines Wortes mächtig war. Da hob Emma das Köpfchen nnd sagte in der lieblichsten Verwirrung: „Mein Gott, sind Sie es wirklich?" „Hier finde ich Sie!" rief Hermann. „Seit Wochen leb' ich in Sorgen um Sie! Ich war rathlos, hilflos. Selbst zu schreiben wagte ich nicht. Wo sollte ich Sie aufsuchen?" „Mir ist unerwartet und wunderbar geholfen worden!" sagte Emma. „Als ich Ihnen zuletzt schrieb, verzweifelte ich an allem Glück. Ich sah jeden Moment einer aufgedrungenen Reise, oder, besser gesagt, meiner Fortschaffung entgegen. Da ist plötzlich Herr von Feldern bei mir eingetroffen. Nur er konnte helfen, denn ihm setzten die Klosterfrauen keinen Widerstand entgegen. So bin ich fortgekommen aus dem böse», schrecklichen Kloster — fort für immer. Er handelt gegen den Willen meiner Mutter und ohne ihr Wissen. Er ist so gut zu mir! Er wird mich bei seinen Eltern in Grävenitz unterbringen. Ich habe Sie bereits in einigen Worten vom Wechsel 105 in meinem Schicksal unterrichtet. Heute schon, dachte ich, sollte der Brief in Ihren Händen sein." Hermann's Staunen war groß. Er sagte: „Was? Herr von Feldern war Ihr hilfreicher Geist! Ich staune. Er begleitet Sie jetzt?" „Sie sehen ihn dort — am Büffet — den Mann im grauen Rocke." „Er ist Ihnen wirklich freundlich gesinnt?" „Wie ein Baker. Ich sagte Ihnen doch, daß er mich bei seinen Eltern unterbringt." „Merkwürdig!" wiederholte Hermau n. „Den Mann hab' ich mir anders gedacht. „Haben Sie ihm gegenüber meiner Erwähnung gethan?" „Gewiß. Er — mißbilligt es, aber sanft, wie eine Kinderthorheit. Doch" — fügte sie leiseren Tones hinzu — „lassen Sie uns nicht hier stehen, wo er uns sieht, wenn er sich umkehrt. Sonst müssen wir uns in der nächsten Minute trennen . . . ." „Mein Fräulein," sagte Hermann rasch, Klein, der zurückgetreten war, vorstellend, „dies ist mein alter Freund Klein, der bewährteste aller Menschen. Ich hatte, so lange ich lebte. 106 nie ein Geheimniß vor ihm. Pater Loren;» heißt der edle Beschützer der Liebenden in Shakespeares Drama; er heißt auch Loren; und wiri> sür uns handeln. Lorenzo" — Klein verbeugte sich — „Lorenzo, sprich kein Wort, suche nicht. Dich angenehm zu machen, begieb Dich an's Büffet, wo der Herr im grauen Rock steht und eben zu zahlen Miene macht. Verwickle ihn in ein möglichst langes Gespräch und laß ihn nicht eher los, als bis der Zug abgeht. Wie Du es anstellst, sei Deiner Erfindungskraft überlassen. Nasch! Nasch!" „Ich will sehen, was ich ausrichte," erwiderte Klein lächelnd und entfernte sich unter Verbeugungen. Die Liebenden hatten sich indeß in die Vertiefung eines Fensters zurückgezogen. Hier erst dursten sie sich tief und lange ins Auge schauen, Ausbrüche der Freude machten sich laut in tausend und tausend abgerissenen Worten. Sie waren nicht mehr durch weite Fernen, nicht mehr durch wohlbewachte Mauern getrennt, die Hindernisse, die ihrer Liebe entgegenstanden, er- 107 schienen klein, mit allein Erlebten verglichen. So schwuren sie sich aufs Neue festes Ausharren, ewige Treue. Ein baldiges Wiedersehen wurde besprochen, Hermann sollte möglichst bald in Grävenitz erscheinen. Dies Alles wurde rasch, ohne Rücksicht auf Ort und Umgebung verhandelt; die steigende Unruhe rings umher, die der Ankunft des Separatzuges voranging, begünstigte die Unterredung. Manchmal ging Hermann einen Schritt vor, sah den treuen Lorenz, wie er den Herrn im grauen Anzug noch immer im Gespräch festhielt und trat dann wieder selig in die Fenstervertiefung zurück, um der Geliebten nochmals zu wiederholen, was er längst gesagt hatte. Da erscholl, ein Signal der Trennung, das Glockenzeichen. Langsam fuhr ein kleiner Zug mit reichvergoldeten Wagen in die Bahnhofshalle. „Nun heißt es scheiden!" sagte Hermann traurig. „Aber diese halbe Stunde war eine Erlösung von allem Leid. Ich habe sie durch manche schlaflose Nacht verdient." 108 Die Lippen neigten sich gegeneinander. „Lebe wohl, mein Hermann!" sagte Einma und drückte, selige Thränen im Auge, die Hand des Freundes. Dann ging sie langsam auf den Platz zurück, wo ihre Reise-Effecten lagen. „Einsteigen! Einsteigen!" rief der Schaffner. Einige Minuten später befanden sich Emma und Herr von Feldern im Wagen. Lange noch stand eine Gestalt am Fenster, langsam ein weißes Tuch gegen den Perron zu bewegend, wo zwei junge Männer im Schatten des Portals standen. Bald darauf setzte sich auch der zweite Zug mit Hermann und seinem Freunde in entgegengesetzter Richtung in Bewegung. 109 Die Hauptwoche der Manöver war herangekommen. Sie hatten mit einer Flankenbewegung zur Deckung eines von der Hauptstadt nach Norden entsendeten und dort vom — sup- ponirten — Feinde bedrohten Armeecorps begonnen. Der König, begleitet vom Kriegsminister und einer zahlreichen Suite, wohnte der Feld- übung bei. Mit seinem Eintreffen hatte der Angriff begonnen. Es ging vorwärts, auf und neben den gegen Großdorf führenden Wegen und Straßen, während das Gros gleichzeitig eine Diversion gegen Westen machte. Die Schützenhaufen nahmen Dörfer, durch den Widerstand des Feindes 110 — keinen Augenblick zurückgehalten. Ein Sturm auf Großdorf wurde unternommen und konnte selbst durch die überlegenen Kräfte des gedachten Feindes nicht zurückgeschlagen werden. Die Offensive blieb fortwährend glücklich, Ortschaft um Ortschaft kam in die Hände der Stürmenden. Kavallerie, in einer Senkung des Terrains versteckt, so daß sie verborgen blieb, brach zur rechten Minute hervor und traf den imaginären Feind blitzschnell und in furchtbarer Wucht in die Flanke. Er wurde mit größter Energie verfolgt. Mit diesen Bewegungen war ein Brückenschlägen über den Strom verbunden. Die gegen Mittag eintretende üble Witterung erschwerte die Ausführung dieser Arbeit ungemein. Der von mehreren Regentagen angeschwollene Strom ging hoch und das Heranführen der Pontons gegen Wind und Strömung, sowie die Einfügung und Verankerung der einzelnen Brückenglieder erforderte unter solchen Umständen eine doppelte Anstrengung. Trotzdem ging Alles gut; eine Brücke von mehr als siebenhundert 111 Fuß Länge wurde in weniger als fünf Viertelstunden hergestellt. Der König, das ganze Jahr hindurch an ein spbaritisches Leben gewöhnt, hatte sich heute, durch die Anwesenheit des preußischen General- Lieutenants von Reinecke, und einer Anzahl frenider Offiziere beherrscht, in einen strammen Mann, einen Mann der Strapazen verwandelt, der sich am leichtesten fühlt, wenn er die schweren Reiterstiefel anhat. Er mußte unter strömendem Regen Alles mitmachen. Aus allen Ortschaften der Umgegend waren Zuschauer herbeigeeilt, sich das militairische Schauspiel an- usehen. Dampfschiffe waren von der Residenz herübergekommen und hielten, dicht mit Menschen besetzt, dem bösen Wetter Stand, eine ganze Flottille von Booten und Barken umschwärmte die Uebungsstellen. Die sonst so öden Ufer boten weithin das Bild eines bewegten Lagerlebens dar. Eine in der Mitte des Stromes liegende, langgezogene baumlose Insel mit flachabsallen- den Ufern diente gleichsam als Mittelpfeiler der 112 Brücke. Dahin begab sich der König mit seiner militairischen Begleitung und bald darauf setzte sich die Mannschaft unter lautem Hurrah und dem donnernden Znruf der Zuschauer in Bewegung. Die Schiffsbretter dröhnten unter der gewaltigen Wucht, die Wogen gingen hüben und drüben hoch empor. Noch immer mischte sich der Zuruf der Menge in's Hurrah der Vor- überdefilirenden. An den Ufern spielte die Musik des Pionier-Bataillons ihre lustigsten Weisen. Der König, auf dem morastigen Boden hin- und herleitend, klapperte frostgeschüttelt mit den Zähnen. Aber im Soldatenthnm erzogen, stolz auf die Ausdauer und Gewandtheit seiner Truppen, war er ganz bei der Sache und fühlte die Beschwerden des Tages kaum. Der Mensch in ihm fror, aber der Soldat in ihm wollte nichts davon wissen. Die Truppenkörper waren auf's andere Ufer übergegangen, die Division sammelte sich zu einem Hauptangriff, die anrückenden Schaaren, Fußvolk, Artillerie und Reiterei beschrieben einen weiten Bogen, um den Feind gegen die steile 113 — Hügelkette zu concentrisch zu fassen. Auch hier gelang es, ihn aus den besten Positionen zu verdrängen. Nun aber machte der Himmel, der den ganzen Tag hindurch sich völlig rücksichtslos benommen, einen Strich durch die ganze weitere Rechnung. Ein wolkenbruchartiger Regen stürzte nieder und verwandelte das ganze Feld in ein lehmiges Bett. Es blieb nichts übrig, als das Gefecht abzubrechen. Es war Abend geworden, ein eiskalter Wind strich über die Gegend, als der König mit seiner Suite im Kranichsselder Schlößchen ankam, wo Nachtlager gehalten werden sollte. Seine Uniform war von oben bis unten mit Lehm bespritzt, er war bis auf die Haut durchnäßt, aber auf seiner Stirne standen dicke Schweißtropfen. Er wechselte die Kleidung und begab sich eiligst in den kleine» Saal, wo die Abendtafel, zu der die Generalität und mehrere fremde Militair- Attachös geladen waren, bereits seiner wartete. Die Champagnerstöpsel knallten, der König brachte einen Toast aus, der vom General- Lieutenant von Reineke in einer warmen und 8 114 kräftigen Rede beantwortet wurde. Die Unterhaltung bei Tisch blieb eine streng militärische, die Leistungen der Mannschaft fanden allgemein ungetheilte Anerkennung. Noch immer war der König in lebendigster Aufregung. Doch war ein Wink ertheilt worden, daß die Tafel nur von kurzer Dauer sein sollte, damit man gehörig ausschlasen könne und für morgen volle Kräfte habe. Als sich der König erhob, sah die Gesellschaft dies als einen Wink an, sich bald zu beurlauben. Der König war auf dem Punkt, sich in sein Schlafzimmer zurückzuziehen, als es leise an die Thür pochte. Der König kannte dieses Pochen, er befahl dem Kammerdiener, sich zu entfernen. Frau von Feldern, die das ganze Manöver vom Wagen aus angesehen hatte, trat ein. „Majestät," sagte sie, „ich riskire es noch, trotz aller Hindernisse, bei Ihnen zu erscheinen, um mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen. O, dieses Weiter! Die Sorge um 115 Eure Majestät hat mich keinen Moment verlassen. Das war ein aufreibender Tag." „Treue Seele!" erwiderte der Monarch und küßte ihre Hand. „Ich befinde mich ganz wohl. Nicht einmal müde. Ein aller Soldat verjüngt sich, wenn er seine Truppen so manövriren sieht. Sagen Sie selbst, war es nicht herrlich?" „Es war herrlich," sagte Frau von Feldern, indem sie Platz nahm, „aber auch beängstigend. Hat Eurer Majestät der Aufenthalt an jenem windigen Ufer wirklich nicht geschadet?" „Gewiß nicht," sagte der König. „Das Brückenschlägen war in der That die Krone der Sache. Das soll man uns nachmachen! Der Preuße war außer sich vor Bewunderung. Haben Sie gesehen, liebe Seele, wie die Pon- tonniere arbeiteten? Als es die Böcke schlagen galt, die Verbindung mit dem Ufer herzustellen, gingen die Leute bis an die Brust ins Wasser. Und wie vergnügt dabei! Und das Wasser mag teuflisch kalt gewesen sein! Das war großartig, das verdient Anerkennung!" „Ja, es war wirklich bewundernsivertb, sie 8 * 116 im Kampfe mit dem Elemente zu sehen," sagte Frau von Feldern. „Alle Kräfte setzten die braven Leute ein. Kräfte und Leben! O, die Zeit, von der der Potsdamer Jude sprach, die kommt noch lange nicht!" „Wie? Was? Potsdamer Jnde?" fragte der König. „Was soll das für eine Geschichte sein?" „Ach, nicht der Rede werth — mir geht so viel durch den Kopf —" ' „Doch, ich will sie wissen!" „Nun, ein alter Jude sah einmal in Potsdam einer Greuadierparade zu und lächelte fortwährend. Das Falkenauge des allen Fritz bemerkte es und er wollte den Grund wissen. Der Jude stockte, bis ihm der König im Voraus Pardon für seine Aeußerung zusicherte, dann sagte der Jude: Majestät, ich habe mir gedacht: wenn die da einmal nicht mehr wollen —" „Die Geschichte," sagte der König plötzlich verdrießlich, „kann unmöglich wahr sein. Der König hätte den Kerl, der sich so geäußert hätte, trotz alledem henken lassen. Uebrigens fehlt ihr — erlauben Sie nur, daß ich es Ihnen sage —- 117 jede Pointe. Die da wollen immer, müssen immer wollen. Wie können Sie nur, Liebe, auf solche Gedanken kommen?" „Einem Frauenkopf," erwiderte die Feldern, „fallt allerlei unnützes Zeug ein. Gute Nacht, Majestät. Ich nehme meinen Rückzug, meinen Rückflug —" „Sie wollen schon fort? Warum diese Eile?" „Die Sorge hat mich Hergetrieben. Ich sehe Majestät wohlauf, nun gehe ich wieder." „Etwas ganz Anderes hat mich molestirt, mehr als Regen und Wind," sagte der König, indem er Frau von Feldern sanft auf den Fau- teuil niederdrückte. „Ich rede immer offen zu Ihnen — gebe mein ganzes Herz preis. Etwas hat sich in mir geregt den ganzen Tag über im Kreise dieser Offiziere der verbündeten Armeen — lächeln Sie nicht — und vollends bei der warmen, kräftigen, echtmilitärischen Ansprache des General-Lieutenants: es ist das Gewissen! Wie wird mir, wenn ich immer Eins betonen höre: meine bundestreue Gesinnung! Das brennt mich — 118 in die Seele. Bin ich treu? Geh' ich wirklich loyal vor? Bin ich Iren?" „Majestät sind es, insoweit Sie es sein können —" „Nein, Liebe, ich bin es nicht. Und wenn ich noch einen reellen Vortheil in meinem Vorgehen sähe! Aber der Vortheil ist sehr fraglich. Sollte ich nicht in einem aufrichtigen, rückhaltslosen Bunde mit Preußen gesicherter sein, als so, wie ich in der That stehe, mit Nückhaltsgedanken? Erstaunen Sie nicht zu sehr, Liebe, wenn ich —" er vermied, indem er dies sagte, Frau von Fel- deru's Blicke, die auffällig ernst auf ihm ruhten — „erstaunen Sie nicht zu sehr, Liebe, wenn ich Herrn von Themar eines schönen Tages aufkündige —" „Nun fang' ich an, doch zu fürchten," sagte die schöne Frau, „daß dieser Tag den Nerven Eurer Majestät verderblich gewesen —" „Schlimm, wenn Sie mich nicht verstehen!" rief der König aufspringend und im Zimmer umhergehend, „dieser Mann — Herr von Themar meine ich — dieser Mann ist eben Diplo- 119 mat. Diplomaten werden ewig einen Gegensatz zur Soldatennatur darstellen. — Dieser Mann treibt mich vorwärts in einer Richtung, die mir unter Umständen höchst verderblich werden kann. Er knüpft Verbindungen an, die ich nicht übersehe, von denen ich nicht weiß, wohin sie führen. Er subsidirt Scribenten des Auslandes, welche gegen die Einrichtungen, wie sie eben geworden, eine unablässige, gehässige Polemik führen. Die Frage liegt nahe: von wem geht das aus? Unserem Vorgehen fehlt, mit einem Worte die Lo—ya—li—tät! Wie muß mir zu Muthe sein, wenn ich immer wieder meine Bundestrene preisen höre? Ich bin Soldat! „Verbündete Fürsten," heißt es!" „Ja, verbündete Fürsten!" höhnte Frau von Feldern. „Ein wirklicher Bund kann nur unter gleich Starken eristiren. Soll ich, Majestät, an die Fabel erinnern vom Löwen, der sich mit dem Hirsch und dem Pferde alliirte? Zu wessen Gunsten fiel es aus?" „Schon wieder Anekdoten!" rief der König. „Sie haben heute keinen guten Tag." 120 — Frau von Feldern warf den Kopf zurück. „Und ihre Augen sehen scharf!" fügte der König hinzu. „Sehr scharf. . . ." „Eine Aufforderung mehr, sich nicht in die Karten sehen zu lassen." „Nein, nein, nein," sagte der König, indem er immer eifriger auf- und abging. „Dieser Themar — er erfreut sich übrigens Ihrer ganz besonderen Protektion — geht mir zu weit. Ich lasse mich nicht blind im Sacke forttragen. Etwas warnt mich vor ihm — ich weiß nicht recht was — aber ich darf meiner inneren Stimme immer trauen. Nun, Theure, tritt aber noch Eins hinzu, was am schwersten in die Wagschale fällt! Es sind Andeutungen gefallen — ich rede immer offen, habe kein Geheimniß vor Ihnen — es sind Andeutungen gefallen, daß Se. Majestät von Preußen die Absicht habe, mich demnächst — zu meinem Geburtstage — mit dem Großkreuze des — nun, ich will es nicht näher bezeichnen — kurz, mit dem höchsten Zeichen brüderlicher Gesinnung zu überraschen! Was dann? frage ich, was dann? Sie wer- 121 den doch nicht glauben. Theuerste, daß ich im Staude wäre, mit einer Brust, die das Großkreuz schmückt — nein, nein, nein! Wenn sich dies bestätigen sollte, muß sich viel ändern. Dann — dann — überrasche ich sie noch einmal Alle. Im Lande wird — einige Wenige abgerechnet — nur eine Stimme der Freude darüber sein." Eine unbehagliche Pause trat ei». Das ironische oder eigentlich verächtliche Lächeln, das während der vorhergegangenen Rede des Königs um die Lippen der schönen Frau gespielt hatte, verschwand bei den letzten Worten plötzlich. Es verging wohl eine Minute, während welcher Beide stumm waren. „Ich kann doch nicht umhin," hob Fran von Feldern endlich in sehr ernstem Tone an, „Euer Majestät vor unbedachten Entschließungen zu warnen. Herrn von Themar zu entlasten, dürfte es übrigens jetzt schon zu spät sein . . Der König wechselte die Farbe. Seine Augen wurden stier. „Warum zu spät?" fragte er. „Weil er bereits zu Unterhandlungen ver- 122 wendet wenden ist, welche, wenn sie bekannt würden, Euer Majestät Pflichttreue gegen die verbündeten Mvnarchen in ein allzu schiefes Licht stellen würden." Der König setzte sich, wie erschöpft. Schweißtropfen traten auf seine Stirne, er wischte sie mit dem Taschentuche ab. „Verrath von Amtsgeheimnissen?" murmelte er endlich. „Nein! Uebrigens könnte Herrn von Themar's Correspondenz nur ihn selbst com- promittiren!" „Hm!" erwiderte die Feldern mit einem bedeutsamen Zucken der Achseln, wie wenn sie den König an Mancherlei erinnern wollte. Der König blickte eine Weile starr vor sich hin, dann sah er die Geliebte mit einem melancholischen Blicke an, mit einem jener Blicke, die seinen weichen Zügen immer einen beinahe poetischen Ausdruck gaben. „Majestät," hob Frau von Feldern eindringlich an, „lassen Sie sich nicht durch zufällige Tageseindrücke aus einer Richtung drängen, die Sie aus klarer Erkenntniß heraus gewählt 123 und bisher verfolgt haben. Geben Sie bisher Erstrebtes nicht auf. Man muß beharren. Majestät haben es mit einem Nachbar zu thun, der durch gewaltsame Annexionen seine wahre Natur bereits hinlänglich kundgegeben hat. Wollen Sie nach der Einverleibung dreier Sou- veränetäten noch fragen, ob er gefährlich ist? Herr von Themar hat die Aufgabe übernommen, bei kommenden Eventualitäten, die nicht lange ausbleiben werden, für das Wohl Ihres Hauses zu wirken. Au seiner Ergebenheit ist nicht zu zweifeln und ebensowenig an seinem Talente. Aber Vertrauen darf er beanspruchen, Vertrauen! Es ist nicht das erstemal, daß Eure Majestät solche Bedenken äußern und am bisher gegangenen Wege irre zu werden scheinen. Es wäre kein Wunder, wenn solche Mängel an Festigkeit in Beschlüssen den ganz ergebenen Diener übelgelaunt und unwirsch machten! Was angebahnt ist, muß weitergeführt werden." Sie hätte noch weitergesprochen, aber das Aussehen des Königs hieß sie schweigen. Seine Augen hatten einen eigenthümlich stieren Blick 124 angenommen, der Athem ging mit einem vernehmlichen Geräusche über die halbgeöffneten Lippen. „Eure Majestät sind doch krank!" rief sie, indem eine plötzliche Besorgniß sie durchfuhr. „O dieser Aufenthalt am windigen Ufer —" „Ich fühle mich in der That recht unwohl!" murmelte der König. Er setzte sich, eine Pause trat ein, ein Schauer schien durch das Gemach zu gehen mit gespenstigen Schritten. Frau von Feldern schellte. Alle Scheu, gesehen zu werden, war verschwunden. „Seine Majestät sind sehr unwohl," sagte sie, als der Kammerdiener eintrat. „Rufen Sie augenblicklich den Medicinalrath —" „Gute Nacht, liebe Frau!" sagte der König. „Es war doch ein sehr aufregender Tag." Frau von Feldern entfernte sich nachdenklich. Sie hatte wieder einmal gesiegt, konnte sich aber des Sieges nicht sreuen; ihre Beute selbst, allzu hinfälliger Natur, schien ihr unter den Händen zu entschlüpfen. 125 Auf ihr Zimmer zurückgekehrt, blieb sie lauge auf, eiue fieberhafte Unruhe hielt sie wach. Sie hörte Schritte im Corridor, hörte Thüren auf- und zugehen, sah Licht in den Fenstern, welche dunkel hätten sein sollen. Erst gegen Morgen fiel sie in Schlaf. Djles Aajäiet. Der König hatte seine Betheiligung an den Manövern mit einer schweren Erkrankung gebüßt. In die Residenz und in das Schloß zurückgekehrt, hatte er sich sogleich zu Bette begeben. Herbeigerufene Aerzte hatten das Vorhandensein einer heftigen Lungenentzündung constatirt. Unter solchen Umständen mußte die Kammer von Herrn von Themar eröffnet werden. Er vollzog diesen Act in gemessenster Haltung und mit einem Ernste, der der Situation entsprach. Die Eröffnungsrede athmete die versöhnlichste Stimmung, Alles war vermieden, was bestehende Conflicte schärfen konnte. Der Minister täuschte sich nicht über das 127 Mißliche seiner Lage. Er mußte sich, wie die Sachen standen, sagen, daß, im Falle der König sterbe, es mit ihm vorüber sei. Der Thronfolger, in Allem der Gegenpart seines Bruders, der bei jeder Gelegenheit sein Einverständniß mit der neuen Ordnung der Dinge zu erkennen gegeben, hatte sich ihm nie genähert, vielmehr ihn mit Kälte behandelt. Starb der König, so galt es für Herrn von Themar, sich von der ihm so theuer gewordenen Macht zu trennen. Kein Wunder, daß er bestürzt, ja, daß er so zu sagen aus seinen Angeln geworfen war. Fast noch größer, als auf Themar, war die Wirkung auf Frau von Feldern. War der König nicht mehr, so galt es auch für sie, die stolze, hochmüthige Frau, von ihrer Höhe herabzustei- gen, ihr Reich, ihr Glanz, ihre Herrlichkeit waren zu Ende. Der Kronprinz, der an der Seite seiner schönen Gemahlin ein tadelloses Leben führte, hatte seine Antipathie für die Freundin seines Bruders schon oft kundgegeben. Ihr Gatte mußte jedenfalls mit ihr gehen, einen Platz für die Felderns gab es am neuen Hofe 128 nicht. In der Residenz war überhaupt kaum ihres Bleibens mehr. Es hieß, einen großartigen Haushalt reducireu, kostspieligen Gewohnheiten entsagen, mit verringerten Mitteln in die Provinz ziehen und sich in die Einsamkeit eines Landgutes verkriechen. In Felderns zerrüttetem Gemüthe hatte sich schließlich eine mächtige Empfindung Bahn gebrochen. Es war das Gefühl der Erleichterung. Ihm war zu Muthe, wie wenn er ans einer unwürdigen Lage erlöst werden sollte und er bezahlte diese Erlösung gern mit einem Verlust an Geld und Stellung. Die Entfremdung von seiner Frau, die er vor der Welt fast mit Ostentation zeigte, konnte doch nicht so tiefgehend sein. Von Zeit zu Zeit wandelte ihn der Gedanke an, daß es ihm noch möglich sein werde, einmal aus einem verhä'ng- nißvollen Kreise erlöst, ein neues Leben auf den Trümmern des alten zu gründen. Hierzu kam, daß er über den als gewiß vorauszusetzenden Sturz Themar's, des Mannes, den er bitter haßte, eine wilde Genugthuung empfand. 129 „Ja, wir stürzen," wiederholte er sich ost in der Stille seines Zimmers, „aber Themar stürzt mit!" Je bedenklicher der Zustand des Königs wurde, desto leerer wurde es iin Hause der Feldern; ein Zeichen, daß Alle annahmen, mit des Königs Leben habe auch die Bedeutung des Obersthofstallmeisters und seiner Gemahlin ein Ende. Aber auch Themar zeigte sich nicht mehr. Diese Vernachlässigung, diese Entfremdung, dies ganz veränderte Wesen schmerzte die stolze Frau aufs Tiefste, sie stellte sich oft die Frage, was es zu bedeute» habe? War es baare Gemttth- losigkeit, Undank? Bei allen Ucbrigeu mochte sie diesen annehmen, nur nicht bei ihm. Wollte er sein Schicksal von dem ihrigen sondern? Wollte er vermeiden, daß sein Sturz mit dem ihrigen zusammenfalle oder gar als eine Folge des letzteren betrachtet werde? Hat er mich wirklich je geliebt?" fragte sie sich. „Damals, als er, ganz Feuer und Flamme, mir das Kreuz zu Füßen legte, weil er erfahren hatte, daß es mir gefallen, damals 9 130 wähnte ich mich von ihm geliebt. War es ein Wahn? War ich ihm nur ein Mittel? Kaufte er nur damit meine Hilfe ein? Aber ist das ein Kaufpreis, was man kaum zeigen darf und nicht weiter geben kann? Er gab es, ich nahm es nicht, es blieb nur zwischen uns. Feil war ich nicht! Der größte Werth des Juwels in meinen Augen war das Gefühl, mit dem er es mir gegeben. Hat mich die Annahme in seinen Augen erniedrigt? Sende ich es ihm zurück? O daß ich in seiner Seele lesen könnte!.... " Unheimlich berührte es Frau von Feldern und steigerte ihre grenzenlose Aufregung, daß der König nicht nach ihr verlangte und keinen Wunsch äußerte, sie zu sehen. Umsonst suchte sie an ihn heranzudrängen. Prinz Waldemar, der Bruder und Nachfolger, ihr persönlicher Widersacher, war in das Schloß gezogen und wich nur selten von der Seite des königlichen Patienten; dem Prinzen ganz ergebene Personen saßen im Borzimmer und schienen beauftragt, den ihm unliebsamen Besuch abzuhalten. Das Gemüth der hochmüthigen Frau kam 131 in die leidenschaftlichste Aufregung. Nicht blos Sympathie trieb sie in die königlichen Vorzimmer, es handelte sich für sie auch um materielle Dinge. Hatte der König sie mit einem Legate bedacht? Und zwar in der'Höhe, wie sie wünschen konnte? Er hatte sich allen Verfügungen, die über sein Leben hinausgingen, entzogen; denn Alles, was an den Tod erinnerte, war ihm odios. Wie stand es mit dem Testamente? Es gab widrige Scenen im Vorzimmer und die Art, wie Inan der noch unlängst allmächtigen Dame begegnete, zeigte aufs Klarste die Wendung, welche die Dinge genommen. So zehrten Affecte aller Art an ihr. Sie war schließlich, als die Gefahr eine drohende wurde, zum Entschluß gelangt, um jeden Preis an den König heranzukommen. Eines Abends hatte sie ihren Wagen in einer Seitengasse stehen lassen und sich zu Fuß ins Schloß begeben. Hier wählte sie einen nur von der Dienerschaft benützten Eingang. Weder der Portier, noch einer der Lakaien, die ihr entgegenkamen, wagten es, die Frau, die sie so 132 oft schon hatten passiren sehen, zurückzuhalten. So gelangte sie über eine kleine Treppe durch einen schmalen Seitcncorridor knapp au die königlichen Wohnzimmer. An eine ihr bekannte Thüre klopfte sie leise und trat ein. Sie hatte es gut getroffen, besser als sonst. Medicinal- rath Horst saß allein im kleinen Zimmer und las beim Schein einer Lampe die Zeitung. Der Medicinalrath, ein sanfter, behäbiger, sehr zur Corpulenz geneigter Mann in den höheren Jahren, gehörte zu Frau von Feldern's speciellen Freunden. Unzählige Male hatte er, ein besonderer Verehrer feiner Küche, den Ehrenplatz au ihrem Tische eingenommen. Bei ihm, das wußte sie augenblicklich, hatte sie keinen allzu- großen Widerstand zu gewärtigen. „Sie sind es, meine gnädige Frau!" rief der Medicinalrath in gedämpftem Tone, indem er aufsprang und der Eintretenden entgegenging. „Sie kommen selbst, sich nach unserem hohen Patienten zu erkundigen?" „Nicht das allein," erwiderte Frau von Feldern sehr bestimmt, „ich muß Se. Majestät sehen." 133 „Das geht nicht, Liebe, Verehrte!" erwiderte der Medicinalrath. „Ich möchte, dessen sind Sie hoffentlich versichert, in keinem Punkte Ihren Wünschen entgegen sein, aber — das geht nicht! Der Zustand Sr. Majestät ist ein höchst bedenklicher, jede Aufregung muß ferngehalten werden. Ihr Erscheinen — könnte bei seiner Reizbarkeit eine Alteration herbeiführen" — „Sie müssen mir Einlaß gewähren," unterbrach ihn die hocherregte Frau. „Ich muß den König sehen, wenn auch noch so kurz. Ich lasse mich nicht fortschicken — ich bitte Sie inständig — ich habe ein Recht, es von Ihnen zu verlangen." Sie erhob bittend die Hände. Wieder wollte der Medicinalrath Einsprache erheben, aber schon hatte Frau von Feldern den alten Herrn sanft beiseite gedrängt und sich der Thür genähert. Horst hatte ein weiches und vor Allem ein dankbares Gemüth. Wie viel Aufmerksamkeit hatte er in seiner bevorzugten und einflußreichen Stellung von jeher im Hause der Feldern ersah- 134 reu! Wie viel Bruststücke vorn Fasan, wie viel Trüffel von Perigord hatte ihm diese schöne Hand beim Diner zugeschoben, wie viel Gläser Eperuay aufgedrängt! War es möglich, diese Hand rauh anzufassen und von der Thürklinke wegzudrängen, nach der sie schon griff?" „D, gnädige Frau!" rief er, „mit Ihnen zu verhandeln ist schwer. Sie haben eine Weise zu bitten — mit Worten und Blicken! — Wohlan, es sei! Aber ich gestatte Ihnen nur fünf Minuten, hören Sie wohl, nur fünf Minuten — nicht mehr. Ich werde mit der Uhr in der Hand dastehen und Sie abrufen, wenn die fünf Minuten um sind. Bedenken Sie, daß ich eine Glocke zur Hand habe und, wenn Sie länger bleiben, das Schloß alarmire! Und ruhig müssen Sie sein, eine große Gelassenheit, ja Heiterkeit fingiren — am wenigsten den hohen Patienten durch Seufzer und Thränen aufregen oder durch eine besorgte Miene Angst einjagen. Werden Sie das können? Bringen Sie das zuwege? Versprechen Sie das?" 135 Frau von Feldern nickte leise mit dem Kopfe: „Ich verspreche es Ihnen!" Sie hatte endlich erreicht, was sie wünschte, aber auch aus den Worten des Doctors ersehen, wie schlimm es stehe. Die Kniee zitterten unter ihr, die äußerste Bestürzung ergriff sie. Endlich ermannte sie sich und machte auf den Fußspitzen ein paar Schritte vorwärts. Sie öffnete eine kleine, niedrige Tapetenthür und befand sich im Schlafzimmer des Königs. Es war ganz verdunkelt; nur die Ampel, die von der Decke herabhing, warf ein mattgedämpftes Licht auf das hohe Gemach, dessen Wände kostbare alte Gobelintapeten zierten. Die Figuren schöner orientalischer Frauen, die bei der Findung Mosis gegenwärtig, die Gruppen der Gäste am Hochzeitsfest von Cana traten in diesem unsicheren Lichte dem Beschauer fremdartig und fast gespenstig entgegen. In der Mitte des Zimmers stand das breite, niedere Bett. Die Vorhänge von schwerem Seidendamast quollen aus einer mächtigen Krone hervor, auf 136 deren vergoldeten Zacken ein Schimmer der Ampel funkelte. Frau von Feldern näherte sich leise und schob die schweren Vorhänge auseinander. Sie erschrak, als sie den Kranken erblickte. Das Gesicht war abgezehrt, der Ausdruck desselben schlaff und öde. Die Hand lag wachsbleich auf der Seide der Decke, jeder Athemstoß erschütterte die Brust. „Kennen Eure Majestät mich noch?" fragte Frau von Feldern mit unsicherer Stimme. Der Kranke nickte. Aber keine Miene in seinem Gesichte zeigte eine Freude des Wiedersehens an. „Ich komme, von Unruhe gefoltert —" „Gut, gut," sagte der König, „gut, wenn Sie Ihr Unrecht einsehen . . . Sie haben nicht gut au mir gehandelt . . . Ihr Benehmen ist mit daran Schuld, daß ich so krank geworden bin ..." Frau von Feldern blickte den König erschrocken an. „Ja, ja," sagte er. „Ich weiß noch Alles. 