4 4 ° ^ ^ > ' ^ . ^ »»<«- ^5 MWURk! MiLT llMA .iZL.. T-W-S .' / /»vvn K8KM^ WÄ «W i-M «AM MWZ WS MZA kk"o4 ^ 7 ^ Conrad Ferdinand Meyer. Eine litterarische Skizze zu des Dichters 60 . Geburtstage von Anton Ueitler. Leipzig, Verlag von H. Haessel. 1885 . Mit dem Erscheinen des vollendeten „Faust" schließt Wilhelm Scherer seine „Geschichte der deutschen Litteratur" ab: nur so glaubt er einen würdigen Schluß gewonnen zu haben, den er durch einen Blick auf die letzten fünfzig Jahre unserer Litteratur, „die sich wie ein zerstreuter und zerstreuender Anhang ausgenommen haben würde", nicht verderben wollte. Diese Schrulle, welche der Form den Gehalt opfert, ist ebenso geistreich als ungerecht. Gewiß, einen harmonischeren Abschluß, einen volleren Ausklang kann die Darstellung der deutschen Litteratur nicht finden, als wenn man zum Ausgang den „Faust" setzt, mit Goethe die Entwickelung unseres Schrifttums für abgeschlossen erklärt. Aber ist denn seit Goethe's Heimgang nichts erstanden, was der litterarhistorischen Darstellung nicht minder würdig wäre, als die Schöpfungen der klassischen Periode? Bedeutet denn Alles und Jedes seit Goethe ein Ermatten und Erlahmen, Rückschritte, Verflachungen, kahles und ödes Haideland nach gewaltigen Bergeszügen? Wer im Gebirge wandert und dem Gipfel eines Bergesriesen zustrebt, dessen Ziel ist es wohl schwerlich, die höchste Spitze zu erreichen, nur, um oben zu sein und mit Befriedigung auf die zurückgelegte Strecke blicken zu können; nicht nur nach der Richtung, von der er gekommen, will der Wanderer einen Ausblick gewinnen; Nord und Süd, Ost und West bis in die weitesten Fernen will er vor sich ausgebreitet sehen wie ein aufgeschlagenes Buch. Nun, ein solcher Bergriese heißt Goethe: ist es nicht schrullenhaft, oben angelangt, die Augen gerade nach einer Richtung zu verschließen, die — vielleicht die interessanteste ist? Die wunderbare Fruchtbarkeit und Bielgcstaltigkeit unserer modernen Dichtung, das reiche Geistesleben von heute, das sich freilich nicht in den Werken eines Einzelnen concentrirt, kann nicht ein „zerstreuter und zerstreuender Anhang" der Goetheschen Zeit genannt werden — man müßte denn die Regenbogenfarben des Sonnenstrahles, der durch ein Prisma geht, in verächtlichen Gegensatz zu dem einen, weißen Einfallsstrahle stellen wollen. Ist uns Goethe der höchste Maßstab des poetischen Schaffens, so wollen wir an ihm nicht nur seine, sondern jede Zeit messen, nicht nur die Schöpfungen, die ihn beeinflußt, sondern auch jene vielumfassende, bis aus unsere Zeit reichende Periode geistigen Schaffens, die unter Goethes Einfluß steht. Das Bild der deutschen Litteratur seit Goethes Tode, vor Allem aber das der letzten Jahrzehnte, hat wohl an Einheitlichkeit eingebüßt, aber es ist ein farbenreicheres und farbcnsatteres geworden. Goethe hat alle Saiten des Instrumentes, welches wir Poesie nennen, beherrscht: nun mag dem Einzelnen nur die Meisterschaft über eine Saite zu eigen sein, aber bis auf Dissonanzen, die übrigens nach der neueren Musikästhetik im Vollklang nicht zu entbehren sind, bedeutet auch nach Goethe's Tode unsere Litteratur und nicht zuletzt die moderne einen harmonischen, mächtigen Zusammenklang und meisterhafter, als Goethe es vermocht, werden einzelne Saiten des Riesenin- 1 * 4 strumentes heute angeschlagen. Nein, nicht nur schrullenhaft, sondern mehr noch ungerecht und willkürlich ist es, die Darstellung des deutschen Schrifttums mit dem Erscheinen des „Faust" abzubrechen; so gigantisch die Schöpfungen unserer Heroen sind, das Bild unserer Litteratur bleibt ein unvollständiges, an vielen Stellen ein blasses, ärmliches und nichtssagendes, wenn die nachgoethesche Zeit außer Betracht bleibt; eine schuldbare Einseitigkeit ist es, wenn Scherer jedem Epigonen, wenn er auch in Pausch und Bogen der Späteren, Toter und Lebender, „mit schweigendem Danke und stiller Verehrung" gedenkt, zuruft: Weh dir, daß du ein Enkel bist! Nicht den höchsten, aber doch einen Fortschritt nenne ich es, daß in unserem Schrifttum neben Humor und Witz auch endlich „Esprit" zum Durchbruch gekommen ist, eine lebhafte Beweglichkeit der Sprache, die lange genug der Litteratur fremd war; vor sechzig Jahren durste Börne, die Epoche, die er und mit ihm das junge Deutschland eingeleitet, übersehend, noch schreiben: die Natur hat die Deutschen zum Denken und nicht zum Schreiben bestimmt, und blieben sie ihrer Bestimmung treu, würden sie ihre Gedanken roh ausführen und sie von Franzosen und Engländern verarbeiten lassen; wenn in Frankreich Bettlergcdanken sich immer schön und sauber kleiden und darum Zutritt in gute Gesellschaft finden, hüllen sich die reichsten deutschen Geister in Lumpen ein — der Deutsche kann kein Buch machen. Heute ist ein solcher Ausspruch in dieser Allgemeinheit unmöglich. Der Deutsche hat mit Goethe und seit Goethe schreiben, das Schwerfällige und Spießbürgerliche bekämpfen gelernt und die Geheimnisse der „Mache" sind ihm nicht fremd. Die naive Lyrik unserer Tage ist kein Aschenbrödel; die pathetische ist nach Goethe erst zu reichster Fülle emporgeblüht. Gedichte der neuesten Zeit, wie Vischer's „Glaubensbckenntniß" und Fitger's „Der Tod" sind, wenn man ein solches Wort auf lyrische Schöpfungen anwenden kann, von epochaler Bedeutung: weil sie die moderne Weltanschauung in großartiger Weise widerspiegeln, der Poesie geradezu neue Stoffgebiete erschlossen haben. Ist auch die oft genug prophezeite Wechselwirkung zwischen nationaler Machtfülle und dem National- drama noch nicht an den Tag getreten, so darf doch mit Stolz dramatischer Dichtungen gedacht werden, die den Stempel echter Poesie an der Stirne tragen: Grillparzer trat in die Fußstapfen unserer Großen, mit fester Hand charakterisirte Hebbel originelle Gestalten, Anzengruber schrieb seine Bauerndramen, Freytag und Bauernfeld schufen Lustspiele unvergänglichen Werthes und ein Neuerer hat Fragen, die unsere Welt bewegen, in den künstlerischen Rahmen gebannt: Arthur Fitger in seinen Dramen „Die Hexe" und „Von Gottes Gnaden". Und welche Mannigfaltigkeit auf dem Gebiete epischer Dichtung! Was bedeuten hier die Namen Hamerliug, Hartmann, Hcyse und Storm, Meyer und Keller! Endlich der Roman; der darf kühn vortreten und sagen: Hie bin ich, nimm mich ganz — denn er ist ein Ganzer geworden. Der Roman ist so recht die Kunstform unserer „sachdenklichen" Zeit; in diesem Mikrokosmus spiegelt die große Welt sich ab, mit all den Conflicten, die aus dem Widerstreite der Pflichten, dem Kampfe gegen schwerlastende Verhältnisse, oder dem der Leidenschaft gegen Leidenschaft hcrvorwachsen. Im Wesen wird der Roman gewiß nicht nach anderem streben, als in den Grenzen der Kunst den Menschen darzustellen; aber bewußt oder unbewußt muß er, und 5 wollte er auch nichts anderes sein als die photographisch treue Wiedergabe seelischer Zustände, auch „dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt" zeigen. Um wieviel größer sind durch diese weitere Begrenzung die Aufgaben des Romans geworden! Der historische wie der moderne Roman — sie alle müssen, um das Wort Humboldt's zu gebrauchen, das ungeheuere Bild der ganzen Menschheit, ohne daß wir es merkten, den Personen unterschieben, die wir vor uns handelnd erblicken. Und in der That, der neue deutsche Roman wird dieser Aufgabe in hohem Maße, gerecht, in diesem großen Rahmen hat unsere Litteratur eine Entwickelung genommen, die mit Goethe erst begonnen hat, noch nicht vollendet ist, und vielleicht nie vollendet sein wird. Der Roman darf in der Darstellung der deutschen Litteraturgeschichte nicht fehlen und noch weniger kann er sich auf „Werther", „Wahlverwandtschaften" und „Wilhelm Meister" beschränken. So darf denn wohl gesagt werden, und je liebevoller man sich mit den Schriften neuerer deutscher Dichter beschäftigt, desto stärker wird diese Ueberzeugung: daß es in unserer Litteratur seit hundert Jahren keinen Stillstand giebt, daß Goethe — selbst beeinflußt — beeinflussend weiter wirkt, daß das gesammte Schrifttum unseres Volkes eine ununterbrochene, aus Berg und Thal bestehende Wellenlinie ist. „Auf steigt der Strahl und fallend gießt Er voll der Marmorschale Rund, Die, sich verschleiernd, überfließt In einer zweiten Schale Grund; Die zweite giebt, sie wird zu reich, Der dritten wallend ihre Fluth, Und jede nimmt und giebt zugleich Und strömt und ruht . . ." Engherzig ist es, förmlich mit Ukas festsetzen zu wollen, daß nach Goethe's Tode der „Rang" eines Klassikers nicht mehr verliehen wird. Mit einem Lebenden, den ich bedingungslos einen Klassiker nenne, wollen sich die nachfolgenden Zeilen beschäftigen: mit Conrad Ferdinand Meyer. Die Dichtungen Meyer's sind der litterarischen Intelligenz bekannt, den breiteren Schichten der deutschen Leserwelt ist vielleicht selbst der Name des Dichters fremd. Eine litterarische Skizze ist nun freilich nur der Ausdruck persönlichen Empfindens, und sie hat nicht die überführende Kraft eines mathematischen Axioms; doch genug, wenn sie anregt, oder auch nur auf den litterarischen Charaktcrkopf aufmerksam macht, dem sie gewidmet ist, wenn der Leser, geradezu stutzig geworden durch den aufrichtigen Ton der Begeisterung, der hier bei Besprechung der Bedeutung eines ihm fremden Dichters angeschlagen wird, nach dessen Werken greift, um diese Begeisterung auf ihre Ehrlichkeit zu prüfen. Wie Gottfried Keller steht auch Conrad Ferdinand Meyer außerhalb jeder litterarischen Clique, auch er gehört keiner wechselseitigen Lobcsversicherungsgesellschaft an, nie hat er der Reclame, die Reclame niemals ihm gedient und auch von ihm kann, zumal wenn die starke Neigung des Publikums für historische Romane überhaupt berücksichtigt wird, gesagt werden, „daß das Verständniß für seine Kunstweise mit allem Recht als Gradmesser des Geschmacks gelten darf." Wenn ich die Fragen: „Wer ist Conrad Ferdinand Meyer? Wo ist er zu Hause? Wann schrieb er? Was schrieb er?" vor dem: „Wie schrieb er?" beant- 6 Worte, so mögen mir auch die alten Freunde des Dichters Gehör schenken; eine biographische Notiz erscheint.mir säst unerläßlich, um Schlüsse auf die Eigenart des Schweizer Poeten ziehen zu können. Ich sage: unerläßlich; oft genug versucht ja die Kritik, um das Wesen eines Dichters bildlich zu umschreiben, den Einfluß zu untersuchen, den der heimatliche Boden auf den Charakter seiner Schöpfungen ausgeübt haben soll. Mag man auch mit gerechtem Lächeln jenen stereotyp gewordenen Recensionsphrasen begegnen, die in jeder Dorfgeschichte „Harzgeruch", in jeder Hochlandserzählung „Höhenrauch" verspüren wollen und in den Versen eines der Seestadt entstammenden Poeten „förmlich das Rauschen des Meeres" zu Vernehmen glauben (wobei es dann freilich Wunder nimmt, daß so wenige unserer „beliebtesten Erzähler" auf der Lüneburger Haide das Licht der Welt erblickt haben), so kann eine weniger oberflächliche Untersuchung vielleicht doch ergeben, daß eine Reihe äußerer Einflüsse thätig ist, allem Em- pfindungs- und Gedankenleben eine bestimmte Richtung zu geben, und daß es nicht in letzter Linie die den Dichter umgebende Natur ist, welche in seinen Dichtungen lebendigen Widerhall findet. Börne und Goethe: der Eine kommt als Kind kaum über das Gebiet der dumpfen Stube und der engen Judengasse hinaus; die Kindheit des Anderen umgeben heitere Gestalten, das ganze Wesen der geselligen, von jeder ängstlichen Gedrücktheit entfernten Stadt. Wer wird den Einfluß läugncn wollen, den die heimatliche Erde auf den Böhmerwaldsohn Adalbert Stifter genommen, und die trauliche Enge des Schwarzwaldthales, in welches das Heimatsdorf sich schmiegt, hat vielleicht das beschauliche, an das Nächste wohlig und hingebend sich lehnende Wesen Auerbach's und seiner Dichtungen geweckt. Ungarn — die Marschen —- das sind nicht nur Länderstrecken, die man erwähnt, wenn man von Lenau und Hebbel spricht; man soll sie auch schildern und ihren Geist — denn jedes Fleckchen Erde hat seinen eigenen Geist — hervorheben, wenn man von den Dichtern erzählt, die auf ihnen zu Hause gewesen. Die Heimat, das Elternhaus, Reisen und äußere Anregungen — all das hat auf die geistige und dichterische Entwickelung Meyer's bestimmenden Einfluß genommen; die biographische Skizze hat nebstdem einen besonderen Werth und ein erhöhtes Interesse, da sie der Dichter selbst entworfen hat; so gebe ich sie im Wortlaute wieder: „Geboren bin ich in Zürich, den 12 . October 1825 . Mein Geschlecht ist seit mehr als zwei Jahrhunderten hier einheimisch. Im Jahre 1802 , als Zürich von den Truppen der helvetischen Regierung bom- bardirt wurde, befehligte mein Großvater, Oberst Meyer, die Vertheidigung der Stadt, während mein anderer Großvater, Statthalter Ulrich, der Stellvertreter der helvetischen Regierung, sich hatte flüchten müssen. Dem Zusammenfließen des Blutes zweier sich schroff entgegenstehender politischer Gegner, eines Föderalisten und eines Unitariers schreibe ich meine Unparteilichkeit in politischen Dingen zu. Mein Vater, Regierungsrath Ferdinand Meyer, war ein Zwilling von sehr zartem Körper, ohne Leidenschaft, ein unglaublich gewissenhafter Arbeiter und ein bedeutendes organisatorisches Talent. Von durchaus makellosem Charakter war er ein überzeugter Verfechter der repräsentativen Republik und ein entschiedener Gegner der absoluten Demokratie, deren tumulta- risches Wesen ihn sozusagen körperlich verletzte. Meine Mutter, Betty Ulrich, war nach dem Urtheile Aller, die sie gekannt haben, eine Frau von großer 7 Liebenswürdigkeit und originellem, aber feinem Wesen, nicht ohne einen Anflug von Melancholie, „heiterer Geist und trauriges Herz", wie sie sich selbst charakte- risirte. Bluntschli hat in seinem Buche „Denkwürdigkeiten aus meinem Leben" (I. Th. p. 56) die Bildnisse meines Vaters und besonders meiner Mutter mit Meisterhand entworfen; ich hätte kein Wort dazu und keines davon zu thun. Meinen Vater verlor ich früh (1839), kurz nach dem durch die Berufung von David Strauß an die Züricher Hochschule verursachten kantonalen Aufruhr. Dieses öffentliche Ereigniß ist auch meine bedeutendste Jugenderinnerung. Ich besinne mich, wie den Knaben ein antistraußisches Pamphlet mit dem biblischen Motto: „Jagt den Strauß in die Wüste zurück!" zu der Frage veranlaßte: „In der Bibel ist doch der Vogel Strauß gemeint? Ist diese Anwendung der Bibel nicht ein Volksbetrug?" und ich sehe noch, wie der Vater dazu lächelte und seufzte. Nachdem ich das Unter- und das Obergymnasium durchlaufen, wo ich mir nichts erwarb als eine gründliche Kenntniß der klassischen Sprachen, die mir geblieben ist, zog ich zu einem längeren Aufenthalte nach Lausanne und Genf. Meine Mutter war mit einer Genfer Familie eng befreundet, und mein Vater, der sich eingehend mit Geschichte beschäftigt und ein von Ranke rühmlich erwähntes Buch: „Die evangelische Gemeinde in Locarno" (1836) geschrieben, hatte mir in dem waadtländischen Historiker Ludwig Vulliemin einen intimen Freund hinterlassen. So war mir die französische Schweiz von jeher eine zweite Heimat, wohin ich mich mehr als einmal geflüchtet habe, wenn es mir zu Hause nicht nach Wunsch ging, und immer mit gutem Erfolge. Bei diesem ersten Aufenthalt gab ich mich widerstandslos den neuen Eindrücken der französischen Litteratur hin und ließ Klassiker und Zeitgenossen auf mich wirken, die laute Komik Moliöre's nicht weniger als den lyrischen Taumelbecher Alfred de Musset's. So wurde mir von jung auf die französische Sprache vertraut und ich schreibe sie leidlich. Ungern von Lausanne nach Zürich zurückgekehrt, machte ich das Maturitätsexamen und immatrikulirte mich bei der juridischen Facultät. Aber dieses Studium konnte mir nicht munden, obwohl Bluntschli mit viel Güte mich für dasselbe zu stimmen suchte. Ich zog mich bald aus den Collcgien zurück und begann ein einsames Leben, kein unthätiges, aber ein zersplittertes und willkürliches. Ich habe damals unendlich viel gelesen, mich leidenschaftlich aber ohne Ziel und Methode in historische Studien vertieft, manche Chronik durchstöbert und mich mit dem Geiste der verschiedenen Jahrhunderte aus den Quellen bekannt gemacht. Auch davon ist mir etwas geblieben: der historische Boden und die mäßig angewendete Localfarbe, die ich später allen meinen Dichtungen habe geben können, ohne ein Buch nachzuschlagen. Dieses zurückgezogene Leben habe ich Jahrzehnte lang weitergeführt, da meine gute Mutter mir volle Freiheit ließ und nach ihrem Tode eine liebe Schwester mit mir Haus hielt. Wir zeichneten Beide, und in jenen langen Jahren habe ich die bildenden Künste liebgewonnen. Immerhin war diese fortgesetzte, nur durch einige treue Freundschaften belebte Einsamkeit nicht geeignet, mir wohl zu thun, wenn ich ihr auch durch körperliche Uebungen, Schwimmen, Fechten und Wanderungen im Hochgebirge das Gleichgewicht zu halten suchte. Einmal hat mich die Ziellosigkeit meines Daseins fast zur Verzweiflung gebracht, und nur eine schnelle Flucht in die französische Schweiz hat mich gerettet. Was mich dann wieder neu belebt, waren wiederholte Reisen in das Ausland. Längere Zeit habe ich in Paris 8 zugebracht und Italien mehrmals besucht (Paris 1857, Rom 1858). In Zürich fast ein Fremdling geworden, hatte ich inzwischen meinen Haushalt aus der Stadt an den See verlegt. Der Reihe nach bewohnte ich Landhäuser in Küsnach, Meilen und wieder Küsnach. Nach meiner Verehelichung mit einer Tochter des Obersten Eduard Ziegler (1875) erwarb ich schließlich den kleinen Landsitz in Kilchberg, wo ich jetzt mit Weib und Kind lebe. Die Geschichte meiner litterarischen Laufbahn ist folgende: 1868 beklagte sich einer meiner Genfer Bekannten, Ernst Naville, der jetzt Mitglied des Institut de France ist und damals in Genf populär-wissenschaftliche Vorlesungen hielt, welche in viele Sprachen übersetzt wurden, über die Mangclhaftigkeit der deutschen Ausgabe der ersten dieser „Reden" und ersuchte meine Schwester, die nächste unter meiner Führung zu übersetzen. Das Büchlein erschien bei H. Hacssel in Leipzig. Im folgenden Jahre besuchte mich dieser und wir wurden Freunde. Er verlangte von mir etwas Selbstständiges zum Druck. Schon 1864 waren bei Metzler in Stuttgart durch Verwendung Gustav Pfizcrs „Zwanzig Balladen" erschienen. Ich gab Haessel ein neues Bündchen, das er unter dem Titel „Romanzen und Bilder" 1870 gedruckt hat. 1870 war für mich das kritische Jahr. Der große Krieg, der bei uns in der Schweiz die Gemüther zwiespältig aufgeregt, entschied auch einen Krieg in meiner Seele. Von einem unmerklich gereiften Stammesgefühl jetzt mächtig ergriffen, that ich bei diesem weltgeschichtlichen Anlasse das französische Wesen ab, und innerlich genöthigt, dieser Sinnesänderung Ausdruck zu geben, dichtete ich „Huttens letzte Tage". Ein zweites Moment dieser Dichtung war meine Vereinsamung in der eigenen Heimat. Die Insel. Ufenau lag mir sehr nahe und ebenso nahe lag es meinem Gemüthe, den dort einsam gestorbenen Hütten als meinen Helden zu wählen. „Huttens letzte Tage" erschienen 1871 (5. Anst. 1884) und fanden ein Publikum. 1872 folgte „Engelberg", ein schon früher entstandenes und liegen gebliebenes Idyll. Längst hatte mich eine historische Gestalt, die größte der Bündnergeschichte, gefesselt. Bünden war mir durch wiederholte und lange Sommerfrischen sozusagen Schritt um Schritt bekannt und in seinen Chroniken war ich so heimisch als möglich. Nachdem ich mich lange spielend mit dem Stoffe beschäftigt hatte, schrieb ich unter den Kastanienbäumen meiner Wohnung in Meilen den Roman „Jürg Jenatsch" (1. Aufl. 1876, 7. Aufl. 1885). Mit dem französischen Historiker Augustin Thierry hatte ich mich schon in Lausanne viel beschäftigt und die „Rooits äss tomps morovinZions" ins Deutsche übersetzt (Elberfeld, Friedrichs). Aus der Listoiro llo la eonquoto äo I'^nAlstorrs war mir die räthselhafte Figur des Thomas Decket entgegengetreten, und ich habe so lange an ihr her- umgebildet, bis sie mir fast quälend vor den Augen stand. Ich entledigte mich dieses Phantomes durch den „Heiligen". Die Novelle erschien 1880 (4. Aufl. 1884). 1882 brachte die „Gedichte", wo die meisten Balladen und Romanzen sich umgeschmolzen wiederfinden. Vier „Kleine Novellen" (Das Amulet, Der Schuß von der Kanzel, Plautus im Nonnenkloster, Gustav Adolfs Page) erschienen 1883. Meine neuesten Werke sind: „Das Leiden eines Knaben" (1883) und die „Hochzeit des Mönchs" (1884). 1880 hat mir die Universität meiner Vaterstadt den Ooetor llonoris oausa gegeben." Conrad Ferdinand Meyer ist ein Kind der Schweiz und mit tausend Zungen spricht der Einfluß seiner Heimat aus seinen Schriften, tausendfältig 9 spiegelt sie selbst in seinen Dichtungen sich wider. Sie hier zu schildern ist überflüssig; aber an den eigenthümlichen Wechsel der Landschaft muß doch wohl erinnert werden: sanfte Höhen und unermeßliche Berge; Wiesengrün und nacktes Fclsgestein; spiegelklarc, in Grün und Blau schimmernde Seen, die aber auch aufschäumen können in wildbcwegtcn, gefährlichen Wellen; harmlose Bäche und reißende Bergströme, blumenreiche Hänge und ungeheure Eiswüsten, emsiger Lärm geschäftiger Städte und die schweigende, erhabene Welt des ewigen Schnees. Die lieblichste Gegend überragen ernst und düster die firngekrönten Häupter gewaltiger Bergriesen. Auf Schritt und Tritt die Großartigkeit der Natur; eng begrenzt alles Nächste und doch überall ein Ausblick in die unendliche Höhe, in die, Uncrmeßlichkeit. Und inmitten dieser kolossalischen Natur der kleine Mensch mit keckem Muthe, Schritt vor Schritt den Weg sich bahnend, die Wildheit bezwingend, die Unnahbarkeit förmlich wegzaubernd; ein Zwerg mit Riesenkräften, beharrlich in Arbeit und in Geduld. Das ganze Land ein Gemeinwesen, in welchem das Wort „Freiheit" nicht blos ein Sonn- und Feiertagsbegriff ist. Nach pathetischen Teilen freilich würde man im Volke vergeblich spähen; sie declamiren nicht viel von der Freiheit, die Schweizer Republikaner, sie haben es, um vulgär zu sprechen, Gott sei Dank nicht nöthig; sie sind arbeitsame, ruhige Menschen mit höchst ausgebildetem Ordnungssinn, mit einer starken Neigung für das Gesunde, Grade, Vernünftige und Praktische, mit einer entschiedenen Abneigung gegen das Ucberschäumcnde, Unklare und Nebelhafte. Das Gute und Schöne des Charakters seiner Heimat und ihrer Kinder findet sich in Meyer wieder; das Spießbürgerliche würden wir in seinen Schriften ebensowenig finden, als das Uebcrpraktische, Geschäftliche in seinem Leben. Diesen Zug der heutigen Schweizer, der gar oft gegen ideale Anschauungen Front macht, hat Meyer in einem von köstlichem Humor durchdrungenen Gedichte persiflirt, das freilich auch seine Spitze gegen eine gewisse geheuchelte Pietät kehrt und mit satyrischem Behagen auf die Alltagsprosa hinweist, die selbst in die allernächste Nähe des Heiligen Stuhles vorzudringen so frei ist. Das Gedicht, das „Alte Schweizer" betitelt ist, knüpft an die kleine Palastrevolte an, die bei der Thronbesteigung Leo's XIII. wegen des den Schweizern aus Sparsamkeitsgründen vorenthaltenen Donativs ausgcbrochen war: Sie kommen mit dröhnenden Schritten entlang Den von Raphaels Fresken verherrlichten Gang, In der pusfigen alten geschichtlichen Tracht, Als riefe das Horn sie zur Murtener Schlacht: „Herr Heiliger Vater, der Gläubigen Hort, So kann es nicht geh'n und so geht es nicht fort! Du sparst an den Kohlen, Du knickerst am Licht — An Deinen Helvetiern knaus're Du nicht! Wenn den Himmel ein Heiliger Vater gewann, Ergiebt es elf Thaler für jeglichen Mann! So galt's und so gilt's von Geschlecht zu Geschlecht, Wir pochen aus unser historisches Recht! Herr Heiliger Vater, Du weißt, wer wir sind! Bescheidene Leute von Ahne zu Kind! Doch werden wir an den Moneten gekürzt, Wir kommen wie brüllende Löwen gestürzt! 10 Herr Heiliger Vater, die Thaler heraus! Sonst räumen wir Kisten und Kasten im Haus — Potz Donner und Hagel und höllischer Pfuhl! Wir versteigern Dir den apostolischen Stuhl!" Der Heilige Vater bekreuzt sich entsetzt Und zaudert und langt in die Tasche zuletzt — Da werden die Löwen zu Lämmern im Nu: „Herr Heiliger Vater, jetzt segne uns Du!" . . . Auf den Einfluß der Heimat sind die verwandten Züge zurückzuführen, die in den Dichtungen Meyer's und Kellcr's zu Tage treten. Was Otto Brahm in seiner liebevollen und geistreichen Schrift über Gottfried Keller das „Schweizerische" in dessen Schöpfungen nennt, findet sich auch in den Romanen und Novellen Cvnrad Ferdinand Meyer's: das Tüchtige, Grade, das Verständige und Maßvolle, das Realistische; die beiden letztgenannten charakteristischen Eigenschaften wohl noch in erhöhtem Maße: Meyer's Dichtungen athmen eine klassische Ruhe und die bewundernswerthe Objectivität, die er als Erzähler zu bewahren weiß, drückt seinen Gebilden den Stempel realistischer Wahrheit auf. Den „deutschen" Zug des Phantastischen, den Brahm in Keller's Wesen findet, vermissen wir gern. Stört dieser auch nicht, wenn Keller die Legenden erzählt oder die Seldwyler Geschichten, so bleibt er doch für den Dichter, ob er nun seinen Erzählungen ein historisches oder modernes Gewand giebt, eine gefährliche Klippe; leicht verführt er, statt Menschen Schemen darzustellen. Und in der That haben die Personen des „Sinngedichtes", so reizvoll und bestechend die Keller'sche Erzählungsart auch in diesem Buche wirkt, so viel des Phantastischen, daß sie als eine Art unkörperlicher Nebelbilder erscheinen, ohne wirkliches Leben, von der Phantasie oder besser Phantastik des Dichters construirte Gestalten, die auch das Wort „Originale" nicht erklärt; die Erzählungen als „realistische Märchen" zu bezeichnen, scheint mir bei einem Buche, das sich als Roman giebt, eher ein Tadel als ein Lob zu sein. Wäre also das Phantastische — was aber sehr bezweifelt werden muß — nicht eine specifisch Keller'sche, sondern eine deutsche Eigenthümlichkeit, so geht diese den Dichtungen Meyer's ganz und gar ab. Er liebt das Ruhige, Klare und Schrittsichere; keine üppige Phantasie, die sich in neblige Fernen verliert, von jener überschäumenden Art französischer Autoren, die oft an krankhaftes Phantasiren grenzt, wohl aber die gesunde Phantasie des Dichters, der das Natürliche und Folgerichtige schätzt. Keine Unklarheit im Denken und Empfinden, sondern Gedanken, die nach den höchsten Zielen streben, das Unermeßliche und das Ewige ergründen wollen, Seelenmalerei voll höchster psychologischer Wahrheit. Keine leichte Worttändelei, die jeden kleinsten Gedanken breitschlägt, dreht und wendet, jedes Empfinden in altweiberhafter Weise commentirt, sondern Worte, die originellen Gedanken die klarste und knappste Form geben, jedes Gefühl ungeziert, offen, mit elementarer Kraft an den Tag treten lassen. Neben diesem „Schweizerischen": dem Kräftigen, Gesunden, Herben taucht ein anderer Lieblingszug auf: das Dämmerhafte, Stimmungsvolle. Das eine drängt den Dichter zum Realistischen, Sinnfälligen, zum Bilde, das andere legt sich um seine Dichtungen wie ein silberschimmerndcr Schleier, es entfaltet sich zur Stimmung. Bild und Stimmung: das Feste, 11 Greifbare aus der einen, das weiche Helldunkel auf der anderen Seite, so charak- terisirt sich die Meyer'sche Darstellungsweise. Während das Bild, soll es Leben gewinnen, nicht in bloßen Umrissen gegeben sein darf, entwickelt sich die Stimmung aus einer bloßen Andeutung, aus wenigen, aber vieldeutigen Worten am besten; darin ist Meyer immer der stärksten Wirkung sicher; er schlägt leise einen Ton an, der erst in der Seele des Lesers mächtig weiterklingt. Zwei kleine Gedichte, Meisterwerke der Malerei und vor Allem der Stimmungsmalerei, stellen die geschilderte Eigenart Meyer's in das hellste Licht. Mit festen, bestimmten Accorden leiten sie sich ein; dann gleiten sie unmerklich in sanftere Töne, die leise vergittern und verklingen; vor unsere Seele aber hat der Dichter mit den letzten Tönen ein ganzes Menschenleben gezaubert, dessen Geschicke wir ahnen und mitempfinden. Die Gedichte lauten: Stapfen. In jungen Jahren war's. Ich brachte dich Zurück in's Nachbarhaus, wo du zu Gast, Durch das Gehölz. Der Nebel rieselte, Du zogst des Reisekleids Capuze vor lind blicktest traulich mit verhüllter Stirn. Naß tvar der Pfad. Die Sohlen prägten sich Den: feuchten Waldesboden deutlich ein, Die wandernden. Du schrittest auf dem Bord, Von deiner Reise sprechend. Eine noch, Die läng're, folge drauf, so sagtest du. Dann scherzten wir, der nahen Trennung klug Das Angesicht verhüllend, und du schiedst, Dort wo der First sich über Ulmen hebt. Ich ging denselben Pfad gemach zurück, Leif' schwelgend noch in deiner Lieblichkeit, In deiner wilden Scheu, und wohlgemuth Vertrauend auf ein baldig Wiedersehn. Vergnüglich schlendernd, sah ich auf dem Rain Den Umriß deiner Sohlen deutlich noch Dem feuchten Waldesboden eingeprägt, Die kleinste Spur von dir, die flüchtigste, Und doch dein Wesen: wandernd, reisehaft, Schlank, rein, Walddunkel, aber o wie süß! Die Stapfen schritten jetzt entgegen dem Zurück dieselbe Strecke Wandernden! Aus deinen Stapfen hobst du dich empor Bor meinem innern Auge. Deinen Wuchs Erblickt' ich mit des Busens zartem Bug. Vorüber gingst du, eine Traumgestalt. Die Stapfen wurden jetzt undeutlicher, Vom Regen halb gelöscht, der stärker siel. Da uberschlich mich eine Traurigkeit: Fast unter meinem Blick verwischten sich Die Spuren deines letzten Gangs mit mir. . . Der Blutstropfen. Zur Zeit der Lese war's im Winzerhaus. Des Herdes gold'ne Flamme prasselte, Die Fensterscheiben überhauchten sich Und draußen scholl das Evoe geisterhaft 12 Aus Nebeldämmer. Becher klangen. Jung Und Alt empfand die bacchische Gewalt. Mit einem zarten Schimmer röteten Selbst ihr die Wangen sich, die unser Gast Und dieser Erde Gast nicht lange war, Ein stilles, scheues, ungeziihmtes Kind. Zum Reigen rief Lynus. Jene schlich Sich weg. Ins Freie blickte sie hinaus Durchs Fenster. Dann beschrieb sie träumerisch, Die ganz sich unbeachtet Wähnende, Die Scheibe mit dem Finger. Weh! umstellt, Belauert wurde sie von einem Schwärm Und überfallen. Rasch in Trümmer schlug, Das Antlitz glutbedeckt, die Scheibe sie, Sich selbst verwundend. Dieses Tüchlein hier, Das als Reliquie mir im Schreine liegt, Fing, über die verletzte Hand gelegt, Das Quellen eines Tropfen Blutes auf, Der warm ihr eben erst im Herzdn rann. Jung schwand sie hin, und kein Lebendiger weiß, Was dort geschrieben auf der Scheibe stand — Als dieser bleiche Tropfen Bluts vielleicht. Hier wie in jeder Dichtung Meyer's fällt eine edle Zurückhaltung auf, in der Ausmalung der Scene, wie im Gefüge der Worte selbst; überall tritt eine ganz merkwürdige Strenge und Keuschheit zu Tage, eine Reinheit der Sprache, wie sie keinem zweiten deutschen Dichter heute eigen ist. Und das giebt ihr zugleich, ob sie nun ein Bild in markigen Zügen entwerfen oder eine traumhafte Stimmung wiedergeben und wecken will, eine unendliche Festigkeit, die auf der einen Seite Uebertreibungen und Verzerrungen, auf der andern Verweichlichung und larmoyante Sentimentalität fernhält. Sie ist schwer, aber gefällig, nicht schwerfällig. Ein Gefühl der Sicherheit überkommt den Leser, er weiß, daß er in jeder Richtung vor peinlichen Scenen und Wendungen sicher ist. Allen seinen Dichtungen sucht Meyer dieses Gepräge zu geben; er hat sich selbst zu dieser Meisterschaft emporgearbeitet, mit größter Sorgfalt hat er seinen Jugendgedichten, die noch sämmtlich in vollen, breiten, tönenden Rythmen ein- hcrströmten, jene engeren, strengeren, klassischen Bahnen angewiesen. Dieß mag anfangs befremden; aber man wird bald herausfühlen, daß solche Aenderungen dem Wesen des Dichters völlig entsprechen, daß er mit ihnen aber auch in künstlerischer