137 Jedes Wort ist in meinem Gedächtnisse eingeprägt —" Sie wollte eine Rechtfertigung beginnen. „Lassen wir das!" sagte der König nervös aufzuckend. „Ich kann nicht — debattiren. Meine Brust verträgt das nicht. Jedes Wort fällt mir schwer. Aber wenn ich wieder gesund bin, will ich Ihnen beweisen, daß es nicht zu spät ist ... . einen andern Weg einzuschlagen. Hier — hier. . . ." Seine Augen hefteten sich auf das Nachttischchen. Frau vou Feldern's Blick folgte dem seinigen. Auf dem Nachttischchen, mitten unter Gläsern und Arzneiflaschen, war ein geöffnetes Etui zu sehen. Darin funkelte es von Diamanten. Es war das Großkreuz, das ihm wirklich an seinem Geburtstage, der ihn bereits auf dem Krankenlager traf, zugeschickt worden war. Der König ließ es nicht aus den Augen. „Mein Gott!" dachte Frau von Feldern, „was ist aus ihm geworden!" „Ich habe viel gelitten!" fuhr der Kranke 138 fort. „Der Kummer ist bei mir eingekehrt. Mau sagt, Könige seien voll Argwohn. Ich war zn vertrauensvoll. Ich habe viel verloren . . . . manche Illusion, an der ich hing, die mir sehr lieb war. Es sind mir die Augen über Vieles geöffnet worden . . . ." „Was kann er meinen?" dachte Frau von Felder». „Themar," fuhr der König fort, „war mein böser Dämon. Er hat mir viel geraubt. Ich weiß jetzt Alles!" Er versank in schmerzliches Nachdenken. „Ich bemühe mich vergeblich," sagte Frau von Feldern, „den Sinn der Worte Eurer Majestät zu errathen —" „Doch, doch! Sie errathen ihn. Ich sehe es Ihnen an. Sie sind bleich. Ihr Gewissen macht Ihnen Vorwürfe. ,Egeria war schön — aber nicht treu —" „Was ist das!" rief Frau von Feldern. „Wer hat mir in Wochen der Abwesenheit, da man mich, ich kann sagen, gewaltsam fernhielt, 139 das Herz, das Vertrauen Eurer Majestät entfremdet? .... Der Himmel ist mein Zeuge —" „Beschwören Sie nichts!" sagte der König. „Meineid ist eine große Sünde —" „O meine Feinde! Ich erkenne ihr Werk!" rief die erschrockene Frau, bleich, vor dem Bette niedersinkend. „So lange Majestät gesund, wäre es ihnen nie gelungen, nie. O die Bosheit der Menschen! Sie haben während meiner Abwesenheit Gift in das Ohr Eurer Majestät geträufelt und mir Alles geraubt, was für mich in dieser Welt noch von Werth war. Doch nein, es soll ihnen nicht gelungen sein, sie haben mir nichts geraubt!" rief sie, sich wieder erhebend im Tone der Zuversicht, mit neu aufwallendem Muthe. „Sobald Majestät wieder klar sehen, werden die bösen Wahnvorstellungen weichen .... Heinrich! Heinrich! —" rief sie in dem schmelzendsten Tone, alle Empfindung, die ihr zu Gebote stand, in den Namen legend, „Heinrich!" Sie breitete die Arme leidenschaftlich nach ihm aus. 140 Der Kranke sah sie mit einem langen, schmer- zensmüden und unsäglich vorwurfsvollen Blicke an. — Dann wendete er sich auf die andere Seite. Frau von Feldern brach in ein lautes Schluchzen aus. In diesem Augenblicke trat der Medicinal- rath ungestüm ein. Er war außer sich. „Wie erschrecken Sie Se. Majestät!" rief er im Tone des äußersten Unwillens. „So halten Sie Ihr Versprechen? Wie muß Sr. Majestät zu Muthe werden, wenn dieselbe Sie jammern hört?" Frau von Feldern ließ sich willenlos wegführen. „Zu spät gekommen!" murmelte sie vor sich hin. „Das Unheil ist geschehen!" Sie kam fast bewußtlos zu Hause an. Schreckliche Stunden vergingen. Der Anblick des Kranken, seine Vorwürfe, seine Abwendung von ihr hatten sie ganz vernichtet. Starb der König in solcher Gemüthsverfassung, 141 so war Alles für Sie verloren. Sie starrte in eine trostlose Oede! Und sie war allein in dieser Oede! Themar zeigte sich nicht, hatte sich gleichfalls abgewendet, hatte sie schnöde verlassen! Sie brach in ein convnlsivisches Schluchzen aus. Eine ganze Weile war sie so dagelegen, als es pochte und unmittelbar nachher die Thüre aufging. Es war ihr Gatte, der eintrat. Sein Erscheinen um diese Stunde und in diesem Zimmer war ungewöhnlich. Er war in der Absicht gekommen, seiner Frau über den Schritt, den er bezüglich Emma's und ihres Aufenthalts bei seinen Eltern unternommen, Eröffnungen zu machen. Er hatte die Angelegenheit schon lange zur Sprache bringen wollen, aber die Leidenschaftlichkeit seiner Frau und ihre seit Wochen finstere Stimmung fürchtend, hinterher über seinen eigenen Muth erschrocken, halte er es von Tag zu Tag hinausgeschoben. Er wußte nichts von dem Besuche seiner Frau 142 im Schlosse und war auf's Höchste erstaunt, sie in Thränen gebadet zu finden. „Was ist Dir?" fragte er, indem er sich dem ^Sopha näherte, auf dem sie lag. „Der König —" jammerte Helene und das gelöste Haar fiel um ihre bleichen Wangen herab — aber sie konnte nicht weiter. „Was?" fragte Feldern unwillig, denn er hatte jetzt Hut und Shawl auf der Sofalehne erblickt. „Du warst im Schlosse? — Du bist bei ihm gewesen? Nachdem Du wiederholt abgewiesen worden, doch bei ihm gewesen? Da hätte ich mehr Stolz!" „Es handelt sich um unsere Zukunft!" war die Antwort. „Ueber meine Zukunft bin ich im Klaren," erwiderte Feldern. „Ich bin ein entlassener, abgedankter Hofmann und werde froh sein, wenn ich der Residenz den Rücken kehren kann! Wäre es nicht so gekommen, ich hätte meine Demission verlangt. Ich hätte es schon längst thun sollen!" „Wie Du sprichst!" rief Helene erregt, in- 143 dein sie sich hoch aufrichtete. „Freust Du Dich, nichts mehr zu sein? — Einfluß und Macht und nichts —" „Ja, das Alles, Einfluß und Ehre," sagte Feldern, „haben wir genossen und dabei unsere Ehre eingebüßt! Du galtest für die Geliebte des Königs, ich für den blinden Gatten oder gar für den, der damit einverstanden war. All- mälig. Schritt für Schritt, kam es so weit —" „Mir lag nie etwas an der Meinung des Haufens," erwiderte Frau von Feldern. „Wäre der König noch zwanzig Jahre älter und noch mit mehr Gebrechen beladen gewesen, der Pöbel hätte auch dasselbe gesagt —" „Und doch müssen wir weit gehen," erwiderte Feldern, „bis wir dahin kommen, wo unser Name noch keinen Flecken hat! Nicht nur der Pöbel — auch andere Leute wollen an solche Schwärmerei nicht glauben! Das hab' ich seit mehr als einem Jahre täglich empfunden, auf Schritt und Tritt, es hat wie Centnerlast auf mir gelegen, daß ich fast verlernt habe, geradeaus zu sehen. Helene sprich! Bleib nicht so 144 hart! Laß Dein Herz endlich reden! Denk' an unsere Kinder! Freust Du Dich nicht auf die Stunde, wo wir dies Alles verkaufen und von hier fortziehen?" Frau von Feldern erwiderte nichts. The- mar stand vor ihr, eine Zukunft ohne ihn, fern von ihm schien ihr öde und freudeleer, von ihm hing Alles ab, sie konnte keinen Entschluß fassen, bevor sie wußte, wie es zwischen ihnen stehe. . . . Da klopfte es. Der Kopf eines Dieners, dem man es ansah, daß er eine inhaltschwere Neuigkeit bringe, erschien an der Thüre. Feldern wurde abberufen. Einige Minuten später erschien er wieder im Zimmer. Frau von Feldern hatte sich aufgerichtet und sah ihn stumm, erwartungsvoll fragend an. „Der König ist todt!" sagte Felder». Helene sank todtenbleich in die Kissen. Es ward ganz still im Gemache. Die schweren, mächtigen Töne der Domglocke hallten herein. Der König war in der Gruft seiner Väter beigesetzt worden. Die Kammer hatte sich wegen seines Ablebens vertagt. Es gab eine Fluth von Nekrologen und pathetischen Trauergedichten, dennoch war der Eindruck des Todesfalles auf das Land nur ein höchst mäßiger. Die „allgemeine Trauer", die in „Palästen und Hütten" eingezogen sein sollte, war eben nur eine Phrase der offiziellen und der servilen Blätter. Die Nation im Großen und Ganzen ist doch schließlich dahingekommen, solche kleine Fürsten als Existenzen von zweifelhafter Berechtigung anzuerkennen und ihre Berechtigung wird immer fraglicher, je mehr sie ii. 10 146 sich in der Region eines traditionellen, nichtssagenden Ceremoniels und eines angenehmen Lebensgenusses aufhalten. Leute, die im Schweiße ihres Angesichts ihr tägliches Brod verdienen, können nicht recht einsehen, was sie durch den Tod dieser Persönlichkeiten verlieren. Zudem erkennen die inspirirten Zeitungen immer dem Thronfolger eine solche Fülle von Tugenden zu, daß der Schmerz in „Hütten und Palästen" nothwendigerweise bald verstummen muß. Auch Hermann Zoller hatte nicht umhin gekonnt, dem Dahingeschiedenen in seiner Zeitung einen Nekrolog zu widmen. Er war kurz und gemessen gehalten. „Es ist noch nicht an der Zeit," hieß es, „über die Persönlichkeit des Verstorbenen — oder vielmehr des Höchstseligen, denn noch heute pflegen wir, dem Amte des ewigen Richters vorgreifend, ein gemeinselig, hochselig und höchstselig zu unterscheiden — es ist noch nicht an der Zeit, über die Persönlichkeit des Höchstseligen ein endgiltiges Urtheil abzugeben. Nur die Milde und Versöhnlichkeit sei- 147 nes Wesens steht außer Frage. Air papistischen und pietistischen Einflüssen fehlte es nicht in seiner Umgebung, sie übten auf sein der Romantik zugekehrtes Gemüth eine gewisse Macht; doch vor aufdringlichen Ueberredungsversuchen und den Einflüsterungen jesuitischer Nathgeber schützte ihn ein gesunder Sinn und die Achtung eingegangener Verpflichtungen. Was auch seine persönlichen Ueberzeugungen waren, er wollte nicht in Conflict mit seinem Volke gerathen und ging jedem Anlaß zu einem solchen aus dem Wege. Er glaubte nicht an die Heilkraft des neuen liberalen Regimes, aber sein Gefühl warnte ihn vor jedem Versuch, überlebte Zustände gewaltsam zurückzuführen . . . Jede Seite unserer Geschichte zeugt von dem Unglücke, das die Vielköpfigkeit unserer staatlichen Gestaltung — oder Mißgestaltung, die Zugänglichkeit unserer Fürsten für auswärtige Verlockungen, ihre stets eifrige Sorge um Erhaltung ihrer Sou- veränetätsrechte über uns gebracht haben. Diese feindseligen Mächte haben unser geschichtliches Leben, so weit wir zurückblicken, bis auf die 10 * 148 Wurzel hinab gespalten und zersplittert, unsere Weltstellung fraglich, unsere Entwickelung unfruchtbar gemacht und das Leben unserer Nation als ein Großes und Ganzes in Frage gestellt. Der Verstorbene war vom Einflüsse der bisher in seinem Hause waltenden Traditionen nicht frei, aber in seiner milden, versöhnlichen Natur wurden diese Ueberzeugungen nach Außen hin kaum sichtbar. Er hatte die Gabe, sich in das Unvermeidliche zu fügen. . . ." „Mit seinem Tode," so schloß der Artikel, „hat unsere Entwickelung allen Anschein nach einen Schritt vorwärts gethan. Wenn nicht alle Zeichen täuschen, wird sein Erbe und Nachfolger, von anderen Anschauungen geleitet, im Einklänge mit der stets wachsenden nationalen Partei gehen..." Mit diesen letzten Worten hatte Zoller nur einer allgemein verbreiteten Ansicht Ausdruck gegeben. Prinz Waldemar, der Nachfolger, galt fast in jeder Beziehung als Gegensatz des Verstorbenen. Er war vielseitig und gründlich unterrichtet, ein Feind der Etikette. Am 149 Hofe war er selten erschienen, es sei denn anstandshalber, wenn fürstliche Besuche da waren. Er zeigte — seinem Bruder ganz zuwider — lebhafte Antipathien und Sympathien. Er hatte sich stets zu den liberalsten Ansichten bekannt und eine persönliche Neigung für Herrn von Auerstein an den Tag gelegt. Während der König immer den Groll des vom Zeitgeist Besiegten an den Tag legte, zeigte der Erbfolger stets ein offenes Einverständniß mit der neuen Lage der Dinge. Alles dies war ohne Hehl geschehen,'auf die Gefahr hin, dem Bruder Kummer zu bereiten. So war der neue König. Die Volksstimmung, insofern sie den gebildeten Theil der Nation betraf, wendete sich ihm kräftig zu. Man sah in ihm den Mann, der sich der deutschen Mission, wie sie Preußen übernommen hatte, aus freiem Entschlüsse und rückhaltslos unterordnete. „Auerstein ist sein Mann!" sagte Themar zu sich. „Er war bereits im Schlosse und ist mit strahlendem Gesichte heimgekehrt. Noch einige Tage — und mein Reich ist zu Ende und Auer- 150 stein tritt an die Spitze der Geschäfte! O, ich habe nun einmal kein Glück! Der König hätte noch lange leben können; ein militärischer Spa- ziergang bei schlechtem Wetter bläst ihm das Lebenslicht aus. Ich falle, weil Medicinalrath Horst, der Schwächling, nicht die Courage hatte, ihm Stubenarrest zu dictiren! Nein, ich habe kein Glück. So war es mein ganzes Leben hindurch, so bleibt es. Kaum scheint mir das Glück gewogen, so trifft mich schon ein tückischer Schlag, irgend ein Verhängniß lauert hinter der Hecke.... Ich habe Allerlei angebahnt, . nichts ausgeführt. Das ist nun einmal mein Loos . .. „Ich trete in's Privatleben zurück, kaun mit Gerditz Runkelrüben bauen. Was wird mein Zustand sein? Gleichgiltigkeit, aber eine solche, die mir Niemand nachfühlt, eine Gleichgiltigkeit, die der Resignation ebenso fern wie der That steht und im Grunde nur ein unschmelzbarer, unbeweglicher Kummer über ein verfehltes Leben ist. . . ." In dieser Stimmung ging Themar schon 151 lange umher, schon seit der ersten Nachricht von des Königs Erkrankung. Aber schon weit früher hatte sich eine Umwandlung in seinem Innern vollzogen. Frau von Feldern, von seinem veränderten Wesen, seiner Kälte, seiner Schroffheit erschreckt, meinte, er meide sie, er komme so selten, um sein Schicksal von dem ihrigen zu sondern. Sie that ihm mit diesem Verdachte Unrecht. Sein Ausbleiben war nicht ganz von seiner Selbstsucht dictirt. Der Grund seiner Veränderung lag tiefer. Themar hatte bis jetzt seine Jahre kaum gezählt. Seit den Enthüllungen, die ihm auf General Aschberg's Landhause zu Theil geworden, war er plötzlich innerlich alt geworden. Liebesfreuden lagen jetzt mit einem Schlage weit, weit hinter ihm. Vater eines Mannes wie Hermann Zoller, kam er sich als Liebhaber grotesk und lächerlich vor. Fort mit allen Liebesgedanken! Jn's Grab damit! Eine späte Flamme war aus dem halbausgebrannten Krater seines Gemüths eine Zeit lang emporgestiegen — jetzt war sie erloschen. Dafür waren die Geister einer schuldbeladenen 152 Vergangenheit, die ihn vorher nur dann und wann besuchten — meist auf dem Gipfel der Lebensfreuden — ganz nahe an ihn herangetreten und sozusagen seine täglichen Gäste geworden .... Das, in Verbindung mit seiner voraussichtlichen Abdankung veränderte sein ganzes Wesen und daß er selbst seiner Freundin gegenüber sich zu keinem Geständniß entschließen konnte, gab ihm ihr gegenüber etwas Scheues, Starres, Fremdes.... Der König hatte während der Trauer- und Huldigungsscierlichkeitcn Themar nie angesprochen, ja ihn mit den Blicken geradezu vermieden. Dies Benehmen war zu auffällig, um nicht bemerkt und nach jeder Richtung hin com- mentirt zu werden. Unter solchen Aspectcn wäre es Thorheit gewesen, noch an eine Fortdauer seiner Stellung zu glauben und Themar war entschlossen, ehe er gestürzt werde, selbst herabzusteigen. Er reichte — mit schwerem Herzen — seilt Demissionsgesuch ein. Die Antwort kam bald und lautete also: 153 „Die Trauer über den Hingang meines geliebten Bruders, von der mein Herz erfüllt ist, hat es mir bisher noch nicht möglich gemacht, die Bedürfnisse der Regierung zu prüfen. Ich ersuche Sie daher, die Geschäfte bis auf Weiteres fortzuführen." „Bis auf Weiteres! trostloses Wort, mit Galgenfrist gleichbedeutend!" sagte sich Themar. „Man läßt mir eben noch Zeit, mein Testament zu machen!" Endlich kam der Tag, an welchem er zum König berufen wurde. Ernst war ihm zu Muthe, als er die Gemächer durchschritt, von denen er jedes kannte. Er sah sie zum letztenmal! Es blieb ihm jedoch wenig Zeit zu diesen melancholischen Betrachtungen, denn, kaum gemeldet, wurde er auch schon vorgelassen. Der König, fast ein Ebenbild seines Bruders, nur höher gewachsen, jünger und stärker, von bestimmterem Gesichtsausdruck und festerer Haltung, saß im Civil-Anzüge vor einem mit Papieren bedeckten Tische. 154 Er empfing Herrn von Themar sehr freundlich und lud ihn sogleich zum Sitzen ein. „Es thut mir leid," sagte er, „daß ich mich von' einem so talentvollen Manne, wie Sie, trennen soll. Ihre Politik ist leider zu reaktionär, zu sehr gegen die Zeit gerichtet! Sie ist verderblich, da man die Sympathien des Volkes jetzt mehr als je braucht." Bei diesen Worten nahm der König von einem unfern stehenden Fachgestelle ein Kistchen herab, bot dem Minister eine Cigarre, nahm selbst eine und ließ es sich nicht wehren, den Gast eigenhändig mit Feuer zu versorgen. „Ihre Politik ist zu reaktionär," fuhr er fort, den Rauch der Cigarre vor sich hinblasend. „Unsere Richtung, die particularistische, die einzige, welche die Mittel- und Kleinstaaten im Auge haben können, hat nur dann eine Aussicht aus Sieg, wenn wir dem Lande mehr bieten, als Preußen, wenn sich die Leute bei uns freier und glücklicher fühlen —" „Das war immer meine Ansicht," erwiderte Themar ruhig. 155 „Doch ist immer dagegen gehandelt worden, in kleinen und kleinlichen Dingen —" „Eure Majestät," erwiderte Themar, „haben die Ansichten Ihres hochseligen Bruders gekannt. Ihn erschreckte der Liberalismus —" „Ich fürchte ihn nicht," entgegnete der König. „Ueber unsere Volksvertretungen und das, was sie schaffen, bin ich ganz ruhig. Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, und besonders bei uns in Deutschland thun sie das nicht. Und selbst — gingen sie zu weit, so sorgt der Constitutionalismus schon dafür, daß Alles rasch wieder in die rechte Bahn gebracht wird. Es heißt dann, das Volk sei nicht mehr richtig vertreten, man vertagt die Versammlungen, löst sie auf. So erreicht man schon allmälig, was man will. Die deutsche Bewegung war von jeher sehr unschuldig. Ein Tumult von Kindern, die den Vater zwingen wollen, ihnen den Willen zu thun! Sie selbst thun im Grunde nichts, trauen sich selbst nichts zu. Immer sollte Jemand der „herrliche Mann" sein, der ihnen das Ziel ihrer Wünsche, 156 die deutsche Einheit, bringt. Sie wendeten sich der Reihe nach an Oesterreich, an Hannover, an Sachsen; sogar Vaiern ward zngemuthet, die „Reichssturmfahne," zu ergreifen! Das Alles ist höchst unschädlich. Es fehlt die Energie, der Ernst, ich möchte sagen, der Radikalismus. Ich sehe lauter gereizte Phlegmatiker, die eine Zeit lang spektakeln und dann, von der Aufregung erschöpft, wieder zu den Krügen und Flaschen eilen. Meine Ansicht ist die: Das Volk wird nie zu fürchten sein! Aber anders ist es, wenn sich — in der Nähe — eine Regierung organisirt, die den festen Entschluß zeigt, ihre Nachbarn zu verspeisen .... Da muß man auf der Hut sein — da muß man bei Zeiten Maßregeln zu seiner Selbsterhaltung ergreifen." Themar horchte hoch auf. In seinem Herzen jubilirte es. „Jst's möglich? So denkt er? Auerstein und der ganze Troß der Männer von der deutschen Mission täuschen sich in ihm! Er führt sie Alle an!" „Fortwährend," fuhr der König fort, „haben 157 die Deutschen den sogenannten herrlichen Mann gesucht, der ihnen die Einheit bringen soll. Er scheint endlich gefunden zu sein, aber wie anders nimmt er sich in Wahrheit aus, als ihn die Phantasie der guten Leute geträumt! Er trägt Dragoner-Uniform, auf dem Kopfe einen Helm, in der Hand die Reitpeitsche! Ueber die Rauhheit seiner Außenseite kann sich Niemand mehr eine Illusion machen. Ein Theil ist über diesen Netter erschrocken, ein anderer läuft ihm zu, um. wenn auch mit Hingabe alles früher Werthgehaltcnen, die Einheit zu haben. Nun soll Alles in Uniform gesteckt und militärisch gedrillt werde». Das ganze Gebiet des nördlichen deutschen Flachlandes muß eine Heeres- versassung annehmen, welche odios ist und gegen die sich die Fiuanzkraft der Länder wehren muß, denn kein Land ist reich genug, sich auf die Dauer eine solche Organisation gefallen zn lassen." „Diese Heeresverfassung," sprach der König weiter, „widerstrebt aber auch dem Geiste der Zeit, die eine Zeit der Arbeits- und Geschäfts- — 158 thätigkeit, des materiellen und geistigen Genusses ist. Was behaglich existiren will, kann vom preußischen Systeme keinen Gebrauch machen. Nicht alle Welt ist Spartaner und auf einer sandigen Steppe zu Hause. Alles soll in dasselbe Militantstem eingefangen werden. Den Bauer freilich hört man nicht, wenn er dagegen raisonnirt; aber an die Bürgersöhne in den hübschen Städten Mittel - und Süddeutschlands und die angehenden Gelehrten, die jungen Professoren und Künstler die Zumuthung stellen, ein Leben voll Wohlbehagen und glücklicher Unabhängigkeit mit dem schweren Tornister und allen Entbehrungen des Militärdienstes zu vertauschen, um den Anforderungen des preußischen Linien- und Landwehrdienstes zu genügen — nein, nein, das geht zu weit! Dagegen wird sich bald alle Welt energisch auflehnen und mit Recht! Da versiegen alle Hilfsquellen. Alles wird Kaserne, ringsum ungepflügter Boden. . . Nun, man wird bald sehen, was in einigen Jahren dabei herauskommt . . ." „Eure Majestät," rief Themar, indem seine 159 Augen aufleuchteten, „sprechen nur aus der Seele. So und nie anders hab' ich die Sachlage angesehen —" „Der Liberalismus ist eine Macht in Süddeutschland," fuhr der König fort. „Die Allianz mit ihm müssen wir aufsuchen und pflegen, er ist unser bester Bundesgenosse im Innern. Der norddeutsche Bund ist etwas Vorübergehendes, Ephemeres; der, der ihn geschaffen, glaubt selbst gewiß am wenigsten an seinen Bestand. Preußen wird entweder, was Gott verhüte, Deutschland verschlingen, oder es wird kleiner werden, als es zu Anfang 1866 war. Das Ausland fürchtet die wachsende Präponderanz Preußens, fürchtet ein geeinigtes Deutschland, wenn es einem solchen Militairstaat in die Hand gegeben ist; der Krieg bleibt nicht lange aus, die Anzeichen mehren sich, die Wolken ziehen schon drohend herauf. Frankreich, das vor allen anderen Staaten über die Alteration des europäischen Gleichgewichts bestürzt ist, wartet nur den Moment ab, den Krieg zu erklären und sich das linke Nheinufer, die natürliche Grenze, 160 nach der es schon so lange schreit, zu holen. Den Augenblick dieser Kriegserklärung wird — zweifeln Sie nicht daran — Oesterreich benutzen, sich die Revanche für Königgrätz zu holen. Da wird es über Preußen arg hergehen. Wo bleiben wir? Das müssen wir uns heute schon fragen. Vor Allem müssen die Mittelstaaten durch Coa- lition einen Einfluß auf die allgemeine Politik zu erringen trachten. Diese herbeizuführen und zu organifiren sind Sie, lieber Themar, der richtige Mann —" „Ich täusche mich nicht!" dachte Themar still bei sich. „Ich halte das Ruder wieder!" Er verbeugte sich schweigend. „Aber keine Nergeleien daheim!" rief der König mit erhobenem Finger. „Keine Polizeimaßregeln! Nichts Retogrades, nichts was verbittert — keine Bevorzugung der hohen Körper- schaft des Herrenhauses —" „Majestät wissen es gewiß am besten, von wem —" ^ „Ich weiß, ich weiß, mein hochseliger Bruder war eine ängstliche Natur. Einerseits die bis 161 zum Krankhaften gesteigerte Sorge, Souverä- netätsrechte einzubüßen und sein Land einverleibt zu sehen — andererseits die Furcht vor den liberalen Ideen — ich weiß, er litt viel. Noch auf dein Sterbebette war er von Visionen der schmerzlichsten Art geplagt. . . „Ich konnte dem edlen Monarchen nur Vorstellungen machen; falls sie nichts fruchteten, mußte ich verstummen. Ich selbst bin ohne Vorurtheile." „Und Alles Hand in Hand mit der liberalen Majorität," fuhr der König ermahnend fort. „O die Kammern! Sie muffen sich ja selbst gegen eine centralisirte Großmacht sträuben, die sie zu Provinzial - Landtagen herabdrttcken möchte!" Themar bezeugte seine lebhafte Zustimmung. „Also, der Schluß wäre der," sagte der König, „Sie bleiben uns fernerhin erhalten." Er erhob sich. „Noch Eins! Ich habe im Nachlaß meines Bruders den geheimen Theil Ihrer Correspon- denz gesunden, gelesen, ich kaun sagen, studirt. 162 — Sie sind in Beziehung zu einer Reihe von Personen getreten, in Deutschland, Oesterreich, Frankreich, Italien, denen noch eine große Rolle zu spielen vorbehalten ist. Ihr Eifer, lieber Themar, Ihr Scharfblick, Ihre diplomatische Gewandtheit in der Behandlung schwieriger Punkte haben meine Bewunderung erweckt. Ich muß wünschen, daß sich das Band zwischen uns befestige, nicht lockere.... Was den geheimen Theil anbetrifft, so erlaube ich mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie den Namen des Königs immer aus dem Spiele lassen —" „Sollte ich das nicht immer sorgfältig gethan haben?" fragte Themar. „Im Allgemeinen ja," war die Anwort, „doch dann und wann ist Ihnen Dies oder Jenes entschlüpft. Einmal in einem Schreiben citiren Sie ipsissimu verbu, Worte, die mein verstorbener Bruder gebraucht. Es ist, glaube ich, in einem Briefe an den Erzbischof —" „Majestät haben Recht! Ein Versehen — das nicht wieder vorkommen soll." Damit war Themar freundlichst entlassen. 163 „Wache ich oder träume ich?" dachte er, als er die Treppe hinabging, um in seinen Wagen zu steigen. „Ich wähnte mich niedergeworfen, abgethan, der Spott meiner Feinde. Aber nein, ich wache. Ich stehe aufrechter als je. Er ist gescheiter, viel gescheiter als sein Bruder; er ist auch thatkräftiger, wir fahren in gleicher Strömung, ich werde mit ihm weit bester auskommen, als mit dem Vorgänger. Bald werde ich ihm unentbehrlich sein. 1,6 roi 68t mort, viv6 16 roi!" Stolz wie ein Sieger kam Herr von Themar in das Ministerhotel zurück. — - - 11 * 167 Wes Aapäet. Wie ein still, aber mächtig arbeitender Strom war die Zeit vorwärts gegangen. Es war ein Jahr seit dem Regierungsantritte des neuen Herrschers verflossen. Die Familie Feldern war, wie vorauszusehen gewesen, nicht in der Residenz geblieben. Das reiche, gastliche, immer offene Haus war geschloffen worden. Herr und Frau hatten mit den beiden Kindern eine Reise angetreten, das Frühjahr in Italien, den Sommer in der Schweiz verbracht. Emma Hamond, die Tochter aus erster Ehe, war bei Feldern's Eltern zurückgeblieben. Die, welche an dem geschlossenen Hause mit den verhängten Fenstern vorübergingen, über- 168 kam die Erinnerung an manches glänzende Fest, das dort stattgefunden; eine Ahnung sagte ihnen, daß es sich nicht mehr in ähnlicher Weise auf- thun werde. Hermann Zoller hatte das Jahr in angestrengter politischer Arbeit zugebracht. Die Kammern waren lange beisammen geblieben, neue Grundgesetze, vorerst nur unbeschriebene Blätter, waren ins Einzelne auszuarbeiten gewesen. Zu diesem kam die Thätigkeit in seinem Berufe, die Redaction seines Blattes, das gewachsen war und seine Kräfte immer mehr in Anspruch nahm. Herr von Themar hatte an Boden gewonnen. Ein neues volkswirthschastliches Princip war in Schwung gekommen. Unter der voran- getragenen Fahne liberaler Grundsätze wurden die heilsamen und nothwendigen Schranken ein- gerissen, welche bisher Capital und Speculation eingedämmt hatten. Geld ist das Blut im socialen Organismus, hieß es, man darf seine Circulation nicht unterbinden. Fort mit den Wuchergesetzen! Fort mit Allem, was den 169 Credit hemmt! Die möglichst große Verwerthung der Capitalien ist eine Forderung der Zeit! Das Capital muß frei sein! .... Es brach eine Epoche der fieberhaften, ungezügelten Speculation ein lind streute über das ganze - Land den Samen der Korruption aus. Zahlreiche Bank-Institute, große Actien-Unterneh- mungen sollten den allgemeinen Wohlstand begründen. Einträgliche Eisenbahnlinien wurden an Privat-Unternehmer vergeben, unnütze und unrentable als nothwendig und fruchtbringend ausposaunt. Herr von Themar umgab sich mit einem Kreis von Speculanten und Financiers und war fort und fort von Leuten umdrängt, welche weitere Concessionen ansuchten. Er war mit Ertheilung solcher Bewilligungen höchst freigebig und fand aller Wahrscheinlichkeit nach seine Rechnung dabei. Seine Anhänger und ein Theil der Presse bezeichneten ihn als den genialen, echtmodernen Staatsmann, dem das Land einen mächtigen wirthschaftlichen Aufschwung danke. Leider fand er in beiden Häusern des Land- 170 tags Genossen seiiier Anschauungen und Gehilfen zur Ausführung derselben. Eisenbahn- Gesellschaften und Bank - Institute suchten Vertreter ihrer Interessen in den Kammern, um unter der vertraneneinfloßenden Firma populärer Namen im Trüben zu fischen. Es fanden sich wirklich Persönlichkeiten vollauf, die sich zu ihren Zwecken hergaben. Zoller, immer auf der Wacht, hatte schon früher auf den falschen Weg aufmerksam gemacht, den die volkswirthschaftliche Gesetzgebung eingeschlagen. Er hatte den Muth, von der Tribüne aus die Richtung, welche die Specu- lation genommen, als eine verderbliche zu bezeichnen. Sein Blatt warnte fortwährend den kleinen Mann, die Frucht seiner Ersparnisse in diesen mit Unbedacht gegründeten, mit einander concurrirenden und mehr als zweifelhaften Unternehmungen anzulegen. Der Erfolg seiner Warnungen war leider nur ein geringer, die prahlhaste Lüge war übermächtig geworden. Alte Freunde traten ihm feindlich entgegen, weil er nicht in das allgemeine Horn blies; er 171 wurde von vielen Seiten als trockener Fastenprediger gescholten. Unter den Theilhabern seiner Zeitung gab es ein paar Geschäftsleute, die lediglich darauf bedacht gewesen waren, ihr Kapital gut verzinst zu sehen und reichliche Einnahmen zu erzielen. Principien hatten in ihren Augen keinen Werth, das Journal war ihnen eben nur ein „Unternehmen". Sie zerfielen mit dem Manne, der den Nutzen zurückwies, es kam zu Bruch und Zerwürfniß, ein Theil schied aus. Zoller wankte nicht, aber sein Haß gegen den Mann, auf den er die tiefe Schädigung des öffentlichen Lebens zurückführte, war bis zur Erbitterung gewachsen. Zoller's Blatt und die von Herrn von Themar beeinflußten Regierungsorgane bekämpften einander aufs Feindseligste. * * * In der Nacht, welche die Thorschlüssel des alten Jahres dem neuen übergiebt, in der Nacht des heiligen Sylvester, saßen in der kleinen 172 Weinstube unfern dem Redactionslocale der „Neuen Zeit" vier Freunde an einem kleinen Tische beisamen. Zoller und Thaidiuger waren als tägliche Gäste da, Lorenz Klein, der seinen Freund seit Monaten nicht gesehen, war zu Besuch aus der Universitätsstadt herübergekommen; der jüngste der Vier, ein hübscher junger Mann von studentischem Aussehen, war der junge Gerditz, der mit seinen Züricher Studien abgeschlossen hatte und jetzt bei seinen Eltern in Gernsbach lebte. Das Gespräch war lebhaft und erging sich meist über Zeitfragen. Die drei Aelteren hielten Eines Sinnes zusammen, der junge Gerditz dagegen befand sich in vollem Widerspruch gegen die Andern. Er war in der kosmopolitischen Schweiz Kosmopolit geworden und trug eine große republikanische Superiorität zur Schau. Er sah in Europa ein Ganzes, Zusammengehöriges. Europa, meinte er, ist eine verschwisterte Völkerfamilie; nur das Mißtrauen und der Ehrgeiz der Cabinete nähren einen ewigen Streit. Es giebt, sagte er, in ganz Eu- 173 ropa, die Ungarn und Slaven ausgenommen, kaum mehr abweichende Sitten. Engländer, Franzosen, Deutsche, Däne» und Schweden tragen das Gepräge der Familienähnlichkeit in so hohem Grade, daß ein Nichteuropäer sie in ihren verschiedenen Formen kaum als Nationen erkennen würde. Alle sind ungefähr eines gleichen Grades bürgerlicher Freiheit fähig, dies giebt Allen eine Gemeinsamkeit des Berufes und des Interesses. Woher eigentlich der stete Kampf? Er geht nur von den Fürsten und Diplomaten aus! Thaidiuger erwiderte, daß dies auf den ersten Blick allerdings so aussehe, iu Wahrheit aber seien innerhalb dieser scheinbar so homogenen Gesellschaft die schroffsten Gegensätze lebendig. Er wies auf die Franzosen hin, welche fortwährend nach der Rheingrenze schielten und auf das seit Kurzem eröffnete römische Coucil, das den Versuch mache, den religiösen Fanatismus zu entzügeln und sich ihn im Kampfe gegen den protestantischen Norden dienstbar zu machen. „Die Franzosensurcht," nieinte Gerditz, „ist 174 eine fixe Idee der Deutschen, ein eingewurzeltes Vorurtheil und eines der allerschädlichsten. Jetzt mehr als je sollten wir davon lassen. Der säbelbeinige Cäsar hat sich, durch die Volks- stinimung gedrängt, des persönlichen Regiments begeben. Darin liegt eine große Garantie des Friedens. Ein Krieg um die Rheingrenze müßte in Paris parlamentarisch berathen und beschlossen werden — und so etwas widerstrebt der Zeitbildung! Was das Concil betrifft, das Ihnen solche Besorgniß einflößt — es ist ein Spuk, ein Mummenschanz des Mittelalters! Die katholische Welt wird sich das neue Dogma nicht gefallen lasten. Deutsche und französische Bischöfe lassen sich nicht von südamerikanischen und spanischen majorisiren. Das Concil kann, falls es überhaupt ernst zu nehmen ist, nur zu einem Schisma innerhalb der katholischen Kirche führen.. . ." Thaidinger brummte etwas in den Bart, was wie eine Aeußerung tiefsten Unglaubens klang und Gerditz fuhr fort: „Die deutsche Welt hat in den letzten Jahren 175 böse Rückschritte gemacht. Sie ist engherzig national und servil geworden. Darüber ist in der freien Schweiz Alles Einer Meinung. Was ist aus den ursprünglichen Forderungen der deutschen Nation geworden? Was aus Denen, die einst gesungen: Das ganze Derrtschland soll es sein? Der hochintelligente Norden begeistert sich für Kleindeutschland und macht Preußen den Hof. Daß Zoller und Klein Parteigänger der Hohenzollern und Kleindeutsch- lands geworden, das wundert mich nicht, es liegt sogar in ihren Namen versteckt; daß aber Sie, der ehemalige Mann von Achtundvierzig, der Mann aus der Paulskirche, mit beistimmen, das wundert mich!" „Nun, so will ich Ihnen sagen, wie ich, der Mann aus der Paulskirche, über die Sache denke," erwiderte Thaidinger. „ Ich gehöre nicht zu Jenen, die nach dem Zusammenbrach von 1849 nach Bern oder Genf gegangen und dort sitzen geblieben sind; ich gehöre zu Denen, die in's deutsche Leben wieder eingetreten sind und innerhalb desselben etwas gelernt haben. Ich 176 habe erfahren, was Alles zwischen dem Ideal und seiner Verwirklichung liegt, — eine Welt von Hindernissen lind Schwierigkeiten! Ich will unsere Ziele nicht mehr scheitern sehen an unserer Unwissenheit, Thorheit und Maßlosigkeit. Damals, in den träumerischen Jugendjahren unseres politischen Lebens — wollten wir Alles oder nichts. Wir wollten das ganze Deutschland, wir wollten sogar Oesterreich bei uns behalten. Was waren das für Kämpfe in unserem Innern im März 1849, als wir unsere österreichischen Freunde aus dem Parlamente ziehen lassen sollten! Wir weinten helle Thränen und mit Recht, denn es galt sie hinauszustoßen in die damalige Gewaltmonarchie. Und doch ging es nicht anders. Konnte es ein Reich geben mit zwei großen, feindlichen Köpfen und einer ganzen Anzahl kleiner Köpfe nebenbei? Nein, tausendmal nein! Konnten wir einen Großstaat bei uns lassen, in welchem wenigstens fünf Sechstheile der Bewohner Feinde, erklärte Feinde der deutschen Nationalität waren? Nein, nein! Nun, die Einsicht in die große historische 177 Nothwendigkeit dieser Trennung mußte endlich Allen einleuchten und leuchtete auch mit wenig Ausnahmen Allen ein. Es hat zu einem Kriege geführt, der vielmehr ein persönliches Duell zwischen den Häusern Habsburg und Hohenzol- lern war; wir haben ihn geführt mit schwerem Herzen; als Folge des kurzen Krieges ist die Scheidung erfolgt und durch Oesterreichs Austritt unsere politische Constituirung zu einem festen Staatskörper möglich geworden. Wollen wir nun wieder grollend bei Seite stehen und sagen: Alles oder nichts! Nein, wir sind klüger geworden, wir nehmen auch Abschlagszahlungen an. Deutschland mußte eine Kraft gewinnen, um welche herum es sich aufbauen konnte. Die hat es jetzt. Die Mainlinie, wirft man mir ein, ist ein mitten durch Deutschland gezogener Spalt. Die Bewegung wird ihn allmälig überbrücken, und zwar in dein Grade, als das Gefühl unserer Zusammengehörigkeit erstarkt. Bis jetzt ist dies Gefühl noch bei weitem nicht so groß, als wir wünschen möchten und der Idealismus es meint. Nord und Süd sind gespalten, die Ver- II. 12 178 schmelzung kann keine rasche sein. Um einen Abgrund mit festen Quadern zu überbrücken, muß man zuvor eine hölzerne Nothbrücke herstellen. Aber Ihr conservirt dabei, wirft man mir ein, die wunderlichste Kleinstaaterei, die komischsten Petrefacte? Nicht auf immer, lieber