Hinsicht Recht behält; er verläßt freilich ausgetretene Wege, die Worte rauschen nicht mehr in Schmeichellauten am Ohre vorüber, ein jedes will gehört, verstanden und gewürdigt sein. Weil alles in seinem Wesen mehr zum Gemälde als zum Gesänge drängt, ist es erklärlich, daß Meyer nur einige wenige „Lieder" oder doch dem Liede verwandte Gedichte geschrieben hat; und wieder, daß ihm die besten in der ersten Periode seines Schaffens gelungen sind. Unter allen möchte ich den Preis jenem geben, welches „Aus dem See" überschrieben ist; es stellt sich in seiner duftigen Zartheit den Lenau'schen Schilfliedern würdig zur Seite: Ich gleite durch das Dunkel Des Markts Gewinn und Beute In leicht geführtem Kahn, Belastet nicht mein Boot, Es spiegelt Sterngefunkel Und ruhig stirbt mein Heute Sich unter meiner Bahn. Den schmerzenlosen Tod — 13 Wo in der thätigen Helle Das Segel hat "gerauscht, Vorn Ruder seh'.ich's triefen Wie Silber niederwärts, Und über stillen Tiefen Entschlummert mir das Herz. Heb' ich aus nächtiger Welle Mein Ruder unbelauscht. Das tändelnde Liebcslied ist Meyer's Wesen fremd: „süße Liebe denkt in Tönen, denn Gedanken steh'n zu ferne"; man ist ganz erstaunt, unter den Liebesgedichten eines — aber auch nur eines — zu finden, das einen leichten Ton — in Form und Inhalt — anschlägt: In diesen Liedern suche du Nach keinem ernsten Ziel! Besonders forsche nicht danach, Welch Antlitz mir gefiel, Wohl leuchten Augen viele d'rin, Doch alles war ein Spiel. Ein wenig Schmerz, ein wenig Lust Und alles war ein Spiel. Und ob verstohlen aus ein Blatt Auch eine Thräne siel. Getrocknet ist die Thräne längst Und alles war ein Spiel. Die Meisterschaft in der Rembrandt'schen Art der Pinselsührung, in der Ausführung des die Sinne gefangen nehmenden Dämmerlichtes, macht es erklärlich, daß Meyer das lyrische Stimmungsbild und mehr noch das lyrische Lebensbild; die Festigkeit der Sprache, die edle Größe der Gedanken, die Sicherheit und das Maßvolle der Charakteristik, die Meisterschaft des Beobachtend und Erzählens erklärt es, daß ihm das Historienbild, die Ballade mit großen Charakteren, die elegicnhafte Dichtung in unnachahmlicher Weise gelingt. In der einen Art wird er wohl in der deutschen Litteratur einen Ebenbürtigen nicht finden; in der andern darf er sich, was Gestaltungskraft und Lebendigkeit der Erzählung anlangt, zu den besten unserer Balladen- und Romanzendichter stellen, die er aber in origineller Behandlung seiner Stoffe sämmtlich übertrifft. Der Meister des Wortes weckt das musikalische, der echte Poet das subjektive Element der Stimmung; sofort ist der Contakt mit dem Leser hergestellt, die Empfänglichkeit geweckt, das Empfinden des Dichters nachzuempfinden, konventioneller Singsang fehlt unter den Gedichten vollständig; kein einziges, das einer schönen oder originellen Idee entbehren würde. Diese läßt der Dichter am liebsten nicht in nackter Deutlichkeit, sondern umschleiert hervortreten; sie soll mehr geahnt, aus den Worten herausgefühlt, als mit den Worten gelesen werden. Und die gewallte Wirkung wird keines der Gedichte versagen; wie sie Gemüthstöne einer tiefen Natur sind, so rühren sie mächtig und unmittelbar an die Seele, nicht trotz, sondern wegen ihrer — künstlerisch sehr wohl begründeten — Verschlossenheit. Wohl ist Meyer mehr eine rcflectirende, als eine ursprüngliche Natur, aber man hat das bestimmte Gefühl, daß jedes der lyrischen Gedichte aus innerer Nothwendigkeit entstanden ist, nicht anempfunden und kon- struirt ist. Sowohl in den Jugendgedichten, die breiter und redseliger sind und mit denen Gottfried Keller's eine entfernte Aehnlichkeit der Struktur haben, als in den späteren, energischeren, gedrungeneren, tritt trotz des kräftigen Gefühlstones immer wieder der Epiker hervor; sie umschreiben in den seltensten Fällen ein absolutes Empfinden, vielmehr lehnt sich die seelische Stimmung an irgend eine äußere Begebenheit an, oder wenigstens an einen Gegenstand der Außenwelt: 14 Landschaftsbilder, kleine oder schicksalsschwere Ereignisse des Liebeslebens oder Geschehnisse des Lebens überhaupt; ja oft genügt etwas ganz unbedeutendes und unscheinbares der Phantasie des Dichters, um daran eigenthümliche Gedanken und Gefühle zu knüpfen: Stapfen, Wellenkreise, gleitende Boote, unbestimmtes Flüstern der Nacht — in einer ganzen Reihe von Gedichten stoßen wir auf diese Motive. In einem Gedichte, voll Anmuth und Weichheit, wird dieses so umschrieben: In der Nacht, die die Bäume mit Blüthen deckt, Ward ich von süßen Gespenstern erschreckt, Ein Reigen schwang im Garten sich, Den ich mit leisem Fuß beschlich; Wie zarter Elfen Chor im Ring Ein weißer, lebendiger Schimmer ging. Die Schemen hab' ich keck befragt: Wer seid ihr, luftige Wesen? Sagt! „Ich bin ein Wölkchen, gespiegelt im See." „Ich bin eine Reihe von Stapfen im Schnee." „Ich bin ein Seufzer gen Himmel empor!" „Ich bin ein Geheimniß, geflüstert in's Ohr." „Ich bin ein frommes, gestorbenes Kind." „Ich bin ein üppiges Blumengewind —" „Und die du wählst, und der's beschied „Die Gunst der Stunde, die wird ein Lied." Die Gunst der Stunde! Das heißt also, daß Meyer's Gedichte „Gelegenheitsgedichte" im Goethe'schen Sinne sind; nur was den Dichter erregt oder doch anregt, erhält Gestalt und dauerndes Leben im Gedichte. Damit ist auch der Stoffkreis des Lyrikers gegeben. Er geht dem Schinerze nicht aus dem Wege, aber er läßt sich Von ihm auch nicht überwältigen; er nimmt das Leben, wie es ist; die Erde ist ihm nicht die beste der Wellen, aber er ist nicht unempfindlich gegen die tausend kleinen Freuden, die das Dasein bietet; ein milder Ernst schließt selbstgefälligen Optimismus, die Freude am Schönen den sich und die Welt anklagenden Pessimismus aus. Er ist ein liebendes Kind der Natur, nicht bloß ihr Gast. „Natur! Wer kann mich scheiden — Von deiner Mutterliebe — Solang du Totgeglaubte — Dich wonnevoll erneu'st, — Bis du auch mir zu Haupte — Die braunen Schollen streu'st!" Er ist überall zu Hause: ob sich ihm die erhabenen Wunder seiner Berge, oder die stillen Reize des schimmernden Sees erschließen; er spricht mit dem schattigen Walde, er hält Zwiesprache mit den Sternen; er lauscht dem Flüstern der Nacht, er preist in Liedern voll Zartheit und Innigkeit den Triumphator Lenz: „Frühling, der die Welt umblaut, — Deine blüh'nden Siegespforten — Hast du niedrig aufgebaut! — Ueber alle Pfade her — Schießen blüthenschwere Zweige — Ungebändigt, kreuz und quer, — Daß'dir jedes Haupt sich neige, — Und die Demuth ist nicht schwer." Meyer ist eine religiöse Natur; mit Empfindungen dieser Art wird er sich aber nie störend vordrängen; er coquettirt nicht mit seinem aufrichtig gefühlten Christenthum, ihm ist der Gottesglaube Herzensbedürfniß: „Die Rechte streckt ich schmerzlich oft — In Harmesnächten, Und fühlt' gedrückt sie unverhofft — Von einer Rechten — Was Gott ist, wird in Ewigkeit — Kein Mensch ergründen, Doch will er treu sich allezeit — Mit uns verbünden." 15 Aber die ehrfürchtigen Schauer, die der Dom im Eintretenden weckt, sind nicht nur religiöse; sein Glaube will keine Beschränkung, ist aber auch von jeder frommen Beschränktheit frei. In der Kunst feiert das Menschenthum seine schönsten Triumphe, Meyer ist der Kunst und des reinen Menschentums edler Priester. Dem größten Priester dieser Religion bringt er in dem Gedichte „Schiller's Bestattung" seine Huldigung: Ein ärmlich düster brennend Fackelpaar, das Sturm Und Regen jeden Augenblick zu löschen droht. Ein flatternd Bahrtuch. Ein gemeiner Tannensarg Mit keinenr Kranz, dem kärgsten nicht, und kein Geleit, Als brächte eilig einen Frevel man zu Grab. Die Träger hasteten. Ein Unbekannter nur, Bon eines weiten Mantels kühnem Schwung umweht, Schritt dieser Bahre nach. Der Menschheit Genius war's. Bon seinem eigenen Leben erzählen die Gedichte wenig; sie sind nicht so redselig, wie die anderer modernen Lyriker. Die Gedichte „Liebe" zeigen eine gewisse Zurückhaltung, als ob nicht der Moment des liebevollen Empfindens, sondern die Erinnerung an ihn dem Dichter die Feder in die Hand gedrückt hätte. Vernarbte Wunden.... „Lethe" ist ein Gedicht überschrieben, das, ein mächtig rührendes, wundersames Bild, einer Todten geweiht ist: . .. Jetzt erscholl ein Lied voll süßer Wehmuth, Das die Schaar der Kranzgenossen sang — Ich erkannte deines Nackens Demuth, Deine Stimme, die den Chor durchdrang. In die Welle taucht' ich. Bis zum Marke Schaudert' ich, wie seltsam kühl sie war. Ich erreicht' die leise zieh'nde Barke, Drängte mich in die geweihte Schaar. Und die Reihe war an dir, zu trinken Und die volle Schale hobest du, Sprachst zu mir mit trautem Augenwinken: „Herz, ich trinke dir Vergessen zu..." Aber in Worten, voll edlen Feuers hingebungsvoller Liebe, öffnet er sein Herz der geliebten Schwester; ihr zeigt er, was er am Leben liebt und haßt, ihr kündet er sein innerstes Empfinden. Dieses Gedicht rückt uns den Menschen im Dichter vor Allem nahe; ich kann es mir d'rum nicht versagen, es hier wiederzugeben. Ohne Datum. Du scherzest, daß ein Datum ich vergaß, Und meinst, ich dürfte bei dem Stundenmaß Mit einem Federstriche mich verweilen. Du schreibst: „Datire künftig deine Zeilen!" Doch war das Zählen meine Sache nie, Nach dem Wievielten such' ich stets vergebens, Auch diese Zeilen, wie datir' ich sie? „Aus allen Augenblicken meines Lebens!" Kurz ist und eilig eines Menschen Tag, Er drängt, er pulst, er fluthet, Schlag um Schlag, Wie eines Herzens ungestümes Klopfen. . . Wer theilt die Jagd des Bluts und seiner Tropfen? 16 Es ist der Sturm, der nie zur Rüste geht, Die Wechselgluth des Nehmens und des Gebens, Und meine Haare flattern windverweht In allen Augenblicken meines Lebens, Zu ruh'n ist mir versagt, es treibt mich fort, Die Stunde rennt — doch hab' ich einen Hort, Den keine mir entführt, in deiner Treue; Sie ist die alte wie die ewig neue, Sie ist die Rast in dieser Flucht und Fluth, Ein fromm Geleite leisen Flügelschwebens, Sie ist der Segen, der beständig ruht Auf allen Augenblicken meines Lebens. Ich hemme die beschwingten Rosse nicht, Ich freue mich, mit jedem neuen Licht Das Feld gestreckten Laufes zu durchmessen — Ein fernes, dunkles Gestern zu vergessen — Ich fliege — hinter mir versinkt die Zeit — Im Morgensonnenstrahl verjüngten Strebens! . ., Vorbei!... Nur du allein weißt noch Bescheid Bon allen Augenblicken meines Lebens. Ein solches Gedicht, in Beziehung gebracht zu dem maßvollen, zurückhaltenden Wesen des objectiven Epikers, zeigt uns die Vielgestaltigkeit der künstlerischen Eigenart Meyers; solche Gedichte bedeuten eine Einkehr, eine freundliche Statt im Hause des Dichters; er legt Pinsel und Palette aus der Hand, setzt sich plaudernd zu uns, es schwindet der strenge Ernst von seiner Stirne, und wir erkennen in ihm und seinem Wesen das Jugendbildniß wieder, dem er selbst die Worte widmet: Hier! Doch Keinem darfst du's zeigen — Solche Sanft- muth war mir eigen, — Durfte sie nicht lang behalten, — Sie verschwand in harten Falten. — Sichtbar ist sie nur geblieben — Dir und denen, die mich lieben" . . . Also uns allen, die wir den Dichter kennen! Aus dem Kreise des rein Lyrischen drängt den Dichter die epische Kraft immer mehr zur Ballade; auf dem Wege aber fand er die Romanze, die epische Blume mit lyrischem Blüthenstaub. Die ganze Beanlagung Meyers, die Vereinigung der Schwesterkünste in seinem dichterischen Vermögen: die Beobach- tungs- und Gestaltungskraft (Malerei), und die Gabe, Stimmungen zu wecken (Musik), mußten ihn in der einen Richtung zur Ballade, in der anderen zur Romanze führen. Es war bereits Gelegenheit, auf den Unterschied zwischen Meyer's ersten und späteren Dichtungen hinzuweisen; die beiden Perioden seines Schaffens scheidet, glaube ich, das Jahr 1870; in seiner Biographie nennt er es das kritische Jahr: „von einem unmerklich gereiften StainmesgefUhl mächtig ergriffen, that ich bei diesem weltgeschichtlichen Anlasse das französische Wesen ab"; das darf nicht nur in politischer, sondern auch in künstlerischer Hinsicht gelten. In die erste Periode setze ich die ältere Fassung der Balladen und Romanzen und „Engelberg"; diese Dichtungen zeichnen sich sämmtlich durch einen volleren Fluß der Rede, prächtigen Wohllaut aus, sie sind mehr rhetorisch, das stärkere Gewicht ist auf das Aeußerliche gelegt; in der zweiten Periode wird die schöne Phrase völlig zurückgedrängt, der Dichter will sich nicht mehr „in schwelgendem Verzieren, in üppigem Blätterwerk verlieren; mit keuschem Sinn opfert er es streng, dem Ganzen zu Gewinn." 17 Am schärfsten tritt dieser Gegensatz in den Balladen und Romanzen zu Tage; die ersten entbehren jener bestimmten Eigenart, welche Meyer's Sprache heute kennzeichnet; unschwer ist zu erkennen, daß Uhland und Schiller, vielleicht auch französische Autoren des Dichters Vorbilder waren. Die Gedichte dieser Zeit sind tonender, einige vielleicht anheimelnder als in der späteren Fassung; es wird mit einer größeren Umständlichkeit erzählt, selten, daß wie so oft in den späteren, ein Wort genügen muß, um eine Stimmung, eine Scenerie zu zeichnen. Die Charaklerisirung ist nicht so scharf, nicht die Handlung ist bewegt, sondern die Erzählung des Dichters über das Geschehniß ist voller Leben. In den späteren Gedichten treten die Gestalten plastischer hervor, wie die Figuren eines Reliefs; früher wog die breite Schilderung vor, jetzt trachtet der Dichter nach der möglichsten Knappheit; einen Tacitus der Ballade könnte man ihn nennen. Vordem riß der Stoff, die Leidenschaft der darzustellenden Personen den Dichter hin, jetzt beherrscht er den Stoff in souveräner Weise. Die Wirkung dieser strengen, ruhigen und gedrungenen Weise ist freilich eine ungleich größere; wie mit elementarer Gewalt arbeitet sich jedes dieser Gedichte zur Schlußscene oder Pointe heraus. Mit dem künstlerischen-Ernst und der bcwundernswerthen Gewissenhaftigkeit, die ihm eigen, hat denn Meyer auch die meisten der alten Balladen und Romanzen fallen lassen und sie in neue Formen umgegossen; es sind aber nicht kleine, formale Aenderungen; — von der alten Form ist oft nichts geblieben, als einige Wendungen, die schon früher der Schärfe des Ausdruckes nicht cntriethen. Der Dichter giebt es auf, sich in der Melodie seiner Verse zu wiegen, sich vom Rylhmus zu rhetorischer Breite hinreißen zu lassen; das schmiegsame, weich sich anlegende Gewand klangvoller Reime wird oft mit schonungsloser Hand heruntergerissen, um es mit einem, dem Stoffe angemesseneren, rauhen Kleide, das des Reimschmuckes entbehrt, zu vertauschen. Die Pointen werden kräftiger, mit'epigrammatischer Schärfe herausgearbeitet, mehr Gewicht auf die Handlung als auf die Erzählung gelegt. Das Gedicht „Cäsars Schwert" (im Galliertempel findet der eindringende Cäsar sein Schwert, verbietet aber seinem Legionär, es vom Altare zu nehmen) schließt in der alten Fassung: „Dem besten Fechter mag's gescheh'n, — Daß Schwerter ihm verloren geh'n, — Es kann das Glück sich wenden, — Doch wer als Sieger sich bewährt, — Der findet sein verloren Schwert — Bewahrt von Götterhänden." Diese umständliche, breite Strophe, die mit den sentenzenhaft gehaltenen Worten Cäsar's ziemlich flach ausklingt, ist durch drei Zeilen ersetzt, die viel schärfer, anschaulicher und charakteristischer gehalten sind: „Nein, tapferer Strabo, laß es dem Altar! — Verloren ging's in steilem Siegeslauf — Und heißem Ringen. Götter hoben's auf." Bedeutungsvoller ist die Aenderung der Ballade: „Die Füße im Feuer." Der Stoss ist grausig und erhaben zugleich; der Schloßherr bewirthet des Königs Boten, giebt ihm am Morgen selbst das Geleit; und hat in ihm den Mann erkannt, der vor Jahr und Tag sein Schloß auf einer Hugenottenjagd überfallen, sein Weib, das den Gatten nicht verrathen wollte, in der Gluth des Kaminfeuers langsam zu Tode gemartert! Die zwei letzten Strophen der alten Fassung: „Und schon im Felde seh'n den Pflug — Sie in der Morgensonne, geh'n, — Da ruft der Reiter: „Herr, genug! — Habt Dank! Auf Nimmerwiedcrsehn! — Ihr seid ein Mann von weisem Sinn, — Und seht, daß ich des Königs bin, — Des größten Königs in der Welt, — 2 18 Der meinem Weg im Auge hält!" Jetzt spricht der Andre feierlich: — „Du hieltst in meinem Hause Rast, — Und durch den Wald geleit ich dich, — Der du mein Weib gemordet hast! — Ich weiß, daß du des Königs bist, — Der über Alle mächtig ist... — Doch wurde heut sein Dienst mir schwer; — Mein ist die Rache! spricht der Herr." Die neue Form deckt den dämonischen Inhalt vollkommen; sie verschmäht den Reim und erzielt dadurch eine erhöhte Wirkung; sie kehrt das Schroffe und Grausige schroffer und gewaltiger hervor, und in meisterhafter Weise ist — Schloßherr und Mörder haben sich erkannt und verlassen das Schloß — ein neues Bild eingefügt: Die Schilderung des Friedens in der Natur; dieser Contrast steigert das Entsetzen vor der Roheit des Fanatismus und in vollerem Glänze erstrahlt der Glorienschein des entsagenden, duldenden Märtyrers: Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut. Zersplittert liegen Aestetrüminer quer im Pfad. Die früh'sten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch. Friedsellge Wolken schwimmen durch die klare Luft, Als kehrten Engel Heini von einer nächt'gen Wacht. Die dunkeln Schollen athmen kräftigen Erdgeruch. Die Eb'ne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug. Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: „Herr, Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin. Lebt wohl. Auf Nimmerwiederseh'n!" Der Andre spricht: „Du sagst's! Dem größten König eigen! Heute ward Sein Dienst mir schwer. . . Gemordet hast du teuflisch mir Mein Weib! Und lebst! . . . Mein ist die Rache, redet Gott!" — Immer geschahen die Umdichtungen zur volleren Ausprägung des Grundgedankens; einige der älteren Gedichte möchten wir aber doch in der älteren Form nicht missen wollen; so ist die Ballade Vom „Mönch von Bonifacio" in ihrem alten Gewände jedenfalls wirkungsvoller, denn hier scheint die rednerische Pracht der Verse am Platze zu sein, da der Dichter die unerschütterliche Kraft des Glaubens besingt; desgleichen ist das eigenartige, ergreifende Gedicht „Die Seitcnwunde" in der neuen Fassung zu kalt, zu verstandesmäßig. Die Mutter hält den verwundeten, sterbenden Sohn im Schoße; schon will sie den Gegnern fluchen: „Ihrem Knaben steht die Seite offen, — Wo der Speer Lon- gins den Herrn getroffen ... — Haß und Fluch erlischt auf ihrem Munde, — Sie verehrt die heil'ge Seitenwunde . . ." Anders in der alten Fassung: „Still rieseln aus der Seite — Die Tropfen roth und warm, — Da sinkt der fluch- bcreite, — Der wild erhobene Arm. — Geschaut in diesem Bleichen — Den sie umfangen hält, — Hat sie den Schmerzenreichen, — Der blutet für die Welt! — ,Sohn, bei der heil'gcn Wunde, — Vergieb ihm, der Dich trafst — Ein Lächeln auf dem Munde — Sinkt er in Todesschlaf." Es sei gestattet, noch eines der romanzenartigen Gedichte in beiden Fassungen hier anzuführen; es zeigt am deutlichsten, mit welcher Sorgfalt und mit welcher Tendenz Meyer bei den Aenderungen vorgegangen ist, und speciell, wie er hier bestrebt war, das großartig concipirte, der Gestalt, die es behandelt, würdige Gedicht, das schon in seiner ursprünglichen Gestalt durch eine mächtige Gedankcnhoheit sich auszeichnete, gedanklich noch mehr zu vertiefen, die Grundidee reiner und schärfer und in vollendeter Form hervortreten zu lassen. „Michel Angelo" lautete früher: Ein Lichtlein schimmert in der Mitternacht Und Michel Angela, der hohe Greis, Der wundersame Meister, sinnt und wacht In seiner Marmorbilder blassem Kreis. Die Ruhe stört er nicht mit Hammerschlag, Gewaltig ist er in ein Buch vertieft. Ob Dante's Schatten er befragen mag? Ob er die Sprüche wägt der heil'gen Schrift? Er hat die Tage Raphaels überlebt, Der vollen Schönheit kurze Blüthezeit, Und Blatt um Blatt, das trauernd niederschwebt, Ermähnt ihn an den Ernst der Ewigkeit. Des Meisters Angesicht wird feierlich, Er scheint mit Jemand im Gespräch zu sein, Er wendet von dem Buche langsam sich Und redet in die stille Nacht hinein: „Die süßen Fabeln haben mir geraubt Die Zeit, die Dich zu suchen Du verlieh'«, Unwillig schütt!' ich das beschneite Haupt, Die Schmeichlerinnen wollen nicht entflieh'». Statt zu erfassen in dem Wesen Dich, Ergriff ich dich, o Gott, an deinem Kleid, Die Macht der Schönheit übermannte mich Und ich entbehre der Gerechtigkeit. In Fehle bin gealtert ich und Schuld, An deinem Himmel hab' ich keinen Theil Als meiner schnöden Knechtschaft Ungeduld, Mein durstiges Verlangen nach dem Heil. Ich stemme mich, und kann mich nicht besrei'n, Mein Herz ist hart und trotzig, trüb und wild. Mein Gott, entreiße Du dem todten Stein Mit starker Meisterhand dein Ebenbild. Auf! Schwinge deinen Hammer mit Gewalt! Erhabner Bilder, führe Schlag um Schlag, Und aus den Splittern ziehe die Gestalt, Die göttliche, hervor an deinen Tag!" — Und nun die neue Gestalt des Gedichtes: In der Sistine dämmerhohen Raum, Das Bilderbuch in seiner nerv'gen Hand, Sitzt Michel Angela, in wachem Traum, Umhellt von einer kleinen Ampel Brand. Laut spricht hinein er in die Mitternacht, Als lauscht' ein Gast ihm gegenüber hier, Bald wie mit einer allgewalt'gen Macht, Bald wieder wie mit Seinesgleichen schier: „Umfaßt, umgrenzt hab' ich Dich, ewig Sein, Mit meinen großen Linien fünfmal dort! Ich hüllte Dich in lichte Mantel ein Und gab Dir Leib, wie dieses Bibelwort. Mit weh'nden Haaren stürmst Du feurig wild Von Sonnen immer neuen Sonnen zu, Für Deinen Menschen bist in meinem Bild Entgegenschwebend und barmherzig Du! So schuf ich Dich mit meiner nicht'gen Kraft: Damit ich nicht der größere Künstler sei, Schafs' mich—ich bin ein Knecht der Leidenschaft— Nach Deinem Bilde schaff mich rein und frei! Den ersten Menschen formtest Du aus Thon, Ich werde schon von härtrem Stoffe sein, Da, Meister, brauchst Du Deinen Hammer schon. Bildhauer Gott, schlag zu! Ich bin der Stein." Die mitgetheilten Romanzen und auch die Bruchstücke sind wohl genügende Illustrationen der geschilderten Dichtungsart Meyer's; mit den Formen ist aber auch der Stoffkreis der zweiten Periode ein anderer geworden. Zuerst waren es zumeist Männer des Schwertes, vornehmlich römische Typen, die Meyer in Romanzen und Balladen besang; es begeisterte ihn die Thatkraft, die körperliche Stärke, das Heldenthum der Faust. Mächtig hebt sich die Gestalt des „Bercingetorix" hervor; der Lebenslaus des Römers und der Rö- 20 merin, heldenhaftes Leben und Sterben, freudiges Entsagen zum Wohle des Vaterlandes, im Dienste der Pflicht, spiegelt sich im „Gesang der Parze", und große, antike Züge vergegenwärtigt die Ballade „Der Zwcikampf". Alle diese Balladen haben ihre besondere Form, ihren besonderen, eigenartigen Ton und Form und Diction erscheinen wie mit Nothwendigkeit gewählt, um das Bild vollendet wiederzugeben. Am ergreifendsten sind mir die drei genannten Gedichte gewesen: Vercingetorix auf seinem letzten Gange im Triumphzuge Cäsar's, er selbst, der Besiegte, ein größerer Triumphator als der Sieger; dann der heldenmütige Jüngling, der das Verbot des Zweikampfes, welches der Feldherr, sein Vater, erlassen, übertritt und, von einem feindlichen Soldaten an der Ehre gekränkt, den Zweikampf aufnimmt, siegreich besteht und nun der Todesstrafe entgegensieht: „Mein Haupt ist verwirkt, und was ist's denn mehr? — Ich bin nur ein einzelner Mann im Heer. — Greif aus, Du mein edles, mein feuriges Thier — Und lass' mich noch einmal verwachsen mit Dir! — Du letzte der Sonnen, wie spiegelst Du schön — Dich in meinen ersten, ersehnten Trophä'n!" Endlich Liebe, Leben und Leiden einer Römerin, eines großen, heldcnmüthigen Herzens mit dem erschütternden Schlüsse: Vier Träger bringen ihr den Sohn, der in der Schlacht gefallen, in's Haus. „Willkommen, mein bekränzter Sohn! — Du thatst die Pflicht und nahmst den Lohn; — Der Athem und das Leben — War Dir dazu gegeben, — Und Ernten, welche wohl gedeih'n, — Die dürfen früh geschnitten sein. — Und wieder treten an die Thür — Und grüßen sie, die stummen Vier, — Dann wird es still im Hause; — Sie ist in ihrer Klause — Allein mit Dem, den sie geliebt — Und der ihr keine Antwort giebt. — Nun kommt der Jammer über sie — Und schluchzend sinkt sie auf die Knie; — Ich habe den verloren, — Den ich so schwer geboren. — Sie beugt sich nieder, arm und wund, — Und küßt und küßt den todten Mund . . Das ist ein gewaltiges Gemälde; dem Vaterlandc mißgönnt die stolze Seele nicht, was ihm ganz und immer gehörte; aber da sie allein ist, bricht das Leid hervor und das Muttcrherz krampst sich zusammen in unendlicher Liebe, in nicht endendem Schmerze: „und sie küßt und küßt den todten Mund" . . . Anders beschaffen ist das Heldenthum, das die meisten Balladen der zweiten Schaffensperiode Meyer's zum Borwurfe nehmen: mittelalterliche Gestalten, Männer des Glaubens, Helden des Martyriums ziehen an uns vorüber; die höchsten Tugenden sind die der Entsagung, des Opfermuthcs; Unbill verzeihen, das Leben in den Dienst einer Idee stellen, für sie leiden, bluten und sterben —- das ist Heldenthum. Och die Idee an sich gut sei oder schlecht — gleichviel: nicht über sie sitzt der Dichter zu Gericht, in diesen Gedichten steht er auf einer höheren Warte, als auf der Zinne der Partei; er hat nur zu erzählen, wie Überzeugungstreue Männer ihr Herzblut für das vergossen, was sie für richtig, für heilig erkannt, oder zu erzählen, wie sie dem Glauben ihr Liebstes geopfert. Ob nicht die Gesammtheit dieser Balladen, die Wahl der Stoffe, die Vcrtheilung von. Licht und Schatten zwischen Katholicismus und Protestantismus von einer ganz bestimmten Tendenz Zeugniß ablegt? Man könnte, wenn man nicht jede einzelne Ballade besonders als abgeschlossenes Kunstwerk auf sich wirken läßt, sondern diese Glaubcnsdichtungen als ein Ganzes betrachtet, vielleicht das Gefühl haben, daß Meyer in seiner Art der protestantischen eoolssin militnus als Freiwilliger diene; ich glaube, diese Ansicht wäre 21 eine falsche und ungerechte; daß Meyer, der übcrzeugungsstarke Protestant, seine Helden lieber in der protestantischen als der katholischen Welt sucht, wollen wir ihm nicht im Entferntesten verargen; gewiß ist, daß er selbst niemals einseitig oder ungerecht ist, nirgends dem Glaubensfanatismus oder den Dogmen des Protestantismus das Wort redet. Wenn er Beschränktheit geißelt, Heuchelei und Jesuitismus züchtigt, wenn ihm der verliehene Heiligenschein nicht imponirt, und er in jedem Menschen nur den Menschen, den schwachen, fehlbaren, erblickt — so hat er damit nichts anderes gethan, als daß er als freisinniger und ehrlicher Mann sein muthiges Wort gegen Niedertracht, Verblendung und Pharisäertum — wo er es eben fand — erhoben hat. Wenn Meyer in dem Gedichte „Die feindlichen Bruder" den fanatischen Katholiken zeichnet, welcher den nach Deutschland geflüchteten Bruder, der dort dem lutherischen Glauben sich in die Arme werfen will, aufsucht und zum alten Glauben zurückzuführen trachtet, so gilt unser Mitleid dem Katholiken, der im Auflodern der Glaubensleidenschaft, wie einer Pflicht gehorchend, den Bruder tödtet: „Juan, ich reiße Dich heraus Mit dieser meiner Arme Kraft! Die Rosse stampfen vor dem Haus, Geführt von meiner Dienerschaft. Du schweigst? Bekenn' mir, ob's geschah! That'st Du den Schritt? Du schüttelst: Nein! Wirst Du ihn thun? Ja? Du nickst: Ja?... Juan, es muß geschieden sein!" Eng hält den Bruder er umfaßt, Bang stöhnend senkt er Blick in Blick, Küßt, küßt ihn noch einmal in Hast — Und stößt den Dolch ihm in's Genick. Er hält den Bruder lang' im Arm, Mit unerschöpften Thränen netzt Und badet er den Todten warm: „Roch starbest als ein Christ Du jetzt!" — Alle diese Balladen mit ihren finsteren, leidenschaftlichen Charakteren sind voll Kraft und Mark und das Dämonische ihrer Gestalten kommt in meisterhafter Weise zum Durchbruch; sie bilden eine glänzende Bereicherung unserer Balladenlitteratur, ja in der deutschen Litteratur wüßte ich Meyer als Dichter solcher Stoffe keinen Zweiten an die Seite zu setzen, wobei ich hervorheben möchte, daß dies keine nä lloe, nämlich für diese kleine Skizze in's Feld geführte „Lästerung" ist. Andere Töne weiß der Dichter mit nicht geringerer Meisterschaft anzuschlagen; besonders sympathisch ist mir die Ballade „Die Söhne Haruns" mit ihrer schönen, großherzigen Grundidee. „Wie befestigt ihr die Herrschaft?" fragt der Chalif seine Söhne; der eine Sohn will Heere werben, der andere will Spione dingen, daß sie berichten, wer den Herrscher liebt, wer ihm grollt. „Vater," redet jetzt der Jüngste keusch erröthend, „es ist gut, Daß ein Tropfen rinne nieder warm in's Volk aus Deinem Blut! Ueber ungezählte Loose bist allmächtig Du auf Erden, Das ist Raub an Deinen Brüdern — und Du wirst gerichtet werden! Dein erhaben Loos zu sühnen, das sich thürmt den Blitzen zu, Laß mich in des Lebens dunkle Tiefe niedertauchen Du! Such' mich nicht! Ich ging verloren! Sende weder Kleid noch Spende! Wie der Aermste will ich leben von der Arbeit meiner Hände! Mit dem Hammer, mit der Kelle laß mich, Herr, ein Maurer sein! Selber maur' ich mich in Deines Glückes Grund und Boden ein! Jedem Hause wird ein Zauber, daß es unzerstörbar dauert, Etwas Liebes und Lebend'ges in den Grundstein eingemauert! 22 Hörest Du die Straße rauschen unter Deinem Marmorschloß? Morgen bin ich dieser Menge namenloser Tischgenoss' — Blickst Du nieder auf die vielen Unbekannten, die Dir dienen, Einer segnet Dich vvm Morgen bis zum Abend unter ihnen!" Einen ähnlichen Gedanken behandelt die genial concipirte „Bettlerballade"; der Gleichheitsgedanke ist es, der in diesen Gedichten einen ergreifenden Ausdruck findet. Es sei gestattet, dieses bizarre, aber absichtlich bizarre Gedicht und dazu ein zweites hieher zu setzen, das die Kraft und Knappheit des Ausdruckes und die mächtige Steigerung der Handlung in den Meyer'schen Balladen trefflich veranschaulicht. Bettlerballade. Prinz Bertarit bewirthet Verona's Bettlerschaft Mit Weizenbrot und Kuchen und edlen Traubensaft. Gebeten ist ein Jeder, der sich mit Lumpen deckt, Der, heischend auf den Brücken der Etsch, die Rechte reckt. Aus edlen Marmvrsesseln im Saale thronen sie, Durch Riff' und Löcher gucken Ellbogen, Zeh' und Knie. Nicht nach Geburt und Würden, sie sitzen grell gemischt, Jetzt werden noch die Hasen und Hühner aufgetischt. Der tastet nach dem Becher. Er durstet und ist blind. Den Krüppel ohne Arme bedient ein frommes Kind. Ein reizend stumpfes Naschen guckt unter strupp'gem Schöpf, Mit wildem Mosesbarte prahlt ein Charakterkopf. Die Herzen sind gesättigt. Beginne Musica! Ein Dudelsack, ein Hackbrett und Geig' und Harf' ist da — Der Prinz, noch schier ein Knabe, wie Gottes Engel schön, Erhebt den vollen Becher und singt durch das Getön: „Mit frischgepslückten Rosen bekrön' ich mir das Haupt, Des Reiches eh'rne Krone hat mir der Ohm geraubt. Er ließ mir Tag und Sonne! Mein übrig Gut ist klein! So will ich mit den Armen als Armer fröhlich sein!" Ein Bettler stürzt in's Zimmer: „Grumell, wo kommst du her?" Der Schreckensbleiche stammelt: „Ich lauscht' von ungefähr, Gebettet an der Hofburg — Dein Ohm schickt Mörder aus, Nimm meinen braunen Mantel!" Erzschritt umdröhnt das Haus. „Drück' in die Stirn den Hut dir! Er schattet tief! Geschwind! Da hast du meinen Stecken! Entspring, geliebtes Kind!" Die Mörder nahen klirrend. Ein Bettler schleicht davon. — „Wer bist du? Zeig das Antlitz!" Gehob'ne Dolche droh'n. — „Laß ihn! Es ist Grumello! Ich kenn' das Loch im Hut! Ich kenn' den Riß im Aermel! Wir opfern edler Blut!" Sie spähen durch die Hallen und suchen Bertarit, Der unter dunkeln: Mantel dem dunkeln Tod entflieht. Er fuhr in fremde Länder und ward darob zum Mann. Er kehrte heim gepanzert. Den Ohm erschlug er dann. Verona nahm er stürmend im rothen Feuerschein. Am Abend lud der König Verona's Bettler ein. — 23 Mit zwei Worten. Am Gestade Palästinas, auf und nieder, Tag um Tag, „London?" frug die Sarazenin, wo ein Schiff vor Anker lag, „London!" bat sie lang vergebens, nimmer ward sie miid und zag, Bis zuletzt an Bord sie brachte eines Bootes Ruderschlag. Sie betrat das Deck des Seglers, und ihr wurde nicht gewehrt. Meer und Himmel. „London?" frug sie, von der Heimat abgekehrt, Suchte, blickte, durch des Schiffers ausgestreckte Hand belehrt, Nach den Küsten, wo die Sonne sich in Abendgluth verzehrt. . . „Gilbert?" fragt die Sarazenin im Gedräng der großen Stadt, Und die Menge lacht und spottet, bis sie dann Erbarmen hat. „Tausend Gilbert giebts in London!" Doch sie schreitet nimmer matt. „Labe dich mit Trank und Speise!" Doch sie wird von Thränen satt. „Gilbert!" „Nichts als Gilbert? weißt du keine andern Worte? nein?" „Gilbert!" . . . „Hört, das wird der weiland Pilger Gilbert Becket sein — Den gebräunt in Sklavenketten gleicher Wüste Sonnenschein — Dem die Bande löste heimlich eines Emirs Töchterlein —" „Pilgrim Gilbert Becket!" dröhnt es, braust es längs der Themse Strand. Sieh, da konimt er ihr entgegen, von des Volkes Mund genannt, Ueber seine Schwelle führt er, die das Ziel der Reise fand. Liebe wandert mit zwei Worten gläubig über Meer und Land. Den Band „Gedichte" beschließt das Gedicht „Der Daxelhofen"; es ist gewiß nicht unabsichtlich an den Ausgang gesetzt: es soll sür des Dichters treue nationale Gesinnung zeugen. Im Heere des Prinzen Condö dient der Hauptmann Daxelhofen; als sich dieses aber dem Rheine nähert, da ruft er: „Herr Prinz, welch köstlich Düften! So duftet nur am Rhein der Wein! Und dort der Thurm in Lüften, Herr Prinz, das ist doch Mainz am Rhein? — Ich bin vom Schwabenstamme, Bin auch ein Eidgenosse gut, Und daß mich Gott verdamme, Vergieß ich Deutscher deutsches Blut . . ." Ein größere Dichtung ist „Engelberg"; sie ist entschieden Meyers schwächste Schöpfung. Die Fabel ist an sich nicht sonderlich interessant, es steckt noch ein gut Stück jener Art Romantik in ihr, die wir heute überwunden haben und die unsere größere Weltanschauung immer etwas peinlich berührt, selbst wenn die Vermittelung eine so liebenswürdige ist wie hier. Diese bösen Ritter und diese im Kloster schmachtenden Frauen erscheinen uns heute, wenn unter Harnisch und geistlichem Gewände nicht echte und rechte Menschenherzen schlagen, wie die Figuren eines Marionettentheaters: hölzern und schablonenhaft. Ich habe mich vergeblich bemüht, in den Personen des Gedichtes wenigstens eine symbolische Bedeutung zu entdecken, wiewohl damit nur ein Fehler durch einen um weniges geringeren anderen verdeckt wäre. Meyer soll sich mit der Idee einer Umarbeitung tragen: ich denke, dieses Brich (das auch eines frömmelnden, amaran- thenen Hauches nicht entbehrt) bliebe besser als Jugendarbeit in seiner jetzigen Gestalt und die Kraft des Dichters würde nicht an einem so undankbaren Stoffe verschwendet werden. Das Idyll ist in prächtig dahinfließenden Versen geschrieben, besonders fallen die lebhaften und schönen Schilderungen der Alpen- welt aus. Die Gestalt „Engels" — des guten, mitleidenden, hilfreichen Menschenkindes — ist eine ebenso schön gedachte als durchgeführte: ihr Leben ist 24 ein immerwährendes Leiden und Entsagen, aber der Sterbenden rufen die Engclsscharen Willkommen zu! „Du hast den steilen Berg erklommen!" Die Worte, die ich „Engclberg" widme, sind zurückhaltend, weil ich den Werth der Dichtung im Verhältnisse zu den übrigen Schöpfungen Meyer's im Auge habe; im Uebrigen ist das Buch gewiß nicht schlechter und vielleicht besser als eine ganze Reihe „poetischer Erzählungen", mit denen neuere Dichter uns in letzter Zeit in übersreigebiger Weise beschenkt haben. Bedeutet „Engelberg" einen Spaziergang auf oft betretener Straße, so zeigt uns der Dichter in seiner größeren Dichtung „Huttens letzte Tage" Pfade, hie vor ihm Niemand gegangen und die nur er zu gehen im Stande ist. Es ist ein an sich geringfügiger, aber im Hinblick auf die Sympathien und Antipathien unseres Lcsepublikums ziemlich schwer in die Wage fallender Umstand, daß dieses Buch bereits zum fünften Male aufgelegt worden ist. Und keines der bekannten wirksamen Mittelchen hat Meyer in Anwendung gebracht, die einem Werke erfahrungsgemäß „die Herzen im Sturme erobern" und den Dichter zu „unseren Lieblingen" avanciren lassen; also keine Koketterie mit Archaismen, keine halb pikante, halb naiv thuende Erzählung, kein tönender Kling- klang, frei aller ermüdenden Gedanken. Das Publikum will freiheitliche Ideen nur in Leitartikeln, zum Frühstückstisch verkosten, schaut mit einer gewissen Bla- sirtheit und Ueberhebung auf ideale Menschen und Menschen mit Idealen; das steht vielleicht in Verbindung mit der in Mitteleuropa von Tag zu Tage wachsenden allgemeinen Rückenverkrümmung . . . Wir wollen darum die fünf Auflagen des Hütten nicht gering achten. Den Deutschen, den Dichter, den Denker und den Protestanten Meyer mußte der Huttenstoff reizen. So oft er bisher behandelt wurde, immer lag der Denker mit dem Dichter, die Poesie mit Tagestcndenzen arg im Streite. Das Leben Huttens ist ein ereignißreiches, aber Alles, was ihn trifft, ist nicht unmittelbare Folge einer inneren Entwickelung; es sind äußere Schicksalsschläge, die nicht die Sühne einer tragischen Schuld sind. Die Huttengestalt erwies sich daher spröde, so oft dramatische Dichter an sie herantraten. Für eine große Idee leben und kämpfen, Verfolgung leiden, vereinsamt sterben — das sind Momente, die alle Sympathien für die Person des Hütten wecken, „der gegen die üble Gewalt der Päpste und die ungeistliche der Geistlichkeit" zu Felde zog, aber ohne einen anderen, aus der Person des Helden hervorgegangenen Conflikt ist die Dramatisirung eben unmöglich. Auch die rein epische Behandlung bietet geradezu unüberwindliche Schwierigkeiten. Ein.e in sich geschlossene, in der Handlung fortschreitende Erzählung dieses Stoffes ist undenkbar, sie müßte verflattern oder im Sumpfe krassester Tendenzenmacherei stecken bleiben; es liegt so nahe, Parallelen zwischen dem Hütten von damals und dem Hütten unserer Tage zu ziehen, sich mit dem Gedichte in die Reihe der Kulturkämpfer zu stellen, aus der mittelalterlichen Tracht den Kopf eines Journalisten blicken zu lassen, der etwa über die Brad- laughaffaire, das Unfehlbarkeitsdogma und die Wunder der Louise Latcau prophetisch und pathetisch sich ausspricht. Glücklicher Dichter, der für den großen Inhalt auch stets die beste, ja hier die einzig mögliche Form zu finden wußte! Der irrende, verfolgte Hütten findet eine Freistatt auf der Insel Ufenau; mit der Landung hebt die Dichtung an, die aus Monologen Huttens, rein 25 lyrischen oder im Romanzenton gehaltenen, besteht. Wie die Tage kommen und gehen, bringen sie Erlebnisse, Stimmungen, Anregungen und wecken die Erinnerung an vergangene Zeiten; Hütten gedenkt der bedeutsamen Stunden seines Lebens, Zorn und Liebe, Haß und Kampflust, Lebensfreude und Todessehnen — was sein Herz heute bewegt oder aus der Vergangenheit im Herzen nachzittert, dem giebt er in Worten Ausdruck. Damit ist die Möglichkeit geboten, die Gestalt Huttens immer als eine heldenhafte, kämpfende zu zeigen, während ein Epos, welches Huttens Lebensgang Schritt für Schritt verfolgt hätte, in Monotonie versandet wäre und statt einer scharf ausgeprägten Individualität nur die blasse Gestalt irgend eines fahrenden Ritters des 16 . Jahrhunderts gezeigt hätte. Trotz dieser Form erscheint das ganze Gedicht, das Scherr ein heroisches Idyll genannt hat, einheitlich, wie aus einem Gusse. Daß auf Verhältnisse und Personen der geschilderten Zeit nicht in Noten hingewiesen wird, ist bei Meyer selbstverständlich; das Gedicht soll kein kulturhistorisches Privatissimum für den Leser sein, nicht das fremdartige der Hutten'schen Zeit, sondern das rein menschliche, das in allen Zeiten dasselbe ist, soll anregen und bewegen. Ohne Ängstlichkeit, aber doch mit voller historischer Treue spiegelt die Dichtung die geistige Strömung des humanistischen Zeitalters, alle Größen der Zeit tauchen gelegentlich auf, aber so, daß ihr Name oder ihre Gestalten aus der Erzählung selbst hervorgehen. Albrecht Dürer — an die kahle Wand seiner Stube nagelt Hütten des Meisters „Ritter Tod und Teufel": Mit diesen beiden Knappen reit — Ich auf des Lebens Straßen allezeit, — Bis ich den einen zwing' mit tapferem Sinn — Und von dem andern selbst bezwungen bin". Von Kopernikus hört er und fügt sich gerne der neuen Lehre: „Besser als ein König und allein — Jst's eines großen Ganzen Glied zu sein". Gegen Erasmus erhebt er seine Stimme und rührend und gerühret gedenkt er Martin Luthers; gewiß, die Verse, die ihm gewidmet sind, gehören zu dem Schönsten, was über Luther gesagt wurde: „Je schwerer sich ein Erdensohn befreit, — Je mächt'ger rührt er unsre Menschlichkeit. — Der selber ich der Zelle früh entsprang, — Mir graut, wie lang der Luther drinnen rang! — Er trug den Kampf in banger Brust verhüllt, — Der jetzt der Erde halben Kreis erfüllt. — Er brach in Todesnoth den Klosterbann — Das Große thut nur, wer nicht anders kann! — Er fühlt der Zeiten ungeheuern Bruch — Und fest umklammert er sein Bibclbuch. — In seiner Seele kämpft, was wird und war, — Ein keuchend hart verschlungen Ringerpaar. — Sein Geist ist zweier Zeiten Schlachtgebiet — Mich wundert's nicht, daß er Dämonen sieht!" Dann wieder wendet er sich mit dröhnenden Zornesworten gegen das Pfaffenthum und Rom, „oloaoa maxima", „das Weib, das mit sich handeln ließ — das man die allgemeine Kirche hieß". Ein Gast sucht die Ufenau auf,, ein unheimlicher Gast. Diese Scene ist von packender Gewalt; nicht besser konnte die Zeit mit ihren Kämpfen gezeichnet werden, als indem dem deutschen Ritter, der wider den Papst gestritten, der spanische Rittersmann gegenübergestellt wird, der dem Fanatismus Gesetze und Regeln — Ordensregeln — gegeben hat. Weltfremden, brennenden Auges blickt Loyola in seiner Kammer und betet: „Maria, makellos empfangne Magd, — Zu deinen Knie'n hab' ich der Welt entsagt! — Wo darf ich bluten? Gieb das Feldgeschrei! — Du deutest schmerzlich auf die Ketzerei! — Die Ketzer tötend, 26 doch den Sündern mild — Bekehren wir die Welt zu Deinem Bild . . " Wie ein Blitzstrahl erhellt Loyola's Auftreten, dessen Gestalt mit unnachahmlicher Energie gemeißelt ist, den Kampfplatz des Jahrhunderts, welches die Geister erwachen sah. Nicht der Dichter trägt mit grellen Farben die Tendenz auf, er läßt die Gestalten seines Buches reden und handeln, aber diese Verkörperung der Tendenz ist keine willkürliche: die Gestalten gehören der Geschichte an, und Meyer ist keinen Schritt vom Ueberlieferten abgewichen. Der Kampf, dessen Ende Hütten zu sehen geglaubt, als er Luther sah, wird weiter gekämpft werden, und schmerzlich klingen die Worte Huttens: „O Menschheit, qualen- voller Sisyphus, — Der seinen Felsen ewig wälzen muß! . . . Der Höllcn- sendling wird die Welt durchzieh»! — Was stieß ich nieder nicht im Beten ihn? — Vielleicht war's eine Ausgeburt der Nacht . . . Und doch, hätt' ich den Spanier umgebracht!" Der rücksichtslose, grausame Kampf! So eng ist Hwttens Herz nicht, so einseitig nicht sein Standpunkt, daß ihn die rohe Zerstörung schöner Gebilde, die seiner Gegner geheiligte Symbole sind, nicht schmerzlich rühren würde. Aber Krieg ist die Losung, und der Krieg Verscheucht die milden Stimmungen. Hütten sieht Männer mit schwieligen Händen eine Marienstatue stürzen: „Es war ein zart Gebild: — Die Magd Maria lächelte so mild — Und sah das grobe Volk so rührend an, — Als spräche sie: Was hab' ich euch gethan! — Man fühlte, daß ein Meister spät und früh — Daran gewendet lauter Lieb' und Müh'. — Zerstören was ein gläubig Herze schuf, — Erweckt von einem leisen Engelruf, — Vernichten eine fromme Schöpferlust, — Ein Frevel ist's! Ich fühlt's in tiefer Brust . . — Gebiet' ich Halt? Ich? Ulrich Hütten? Nein . . — Ihr Männer, stürzt das Götzenbild hinein!" Jeder Moment weckt die Kampfnatur Huttens von Neuem; er hört den Glockcnreigen in der Nacht, welche Deutung giebt er ihm? „Das Glöcklein sagt, daß dort so kläglich schallt, — Ein Päpstler steigt ins Grab, vergilbt und alt. — Das Glöcklein sagt, daß dort so fröhlich schellt: — Es kam ein kleiner Protestant zur Welt!" Aber Wehmuth erfaßt ihn, wenn er Deutschlands, des großen, zerrissenen Vaterlandes gedenkt: da wird seine Sprache am mächtigsten; er sucht sich tröstend dann die Zukunft auszumalen und jauchzend klingen die hoffnungsfrohen Worte: „Geduld! Was langsam reift, das altert spat! — Wann andre welken, werden wir ein Staat!" Dem starken Manne, der nur dem Leben gelebt, naht endlich die Schwäche des Alters, die den Tod kündet. Das trifft ihn, der dem Tode trotzen zu können geglaubt, unendlich schwer! Ein milder Abend aber glättet die Wogen seiner Seele, giebt ihm den Frieden wieder! „Wär' ich ein Jüngling voller Leidenschaft, — Beängstigt von der eignen Lebenskraft, — In Thränen löste sich, was bang und wild — Ein junges Herz bestürmt, vor diesem Bild. — Nun hab' ich handelnd meine Gluth gedämpft, — den Vesperfrieden hab' ich mir erkämpft, — Und schreite, wenn du Sonne dich entfernst, — Getrost durch diesen tiefen Abendernst. — In den gestrengen Zügen der Natur — Empfind' ich die verwandte Seele nur." Der Arzt hat ihm jede Hoffnung geraubt; sein Leben zählt nur nach Tagen noch: „Ich gab ihm das Geleite bis zum Kahn, — Dann stieg den Hügel langsam ich hinan. — Es war ein goldner Morgen im August, — Das zweite Gras gedieh mit Kraft und Lust! — Die ganze dichte blühende 27 Wiese klang — Und wogt' und schwirrt' und flattert', zirpt und sang. — Ich schritt in Halm und Blumen, überflammt — Bon süßem Sonnenlicht — zum Tod verdammt! — Da warf ich in die dust'ge Wiese mich, — Verbarg das Haupt und weinte bitterlich. — Und lange lag ich still im grünen Thal, — Mein eigen Bildniß oder Grabesmal!" Die Beichte nimmt er sich ab: er zeichnet sich in ihr selbst in seinem ganzen Kampsesungestüm, in seiner wilden, unbändigen Kraft, in seinem selbstlosen, edlen Eifer für die Wahrheit: „s'ist Christenbrauch, ich schlage mir die Brust: — Wer ist ein Mensch und ist nicht schuldbewußt? — Mich reut mein allzuspät erkanntes Amt! — Mich reut, das mir zu schwach das Herz geflammt! — Begabt in Fülle durch des Himmels Huld — Wie steh' ich tief in meines Volkes Schuld! — Da für mein Volk ich dann in Fehde trat, — Mich reut's, daß ich's nicht unerschrockner that! — Mich reut die Stunde, die nicht Harnisch trug! — Mich reut der Tag, der keine Wunden schlug! — Mich reut, daß ich nur einmal bin gebannt! — Mich reut, daß oft ich Menschenfurcht gekannt! — Mich reut — ich deicht' es mit zerknirschtem Sinn — Daß nicht ich Hütten stets gewesen bin." Der letzte Tag naht, das fallende Laub mahnt zum Abschied; wieder ein Bild von überwältigender Kraft in seiner edlen Einfachheit: Heut' klang ein Beil den ganzen Morgen laut, lind bis zum Abend fort. Der Schaffner baut. Ein Vordach nur, doch möcht' ich's gerne sehn, Jst's doch ein Werden, tst's doch ein Entstehn! Da war ein Zimm'rer, der es wacker trieb Und seinen Balken säuberlich behieb. In guten Treuen mühte sich der Mann, Daß ihm das Wasser von der Stirne rann. Am Abend kam der Zimmermeister leis, Mit langgelocktem Bart ein güt'ger Greis, Und rührt' den Knecht, der nimmer wollte ruhn, Die Schulter mahnend: „Lieber feire nun!" Jetzt ward die Stätte leer; ich aber schlich Hinaus und auf den Balken setzt' ich mich. Betrachtend das behaune Tannenstück, Dacht' ich an's eigne Tagewerk zurück . . . Ich starrte nieder, der Gedanken