Junge!" „Aber der Militarismus, dem Ihr Euch dafür mit Leib und Seele verkaufen müßt!" wendete Gerditz ein. „Ihr werdet jetzt doch alle- sammt dressirt. Wofür? Für dynastische Machtzwecke — für Zwecke des angestammten Thrones —" „Sie werfen da eine gewichtige Frage auf," erwiderte Thaidinger, „sie beantwortet sich nicht leicht. Und doch scheint es, daß militärische Vorbildung eine gute Schule für jedes von Männern betriebene Geschäft ist. Das Befehlen, wie Gehorchen will gleicherweise gelernt sein! Militärische Pünktlichkeit, Ausdauer, männliches Wesen üben sich unbewußt ein und werden zu Characterzügen, die sich in allen Lebenslagen als werthvoller Besitz erweisen. Was hat das preußische Volk so mannhaft gemacht? Die all- 179 gemeine Wehrpflicht. Und haben Sie sie nicht auch in der Schweiz?" — „Ja, wenn Sie Bürgersoldaten würden!" entgegnete Gerditz ironisch. „Aber was werden Sie? Von preußischen Junkern gedrillte Maschinen. Wie singt doch Heine? „Sie stelzen noch immer so steif herum, So kerzengrad geschniegelt, Als hätten sie geschluckt den Stock, Womit —" „Ei, lassen Sie mich doch mit den Versen in Ruhe, die Heine mindestens vor einem Vierteljahrhundert, zur Zeit des Bundestags und der tiefsten deutschen Misere gedichtet hat!" rief Thaidinger. „Sie passen heute bei veränderten Verhältnissen nicht mehr. Doch, auf unser Thema wieder zurückzukommen: wir sind nun einmal in eine kampfvolle Epoche hineingeworfen und können Waffen und Wehr nicht entbehren. Sollen wir abrüsten, damit Andere nach Belieben den Frieden brechen und uns bedrohen können? Welche Last auch die fortwährende Rüstung sei — wir sind in einer exceptionellen Lage, wir sind im Zuge, 12 ' 180 einen neuen Staat fest zu gründen und sind von heimlichen und offenen Feinden umgeben, die auf uns losdringen möchte». Was bleibt uns übrig, als die Kriegsbereitschaft zu tragen, bis die Welt überhaupt und allerorten mit dem Militarismus aufräumt? Soll jeder waffenfähige Deutsche für's Vaterland einstehen? Ich sage: Ja, bis dieser Zustand aufhört. Die Kriegführung in Süd- und Westdeutschland im Jahre 1866 , diese halb humoristische, halb grausige Geschichte von militärischen Kreuz- und Quer- zügen ohne jede Wirkung hat uns gezeigt, was wir im Zustande der Zersplitterung zu erwarten hätten; die Kriegsfrage, plötzlich gestellt, würde sofort unsere Zersetzung einleiten und den Verlust unserer Grenzen zur Folge haben! Und glauben Sie nicht denen, die da sagen: Eben Euer Soldatenthum regt die Welt gegen Euch auf und ruft den Krieg herbei! Wir sind nichts mehr, sobald man uns nicht mehr fürchtet! Und darum sind Die unsere ärgsten Widersacher, die uns entwaffnen und uns verhindern möchten, uns um den Staat zu gruppiren, der uns am 181 besten Gewähr der Sicherheit, Gewähr der Dauer leistet." „Doch nur um den Preis, daß Ihr alle- sarnint Preußen werdet!" rief Gerditz. „O, daß Ihr alter Göttinger Kommilitone Sie hörte! Er hat wie kein Anderer dies unleidliche Wesen gekennzeichnet. Noch immer das hölzern pedantische Volk, Noch immer ein rechter Winkel, In jeder Bewegung und im Gesicht Der eingefrorene Dünkel — „Sie sind ein unermüdlicher Citator!" erwiderte Thaidinger. „Preußen hat so viel Stämme, daß auf den einen nicht paßt, was von dem andern gilt. Preußen repräsentirt heute schon ganz Deutschland. Die Rhein- preußen sind Süddeutsche, Schlesien hat österreichisches Blut, Sachsen hat an Preußen eine ganze Provinz abgegeben, Westphalen besteht für' sich. Alle befinden sich wohl und stehen innerhalb desselben Systems kräftig für ihre Art ein. Welcher deutsche Stamm ist nicht heute schon in Preußen vertreten? Auch innerhalb Preußens 182 — bestehen Stammesabneigungen und sind vielleicht stärker dort, als anderswo, dennoch ist das Ganze stark, einig und mächtig. Die Idee des Vaterlandes wird die Gegensätze allmälig vermitteln und gehen wir vorerst in Preußen auf, wird schließlich einmal Preußen in Deutschland aufgehen. Zuerst heißt es staatsrechtlich orga- nisirt sein, denn ohne das giebt es keine Existenz. ..." Heftig entbrannte solcherweise der Krieg der Meinungen zwischen dem alten Parlamentsmann, der mit grauem Haar noch nach Verwirklichung seiner Jugendideale rang, und dem jungen Manne, der jenseits der Grenze, in einer vielsprachigen und kosmopolitischen Genossenschaft aufgewachsen war. Der Krieg der Meinungen blieb jedoch streng localisirt. Klein war mit der Innigkeit einer Geliebten an Zoller herangerückt und ließ mit Fragen nicht nach, die er nicht ausführlich genug beantwortet sehen konnte. Die erste betraf Emma. „Ich sehe sie selten," erwiderte Zoller, „indeß ist doch allmälig möglich geworden, was zuerst 183 unmöglich schien — ich habe Eintritt in's Haus der Großeltern, allerdings nicht als Freier, nur in der Eigenschaft als Bekannter. Das liebe Mädchen ist den alten Leuten an's Herz gewachsen und vermag sie zu Allem zu bewegen. Zuerst waren schlimme Zeiten. Frau von Feldern wollte ihre mütterlichen Rechte geltend machen und Emma mit sich nehmen. Es war nicht mütterliche Liebe, es war wohl nur der Wunsch, Jemanden um sich zu haben, den sie nach Herzenslust quälen konnte; ihre Stimmung soll nach dem Tode des Königs eine schreckliche gewesen sein. Mir wäre es furchtbar gewesen, Emma unter dem Einflüsse dieser Frau zu sehen, zehnmal lieber hätte ich sie wieder hinter den Klostermauern gewußt. Nun, diese Gefahr wurde abgewendet: die alten Leute baten so sehr, ihnen das Mädchen zu lassen . . . Nun aber trat die Frage nach einer standesmüßigen Heirath auf. Das Haus der alten Leute, das bisher gar wenig besucht wurde, erhielt seit Emma's Ankunft allerlei Gäste. Junge Gutsbesitzer stellten sich vor, darunter solche, die zu den besten Partien 184 gezählt werden. Sie kommen noch immer. Ich stehe Gegnern gegenüber, die gewiß Manches vor mir voraus haben. Oft schon mußte ich mich fragen: Hab' ich nicht die Hindernisse zu leicht genommen? Hab' ich im Jubel des ersten Glückes mir nicht zu viel zugetraut, als ich sie flugs zu meiner kleinen Hausfrau machen wollte? Das Jahr hat mich nicht vorwärts gebracht, eher zurück. Mit der Zeitung geht es finanziell schlechter, seit wir gegen den Strom schwimmen. Ein Concurrenzblatt, ganz unwählerisch in den Mitteln, greift unsern Abonnentenstamm an — ich weiß nicht, wie das noch wird.... Kurz, ich sehe noch harte Kämpfe voraus, die nur Muth und Ausdauer überwinden können. Emma wankt nicht und blickt der Zukunft trotz aller Hindernisse ruhig entgegen. Sie ist wohl schüchtern und weiblich sanft, aber für ihre Gefühle tritt sie mit einer Energie ein, die ich auch scheinbar stärkeren Naturen nicht zutraue. . . ." Er versank in Gedanken. „Und nun eine andere Frage," hob Klein wieder an. „Eine Frage, die ich in meinen Brie- 185 fen nie berühren wollte, weil Du selbst darüber schwiegst .... Wie steht es mit den Nachforschungen nach .... nach .... der Beschützerin Deiner Kindheit? . .. ." „Auch da hast Du wieder einmal einen Beleg," erwiderte Hermann, „wie uns das Leben auffordert, immer weitere Fristen für das Ausgehen unserer Wünsche zu strecken! Du erinnerst Dich doch noch, wie wir im Coups der Eisenbahn beisammensaßen und über die Sache verhandelten? Ich hatte mich entschlossen, an die Familie lisch er off nach Moskau zu schreiben, mir war, als könne ich keine Ruhe mehr finden, ehe mir von dort eine Antwort käme. Ich schrieb den Brief und meinte, schon in einer Woche die Lösung aller Fragen, die mich quälten, zu haben. Aber das Leben ist kein Drama, in dein sich mit gefälliger Täuschung Alles zusammendrängt und der Lösung zueilt, es ist eben das Leben mit seinen Stillständen, seinen Windstillen .... Monate und Monate vergingen, ich erhielt keine Nachricht. Ich mußte mich zu einem zweiten Briefe entschließen." 186 Endlich kam die Antwort. Sie lautete ungefähr so: „Ihr Brief traf hier ein, als meine Mutter sich auf dein Krankenbette befand. Sie erinnerte sich noch Ihrer, sie wollte Ihnen schreiben, ihr Zustand gestattete es ihr nicht. Gott hat sie seitdem zu sich genommen und mit meinem guten Vater vereinigt. Ich bin nun der einzige Sohn und verwalte die Güter meiner minderjährigen Schwestern. Ich habe meine ersten Lebensjahre unter Fräulein Denin's Obhut verbracht und bewahre derselben eine dankbare Gesinnung, wiewohl die Erinnerung an diese Zeit in mir ziemlich erblaßt ist. Sobald es mir möglich, will ich unter den nachgelassenen Papieren und Sachen meiner Mutter Nachforschung halten. So viel ich weiß, ist noch ein Bild Ihrer Tante im Hause, das von Tad- deo Mayer, einem vorzüglichen Künstler, stammt, auch ein paar Schriftstücke ihrer Hand dürften sich noch, finden. Sie werden unter den be- wandten Verhältnissen alle diese Verzögerungen entschuldigen; sobald ich die kleinen Gegenstände beisammen habe, sollen sie Ihnen zuge- 187 hen." Diese Zeilen waren Nikolaus Graf Uscheroff unterzeichnet. Und wirklich, heute, ani letzten Tage des alten Jahres, kam das mir zugesagte Packet. Es enthielt eine kleine, sehr fleißig ausgeführte Miniatur unter Glas und Rahmen — o, ein wunderschönes Bild — und mehrere Papiere. Ein Blatt darunter ist mir vor Allem wichtig. Es enthielt nur die wenigen Zeilen: „Ich wünsche, daß im Fall meines Todes das versiegelte Packet, das man in der Schublade meines Schreibtisches finden wird, geschickt werde an Herrn Obersten Conrad von Rodenegg Bundesfestung Mainz." „Oberst von Rodenegg!" rief Klein auffahrend. „Der Nenne ist mir bekannt, ich habe ihn schon öfter gehört." „Wir haben ihn auch gar nicht weit zu suchen," erwiderte Zoller. „Ich kenne den Obersten sogar, bei meiner Wahl in Großdorf bin ich flüchtig mit ihm in Berührung gekommen. . ." 188 „Und nun wirst Du ihm doch gleich schreiben und Dich nach Fräulein Denin erkundigen?" fragte Klein. „Es ist meine Absicht, ihn selbst demnächst aufzusuchen," erwiderte Zoller. „Mündlich geht Alles besser, die Zunge führt uns schneller zum' Ziele als die Feder. Sieh," fuhr er nach einer Pause fort, „die fieberhafte Unruhe der ersten Zeit, da ich zwischen dem Dränge, alles auf meinen Ursprung Bezügliche zu wissen, und der Furcht, es zu erfahren, getheilt war, ist vorüber, ich bin ruhiger geworden, dennoch will ich in meine Vergangenheit klar sehen. Und darum mache ich den Gang." Klein gab seine Zustimmung. „Das wären denn meine Sachen!" sagte Zoller. „Wie liegen die Deinigen? Daß Du heute den ganzen Tag unsichtbar warst, hat nur zu denken gegeben. Hast Du Fräulein Hildegard besucht?" Klein erröthete stark und sagte: „Ja, ich war dort. Die Entfernung hat mir erst gezeigt, wie lieb mir das Mädchen ist. Es 189 ist mir und der Mutter schrecklich abgegangen. Und überhaupt — wenn man seine Collegien gelesen und sich die übrigen Stunden den Kopf daheim heiß studirt hat und es kommt der Abend heran, da sehnt man sich, in ein Paar liebe Augen zu blicken.... Nur immer so fortwirth- schaften mit der alten Mutter geht doch nicht. Und da bin ich denn heute bei Hildegard gewesen und habe mit den Eltern gesprochen, die sich sehr freuten, mich wiederzusehen und — wir haben Alles richtig gemacht! Noch vor Ostern dürfte Hochzeit sein! Die Mutter zieht zu uns." „Bravo! Bravo!" rief Zoller mit herzlicher Freude und schüttelte dem Freunde derb die Hand. „Du konntest mir nichts sagen, was ich lieber gehört hätte. Hildegard ist das Mädchen, Dich glücklich zu machen!" „Und denke nur nicht," hob Klein wieder an, „daß ich nicht auch meine böse Zeit durchgemacht habe. Kurz nach dem Antritt meiner Professur ward ich mit Briefen der Anselmi förmlich bombardirt. Ich mußte jede Stunde gewärtig sein, sie bei mir erscheinen zu sehen. 190 Das waren häßliche Tage. Da plötzlich kam ein Brief, der Allein eine andere Wendung gab. Sie schrieb mir, sie habe vom deutschen Theater in New-Aork den bekannten „ehrenvollen Ruf" erhalten und frage bei mir an, ob sie ablehnen oder annehmen solle? Ich antwortete nicht, hielt mich ganz ruhig, fing aber bald darauf an, mir die New-Aorker Blätter anzusehen. Wirklich, sie war dahin abgegangen, hat sich aber nicht blos auf New-Aork beschränkt, sie hat auch mit einer Gesellschaft eine Kunstreise nach dem Westen angetreten. Ihre großen Hoffnungen haben sich nicht erfüllt, in ihrem letzten Briefe aus Louisville sagte sie: sie sehe ihr ideales Streben an den Klippen der Wirklichkeit scheitern. Sie gab mir die Schuld, sie auf eine excentrische Bahn geworfen zu haben, verwünschte ihre noch ungeschwächt fortglühende Liebe und schleuderte sogar noch schließlich einen Fluch auf mein schuldloses Haupt. Zum Glücke hat er sich bisher noch nicht fühlbar gemacht —" Der große Zeiger der Wanduhr war schon seit längerer Zeit der Zielpunkt vieler Augen. Man 191 verfolgte ihn sekundenweise. er war nun unstreitig hart an die Zwölf gerückt. Die beiden Kämpfer, Gerditz und Thaidinger, die mit ihrem politischen Waffengange noch immer nicht zu Ende waren, wurden zur Ruhe verwiesen und die Gläser gefüllt. Gleich darauf schlug es Mitternacht. „Prosit Neujahr!" erscholl es von allen Seiten. Alle Vier am kleinen Tische stießen mit einander an, glockenhell klangen die mit goldenem Rheinwein gefüllten Gläser. Lorenz Klein und Hermann Zoller sahen einander tief und ernst in die Augen. ' „Was wir lieben!" Einer wünschte dem Andern den glücklichsten Ausgang seiner Herzenswünsche. Auch das Vaterland ließ man hochleben. Diese Gelegenheit ließ der junge Gerditz nicht vorübergehen, ohne noch ein Citat nach seinem Sinne anzubringen. Er rief pathetisch: 192 „Der Himmel erhalte Dich, wackeres Volk, Er segne Deine Saaten, Bewahre Dich vor Krieg und Ruhm, Vor Helden und Heldenthaten." „Zugestanden, doch nur mit Einschränkung!" erwiderte Thaidinger. „Es komme nicht in die Lage, Helden zu brauchen, aber es möge sie finden, wenn es sie nöthig hat! So fühlt und ^ denkt germanischer Sinn!" So wurde das Jahr 1870 eingeleitet. Keiner der Freunde ahnte, was es ihn: bringe und welche großen Entscheidungen es unter seinem geheimnißvollen Mantel berge. 193 Lorenz Klein war gegen Ein Uhr durch die noch ziemlich belebten Gassen nach Hause zurückgekehrt. Er hatte sein Absteigequartier in einem leerstehenden Zimmer seiner alten Wohnung genommen, da er mit dem Hausbesitzer noch immer auf dem freundlichsten Fuße stand. „Immer die Ordnung selbst! Auch in der Neujahrsnacht zu gehöriger Stunde heim!" redete ihn der Hausbesorger an. „Herr Professor, ich habe die Ehre, ein glückliches neues Jahr zu wünschen!" „Auch Ihnen alles Gute!" erwiderte Klein, indem er dem Alten einen Thaler in die Hand drückte. ii. 13 194 ' — „Habe noch zu melden," setzte der Hausbesorger hinzu, indem er dem Professor ein angezündetes Licht einhändigte, „daß gegen Abend eine schöne, großgewachsene Dame nach Ihnen gefragt hat." „Es war das große Fräulein aus der Modehandlung, bei der ich die Mantillen für Hildegard verlangte," dachte Klein. „Sie wollte mir mehrere zur Auswahl schicken und ist selbst gekommen. Diese Mädchen sehen, wenn sie Abends aus dem Geschäfte gehen, wie vornehme Damen aus. — Hat sie nichts für mich zurückgelassen?" „Nein, Herr Professor. Sie ist schnell wieder fortgegangen," war die Antwort. „Sie wird morgen wiederkommen," sagte Klein, „führen Sie sie dann sogleich herauf." Er ging auf seine Stube, entkleidete sich und war rasch eingeschlafen. Am andern Morgen war Klein später als gewöhnlich aufgestanden und rauchte am Fenster stehend und von Zeit zu Zeit in die Gasse hin- ausblickend, seine Frühstückscigarre. Er sah der Stunde entgegen, in welcher er die Pflegeeltern 195 seiner Braut, schlichte, wackere Leute, und diese selbst treffen sollte. Es war in Anbetracht des festlichen Tages ein Spaziergang in den Stadtpark und an den großen Teich verabredet worden. Man wollte Klein abholen. Hildegard nahm zwar an den Vergnügungen des Eissport, wie er da geräuschvoll betrieben wurde, keinen activen Antheil, aber es interessirte sie, zuzusehen. Später sollte in einer benachbarten Wirthschaft ein Gabelfrühstück eingenommen werden. Der Tag war sonnenhell, klar und rein. Kleins Gedanken streiften leichthin über seine Lage. Alles fügte und ordnete sich ihm so schön, so behaglich! Er würde demnächst seine Schülerin als Lebensgefährtin zur Seite haben. Nur mit idealen Dingen, mit Kunstfragen und diesen Verwandtem beschäftigt, sah er ein Wirken ohne Conflicte vor sich. Da ließ sich die Stimme des Hausmannes draußen auf dem Gange hören, im kleinen Vorzimmer wurde das Rauschen eines Frauen- gewandes vernehmbar. Unmittelbar darauf pochte es an die Thür. 13 196 Aus Klein's „Herein" erschien eine hohe, herrlich gewachsene Frau in prunkloser aber höchst gewählter und kleidsamer Toilette auf der Schwelle. Sie blieb stehen, sie schlug den Schleier zurück. Klein stand wie versteinert da. Es war die Anselmi. Es wirkt immer auf die Nerven, wenn man Jemand vor sich sieht, den man jenseits des Oceans wähnt, die Wirkung ist aber noch viel, viel größer, wenn man Bräutigam ist und eine alte Geliebte vor uns steht. „Alle guten Geister —" rief Klein und wandte sich gleich darauf an den Hausbesorger, der gleichsam im Banne der auffallenden Schönheit nicht fortgegangen war, sondern in der geöffneten Thür stand. „Mann," sagte er, einen Blick über das un- ausgeräumte Zimmer werfend, und es lag ein sanfter Vorwurf darin, den Besuch vorgeführt zu haben — „sind wir hier in der Verfassung, so große Damen zu empfangen?" „Lege ich Gewicht aus Aeußerlichkeiten?" fragte die Anselmi. „Ich finde Sie in der guten — 197 alten Wohnung wieder und mir ist's, als wäre ich erst gestern das letzte Mal bei Ihnen gewesen. Ich weiß Alles, Sie sind allein, Ihre vortreffliche Mutter ist fort, Sie sind zu kurzem Besuch hier. Ich habe gestern vorn Regisseur Rambach Alles gehört und eile herbei, den alten treuen Freund zu begrüßen." Der Hausbesorger, der mit leidenschaftlicher Hast im Zimmer herumgefahren war, hatte endlich einen Fauteuil aus einem Nebenzimmer herbeigeschafft; die Schauspielerin setzte sich. Sie waren allein. „Wie erstaunt er mich ansieht!" rief die Anselmi. „Er findet sich noch immer nicht drein, daß ich wieder da bin! Ach, wie bin ich so glücklich, wieder in Altdeutschland zu sein und diesen lieben, blonden, altdeutschen Kopf vor mir zu haben!" Sie streckte Klein beide Hände entgegen, die er zögernd ergriff. „Wie er zögert!" rief die Anselmi, hartnäckig die dritte Person in der Anrede gebrauchend. „Wäre alles, wie einst, er läge längst 198 zu meinen Füßen! Der böse Mann! Noch immer die'dumme, alte Geschichte im Kopfe? Hat wegen eines Mißverständnisses einen Zwist vom Zaun gebrochen! Ich bin edler. Ich habe Alles vergessen, alle meine gerechten Vorwürfe auf der Rückkehr in's Meer geworfen! Alle meine Flüche ersäuft! Nun? Keine Anstalten zur Versöhnung? Keine? Sagt nicht einmal, daß er sich freut, mich wiederzusehen?" Sie öffnete die Arme, wie um ihn an ihrer Brust zu empfangen. „Der Hausbesorger dürfte gleich wiederer- scheinen!" entgegnete Klein, mit dem Daumen gegen die Thüre zeigenv. „Ich kenne den Alten und seine Neugier! . . . Aber Sie sehen ja prachtvoll aus, prachtvoll!" Die Anselmi wandte sich mit gespielter Entrüstung ab. „Ich will und verlange," sagte sie mit Nachdruck, „daß Sie sich vor allem Andern als schuldig bekennen! Schuldig! Schuldig!" „Mein liebes Fräulein," erwiderte Klein mit gutmüthigem Lächeln, „wie wäre es, wenn wir 199 die ganze alte Geschichte, die ganze Vergangenheit ruhen ließen? Es ist heute ein so Heller Morgen. — Sie wissen, zu Flüchen und pathetischen Scenen gehört Beleuchtung, ferner Donner und dergleichen — überdies ist heute Neujahr; — wollen wir das Jahr so anfangen lassen? Sagen Sie mir lieber, warum Sie so früh Ihre amerikanische Laufbahn unterbrochen haben, was Ihre Pläne sind? Wie lange Sie hier bleiben?" „Wie lange ich hier bleibe?" erwiderte die Schauspielerin. „Ach, lieber Freund, da liegt noch Alles im Unklaren. Hier ist schwerlich noch Platz für mich. Die Intriguen der Frau von Feldern haben mir die Stellung verleidet, haben mich zu unklugen Schritten getrieben — ich hätte meine Position behaupten und mir sagen sollen, daß ein Günstling des Publikums fester fußt und länger dauert als die Favorite eines Königs! Dazu kam der Streit mit Ihnen, die Welt war mir verleidet. Die Marbach kam, ich ging. Die amerikanische Offerte war brillant, ich wollte zeigen, daß ich mir auch im fernsten 200 Lande ein Publikum zu erobern weiß. Ich sage Ihnen, ich habe Triumphe gefeiert. Gefüllter Saal, dichtbesetzte Gallerten, enthusiastische Demonstrationen, Blumengaben, Kränze in Hülle und Fülle! Dennoch fühlte ich mich unzufrieden. Eine Kunstkritik ohne wissenschaftliche Grundlage! Journalisten, die sich melden lassen, hereintreteu und sagen: Sie sehen in mir den Mann, der Renommees schafft oder zerstört! Und welche Ausnützung der künstlerischen Persönlichkeit! Denken Sie doch, daß die Gesellschaft, bei der ich engagirt war, auf acht Theatern spielte! Heute dirigirt man die Leute nach Terrace Garden, morgen nach Germania; übermorgen wird in Brooklpn und am vierten Tag in Hoboken gespielt! Wenn man so Abend für Abend den Fluch der Deborah ins Publikum schleudern soll... . doch — er scheint mir gar nicht zuzuhören . . . ." „Doch, doch, den Fluch der Deborah schleudern soll," wiederholte Klein. „Ja, das muß bös sein." Er hatte dem ganzen Erguß der Erzählung ein nur höchst unwilliges 201 Ohr geschenkt. Seine Aufmerksamkeit war sehr ungleich getheilt. Er wußte, daß dies die Stunde sei, in welcher seine Freunde unter seinem Fenster erscheinen würden und war im Unklaren darüber, wie er die Anselmi fortbringen solle. . . ." „Als nun der Mai herankam," fuhr die Anselmi fort, „da sagte Alexander Wood, der große Heldenspieler, zu mir: nun sollten wir doch auch den Süden ein bischen abgrasen! Wie gesagt, so gethan — Wood übernahm —" Klein fuhr empor. Sein scharfes Ohr hatte Schritte auf der Haustreppe vernommen. Er mußte sich sagen, daß Hildegard mit ihren Pflegeeltern in wenig Minuten oben sein würde. „Liebe Freundin," sagte er, „Sie werden mir das alles ein andermal erzählen. Eine unaufschiebbare Angelegenheit ruft mich ab" .... „O das Ungeheuer!" rief die Schauspielerin. „Ich komme kaum — schon giebt es Geschäfte!" „Ein eigenthümliches Zusammentreffen" — Aber in diesem Augenblicke pochte es schon. 202 Klein sah sich einen Moment lang rathlos um, wie wenn er die Anselmi in irgend einem Nebenzimmer zu verbergen gedenke, aber da war kein Rath. Ein kleiner Zug trat ein: voran kam ein kleiner, runder, pausbackiger Herr, dann folgte eine alte, freundliche Dame im Sonntagsschmuck; Hildegard machte den Schluß. Beim Anblick der Frau, die sie sogleich erkannte, war Hildegard bleich geworden und wie starr stehen geblieben. Klein dagegen fühlte sich plötzlich der Situation gewachsen. Seinen Muth zusammennehmend, sagte er: „Fräulein Anselmi, berühmte dramatische Künstlerin — soeben aus Amerika heimgekehrt — Herr Kaufmann Küster — seine Frau — Fräulein Hildegard Küster — meine Braut!" Aus Fräulein Anselmi's Augen fuhr ein zündender Blitz. „Ich gratulire," sagte sie, zu Klein gewendet. „Doch in diesem Kreise würde ich fürchten zu stören — entschuldigen Sie" — 203 Sie erhob sich, die mächtige Schleppe fegte das Zimmer dahin. Klein hatte ihr durch das Vorzimmer das Geleit gegeben. „Fort! fort! Die Füße tragen mich kaum. O Männer! Männer!" rang es sich düster von ihren Lippen. Damit ging sie die Treppe hinab. „Eine Neujahrsbescheerung!" seufzte Klein, indem er den Rückweg antrat. 204 HMe§ Aaptet. Der verabredete Gang in den Stadtpark war zur Ausführung gekommen, doch nicht in der heiteren, unbefangenen Stimmung, in der er unter anderen Umständen stattgefunden hätte. Hildegard war durch das Wiedererscheinen der alten Rivalin beunruhigt. Sie forderte Erklärungen, Klein konnte sie mit gutem Gewissen geben, dennoch blieb ein schwarzer Punkt am Horizonte stehen. Auch Klein war nicht in gewohnter Laune. Der tragische Abgang der An- selmi, ein dramatisches Meisterstück, war nicht ohne Wirkung auf ihn geblieben. Die Worte, die sie gesenkten Hauptes, wie gramverloren gesprochen, vibrirten ihm noch immer im Ohre. Wenn die Anselmi ihn-doch wirklich geliebt 205 hätte? Er fühlte, daß noch immer nicht Alles zwischen ihnen in's Reine gebracht sei und daß er noch mit ihr eine Unterredung haben müßte. Er speiste zur Feier des Neujahrs mit seinen Freunden, blieb aber zerstreut und einsilbig. In der Nachmittagsstunde, nach Vier, endlich frei geworden, wandte sich Klein raschen Schrittes dem Hotel Victoria zu, in welchem die dramatische Künstlerin Anselmi gewohnt hatte und nun vermuthlich wieder abgestiegen war: In der That, sie wohnte dort und war zu Hause. Er flog die Treppen hinauf, durchschritt einen langen Corridor und klopfte an der bezeichneten Thüre. Ein zerstreut und gleichgültig klingendes „Herein" kam ihm entgegen. Fräulein Anselmi saß, den Rücken der Thüre zugewandt, am Büreau und schrieb. In der Voraussetzung, daß nur ein Auswärter geklopft habe, kehrte sie sich nicht um und so kam Klein näher und näher und stand schließlich hart an ihrem Ellenbogen. Sie blickte auf, klappte die Schreibmappe hastig zu und blickte, das Haupt mit der mäch- 206 tigen Haartracht auf die Hand gestützt, den Eingetretenen düster und schmerzlich an. „Das überrascht mich," sagte sie endlich, „ich hätte nicht erwartet, Sie wieder zu sehen!" „Es darf," erwiderte Klein, „meiner Meinung nach nichts zwischen uns im Unklaren bleiben. Und darum komme ich. Hätte heute Morgen nicht der Zufall mitgespielt und unser Gespräch vorschnell beendigt, so hätte ich Ihnen selbst mitgetheilt, daß —" „Daß alles zwischen Ihnen und mir vorüber." „So ist es! Doch das ist ja nichts Neues! Das habe ich Ihnen schon vor mehr als einem Jahre angekündigt. Damals — an jenem Abende, als ich sah, wie unwahr Sie sein können!" „Unwahr! Ihr Argwohn, Ihr Mißtrauen sieht Dinge, die nicht sind, nicht sein können! Ein edles Gemüth ist vertrauender und setzt nicht das Schlimmste voraus!" „Erlebtes lasse ich mir nicht ausreden!" „Alles Irrthum, alles Verblendung," sagte die Anselmi und ihre Stimme nahm einen 207 scharfen, schneidenden Ton an. „Sie werden mich doch nicht mit Gospot-Kircher in Verdacht haben? Oder doch? Mein ganzer Stolz bäumt sich gegen diese Annahme auf! Was bleibt also Dvn allem, was Sie gesehen und erlebt haben wollen, zurück? O! ich bin von der ersten Stunde an immer nur zu offen mit Ihnen gewesen. O, wenn ich Sie früher von dieser Seite gekannt hätte! Ein Sturm des Gefühls hat mich an Ihre Brust geworfen, ich liebte Sie und war wehrlos gegen mein Gefühl. Sie kündigten mir Ihre Liebe auf. Ihre Kälte war grausam, empörend die Art, wie Sie von mir gingen. Ich lieble Sie noch immer. Ich vergaß Sie nie. In der Mitte meiner Triumphe sehnte ich mich zu Ihnen zurück — ein Mädchenherz bleibt ewig im Banne dessen, der ihr das Wunder der Liebe erschlossen. Ja, auch das Nichtbeant- worten meiner Briefe brachte mich nicht zur Besinnung — Thörin, die ich war! Ihretwillen litt es mich nicht in der Fremde, Ihretwillen bin ich da — o, daß ich kam, diesen Schmerz, sa diese Schande zu erleben!" 208 Sie führte das Tuch zu den Augen, er hörte sie weinen. „Sie hätten," sagte Klein, „aus meinem Schweigen entnehmen können —" „Ein liebendes Herz hofft und hofft!" sprach die Anselmi langsam und schmerzlich weiter. „Ich glaubte Sie bekehren, zum Vertrauen zurückführen zu können. O ich Verblendete! Ich träumte mich an Ihre Seite. Ich machte Pläne — ich baute Luftschlösser. Herr von Lutteroth, mein guter Vater, will sich vom Dienste zurückziehen, auch er ist der Jntriguen- welt müde — er ist Hagestolz, hat keine verwandte Seele um sich — die Vatergefühle regen sich mehr und mehr in ihm — er will etwas für mich thun. Ich werde das Theater verlassen. Ach, ich sah eine neue, eine schöne Zeit vor mir. Es ist vorbei, Sie haben mir ^ Alles genommen!" Wieder kam das Tuch an die Augen. „Liebes Fräulein," sagte Klein, „das Schicksal hat es anders gewollt, man muß die Dinge nehmen, wie sie sind..." 209 „Wodurch sind sie so geworden? Durch Ihr Mißtrauen. Sie lassen sich von Leuten gängeln, die mir übel wollen! Sie lassen sich in Verhältnisse einführen, die nicht für Sie passen. Aber auf dein Wege, den Sie einschlagen^ werden Sie nicht glücklich werden. Ein Herz, das Sie verstehen konnte und ganz für Sie schlug, erdrücken Sie und stoßen es zurück. Dagegen schreiten Sie jetzt zu einer Heirath —" Sie verzog die Mundwinkel. „Ich habe mit dem Herzen gewählt, mit gutem Bewußtsein und in der Sphäre, die die meinige ist!" sagte Klein fest mit erhobenem Haupte. „Sie mögen sich eine gute Hausfrau gewählt haben," entgegnete die Anselmi, „die richtige Gefährtin nimmermehr!" „Sie sind nicht in der Lage, meine Wahl beurtheilen zu können!" sagte Klein kurz und scharf. „Doch über diesen Punkt gehe ich nicht in die Debatte ein. Liebes Fräulein, Sie sind Künstlerin. Die Macht des Theaters, für das Sie augenblicklich ein wenig blasirt sind, wird II. 14 210 Sie wieder ergreifen, Sie werden sich auf Ihrem eigentlichen Terrain zurechtfinden und in seinem Banne alles Andere vergessen. Sie werden auch nicht lange allein stehen. An Bewunderern und Verehrern hat es Ihnen nie gefehlt, in Europa nicht und nicht in Amerika. Sie haben da wieder, wie ich sehe, Verbindungen angeknüpft. Zur Hausfrau sind Sie nicht geschaffen. Ihr Herz wird noch manchen Bund schließen, bis sich der Rechte endlich findet. Ich bin es nicht gewesen. Ich werde Sie als Künstlerin bewundern — aber nur vom Parterre aus und an der Seite meiner Frau." Er sagte es eifrig, und es drängte ihn, fortzukommen. Eine Erregung, die er sich nicht eingestehen mochte, war doch da. Ein Zauber lag in dieser üppigen, verführerisch schönen Erscheinung. Wie sie so da saß, im Fauteuil zurückgelehnt, das schöne Profil jetzt schmerzlich senkend, jetzt in den Nacken zurückwerfend — er hätte von Stein sein müssen, um nichts zu empfinden. Er sah sie tief und beschleunigt athmen. Er gedachte der Stunden, da er diesen 211 schönen elastische» Leib liebend umschlungen und Funken tanzten ihm vov den Augen. Die Schauspielerin mochte ahnen, was in ihm vorging. Sie legte die Hand schwermuths- voll vor die Augen und während sie ihn durch die leichtgeöffneten Finger beobachtete, ohne daß er es ahnte, jauchzte sie schon: „er ist mein!" „Auch ich habe meinen Stolz," sagte sie trocken, ohne mit einem Tone ihre Empfindungen zu verrathen. „Sie verletzen mich, ich büße für meinen Glauben an Sie. Sehen Sie, ich erhebe keine Ansprüche mehr," fuhr sie mit weicherer Stimme fort. „Werden Sie glücklich, glücklicher, als es den Anschein hat. Ich will Sie nie mehr an alte Zeiten erinnern!" Klein stand stumm und traurig da, seinen inneren Kampf durchkämpfend. „Leben Sie wohl!" rief er plötzlich, sich gewaltsam von diesem Boden loßreißend. „Und Ihren künstlerischen Rath, der mir über Alles schätzbar war, werde ich ihn für die Zukunft ganz entbehren?" „Ach, liebes Fräulein, Schülerinnen Ihrer 14 * 212 Gattung sind für ein Professorenherz gar zu gefährlich!" „Sie eilen, gut. Ich halte Sie nicht, darf Sie nicht halten. Sehen wir uns noch ein letztes Mal?" „Vielleicht, mein Fräulein," sagte Klein ganz unsicher. „Vielleicht! Wiewohl —" Er brach ab und trat an die Thür, die Klinke fassend. „Ich mag Sie nicht länger halten," sagte die Anselmi mit schmerzensmüder Stimme. „Sie eilen zu Ihren Freunden, zu Ihrer Braut." Sie stand auf. „Wollen Sie doch noch einen Augenblick warten? Ich couvertire nur noch den Brief, den ich vorhin eben zu Ende geschrieben habe und Sie sind so freundlich ihn in den nächsten Briefkasten zu werfe». Nicht wahr?" Klein verbeugte sich und trat an das Fenster. In weniger als einer Minute war die Künstlerin wieder da. „Hier! In den nächsten Briefkasten!" „Leben Sie wohl!" 213 Klein enteilte, er fühlte, daß er lange genug auf einem glühenden Boden gestanden. Wie schwül war ihm! Eine Bewegung der Arms — und er hätte die schönste der Frauen an das pochende Herz drücken dürfen. Eine Berührung — er wäre vielleicht verloren gewesen. . . „Ein schönes, verlockend schönes Weib," sagte er zu sich. „Mäntel trägt man nicht mehr im Zimmer, aber ein Joseph kann man noch immer sein! Ein schönes Weib! Und vielleicht doch besser, als ich mir oft denke. Weiß Gott ich wußte bisher noch nicht, welch argwöhnischen Zug ich an mir habe. Jetzt wieder! Als ich eintrat und ihr näher kam, ohne daß sie es beachtete und mein Auge auf das Blatt fiel, das vor ihr lag — unfreiwillig las ich da: liebster Alexander! Einen Eid hätte ich darauf schwören können! War doch nur Spiegelei der Sinne. Der Brief, den ich da habe, ist an Alexe, ihr früheres Stubenmädchen gerichtet, das geheirathet hat, einen Musiker der königlichen Oper zum Manne hat und in der Vorstadt wohnt. Und weil die Anselmi gescheidt ist, und mich durch- 214 schaut und wich daß ich mich meines unedlen Argwohns schäme, giebt sie mir den Brief in die Hand: da, überzeuge Dich und bereue! Denn sie thut nichts ohne Absicht" .... Damit ging er aus dem Hause hinaus und spähte nach dem nächsten Briefkasten. Er wollte nur noch zuvor eine