Raub, Da traf die Schulter mir ein fallend Laub. Mich schauderte, da ich das Blatt gespürt, Als hätte mich des Meisters Hand berührt Und mich gemahnt: Genug! Die Sonn' ist fern, Geh' ein du Knecht, zur Ruhe deines Herrn! Noch einmal zeigt sie sich ihm in ihrer ganzen Pracht, die Erde, deren treues Kind er war: „Ein Zug von Tagen, warm und wonniglich — Geleitet zu den Todesschatten mich. — So heiter glaubt' ich nicht davon zu zieh'n, — Der wilde Hütten fährt in Frieden hin. — Nicht allzu köstlich, reiche Erde, hast — Du mich bewirthet, Deinen armen Gast! — Nun nehm' ich Urlaub, und zur Scheidezeit — Erweisest Du mir alle Lieblichkeit, — Nun geh' ich, und Du sprichst mit leichtem Sinn: — Du wanderst, Hütten? Sieh, wie schön ich bin!" Im Purpurstrahle der scheidenden Sonne haucht Hütten seine große Seele 28 aus: „Ein langer, hagrer Ferge rudert dort . . . Hierher, es will ein Wand'rer fort! — Was hältst Du, Freund, mich an die Brust gepreßt? — Bin ich ein Sklave, der sich fesseln läßt? — Gieb frei! Gieb frei! Zurück! Ich spring' in's Boot ... — Fährmann, wer bist Du? Sprich! Bist Du — der Tod?" Das ist in raschen Zügen der Inhalt dieser großartigen, in ihrer Art einzig dastehenden Dichtung; aus den kleinen Bildern, deren jedes ein vollendetes Ganzes, ein Meisterwerk ist, setzt sich das große Gemälde zusammen; es wird eine einheitliche Dichtung trotz der Mosaikarbeit; lebendig tritt die eherne Gestalt des großen Humanisten hervor und mit ihm die alte Zeit, die er mit wuchtigen Schlägen zerstört, und die neue, deren erster Herold er gewesen. An die knorrigen Verse dieses Poöms muß sich das Ohr gewöhnen; ich gestehe, daß ich, nachdem ich es das erste Mal gelesen, den Eindruck hatte, als ob der Dichter mehr mit dem Worte, als mit dem Stoffe ringe; als ich das Buch aber zum zweiten und dritten Male zur Hand nahm — man wird nicht müde, die Bücher Conr. Ferd. Meyer's immer wieder von Neuem zu lesen — da erschloß sich mir die strenge Schönheit der Meyer'schen Dichtung. Nur diese .markige Diction bewahrt das Gedicht vor der drohenden Verweichlichung und naheliegenden Sentimentalitäten. Es steckt in ihm etwas Kantiges, Trotziges, roh Gezimmertes, nichts Polirtes oder Uebertünchtes. „Herb klingt mein Deutsch", und „Wie tief das Erz der deutschen Sprache dröhnt" dürfen wir mit Hütten rufen! Auf einen Wurf ist die Dichtung gewiß nicht entstanden; die erste Auflage enthält eine Reihe von Versen, die leichter hingleiten, voll glatter Wendungen. Meyer hat sie — mit Recht — unbarmherzig gestrichen, die das schöne Gleichmaß der Dichtung gestört. Am einschneidendsten hat Meyer dort Kritik geübt, wo der Politiker den Dichter bei Seite gedrängt hatte; der Meister der Objectivität mußte herausfühlen, daß ein politistrender Hütten die Dichtung zerreiße; auf billige Schlager und noch billigere Prophezeiungen kann der echte Dichter Verzicht leisten. Aus dem Zusammenhang gerissen berühren uns die schönen Verse freilich äußerst sympathisch: „Es ist mir schwer, für mein Geschick zu fleh'n; — Für's Vaterland wird mir's von Herzen geh'n! — Verleih' uns Herr ein evangelisch Haupt, — Von unserer alten Kaiserzier umlauht! — Wels, Wittelsbacher, Zollern gilt uns gleich, — Kommt er ein Ritter nur dem deutschen Reich!" In „Hultens letzte Tage" hat Meyer wohl sein eigenes Glaubensbekenntniß niedergelegt; aber diese Subjectivität schlägt der historischen Treue nicht in's Gesicht und man kann nicht behaupten, daß ein Kind des 19. Jahrhunderts nur die Maske Huttcn's vor das Gesicht genommen, daß dieser Hütten ein moderner Freigeist sei; der Dichter und die Gestalt, deren ureigenster Gesinnungen Dolmetsch er war, sind eben congeniale Naturen, und der Kampf, in welchem Hütten seine Kraft eingesetzt, ist auch heute noch nicht ausgekämpft. Die Scgensworte, die Meyer seinem Helden in den Mund legt, sie sind in ihrer Tendenz auch des Schweizer Dichters Zuruf an das deutsche Volk; diese Verse voll inniger Empfindung habe ich in der neuen Bearbeitung der Dichtung ungern vermißt: Heimat, aus der ich, hart verfehmt, entwich, Mit laut erhvb'uer Stimme legn' ich Dich! Ich segne Dich, Du schroffe deutsche Stirn, 29 Die Du nach Licht verlangst, wie dort die Firn! Du Geisterheimat, mein germanisch Land, Ich segne Dich mit kampfesmnder Hand! Dein Wesen bleibe lauter, tief und klar, Wie dieses Alpenwasser immerdar! Vergiß nicht, Deutschland, wer dem Hütten bot Die letzte Freistatt und das letzte Brod! Ich bin zu arm zu einem Gastgeschenk, So bleibe meiner Schuld Du eingedenk! Spiegelte sich die Gestalt des Dichters in seinen poetischen Werken, so müssen wir von ihr Abschied nehmen, wenn wir das Gebiet seiner Prosawcrke betreten; der Dichter tritt zurück und läßt nur die Personen, die durch seine Romane und Novellen gehen, sprechen und handeln; mit keiner hat er sich iden- tificirt, keiner seine eigenen Züge geliehen. In der Einschiebung persönlicher Züge in die Darstellung, die in deutschen Romanen so häufig zu Hause ist, liegt nicht nur dichterisches Unvermögen, sondern auch ein gut Stück Eitelkeit; die idealen Helden deutscher Romane sind Selbstporträts selbstgefälliger Autoren- Meyer ist ein scharfer Beobachter, ein Menschenkenner,, der sich seine Gestalten nicht willkürlich construirt. Gewiß, er schöpft aus seiner Phantasie und aus dem Gemüthe, aber nicht sein Gemüth läßt er zu Worte kommen; die Begebenheiten wirken durchwegs unmittelbar, der Erzähler weist nicht, wie auf besonders hervorragende Kunststücke der Ausrufer vor der Schaubude, auf be- merkenswerlhe Ereignisse im Leben seiner Helden hin. Der Schauspieler im „Hamlet", der zu weinen anfängt, als er Hekubas Tod dcclamirt, erhöht vielleicht dadurch die Wirkung seines Vortrags; den Erzähler aber darf das, was er erzählt, nicht rühren, seine Person muß dem Leser fremd bleiben, die Begebenheiten müssen sprechen, nicht der Dichter darf für sie das Wort führen, wie es Spcidel schön umschreibt: „Der Erzähler soll mit seiner Laterne Alles beleuchten, nur nicht sich selbst!" In solcher Objektivität ist unser Dichter Meister, wie kein zweiter deutscher Romanschriftsteller; er selbst tritt mit dem Leser nie in Rapport; nicht durch Anreden, die nicht einer Person des Romans, sondern dem Erzähler gehören; kein Ausruf des Mitgefühls am Schicksale seiner Helden, keine direct an den Leser — „gleichsam hinter dem Rücken der Romanpersonen" — gerichtete Erklärung oder Motivirung psychologischer Vorgänge stört den Fluß der Handlung; noch weniger tritt er vor, um das Publikum mit kulturhistorischen Daten, den Früchten mühsamer Studien bekannt zu machen. Keine Noten, keine Anmerkungen und selbstredend auch nicht Abgeschmacktheiten, wie sie beispielsweise in einem viel gelesenen historischen Romane vorkommen, in welchem der Erzähler von den Mauern Ravenna's also spricht: „Und diese Mauern! noch jetzt erfüllen ihre gewaltigen Reste mit Staunen; ihre colossale Dicke und die Anzahl von starken Rundthürmen, welche von ihren Zinnen noch heute (1863) aufsteigen" u. s. .w. Solche Beziehungen auf die Gegenwart, welcher Art sie auch sein mögen — politisch, kulturhistorisch, topographisch — sind nichts anderes, als ein Vortreten des Autors, welches das Gewebe der Erzählung roh zerreißt. Derlei Anspielungen sind nur im humoristischen oder humoristisch angehauchten Romane am Platze; so wird es Niemand stören, wenn Scheffel anhebt: „Es war vor beinahe tausend Jahren; die Welt wußte weder von Schieß- pulver noch von Buchdruckerkunst" oder: „Es war ein wundersames Bild, wie 30 es vor und nachmals in des Klosters Geschichte nicht wieder vorkam, und ließen sich von Freunden unnützer Worte an den Mönch, der die Herzogin trug, ersprießliche Bemerkungen anknüpfen, über das Verhältniß der Kirche zum Staate in damaligen Zeiten und dessen Aenderungen in der Gegenwart." Aber man wird schon ein Wort des Bedenkens haben, wenn Freytag — dem freilich, wie jedem echten Dichter, jede Verletzung theoretischer Romanregcln gerne verziehen wird — immer wieder, wenn auch in liebenswürdiger Weise, seine Personen selbst anredet: „Was thust Du, Sabine? Dieses Haus ist ein gutes Haus, aber es ist keines, wo man poetisch fühlt und sich leicht rühren läßt. . Es ist ein nüchternes, prosaisches Haus! Und es ist ein stolzes und strenges Haus! Denke daran! Kein zärtlicher Willkomm wird es sein, zu dem Du Deinen Freund führst." Selbst im Ich-Roman, dessen Form Meyer besonders liebt, weiß er die Objectivität zu wahren. Hier stellt sich als Erzähler eine Person des Buches vor, die entweder an der Handlung unmittelbar betheiligt ist, möglicherweise als Hauptperson die Geschicke ihres Lebens schildert, oder als nächster Zeuge der Begebenheiten, diese selbst nur wenig beeinflußend und nur im Seelenleben, nicht in ihrem Lebenslaufe von ihnen beeinflußt, erzählt oder endlich die Fabel — wie Dante in der „Hochzeit des Mönchs" — selbst erfindet und vorträgt. Im ersten Falle — so in der kleinen Novelle „Das Amulet" — gehören Bemerkungen und Reflexionen der erzählenden Person, wie diese selbst, in den Rahmen der Handlung und bilden gewiß keinen Verstoß gegen das Gesetz der Objectivität. Die Farben können lebhafter aufgetragen, psychologische Processe breiter und eindringlicher motivirt werden, da der Erzählende sein eigenes Empfinden blvßlegt. Ob der Dichter nicht zuweilen sein Denken dem Erzähler geliehen, muß sich aus der größeren oder geringeren Einheitlichkeit im Charakter der erzählenden Person ergeben; eine Jnconscquenz der Charakter!sirung, welche die Consequenz mangelnder Objectivität sein müßte, finden wir bei diesen Gestalten der Meyer'schen Novellen nicht. Wenn in dem zweiten der angeführten Fälle der Dichter den bloßen Zeugen der Handlung, der dem Leser nur referirt, auch urtheilen läßt, so ist es sehr fraglich, ob er ihm dabei seine eigenen Anschauungen und Empfindungen unterlegt; der Arzt Fagon in „Leiden eines Knaben" und Poggio in „Plautus im Nonnenkloster" haben allerdings geistige Züge, die Meyer nicht fremd sind; der Eine, der die Jesuiten aus tiefster Seele haßt und seinem Hasse die leidenschaftlichsten Worte leiht, der Andere, der die Wunder in der katholischen Kirche ironisirt und sich muthig gegen die Unnatur des Klosterzwanges wendet, sie sind Gestalten voll eigenen Lebens, selbstständigc, eigenartige Charaktere; künstlerisch genommen sind sie nur mit diesen Gesinnungen — die übrigens die jedes denkenden und ehrlichen Menschen sind — denkbar, für die Wirkung der Erzählung geradezu unentbehrlich. Die Illusion wäre zerstört, wenn der Dichter der in objectiver Form vorgetragenen Erzählung seine Ansichten einflechten würde; Fagon und Poggio sind, wenn sie auch nicht Personen der eigentlichen Handlung sind, für den Fortgang der Erzählung unumgänglich nothwendig, und dadurch, daß sie völlig ausgemalt und nicht etwa — wie es mit solchen Erzählern in anderen Romanen und Novellen so oft geschieht — nur schablonenhaft mit einigen conventionellen Strichen gezeichnet sind, fugen sie sich 31 so kräftig in die Handlung selbst ein, daß der Leser in ihnen nie und nimmer den Dichter des Buches suchen und finden wird. Die Ansicht Adolf Stern's daß Meyer seinen Lesern nicht Phantasie, nicht Feinfühligkeit, nicht nachsinnendes Urtheil genug zutraue, als daß sie von selbst die interessanten und wichtigen Consequenzen ziehen könnten, welche sich aus seinen Erfindungen ergeben und daß die Erzähler der Fabel in seinen Novellen nur gut instruirte Führer für das lesende Publikum sind, halte ich nicht für richtig; wäre sie es, dann könnten die Erzählungserzähler als Personen des Buches auf den Leser unmöglich einen Eindruck hervorbringen, blieben ihm fremd, oder er würde sie sofort mit dem Dichter idcntificiren. Diese Wirkung nun übt keine der Meyer'schen Novellen. Die erzählende Person gehört der Zeit an, in welcher die Erzählung spielt; sie stört durch ihr Vortreten das Kolorit und die Einheitlichkeit der Structur der Erzählung nicht nur nicht, in beiden Richtungen wird die Wirkung durch sie meines Erachtcns noch erhöht; sie bildet eine Art Chor, aber einen solchen, der selbst in Verbindung mit den handelnden Personen steht. Meyer charakte- risirt sie nicht weniger sorgfältig, als diese, und ihre Lebensschicksale sollen, wenn sie auch nur angedeutet sind, des Lesers Interesse erregen- Sie sind wie in einer pcrspectivischcn Zeichnung die blasser gezeichneten, in der zweiten und dritten Reihe stehenden Gestalten. Der Dichter verfolgt mit ihnen — am deutlichsten tritt dieses im „Heiligen" hervor — einen besonderen künstlerischen Zweck; sie sollen in geistiger Richtung von ihm ganz und gar verschiedene Personen sein; der Dichter vertraut dem Leser, dessen Urtheil auch das seine ist, doch will er zeigen, wie sich die Ereignisse der Erzählung in einer Person der geschilderten Zeit spiegeln, einer Person, die nur das Sinnfällige auf sich wirken läßt; der Dichter selbst, welcher der Zeit und Gedankenrichtung des Lesers angehört, ergreift das Wort niemals. Meyer will durch diese kunstreiche Verschlingung zweier Fabeln keineswegs die strengen Gesetze der Objeclivität umgehen; diese Form seiner Novellen wird vor jeder vernünftigen Theorie bestehen. Nur in dem letzten der angeführten drei Fälle der von Meyer so bevorzugten Novellenform tritt der Erzähler im Buche, welcher der erzählten Geschichte vollkommen fern steht, mit Raisonnements vor und hier — aber auch nur in diesem Falle — könnte der Vorwurf mangelnder Objeclivität im „Ich-Roman" vielleicht einen Schein von Berechtigung haben. Dante erfindet und erzählt die Geschichte von der „Hochzeit des Mönchs", er begleitet sie mit seinen Bemerkungen, urtheilt, lobt und verurthcilt. Aber dieser Rahmen der Erzählung: Dante und der Kreis, vor welchem er spricht, steht auch hier nicht außerhalb des vollen Interesses des Lesers; er ist mit ungemeiner Sorgfalt ausgeführt, die Personen desselben stehen lebendig vor uns und beschäftigen uns nicht weniger, als die Personen der Dante'schen Erzählung; in dem Augenblicke aber, da dieses Zugcständniß gemacht wird, hat man auch das Verhältniß der beiden in einander geschachtelten Erzählungen zu einander derart verschoben, daß die eine nicht mehr als die bloße Staffage der anderen angesehen werden, und nicht mehr behauptet werden kann: Dante ist die Maske, die sich der Dichter vorhält, um ungckannt den Leser auf das Richtige und Wichtige zu verweisen. Die objective Darstellungsweise Meyer's hat die lebenswahre Zeichnung seiner Gestalten zur Folge; er findet und erfindet seine Helden, immer aber erfindet er das Wesen ihres Charakters, er will Romane und Novellen geben. 