Cigarre anzünden; die hatte immer eine beschwichtigende Wirkung auf seine Nerven. Ein kleines Frauenzimmer trat ihm entgegen. Es war Alexe, die frühere Zofe, jetzt Alexe Schaarschmied, Tonkünstlersgattin. „Ach, sieh da, Herr Doctor, will sagen Herr Professor," redete das kleine Frauenzimmer ihn an, „ist es denn wahr, daß Fräulein Anselmi wieder hier ist? Es steht nämlich im Tageblatt, daß sie in unseren Mauern weile. Wohnt sie wieder im Hotel Victoria? Und kommen Sie am Ende von ihr?" „Ich komme von Fräulein Anselmi," antwortete Klein und kann Ihnen sagen, daß das Fräulein Sie zu sprechen wünscht. Sie hat an Sie geschrieben, ich war eben im Begriff den 215 Brief in den Postkasten zu werfen. Hier ist er!" Frau Alexe nahm den Brief, und öffnete ihn ohne Weiteres, während Klein zu seinem Feuerzeug griff. Aber wunderbar! Unter dem Couvert kam ein zweites Couvert mit ganz anderer Adresse, nach Amerika bestimmt und für Amerika markirt, zum Vorschein. Aus der Innenseite des ersten Couverts stand: „Ich bin wieder da, Alexe! Dies auf die Post zu geben!" Alexe, wiewohl sie so lange in guter Schule gestanden, begriff nicht gleich das Manöver, Klein dagegen machte große Augen. Wieder einmal sah er, daß das edle Weib ihn hatte dupiren wollen. „Sie werden das Fräulein sehen," sagte Klein. „Erzählen Sie ihr den schalkhaften Zufall. Sie wird lachen!" Damit wünschte er ihr guten Abend. Er ging weiter und weiter die Straße hin und begann endlich zu lachen. In diesem Gelächter befreite sich seine Seele: er sah die Anselmi plötzlich wie sie war: die tragische 216 Dulderin, die tragische Muse, immer mit der Maske in der Hand, erschien ihm komisch. Seine Seele war, er fühlte es, auf immer von ihrer Leidenschaft frei! viertes Aaltet. Oberst von Rodenegg stand im Hausrocke, eine kurze Pfeife im Munde, am Fenster seines Hauses in Lassenbach und schaute hinaus in die beschneite Landschaft, wo die Dohlen und Krähen dem Walde zuflogen. Traurig vergehen auf dem Lande die Tage im Winter, doppelt traurig einem einsamen alten Manne, der in seinen Bewegungen gehindert ist. Ein Tag ist wie der andere. Wochenlang liegt der Nebel auf der Gegend, löst sich ein wenig, zieht sich wieder dichter zu. Einmal bläst der Wind aus Nord, einmal aus Nordosi, immer bringt er neuen Schnee mit. Die Abende sind lang, die Winde rumoren im Schlote, die Phantasie malt Alles grau in Grau. Noch einen Blick auf das 218 Schneegefilde, auf das die Sterne mit.funkelndem Licht Herabblicken und man beschließt sein Tagewerk. Nun seOs genug! Aber lange Nächte hat so ein alter Alan». Er kann nicht schlafen, da kommen so viel trübe Gedanken wie graue Gespenster heran. Wär'S doch wieder Tag, daß man herumstapfen und sich ein wenig zerstreuen kann.... Eben, um die zehnte Morgenstunde, war ein alter Diener von militärischem Aussehen hereingekommen und hatte den Frühstückstisch abzuräumen angefangen. Der Herr stand noch immer am Fenster, dampfte vor sich hin und brachte sein Auge nicht vom Walde. - „Es schneit schon wieder," sagte der alte Franz. „Es ist gerade so, als ob der Winter noch was nachzuholen hätte.... Und doch haben wir schon seit Martini die weiße Decke da vor uns." Der alte Oberst dampfte weiter. „Wenn's 'mit der Kälte so fortgeht," hob Franz wieder an, „ist's mit unserem Wildstand richtig aus. Das Edelwild geht rudelweis ein. 219 Nur die Racker, die Füchse und die schwarzen Vögel da haben gute Zeit. Miserable Welt!" Der Oberst wendete sich um und nickte, wie wenn er sagen wollte: im Ganzen magst Du Recht haben. „Futter streuen nützt gar nichts!" begann der Diener wieder. „Man müßte denn die guten Thierchen zuvor au die Futterplätze gewöhnt habe». Und wird das Futter naß, so ist's ihnen gar verderblich .... Ja, über unsere Forste geht es her. Erbarmungslos, man möchte weinen darüber! Im vorigen Jahre der große Sturm, der die stolzesten alten Bäume zu Hunderten abbrach, ausriß und in der Luft herumdrehte — dies Jahr der hohe, endlose Schnee, daß der Wildstand zu Grunde geht. Aber die Welt ist doch weise eingerichtet, sagen die Pfaffen und die alten Weiber." „Darum ist das eben die höhere Weisheit, weil sie Dir unbegreiflich ist, Alter!" entgegnete der Oberst. „Höhere Weisheit?" entgegnete Franz. „Na, das machen Sie mir nicht weiß, daß Sie selbst 220 daran glauben! Wollte Ihr Förster so wirthschaften, Herr Oberst, und sich dann damit ausreden, er habe höhere Absichten dabei — mit dem Stocke gingen Sie auf ihn los! Ueber- haupt eine Weisheit, die Niemandem einleuchten will-" „Wenn zuweilen blinde Naturmächte toben —" „Ja, manchmal, wenn es dem Menschen zu arg wird, da läßt er die „blinden Naturmächte" toben! Sonst aber: „es fällt kein Sperling vom Dache —Nun ja, der Mensch legt sich's eben zurecht, wie es ihm paßt — ich denke mir meinen Theil dabei —" Während der düstere Philosoph seinen lästerlichen Gedanken über die vernünftige Weltordnung in kurzen, abgerissenen Sätzen und mit dem wildesten Gesichte Ausdruck gab, war er allmälig mit dem Geschäft des Aufräumens fertig geworden. Nun öffnete er, der Kälte zum Trotz, das Fenster und schüttelte das Tischtuch auf dem Vorplatz aus, damit die Spatzen im Hofe, die armen Schelme, doch auch etwas 221 hätten. Dies geschah täglich mit so militärischer Pünktlichkeit, daß die kleinen Kostgänger längst schon dieses Momentes gewärtig waren und nun von allen Seiten hcrbeiflogen. Vergnügten Gesichtes sah der sonst so bärbeißige Philosoph ihrem Hüpfen und Picken zn. Er war immer nur um so hilfbereiter, da er von den höheren Mächten wenig erwartete. Nun schloß er sorgsam das Fenster und wollte sich langsamen Schrittes davonmachen. Aber Peitschenknall, Hufschläge und der Schall eines in den Hofraum einfahrenden Wagens riefen den alten Mann wieder an den kaum verlassenen Posten. „Ei, wer kommt doch da?" fragte er. „Ein städtischer Wagen — ein junger Mann im Pelzrock, mit einem dicken Shawl um den Hals, steigt aus .... Herr Oberst, das ist etwas Rares — Sie bekommen Besuch — Besuch aus der Stadt. Bei diesem Wetter schier ein Wunder—" „Ich bin fortgefahren, komme heute nicht wieder — vielleicht auch morgen nicht —" „Aber Herr Oberst," rief der alte Diener in 222 mißbilligendem Tone. „Werden mir denn ganz und gar zum Menschenfeind? Sie sollten sich freuen, daß Jemand noch an uns denkt. Uebri- gens ist es jetzt schon zu spät, sich zu verleugnen. Hans hat den Herrn schon gesprochen und ihm gesagt, daß Sie zu Hause sind. Eben führt er ihn her." „Der Teufel auch!" rief der Oberst unwirsch. „Fort und fort wird man gestört!" Er legte die Pfeife beiseite. „Ei, so machen Sie doch keine so wilden Augen, Herr Oberst; es ist ja ein gar netter Herr — was würde sich der von uns Landbewohnern denken, wenn Sie ihn mit dem Gesicht empfingen —" Indeß pochte es; auf des Obersten knurriges Herein ging die Thür auf, der Reisende, der im Vorhaus Pelz und Shawl abgelegt hatte, trat ein. „Herr Oberst," sagte er, unbefangen herantretend, während der Diener sich entfernte, „ich bin voetor Mis Hermann Zoller. . . ." 223 „Habe nicht das Vergnügen," versetzte der alte Herr. „Ich habe doch die Ehre, Ihnen bekannt z» sein," erwiderte Hermann. „In der Wahlversammlung, die vor etwas mehr als einem Jahre stattfand, hatten Sie die Freundlichkeit, mich anzusprechen —" „Sie haben Recht!" erwiderte der Oberst, Zoller's Hand ergreifend und lebhaft schüttelnd. „Sie haben da vortrefflich gesprochen und wir haben Sie unmittelbar darauf zu unserem Abgeordneten gewählt. Jetzt erst erkenne ich Sie. Entschuldigen Sie einen kurzsichtigen alten Mann. Ihre Züge hatten mich gleich frappirt, gleich. Es freut mich, Sie wiederzusehen. Womit kann ich dienen? Doch nehmen Sie Platz, da, auf dem Sofa, mir gegenüber." Beide setzten sich. „Ich komme," begann Hermann, „in einer für mich hochwichtigen Angelegenheit zu Ihnen, Herr Oberst, und kann nur an Ihre Güte und Menschenfreundlichkeit appelliren, mir behilflich zu sein. Ich wage, Sie darum zu bitten, denn 224 Sie sind der einzige Mensch auf dieser Welt, der, meines Wissens, mir die ersehnte Auskunft ertheilen kann. Wenn ich bei Ihnen nichts ausrichte, wird für alle Zeit ein Schleier über mein ganzes Leben ausgebreitet hängen bleiben —" „Ich verstehe Sie nicht, mit dem besten Willen Sie zu verstehen," sagte der Oberst. „Erklären Sie sich näher!" „Es würde," hob Hermann wieder an, „zu langwierig sein, Ihnen auch nur den kürzesten Abriß meiner Lebensgeschichte zu geben, und doch geht es nicht ohne eine kleine Darlegung. Ich wurde in den engsten Verhältnissen geboren und stand, noch in den ersten Knabenjahren, allein in der Welt. Aber nur scheinbar allein und hilflos! Ein edles weibliches Geschöpf, sagen wir, eine nähere Anverwandte, nahm sich unerwartet meiner an. Ihr danke ich's, daß ich vor Armuth geschützt blieb, ein Kostgeld zahlen konnte, im Winter eine warme Stube und Jahr für Jahr das Geld für mein Studium hatte. Mein Gott, was wäre ich ohne sie geworden! 225 Taglöhner, Lehrbursche! Ich brauchte aber auch nicht mich mit Privatstunden zu quälen; noch im Tode hatte sie ja alle Hindernisse hinweggeräumt, ich durfte mich ganz und voll meinen Studien widmen — ich kann sagen, daß ich, das Herz immer ihr zugewendet, mit eisernem Fleiße arbeitete. Nun aber, da ich auf meinen eigenen Füßen stehe, treten allerlei Umstände an mich heran, die mir sagen: Du bist nicht das Kind der Frau, die Du Mutter nanntest; jene Andere, der Du soviel verdankst, sie ist nicht blos Deine Tante, wie Du sie zu nennen gewohnt warst. Erfahre etwas über ihre Vergangenheit, dann wirst Du auch Licht über die Deinige erhalten. Ist es Thorheit, daß ich mir dies begehre? Ich bin da, sie ist längst im Grabe. Un d doch — es ist der Trieb, ins Klare zu kommen, ein nicht zurückzudrängender Trieb —" „Und da soll ich Ihnen zu Hilfe kommen?" fragte der Oberst mit einem wilden Gesichte und unruhigen Augen. „Sie kommen an den Unrechten!" „Sie standen," hob Hermann wieder an, 15 II. 226 „vor vielen Jahren — ich weiß nicht, vor wie vielen — in der Bundesfestung Mainz. Haben Sie da nicht — durch Vermittlung einer Familie Uscheroff in Moskau — ein Briefpacket erhalten?" „Ich weiß von nichts!" fuhr der Alte barsch dazwischen. „Ich weiß von nichts!" „Herr Oberst," sagte Hermann, „hier ist ein Brief des jungen Grafen Uscheroff, den ich vor einer Woche erhalten. Er schreibt mir, seine Mutter habe das Packet an Ihre Adresse nach Mainz zu expediren gehabt und dasselbe unzweifelhaft expedirt." „Ich leugne nicht," sprach der Oberst, stutzig geworden, „ein Packet erhalten zu haben, ich begreife nur nicht, inwiefern Sie das angehen soll?" „Das Packet stammt von Olga Denin, das ist von meiner Tante!" sagte Hermann. „Ich weiß nichts von einem Fräulein Olga Denin und es ist mir gleichgiltig, welche Steffen sie gehabt!" schrie der Oberst in großer Erregung. „Das ist leicht erklärlich," versetzte Hermann, „aber für den Zweck, der mich herführt, ist es genügend, wenn Sie, der Sie meine Tante gekannt haben, mir etwas über ihre Lebensverhältnisse angeben wollten." „Ich weiß nichts von Ihrer Olga und nichts von einem Neffen," schrie der Oberst in unverminderter Aufregung. „Das ist eine Finte, um etwas herauszuspioniren, aber eine unglückliche Finte!" „Herr Oberst!" rief Hermann, zornig zurücktretend. „Können Sie Ihre Behauptung nachweisen?" „Hier," erwiderte der junge Mann, in die Brusttasche greifend, „ist ein Bündel Briefe, die ich zum Zwecke einer Legitimation vor Ihnen zu mir gesteckt habe. Wollen Sie sie durchsehen —" Hermann reichte die Papiere hin. Mit einer Hand, die noch mehr als gewöhnlich zitterte, griff der Oberst darnach und sah hinein. Dann blickte er Hermann lang und starr an. 228 „Ich bitte, Herr Oberst," sagte dieser, „den Inhalt dieser Blätter zur Kenntniß zu nehmen. Dann werden Sie nicht länger zweifeln, daß Olga Denin, die Ihnen nahe gestanden haben m u ß, da Sie der Empfänger ihrer schriftlichen Vermächtnisse waren, ich sage, daß Olga Denin meine Tante war. Vielleicht gar meine Mutter!'Ich möchte es glauben, denn so viel Liebe läßt sich nicht anders erklären, so viel Sorge, so viele Opfer, so viele Reisen. Blicken Sie in diese Papiere und Sie werden sehen, daß ich, das einsam stehende Kind, der Inhalt aller ihrer Gedanken war. Mir hat ihr letzter Seufzer gegolten —" Thränen traten ihm in die Augen, aber gleichzeitig auch dem Obersten. „Weinen Sie nicht!" rief der Alte mit gebrochener Stimme. „Ich kann Niemanden weinen sehen und dabei trockene Augen behalten. Es ist so eine Eigenheit — alte Augen — Aber was halten Sie da in der Hand?" „Ein Bild Olga Denin's, das bis vor Kurzem im Besitze der Familie Uscheroff war —" 229 Er reichte es dem Alten hin — eine Miniatur unter Glas in einem Goldrahmen. Der Oberst langte gierig darnach und vertiefte sich in den Anblick. „Ottilie! Ottilie! Ja, das ist ihr Bild!" rief er, von seinen Gefühlen ganz überwältigt. „So war sie! So war sie! Lange Jahre hab' ich nach einem Bilde von ihr verlangt. Ich habe die lieben, schönen Züge so lange nicht geschaut! Ich kann mich nicht satt sehen. O, sie ist zum Sprechen getroffen! Reden Sie! War ein solches Wesen nicht bestimmt, glücklich zu werden?" Er küßte das Bild mit Leidenschaft und rief, ganz außer sich: „Meine Tochter! Meine unglückliche Tochter! Sie sind ihr Sohn. Mein lieber Enkel, ich habe nicht gewußt, wo ich Dich zu suchen habe, aber Gott hat Dich zu mir geführt, um den einsamen, alleinstehenden Mann zu trösten!" Sie sanken sich in die Arme. Dieser Ausbruch, in welchem jahrelang in stummer Brust verschlossene Schmerzen und 230 plötzliche Freude mit einander rangen, war für die Nerven des alten Mannes zu viel. Er sank zurück, bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen und schluchzte lange. Hermann stand auf's Tiefste erschüttert vor ihm. Dann löste er langsam nnd sanft die zitternde Hand vom Gesichte los und küßte sie. Aber er wagte es nicht, die Frage, die sich ihm jetzt vor Allem auf die Lippen drängte, zu stellen. 231 Herr von Themar hatte einem großen Diner in einem vor der Residenz gelegenen Landhause beigewohnt und dasselbe spät verlassen. Als er, bequem in die Ecke des Wagens zurückgelehnt, an der kleinen Villa des Generals Aschberg vorüberfuhr, sah er Licht in dessen Fenstern und es fiel ihm ein, den alten Herrn, den er lange nicht gesehen, wieder einmal zu besuchen und den Rest des Abends, mit dem nicht viel anzufangen war, bei ihm zu verbringen. Er ließ halten, stieg aus, bestellte den Wagen auf zehn Uhr und begab sich zu Fuß zu seinem Freunde. Er fand diesen wie gewöhnlich allein auf seinem Zimmer, die lange türkische Pfeife im 232 Munde, vor seinem Kamin sitzend, in welchem ein Holzseuer prasselte. „Ich sehe," sagte Aschberg, „daß Sie mindestens eine apostolische Tugend ausüben." „Wieso?" fragte der Minister. „Sie besuchen Kranke, bei denen nur Langeweile und Verstimmnng zu holen ist." „Ich will nicht hoffen, daß Sie ernstlich krank sind?" „Doch, ich bin es," erwiderte der General mit einem Seufzer. „Ich bin krank und der kränkste Theil an mir ist mein Herz." Der Minister nahm Platz am Kamin, der Theekessel ward frisch gefüllt. „Mein Humor," hob der General an, „ist der allerdüsterste. Ich wühle fort und fort in der Vergangenheit. Heute Abend hab' ich drei Stunden zugebracht, alte Briefe zu überlesen, um sie dann zu verbrennen. Ich durchschaue meinen Zustand und sehe, daß es niemals besser werden kann .... Tagelang rede ich keine Silbe, Alles verletzt mich. Alles ärgert und beleidigt mich — ich bin wie ein wunder Körper, der sich 233 gar nicht berühren lassen will. Ich bin wieder im Süden gewesen. Die Luft dort thut mir gut, doch nur dem Leibe und den Knochen, nicht dein Geiste, nicht den: verzweiflnngsvollen Herzen. Sie haben mich lange nicht gesehen, nicht wahr? Ich gehe nirgends hin. Ich lebe einsam, wie außerhalb der Welt und das ist auch das Beste für mich. Seit Jahren treibe ich es so. Kommt etwas von Außen an mich heran, so ist es nur eine neue, aufregungsvolle Pein . . . ." Er blickte lange in die Kohlen. Themar sah , den alten Herrn mit Theilnahme an. Der General fuhr wieder fort: „Ach, wohin bringen uns die Jahre! Am Haar ist es nur die Veränderung von Braun in Grau, und von Grau zu Weiß — aber wie ist es im Innern! Mein Herz ist für die Freude ganz unempfänglich geworden. Eine Natur, ursprünglich expansiv, ausströmend im höchsten Grade, ist schweigsam geworden und der Mittheilung feind. Was ist das anders als eine Reaction, in welcher sich die Seele krampfhaft 234 zusammenzieht und ihre Emfiiiduiigen selbst verschluckt?" „Oft," fuhr er nach einer Pause fort, „bin ich wie ein Stein, zuweilen ist mir aber auch tagelang so, als hielte ich nur mühsam die Thränen zurück.... Schon beim Aufstehen bin ich so müde. Warum kann ich denn in der Nacht nicht schlafen? .... „Man müßte wissen, was Ihnen zugestoßen ist, um rathen zu können," sagte Themar mit wirklichem Antheil. „Mir ist nicht zu helfen," erwiderte der General. „Ich will Ihnen aber erzählen, wie das Alles gekommen. Lange Jahre kennen wir uns, allerdings nur wie sich Weltleute kennen, ich habe Ihnen nie erzählt, was mich drückt. Nun zählt inein Leben nur noch ein paar Jahre, vielleicht noch weniger; wollen Sie hören, wie mir das Schicksal mitgespielt?" Der Minister drückte dem Alten die Hände. „Erzählen Sie. Auch ich habe Manches erfahren. Ich werde Ihre Mittheilungen zu schätzen wissen!" 235 „So hören Sie zu!" sagte Aschberg. „Zu Anfang der Dreißiger-Jahre — ich bin wenig jünger, wie das Jahrhundert — lebte ich in Petersburg, wohlauf, immer guter Dinge. Ich hatte eine eiserne Gesundheit. Ich war mit Herz und Seele Militair und eben Adjutant des Großfürsten geworden. Ich bewegte mich in der vornehmen Welt und nahm an allen ihren Freuden Theil. Ohne eben ein Don Juan oder ein Wüstling zu sein, richtete ich Nnheil an. Ich besuchte öfter das Haus einer vornehmen Frau, in welchem eine junge Engländerin die Stellung einer Gesellschafterin hatte. Es war wirklich a, srveet ssirl, eine echtbritische Schönheit. Ich war hingerissen, sie verliebte sich in mich, wir sahen uns heimlich — die Folgen blieben nicht aus. Das Mädchen war in Jammer aufgelöst, ich machte mir die bittersten Vorwürfe — aber was halsen die? Sollte ich sie heirathen? Meine Carriere war dann zu Ende, meine Stellung in der Gesellschaft vernichtet. Ich konnte mir das Nasenrümpfen meiner Freunde, das Hohn- 236 lachen meiner Widersacher ausmalen. Und doch war ich zu diesem Schritte entschlossen oder halb entschlossen. Während ich die Sache im Kopfe mit mir herumwälze, wird ein Besuch bei mir gemeldet. Ein junger Mensch von ziemlich ordinärem Aussehen tritt ein und sagt mir: „Wie ich in Erfahrung gebracht, erwartet mich die Ehre, Ihr Schwager zu heißen. Mein Name ist Smith, ich bin in einer hiesigen Maschinenfabrik angestellt. Sie werden meine Schwester heirathen." Ein wilder maßloser Mensch stand vor mir, der mir allein alle Schuld zuschob, für Vernunftgründe taub war und mir nicht einmal einen Aufschub zugestehen konnte. Auf andere Weise und mit guten Worten wäre ich zu lenken gewesen, aber diese brüske, brutale Art brachte mich auf. Ich wurde noch wilder, als er ein paar Pistolen aus der Tasche zog und sie auf den Tisch legte. Nun weigerte ich mich aufs Bestimmteste- der Heirath. Trotz gegen Trotz. Er forderte mich, es war nicht auszuweichen, ohne den Vorwurf der Feigheit von seiner Seite 237 auf mich zu laden. Ich versprach, mich mit ihm zu schießen. Das Duell war nicht leicht durchzuführen, es fehlten mir die Zeugen, wie ich sie mir wünschte. Ein alter Diener belauschte die Verhandlungen, lief zu einer Tante von mir, diese fuhr zunl Platzcommandanten; auf dein Flecke, wo wir uns schießen sollten, wurden wir Beide verhaftet. — Der Engländer wurde ins Verhör genommen, mein Vorgesetzter legte sich in die Sache, man machte dem jungen Manne Vorstellungen. „Wollen Sie das Mädchen," sagte man ihm, „zum Gegenstand des Stadtgesprächs machen? Wollen Sie die Sache an die große Glocke hängen? Noch ist die Familie, bei der das Mädchen wohnt, von nichts unterrichtet und ihre Ehre unangetastet. Als Frau von Aschberg — machen Sie sich darüber keine Illusion — werden Sie Ihre Schwester nie sehen! Wäre sie aber glücklich in einer solcherweise erzwungenen Ehe? Kaum. Herr von Aschberg bietet Ihnen zehntausend Rubel, damit bringen Sie Ihre 238 Schwester nach England zurück. So ausgestattet, wird sie seinerzeit leicht einen Gatten finden." Der junge Brite war durch den Verlauf der Sache etwas herabgestimmt. Er ging mit sich zu Rathe. So war die Schwester versorgt. Der Bruder erhielt die Summe beim Banguier meines Vaters ausgezahlt, beide Geschwister verließen Rußland. Ich ging bald darauf in den Kaukasus ab, wo ich das Glück hatte, von allen Tscherkessen- kugeln verschont zu werden und avancirte rasch. Von Mutter und Kind hörte ich nichts mehr. Fünf Jahre später, Oberst geworden, heira- thete ich eine Gräfin Zamoiska aus Russisch- Polen. Es war eine große Partie und von meiner Seite eine Sache der Eitelkeit. Sie brachte mir hunderttausend Rubel, einen großen Namen, viel Schönheit mit; ich war der Gegenstand allgemeinen Neides. Aber die Entzauberung ließ nicht lange auf sich warten. Meine Frau war verschwenderisch und vergnügungstoll. Sie hatte für nichts 239 Sinn, als für Feste und Bälle; Reisen an das Meer und in die deutschen Spielbäder verschlangen unsere Nevenuen; nach dreijähriger Ehe, in der mir ein Knabe geboren wurde, ergab sich das Facit, daß wir eine ungeheure Hypothekenlast auf unsere Güter gewälzt hatten. Wir steigerten die Pächter, die theilweise noch in alten Contracten saßen, die besten Vorsätze wurden gefaßt und Tilgungspläne ausgearbeitet, die sich auf dem Papier trefflich aus- nahmen, aber der Leichtsinn meiner Frau und ihre grenzenlose Verschwendungslust machten immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Wir hatten täglich Zank — und da ich endlich einsah, daß meine Frau nie Vernunft annehmen werde, so verlangte ich die Scheidung. Es gab gegenseitige Vorwürfe, der Scheidungsproceß wurde eingeleitet, die Frau verlangte, was sie mitgebracht, ich warf es hin, nur um Frieden zu haben. Die Noth hatte mich längst zum strengen Wirth gemacht, ich wollte, wenn ich einmal von ihr geschieden sei, durch Sparsamkeit und strenge Aufsicht wieder 240 Ordnung auf meiner Hufe eiuführeu, damit mein Sohn wenigstens glücklicher werde als ich. Da — eines Tages — entweicht meine Frau aus dem Hause und hat mir mein Söhnchen mitgenommen. Denken Sie, mein Kind, meine einzige Freude, mein Glück, das Kind, von dein ich sagte: das wenigstens muß mir bleiben, es ist ein Sohn, der kann mir nicht genommen werden! Es ist ja Diebstahl, Kinderraub. Wohin war sie gegangen? Alle Nachforschung vergebens. Ich saß allein, verlassen, kinderlos, fluchend und weinend. Endlich machte ich mich auf, Mutter und Kind zu suchen. Ich reiste dahin und dorthin wo nur der Verdacht mich leitete, reiste kreuz lind quer, ich könnte es nimmermehr sagen, wo ich zuerst, wo ich später war. Was war aus meinem Kind geworden? Je länger das dauerte, umsomehr wuchs meine Angst, meine Unruhe. Ich mußte das Kind um jeden Preis wieder haben. Viele Freunde halfen mir suchen, wir zogen aus und kehrten heim, keine Spur, kein 241 Zeichen. Ich fluchte und weinte. Alles vergebens! Endlich stöberten wir Mutter und Kind auf. Denken Sie, sie lebte in Freiburg in der Schweiz und hatte mein Söhnchen einem spanischen Jesuiten zur Erziehung übergeben! Sie kannte meinen Haß der Jesuiten, meine protestantische Gesinnung, und die Rache, welche die unversöhnliche Frau an mir nehmen wollte, war die, mir ein geistig ganz verwandeltes Kind einst entgegenzusühren! O das war teuflisch erdacht, teuflisch! Ich raubte das Kind, denn den Weg des Gesetzes zu gehen in einem fremden Lande mit fatal peinlichem Gesetzesgang wäre mir unmöglich gewesen. Ich nahm es auf offener Straße plötzlich in meine Arme, sprang in den unsern haltenden Wagen und sauste vor den Augen der Mutter und des hagern Spaniers davon. Nun jagte ich über Hals und Kopf zurück in's Vaterland. — Nun hatte ich ihn wieder, meinen Knaben. Ich bewachte ihn, er verließ mich nie, Niemand 16 II. 242 konnte mir ihn ein zweites Mal nehmen. Aber — hatte ich ihn wirklich? War er noch mein? Er war in den zwei Jahren seiner Abwesenheit bösen, bösen Einflüssen ausgesetzt gewesen. Er fürchtete mich, ich war ihm fremd geworden, er liebte mich nicht mehr. Den Rosenkranz, den ich in seiner Tasche gefunden, konnte ich ihm wegnehmen und unter meinen Füßen zertreten — aber was er sonst vom spanischen Abbö angenommen, blieb. Als er dreizehn Jahre alt geworden war, begann er zu kränkeln, das Uebel machte reißende Fortschritte, er starb. In seinem zehnten Jahre hatte er noch das Herrlichste versprochen! Nun war er todt. Alles schien für mich vorbei. Ich stand allein, das öde Feld des Schmerzes lag vor dein Einsamen endlos ausgebreitet da. Da zufällig Tags zuvor ein Bettelbrief meines Weibes gekommn war, den ich abschlägig beantwortet hatte, ließ ich nun gleich darauf ein paar Zeilen mit der Schmerzensbotschaft an sie abgehen. Was war die Antwort der wüthenden, mich 243 bitter hassenden Frau? „Empfangen Sie," schrieb sie, „in Ihrem Schmerze einen Trost: Eines Andern Kind beweinen, ist thöricht. Karl war nicht Ihr Sohn." Zorn, Haß, wilde Menschenverachtung zogen in mir ein. So hat sie mich schon so frühe zu betrügen angefangen und sah wohl mit heimlichem Lachen drein, wenn ich mit Vatergefühlen das Kind liebkoste! O hätte sie doch geschwiegen und mich lebenslang meinen Sohn beweinen lassen! Wie kann Kenntniß meiner Schande mich trösten? Gesetzt, es schwächte an einer Seite meinen Gram, andererseits stürzt sich ein neuer auf mein zerrissenes Herz . . . . O, ein peinliches Gericht, ein schreckliches Loos bricht über mich herein. Ich erliege. „Aber ist es auch wahr? Lügt sie nicht blos ihre Unehre, nur zu dem Zwecke, mich zu verwunden? Ich darf ihr, wie sie jetzt gegen mich steht, Alles zumuthen. Alles!" In dieser Zeit dachte ich oft, ich müsse verrückt werden. Aber etwas lebte in mir, das selbst kalt und unbewegt auf meine Schmerzen 16 * 244 und Konvulsionen herabsah. Dies geheimnißvolle Etwas war da, wie ein mitleidloser Zuschauer, der meine innere Verwüstung betrachtete, als wenn sie ihn nichts anginge. Es war mein Selbstgefühl als Mann und Soldat, das Gefühl des Mannes, das mir sagte: Dir ist ärger mitgespielt worden, als Du es verdienst. Dies geheime Etwas erhält mich am Leben. Aber schauderhaft einsam stand ich da. Wofür hatte ich jahrelang gearbeitet, meine zerrütteten Vermögensverhältnisse wieder herzustellen? Ich hatte keine Familie, keinen nahestehenden Erben. Wofür hatte ich mich gemüht, für wen sollte ich mich ferner mühen? In dieser Erstarrung blickte ich sehnend nach einem warmen Sonnenstrahl aus, nach etwas, was ich noch liebend umfassen könne. Ich begann in die ferne Vergangenheit zurückzuschallen, alte Erinnerungen belebten sich, ja, ich hoffte noch einen Ersatz für alles Erlittene! Der alte Diener, der damals in der Tragödie meiner Jugend mitgespielt, lebte noch; ich sendete ihn nach England, um dort Nachforschungen 245 nach Laura Smith und deren Kind anzustellen. Der russisch-türkische Krieg wüthete schon seit mehr als einem halben Jahre. Ich stand in Bessarabien. Paskiewitsch hatte vor Silistria erfolglose Kämpfe bestanden, die Westmächte hatten ihre Flotten in die Ostsee und das Schwarze Meer geschickt, der Angriff auf die Krim war zu gewärtigen. Ich erhielt den Befehl, in Eilmärschen auf die taurische Halbinsel vorzurücken. Vor Balaclawa hatten wir Gefangene gemacht. Unsere Granaten waren vernichtend in eine englische Batterie eingeschlagen, wir schnitten den Leuten den Rückzug ab, zwanzig Mann, darunter ein junger Artillerie-Lieutenant, letzterer nicht unbedeutend an der Schulter verwundet, wurden eingebracht. Es war ein wunderschöner junger Mann von echt englischem Typus. Er kam ins Lazareth, ich befahl, auf ihn gleiche Sorgfalt wie auf einen Offizier unserer eignen Truppe zu verwenden. Ich sprach einige Male 246 mit ihm, sah, daß er aufkam; er gab höfliche, aber kurze Antwort auf meine Fragen. Ein paar Wochen später trifft mich ein Unfall. Da ich eben ausreiten will, schlägt ein Hohlgeschoß nicht allzufern ein, mein Pferd bäumt, überstürzt sich und wälzt sich auf mir herum. Ich wäre unfehlbar des Todes gewesen, wenn nicht ein kräftiger Arm das Thier von mir weggerissen hätte. Mein Netter war der junge Engländer, der zufällig mit einigen seiner Kameraden in der Nähe gestanden. Ich dankte ihm herzlich und als nicht lange darauf eine theilweise Auswechslung von Gefangenen stattfinden sollte, dachte ich zuvörderst an ihn. Der Tag der Auswechselung kam, es war Waffenruhe, die fremde Commission erschien, die Gefangenen standen rangirt, unsere Leute warteten an den Thoren und Zugbrücken. Ich bemerkte, daß der junge Artillerielieutenant mich öfter ansah und eine gewisse Aufregung zeigte. 247 Ich ließ ihn herantreten nnd wechselte einige Worte in seiner Muttersprache mit ihm. Ich kam auf d en Dienst, den er mir geleistet, zurück. „Ich hätte denselben jedem Anderen ebenso erwiesen!" lehnte er frostig ab. Die Hand, die ich ihm geboten, ergriff er nicht. Dieses Benehmen befremdete mich auf's Höchste, auch entging mir nicht eine tiefe Bewegung, die in seinem Gesichte arbeitete und die er nicht unterdrücken konnte. „Weshalb verweigern Sie mir Ihre Hand?" fragte ich den jungen Mann. „Da Sie nach dem Grund meines Benehmens fragen, General," erwiderte er, „so höre n Sie ihn! Sie haben an mir und meiner Mutter nicht als Mann von Ehre gehandelt. Ich bin Ihr Sohn!" Ich war außer mir. „Hätte uns nicht der wunderbarste aller Zufälle zusammengebracht," fuhr er fort, aber kalt und im abwehrenden Tone, „Sie hätten nie davon eine Silbe erfahren." 248 „Lebt Ihre Mutter noch?" fragte ich ungestüm. „Sonderbare Frage von Ihrer Seite!" erwiderte er. „Sie haben sich nie darum gekümmert!" „Nein! Nein!" erwiderte ich. „Ich habe sogar eine Person nach England abgeschickt, nach ihr zu forschen." „Meine Mutter ist nicht mehr am Leben," erwiderte der junge Mann. „Es ist besser so. Niemand hat um mich geweint, als ich fortging." Ich war tief ergriffe». „Ich weiß seit Jahren, daß ich Ihnen mein Leben zu danken habe," fuhr der junge Mann fort. „Aber das bringt mich Ihnen nicht nahe. Sie haben sich durch eine Geldsumme Ihrer Pflichten gegen Mutter und Kind entledigt, das sagt genug. Was aus uns geworden, war Ihnen gleichgiltig. Das Capital, aus dessen Zinsen meine Erziehung bestricken worden, ist noch unberührt, Sie werden es von mir zurück erhalten, sobald ich wieder daheim bin. Der 249 Gedanke, vom Geschenke eines Fremden zu leben, ist nur unerträglich." „Sie nennen mich einen Fremden," erwiderte ich. „Ich habe das verdient. Und doch wäre ich glücklich, in Ihnen meinen Sohn umarmen zu können! Ich bin kinderlos, entbehre schmerzlich ein Herz, das mich liebt —" Ich öffnete die Arme, ich meinte, er werde hineinstürzen, er blieb ruhig. „General Aschberg," sagte er — „Was? rief ich, „ich nenne Sie Sohn, Sie erwidern kalt: General. Das trage ich nicht. Ich biete Ihnen mein Herz an — Sie weisen es zurück?" In diesem Augenblicke blies der Stabstrompeter, die beiderseitigen Commissäre traten heran zum Uebernahme ihrer Leute. Die Gefangenen defilirten ab. Ich stand wie betäubt da. Ich hatte mich zu dem jungen Manne so hingezogen gefühlt, sein männlich trotziges Wesen hatte nur gefallen, er hatte mir das Leben gerettet, er hatte mich zugleich verwundet und entzückt, ich hatte eine Er- 250 Öffnung von ihm empfangen, die meine still im Herzen glühenden Wünsche der Erfüllung nahe brachte, andererseits war ich von seinem Vorwarf in der innersten Seele getroffen worden. O, rief es in mir, mein Sohn im feindlichen Lager, meinen Kugeln ausgesetzt, er nach mir die Geschosse visirend! O hätte ich ihn nicht fortgelassen! Wie glücklich könnte ich im Alter sein! Ich fühle es, ich fühle es, er ist meiner Liebe werth! Der Winter ging hin, voll schrecklicher Mühsal, wir hatten uns auf Sebastopol zurückgezogen. Der Frost hatte den Fortgang der Be- lagerungs-Arbeiten von Seiten der Engländer und Franzosen unterbrochen, aber Krankheiten und Entbehrungen richteten schreckliche Verheerungen in beiden Lagern an. Ich dachte an die Opfer, die der Krieg verschlang, ich sah meinen Sohn im Geist fortwährend vor mir, durch sein schönes Gesicht schimmerten mir die einst geliebten Züge seiner Mutter entgegen. Es kam der März. Wir hatten wieder ein- 251 mal einen größeren Ausfall auf die Belagerer zu unternehmen, die ihre Arbeiten wieder aufgenommen hatten. Eine Schanze drüben hatte eine weithin drohende Stellung eingenommen, sie belästigte mit ihren Geschützen die ganze Umgebung. Sie bestrich die Landstraße und warf ihre Geschosse bis auf unsere Vorwerke. Sie machte den Aufenthalt in denselben unleidlich; in ihrem Schutze wurden Laufgräben angelegt. Ich ließ einen kräftigen Ausfall machen, die Schanze wurde demolirt, gestürmt und Alles dort niedergemacht. Vor Einbruch der Nacht begab ich mich hin. Um die demontirten Geschütze lagen die Leichen haufenweise. Wen fand ich unter den Leichen, die Wunde vorn an der Brust, das starre, bleiche Gesicht zum Himmel gekehrt? Meinen Sohn. Aus den Zügen seines Gesichts sah wieder die Mutter mich an. Seitdem habe ich den Krieg weiter mitgemacht. Ich habe die Schlacht an der Tsernaja 252 und den Fall Sebastopols Persönlich mit erlebt. Die Verbündeten besetzten nur rauchende Trümmer. Nach dem Pariser Friedenscongreß nahm ich meinen Abschied. Das ist meine Geschichte," endete Herr von Aschberg — „nicht wahr, eine rechte Winternachtgeschichte?" Herr von Themar hatte der Erzählung mit größerer Ergriffenheit zugehört, als der Erzähler selbst es ahnen konnte. Er äußerte sich nicht über sie, doch seine Mienen sprachen mehr als Worte. Aschberg war erstaunt, so viel Theilnahme zu finden, und bat ihm im Herzen Manches, was er ihm vorgeworfen, ab. Der Minister verließ die Villa mit dem Versprechen, demnächst wieder zu kommen. Er war ganz ernst geworden. Jener Herbstnachmittag trat ihm wieder vor die Augen, au welchem er dasselbe Haus in so großer Gemüthsbewegung verlassen, es war ihm wie ein Verhängniß, das ihn an diesen Mann knüpfte, dessen Beziehungen sogar theilweise mit den sei- nigen zusammengelaufen waren und dessen 253 Schicksal mit dem seinigen so viel Ähnlichkeit hatte. Zu Hause angekommen, in seinem luxuriösen Gemache auf- und abgehend, dachte er noch immer über die vernommene Geschichte nach. Sie war wirklich ein Gegenbild seiner eigenen und diese Ähnlichkeit mußte sie haben, um sein selbstsüchtiges Gemüth so in Aufregung zu setzen.... „Schrecklich, schrecklich," dachte er sich, „solche Conflicte zwischen Vater und Sohn! Jener richtet die Kanonen gegen den Platz, wo sein Vater commandirt, auf die Gefahr hin, ihn tödtlich zu treffen. Zoller's Geschosse sind weniger furchtbar, aber vergiftet und treffen meine Stellung und meine Ehre. Dort hat der Tod die unnatürlichen Verhältnisse gelöst — hier geht der Kampf weiter —" Jahrelang hatte Frau von Feldern ihre Tochter von sich fern gehalten, um nicht durch sie an ihren ersten, bürgerlichen Gatten zu erinnern, nebenbei auch, um nicht ein erwachsenes, hochaufgeschossenes Mädchen als Tochter sehen zu lassen. Nur eine vorzugsweise katholische Anstalt war ihr als die für die Erziehung derselben paffende erschienen. Nun hatte sie es doch geduldet, daß Emma sich vor der Welt zeige und im Hause der protestantischen Familie Feldern lebe. Nur so gewichtige Schläge, wie der Tod des Königs und der Verlust ihrer Macht hatten sie so umstimmen, von der früher eingehaltenen Richtung abbringen, so nachgiebig, oder viel- 255 mehr in dem, was ihr Kind betraf, so gleich-» giltig machen können. Sie war eben tiefgebeugt in ihrem Stolze und so zu sagen fassungslos. Die alten Eheleute hatten Emma ihrerseits nicht ohne ein gewisses Mißtrauen und einige Zurückhaltung bei sich aufgenommen. Die böse Meinung, die sie von der Mutter hegten, machte sie auch gegen die Tochter eingenommen. Doch das dauerte nur kurz, kaum ein paar Tage. Sie fanden Emma Hamond ganz anders, als sie gedacht. Ihr schönes offenes Gesicht verscheuchte bald jeden mißtrauischen Zweifel. Die innigste Theilnahme ergriff sie, sie wollten dem . von der Mutter zurückgesetzten Kinde Alles sein. Emma's immer heiterer aufwachender Sinn beglückte die Alten. Sie war fortan der Sonnenschein im Hause. Sie nannten sie unter sich „den Sonnenstrahl." Die alten Leute lebten im tiefsten Frieden miteinander, ein Paar, wie Philemon und Baucis. Der siebzigjährige Greis war rüstig wie ein Fünfziger, die alte Frau die Güte und 256 »das Wohlwollen selbst. Beide genossen großen Ansehens. Ohne eben reich zu sein, waren sie doch mehr als blos wohlhabend zu nennen. Das Alter hatte sie nicht mürrisch und einsiedlerisch gemacht. Das kleine Schlößchen unfern Grävenitz sah nicht selten eine zahlreiche Gesellschaft. Die Sorge um den Sohn, von dem sie wußten, daß er nicht glücklich sei, war der einzige dunkle Punkt am Horizont der beiden Alten. In dies Haus war nun Emma gekommen. Sie fand sich in den neuen Lebensformen bald zurecht und fühlte sich sicher und wohl. Die . Alten hatten ihr einen Theil an der Führung des Haushalts übertragen. Es war überraschend, wie gut Alles unter der neuen Verwaltung ging. „Sie hat ein geheimes Mittel, die Herzen der Umgebung zu gewinnen," sagten die Alten. Die Nachtheile der Kloster-Erziehung hatten ihrem kräftigen Naturell nichts oder doch nur wenig anhaben können. Sie hatte sich längst im Stillen von Vielem losgesagt. Ueber die 257 Lieblosigkeit, die sich als Liebe ausgiebt, über die crasse Intoleranz gegen die Meinungen der übrigen Welt, über die Abschwörung des Verstandes, die dort gelehrt und geübt wurde, hatte sie sich nie getäuscht. Es war ihr wie ein Traum, daß sie täglich ganze Stunden in mechanischen Gebetübungen hatte verbringen muffen. Sie sah hier kräftige und tüchtige Menschen wirken und verkehren und im Ganzen und Großen mehr Liebe und jedenfalls mehr Wahrheit in Gesinnung und Wandel lebendig. Jeder Tag riß ein Stück ihrer alten Gedankenwelt ein, sie hatte aber die Kraft, sich in der neuen zurechtzufinden. Emma's langer Aufenthalt in einem Pensionat, das ganz besonders von der katholischen Aristokratie protegirt wurde, hatte die Folge, daß sie allenthalben Bekannte und Freundinnen in hervorragenden Stellungen besaß. Viele waren zu ihren Eltern zurückgekehrt, mehrere hatten in den letzten Jahren vornehme Heimchen geschlossen. In Polen wie in der Bretagne, in England und in Belgien, am Rhein 258 wie in der Provence saßen Zöglinge der Bo- danburg und waren untereinander in Corrc- spondenz geblieben. Emma hatte sich allmälig von allen diesen Beziehungen zurückgezogen, sie fühlte klar, daß sie zu ihrer neuen Stellung nicht paßten. Unausgesetzt hatte sich Emma gewünscht, einmal in die Residenz zu kommen. Dort hatte sie als ganz junges Mädchen wiederholt einen Theil des Jahres verlebt, so viele Erinnerungen knüpften sich an den Strom mit den vielen Schiffen und den rauchenden Dampfern, an die alten Häuser des Ufers, an den englischen Park mit seinen knorrigen Eichen, unter deren Schatten sie gespielt. Und in der Stadt wohnte Hermann. Es war natürlich, daß sie ihn treffen, daß sie mit ihm an der Seite des Großpapas wandeln würde.... Aber so gering die Entfernung — nicht viel mehr als drei Stunden — es wollte sich nicht machen! Die alten Leute waren so schwerfällig und so eingewohnt ins Stillleben! Das ganze Jahr war vergangen, ohne daß die oft besprochene Reise zur Ausführung kam. 259 Ein kleiner Zufall gab, als Emma schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, den Dingen eine andere Wendung. Eines Morgens hatte der alte Feldern in der Zeitung gelesen, daß sich alle musikalischen Kräfte der Residenz zur Aufführung von Hapdn's „Schöpfung" vereinigt hätten. Morgen sollte sie stattfinden. Das war für den alten Musikfreund die stärkste Lockung, er hatte selbst in seiner Jugend bei der Aufführung dieses weltlichen Oratoriums mitgewirkt. Umsonst wendete die Frau ein, daß der Winter eine unpassende Reisezeit. Der Alte wollte fort und Emma sollte ihn begleiten. Emma jubelte; in aller Eile ging ein Brief- chen ab, der Geliebte möge sich morgen unfehlbar im Musikvereinssaale blicken lassen. Hermann war, um Emma näher zu kommen, ein paar Mal auf längere Zeit nach Gräve- nitz gegangen und hatte sich dort in Familien, die mit den Feldern's zusammenkamen, gezeigt. Er hatte auch den Alten kennen gelernt, hatte ein paar Besuche im Hause gemacht und ein ziemlich freundliches Entgegenkommen gesun- 17 * 260 den. Aber dabei war es geblieben. Offen sich bewerben durfte er nicht. Hinter dem Rücken der Alten vorzugehen, war er zu stolz und zu ehrlich. „Still sein und hoffen!" war Emma's Losungswort, wenn sie ihm die Hand drückte. „Still sein und hoffen!" wiederholte er dann, „aber auch dabei das feste Ziel im Auge behalten." Am andern Tag wohnten Emma und der alte Herr wirklich der Aufführung der „Schöpfung" von einer Loge aus bei, aber für sie ward es nicht Licht, wie es sonst geworden wäre; Hermann zeigte sich nicht. Die Schönheit des jungen Mädchens erregte Aufsehen, man fragte einander: wer das sei? Fremde! war die Antwort. Niemand kannte ihren Namen. Ein auffallend schöner junger Mann, der in einer benachbarten Loge saß, betrachtete Emma mit Beharrlichkeit. Einmal während einer Pause hatte er sich erhoben und es war, als ob er in den nächsten Minuten vor ihnen erscheinen würde. Aber dazu kam es doch nicht. Emma fragte sich, ob sie den jungen Mann je 261 — gesehen? Nein, sie sah ihn heute zum ersten Male. Das flog so an ihr vorüber, ihre Augen irrten rastlos umher und suchten Hermann. Nein, er war nicht im Saale! Sie wurde still, wurde traurig. Er hatte ihr Billet nicht erhalten. Der Alte war der Fülle reizender musikalischer Gebilde, wie sie an seinem Ohr vorüberzogen, gänzlich zugewendet, er wußte schließlich nichts zu sagen, als daß es herrlich gewesen sei und daß ihn der alte Haydn ganz jung gemacht habe. Emma blieb verstimmt. Am andern Morgen hatte der alte Herr einen Gang vor. Er hatte oft von dem Hause seines Sohnes und dessen prachtvoller Lage reden hören, hatte es aber, so lange die Schwiegertochter darin wohnte, nie ansehen mögen. Nun wollte er es doch wenigstens von Außen besichtigen. Er nahm Emma mit. Der Kutscher führte sie rasch auf den Paradeplatz, in dessen Nähe das Haus stand. Es war ein höchst anmuthiger, zweistöckiger, eleganter Renaissancebau. Zwei knppelgekrönte Pavillons ragten zu beiden Seiten empor, ein 262 massiver Rundbalcon mit äußerst kunstvollem Geländer schaute auf den Platz hinaus, die Vorhalle ruhte auf frei vortretenden rothen Marmorsäulen. Nebenan war eine Gartenanlage, welche an die der Adelspaläste des Quartier St. Germain erinnerte. „Schön, sehr schön!" sagte der gute Alte im Aussteigen. „Ja wohl," antwortete der Kutscher. „Da hat der gute verstorbene König wieder einmal tief in den Säckel greifen müssen." Die Antwort gab dem alten Herrn einen Schlag. Er war zu Tode froh, daß Emma, die vor ihm ausgestiegen, die Worte nicht gehört hatte. Langsam und nur mit Zwang näherte er sich dem Hause. Das Innere war Fremden verschlossen, aber die Gewächshäuser, eigentlich der Wintergarten, eine Berühmtheit der Stadt, wurden noch immer gerne gezeigt. Bald schritten der alte Herr und das junge Mädchen, unter Führung eines Hausdieners, 263 der nicht ahnte, in welcher nahen Beziehung die Beiden zu den Besitzern des Hauses standen, durch den hohen Corridor und den beschneiten Garten dem Treibhaus« zu. Hier war vom Winter, der alle Dächer der Stadt mit Schnee bedeckte, nichts zu spuren. Alles war noch im früheren Stande gehalten, drei, vier Gärtner warteten der Pflanzen. Die Besucher standen in einem tropischen Walde, Alles war, wenn auch das Auge der Besitzer sehlte, in schönster Ordnung. Die Azaleen bildeten dunkle, blüthendurchwirkte Wände, Kamelien blühten zu Tausenden, seltsame Orchideen schickten ihre Ranken und Kelche von der Höhe herab. Es war ein wunderbarer Anblick, wie ihn nur großer Reichthum schaffen kann. Nachdenklich warf der alte Feldern seine Blicke dahin und dorthin; keiner der Bediensteten ahnte, daß der bescheidene Mann der Vater des Besitzers und das schüchtern auftretende Mädchen dessen Stieftochter sei. „Mein Gott," sagte Emma, welche seit dem Eintritt in das Gewächshaus ganz ernst ge- 264 worden war, „was sind das für herrliche Blumen! Und die Besitzer sind fern! Es ist, als hätte man i» einem Ballsaal alle Candelaber und Kerzen angezündet, aber Niemanden eingeladen, das Fest zu sehen. Kamelien zu Tausenden! Alle meine Freundinnen in Grävenitz könnte ich damit betheilen und sie damit glücklich machen, ohne daß selbst das Auge des Gärtners es merkte. Seit meine Mutter fort ist, haben sie nun schon zweimal geblüht. Für wen? Zu wessen Freude? Es geht doch seltsam in der Welt zu. Unsereins freut sich an einem blühenden Levkoienstock. Der Reiche besitzt ein ganzes Treibhaus und mag es nicht ansehen." „Du hast nicht Unrecht," meinte der Alte. „Man genießt nur das, was man empfinden kann. Deine Mutter entbehrt wirklich viel. Auch Du bist ein Röslein, das sie nicht blühen sieht." „Es ist sehr galant von Dir, Großpapa," erwiderte das Mädchen nach einer Pause, „mich mit einer Rose zu vergleichen. Ich denke, ich 265 muß etwas ganz Anderes sein! Es muß ein Mangel in mir sein, etwas, was von frühe an meine Mutter von mir entfernt hat. Wenn ich liebenswürdiger wäre, würde sie kaum so wenig von mir wissen wollen. . . Solcher bescheidener Sinn war oft schon an ihr hervorgetreten, der alte Herr kannte ihn. „Laß das," sagte er. „Was Dich etwa von der Mutter entfernt, macht Dich Andern werth." Beide traten den Rückweg an. „Meine Mutter ist nach und nach ganz Weltdame geworden," sagte Emma. „Ihr Sinn hat sich nur auf Glänzendes gewendet. Sagt das nicht schon dies Hans? Es hat etwas so Kaltes —" „Kaltes und Leeres," setzte der Alte hinzu. „Ich fühle es wohl," meinte Emma, „hierher hätte ich nicht gepaßt. Werde ich jemals hier wohnen sollen?" „Wenn ich etwas dreinzureden habe, nicht!" erwiderte der Alte. In solchen Gesprächen durchschritten sie den 266 Garten, noch einen Blick zur breiten Fronte verhangener Fenster werfend. Raschen Schrittes, wie wenn sie fürchteten, noch in der letzten Minute erkannt zu werden, was doch im höchsten Grade unwahrscheinlich war, wanderten die Beiden noch durch einen Corridor und gelaugten ins Freie. Als sie an der äußern Portierloge vorüberkainen, sahen sie einen Wagen halten, zwei Herren waren aus- gestiegen und im Gespräch mit dem Thürsteher, als ob sie sich bei diesen: eine Erkundigung ' holten. Der eine der beiden Herren war der schöne, junge Mann, der während der gestrigen Musikaufführung Emma so auffallend sixirt hatte. Er erkannte das Fräulein sofort und hob ehrerbietig den Hut. Sein Begleiter, der einen ungewöhnlich langen schwarzen Rock trug, war mit dem Gesichte der Thürsteherloge zugewendet geblieben. „Die haben sich nach Deiner Mutter erkundigt," sagte der alte Feldern. „Der Aeltere mit 267 dem breitgeränderten Hut scheint mir ein katholischer Geistlicher zu sein." Damit stiegen sie in den Miethwagen, der sie erwartete. Beide waren ernst, einsilbig und merklich verstimmt geworden. Emma war kaum ins Hotel zurückgekehrt, als sie im Nebenzimmer eine fremde Männerstimme hörte. Großpapa hatte offenbar Besuch erhalten. Unmittelbar darauf öffnete sich die Thür, der weiße Kopf blickte herein. „Emma, ein Besuch ist da, welcher Dir gilt!" Das Mädchen fragte sich, wer das wohl sein könne, und machte dabei ein paar Schritte der Thüre zu. Sie prallte zurück, als sie den Besucher erkannte. Es war der Abbö Deroni, einer der geistlichen Berather in der Bodanburg. „Ich bin auf der Durchreise," sagte er, sich verbeugend, mit süßlicher Freundlichkeit, „und konnte, da ich durch einen Zufall Ihre Anwesenheit hier erfahre, es niir nicht versagen —" Damit nahm er auf dem Stuhl, den der alte Herr herangerückt hatte, Platz. 268 „Die ehrwürdige Oberin daheim, ebenso die übrigen Damen," fnhr der Abbe lebhaft fort, „werden sich freuen, von mir zu hören, daß ich Fräulein Emma Hamond gesehen habe. Die hochwürdige Frau, die alle ihre Zöglinge mit gleicher mütterlicher Sorge umfaßt, bedauert es lebhaft, daß sich das geistige Band zwischen Ihnen und ihr gelockert hat. Sie haben ihr," fügte er in vorwurfsvollem Tone hinzu, „seitdem Sie das Kloster verlassen, nicht mehr geschrieben! . . ." Papa Feldern hatte sich, sei's aus zarter Rücksichtnahme, sei's, weil ihm dieser Besuch wenig Freude versprach, ganz still davongemacht; Emma, die zuerst so überrascht und befangen gewesen, daß sie kaum ein paar Worte der Begrüßung gefunden, erwiderte zögernd: „Ich gedenke aller Bemühungen der Damen, inso weit sie meine Erziehung betreffen, mit dankbarem Herzen. Ich hatte zeitüber so viel mit mir selbst zu thun —" „Der ehrwürdigen Frau Oberin," fuhr der Abbe salbungsvoll fort, „hätte ein Brief von 269 Ihnen umsomehr Freude bereitet, als sie von Peinlicher Sorge erfüllt ist, Sie in einem Medium zu missen, in welchem für Ihr Seelenheil so wenig gesorgt ist." „Ich habe," erwiderte Emma, „im Hause meiner Großeltern, in das ich aufgenommen bin, die besten Vorbilder eines schönen friedlichen Lebens —" „Und dennoch sehe ich Ihnen an, liebes Kind," sagte der Abbe mit emporgerichteten Augen, „daß Sie nicht glücklich sind!" „Glücklich —" wiederholte Emma, weicher als sonst gestimmt durch den Besuch des elterlichen Hauses, „glücklich? das Herz wünscht sich so viel." — An Hermann denkend, fügte sie hinzu: „So viel Hindernisse legen sich zwischen unsere Wünsche und deren Erfüllung. Manches" — sie dachte des Verhältnisses zu ihrer Mutter — „wird nie gut..." „Ja, ja," sagte Abbate Deroni und nickte mit dem Kopfe, wie ein Arzt, der einen bedenklichen Krankheitszustand erkannt hatte, „so sieht es im Herzen aus, welches den Trost nicht dort 270 sucht, wo er einzig zu finden ist. Und sollte der Himmel nicht denen seine Wohlthaten weigern, welche ihn nicht fortwährend suchen? Nur dem, der klopft, wird aufgethan. Ich fürchte, liebe Tochter, daß Sie Ihre religiösen Uebungen, sehr, sehr vernachlässigt haben. Auch scheint Ihnen geistlicher Rath und Trost ganz zu fehlen. Haben Sie denn in der Nähe Ihres Wohnsitzes eine katholische Kirche? Wie oft besuchen Sie dieselbe?" „Ich gehe Sonntags mit meinen Großeltern in die Kirche)" „iUoii viku! Nou Dien! Besser in gar keine Kirche gehen, als in das Bethaus der Irrgläubigen! O, das ist schlimm, sehr schlimm!" Er senkte den Kopf wie ein Arzt bei einem verzweifelten Falle. „Tragen Sie noch Ihr Scapulier?" fragte er plötzlich, wie wenn doch von dieser Seite her nicht Alles verloren wäre. Emma mußte es verneinen. „Aber doch zum Wenigsten die Medaille?" Emma schwieg. 271 „Beten Sie noch täglich den Rosenkranz?" „Ich schlafe nie ein, ohne zuvor das Vaterunser gebetet zu haben!" „Das Vaterunser? Den Rosenkranz sollen Sie beten. O mein Gott, mein Gott! Das Scapulier legen Sie nicht mehr an, die Medaille tragen Sie nicht mehr .... Man möchte sich fragen, ob Sie wirklich Ihre Erziehung in dem Gott wohlgefälligen Hause der Bodanburg erhalten haben! Und da meinen Sie, in diesem Leben glücklich sein zu können, im nächsten selig zu werden? Die Befürchtungen der hochwürdi- gen Frau Oberin sind nur allzu gerechtfertigt!" Emma schmieg eingeschüchtert. „Wie haben Sie eigentlich meinen hiesigen Aufenthalt erfahren, Herr Abbe?" fragte sie nach einer Pause. „Ganz zufällig!" erwiderte dieser. „Ich bin aus der Durchreise von Posen. Heute in aller Frühe besucht mich der junge Graf Dettenheim, sagt mir, daß er Sie gesehen habe, bittet mich, ihn im Hause Ihrer Frau Mutter vorzustellen. 272 Ich erwidere ihm, daß diese, so viel ich weiß, noch in Italien weilt, er läßt sich nicht abweisen, dringt sehr lebhaft in mich, doch mit ihm den Gang zu machen. Er stand am Gartenthore, während ich mit dem Portier sprach und erkannte Sie sogleich, als Sie heraustraten. Da ließ ich unseren Wagen dem Ihrigen nachfahren." „Aber ich kenne den Grafen ja nicht!" sagte Emma erstaunt. „Er ist," erwiderte der Abbe, „der Bruder der kleinen Lilli Dettenheim, die mit Ihnen im Pensionat war! Er sah Sie gestern im Musikvereinssaale; er hatte die Loge neben der Ihrigen und erkannte Sie aus den ersten Blick nach einem Bilde, das seine Schwester in ihrem Album hat. Sie werden ihn auch bemerkt haben?" „Allerdings ist mir ein Herr aufgefallen, der mich sehr häufig und sehr starr ansah." „Das ist der junge Graf gewesen!" erwiderte der Abbe. „Das ist unter Umständen begreiflich. Ich darf Ihnen wohl verrathen, daß Sie auf ihn Eindruck gemacht haben. Ein trefflicher 273 junger Mann aus einer unserer besten, gut katholischen Adelsfamilien. — Doch noch Eins: Wo lebt jetzt Ihre verehrte Mutter?" „Ihr letztet Brief war aus Florenz datirt." „Aus Florenz, das ist mir wichtig!" erwiderte der Abbe. „Ich wünsche dringend, wieder mit ihr in briefliche Verbindung zu treten —" Emma erstarrte. Es war ihr wie eine Befreiung, daß der alte Herr von Feldern wieder in's Zimmer trat. „Ich habe Sie nun gesehen," hob Abbe De- roni wieder au, „und mich an Ihrem guten Aussehen erfreut. Der Friede Gottes sei mit Ihnen, liebes Kind .... Herr Baron —" Er verbeugte sich und ging. „Ein sonderbarer Mann," sagte der alte Feldern, nachdem die Thür sich hinter dem Besucher geschlossen hatte. „Seine grimassirende Freundlichkeit giebt ihm etwas Unheimliches. Ich halte ihn für einen Jesuiten." „Er ist, so viel ich weiß, Weltpriester." „Ei, der Rock macht es nicht allein," sagte der Alte. „Merkwürdig, wie diese Leute jetzt il 18 274 in Bewegung sind, hin- und Herreisen. Man sollte wirklich glauben, daß sich in der politischen Welt etwas vorbereite .... Nein, es ist kein Vorurtheil von unserer Seite, wenn wir Mißtrauen vor solchen Leuten empfinden. Sie bedrohen uns, wollen uns Alles rauben, was uns lieb und heilig ist. Was hat er denn mit Dir gesprochen?" Emma gab die Unterredung Wort für Wort wieder. Das Gesicht des alten Herrn hatte, als Emma geendigt hatte, einen bedenklichen Ausdruck angenommen. „Hm," sagte er, „dies Ausforschen, diese Absicht, der Mutter zu schreiben — sogar die beabsichtigte Vorstellung des jungen Grafen gefällt mir nicht. Diese Leute möchten Jeden nach ihren Absichten und zu ihren Zwecken gängeln. Sie haben es noch nicht aufgegeben. Dich zu beeinflussen. Doch sprich, was ist das mit dem Scapulier?" „Das sind zwei Stücke Tuch mit einem auf- . 275 gepreßten Bilde, auf Brust und Rücken zu tragen." — „Und die Medaille?" „Eine geweihte Denkmünze mit dem Muttergottesbild." Der Alte schüttelte den Kopf. „Die Residenz ist schön und prächtig geworden, seitdem ich sie das letzte Mal gesehen," sagte der alte Herr nach einer Weile. „Und doch ist mir in ihr nicht wohl geworden. Manches ist mir in die Quer gekommen. Dieser unheimliche Abbe mit dem italienischen Namen .... und noch manches Andere. Noch Eins: ich habe Herrn Zoller zu uns bitten wollen und habe in seine Wohnung geschickt. Er ist aber verreist . . . ." „Verreist?" wiederholte Emma. „Wir werden ihn nicht sehen! Wie leid mir das thut!" Der Besuch in der Residenz hatte nicht gehalten, was man sich von ihm versprochen. 18 * 276 Drei Tage schon wohnte Hermann bei dem Obersten von Rodenegg. Der alte Herr bewegte sich in rastloser Unrnhe; er führte seinen jugendlichen Besucher in Hans und Garten umher, er ließ ihn seine Lebensgeschichte haarklein erzählen und mochte sich kaum von ihm trennen, aber eine Auseinandersetzung, die doch so nahe lag, war beiderseits vermieden worden. Wie es auch dazu drängte, eine gleich große Gewalt hielt sie zurück und schien sie zu verhindern. Ein erster überwältigender Moment hatte dem Obersten ein Geständniß abgerungen, nun aber stockte es. Hermann merkte gar wohl, wie schwer es ihm falle, weitere Eröffnungen zu machen. Aber auch Hermann fühlte sich kaum gedrun- 277 gen, weiter zu fragen. Er besorgte, Dinge zu hören, die ihm Alles verleiden und seiner ganzen Existenz nahe treten könnten.... Und wenn Rodenegg schwieg, mußte er dazu seinen Grund haben. Wozu da fragen? So gingen denn die Beiden nebeneinander her, über hundert Dinge verhandelnd, nur nicht über die Frage, welche Jedem von Beiden am Herzen lag. Verwundert sah der alte Diener, wie sein mürrischer, menschenfeindlicher Herr ganz verwandelt war und seinem Gaste kaum von der Seite ging. Küche und Keller hatten das Beste hergeben müßen, ihn zu bewirthe». „Ei, ei," sagte er, „der junge Herr, den Sie zuerst gar nicht vorlassen wollten, hat sich rasch bei Ihnen beliebt zu machen verstanden!" „Nun," fragte der Oberst rasch entgegen, „gefällt er Dir etwa nicht?" „Er gefällt mir," erwiderte der Pessimist, „er ist ein netter junger Herr von angenehmer Gemüthsart, er soll auch — ich lese keine Zeitungen — eine gute Feder führen, und doch könnte 278 ein Anderer gerade so nett sein, ebenso gut schreiben, ebenso Abgeordneter für Gernsbach- Großdorf sein — ich glaube, Sie würden nicht so viel Wesens mit ihm machen. Er hat es Ihnen ganz besonders angethan!" „Du, Du," drohte der Oberst mit erhobenem Finger. „Werde mir nur nicht zu klug. Dann müßten wir uns trennen!" Der Alte entfernte sich kopfschüttelnd. Hermann hatte in Folge von Geschäften, die ihn abriefen, seine Abreise für den nächsten Morgen angesagt. Der letzte Abend, den Großvater und Enkel vorerst miteinander zu verbringen hatten, war gekommen. Sie saßen in des Obersten kleinem Stäbchen beisammen, Fenster und Thüren wohl verwahrt, am Kamin, die Flasche vor ihnen auf dem Tische. Nun galt es endlich sprechen, wenn überhaupt gesprochen werden sollte. Ein wiederholtes Räuspern kündigte den Vorsatz des Alten an. „Willst Du nun Alles hören, Hermann?" 279 fragte er plötzlich mit einem Ansätze, dem man es ansah, wie viel er ihn koste. „Wenii Sie es für gut und beiderseits nützlich halten, ja." „Du sollst Alles erfahren." brach der Alte los. „Alles. Du. — mohlgemerkt kein Ande- , rer, kein Anderer durch Dich! Versprichst Du das?" „Hier meine Hand!" „Es kam so," begann der Oberst. „Meine Frau war früh gestorben, Ottilie wuchs heran — schön, schön, schön, wie nur der größte Maler sie malen kann und gut, gut! Aber ich war leider zu rauh, zu schroff, von zu wenig Worten, zu ungeschickt, ihr zu sagen, wie sehr ich sie liebe, und so hatte sie wenig Vertrauen zu mir. Ich schüchterte sie ein, so oft ich sie ansprach; schon als Kind hatte sie sich, wenn ich sie küssen wollte, vor meinem Schnurrbart gefürchtet und nun hielt sie mich für hart. Meine Stimme war ihr zu laut und zu rauh und meine Rede zu kurz, und sie meinte wohl, daß ich nur com- niandiren, aber gar nicht lieben könne...." 280 „Ich war oft lange vom Hause fort, sie allein mit einer halbtauben Gouvernante und mit dem Dienstmädchen Marie Bürger. Ein nichtswür- diger Verführer — allerdings von höchst bestechendem Aussehen — wußte sie zu umgarnen. Ich hatte den jungen Menschen mehrmals mit Ottilien verkehren sehen, er war von guter Familie und hatte allenthalben Zutritt. Ich jedoch verbot ihr, mit ihm zu sprechen, denn ich hatte von jeher die schlechteste Meinung von ihm. Es war zu spät, er war ihr nicht mehr gleichgiltg. Eines Tages erscheint er bei mir und hält um Ottilie an. Ich weise ihn ab, lasse ihn merken, was ich von ihm halte. Zudem hatte ich sie dem Sohne eines Jugendgenossen zugedacht. Ich machte Pläne — schöne Pläne! Alles sollte nach meinem Kopfe gehen! O schrecklich! Sie correspondirten schon miteinander. Da ließ ich sie aufs Schärfste bewachen. Es war abermals zu spät. Sie war sein Opfer geworden, ich ahnte nichts. Wohl sah ich, daß etwas zwischen ihr und mir stand — ich meinte, es sei noch der Groll, 281 daß ich den schmucken Burschen abgewiesen. Ich sah sie so bleich — man meldete mir, daß sie viel weine und in der Nacht aus dem Traum aufschreie. Ich wußte noch immer nichts. Vater sind blind, jedes alte Weib sieht schärfer.... Da wird mir einmal mitten in der Nacht gemeldet, daß eine Leiter an den Balcon des ersten Stockwerks angelegt steht. Mein Diener, ein Mann in meinen Jahren, aber in Folge von Krankheit schlaflos, hat die Leiter gesehen und weckt mich. Das kann nur er sein, der Verführer, er will bei ihr einsteigen! Ich greife zur zunächsthängenden Jagdflinte und schleiche durch die Zimmer. Wirklich, ich erkenne ihn in der trüben Winternacht, er ist es! Ich schieße, ich schieße ihn nieder. Aber ich hatte ihn leider nicht tödtlich getroffen, er entkam.... Ein paar Wochen später fängt mein Kind zu kränkeln an. Wieder dachte ich nicht an die wahre Ursache. Mädchengram, denke ich, thörichter Mädchengram! Sie wird bald ruhiger werden. Zudem hörte ich sagen, er werde aufkommen. 282 Da, plötzlich verschwindet mein Kind, verschwindet spurlos. Doch was sage ich, wir glaubten, die schreckliche Spur zu haben! Es war Winter, weithin dehnte sich die Schneedecke; kleine, kleine Fußtapfeu führten quer vom Garten bis an den Strom. Das bringt uns aus den Gedanken, daß sie sich ins Wasser gestürzt hat. Alle Leute glaubten es, alle! Und nun — nun erst gehen mir die Augen auf! Zwölf, dreizehn Jahre glaubte ich an ihren Tod und beweinte sie als gestorben. Da — ich stehe seit einem Jahre in Mainz — erhalte ich ein Packet aus Rußland. Ich öffne — es ist ihre Handschrift! Mein Gott, sie lebt! Lebt sie noch? Ich greife zitternd und zappelnd nach einen: beiliegenden Blatte — von fremder Hand. Sie hat den Auftrag gegeben, im Fall ihres Todes das Packet an meine Adresse zu schicken. Und sie ist gestorben, man hat ihren letzten Willen erfüllt! .... Sie gestand mir alles — was ihre Schuld betraf. Ich habe leider die Blätter uicht mehr. 283 Als ich bald darauf erkrankte, und meinte. Alles sei mit mir vorbei, verbrannte ich sie, damit bei meinem Tode die Schande «reines Hauses nicht öffentlich werde. Ja, dreizehn Jahre hatte sie in der Ferne gelebt, als Dienerin! Das Herz wollte mir brechen! Nun aber höre das Aergste, mein Hermann, das, was mehr als Alles den Verführer brandmarkt, daß ich von da ab ihm ewigen Haß und Verderben schwor! Ehe die Arme, die Unglückselige die Flucht, die verzweifelte Flucht aus dem väterlichen Hause ergriff, machte sie sich auf und besuchte heimlich ihren Verführer, der damals noch in Folge der Wunde das Haus hütete, aber doch schon halb genesen war. Sie erbot sich, mit ihm zu fliehen. Er sollte ihre Ehre herstellen. Und er, der herzlose Wicht, was that er? Er sagte ihr: er habe an dem einen Rencontre genug, der Schuß habe ihn ernüchtert. Der Vater sei ein Barbar. Er lasse sich in nichts mehr ein.... Das war zu bitter, war zu viel für sie! Sie 284 hatte in einen Abgrund von Selbstsucht geblickt und war von ihrer Liebe auf immer geheilt. Die Marie Bürger, das Stubenmädchen, hatte ich fortgeschickt, weil ich sie des Einverständnisses bezichtigte, mindestens der Verheimlichung. Ich weiß nicht, wohin sie ging, aber Ottilie wußte sie zu finden. Sie wendete sich zu ihr und — hat bei ihr ihr Kind geboren. Das waren ihre Geständnisse. Vieles fehlte. Daß sie unter fremdem Namen in Rußland gelebt, weiß ich erst seit Deiner Ankunft. Auch wo das Kind sei, wußte ich nicht und nicht, was aus Marie Bürger geworden. Die arme Ottilie! Sie schrieb ihre Geständnisse im Wahne, daß ich ein Herz von Stein, ein Herz ohne Erbarmen habe. Sie meinte, ich werde ihr noch bis in das Grab nachfluchen und das hielt sie zurück. O, sie sagte mir nicht, wo das Kind sei, weil sie annahm, daß ich mich dessen schämen-und es wegstoßen werde...." Er bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen. Hermann hatte in höchster Spannung, aber schweigend zugehört. Dann und wann seufzte 285 er tief auf, dann und wann flog ein hohes Roth über feine Wangen. Nach einer Pause, als der Oberst schwieg, sagte er: „Ich sehe wohl, mir hat ein Schurke das Leben gegeben. Darf ich seinen Namen wissen?" „Du sollst ihn wissen," war die Antwort. „Es ist Herr von Themar, jetzt Minister." „Herr von Themar!" rief Hermann, wild aufspringend und im Zimmer umhergehend. „Er ist mir immer der verhaßteste Mensch auf dieser Welt gewesen! Wie soll ich meine Mutter rächen? .... Und solch ein Mensch hat Macht und Ehre und Ansehen und schwelgt im Glück! Diese Welt scheint den Elenden anzugehören!" „Mein Hermann," rief der Oberst und schloß den jungen Mann in seine Arme, „Dein Haß dieses Menschen bildet ein neues Band zwischen uns! Doch nicht Du sollst ihn verderben, ich werde es thun. Und ich habe die Mittel dazu. Doch davon später!" sagte er mit funkelnden Augen. „Weiß noch irgend Jemand von all diesen 286 Dingen?" war Hermann's Frage nach einer längeren Pause. Der Oberst sann nach und erwiderte: „Ich glaube nicht. Deine Pflege - Eltern sind todt. Und ich habe immer geschwiegen. Selbst der Alte, der immer um mich ist, weiß nichts. Es ist der Mann, der einst die an's Haus gelegte Leiter sah uud der kam, mich zu warnen. Wenn er jetzt etwas zu ahnen beginnt, bei ihm ist alles gut aufgehoben. Ich — ich habe mein Geheimniß immer wohl gehütet! Nur einmal — ja, da war ich dran, viel zu verrathen. Es mag drei Jahre her sein. Ich war nach Rastdorf gefahren, wo ich ein Haus habe, ich hatte es der Familie Feldern vermischet. Nie kam ich hin, so lange der König dort war, nun hatte ich aber ein Document nöthig, das dort in einem Schrank lag, es ging nicht anders. Wie ich in's Haus trete, kommt mir von der Stiege her Frau von Feldern am Arm Herrn von Themar's entgegen. Da ersaßt mich, wie ich ihn nach so vielen Jahren wiedersehe, zum ersten Male sehe, seitdem ich Ot- 287 tiliens Geständnisse gelesen habe — eine blinde Wuth, ich falle mit dem Stocke über ihn her und rufe: Hinaus, Mörder meiner Tochter! . . . Einen Moment darauf begriff ich, daß ich nahe daran gewesen war, mein Geheimniß preiszugeben ... Es war zu spät. Er wird vor der Feldern haben bekennen müssen — aber ich traue ihm zu, daß er falsch bekannt hat!" „Und Sie glauben, daß er von meiner Mutter Flucht, ihrem Leben, ihrem Ende in Rußland nichts weiß?" sagte Hermann. „Nichts, gewiß nichts. Wie sollte er etwas wissen? Alle Welt hielt Ottilie für verunglückt. Es zweifelte Niemand, daß sie umgekommen. Er hat von ihr, das sagte sie selbst in ihren Briefen, nie mehr ein Wort gehört. Es war ihr der verhaßteste der Menschen geworden. Er war für sie nicht mehr auf der Welt. Und Rußland ist ferne —" „Hin, hm!" murmelte Hermann. Ihm ging die Sache mit Lutteroth durch den Kopf. 288 „Es bleibt nun Alles stehen, wie es ist," sagte Hermann nach einer Pause. „Nichts soll sich an den Verhältnissen ändern. Herr von Themar bleibt mir der Minister, ich bleibe Hermann Zoller, Sie bleiben für mich, wenn Andere zugegen, der Oberst von Rodenegg; denn für die Welt taugt das Alles nicht. Nur, wenn ich mit Ihnen allein bin, wenn wir so beisammen sitzen, bin ich Ihr Enkel und nenne Sie Großvater! Isis Ihnen recht so?" Er drückte die rauhen, ehrwürdigen Hände. „Ob es mir recht ist!" rief der Oberst. „Ich bin so glücklich, daß ich Dich habe! Ich war so allein, allein mit meinen Gedanken, allein mit dem Vorwurf — der Reue. Niemand fragte nach mir. Das alte Haus war so leer! Sieh', das ist uun Alles Dein, sobald Du es magst. Es wird Dir vermacht. Aber — Du wirst nicht herziehen und Landwirth werden wollen. Du hast andere Dinge im Kopfe. An Geld und Gut, das merke ich schon, ist Dir wenig gelegen. Und doch — sprich, lieber Hermann, hast Du 289 Niemand lieb, ich meine, kein liebes, anmuthiges Menschenkind? Denkst Dn nicht an's Heirathen?" „Ja, ich denke daran," erwiderte Hermann zögernd, „ich liebe ein Mädchen —" „Ist sie reich? Wollen die Eltern Dir sie nicht geben? Verlangen sie viel Geld? Jetzt wird man sie Dir geben." „Sie ist ohne Vermögen und eigentlich eine Waise, wiewohl ihre Mutter lebt. Sie ist — die Tochter aus erster Ehe der jetzigen Frau von Feldern." Der Alte machte ein wildes unwirsches Gesicht. „Wo lebt sie denn?" war seine erste Frage. „Bei den alten Felderns in Grävenitz." „Das ließe sich hören," brummte der Oberst. „Aber die Mutter! die Mutter!" „Ich weiß," sagte Hermann, „was Sie da denken. Aber sehen Sie sich einmal das Mädchen an und sagen Sie mir dann, ob sie nicht in Allem und Jedem den Gegensatz zur Mutter darstellt! Die Mutter entfernte sie früh, entledigte sich ihrer, man kann sagen, wohl nur da- ii. is 290 mit das Alter des Kindes keinen peinlichen Maßstab für ihr Alter abgebe. In der Entfernung, in der Abgeschiedenheit ward sie derselben so unähnlich, als — ja, als ich nur wünschen kann! Mutter und Tochter! Vater und Sohn! O, welcher Gegensatz in tausend und tausend Fällen! Und so geht es durch die ganze Lebenswelt. Es ist eine Welt einander abstoßender feindlicher Pole. Wessen Sohn bin denn ich? Gleiche ich meinem Vater?" Der Alte war nachdenklich geworden. „Ich will doch dieser Tage nach Grävenitz fahren, die zwei alten Leute wieder einmal besuchen und mir dabei das Mädchen ansehen. Gute Nacht, Hermann," sagte er dann, sich am Stocke aufrichtend, „wir haben lange geschmäht." 