32 nicht aber alte Chroniken oder interessante Kapitel der Weltgeschichte ängstlich umschreiben. Sollen nun die Gestalten nicht den Stempel der Unwahrschein- lichkeit oder gar der Unwahrheit tragen, so muß die Phantasie des Dichters eine bestimmte Grenze finden; sie ist bei Meyer weit genug gezogen, das Phantastische schließt sie aus. Gestaltungs- und Beobachtungsgabe halten sich die Wage, was nirgends ist und niemals war, das findet auch in Meycr's Büchern keinen Ausdruck. Das heißt aber nicht, daß er nur historische Stoffe wählt; eine ganze Reihe seiner Novellen sind gewiß völlig freie Erfindung; ihrem Stoffe angemessen haben sie das Gewand der historischen Erzählung umgeworfen, und mit solcher Eindringlichkeit und Naivetät weiß der Dichter zu erzählen, daß man keinen Augenblick an der historischen Echtheit seiner Erzählungen zweifeln kann. Damit stellt der Leser aber unbewußt der Objeclivität des Dichters das glänzendste Zeugniß aus. Der Ausspruch Carrisres: „Die epische Kunst ist die Wiedergeburt der Plastik innerhalb der Poesie" hat, auf die Romane und Novellen Meyer's angewendet, volle Berechtigung. Alle Gestalten seiner großen Historienbilder, welche im vollen Lichte ihrer Zeit stehen, sind plastisch, von packender Wahrhaftigkeit. „Der dichterische Gedanke wird bei Meyer zum lebendigen Bilde." Die Charak- lerisirung ist nicht, wie bei den modernen Romanciers der realistischen Schule, eine mosaikartige, aus unendlich vielen kleinen Zügen zusammengesetzte. Der ganzen Art Meyers würde dieß widersprechen; er charakterisirt in großen, kühnen Zügen, seine Gestalten entwickeln sich in und an der Handlung. Darum wohl haben alle seine Romane und Novellen einen bedeutenden dramatischen Zug und unschwer ließen sie sich in Dramen umsetzen; in „Jürg Jenatsch" sind die Linien des Dramas förmlich vorgezeichnet. Dem Gepräge der Meyer'schen Darstcllungsweise, die sich, wie ich zu zeigen versuchte, zu „Bild" und „Stimmungen" verdichtet, entspricht es, daß dem Dichter vor Allen dämonische, kraftvolle, leidenschafterfüllte Menschen, sowie traumhafte, in sich versunkene Naturen in glänzender Weise gelingen; wie in seinen Balladen so wählt er auch hier am liebsten Männer der That, des energischen Willens, dann aber auch die Entsagenden und Leidenden zu seinen Helden. In „Jenatsch" ist auf der einen Seite die Rücksichtslosigkeit heißester Vaterlandsliebe, auf der anderen Seite die ungestüme Macht der glühenden Liebe eines großherzigen Mädchens mit blendenden Farben gezeichnet. Eine Reihe von Gestalten, mit der Miiriyrerkrone auf dem Haupte, zieht an uns vorüber; die erhabenste ist die des „Heiligen", die rührendste die des unglücklichen Knaben, dessen Leiden so überzeugend wahr geschildert werden. Die überwältigende Kraft des Meyer'schen Charaktcrisirungs- vcrmögens mag der Leser des „Jenatsch" und der „Hochzeit des Möncks" beurtheilen, wenn er die Gestalten der Lucia und der Antiopc in's Auge faßt; beide haben sich in sein Herz geschmeichelt — mit Worten? Nein, Lucia spricht kein Wort, die keusche Anliope nur wenige Sätze; und doch, wie menschlich nahe sind uns beide gerückt, wie groß ist der Zauber ihrer Persönlichkeit! Man darf aber sagen: es giebt unter den Figuren der Meyer'schen Romane keine, die einer zweiten gleichen würde; selbst den Episodisten wendet er gewissenhafte Aufmerksamkeit zu, sie alle haben voll pulsirendes Leben; Statisten mit ein paar stehenden Redensarten kennt er nicht, (— obwohl die Kritik solche Personen, wenn nur das Schlagwort, das sie beständig im Munde führen, 33 recht ausgefallen ist, „humorvoll, dem Leben abgelauscht" nennt —); es ist ihm eben alles Conventionelle verhaßt. Darum haben auch seine Landschaftsschilderungen einen besonderen, eigenartigen Reiz, auch sie werden zu plastischen Bildern, die nicht minder fesseln, als Personen und Verhältnisse: Meyer, der bei Goethe in die Schule gegangen, ist ein Meister des Sehens. Das Kolorit der Zeit, die er schildert, trägt er treu, aber nicht aufdringlich auf; es gehört fraglos zum vollen Verständniß einer bestimmten Epoche; aber der historische Roman soll sich nicht in archäologische Großthuereien Verlieren, die innere Wahrhastigleit, nicht die äußere bleibt das Wesen des Romans. Dort freilich, wo der Erzähler nichts anderes als die wortreiche Paraphrase einer historischen Begebenheit giebt und Personen und Begebenheiten nicht, wie bei einem erfundenen Stosse verinncrlicht, da wird das Beiwerk bald zur Hauptsache. Die Treue des historischen Kolorits und das Maßvolle in der Austragung desselben lassen die Meyer'schen Historien in romantechnischer Hinsicht höher stehend erscheinen, als die Freytags, — jene Dahn's und Ebers' kann man mit ihnen überhaupt nicht in eine vergleichende Linie bringen. Im Uebrigen: jede Romantheorie zerschellt an einer echten Dichtung, wenn diese sich auch den Teufel um die „Gesetze des Romans" kümmert. Freytag ist ein Dichter, selbst wo er das künstlerische Maß aus den Augen verliert, Meyer ist ein Dichter, aber nicht etwa deßhalb, weil er — bewußt oder unbewußt — die höchsten romantechnischen Anforderungen der Theorie erfüllt. Noch stärker als in den Gedichten tritt das charakteristische Gepräge der Meyer'schen Darstellungsweise in seiner Prosa hervor. Die Sprache erschließt sich ihm in eigenartiger Form, aber auch in blendendstem Glänze; er meistert sie, nirgends hat er sie vergewaltigt. In so keuscher Reinheit, in so edler Festigkeit, in so bestrickender, reifer Schönheit, in so strengen, klassischen Formen ward die deutsche Sprache von Wenigen beherrscht; kein lebender deutscher Dichter kommt solcher Meisterschaft auch nur im Entferntesten nahe. Meyer's Werke zu lesen, wieder zu lesen und zu verbreiten — das ist der beste „Allgemeine deutsche Sprachverein." Der Dichter kennt den Geist der Sprache, ihren mächtigen Herzschlag, er versteht und deutet ihre leisesten Regungen. Den grollenden Donner des Zornes, die weichen Töne schmeichelnder Liebe, das heisere Wuthgeschrei der Rache, die stille Größe der Entsagung, den wilden Trotz dämonischer Leidenschaft, und die hingebungsvolle Liebe eines reinen Herzens — mit gleicher, unnachahmlicher, meisterhafter Vollendung weiß er alle Töne dem Instrumente der Sprache zu entlocken. Jedem Wortgeklingel, jener beliebten, von Heine zuerst gepflegten Art der poetisirenden Prosa, welcher der einschmeichelnde Tonfall der Worte Alles bedeutet, geht er immer aus dem Wege, und doch wird nie ein unebenmäßiger Ton den Rhythmus seiner Worte stören. Man vergleiche den Schluß eines Spielhagen'schen mit dem eines Meyer'schen Buches; welcher Aufwand von tönenden Worten dort, ein letzter, voller, dröhnender, nicht immer große Gedanken einschließender Rhythmus, hier maßvolle Zurückhaltung, ein stilles, fast bescheidenes Ausklingen, das aber eine künstlerische, kräftige Wirkung übt. So in der „Hochzeit des Mönchs": Dante hat die Geschichte seinen Hörern erzählt, noch sind sie — und mit ihnen der Leser — erschüttert und ergriffen von der Gewalt der letzten Scenen, die der Erzähler mit dramatischer Lebendigkeit cinherstürmen ließ; der Erzähler und 3 34 der Dichter aber stehen über dem Stoffe: „Dante erhob sich. Ich habe meinen Platz am Feuer bezahlt, sagte er, und suche nun das Glück des Schlummers. Der Herr des Friedens behüte uns Alle. Er wendete sich und schritt durch die Pforte, welche ihm der Edelknabe geöffnet hatte. Aller Augen folgten ihm, der die Stufen einer fackclhcllen Treppe langsam emporstieg." Wir halten den Athem an und auch unsere Augen folgen dem leibhaftig vor sie gebannten großen Florentiner. Manchmal läßt Meyer seine Erzählung noch harmloser (in der Form) austönen. Der Zitherspieler legt, nachdem er den letzten Ton angeschlagen, die Hand auf die Saiten, um das Nachklingen zu verhindern. In vollen Akkorden rauscht die letzte Scene in „Jürg Jenatsch" einher — plötzlich legt der Dichter die Hand auf die Saiten seines Instrumentes und endet mit einem kurzen, abspringenden Tone: „Als das erste Entsetzen vorüber war und die Verwirrung der Gemüther sich löste, kamen die Häupter der Stadt eines nach dem anderen in die Todtenkammer und klagten um Bündens größten Mann, seinen Befreier und Wiederhersteller. Sie verzichteten darauf die Urheber seines Todes, die ihnen als die Werkzeuge eines nothwendigen Schicksals erschienen, vor Gericht zu ziehen. Keine neue Parieiung und Rache sollte aus seinem Blute entstehen — er hätte es selbst nicht gewollt. Aber sie beschlossen, ihn mit ungewöhnlichen, seinen Verdiensten um das Land angemessenen Ehren zu bestatten." Teophil Zolling hebt die Vorliebe Meyer's zu Anthitesen hervor; sie zeigen sich in der Gegenüberstellung der Gestalten in seinen Balladen und Novellen: der Leidenschaft weiß er die Gegenleidenschast, dem Abtrünnigen den Treuen, dem Leidenden den Bedrückenden, der Ruhigen und Verschämten die Stolze und Selbstbewußte entgegenzustellen. In gleicher Weise liebt er die Aneinanderreihung contrastirender Worte; er erhöht dadurch die wechselvolle Lebendigkeit der Sprache, die bei aller äußeren Ruhe innere Bewegtheit erlangt, und reißt den Leser von einem Gedanken zum anderen, von einem Bilde zum andern fort. Ob das ein französischer Zug ist, ist schwer zu sagen; mir scheint die Darstellungsweise Meyer's mit ihrer klassischen Ruhe und Hoheit, die in Wort und Gedanken einen hervorragenden Ordnungssinn veranschaulicht, durch und durch deutsch zu sein; ängstlich geht er jedem rohen Effekte aus dem Wege, sucht für die tragischesten Situationen, die erschütterndsten Begebnisse die schlichtesten Accente, die einfachsten Worte; er liebt es nicht, in künstlicher (nicht künstlerischer) Weise, Spannung hervorzurufen oder nur durch tönende Worte anzuregen. Stets bleibt er der naive Epiker. In der Schilderung liebt Meyer das Farbenprächtige, aber in künstlerischer- Zusammenstellung; aus der einen Seite Reinbrandt's Helldunkel, das Jneinander- spielen von Licht und Schatten, auf der anderen Seite der helle Farbenreichthum eines Rubens, blendend, aber geistig durchwärmt; die Muth des Feuers, nicht verpuffendes Feuerwerk. Roth in Roth zu malen, liebt er nicht; das Unvermittelte, Grelle, Abspringende, Seelenlose ist ihm unkünstlerisch. Immer weiß er Maß zu halten, zu dämpfen und abzutönen, und zeigt auch den Meister, wenn er gebrochene Farben aufträgt. Nie begnügt er sich mit der bloßen Zeichnung, mit Contouren ohne Farbe, er denkt mit Goethe: „Alle Darstellung der Form ohne Farbe ist symbolisch, die Farbe allein macht das Kunstwerk wahr, nähert es der Wirklichkeit." — 35 Die umfangreichste Dichtung Conrad Ferdinand Mcyer's ist „Jürg Jen ätsch"; Meyer nennt sein Buch, das ein echter und rechter Roman ist, „eine Bündnergeschichte". Wollte er ein Buch, das sich in seinen äußeren Umrissen vollkommen an die historische Ueberlieferung hält, nicht einen Roman nennen? Aber „Jürg Jenatsch" ist trotz seines politischen Untergrundes doch vor Allem ein Seelengemälde, und ich denke, daß die zurückhaltende, in gewisser Hinsicht bescheidene Bezeichnung gewählt wurde, weil sie in jeder Beziehung bezeichnender ist. Wenn der historische Roman nicht nur ein großes Zeitbild entwirft, sondern auch und vor Allem menschliche Conflikte, die nicht unbedingt an die geschilderte Zeit gebunden sein müßten, in seinen Rahmen bannt, dann ist er dem modernen Romane völlig ebenbürtig; natürlich darf er die dichterische Form nicht aus den Augen verlieren; denn auch die Geschichtsschreibung zeigt „welthistorische Charaktere in ihrer Entwicklung durch ihr Wirken, ihren Einfluß auf die Verhältnisse ihrer Zeit und die Einwirkung der Verhältnisse auf sie", auch sie entwickelt an großen Männern die großen Gedanken ihrer Zeit; aber sie sucht die Wahrheit, nicht die Schönheit: die Phantasie ist der Todfeind der historischen Darstellung. Der Roman muß Personen und Dinge veranschaulichen, die psychologische Folgerichtigkeit in den Handlungen seiner Personen klarlegen. Die Geschichte weist eine Reihe räthselhafter Naturen auf: bemächtigt sich ihrer der Roman, dann muß er die Räthsel in natürlicher Weise zu lösen suchen. Eine räthselhafte Gestalt ist für die Geschichte Jürg Jenatsch. Ein protestantischer Pfarrer, stand er an der Spitze der protestantischen Partei in Bünden; saß im blutigen „Strafgerichte zu Thusis", das die Leidenschaften noch stärker aufwühlte, die Gegensätze zwischen Protestanten und Katholiken noch schärfer zuspitzte. Als die katholische Partei die Oberhand gewann, mußte Jenatsch flüchten. Der Geächtete drang aber auf Schloß Riedberg ein und tödtetc dort den Pompejus Planta, den Führer der Katholiken. Dann verließ er seine Heimath, trat in Mannsfeldische, später in französische Kriegsdienste, bis er mit dem französischen Heere an der Seite des Feldherrn Herzogs Rohan nach Bünden zurückkehrte. Als aber die Franzosen dem kleinen Lande die alten Grenzen und die alte Freiheit zu geben sich weigerten, wendete sich Jenatsch zu der ehemals so gehaßten katholischen Partei, schwur seinen Glauben ab, rief als Katholik die Spanier herbei und bewirkte den Abzug der Franzosen, seiner früheren Freunde, aus. Graubünden. Mit der Geschicklichkeit eines zünftigen Diplomaten leitete er für sein Vaterland die Verhandlungen und errang ihm endlich die volle Unabhängigkeit. Auf dem Gipfelpunkte diktatorischer Macht angelangt, wurde er von politischen Gegnern, an deren Spitze des getödteten Pompejus Planta Tochter stand, erschlagen. Aus den ersten Blick wird es klar, daß der Roman eine bedeutende Verschiebung der Motive vornehmen mußte; so anziehend auch die trotzige, gewaltthätig« Gestalt des Jenatsch für die Darstellung sein muß, sie ist von dem Gewirre politischer Kämpfe, in deren Mittelpunkt sie steht, nicht zu trennen und die verschlungene Politik des Diplomaten kann keinen Vorwurf für einen Roman abgeben; den Helden der mit dem Schwerte d'reinhaut, läßt man sich gefallen, den Meister politischer Schachzüge, der Intriguen zettelt und mit geschickter Hand die überfeinen, sich tausendfach durchkreuzenden Fäden der Politik, dazu 8 * 36 der Politik eines kleinen Landes, lenkt, will man als Romanhelden kaum gelten lassen. Die Politik mußte somit zurückgedrängt und das persönliche Moment in den Vordergrund geschoben werden. Dabei stieß der Dichter sofort auf eine andere Schwierigkeit, die mit der geschichtlichen Figur des Jenatsch verbunden ist. Die leidenschaftliche, in jeder Hinsicht rücksichtslose Natur des großen Bündners mußte in ihrer Entwickelung, nicht unvermittelt als die eines merkwürdigen Menschenkindes gezeigt werden, an einer großen Idee mußte sich das Leben des Jenatsch emporranken, seine wechselvollen, mit einander in Widerspruch stehenden Thaten mußten in ursächlichem Zusammenhang gebracht werden. Ist es nun dem Dichter gelungen, den Preis der blutigen Kämpfe aus den politischen Hüllen herauszuschälen, ihn volksthümlich zu machen, hat er die tausend Züge der Politik des Jenatsch in einen großen, mächtigen Strom geleitet, und hat er die Idee, für deren Verwirklichung er Jenatsch kämpfen läßt, so groß nnd so bezwingend darzustellen gewußt, daß Jenatsch trotz seiner gewaltthäkigen Natur unserer Sympathie, trotz seiner an sich widerspruchsvollen Handlungen unserem Verständniß nahe gebracht erscheint? Die geniale Hand des Meisters hat alle Härten des Stoffes in dem Romane ausgeglichen. Jenatsch liebt sein Vaterland mit schrankenloser Liebe, das Vaterland frei und glücklich zu wissen, ist ihm das höchste Ziel; was sich der Erreichung dieses Zieles in den Weg stellt, wird erbarmungslos erdrückt, gleichviel, ob dabei Blut in Strömen fließt, ob er der Freundschaft und Güte mit Härte und Feindschaft lohnen, ob er Herzen brechen, ja selbst sein eigenes Wesen verrenken muß. An der Vaterlandsliebe baut sich sein Charakter auf, sie soll der Grundzug seines Wesens, der Anstoß seiner Thaten sein. Er selbst, sein edler Theil, sein Glück gehen darüber zu Grunde, aber nicht um seine Person ist es ihm zu thun; losgelöst von ihrer Zeit und den Verhältnissen, die sie beeinflußt, mögen solche Naturen kalt, rauh, abstoßend erscheinen, aber sie verwachsen mit der Geschichte ihres Landes, das sie als Helden preist. Doch der Dichter fragt sich, ob es so allgemein giltig ist, daß im Widerstreite der Pflichten die Pflicht, dem Vaterlande mit allen Kräften und Mitteln zu dienen, die erste ist und immer sein wird. Er fühlt ganz wohl, daß selbst das Dämonische der Gestalt des Jenatsch, der nicht aus Herrschsucht, sondern aus der Güte und Großheit seines Herzens heraus, aus grenzenloser Vaterlandsliebe zu grausamer Härte getrieben wird, nicht hinreicht, das volle Verständniß für diese Gestalt zu wecken, daß der Roman doch noch eines starken, persönlichen Motivs bedarf, um die Thaten Jürg's zu erklären; dieses Motiv muß in engeren Grenzen liegen, allein es muß ein ursprüngliches, allgemein menschliches sein, während der Patriotismus vielleicht Frucht der Reflexion ist. Dieses Motiv nun vermittelt der Dichter durch eine Gestalt von