291 Ute§ Kaptet. Das Haus auf dem Paradeplatz hatte die Fenster, die so lange verhangen gewesen, wieder geöffnet. Frau von Feldern war mit ihrem Gemahl und den beiden kleinen Mädchen zurückgekehrt. Unerwartet war sie wieder erschienen, hatte aber gleich angekündigt, daß ihr Bleiben nicht von Dauer sei» werde. Sie saß am Vormittag nach ihrer Ankunft im Boudoir vor ihrem Schreibtisch, mit der Durchsicht von Rechnungen beschäftigt. Sie trug noch immer die Trauerkleidung, die sie nach dem Tode des Königs angelegt. Diese kleidete sie allerdings ganz vortrefflich und erhöhte, vereint mit dem tiefschwarzen Haar und is* 292 dein blassen Teint, das Frappante ihrer Erscheinung. Dieses Schwarz ließ auch das Feuer ihrer Augen aufs Wirksamste erscheinen. Sie hatte nun den Nubicon der Frauen, die Vierzig überschritten, war aber noch immer wunderbar schön. Ein Diener trat ein und meldete, daß Se. Excellenz Herr von Themar im Salon warte. Bei der Nennung dieses Namens hatte etwas in Frau von Feldern zusammengezuckt. „Themar," sagte sie zu sich selbst, „Themar kommt'. Als der König aufs Krankenlager kam, verließ er mich. Und jetzt, nicht vierundzwanzig Stunden nach meiner Ankunft, zeigt er sich schon? Was kann der Egoist von der Machtlosen wollen?" Sie erhob sich, ihre bitteren Gefühle unterdrückend, langsam vom Sessel. Mit der Würde einer Königin, ihre lange, schwarze Schleppe nachziehend, trat sie in den Salon. Themar stand vor ihr, ergriff die Hand, die sie nur zögernd gab und küßte dieselbe. 293 „Ich bin wirklich erstaunt," sagte Frau von Feldern sehr frostig, indem sie dein Minister einen Fauteuil anwies. „Herr von Themar so empressirt?" Dabei ließ sie einen prüfenden Blick über sein Gesicht gleiten, in welches das verflossene Jahr manche tiefe Linie gegraben. Sie spähte nach einem Zug der Aufregung, aber es blieb unbeweglich. „Ueberrascht Sie das, daß ich nach so langer Trennung, voll Ungeduld, Sie wieder zu sehen, zu Ihnen eile?" sagte Themar in vorwurfsvollem Tone. „Sind wir denn nicht Freunde geblieben?" Frau von Feldern lächelte bitter. „Als uns das große Unglück traf," erwiderte sie, „und wir plötzlich allein standen, ja selbst dann, als wir den herben Entschluß der Reise faßten, waren Sie nicht zu sehen. . ." „Auch ich," erwiderte Themar, „auch ich war damals von einem Schlage getroffen worden! Es ist eine Eigenheit von mir, mich in solchen 294 Lagen wie erstarrt zusammenzuziehen. Ich suche im Leide keinen Genossen." „Und am wenigsten darunter selbst Hilfsbedürftige," erwiderte die Feldern. „Nun, Sie hatten Ihre guten Gründe, uns zu meiden. Wir waren verfehmt. Wir sind verfehmt geblieben — Sie — Sie haben sich rasch mit der neuen Macht verständigt." „Sie fassen Alles sehr herb," war Themar's Antwort. „Wenn Sie Alles wüßten, würden Sie nicht so sprechen. Ich glaubte mich nicht weniger getroffen als Sie. Ich meinte damals, ich würde Ihnen bald in die freiwillige Verbannung nachfolgen können. Es ist Alles wider Erwarten gekommen." „Ich will es glauben," antwortete Frau von Feldern, „doch die durchlebte Bitterniß vergesse ich nicht. Ihr Benehmen von damals können Sie nie wieder gut machen. Was führt Sie eigentlich heute zu mir?" „Helene, Helene!" rief Themar vorwurfsvoll. „Diese Frage sollten Sie nicht an mich gestellt haben! Ich komme, weil Sie da sind. 295 Ich bin Ihr Freund, Ihr alter, gealterter Freund, mit Ihnen durch ein festes Band verknüpft. Sie sollten mich nicht muthwillig verwunden. Schreiben Sie mein Ausbleiben von damals, mein Schweigen während Ihrer Abwesenheit nicht auf Rechnung eines kalten, undankbaren Gemüthes, denken Sie vielmehr, daß das Alter manche Menschen plötzlich überkommt und daß ein verwundetes Herz sich wie das vom Blei getroffene Wild in die Einsamkeit flüchtet." „Vortrefflich!" höhnte Frau von Feldern. „Sie wohnen alio wohl jetzt in einer Einsiedler- clause? Nicht mehr im Ministerhotel? Armer Büßer!" „Man kann auch im Ministerhotel einsam sein und dort seine alten Sünden abbüßen!" entgegnete Themar. „Doch lassen wir das. Sie scheinen das nicht zu verstehen." „Unter solchen Umständen," sagte Frau von Feldern nach einer Pause, „wollen wir fürs Erste Herzens- und Gemüthssachen ganz beiseite lassen und nur von practischen Dingen reden. Sie sind der Vormund meiner Emma! Das Mäd- 296 chen macht mir nichts als Kummer und Aerger. Ich bin gestern mit ihr zusammengetroffen, wir sind im Streit geschieden. Sie steckt noch immer in ihren thörichten Liebesgedanken und stützt sich darauf, daß sie in anderthalb Jahren majorenn sein wird. Unser Landesgesetz ist unsinnig. Kann ein Mädchen nach zurückgelegtem einundzwanzigste» Jahre schon für großjährig gelten? Hat sie mit einundzwanzig Jahren schon die hinlängliche Reife und Besonnenheit des Urtheils, um selbständig über ihre Person und ihr Vermögen zu verfügen? Muß ich zusehe», wie ein Mensch ohne Vermögen, ein Plebejer, dabei einer unserer ärgsten Feinde sie in Widersetzlichkeit gegen mich erhalt, um sie mir, der Mutter, einen Tag »ach ihrer Großjährig- keit zu raube»? Was ist da zu thun?" „Was?" rief Themar mit gespieltem Erstaunen, „dauert das frühere Verhältniß noch fort?" „Es dauert noch fort, ja, es hat sich nur um so fester geschlossen," erwiderte Frau von Feldern. „Trotz meiner bestimmten Weisungen an die Eltern meines Gatten hat man Alles fortbe- 297 stehen lassen. Die Beiden sind miteinander in Verbindung. Sie, Themar, dessen Pflicht als Vormund es gewesen wäre, darüber zu wachen, daß das »in Ende nehme, Sie haben sich um nichts bekümmert! Mein Gott, Sie habe» andere Dinge im Kopfe! Und gestern erklärt mir Emma mit einer Ruhe und einer Gelassenheit, die mich rasend machen kann, daß sie entschlossen sei, in anderthalb Jahren Frau Zollec zu werden .... O die Kinder! die Töchter! Sie geben uns mir Sorge, so lange sie noch klein sind, und abermals nur Sorge, wenn sie heranwachsen!" Themar freute sich. Der Zufall hatte das Gespräch dahin geführt, wo er es haben wollte. Er war einzig aus dem Grunde vor Frau von Felvern erschienen, um f ü r die Vereinigung des Liebespaares Emma und Hermann zu wirken. Der alle Feldern in Grävenitz, der ab und zu mit ihm, als dem Vormund Emma's, einen Geschäftsbrief zu wechseln hatte, war neulich in einer considentiellen Beilage auf Emma's Herzensfrage zu sprechen gekommen und hatte an- 298 gefragt, warum man sich dieser Neigung gar so sehr widersetze? Mit großer Genugthuung vernahm der Minister, daß dir Liebe fortbestehe. Zwei Motive bestimmten ihn, der einst selbst als Vormund Hermann die abschlägige Antwort ertheilt hatte, jetzt bei veränderter Sachlage dafür einzutreten. Er gedachte mit Em- ma's Hand den gefährlichen Gegner zu bestechen und durch seine Intervention in dieser Herzenssache eine Versöhnung mit dem Manne, dessen Vater er war, anzubahnen. Gerne hätte er sich längst Hermann genähert, hätte ihm längst gern Frieden geboten. Er war ja des Krieges müde, er wollte Ruhe. Die Geschichte Aschberg's, die ihm als das dunklere Gegenbild seines eigenen Schillsals erschien, ging ihm im Kopfe herum; er wollte sich aussöhnen . . . „Ich glaube, liebe Freundin," sagte er nach einer Pause, „es wird Ihnen nichts übrig bleiben, als Zollsr das Mädchen zu geben." „Das sagen Sie!" rief die Feldern auffahrend. „Sie haben doch einst anders gesprochen! Es scheint, daß dieses letzte Jahr Sie nach jeder 299 Seite umgewandelt hat. Nie, nie gebe ich meine Einwilligung!" „Ich verstehe wirklich Ihren Widerstand nicht!" entgegnete der Minister mit vorbrechen- dem Ungestüm. „Wäre Ihnen etwa der erstbeste Baron als Schwiegersohn lieber? Zollcr ist ein Mann von Talent und Charakter. Gerechtigkeit selbst dem Gegner gegenüber! ist mein Wahlspruch. Ein Mann von Talent und Charakter, ein Mann, der eine Zukunft vor sich hat! Und wenn sich die jungen Leute lieb haben, was wollen Sie thun? Der Welt das Schauspiel eines peinlichen Widerstandes geben? Dazu sind Sie zu klug. Und was gewinnen Sie dabei? Nach erlangter Großjäh- rigkeit verfügt Emma doch frei über ihre Hand. . . ." „Nein!" rief Frau von Feldern heftig, „ich gebe es nicht zu! Nie wird der Mann mein Schwiegersohn, der unzähligemal in seiner Zeitung über uns herfuhr — von Camarilla sprach, bald heftig, bald mit Spott. Ich habe die heilige Pflicht, über meine Tochter zu wachen. Ich 300 habe sie streng katholisch erziehen lassen. Sie soll keinen Protestanten heirathen. Es bietet sich ihr eben eine große Partie. Graf Dettenheim, ein junger Mann von den größten Vorzügen, Besitzer einer halben Million, der Onkel Cardinal, aus einer der ältesten bayerischen Familien, heirathet sie vom Fleck weg. Abbö Deroni schreibt mir. . . ." „Aber, Liebe, wie kommen Sie mir vor!" rief Themar mit schneivendem Hohn. „Sind Sie denn in Italien ganz . . . . " er brach ab und wies mit dem Finger gegen die Stirne. „Und wenn nun dem Mädchen ein hübscher und rechtschaffener Atheist mehr gefällt, als der Betbruder — ? Ihr mütterliches Herz, das sich nebenbei gesagt, spät meldet, gaukelt Ihnen seltsame, ganz unnütze Bedenken vor." Der Streit zwischen Beiden stand auf der Höhe, als es klopfte. Ein Diener trat ein und überreichte eine Karte. Beim Empfang derselben entwölkte sich Frau von Feldern's Stirne ganz wundersam. Sie fuhr empor, die Debatte war abgebrochen; auch 301 Themar erhob sich, um bei eiuein so willkommenen Besuch nicht zu stören. Er war nur sehr neugierig, wen er werde erscheinen sehen. Frau von Feldern sagte kein Wort, daß er bleiben solle. So ging er. Er war eben an der Thüre angelangt, als ein schöner hochgewachsener Mann, etwa in den Vierziger-Jahren, eintrat. Er hatte ein Antlitz von römischem Schnitte, blaß, voll und rund, der Blick war der eines Falken. Das ganz ra- sirte Gesicht, die Andeutung einer Tonsur auf dem dichtbehaarten Kopfe, der schwarze Rock, die Mischung von Stolz und Milde in seiner Haltung und seine Mienen kennzeichneten ihn als katholischen Prälaten. Herr von Themar, der ihn zu kennen schien, verbeugte sich achtungsvoll, sendete der Frau vom Hause noch einen ironischen Blick zu und verließ mit weltmännischer Ruhe den Salon. Der Besucher, der Frau von Feldern in so freudige Aufregung versetzte, war Eligius Graf 302 Brayl, ehedem Canonicus zu St. Emails, seit Kurzem zur bischöflichen Würde erhoben. Es war der Mann, der vor Jahren so entscheidend in ihr Leben, ihr Schicksal eingegriffen. „So treffen wir uns doch noch, liebe Freundin ?" sagte Bischof Eligius, indem er Frau von Feldern's Hand lebhaft ergriff. „Ich war untröstlich, mein hochwürdiger Freund," sprach Frau von Feldern, die gebotene Hand des Bischofs ehrfurchtsvoll zu ihren Lippen führend, „als ich, hier angekommen, Ihre Karte mit der Bemerkung „auf der Durchreise" fand und annehmen mußte, daß Sie sofort wieder abgereist seien. Untröstlich!" Die Beiden nahmen in den Ecken des Sofas Platz. „Ich habe," sagte Graf Eligius, „lediglich auf die vage Vermuthung Ihres Portiers hin zwei Tage zugegeben, wiewohl mich viel zur Rückkehr drängte. Mein Verlangen, Sie nach so langen Jahren — man zweifelt allerdings daran, wenn man Sie wiedersieht, daß es so 303 viele sein können — mein Verlangen, Sie wiederzusehen, war groß. Es ist Jahre hindurch immer lebhaft geblieben. Ein paar Mal hatte es den Anschein, als ob wir uns wiedersehen sollten, aber Sie wissen das: die Richtung Un- sereines geht, wenn es zum Reisen kommt, meist nach dem Süden —" „Und nach der herrlichen Stadt," erwiderte Frau von Feldern mit träumerischem Augenaufschlag, „die das unstillbare Heimweh des Menschenherzen einzig zu stillen vermag." „Rom ist aber doch sehr heiß," entgegnete Bischof Eligius, „und zumal im Sommer außerordentlich ungesund. Ich bin schon einmal in Gefahr gewesen, als ein stiller, verscharrter Mann ganz dort zu bleiben. Ich kann nicht sagen, daß ich ohne Sorge dahin zurückkehre." „Graf sind Mitglied des Concils —?" „Allerdings, ich habe nur einen vierzehntä- gigen Urlaub genommen . . . doch, was sehe ich? Sie sind in Trauer? Es wird doch Feldern nichts geschehen sein? ... Er war immer so schwermüthig. . ." 304 „Feldern lebt, und lebt ganz für seine beiden Kinder," erwiderte die schöne Frau. „Dies schwarze Kleid habe ich am Todestage des höchst- seligen Königs angelegt. Ich weiß nicht, ob ich es je ablege." „Er war ein ganz vortrefflicher Mann," sagte der Graf Eligius. „Eine schwärmerische Natur ...." fugte er hinzu, während ein leichtes ironisches Lächeln um seine Lippen spielte. „Ich habe unaussprechlich viel verloren mit dem Heimgang meines fürstlichen Freundes und Beschützers," erwiderte Frau von Feldern. „Viel — fast Alles! Alles, was mir werth war!" Eine sanfte, elegische Stimmung strahlte von ihrem schönen Haupte aus und sprach aus der sanft vibrirendeu Stimme. Sie war der verkörperte Schmerz, die verkörperte Nänie. „Sein rein menschliches Gemüthsbedttrfniß," fuhr sie nach einer Weile fort, „nahm seine Zuflucht zu mir. Da war er herausgehoben aus der Welt des Ceremoniels und sicher. Da war kein Lauscher, kein Zu- und Zwischenträger, da barg sich keine Absicht im Hintergrund?. Ich 305 — liebte den Menschen in ihm, den sanften, zarten, wenig verstandenen. Mir that sein Zutrauen wohl — ihm mein festes, treues, selbstloses Anschließen. Viel Gutes ging, wohl nur zufällig, aus diesem Bündniß hervor. Ja, ich habe viel verloren. Ich werde fttrderhin sehr einsam sein." „Ei, ei," sagte der Graf im sanften Tone des Trösters, indem er die schöne Hand ergriff und sie mit der seinigen streichelte, „Sie fassen das sehr tief! Wir sind nicht auf der Welt, um lange die Todten zu beweinen, sie sind der Erdennoth enthoben . . . Doch, ä propos, der, mit dem ich an der Thüre kreuzte, war ja Herr von Themar, der Minister?" „Er war es, wir hatten eben Zank mit einander. Sie finden mich noch tief aufgeregt." „Was gabs? Was gabs?" fragte der Graf. „Meine Tochter Emma — Sie haben sie als ganz kleines Mädchen gekannt —- macht mich so unglücklich!" Und Frau von Feldern begann ihrem alten Gewissensrathe die ganze Angelegenheit in voller ii. LO 306 Ausführlichkeit vorzutragen, das Schwergewicht des Conflicts in die religiöse Sphäre verlegend. Bischof Eligius, der mit milder Geduld zugehört hatte, erwiderte lachend: „Sie sind streng! Strenger als der Papst, der doch gemischte Ehen zuläßt. Themar hat ganz Recht, die Heirath zu befürworten. Er ist ein kluger, weitblickender Kops, welche Neben- gründe er etwa auch haben mag." Frau von Feldern war starr vor Verwunderung. „Ich bin über Ihre Auffassung der Sache nicht wenig erstaunt," erwiderte sie nach einer Pause. „Ich bin eine gute Katholikin, Emma ist im Kloster streng katholisch erzogen worden. Der Erstbeste wäre mir lieber, als ein Feind unserer Kirche..." „Sie sind zu leidenschaftlich!" rief der Graf Eligius. „Zu leidenschaftlich, mindestens in diesem Punkte. Themar hat Recht, seine Parteinahme für die Liebenden erhöht nur die Achtung, die ich vor seinem Geiste und seinem Fernblick habe. Wenn Sie nur zugestehen, daß dieser 307 Herr Zoller eine Stellung hat, die ihn und seine Frau in der Gesellschaft bestehen läßt, so giebt es keine ernsthafte Einwendung. Und dieses Zuge- ständniß müssen Sie machen. Heutzutage steht ein Mann, der wie er eine politische Rolle spielt, eben so hoch, ja höher, als der Edelmann, der auf seinem Nittergute Schafe oder Ochsen züchtet. Nun komme ich aber zu dein Hauptpunkt, der auch Ihnen, der glaubenglühenden Katholikin, nicht gleichgiltig sein kann, zu jenen: Punkt, den gewiß auch Themar als leitenden Grund vor Augen hat und der mich selbst zu Gunsten Zoller's bei Ihnen Einsprache einlegen läßt. , Durch Emma bringen wir den Gegner und Angreifer ins Bereich unseres Einflusses und haben Aussicht, ihn zu bekehren oder, wie man sich vulgär ausdrückt, in unser Lager zu ziehen." Frau von Feldern lachte höhnisch auf. „Sie lachen," antwortete der Graf. „Sie kennen die Menschen noch immer nicht, Sie sehen nicht, was alle Tage, alle Stunden um uns vorgeht. Die Welt ist voll Verwandlungen! Dieser junge Mann, der zahllose Male in 20* 308 seinem Blatte gegen die Ultramontanen gewettert haben mag, will ein im Kloster erzogenes Mädchen heirathen — die Tochter einer entschiedenen Katholikin. Ist das nicht schon der erste Schritt? Der zweite und dritte ist leichter und wahrscheinlicher. Ein Mann, den ein hübsches Mädchengesicht so weit bringt, ist auch weiterer Versuchung zugänglich. Durch Emma wird er ein Anderer werden, wird zuerst die Polemik einstellen, dann, unter dem Einfluß seiner Frau, sich unseren Kreisen nähern. Lassen Sie einen Mann wie Zoller, der bisher nur Kampf und Arbeit gekannt hat, von den Gütern des Lebens kosten — es wird ihm wie Tausenden vor ihm ergehen — und der Nest wird folgen." Frau von Feldern blieb stumm und dachte über die Worte des Grafen nach. Sie war keineswegsvonihm überzeugtworden, anMotiven, wie den letzteren, lag ihr nichts. Aber sie überdachte die Lage und mußte sich sagen, daß sie bei Emma's und Hermanu's hartnäckiger Leidenschaft den Kürzenen ziehen werde. Wie wollte sie der Heirath entgegentreten, wenn der Vor- 309 mund nicht mehr dagegen war, ja diese mit allem Eifer in Schutz nahm? „Denken Sie an Ihr früheres Leben, denken Sie an Ihre Vergangenheit zurück!" fuhr Graf Eligius fort. „Ich lernte Sie im Beichtstuhl kennen, ich interessirle mich für Sie, ich kann wohl sagen: Sie hatten es mir angethan. Es war mir vergönnt, Sie, die junge Wittwe, die allein in der Welt stand, in Kreise einzuführen, die Ihnen einen Halt boten. Sie waren dort bald wie zu Hause. Als nun Feldern, der Protestant, erschien und ernsthafte Absichten durchblicken ließ, hatten Sie ähnliche Bedenken wie heute und verlangten meinen Rath. War i ch gegen die Verbindung? Nein. Ich half Ihnen über Ihre Zweifel hinweg! O, die Zeloten bringen die Sachen nicht vorwärts! Das Tri- dentiner Concil wußte es besser. Was wäre die Welt, mein Gott, wenn sich Katholisch und Protestantisch starr gegen einander abschließen wollten? Den Frauen ist eine große Aufgabe anvertraut. Sie haben eine still erobernde Gewalt über die Feinde der Kirche auszuüben. 310 Auch Sie, liebe Frau, übernahmen eine Mission und haben in ihr gewirkt. Sie haben zu Manchem geholfen, manchen Widerstand abgeschwächt und so unsern Dank verdient. Nun tritt Ihre Emma in ähnlichem Sinne ein. Es gibt viele Arten der Bekehrung und die sanfteste ist nicht die am wenigsten wirksame." Bischof Eligius erhob sich und reichte Frau von Feldern die weiche, sorgsam gepflegte, beinahe weibische Hand. Doch eine Bischofshand wird geküßt, ihre Pflege ist Pflicht. „Ich sehe Sie doch noch, Eminenz?" richtete Frau von Feldern zögernd die Frage an ihren Seelenfreund. „Hoffentlich," erwiderte Bischof Eligius. „Ich dürfte in Folge soeben eingetroffener Depeschen noch ein paar Tage hier verweilen. Was sagen Sie zur politischen Lage, liebe Frau? Gespannt, nicht wahr? Oesterreich hat demnächst einen feudalistischen Reichstag beisammen — Bayern hat bereits eine ultramontane, streng vaterländische Kammer — damit läßt sich im- 311 inerhin etwas anfangen. Wir schaaren uns" — er lächelte — „das Nachtgevögel schaart sich -" „Und ehe es sich die Welt versieht, dürfte das Gewitter über Bismarcks und seiner Anhänger Haupt stehen . . . ." setzte Frau von Feldern hinzu. „Ja, so ist es, große Ereignisse bereiten sich vor," sagte Bischof Eligius. „Es wäre mir interessant zu hören, was Sie von den Parteien hier zu Lande halten. Wem zu trauen — wer scharf zu fassen? Vielleicht sehe ich Sie eines Abends bei mir — ganz unauffällig — ein Priester ist ein Vater, den darf man ohne Skrupel besuchen —" „Ich hätte auch noch ein Anliegen" — sagte Frau von Feldern. „Es wäre mir ein Trost, meine Beichte wie ehedem vor Ihnen ablegen zu dürfen und aus Euer Eminenz Händen die heilige Communion zu empfangen . . . ." „Sehr gut, meine Tochter, sehr gut," erwiderte Eligius. „Ich lese täglich um Sieben eine Messe in der Trinitatiskirche. Wenn Sie Abends 312 zuvor die heilige Beichte ablegen wollen, kann es in meiner Wohnung geschehen. Ich werde Ihnen das Nähere zu wissen thun. Ich werde Ihnen ein Briefchen durch meinen Sekretär senden." Damit entfernte er sich. Frau von Feldern blieb allein zurück und überdachte die Vorgänge des Morgens. Ein wilder Haß, nicht sowohl gekränkte Liebe als gekränkter Stolz, kehrte sich gegen Themar, der sie mit so eisigem Froste behandelt, sie mit Floskeln von einem melancholischen Herzen abzuspeisen gedacht hatte, und mit einem ironischen Lächeln der Ueberlegenheit von ihr geschieden war. Der Besuch des Prälaten hatte aber auch ihrem ganzen Wollen eine andere Richtung gegeben. Ihrem Freund und Beschützer Eligius unbedingt zu trauen und unbedingt zu folgen hatte sie schon frühe gelernt. Sie klingelte, ein Diener erschien, sie ließ ihren Gemahl bitten, bei ihr zu erscheinen. „Lieber Ferdinand," sagte sie zu diesem, als er nach einer Weile vor ihr stand, „ich bin mit 313 mir zu Rathe gegangen und habe einen Ent-' schluß gefaßt, der Dich überraschen dürfte. Du wirst mit ihm einverstanden sein. Emma soll ihrem Herzen folgen, ich gebe meine Einwilligung zu ihrer Wahl, unter der Bedingung, daß ich nicht weiter in die Sache gezogen werde. Schreibe einen formellen Brief an Herrn von Themar, bitte ihn in meinem Namen, Emma das kleine Vermögen, das ihr gehört — es mögen jetzt zehntausend Thaler sein — auszufolgen. Sie sollen Hochzeit machen, sobald sie wollen und nach ihrer Fa^on selig werden." 314 In Emma's Gemüth hatte sich die Unruhe noch nicht gelegt, welche die Begegnung mit Abbe Deroni zurückgelassen, als das Wiedersehen mit ihrer Mutter sie in einen neuen und ungleich stärkeren Sturm der Aufregung versetzte. Diese Aufregung dauerte mehrere Tage ungeschwächt fort, als plötzlich die überraschendste der Nachrichten, die Meldung der mütterlichen Einwilligung, eintraf. Der Wechsel war ein so großer, daß Emma ihn kaum ertrug. Sie brach beinahe in der Fülle ihrer ersten Freude zusammen. Tags darauf ließ Emma sich's nicht nehmen, in die Residenz zu eilen, um ihrer Mutter zu danken. Der alte Feldern begleitete sie, doch nur 315 bis an die Schwelle des Hauses. Aber frostig wehte es sie an, als sie die stolze Treppe hin- angestiegen war und der Diener nach ihrem Namen fragte, um sie zu melden. Er wies sie in ein Zimmer, in dem sie längere Zeit zu warten hatte. Aus einer geöffneten Thür klangen ihr helle Kinderstimmen entgegen. Es waren die Stimmen ihrer kleinen Schwestern, für die sie eine Fremde war. Sie beneidete sie nicht um den Luxus, in dessen Mitte sie lebten, nur um die mütterliche Liebe, die, wie sie meinte, ihnen ganz und voll zugewendet sein mußte, da ihr selbst kein Antheil daran blieb! Endlich wurde sie vorgelassen. Emma fand die Mutter kalt, herb, abweisend. Sie sah klar ein, daß nicht das Herz, nnr irgend eine äußere Gewalt ihr die Einwilligung abgerungen. Den zukünftigen Schwiegersohn wollte sie nicht sehen, sie wollte, sagte sie, nachdem sie dem ungestümen, hartnäckigen Willen der Tochter nachgegeben, nicht weiter behelligt sein und mit der Sache nichts mehr zu thun haben. Sie sprach die Absicht aus, die Residenz auf immer zu ver- 316 lassen, sobald die Verhandlungen wegen Verkaufs ihres Besitzthnms zum Abschluß gekommen. — Mit der ihr Her,; zusammenschnürenden Empfindung, daß sie sich vielleicht auf immer von ihrer Mutter trenne und diese gar zum letztenmal gesehen habe, trat Emma die Heimreise an. Nun erst fühlte sie, wie ihr ganzes Leben, ihre ganze Zukunft in dem Geliebten ruhe. Sie fühlte aber auch, daß seine Liebe treu und stark sei und ihr Alles ersetzen könne. In diesem Gefühls lebte sie wieder auf. Tags darauf erschien Hermann in Grävenitz, ganz mit dem Schicksal ausgesöhnt, ganz Freude. Keine Ahnung sagte ihm, welchem Einflüsse — dem heimlichen Einfluß seiner politischen Feinde — er die Einwilligung der Frau von Feldern verdanke. Er wurde von den alten Leuten aus's Freundlichste aufgenommen und traf Feldern, den Sohn, schon dort. Hermann trat dem Manne, von dem er oft, aber nie günstig hatte sprechen hören, mit einer gewissen Befangenheit entgegen. Diese Besän- 317 genheit wich aber bald einem ganz anderen Gefühl. Der Mann, den er vor sich hatte, sah so gebrochen, so frühzeitig gealtert, so krank aus! Der Unfriede seiner Ehe nnd innerer Selbstzersall hatten so schmerzliche Linien in sein Gesicht gegraben, er hatte etwas so Schüchternes und Scheues! Man konnte ihn eigentlich nicht ohne Mitleid betrachten. Dazu kam für Hermann der Umstand, daß er für Emma im entscheidenden Momente hilfreich gehandelt. Man sah, wie der Kranke, der sonst so wortkarg war und noch immer von Zeit zu Zeit in schweigsames Brüten zu verfallen drohte, in Gegenwart seiner alten Eltern aufzuleben schien und an dem Liebesglück der jungen Leute, zu dem er das Seinige beigetragen, eine innige Freude hatte. Man ließ Hermann die Geschichte seiner ersten Begegnung erzählen. Dieser that es in humoristischer Weise, ahmte die Stimmen der jungen Mädchen und der falschen Superiorin nach und erregte damit laute Heiterkeit. Emma, dre den Geliebten noch nie so heiter und frei gesehen, verwendete keinen Blick von seinem aus- 318 drucksvollen Kopfe. Sie selbst sah in ihrem Glücke so mädchenhaft hold und lieblich aus, daß sich die Blicke Aller ihr immer wieder zukehrten. Hermann, der eigentlich nie ein Leben in der Familie gekannt hatte, fühlte sich in dem Kreise bald heimisch. Das Bild der unnatürlich harten Mutter trat ganz in den Hintergrund; für ihn war nur dies Haus und kein anderes die Heimath seiner Emma. So wurde die Verlobung ganz still im Familienkreise gefeiert. Wann die Hochzeit? war die den Liebenden Nächstliegende Frage. Emma, im Gefühl, daß ihr Vermögen ein äußerst geringes, hatte die bescheidensten Wünsche. Eine nette, nicht zu große Wohnung, hübsch eingerichtet, halb draußen vor der Stadt, — sie wünschte sich nichts weiter. In der Welt herumzufahren, sei zu kostspielig. Hermann dagegen plante eine Reise nach Venedig, an die oberitalienischen Seen und Mailand. Dann könne man langsam durch die Schweiz heimkehren und sogar noch einen Blick auf die Bo- 319 danburg werfen. Aber zum Reisen war es noch zu früh, auch war Hermann noch gebunden. Die Kammersession hatte eben erst begonnen und versprach stürmischer als sonst zu werden. Die Regierung, die unmittelbar nach Sechsundsechzig die bekannten Militärverträge hatte abschließen müssen, hatte nun durch den Zwang der Umstände und sehr gegen ihren Willen das neue Kriegsdienstgesetz nach preußischem Muster eingebracht. Es wurde von den radicalen und anti-nationalen Elementen der Kammer lebhaft angegriffen. Nur Diejenigen stimmten dafür, welche, wie Hermann und seine Freunde, mit ebensoviel Besorgniß wie Gewißheit einen Zusammenstoß mit Frankreich in nicht allzuferner Zukunft für unausweichlich erachteten. Hermann und seine Genossen hielten den Charakter der Epoche für ernst und bedenklich, aber die Thatsachen schienen ihnen Unrecht zu geben. Die Zeit hatte eine ganz entschieden freundliche Larve aufgesteckt, die Menschen trauten dem perfiden Lächeln. Das französische 320 Kaiserreich hatte den Parlamentarismus nach langem Schlafe wieder zu Wort, kommen lassen, war somit liberal geworden, der Schwiegersohn eines deutsch - ungarischen Componisten leitete die Geschicke des Landes. Das wüste chauvinistische Getöse jenseits des Rheins hatte aufgehört, die Pariser Journale bliesen die Friedensschalmei. Nie waren die Beschwichtigungsworte der Diplomaten und ihre Friedensversicherungen eindringlicher gewesen. Nie, seit dem verhängnißvollen Jahre Sechsundsechzig, hatten sich die Völker mehr der Arbeit und dem Vertrauen hingegeben. Höher als je hoben die Börsenbarone die geschwungene Nase, sie waren bei bestem Appetit — jeder Tag verzeichnete eine neue Hausse. Nur eine kleine Anzahl von Eingeweihten wußte, daß binnen Kurzem aus dem Schooße dieses tückischen Friedens eine Kriegsbombe her- vorplatzen werde.... Das Concil saß noch immer beisammen. Der dem Einfluß der Jesuitenpartei ganz anheimgefallene Vatican plante jenen gewaltigen 321 Kampf, der auch jetzt nicht ausgefochten ist, vielmehr wieder unter anderen Bedingungen und mit anderen Alliirten aufzulodern droht. Der Ultramontanismus hatte sich im Geheimen der obersten Staatsgewalt in Frankreich zu bemächtigen verstanden und war auf dem Punkte, dessen ganze Streitmacht gegen das protestantische Deutschland zu führen. Aus dem blutgetränkten, zerrissenen Boden desselben sollte dann die Saat des Syllabus aufgehen. . . Der Frühling war ins Land gekommen; der schöne, lachende Mai. Hermann war endlich frei geworden. Nächste Woche sollte die Trauung in Grävenitz stattfinden. Und wenn das Paar von der Hochzeitsreise heimkam, würde es — was ihm höchst erwünscht war — Frau von Feldern sicher nicht mehr antreffen! Ihr Haus war so gut wie verkauft, sie schien auf dem Sprunge. Hermann war in Lassenbach gewesen, um dem Obersten von Nodenegg die bevorstehende Wendung in seinem Schicksale mitzutheilen und ihn zur Trauung einzuladen. Der alte Herr 21 II. 322 war seit seinem Besuche iu Grävenitz ganz für Hermanu's Wahl eingenommen. Auf ihn, der so lange in seiner Einsamkeit kein junges Mädchen gesprochen hatte, wirkte die anmnthige, jugendliche Erscheinung blitzschnell. Emma, die in ihm einen väterlichen Freund Hermanu's sah, war ihm aufs Liebenswürdigste entgegengekommen. Rodenegg versprach, zur Hochzeit zu kommen. Er sprach viel von der Zukunft der jungen Leute. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wen» sie nach ihrer Heimkehr ganz zu ihm hätten ziehen wollen, doch dafür konnte er Hermann nicht gewinnen. Dieser schützte nur immer die Zeitung und die Entfernung von der Residenz vor, in der That aber war es ein Feingefühl, das seinem Sträuben zu Grunde lag. Er wollte Alles vermieden sehen, was auffällig wäre, was zu Erkundigungen und Nachforschungen führen könnte. Nur um diesen Preis völliger Abstinenz war das Andenken seiner Mutter zu schonen. Der Alte fühlte dies aus seiner Weigerung heraus und sagte im Stillen ihm Dank dafür. Häufige Besuche des jungen 323 Paares in Lassenbach sollten ihn für seinen Verlust entschädigen.... In diesem Sinne sprachen Großvater und Enkel lange miteinander. Wie war der Alte so glücklich! Er hatte ja längst gewußt, daß Ottilie einen Sohn hinterlassen, aber wie hatte er sich diesen Enkel gedacht! In der Welt verloren, verwahrlost, vielleicht schon zu Grunde gegangen. Es schien ihm selbstverständlich, daß das Kind die perversen Eigenschaften des Vaters geerbt und in seiner Weise bis zur völligen Entartung ausgebildet habe. Es hatte ihn geschauert, bei dem Gedanken, daß er ihm jemals begegnen könne. Und nun stand dieser Sohn Ottilien's vor ihm, männlich schön, durch eigenes Verdienst und eigene Kraft aus eine geachtete Stellung gehoben, und sie behauptend, ein Träger der Ueberzeugungen, welche auch die seinigen waren .. . Er war stolz, er war glücklich! Alles dies kam nicht recht über die an Schweigen oder barschen Befehl gewöhnten Lippen, 21 * 324 aber aus den Augen leuchtete heraus, was die Lippen verschwiegen. In später Nachmittagsstunde von Lassenbach heimkehrend, wurde Hermann auf dem Bahnhof von Klein und Hildegard empfangen. Klein war schon seit Ostern glücklicher Gatte und eben auf ein paar Tage bei den Pflegeeltern seiner Frau zu Besuch. Der Abend sollte gemeinschaftlich verbracht werden. Hermann war damit sehr einverstanden. Er wünschte nur noch vorher einen Gang in seine Wohnung zu machen. Es wurde eine Droschke genommen und man brachte ihn bis vor seine Hausthüre. Auf seinem Zimmer angelangt, fand er einen versiegelten Brief größeren Formats auf seinem Schreibpulte. Er öffnete das Couvert, ein Schriftstück lag darin, keine erklärende Zeile des Zusenders dabei. — Hermann durchflog den Inhalt des Schriftstückes und war außer sich. „Wer hat das gebracht?" fragte er den Die- 325 ner, denn er hatte langst schon gesehen, daß das Schreiben nicht mit der Post gekommen sei. „Ein älterer Mann in einem einfachen Rocke hat den Brief vorgestern abgegeben," war die Antwort. „Es war um die Abendstunde, ich war eben beschäftigt, die Fenster zu schließen, ich habe mir ihn nicht genauer angesehen." Hermann stand da, ganz starr. Das Schreiben zu sich steckend, ging er langsam die Treppe hinab. „Ei, Du hast uns warten lassen," sagte Klein, aber das veränderte Gesicht des Freundes sehend, hielt er sogleich inne. „Ihr müßt mich schon entschuldigen," sagte Hermann mit stockender Rede, „ich kann nicht mit Euch fahren, ein Brief, den ich vorgefunden —" Er machte Miene, davoneilen zu wollen. „Nun, nun?" sagte Klein, „ich will nicht hoffen, daß Emma krank geworden — oder daß sonst ein Unglück —" „Nein, nein, es ist eine Geschäftssache," erwiderte Hermann. 326 „So, so," sagte Klein. „Aber zum Abendessen kommst Du doch?" „Ich — nein, nein, ich glaube nicht, daß Ihr mich heute noch sehen werdet," sagte Zol- ler. „Morgen, morgen!" Sein ganz umgewandeltes Wesen contrastirte derart mit allem Bisherigen, daß Klein und Hildegard einander ängstlich ansahen. „Wir werden doch warten! Trotz alledem. Tu kannst auch noch um Elf kommen." „Market nicht! Wartet nicht!" erwiderte Hermann. Die Droschke setzte sich in Bewegung. Während sie hinhumpelte, sahen die Gatten Hermann nach. Er eilte zn einem Wagenstand und stieg in den nächstbesten Wagen. Klein und dessen Gesellschaft blieben bis gegen Mitternacht beisammen; aber Hermann war nicht erschienen. 327 Der Hof war mit dem Eintritt der schönen Jahreszeit in das eine halbe Stunde von der Residenz gelegene Gartenpalais umgesiedelt. Der König hatte unlängst den Schluß des Landtags in eigener Person vollzogen. Seine Rede gab einen Ueberblick der vergangenen Legislaturperiode und schloß mit einem Passus, in welchem die Furcht einer Gefährdung des europäischen Friedens als eine ungerechtfertigte bezeichnet wurde. Diese von so hohem Munde gefallenen Worte wirkten günstig auf das öffentliche Vertrauen, das in letzter Zeit mehrmals beunruhigt worden war. Mit dem Einzug in das Gartenschloß pflegte 328 der König den Staatsgeschäften den Abschied zu geben. Er lebte dann nur seiner Familie und einem behaglichen Lebensgenüsse. Diesmal sollte der bevorstehende Geburtstag der Königin Anlaß zu einem größeren Hoffeste geben. Bei dieser Gelegenheit sollten im kleinen Gartentheater lebende Bilder ausgeführt werden; der geniale Intendant Baron GoSpot-Kircher war mit der Aufstellung derselben betraut worden. Die Darstellenden gchöiten dem höchsten Adel der Residenz an, es wurden täglich Proben gehalten, denen der König in Person beiwohnte. Er war eben von einer solchen zurückgekehrt, als Herr von Anerstein, der sich schon gestern Abends zu einer ungewohnten Stunde um eine Audienz gemeldet hatte, wieder von sich hören ließ. Nur ungern entschloß sich der König, ihn vorzulassen, denn er hatte eben den von Gospot- Kircher gedichteten verbindenden Text zu prüfen und hatte nicht wenig zu thun, wenu er die 329 üppig wuchernden Schößlinge einer unsinnigen Phantasie beschneiden wollte. „Was bringen Sie, lieber Auerstein?" fragte er, nicht gerade im freundlichsten Tone. Der Ausdruck auf dem Gesichte des ehemaligen Staatsmannes und jetzigen Abgeordneten ließ auch keine angenehme Mittheilung erwarten. „Ich komme," sagte Herr von Auerstein, aufgeregt und nicht eben die Worte wägend, „in einer hochwichtigen Angelegenheit, ganz vertraulich, völlig vertraulich — wie es der Natur der Sache entspricht. Ich komme, Euer Majestät die Augen zu öffnen über einen Mann, der gedeckt vom Titel eines Ministers und Nathgebers Eurer Majestät in aller Heimlichkeit und Stille auf eigene Faust die verderblichsten Ränke spinnt! Herrn von Thcmar's heimliches Treiben wurde stets beargwohnt, jetzt ist es erwiesen! Schwarz auf Weiß erwiesen! Ein Schriftstück von seiner eigenen Hand geschrieben, an einen hohen geistlichen Würdenträger Süddeutschlands gerichtet, enthüllt verbrecherische Pläne, landes- verrätherische Anschlüge —" 330 Der König war höchst verlegen. „Das sind wohl Träume," sagte er, „Träume der Oppositionsmänner — ich glaube es fest, ich — bürge dafür. Wenn es sich so verhielte, wie Sie sagen, wäre ich mitgetäuscht!" „Das müssen Sie sein, Majestät," erwiderte Auerstein, „denn Themar spielt nicht allein mit den Geschicken des Landes, er spielt auch mit Eurer Majestät Thron." „Die Beweise! Die Beweise!" rief der König. „Doch ich weiß ja noch gar nicht, um was es sich eigentlich da handelt!" „Um ein Actenstück," erwiderte Auerstein, „welches darthut, daß Themar mit inneren und äußeren Feinden conspirirt. Man will unsere neue politische Gestaltung, wie sie eben geworden, beseitigen und umstürzen. Die kaum aufgerichtete Einheit soll von einer fremden Coali- tion wieder zertrümmert werden. Man zählt auf das ultramontane Bayern, zählt auf das geschädigte, besiegte Oesterreich. In letzter Instanz wird auf den Sieg der französischen Waffen gebaut. Wenn ich auch zugebe, daß eine 331 solche Eventualität in diesem Augenblick, im tiefen Frieden, der uns umgiebt, nur — wie soll ich sagen? ein Wunsch, ein frommer Wunsch bleiben mag, so ist es doch — jder fromme Wunsch eines Teufelsl" „Sind Sie nicht mystificirt worden?" fragte der König sehr ruhig. „Ich habe das Actenstück in Händen gehabt, ich habe es gelesen, Themar hat es geschrieben mit eigener Hand. Ueber alles das ist kein Zweifel," erwiderte Auerstein. „Haben Sie das Actenstück?" fragte der König. „Hier bringe ich Eurer Majestät die wortgetreue Abschrift." „Warum bringen Sie nicht das Original? Ich will das Original sehen. Die Abschrift genügt mir nicht. Die Abschrift stellt mich vor Täuschung nicht sicher." „Auch dann nicht," fragte Auerstein hitzig, „wenn ich Eurer Majestät erkläre, daß dieselbe zur Wahrung des Geheimnisses von mir selbst angefertigt worden ist und daß ich das Origi- 332 nal in meinem Hause in sicherer Verwahrung liegen babe?" „Warum das?" fragte der König. „Warum das?" „Einem mit dem Entdecker dieser hochver- rätherischen Urkunde getroffenen Abkommen zufolge und zugleich aus Rücksicht auf Eurer Majestät hohe Person. Bei meinem Vorgehen in dieser Sache soll alles Geräusch vermieden werden, da der Verdacht sonst nicht bei dem Schuldigen allein stehen bliebe.... Das deutsche Volk ist auf ähnliche Art öfter getäuscht worden und daher in solchen Dingen äußerst mißtrauisch." Der König warf auf den vor ihm Stehenden einen strengen bösen Blick, dann sagte er: „Und der Entdecker, wie Sie ihn zu nennen belieben? Wäre es, ist es, wie Sie sagen, dann liegt eine schwere Indiskretion vor-doch, was sage ich? Solche Papiere läßt man nicht offen auf einem Tische liegen — ein Diebstahl liegt vor, ein Verbrechen! Ich muß jetzt darauf 333 bestehen, daß Sie den Namen des „Entdeckers" nicht länger vor mir geheim halten!" „Der Mann," entgegnete Anerstein, „der mir das Dokument übergeben und mir dasselbe anvertraut hat, bleibt nicht im Hintergründe, um sich zu verstecken, sondern einfach auf meinen Rath, um einen edlen, patriotischen Zweck ohne Aufregung der öffentlichen Meinung und ohne weithin hallenden Scandal zu erreichen. Er ist hier auch nicht nöthig. Ich stehe für ihn ein, ich decke ihn mit meinem Namen, meiner Ehre! Er hat das Document nicht auf Schleichwegen und auch nicht mit gewaltsamer Hand erlangt." „Gleichviel," rief der König, „das giebt eine Untersuchung, einen Prozeß-" „Ich hatte es keineswegs für das Dringendste, gerichtlich festzustellen, wie das Acten- stück aus dem Dunkel zu Tage gekommen," erwiderte Anerstein mit schneidender Ironie, „wohl aber, den Verfasser desselben als des königlichen Vertrauens unwürdig aus dem Amte zu jagen." „Beides," sagte der König, der höchst unru- 334 hig geworden war, „muß untersucht werden! Ich will von der Geheimnißthuerei, mit der Sie auftreten und die Sie mir empfehlen, nichts wissen — ich halte es nicht in meinem Interesse, denn i ch habe dabei das Licht nicht zu scheuen." Er war wahrend dieser Worte mit großen Schritten im Zimmer auf- und abgegangen. Auerstein erwiderte nach einer Pause: „Geruhen Majestät sich also vorerst mit Hilfe dieser Abschrift einen Einblick zu verschaffen. Erst die vollständige Kenntniß des Inhalts kann Eurer Majestät weiteres Verhalten in dieser Angelegenheit bestimmen." „Ich bin jetzt schon gewiß," sagte der König trocken, „daß wir es da mit einer Intrigue zu schaffen haben und eine Fälschung vorliegt. Lassen Sie die Abschrift hier. Ich werde sie Themar vorlegen und bin überzeugt, daß er das Lügengewebe durchreißt und triumphirend dastehen wird. Nein, nein! Es kann nicht sein! Er kann das große Vertrauen, das ich sowohl in seine Tüchtigkeit, als in die Reinheit seiner 335 patriotischen Gesinnungen gesetzt, nicht auf so schmähliche Weise mißbraucht haben. Ich werde Sie zur rechten Zeit rufen lassen.... Guten Tag!" Auerstein war entlassen. Tief betroffen, langsamen Schrittes ging er davon. Seine Mittheilung hatte eine Aufnahme gefunden, die seiner Erwartung nach jeder Seite widersprach. Das Benehmen des Königs hatte ihm klar gezeigt, daß Themar nicht auf eigene Faust Verrath gesponnen.... 336 Wenige Tage waren seit der Begegnung Auerstein's mit dem König verflossen. Von keiner Seite schien in der schwebenden Angelegenheit ein Schritt gethan worden zu sein. Themar theilte seine Zeit wie gewöhnlich zwischen Arbeit und Zerstreuung. Sein Humor blieb scheinbar ein trefflicher und man sah demselben nicht an, daß an seinem Minister - Fau- teuil gerüttelt worden war. Da trat eines Nachmittags der Polizei-Di- rector Herr von Lutteroth, nach dem geschickt worden war, in das Arbeitszimmer des Ministers. 337 „Ich habe einen Auftrag für Sie, lieber Hofrath!" hob der Minister ohne Weiteres an. „Er ist delicater Natur. Doch Sie haben die Talente, sieb seiner meisterhaft zu entledigen. Es handelt sich um die Eruirung und Ahndung eines frechen Briesdiebstahls. Es ist Ihnen wohl bekannt, daß Gras Eligins Brayl, Mitglied des jetzt tagenden vatikanischen Concils, vor nicht langer Zeit ein paar Tage hier verweilte. Zweck seines Aufenthalts war, mit uns in Pourparlers zu treten, da möglicherweise die Concilsbeschlüsse die Stellung der Katholiken in unserem Vaterlande nicht unwesentlich verändern. Unser Cultusministerium war schon vor Monaten in Beziehung zu Seiner Eminenz, einem der aufgeklärtesten und liberalsten Priester, getreten und es ist selbstverständlich, daß Graf Brayl den betreffenden Theil der Correspondenz mit sich führte. Da sind ihm nun amtliche Re- scripte, eminent confidentiellen Inhalts, von meiner eigenen Hand niedergeschrieben, abhanden gekommen, wir können sagen, gestohlen worden. Natürlich in böser Absicht, Mißbrauch zu treiben. L2 ii. 338 Wie Sie sehen, sind wir bei der Affaire Beide, der Graf und ich, gleich stark interessirt . . . Nach einem längeren telegraphischen Meinungsaustausche zwischen mir und dem Grafen, der sich jetzt wieder in Rom befindet, läßt sich der Schluß ziehen, daß es keine andere Person als Frau von Feldern ist, die sich an dem Doeument vergriffen hat. Sie war vor der Abreise des Grafen in dessen Wohnung — angeblich zum Zwecke der Beichte — und es ist bemerkt worden, daß sie sich einer Schatulle, die mit Docnmenten gefüllt war, mehrmals auf auffällige Weise näherte. Es wurde dem Umstände seiner Zeit keine Beachtung geschenkt. Nun ist aber nicht blos ein Rescript, wie ich Anfangs meinte, entwendet worden, es sind drei entwendet. Der Graf vermißt drei Stücke und das ist nicht zufällig — alle drei kommen von mir. Der Berdacht gegen Frau von Feldern ist so überwältigend, daß wir sicher nicht fehlgehen, wenn wir bei ihr eine Haussuchung abhalten . . . Leider können Sie im besten Falle nur zwei Schriftstücke bei ihr finden — das dritte findet 339 sich nicht mehr. Dieselben sind von s meiner Hand, die Sie wohl kennen, eines vom 28. März 1870, das andere vom 6. Mai datirt. Hier ist die Haussuchungs-Ordre. Nehmen Sie nach eigener Wahl die geeigneten Leute mit." Herr von Lutteroth hatte mit ernster Miene zugehört. „Es wird Ihnen bekannt sein, Excellenz," sagte er, als Themar zu Ende war, „daß ich in den nächsten Tagen der Enthebung aus meiner Stellung und meiner Pensioniruug entgegensehe?" „Allerdings," sagte Themar, „die Regierung, welche Ihr Talent, Ihre Erfahrung, Ihre Arbeitskraft schätzen gelernt, bedauert lebhaft, daß Sie die Versetzung in den Ruhestand verlangen." „Sollte es nun nicht mit dieser Haussuchung noch einige Tage Zeit haben?" fragte Herr von Lutteroth. „Sollte nicht mein Nachfolger mit diesem Auftrag betraut werden können? Ich habe vielleicht übertrieben zarte Nerven — es fällt mir wirklich schwer, mit einer solchen Mission bei einer Dame aufzutreten, die —" „Immer sehr intriguant war." 340 „Aber doch eine Frau, zu der wir in den freundlichsten Beziehungen standen. Oder nicht, Excellenz?" Herr von Themar biß die Lippen. „Die Sache drängt," sagte er, „und heute, Herr von Lutteroth, sind Sie noch Polizei-Director! Ich kann nicht anders, als das Verlangen stellen, daß Sie die Sache übernehmen und in eigener Person ausführen. Ihre Klugheit, Umsicht 'und Festigkeit sind uns hier besonders werthvoll." Lutteroth verbeugte sich schweigend. „Ich geselle Ihnen," sagte Herr von Themar, „der besonderen Verhältnisse willen, einen Mi- nisterialbeamten, der mein Vertrauen hat, bei." Herr von Lutteroth konnte nicht anders, als den Auftrag übernehmen. Am Abend des nämlichen Tages, um die Dämmerungszeit, trat die Haussuchungs - Commission in das Haus auf dem Paradeplatz ein. Die Herren gingen leisen Schrittes die Treppe hinaus. und traten, ohne sich melden zu lasten, in das Boudoir der schönen Frau. 341 Sie lag auf einer Canseuse ausgestreckt, gewohnt, nach eingenommenem Diner zu ruhen. Ihr Gemahl war ausgegangen. Der schwer- mülhige Mann hatte die Gewohnheit angenommen, seinen täglichen Spaziergang erst bei einbrechender Dunkelheit zu machen, wie wenn er die Blicke der Menschen scheue und unerkannt, nngegrüßt zu bleiben wünsche. Dieser Zeitpunkt war von Herrn von Lut- teroth absichtlich gewählt worden. Frau von Feldern war nicht wenig überrascht, als ihr die Hanssuchnngs-Ordre vorgezeigt wurde. Sie hatte sich aber rasch gesammelt, forderte die Herren auf, an ihr Geschäft zu gehen und gab ihnen sofort ein paar Commoden- schlüssel. Sie verlangte nur den Grund der Maßregel zu wisse». „Die Angabe der Gründe," erwiderte Herr > von Lutteroth, „wird nicht ausbleiben. Indessen mögen Sie darüber beruhigt sein, daß wir nichts unnützerweise in Unordnung bringen und — 342 auch nichtsZmit fortnehmen, was — Ihnen gehört." Damit mußte sie sich zufrieden geben. „Wohlan, meine Herren, thun Sie Ihre Pflicht," sagte sie kurz und setzte sich unfern nieder. Sie war kalt lind kampssertig. Eine Aufregung störriger Natur bäumte sich in ihr empor, wurde aber von festen Nerven gebändigt und niedergehalten. Alles war gekommen, wie es eben kommen mußte. Der Verdacht der Briefentwendung hatte auf sie fallen, The- mar hatte gleich errathen müssen, von wem dieser Schlag ausgehe. Aber Eines war gewiß: der Pfeil saß! Themar blieb nichts Anderes übrig, als seine Entlassung zu nehmen, er war vorerst, vielleicht auch für immer ein gestürzter Mann und diese Maßregel gegen sie nur noch die letzte Kraft- und Wuthäußerung eines zu Tode verwundeten Thieres . . . Und das zu fühlen, that ihr wohl, wohl in der Seele! . Die Beamten waren indeß ans Werk ge- 343 gangen. Ein neben dem Schreibtisch stehendes elegantes Möbelinitvielen Schubfächern, japanische Lackarbeit, lockte zuvörderst Herrn von Lutteroth's Neugier. Er hob mit zarter Hand ein Lädchen nach dem andern empor, während sein Begleiter die ernsthaftere Arbeit am Schreibbureau in Angriff nahm und eine Schublade nach der andern herauszog. Hier wie dort hatte man es mit einem Wüste von Papieren, Briefen, Rechnungen zu thun, die Herren beschlich schon die Sorge, daß manche Stunde vergehen werde, ehe sie das Gesuchte fänden. Da erhob sich Frau von Feldern mit einem unterdrückten Gähnen und ging, ein ironisches Lächeln auf den Lippen, hinter dem Rücken der Beamten in das anstoßende Zimmer. Herr von Lutteroth hatte ihre Abwesenheit gleich bemerkt. „Hollah, meine Herren," flüsterte er seinen Amtsgenossen zu, „Frau von Feldern geht hinaus. Das 6orpu8 ckelieti befindet sich schwerlich in diesem Gemache." 344 Er eilte ungestüm in das Zimmer, in welches Fran von Feldern getreten war. Die Uebrigen folgten. Sie fanden Fran von Felder» vor einer Commode von Boule-Arbeit, im Begriff, eine Lade zn öffnen. Beim Anblick der Eindringlinge war sie hastig zurückgefahren. Ihr Zurückweichen, ihre Bestürzung waren vielsagend. Sie wollte nun hinausstürzen, wurde aber bedeutet, daß sie der Nachsuchung beiwohnen müsse. Es geschah wohl aus dem Grunde, daß sie nicht mit den Papieren entfliehe, falls sie diese schon zu sich gesteckt haben sollte. In einer der Schubladen unter Spitzenkragen und Bändern fanden sich nun die zwei gesuchten Documente. Der von Themar entsendete Mi- uisterialbeamte identificirte dieselben, indem er einen flüchtigen, aber sichern Blick aus Handschrift, Datum und Unterschrift warf. „Wir sind fertig, meine Herren," sagte er, indem er eine Kerze an dem dreiarmigen Leuchter, 345 der auf dem Kamin stand, anzündete und in Aller Gegenwart die beiden Schriftstücke cou- vertirte und mit fünf Siegeln schloß. Die Commission war auf dem Punkte, sich zu entfernen, als Frau von Feldern, ein kleines- versiegeltes Packet in der Hand, zu dem Mini- sterial-Beamten trat. „Ich bitte Sie," sagte sie, „mit den fortgc- nommencn Tocumenten auch dies Ihrem Chef zurückzustellen." Sie war wieder ganz ruhig und hoheitsvoll. Ihre funkelnden Augen blickten aus die Herren, die sie höflich grüßten, wie auf gemeine Schergen nieder. Inzwischen wartete Herr von Themar in seinem Cabinet das Resultat der Untersuchung ab. Er war in großer Gala-Uniform, die Brust mit Kreuzen und Sternen geschmückt, denn er hatte heute noch auf dem Hoffeste im Gartenpalais zu erscheinen. Eine brennende Ungeduld verzehrte ihn, er ging auf und nieder, trat dann wieder einmal an's Fenster, ließ das Rouleau 346 in die Höhe gehen und blickte über den Platz hinaus. Endlich — und doch früher, als es sich füglich annehmen ließ — trat sein Vertrauensmann, der Ministerialbeamte, mit den zwei versiegelten Packeten ein. Herr von Themar griff hastig nach dem ersten, größeren, dem Packet mit den Documenten. Die Form des zweiten, kleinen Packetchens und der gewählte Zeitpunkt der Zurücksendung ließen ihn augenblicklich dessen Inhalt errathen, er wußte, daß er da das Diamantkreuz zurückerhalte, das seine Bekanntschaft mit Frau von Feldern eingeleitet hatte. Verächtlich warf er das kleine Packet über seinen Schreibtisch hin. Nun erkundigte er sich nach den Details der Action. Der Ministerialbeamte schilderte sie kurz und verließ bald darauf das Gemach. Themar hatte das Couvert erbrochen, die beiden Schriftstücke angesehen und dann vor sich auf den Tisch gelegt. Mit gekreuzten Armen 347 blickte er eine ganze Weile gedankenvoll vor sich hin. Die Rückerstattung dieser zwei Schriftstücke erfüllte ihn nur mit äußerst mäßiger Freude, da er das dritte in den Händen seiner geschworenen Feinde wußte. „O diese Feldern!" sagte er dann. „Ich hätte sie doch gründlich kennen sollen. Ich behandelte sie als abgethan und keiner Rücksicht mehr würdig, seit sie mir nicht mehr nützen konnte. Aber in meinem Uebermuth ist es mir nicht eingefallen, mich zu fragen, ob sie mir nicht auch schaden könne? Ihrer Gunst verdanke ich meine Erhebung, ihrer Rache meinen Sturz! Ich selbstgefälliger Narr glaubte, sie beuge sich vor meinem Einfluß, sie gebe nach, unterordne sich meinem souveränen Willen, als sie so unverhofft die Tochter an Zoller hingab. Sieh da, sie opferte ihr Kind, um den Todfeind auf mich zu hetzen! .... Das ist evident. Der plumpe Auersteiu hat es so klar als möglich ausgeplaudert. Er — kein anderer als Zoller — hat das Document 348 zur Benützung erhalten. Der sogenannte „Entdecker" ist der künftige Schwiegersohn. Er hat die giftige Waffe als Hochzeitsgeschenk von ihr erhallen, um mich damit tödtlich zu treffen.... Dies Weib rechnet noch besser und ist entschiedener als ich. Daher ihr Erfolg. Ich — ich handle halb, mit getheilter Kraft! Sentimentale Gründe schwächen mich, alte Geschichten, eine verrückte Zärtlichkeit für einen Bastard, der nichts von mir wissen will.... Ottiliens Schatten ist doch nur ein Schatten und nicht ein Balken, über den ich immer stolpern muß, so oft er aus meinem Wege vor mir erscheint.... So bin ich von einem lebenden und einem todten Weibe zu gleicher Zeit verfolgt und in die Flucht gejagt! Pah! diese Reflexionen, die sehr richtig sein mögen, können mir wohl in meiner jetzigen Klemme nichts helfen, aber für die Zukunft dürsten sie mir doch von großem Nutzen sein. Zukunft? Hab' ich eine Zukunft? Mein Herz bejaht es mit einem hoffenden Aufzucken! Es 349 ist mir eine Wolke, die jetzt vor mich iritt und mich in Dunkel einhüllt. Hinter ihr muß ich auf kurze Zeit verschwinden, dann aber wieder über die ganze Sonne gebieten .... Ich habe mächtige Alliirte und wenn ich diese erblicke, so sollte ich mich schämen, eine abgedankte Courtisane und einen phrasenreichen Journalisten mit den Namen von Feinden zu ehren. Sie sollen sich eine Zeitlang des geraubten Documents im Stillen freuen, ihre Finger werden den gewaltigen Zündstoff, der darin steckt, nicht ersticken! Frankreichs Schwert wird mit vernichtender Plötzlichkeit aus der Scheide fahren und dem Reich der modernen Normannen ein Ende machen! Die blinden Spießbürger sind stolz auf Deutschlands Einheit und übersehen, daß Deutschland nichts weiter als eine preußische Kaserne werden soll. Man muß sie wider ihren Willen vor dem preußischen Sergeanten retten! Vorwärts, vorwärts, große, ruhmbedeckte, immer siegreiche Nation! Bald fliegen Deine Adler über den Rhein und befreien uns von dem 350 Drucke militärischer Pedanterie und puritanischer Tugendhaftigkeit, die alle Lebenslust erstickt ! Die Besiegten werden zwar anfangs murren, zuletzt aber die Segnungen der Befreiung anerkennen und höchstens sagen: wir haben die Herren gewechselt, für trockene, knauserige, ungemüthliche, barsche, haben wir lebensheitere, liebenswürdige, großmüthige erhalten. Europa ahnt nicht den Wendepunkt, an dem es steht — in ein paar Monaten, vielleicht schon in wenig Wochen hat der Welttheil eine andere Gestalt!" Er verließ das Zimmer und jagte in seiner Equipage zum Hoffeste. 351 Unmittelbar nach der Rückkehr Herrn von Auersteins aus dem Gartenpalais hatte dieser mit Hermann einen Kriegsrath gehalten, dem auch Thaidinger zugezogen wurde. Die Haltung des Königs bei Entgegennahme der Eröffnungen war der Gegenstand sorgfältiger Prüfung. Diese Haltung war im höchsten Grade zweideutig, dennoch widerstrebte es den Dreien, blos auf sein seltsames Benehmen hin, einen Fürsten, der sein Einverständniß mit der neuen Ordnung der Dinge und seine Bundestreue stets lebhaft betont hatte, des Mitwissens und der Mitwirkung bei reichsfeindlichen Anschlägen und Unternehmungen zu beschuldigen. Vielleicht war der Fürst doch über Herrn von Themar's 352 heimliche Wege und letzte Absichten im Unklaren geblieben. Nun war die Copie des merkwürdigen Documents in des Königs Hand, eine Wirkung konnte nicht ausbleiben. Wenn schon Herr von Themar nicht vor Gericht gestellt werden sollte, was eigentlich selbstverständlich gewesen wäre, so mußte zum Mindesten seine Entlassung erfolgen. Mau beschloß, eine Zeit lang abzuwarten und zuzusehen, was nun im Schlosse geschehen werde.... Das Original des Schreibens wurde an einem Orte niedergelegt, wo auch der scharfsinnigste Spürer es nicht auffinden konnte. Erfolgte vom Schlosse aus kein Schritt, so sollte eine Veröffentlichung des fatalen Briefes zuerst in einer auswärtigen Zeitung erfolgen. O Die Lage war im höchsten Grade gespannt und konnte in der nächsten Zeit zu einer weitreichenden Katastrophe führen. Die Freunde standen vor einer Mine, an welche die Lunte gelegt worden war; jeden Augenblick konnte sie 353 auffliege» und die Tragweite der Wirkung war nicht zu berechnen. Hermann schrieb seiner Emma, daß es ihm unmöglich geworden sei, schon in den nächsten Wochen die Stadt zu verlasse»; der Hochzeitstag wurde hinausgertickt. Da nahmen die Dinge eine Wendung, auf die weder Hermann, noch Auerstein, noch Thai- dinger gefaßt gewesen waren. Schon am Tage nach dem Hoffeste verbreitete sich das Gerücht, Herr von Themar sei nicht unbedenklich erkrankt. Ueber das Wesen seiner Krankheit herrschten die größten Widersprüche, die Thatsache aber, die einen gewissen mysteriösen Charakter hatte, erhielt durch dc» Medicinalrath Horst und die Personen von Themar's nächster Umgebung volle Bestätigung. Der Medicinalrath äußerte sich zu mehreren Leuten dahin, daß über den Gesundheitszustand des Ministers, der allerdings nicht unbedenklich sei, noch kein bestimmtes Urtheil abgegeben werden könne; er fügte den Wunsch bei, daß die Sache möglichst wenig in ii. 23 354 den Mund der Leute kommen möge. Dennoch, oder vielleicht gerade deßwegen, gelangte sie in die Presse. Noch immer war der Eindruck aufs Publikum ein nur mäßiger, bis er plötzlich durch eine höchst auffällige Mittheilung der ministeriellen Amtszeitung bis zum Sensationellen gesteigert wurde. Der Artikel lautete folgendermaßen: „Die Indisposition des Herrn von Themar, anfänglich eine scheinbar leichte, hat doch einen ernsten Charakter, der Beunruhigung einflößt. Zahlreiche Symptome deuten sowohl durch ihren innern Zusammenhang als durch ihre Persistenz darauf hin, daß der Sitz des Uebels in einer nicht unbedenklichen Gereiztheit der Nerven- centren zu suchen sei. Rastlose Anstrengung und Ueberarbeitung sind die offenbare Ursache dieser Störung. Wenn auch der Zustand nach der Meinung der ersten Fachmänner in diesem Augenblick noch nicht gefährlich ist, so können doch die ernstesten Folgen nur durch ungesäumte Abwehr verhütet werden.... Wie verlautet, hat Herr von Themar den eindringlichsten Bor- stellungen nachgegeben. Er tritt demnächst einen längeren Urlaub an und dürfte, sobald der jetzt noch vorhandene gesteigerte Rei- zungszustand nachgelassen, sich in eines der milderen Seebäder begeben. Die Badecur wird unausbleiblich bei seiner sonst so kräftigen Con- stitution die gewünschte Wirkung äußern. Da es sich glücklicherweise gerade so sügt, daß ein wolkenlos heiterer politischer Horizont über uns steht und kein Anzeichen die geringste Verwicklung nach Außen fürchten läßt, könnte Freiherr» von Themar's zeitweilige Entfernung von den Geschäften kaum jemals weniger fühlbar sein." Also Geistesstörung'. Am Tage nach Erscheinen dieses Artikels war Herr von Themar abgereist, ohne irgendwo Abschiedsbesuch gemacht oder auch nur Jemanden von seinen Bekannten vorgelassen zu haben. Der Artikel konnte keine weitere Ergänzung, Berichtigung, Bestätigung erhalten. Das Publikum mußte ihn ohne weitere Kritik hinnehmen. Herr von Themar hatte kaum die Residenz verlassen, als sich seine näheren Bekannten 23 * 356 sämmtlich erinnerten, daß bei ihm in der letzten Zeit wirklich ein großer Wechsel von Eraltations- imd Depressionsstinimungen, von Aufregung und Niedergeschlagenheit erkennbar gewesen. Er hatte über Herzklopfen und Kopfschmerzen geklagt, man hatte ihn oft sagen gehört, daß er sich über gar nichts mehr recht freuen könne. In seinem Benehmen und Verhalten sollte manche auffällige Erscheinung zu Tage getreten sein, die sein Wesen bizarr und seltsam erscheinen ließ. Seine verschwenderischen Neigungen, eine oft über seine Mittel hinausgehende Freigebigkeit sollten schon lange auf eine Störung seines Verstandes gedeutet haben, allerlei Eigenheiten, auf die man sonst nicht geachtet, wurden untereinander in Zusammenhang gebracht. Nur Zoller, Auerstein und Thaidinger sahen die Sache minder harmlos an. Sie wußten, daß dieser Kopf schwindelfrei gewesen sei und seine Lebenszwecke nie aus den Augen verloren habe! Sie wußten wohl, daß er für jede seiner Handlungen, jedes seiner Worte zurechnungsfähig gewesen. Sie hielten die Reise für eine ihm vom 357 König in gerechter Entrüstung dictirteVerbannung und für den — ihn schonenden — Ueber- gang zu seiner gänzlichen Beseitigung. Ja, seine Reise war eine Folge der dem Könige mitgetheilten Entdeckungen! Auerstein bat dem Monarchen alle Zweifel ab, welche die seltsame Aufnahme der Eröffnungen bei ihm erweckt. Frau von Fclderu's Seele war von einem wilden Jubel erfüllt. In den ersten Tagen nach der Haussuchung war sie bestürzt gewesen, hatte sich jedoch bald jede Sorge ausgeredet. Während ihres langen Aufenthalts am Hofe hatte sie in Erfahrung gebracht, daß dort viele Streiche unverfolgt bleiben und mit dem Mantel des Schweigens und des Jgnorirens bedeckt werden. Ihr Streich gegen den Minister gehörte in diese Kategorie. Wie sollte man sie ihrer Handlung wegen zur Rechenschaft ziehen? Ein gewaltiger Scandalproceß hätte die Folge davon sein müssen. Jetzt freute sie sich sogar der Haussuchung. Diese Maßregel sagte ihr ja, daß ihr ehemaliger Günstling die Hand kenne, welche die verderbliche Karte gegen ihn ausge- 358 spielt und ihn von seiner Höhe zu Boden geworfen habe. Das war für das racheschnau- bende Weib ein Hochgefühl. Auch sie hielt Themar's Reise für eine Verbannung. Nur der alte Nodenegg knirschte mit den Zähnen. Er meinte, daß Themar straflos ausgehe, und das war nicht nach feinem Sinne. Er hatte ganz in der Stille Beweismittel zusammengebracht, aus denen hervorging, daß Themar sich mit den schmindelhafteu Finanz- männern des Tages in infamirende Händel eingelassen. Diese Beweismittel verwahrte er in seinem Pulte und hatte sie demnächst dem König zusenden wollen, um ihm die Augen über seinen Vertrauensmann zu öffnen. Der Oberst war ganz wild darüber, daß ihm der Zufall die Rache vorweg genommen. Indeß ließ der König Herrn von Auerstein wieder auf das Freundlichste zu sich bitten. Der Mann, der so lange in Vergessenheit gerathen war, wurde nun mehrfach zu Rath und That herangezogen. 359 Er hatte bei seinem Besuch im Palais den König als „ganz den Alten" wiedergefunden. Diese Annäherung an Auerstein verfehlte nicht, Aufsehen zu erregen und nun erst fing das politisirende Publikum und das Volk der Kannegießer an, ernsthaften Betrachtungen über Themar's Abreise nachzuhängen, natürlich, ohne das zu Grunde liegende Motiv auch nur im Entferntesten zu errathen. Dieses Motiv blieb, das Geheimniß einiger Wenigen, vorerst aller Welt verborgen. Und nun waren alle Hindernisse, welche Hermann noch in letzter Zeit aufgehalten hatten, weggeräumt. Der politische Horizont ließ keine Spur von Trübung erkennen, Hermann war frei und konnte den Trieben seines Gemüthes folgen. 360 AreizelptteZ KaMet. Die Trauung hatte zu Grävenitz im engsten Familienkreise stattgefunden. Glücklich, überglücklich waren die Neuvermählten noch am selben Tage ausgezogen, die langgeplante Reise trotz vorgerückter Jahreszeit zu unternehmen. Sie blieben ein paar Tage in Wien, passirten den Semmcring, sahen das Meer von der Höhe des Karst und fuhren in das traumhaft schöne Venedig ein. Das Glück halte sie bisher nicht verwöhnt. Es hatte sie vielmehr knapp gehalten. Kein langer Brautstand, kein öfteres Alleinsein hatte ihr Empfinden abgeschwächt, sie waren immer nur unter fremden Augen zusammen gewesen. Herz war dem Herzen neu. Vor ihnen, nicht 361 hinter ihnen, wie bei so vielen andern Neuvermählten, lag der Liebesroman. Und so war ihr jetziges gegenseitiges Glück frisch und sonnig, wie ein Maitag und ihre Seligkeit ohne Grenzen. Es waren Tage, die man im Leben nur einmal hat, nicht vorher, nicht nachher. Tage, in denen man inne wird, wie die Welt alles Schönen voll ist. Tage der wachsenden Vertraulichkeit und Freundlichkeit, Tage, wo zwei Wesen in Eins zusammenschmelzen, um für alle Zeit Eins zu bleiben. Kein Laut von Draußen drang in ihren wachen, lieblichen Traum. Sie hatten auf grünen Matten gesessen und aus Felsen, seitab vom Wege. Sie waren durch zauberische Gefilde gewandelt. Arm in Arm verschlungen, sie waren auf den Lagunen bei Mondschein gefahren, während von den Rudern flüssiges Silber strömte. Sie hatten Villen mit weißen Marmorfronten und Treppenstufen, Mprthen- bosguets, graue Oelbäume und dunkle Erpressen gesehen, sie hatten azurne Luft getrunken — aber alles nur, wie in einem Traum einge- — 362 spönnen. Wo und mann sie aber das alles erlebt und geschaut, wann sie da und wann dort gewesen, wäre ihnen schwer gefallen zu sagen. Sie erwarteten keinen Bericht aus der Heimat und fragten nicht nach Briefen. Keiner ihrer Bekannten wußte, wo sie eben waren. Griff Hermann's Hand ja mechanisch nach einem Zeitungsblatt, er ließ es bald fallen, ohne daß das Auge mehr als ein paar Zeilen gelesen. Vor ihm saß ja die, in deren Seele er mit Entzücken las, die sein Denken ganz ausfüllte. In Mailand war die Hitze unerträglich. Die Neuvermählten hatten sich aber auch zu viel zu sagen, um sich hier, im Gewühl, immerfort unterbrechen zu lassen. Hermann sehnte sich nach Einsamkeit, zu blauen Seen, frischen Quellen und schattigem Walde. So fuhren sie nach kurzem Aufenthalt in Arona in die erhabene Natur des oberen Lago Maggiore. In Val Jntrasca unfern von Jntra, ließ sich das Paar in einem kleinen Wirthshause italienischen Stpls nieder. Eines Nachmittags, während Emma, von 363 der Tageshitze überwältigt, ruhte, war Hermann den Berg hinan gestiegen, der hinter den Häusern so mächtig zum Himmel emporschaute. Es war ein Berg, der bei den Touristen wegen seiner Aussicht auf die borromäischen Inseln in Gunst stand und den die Sommergäste von Palanza und Stresa zu Esel und Manlthier zu besuchen pflegten. Auf dem Gipfel angelangt, traf Hermann ein paar Banernhäuser und die gewöhnliche Staffage bettelnder, herumlungernder Kinder. Sie umlagerten ganz besonders einen Herrn und eine Dame, die mit einem Führer heraufgekommen waren und die sie, wie es schien, schon reichlich beschenkt halten. Hermann kümmerte sich nicht um sie. Er hatte sich ein Glas Milch geben lassen und saß auf einer Bank, Bergblumen, die er im Heraufgehen gepflückt, zu einem Strauße ordnend, den er Emma mitbringen wollte. Schließlich mußte er doch dem fremden Paar einige Aufmerksamkeit schenken. Der Herr, ein Mann in den mittleren Jahren, im elegantesten 364 Touristerranzug, war zu Fuß herausgekommen und sah ermüdet, verdrießlich und gelangweilt aus; die Dame dagegen, die herausgerittcn war, schien höchst beweglich. Auch sie war hochelegant und abenteuerlich gekleidet. Sie halte immer etwas zu verlangen, bald von den Wirths- lenten, bald vom Führer, bald von ihrem Gatten. Jetzt hatte sie nach einem Fußschemel verlangt und da der Hausstand der Hütte nichts dergleichen bot, rollte der Führer einen Stein herbei. Aber er stand kaum am Platze, als sie wieder aufstand und umher ging. Es mußte ein verwöhntes Geschöpf und voll Launen sein. Hermann konnte nicht umhin einen Vergleich mit Emma zu ziehen, die so gelassen in ihren Bewegungen, so still in ihrem Empfinden, so genügsam in ihrem Wesen war. Wieder hatte sich die junge Dame vor ihrem Steinblock niedergesetzt und gewährte Hermann den Airblick ihrer zierlichen, in Lederstiefel gekleideten Füßchen. Kokett tändelte sie mit ihrem Lorgnon und streifte mit ihren Augen den einsamen Touristen, während ein Lächeln ihre 365 Lippen kräuselte. Hermann konnte nicht anders als es bemerken; es war gar zu auffallend. Plötzlich wandte sie sich an ihn. „Und Sie," sagte sie, „scheinen Ihren Reise- gewohnheiten treu geblieben zn sein? Sie haben Recht! Es ist die schönste Lebensform. Heute hier, morgen dort!" Hermann war von dieser Anrede nicht wenig überrascht, denn wie er auch sein Gedächtniß befragte, w» er die Dame gesehen haben möchte, es gab ihm keine Antwort. „Gnädige Frau," sagte er, „sollte nicht eine Verwechselung —" „O nein," erwiderte die Dame, „dagegen belustigt es mich schon lange, zu sehen, daß Sie mich so ganz vergessen haben. Wenn Sie an einen Klostergarten zurückdenken, wo eine gewisse kleine boshafte Person uns beiden einen gewaltigen Schrecken einjagte" — „Eugenie Bendorf!" rief Hermann. „Verzeihen Sie, daß ich so zerstreut sein konnte! Ja freilich! Fräulein Eugenie Bendorf!" „Ich heiße jetzt Eugenie Wetzlar," erwiderte 366 die junge Frau. „Vielleicht ist Ihnen das Bankhans Wetzlar in Wien dem Namen nach bekannt. Wir haben — mein Gatte und ich — den Winter in Nizza zugebracht und sind jetzt anf der Heimreise begriffen. „Lieber Jsidor," wendete sie sich an den Gemahl, der inzwischen langsam herangekommen war, „denke nur, hier in der piemontesischen Bergwüste treffe ich einen Bekannten, Herrn Doctor Zoller!" Jsidor verbeugte sich schweigend, verdrießlicher aussehend als zuvor. „Und Sie wandern also fort und fort?" fragte Eugenie. „Doch nicht, gnädige Frau. Ich bin zwei Jahre hindurch sehr stabil gewesen. Jetzt — befinde ich mich auf meiner Hochzeitsreise —" „Ist es möglich, Sie haben geheirathet!" rief die Dame, doch es ließ sich kaum verkennen, daß der Ton ihrer Rede leise verändert war. „Ach, was wird Emma Hamond dazu gesagt haben!" „Sie hat nichts dagegen," erwiderte Zoller, „denn — Emma Hamond ist meine Frau!" „Emma Hamond verheirathet — und Ihre 367 Frau! Doch — ich hätte esiiiirdenken tonnen — sie hatte den Kopf so voll von Ihnen! Aber daß sie mir keine Verlobnngsanzeige geschickt, mir nie geschrieben hat, ist recht böse von ihr. Und wie kommt es doch, daß sie nicht an Ihrer Seite ist?" „Mir schien der Weg hier herauf zu beschwerlich für sie." „Sie wohnen gewiß im Palanza?" „Nein, näher, in Val Jntrasca. Sie haben die Thurmspitze des Oertchens vor sich." „Noch vor wenig Tagen habe ich von Emma gesprochen!" rief Engenie. „Erinnerst Du Dich, Jsidor? Als wir in der Zeitung, von dem Unglück lasen —" Hermann war ganz betroffen. „Von welchem Unglück sprechen Sie? Wir sind seit zwei Wochen auf der Reise und ohne Briefe aus der Stadt. Was ist geschehen?" „Sie wissen noch nichts?" fragte Engenie. „Es war nur eine kurze Notiz, die uns zu Gesicht kam. Herr von Feldern .hat — einen Selbstmord verübt. Man hat seine Leiche aus einem Flüßchen — nahe bei der Residenz, gezogen." Hermann hatte die Hand über die Augen gelegt. Ein paar Minuten blieb er ganz still. „Er war immer zur Schwermuth geneigt," sagte er endlich. „Der Zwiespalt mit seiner Frau schärfte das Leiden. Er war sehr unglücklich, sehr krank im Herzen. . . ." „Es thut mir sehr leid," fiel Jsidor ein, „daß diese traurige Nachricht Ihnen gerade durch uns zu Theil wird. Auf der Reise sollte man von allem Unangenehmen verschont sein. Doch ich sehe schon, dieser Sommer ist Allen verdorben. Wir wären auch gerne noch länger von Wien fortgeblieben, aber das Ungewitter am politischen Himmel jagt uns heim. Uns Oesterreicher berührt es wohl weniger, indeß weiß Niemand, welche Gestaltung die Dinge annehmen. Die europäischen Börsen sind in einem Grade allarmirt, daß man wirklich nicht weiß —" „Wovon reden Sie?" fragte Hermann plötzlich auffahrend. - „Haben Sie den Vorgängen der letzten 369 Woche so wenig Aufmerksamkeit geschenkt?" sragte der Banquier. „Sie werden doch wissen, daß vorgestern Abend in Paris im Senat und im gesetzgebenden Körper eine Auseinandersetzung der Lage ersolgt ist? Der Krieg ist erklärt, Preußen mobilisirt. . Hermann war wie aus den Wolken gefallen. „Alles, was Sie mir da sagen, ist mir neu!" sagte er, hastig die Worte hinwerfend, „ich habe seit einer Woche nur unter Italienern, ich kann sagen, in einer Einöde gelebt. Ich sah wohl in Mailand, wo ich zuletzt eine deutsche Zeitung las, daß die Frage der spanischen Can- didaturen viel Staub aufwirbelte — ich hielt die Sache für unwichtig und legte ihr keine Bedeutung bei!" „Sie sind gewiß kein Geschäftsmann," ent- gegnete der Banquier lächelnd, „ein Geschäftsmann könnte selbst in einem irdischen Paradies Zeitung und Börsenbericht nicht entbehren." „Ich sehe wohl, ich habe zu viel geträumt," sagte Hermann vor sich hin, „und nun steht li. 24 370 die rauhe Wirklichkeit plötzlich wieder vor mir. Sie sagen also: Louis Napoleon habe Preußen den Krieg erklärt?" „Der französische Ministerchef hat die Kriegserklärung vorgestern Abend in der Nationalversammlung kundgethan!" Eine lange Pause folgte. „Bleiben Sie noch einige Zeit in Nal Jn- trasca?" fragte Eugenie, während Hermann in dumpfem Schweigen vor sich hinstarrte. „Wir könnten Sie von Stresa aus besuchen... Ich würde mich sehr freuen, Emma wiederzusehen." „Sie sind sehr freundlich," erwiderte Hermann. „Das, was ich von Ihnen vernommen habe, ändert jedoch alle unsere Pläne. Ich werde auf's Rascheste heim müßen — gleich morgen! O, ich habe eine Zeitlang wie im Traume gelebt . . ." „Sie haben viel Auflegungen weniger gehabt," sagte der Banquier. „Ich weiß wirklich nicht, ob Sie uns nicht den Vorwurf machen werden, Sie unzart und allzu früh geweckt zu 371 haben. Sie haben geträumt wie Epaminondas in seiner Höhle —" „Epimenides, nicht Epaminondas, lieber Jsidor!" verbesserte die classisch geschulte Eugenik, doch sie verstummte, erschreckt von der Ver- störung in Zollers Gesicht. „Nun, ich bin erwacht!" sagte Hermann. „Ich eile heim. Meine Herrschaften, ich empfehle mich Ihnen. Vielleicht fügt es der Zufall, daß wir uns wieder einmal sehen." Er grüßte und war fort. Ach, es war zu viel auf einmal! Emma in Kenntniß zu setzen vom Unglück, das ihren Stiefvater betroffen und ihr das große Ereigniß ankündigen, das ihn so früh von ihrer Seite riß — es war zu viel, zu viel! Der Krieg, der Krieg, der die Rache für Sadowa bringen sollte! Themar hatte ihn herbeigesehnt, geschirrt, begünstigt, er war früher da, als er wohl geglaubt. Innere und äußere Feinde gegen Deutschland! Würde nicht Oesterreich Preußen in die Flanke fallen? Italien nicht an Frankreichs Seite stehen! Der Vatican, die Particu- 2L* 372 laristen, die Weifen, alle gegen Deutsch land? Welche Wendung wurde das nehmen? Was würde aus der Einigung Deutschlands werden? Und auch er mußte hinaus in den todbringenden Kugelregen. Was am heftigsten in ihm wühlte, war die Empörung über die tiefe Persidie, mit der Frankreich vorgegangen. In Venedig hatte Hermann, noch die große Friedeusrede gelesen, die Hcrr Emil Ollivier, der napoleonische Ministerpräsident, im gesetzgebenden Körper gehalten. Jetzt wußte er, daß sie nur den Zweck gehabt, die Welt in Sicherheit einzulullen. Und wahrlich, liest man sie heute nach, heute, da man weiß, daß zwei Tage nachher die Hohenzollerncandi- datur in Spanien der Ausgangspunkt eines bei den Haaren herbeigezogenen Krieges werden sollte, so muß man sie allerdings für das merkwürdigste Dokument abgefeimter diplomatischer Heimtücke erklären. Es schwirrte vor seinen Augen, da er so mit heftig athmender Brust den Abhang herun- terstürmte. Er ging und ging und mußte end- 373 lich imie werden, daß er einen Fehlweg eingeschlagen. Er wanderte an einer steilen Bergflanke hin; das Örtchen mit der Kirche lag vor seinen Augen in der Tiefe, aber der Fußpfad war verschwunden. Von unten kam dann und wann ein Ton, wie von Arbeitern in einem Steinbruch, aber er sah sie nicht, der jähe Abhang verbarg ihren Standort. Kein Wesen nah und fern, das er fragen konnte. Der Boden wurde immer rauher, und es fiel ihm auf, daß immer mehr Steine um ihn herum in die Tiefe kollerten. Er fühlte sich wie betäubt und schwind- lich und hielt sich da und dort am Geäst einer Zwergföhre, die aus dem grasarmen Boden hin- kroch. In seinen Schläfen hämmerten die Pulse. Er machte noch einige Schritte vorwärts und stand nun still vor einer großen, mächtigen Wand, die jäh hinabstürzte. Schreck erfaßte ihn, er wollte zurück, konnte aber auf den kleinen Unebenheiten des Felsens nirgends festen Schritt fassen. Er konnte nicht vorwärts, nicht rückwärts. Die untergehende Sonne vergoldete die 374 Tiefe mit einem Lichte, das seinen erhitzten Augen zu wirbeln schien. Doch war da, einige Klafter unter ihm, ein sanfterer Abhang; da hiuunterzukommen erschien ihm als ein Wagestück, doch keineswegs als ein halsbrecherisches. „Ich muß hinab, ich muß!" rief er sich zu und den Hut fest auf den Kopf drückend, die Augen schließend, ließ er sich in die Tiefe fahren.... Unten war er, aber es war ihm einen Moment gewesen, als schwänden ihm die Glieder vom Leibe. Er stand aufrecht, er konnte gehen, hatte aber einen schrecklich stechenden Schmerz in der linken Schulter; der Arm hatte eine andere Stellung angenommen. Er litt, aber sein Leiden erschien ihm völlig gleichgültig, nur heimzukommen, heimzukommen war sein Vorsatz.^ Er kam an den Arbeitern vorüber, die in einem Marmorbruch arbeiteten, und ihn verwundert anglotzten, aber ohne sie anzureden, ohne sie um Hilfe anzusprechen, eilte er vorüber. Noch warf er einen Blick zur Klippe hin- 375 auf, von der er gekommen und es ward trübe und trüber vor seinen Augen. Endlich sah er das Wirthshaus. Er glaubte eine Gestalt zu erkennen, die am offenen Fenster stand. Es war Emma, die Geliebte. Endlich, endlich! „Wie schrecklich hat mich Dein langes Ausbleiben geängstigt!" drang eine Stimme an sein Ohr. „Doch was ist Dir? Wie siehst Du aus? Du bist todtenblaß —" „Ich fürchtete, nie mehr dies Haus zu erreichen," murmelte Hermann. Er hatte es kaum gesprochen, als er ohnmächtig niedersank. 376 Derzehntez Sapilel. Es war vier Wochen später. Die Augustsonne brannte heiß vom Himmel herab, die Luft lag schwer und dunstig über der großen Rheinebene und der alten Stadt Basel. Eine Miethkntsche, in welcher ein junger Mann und eine junge Dame saßen, fuhr langsame» Schrittes über die glühende, staubauf- wirbelnde Nheinbrücke, unter welcher der breite, hellgrüne Strom mit Millionen Lichtern blitzte. Die Reisenden sprachen kein Wort. Ihre Blicke schweiften bald seitwärts in die Richtung, von wo die Vogesen im grauen Dufte herüber- blickten, bald vorwärts auf das Panorama vor ihren Augen, wo sich eine gewaltige Häuserreihe, 37 ? den ernsten rothen Münster in der Mitte, über epheu- und weinlaubbewachsene Wälle weithin dehnte. Gefährte jeder Art, Equipagen, Omnibus und Lastwagen kamen ihnen nach oder entgegen, kleine Trupps grotesker Milizsoldaten in einer der französischen nachgebildeten Uniform mar- schirten unter Trommelschall vorbei, wohl um die Cautongrenzen oder die Bahnhöfe zu besetzen. Der seit acht Tagen entbrannte Krieg setzte die hart an der Grenze Frankreichs und Deutschlands gelegene Stadt in große, ungewohnte Aufregung. Gestern nun hatte den ganzen Tag hindurch ein dumpfer Ton die Luft durchdröhnt, daß die Fensterscheiben in Basel leise nachzitterten. Das war der ferne Donner der Kanone». Es mußte eine gewaltige Schlacht, die den ganzen Tag währte, geschlagen worden sein. Die Miethkutsche fuhr nach Altbasel hinauf und hielt in einem der alterthümlichen Gasthöfe. Der junge Mann, der seinen linken Arm in 378 einer Schlinge trug, stieg mit seiner Begleiterin aus. Es war Hermann an der Seite seiner Gattin. Er hatte eine böse Zeit hinter sich. Die Nerletzung der Schulter hatte ein heftiges Fieber mit sich geführt. Fast ohne ärztliche Hilfe lag er schwer darnieder. Rathlos saß Emma an seinem Lager. Seine rüstige Natur hals ihm durch. Er konnte sich am Ende der zweiten Woche wieder erholen und an die Luft gehen. Und nun erst erfuhr er, daß die Kriegsfrage und der Ausbruch des Krieges den ganzen Welttheil in Bewegung setze. Seine Aufregung war grenzenlos. Auch er war, wie selbstverständlich, zu den Waffen berufen worden. Mit dem ersten Federzug, den er jetzt, nach drei Wochen that, hatte er seine Erkrankung unter Beilegung eines ärztlichen Zeugnisses anzumelden und seine sofortige Rückkehr anzuzeigen. Emma hatte schon, während Hermann im Fieber lag, den Freunden daheim Nachricht von dem Vorfalle gegeben. Hermann stand kaum wieder fest auf den 379 Füßen, als die Rückkehr auf dem kürzesten Wege, über Lausanne und Neufchatel, angetreten wurde. Die Heimat, in der er sich zu stellen hatte, war sein Ziel. Jetzt erst, erst allmählig ward es ihm klar, wie dieser Krieg das Werk einer schon lange vorbereiteten, systematisch vorgehenden Verschwörung war. Die spanische Candidatur war ein hingeworfener Köder, dann der Vorwand zum Hader geworden. Schritt für Schritt, mit immer neuen Zumuthungen und Forderungen hatte mau Preußen den Krieg ausgenöthigt. Aber, was das Entscheidende war, Hermann las von der ungeheuren Ergriffenheit und Einmüthigkeit der Nation. Alles rückte in Reih und Glied zusammen; ein Wille, eine Gesinnung herrschte an der Ostsee wie an den Alpen, am Rhein wie an der Elbe. Alle deutschen Staaten hatten ohne Zaudern mobilisirt, sein eigenes Vaterland eingeschlossen. Auerstein war an die Spitze der Geschäfte berufen worden. Ein mächtiges Vorgefühl ergriff Hermann, 380 daß die Waffen die Anschläge des auswärtigen Feindes ebenso zn Schanden machen würden, wie die Umtriebe der inneren Feinde machtlos geblieben waren. In dieser Stimmung, ruhig bei aller innern Bewegung, weil in sich gehoben, eilte Hermann vorwärts, um seine Pflicht als Staatsbürger zu erfüllen, mit der Aussicht, schon in den nächsten Tagen zu den Vertheidigern des Vaterlandes zu stoßen. Zum Glücke begriff auch Emma, der der Gatte so früh entrissen wurde, dies Soll der Pflicht; sie war sehr ernst, aber auch gefaßt. Der Gasthaussaal, in welchen Hermann und Emma traten, wimmelte von Fremden. Es waren theils auf der Heimreise aus dem Süden begriffene Engländer mit ihren Frauen und Kindern, theils französische Familien aus dem Elsaß, die sich vom Kriegsschauplatze geflüchtet hatten und auf dem Wege in die französische Schweiz waren. Die Frauen standen in den tiefen Fensternischen und schauten auf die halb Basel durchziehende Gasse hinaus, die heute von 381 sonntäglichem Leben geräuschvoll erfüllt war. Mehrere der Herren debattirten mit einander mau hörte die Ergriffe leidenschaftlicher Unruhe und Sorge, leidenschaftlichen Unwillens. Man klagte über die gestörten Verbindungen, alle Züge aus den Nheinlinien waren eingestellt. Gestern sollte eine Entscheidungsschlacht geschlagen worden sein; den in Basel verbreiteten Telegramme» zufolge war sie zu Gunsten der Franzosen ausgefallen. Nachdem der Kampf bis gegen Nachmittag geschwankt, sollten neu eintretende Regimenter die Deutschen geworfen, Wörth wieder eingenommen und das Centrum der deutschen Armee durchbrochen haben. Die unbedingt zu Gunsten der Franzosen gestimmte Meinung der Schweizer gab auch gar nichts Anderes zu. Die fieberhafte Aufregung des Tages hatte Alle mittheilsamer gemacht, das Gespräch ging zwischen Engländern und Franzosen in teilweise sehr schlechtem Französisch hin und her; man tröstete die Getlüchteten, der Krieg würde 382 bald geendigt sein, sie würden bald heimkehren können. „O, wie wird es demnächst dem armen Deutschland gehen?" sagte ein Engländer zu einem zweiten. „Es wurde allerdings sehr stark gegen die Wand gedrückt, aber es hätte sich doch fügen sollen. Wie konnte es sich mit Frankreich messen wollen, das so ganz militärisch or- ganisirt ist?" ü eolui, gni touolitz L la b'raiieo!" hörte man einen Franzosen sagen und er stürzte ein Glas Absinth aus. „Die Deutschen werden nun durch ein cau- dinisches Joch gehen und sich den Frieden mit dem Verlust von ein paar Provinzen erkaufen müssen," sagte ein Engländer. „Ganz in der Ordnung!" meinte ein Schweizer. „Und für die Preußen gilt es, von ihrer geträumten Höhe herabzusteigen." „Nein, nein, gegen die Franzosen kommen die Deutschen nicht auf," meinte ein alter, weißhaariger Engländer. „Sie sind im Ganzen ein 383 braves, friedliebendes, bescheidenes Volk, dem man alles Gute wünschen möchte; der Dünkel der Preußen allein hat Alles verschuldet!" „Sagen Sie nicht zu viel Lobes von den Deutschen," erwiderte der Franzose dem Engländer. „Sie haben die Reputation, gut und gefällig zu sein. In Wahrheit verdienen sie sie nicht. In Weißenburg haben sie gehaus't wie wahre Barbaren!" »Ja, ja, es ist ausgemacht, daß sich die Preußen in unserem schönen Maß wie türkische Vaschi-Boznks aufführen," sagte ein zweiter Franzose. „Sie begehen die größten Schändlichkeiten, plündern und morden. Es ist scan- dalös!" Das war zu viel für unsern deutschen Reisenden in der Ecke; er entgegnete, indem er sich erhob: „Monsieur, die Franzosen sind Kinder, denen man die gröbsten Märchen aufbinden kann. Nur ihrer notorischen Unkenntniß alles dessen, was jenseits der Grenze ihrer gewöhnlichen Begriffe liegt, will ich solche Aeußerungen zu Gute 384 halte». Sie sage», die Preuße» begehe» Schändlichkeiten, ich sage Ihnen dagegen, das; die Mannszucht im preußischen Heere musterhaft ist und wohl in der ganzen Welt ihresgleichen sucht." „Es begreift sich," erwiderte der Franzose, „daß Sie auf die Ehre Ihrer Nation eifersüchtig sind. Aber die Thatsachen sind gegen Sie." „Thatsachen, welche Thatsachen?" rief Hermann. „Nun, was sagen Sie zu diesem Stücklein?" erwiderte der Franzose. „Ein ganz friedlicher Reisender, der mit der Bahn nicht fortkommen konnte und im Wagen von Markirch kam, ein Russe, ist von einer Horde streifender Preußen angefallen, aus dem Wagen gerissen und tödt- lich mißhandelt worden. Seinen Bedienten haben sie erschossen. Natürlich hat der Reisende auch Gepäck, Uhr und Portefeuille eingebüßt. Mau hat ihm nichts gelassen, als sein Augenglas und ein sorgfältig geleertes Cigarreuetui. TaS sind sonderbare Waffenthaten." „Vergessen Sie nicht ein Sacktuch, seinen zer- 385 schlagenen Kopf zu verbinden," setzte Hermann hinzu. „Die Geschichte, die Sie erzähle», ist unmöglich. So etwas kann nicht vorkommen. Mein Gott, welchen Begriff machen Sie sich von der Cultur unserer Leute?" „Hm, hm," entgegnete der Franzose, verächtlich die Nase rümpfend, „wenn Sie mir nicht glauben wollen, so frage» Sie beim Wirthe nach. Der unglückliche Nüsse, von dem ich erzähle, liegt seit drei oder vier Tagen hier im Hotel. Ich habe ihn selbst aus dem Wagen heben sehen, er ist über und über mit Wunden bedeckt, zerhauen, zerfetzt, die Aerzte haben ihn aufgegeben." „Barbaren schonen nicht Freund, nicht Feind," murmelte der zweite Franzose herüber. „Im Hotel soll dieser verstümmelte Russe liegen?^ fragte Hermann. „Im Hotel. Gartzvn, wie heißt er doch?" Der Oberkellner kam mit dem offenen Fremdenbuchs. „Da sehen Sie! Baron Karkoff. Ich habe n 25 886 — den Namen nach seiner eigenen Angabe eingetragen." „In Markirch soll sich das zugetragen haben ?" sagte Hermann. „Der Ort liegt, so viel ich weiß, unsern Schlettstadt. Sollten da Preußen sein?" „Die Ulanen streifen allenthalben herum." „Es ist doch nicht möglich!" „Hier," mischte sich der Engländer drein, „sind die „Baseler Nachrichten" von gestern. Da finden Sie die ganze Affaire erzählt." Er reichte dem Ungläubigen das Blatt. Der Bericht der Zeitung lautete wirklich ganz ähnlich. Hermann mußte die Opposition aufgeben, er wendete sich zu seiner Frau. „Ach," sagte er, „was geht uns der Russe an! Das Vaterland, das Vaterland!. Soll es denn wahr sein, daß die Schlacht unglücklich für uns ausgefallen! Die Telegramme, die diese Schweizer Blätter bringen, sind alle französisch gefärbt, der Himmel weiß, ob sie lügen oder die Wahrheit reden. Man sollte doch schon Nä- 387 heres wissen. Diese Pein ist schrecklich. Wie wird man durch diese Stunden hindurchkom- men?" Indessen war der Wirth hereingetreten. Er meldete, daß die Züge nach dem Elsaß wie nach Baden heute eingestellt bleiben würden. Die, welche nach Norden zu reisen beabsichtigten, würden am besten thun, nach Zürich zu fahren und von da die Linie nach Lindau und durch Baiern zu benutzen. Ein Zimmer im überfüllten Hotel war frei geworden, Hermann brachte Emma dahin und eilte sodann auf's Postamt; er erwartete einen Brief von Thaidinger. Er erhielt ihn auch und eilte damit in ein nahegelegenes Kaffeehaus. Es war ein armseliges Lokal, wenig besucht, mit grobhölzernen Tischen, in dem eine ältliche Frau bediente. Den Zeitungen galt der erste Blick. Da lagen sie neben einander. Die neuen aus Deutschland waren ausgeblieben, aber die Züricher Extrablätter meldeten den Sieg von Wörth. Hermann war außer sich. „Ist es möglich l" 25 * 388 rief es in ihm. „Der schnöde Herausforderer zu Boden geworfen! Der Nimbus seiner Unbe- siegbarkeit dahin! Das französische „Prestige" in tausend Fetzen zerflatternd! Mac Mahon's Armeecorps gesprengt, über den Haufen geworfen, den Elsaß zu räumen genöthigt, so gut wie vernichtet! O, sie haben erlitten, was sie verdient. Freventlicher ward nie ein Krieg unternommen, erheuchelter war noch nie ein Kriegsvorwand. Sie waren voll Hof- farth und Siegesgewißheit, jeder, bis auf den Letzten erfüllt vom Gefühl der Ueberlegenheit, alles um sie herum dumm verachtend. Sie wollten der Welt gebieten und die Welt war thöricht genug, ihnen immer den Vortritt zu lassen. Solche Anmaßung verdiente Züchtigung, sie ist ihnen geworden. Sieben Tage erst und ihr Reich ist bis in die Grundvesten erschüttert. Die „große Nation" ist nicht mehr unbesiegbar; es ist Sonntag, in Berlin schießen sie Victoria! — Victoria!" Mit großen Schritten und gehobenen Hauptes eilte er wieder ins Hotel zurück. 389 „Solcher Niesensturz," murmelte er vor sich hin, „wird der Welt zu Gute kommen . . . Der deutsche Sieg wird nicht blos die Einigung des deutschen Volkes zur Folge haben — er wird auch die Franzosen vom Imperialismus befreien . . . Auch ins Hotel war bereits die Nachricht gedrungen und hatte unter den dortigen Franzosen und Franzosenfreunden eine wahre Verheerung angerichtet. Sie schwiegen und hatten Leichenbittermiene». Hermann war wiider aus seinem Zimmer und hatte sich ganz dem Jubel überlassen. Erst nach längerer Zeit fiel ihm ein, daß er Thaidinger's Brief noch nicht angesehen. Er riß ihn aus; der Brief handelte von der Unruhe und der Sorge dieser Tage, von Klein's Ausrücken, von der Zeitung und manchen anderen Dingen und brachte als Postscript den folgenden Passus: „Und nun denke Dir! Herr von Themar hat uns doch Alle getäuscht! Die Geschichte seiner Geistesstörung war eine Erfindung. Er ist nie. 390 wie angezeigt worden war, ins Seebad gegangen, er hat sich von hier direct nach Paris begeben und hat dort ununterbrochen weiter conspi- rirt. Heute ist, wie ich soeben von Auerstein höre, eine Depesche aus Berlin eingetroffen, die höchst Merkwürdiges meldet. Herr von Themar ist, durch den in Paris herrschenden Deutschenhaß vertrieben, von Paris abgereist und hat die Richtung gegen die Schweiz einschlagen wollen. Er ist irgendwo von Zuaven oder Franc- tireurs angefallen worden und soll umgekommen sein." Hermann war ganz betroffen. „So blieb er, was er immer gewesen, und trieb es nach seiner Art weiter! Endlich hat ihn die Strafe ereilt. O, wie ist mit uns gespielt worden, von welchen Anschlägen waren wir umgeben, wie viel Feinde gegen uns! Aber Tage, wie der gestrige machen alle Anzettelungen zunichte. Victoria! Victoria!" Da schlug es vom nahen Thurme; in einer Stunde sollten sie weiter. Emma hatte die Arme um den Geliebten geschlungen, im Gefühl, 391 daß jeder Schritt vorwärts ein Schritt zum Abschied war. Und nun pochte es an die Thüre. Der Wirth trat ein. „Der Russe" sagte er, „den die preußischen Soldaten so schrecklich zugerichtet haben — er liegt im Zimmer nebenan — bittet Sie dringend, zu ihm hinüberzukommen —" „Bittet mich?" erwiderte Hermann. „Ich kenne keinen Baron Karkoff. Sollte da keine Verwechslung stattfinden?" „Ich glaube nicht. Sie sind doch Herr Doktor Zoller? Kommen Sie, er wünscht dringend, Sie zu sprechen und ist sehr krank — ich denke, seine Minuten sind gezählt. . ." „Ich habe nebenan, während Du abwesend warst, schrecklich wimmern gehört," sagte Emma. „Mir ward so ängstlich —" Hermann entschloß sich, den ihm noch unerklärlichen Wunsch zu erfüllen, er ging mit dem Wirthe hinaus und klopfte an die Thüre nebenan. Eine Krankenwärterin kam ihm entgegen; Zoller trat leisen Schrittes in ein verdunkeltes Zimmer und von da in ein zweites. 392 Er sah einen todtenbleichen Mann mit verbundenem Kopf im Bette liegen, schwerathmend, wie fast schon im Todeskampf. Ein Schauder durchfuhr ihn, als er ihn erkannte. Es war Themar. „Sie sind es?" rief Hermann. „Ich bin es," erwiderte der Kranke. „Ich hörte Stimmen nebenan, die mich im Halbschlaf so sonderbar berührten — so sonderbar — beide bekannt — der seltsamste Zufall — ich habe Sie zu mir gebeten, um Ihnen ein Geheimniß zu enthüllen .... Hermann, wissen Sie, wie nahe Sie mir stehen?" „Ich weiß es seit einem halben Jahre." „Und doch?" fragte der Kranke mit eine»! schmerzlichen Blicke. „Und doch haben Sie mich fortwährend bekämpft? Ich — ich hatte den Kampf eingestellt — habe Ihnen Ihre Frau zugeführt — Sie aber saunen meinen Sturz —" „Ich hatte gegen das Princip zu kämpfen, das in Ihnen verkörpert war." „Nun wohl," sagte Themar. „Es geht seit- 393 sam zu im Leben — so treffen sich Vater und Sohn!" Eine Pause trat ein. „Ich habe Dich zu Haffen angefangen," hob Themar endlich mit matter Stimme an — „aber mein Haß ist erloschen. Ich bin am Sterben. Ich danke dem Schicksal, das Dich in meine Nähe bringt in meiner letzten Stunde —" „Wie ist das zugegangen?" fragte Hermann. „Ich willAlles gestehen," erwiderte der Kranke. „Ich war in Paris gewesen .... Auf dem Rückwege von dort — im Elsaß — konnte ich nicht weiter fort, weil alle Bahnen für Militärzwecke reservirt waren — ich miethete einen Wagen unweit Markirch. Meine Absicht war — mich in die Schweiz zu begeben, denn in Deutschland war meines Bleibens nicht mehr. Ich war kaum eine halbe Stunde gefahren — als ich von betrunkenen Zuaven und Turcos angefallen wurde. Sie haben mich ausgeplündert — mißhandelt. Da ist eine preußische Reiterpatrouille gekommen, hat mich befreit, hat mehrere der Schurken eingefangen und den größten Theil 394 * des geraubte» Gutes den Räuber» abgenommen. — Sie habe» mich aufgehoben, verbunden, wieder in den Wagen gebracht —" „Aber in diesem Hanse," erwiderte Hermann, „hält man die Missethat für ein Werk der Preußen?" „Das ist meine Schuld —" sagte Themar, „meine Schuld! I ch habe es ausgesprengt — ich wollte nicht-ich hasse die Preußen —" Hermann warf zornig den Kopf empor. „Ich sprach aus Haß — aus keinem vernünftigen Grunde. Wie soll ich es erklären — wie es sagen? Der Sieg der preußischen Waffen hat mir weher gethan als meine Wunde». Er macht Frankreichs Größe ein Ende, der alten Zeit ein Ende — und meinen Bestrebungen. Mir ist der Tod erwünscht." „Welch' krankerSinn —" murmelte Hermann. „Du wirst meinen Tod ein Werk der Nemesis nennen," fuhr Themar fort. „Du darfst es. Ist es Dir schrecklich oder thut es Dir wohl, aus dem Munde des Sterbenden zu vernehmen, daß sich das Schicksal Deiner Hand bedient hat, um mich tödtlich zu treffen? Es ist doch so! Hättest Du nichts gegen mich unternommen, wäre ich daheim geblieben. Deine Mutter ist gerächt.... Der alte Rodenegg wird die Nachricht von meinem Ende als eine Freudenbotschaft empfangen .... Leb' wohl, mein Sohn. Ich habe gefehlt im Leben .... oft und oft .... Deine Hand, mein Sohn, Deine Hand . . . ." Hermann reichte sie ihm. Der Kranke sank zurück und ächzte schmerzhaft. Die alte Krankenwärtern! eilte herbei, unterstützte sein Haupt und reichte ihm ein Glas, von dem er einige Tropfen trank. Er machte noch einige vergebliche Versuche, zu sprechen, dann holte er ein paar schmerzliche Athemzüge und verstummte gänzlich. Ein Seufzer noch — und er hatte ausgelebt. „Der Tod versöhnt!" sagte Hermann tief erschüttert zu sich. „Er fiel als eins der ersten Opfer des Krieges, den er schüren half, und fiel, ein Opfer der Barbarei Jener, die er so sehr bewunderte! .... Ich könnte ihn nicht wieder bekämpfen und verfolgen, wenn er wieder aufste- 396 hen könnte und weiterlebte! Seine Schuld kann ich nimmer und nimmer aus meinem Gedächtnisse wischen, aber auch nicht das Bewußtsein, daß er mk das Leben gegeben .... Mutter! Mutter! Mutter!" Er stürzte, das Taschentuch vor den feuchten Augen, aus dem Gemache. Wieder auf seinem Zimmer angekommen, drückte er sein Weib mit leidenschaftlicher Heftigkeit aus Herz. Er war tief erschüttert, aber auch befreit, befreit von der Last, die seit dem Tage von Rodenegg's Eröffnungen auf ihm gelegen. Und nun drängte es ihn vorwärts, für seine Ueberzeugungen und sein Vaterland einzustehen mit Blut und Leben. Ende. Druck von Sack L Seeger, Berlin. i.