unbeschreiblichem Zauber; sie gehört zu jenen Gestalten, die man nie wieder vergißt: Lucia ist Jürg's Gattin, sie hat Eltern und Geschwister verlassen, den Glauben abgeschworen, um ihm gehören zu können; um ihrer Liebe willen liebt sie Jenatsch, sie ist ihm Weib und Kind zugleich. Da bricht der Aufstand, von fanatisirten Katholiken angefacht, wieder los, und eines der ersten Opfer ist die unschuldige, keusche Lucia; die Kugel des Bruders, dessen Geist von religiösem Wahnsinn umnachtet ist, streckt das schöne, stille Weib darnieder. Diese Scene ist von packender Gewalt, mit Recht sagt Julian Schmidt, sie sei mit Shakespeare'- 37 scher Kraft durchgeführt. In dem Zimmer Jürg's sind die Freunde versammelt: protestantische Pfarrer und Heinrich Waser, Jürgs Jugendgenosse; es war Abend. „Unterdessen war der Mond aufgegangen und überrieselte draußen die Krone der Ulme und die schwere Blätterdecke der Feigenbäume mit Hellem Lichte; aber nur eine spärliche Helle drang durch die kleinen Fenster in das breite, tiefe Gemach und schattete ihre massiven Gitterkreuze auf dem steinernen Fußboden ab. Lucia stellte die italienische eiserne Oellampe auf den Tisch und entfachte, die Dochte in die Höhe ziehend, drei helle Flämmchen, die auf ihr über das Geräth gebeugtes liebliches Antlitz einen rothen Widerschein warfen. Der unschuldige Mund lächelte, denn die junge Veltlinerin war freudig bereit, mit ihrem Manne, auf dessen starken Schutz sie unbedingt baute, aus der Heimath wegzuziehen. Waser, dessen Blick von der warm beleuchteten Erscheinung gefesselt war, betrachtete mit Rührung diesen Ausdruck kindlichen Vertrauens. Da stürzte plötzlich die Ampel klirrend auf den Boden und verglomm. Ein Schuß war durch das Fenster gefallen. Die Männer sprangen allesammt auf und zugleich sank das junge Weib ohne Laut zusammen. Eine tödtliche Kugel hatte die sanfte Lucia in die Brust getroffen. Schaudernd sah Waser das schöne sterbende Haupt, auf welches das Mondlicht fiel und das Jcnatsch, auf den Knieen liegend, im Arme hielt. Jürg weinte laut. Während der Pater bemüht war, die Lampe wieder anzuzünden, hatte Blasius Alexander seine Büchse ergriffen und schritt ruhig in den mondhellen Garten hinaus. Er mußte den Mörder nicht lange suchen. Da kauerte zwischen den Stämmen der Bäume ein langer Mensch, dessen vorgebeugtes Gesicht dunkle darüber fallende Lockenhaare verbargen, den Rosenkranz in der Hand, stöhnend und betend. Neben ihm lag ein noch rauchendes schwerfälliges Pistol. Ohne Weiteres legte Blasius sein Gewehr auf ihn an und streckte ihn mit einem Schusse durch die Schläfen nieder. Dann trat er neben den auf das Angesicht Hingesunkenen, drehte ihn um, betrachtete ihn und murmelte: „Dacht' ich mir's doch — ihr Bruder, der tolle Agostino!" — Eine Weile stand er horchend. Nun schlich er über die Gartenmauer spähend wieder dem Hause zu. Durch die Stille der Nacht drang ein ungewisser Lärm an sein Ohr. Jetzt mit einem Male scholl aus dem Dorfe ein gellendes Geschrei, und jetzt dröhnte es über ihm, — die Kirchenglocke schlug an und läutete in hastigen Schwüngen Sturm." Er eilt in das Haus zurück, schichtet Stroh und Reisigbündel auf und entzündet den Holzstoß; die Flamme soll den Rückzug decken. „Während das Feuer in aufrechter Lohe durch die lustige Bodenöffnung emporschlug, trat Jenatsch, die Todte im Arme, aus dem Wohnraume in die flackernde Helle. In seiner Rechten leuchtete das lange Schwert, auf dem linken Arme trug er, als spürte er die Last nicht, seine Todte, deren stilles, sanftes Haupt wie geknickt ihm an der Schulter ruhte. Er wollte sie nicht auf der Mordstätte zurücklassen. Waser konnte trotz der Gefahr der Stunde den Blick nicht verwenden von diesem Nachtbilde sprachlosen Grimms und unversöhnlicher Trauer. Er mußte an einen Engel des Gerichtes denken, der eine unschuldige Seele durch die Flammen trägt. Aber es war kein Bote des Lichts, es war ein Engel des Schreckens. Wortlos, unermüdet trägt Jürg die theure Todte auf den Bcrgpfaden und über die Gletscher, bis er seine Last auf Bündner- 38 boden niederlegt; alle weichen Gefühle, alle Harmlosigkeit der Jugend hat er mit ihr versenkt, als er am Grabe Lucias gestanden. Jürg Jenatsch dient — „ein Engel des Schreckens" — nun seinem Lande, tödtet den Pompejus Planta, aber indem er seine Feinde verfolgt, die ihm den Tod Lucias zu verantworten haben, dient er auch seiner Rache. Jetzt, nach der grandiosen Schilderung der ersten Begebenheiten liefe der Roman Gefahr, im Sande der Politik zu verflachen; wieder weiß der Dichter ein neues, persönliches Motiv einzuschicken, welches nun bis zum Schlüsse im Vordergründe bleibt. Pompejus Planta's Tochter ist Lucrctia, die Jürg als Kind geliebt; beide entstammen demselben Dorfe, und die kleine Lucretia war als Kind allein nach Zürich gelaufen, um den Gespielen, der dort auf der Schulbank saß, wiederzusehen. Nun rankt sich an dem fesselnden persönlichen Conflickte die Bündnergeschichte weiter; jeder neue Schritt auf der politischen Bahn trifft mit einem Schritte .auf dem Boden der persönlichen Verhältnisse der Gestalten des Romans zusammen. Zum ersten Male nach dem Tode des Pompejus treffen sich Lucretia und Jenatsch im Palaste des Herzogs Rohan zu Venedig, in dessen Dienste Jürg getreten ist. Lucretia verlangt einen Freibrief nach Bünden, dort will sie das Recht ihres Vaters suchen, Rache an den Mördern nehmen. Da tritt ihr Jürg entgegen, stolz und gefaßt, wie ein verurteilter König sein Blutgerüst besteigt. „Dein Recht soll Dir werden, Lucretia, nimm mein Leben. Es ist Dein — zwiefach Dein. Schon der Knabe hätte es für Dich geopfert. Seit ich die Hand an Deinen Vater legen mußte, ist mir das Dasein verhaßt, wo ich es nicht für das von Tausenden meines Volkes einsetzen kann. Darnach dürstet meine Seele. Das bedenke, Lucrctia Planta! Bei Dir steht die Entscheidung, Wer von Euch beiden das größere Recht auf mein Blut habe, ob Bünden oder Du." Lucretia liebt ihr Vaterland nicht minder, als Jürg Jenatsch; sie ist ihm ebenbürtig an Opferwilligkeit und Größe des Geistes. Sie rächt ihren Vater nicht; sie liebt ihr Land — aber sie liebt auch den Mörder ihres Vaters. Sie rettet ihn aus den Händen der Spanier: „Als ich Dich unten in den Händen der Häscher sah, hätt' ich Dich lieber mit eigener Hand getödtet, als Dich ein schmähliches Ende nehmen lassen. Du bist mein eigen! Du bist mir verfallen; aber ich glaube Dir: diesem Boden, dieser geliebten Erde bist Du zuerst pslichtig. — Aber hüte Dich vor mir, Geliebter! Kreuze nie meinen Weg, störe nie meine Ruhe!" -— Wie stark und zwingend das Motiv der Vaterlandsliebe ist, wie jede Schuld gesühnt werden könnte im Dienste der Freiheit, zeigt der Dichter, indem er dem Jenatsch Lucretia gegenüberstellt; sie hält die Hand des treuen Lucas, des alten Dieners, die sich gegen Jürg erhebt, zurück; sie kennt, selbst zwischen zwei Pflichten kämpfend, die Gründe seines Handelns, und erkennt sie an. Herzog Rohan zieht in Bünden ein, Jenatsch ist sein Vertrauter, sein Freund. Rohan bildet in seiner offenen, geraden Schlichtheit einen eigenthümlichen Gegensatz zu Jenatsch; er ist eine feinbesaitete, empfindsame Natur, welche die rauhe Hand des Bündners zerstört. Richelieu will das Wort Rohan's nicht einlösen, Rohan entdeckt sich seinem Vertrauten. Jenatsch opfert Freundschaft und Vertrauen seiner großen, jedes andere Gefühl erdrückenden Liebe zum Vaterlande, er verräth den Herzog, er wirft sich, um sein Land zu befreien, den Spaniern, dem katholischen Glauben in die Arme und bringt seinem Vaterlande die Freiheit. Lucretia steht ihm in diesen Tagen 39 wie ein treuer Waffengefährte zur Seite, aber schon erschien er ihr in einem anderen Lichte, ihr Vertrauen auf seine reine Vaterlandsliebe, an die Einheit seines Wesens wurde erschüttert. Daran muß Jenatsch auch zu Grunde gehen; den Kampf der Pflichten, den er gekämpft, besteht kein Sterblicher siegreich; wie er auch ende, immer wälzt er eine erdrückende Schuld auf die Schultern des Kämpfenden. Jenatsch stirbt, von der Hand der Geliebten ge- tödtet; als sie hört, daß Mörder ihm nachstellen, eilt sie zu ihm, ihn zu warnen und zu retten, oder ihn mit reinen, gerechten Händen zu todten. Es ist auf einem Balle, den die Stadt Chur dem Bündnerhelden zu Ehren veranstaltet. Jenatsch wird plötzlich von drohenden Gestalten umstellt. „Lucretia drängte sich fest an die linke Seite des Umstellten, wie um ihn zu decken. Sie hatte ihm keine Waffe zu bieten. Wieder traf die Stimme des Rudolf Planta ihr Ohr. ,Dies, Lucretia, für die Ehre der Planta/ flüsterte er dicht hinter ihr und sie sah, mit halbgewandtem Haupte, wie seine feine spanische Klinge vorsichtig eine gefährliche Stelle zwischen den Schulterblättern Georgs suchte. Sie hatte sich von Jenatsch vorwärts ziehen lassen, denn dieser streckte sich, den ihn umschließenden Kreis seiner Mörder mitreißend, nach dem nahen Credcnzkischc aus und erreichte dort mit der freien Linken einen schweren ehernen Leuchter, dessen gewichtigen Fuß er gegen seine Angreifer schwang, die von vorn fallenden Hiebe parirend. Da schmetterte ein Axtschlag neben ihr nieder. Sie erblickte ihren treuen Lucas, ohne Maske und barhaupt, der von hinten vordringend, ein altes Beil zum zweiten Male auf Rudolfs bleiches Haupt fallen ließ und ihn anschrie: ,Weg, Schurke! Das ist nicht Deines Amtes/ Dann warf er den Sterbenden auf die Seite, drückte Lucretia weg und stand mit erhobener Axt vor Jenatsch. Der Starke, der schon aus vielen Wunden blutete, schlug mit wuchtiger Faust seinen Leuchter blindlings auf das graue Haupt. Lautlos sank der alte Knecht auf Lucretias Füße. Sie neigte sich zu ihm nieder und er gab ihr mit brechendem Blicke das blutige Beil in die Hand. Es war die Axt, die einst den Herrn Pompejus erschlagen hatte. In Verzweiflung richtete sie sich auf, sah Jürg schwanken, von gedungenen Mördern umstellt, von meuchlerischen Waffen mnzuckt und verwundet, rings und rettungslos umstellt. Jetzt, in traumhaftem Entschlüsse, hob sie mit beiden Händen die ihr vererbte Waffe und traf mit ganzer Kraft das theure Haupt. Jürgs Arme sanken, er blickte die hoch vor ihm Stehende mit voller Liebe an, ein düsterer Triumph flog über seine Züge, dann stürzte er schwer zusammen. Als Lucretia ihrer Sinne wieder mächtig wurde, kniete sie neben der Leiche, das Haupt des Erschlagenen lag in ihrem Schoße. Das Gemach war leer. Um die über ihr schwebende Gestalt der Justitia waren die Lichter heruntergebrannt und das Wachs fiel ihr in glühenden Tropfen auf Hals und Stirn . . ." Ergriffen und erschüttert, aber auch versöhnt entläßt uns der Dichter. „Jürg Jenatsch" ist unter den historischen Romanen, die unsere Litteratur in nicht geringer Zahl auszuweisen hat, einer der großartigsten; es sind Bilder von mächtiger, geradezu dämonischer Gewalt, bei aller Schlichtheit des Wortes von erhabener Größe, bei aller Ruhe der Sprache voll Kraft und plastischer Gestaltung. Die Scenen zwischen Georg und Lucretia sind von hinreißender Schönheit, von ergreifendster Wirkung jene, die den Tod des guten Herzogs, der im Felde als Mannsfeld'scher Soldat sein Leben aushaucht, schildert. Den Herzog 40 befreit der Tod von unverschuldetem Leid; „Wohl Dir, Du Kind der Treue! — Du hast und trägst davon — Mit Ruhm und Dankgeschreie — Den Sieg und Ehrcnkron' . . ." so singen ihm vor dem Sterben die Kameraden. Er war sich selbst treu geblieben, während ein Riß durch Jilrg Jenatsch's Wesen ging; so ist des Bilndnerhelden Tod die Sühne für die schwerste Schuld. In der langen Reihe bedeutender, eigenartiger Gestalten, die Meyer geschaffen, ragt die des „Heiligen" als jene hervor, die der Dichter am genialsten concipirt und am glänzendsten durchgeführt. Soviel auch über das Leben des Thomas Becket geschrieben wurde, er ist der Geschichte ein Räthsel geblieben. Sie hat alle Daten, die geringfügigsten Aeußerungen seines Mundes kennt sie, die Aufeinanderfolge seiner Handlungen — aber sein Inneres ist ihr verschlossen und den letzten Grund seines widerspruchsvollen Wesens ist sie ohnmächtig zu begreifen. Mommsen, Reuter, Thierry und Andere haben die merkwürdige Gestalt zu deuten gesucht und jeder kam zu anderen Schlüssen: der eine will in ihm den Wankelmüthigen, der andere den Ehrgeizigen erkannt haben, der dritte ist der Ansicht, daß Becket sein Leben vorhergesehen von Kindheit an und die wcchselvollen Wege auf Jahrzehnte sich vorgezeichnct habe; dem ist der König nur Becket's Werkzeug, und Becket Vorkämpfer der Kirche, jenem erscheint er als Schützer der Sachsen gegen den Ucbermuth normännischcr Barone. Als in Meyer's „Heiligen" der Armbruster dem horchenden Domherrn Herrn Burk- hard vom Leben des Thomas Becket erzählt, in einen Tag auseinanderliegcnde Geschehnisse drängt und Herr Burkhard sich dieser willkürlichen Zusammenstellung gegenüber auf die Daten seiner Chronik beruft, da grollt der Armbruster: „Bleibt mir vom Leibe mit nichtigen Zahlen! Ein Anderes ist's, ob Einer im Tagewerke und in der Zeit steht, oder ob der Tod sein Lebensbuch geschlossen hat. Ist einmal das letzte Sandkorn verrollt, so tritt der Mensch aus der Reihe der Tage und Stunden hinaus und steht als ein fertiges und deutliches Wesen Dor dem Gerichte Gottes und der Menschen. Beide haben Recht und Unrecht, Eure Chronik und mein Gedächtniß, jene mit ihren auf Pergament gezeichneten Buchstaben, ich mit den Zeichen, die in mein Herz eingegraben sind." Damit sind auch die verschiedenen Aufgaben der Geschichtserzählung und der Dichtung geistreich umschrieben; vor dem Gerichte des Erzählers steht die Gestalt des Becket ganz und widerspruchslos da; der Dichter muß mit glaubenweckendcn Worten räthsclhaftes Denken und Empfinden aufhellen und erklären. Scheffel hat das Richtige getroffen, wenn er sagt: An der geschichtlichen Wiederbelebung der Vergangenheit ist nur dann mit Erfolg zu arbeiten, wenn einer schöpferisch darstellenden Phantasie ihre Rechte nicht verkümmert werden, wenn der, der die alten Gebeine ausgräbt, sie zugleich auch mit dem Athemzuge einer lebendigen Seele anhaucht, auf daß sie sich erheben und kräftigen Schrittes als auferweckte Todte einher- wandeln. In diesem Sinne kann der historische Roman das sein, was in der blühenden Jugendzeit der Völker die epische Dichtung, ein Stück nationaler Geschichte in der Auffassung des Künstlers, der im gegebenen Raume eine Reihe von Gestalten scharf gezeichnet und farbenhell vorführt, also daß im Leben und im Ringen der Einzelnen zugleich auch der Inhalt des Zeitraumes sich wie zum Spiegelbilde zusammenfaßt. In dieser Weise hat Meyer seine große, erschütternde Erzählung „Der Heilige" geschrieben. Er hat das Räthsel, welches Thomas Becket heißt, für seine Dichtung gelöst, hat uns aber auch, wie er es 41 in allen seinen historischen Erzählungen meisterhaft auszuführen versteht, auch hier ohne archäologische Schnörkel und altcrthümelnde Sprache ein innerlich wahres, überzeugendes Bild eines ganzen Zeitabschnittes gegeben. Es ist äußerst interessant, den historischen Becket mit dem Meyer'schen zu vergleichen. Reuter's großes Werk „Alexander III. und die Kirche seiner Zeit", dem wir hier folgen wollen, bildete wohl die wichtigste Quelle, aus welcher der Dichter geschöpft hat; es ist ein Buch, welches offen erklärt, was im Charakter des Königs und Becket's zu Tage liegt, was geheimnißvoll und unverständlich ist. Tastend sucht Reuter das Schwankende in der Persönlichkeit Becket's aus der Abstammung zu erklären; nur durch die Vermählung zweier bis zum Gegensatz sich unterscheidenden Volksthümlichkeiten schien die Menschennatur hinreichend befruchtend, einen Mann, wie Becket, hervorzubringen, mit jener kühnen, aber doch sicher abwägenden Entschlossenheit und der sich verzehrenden Gluth der Leidenschaft, die man gleicherweise in ihm zu sehen glaubte. Meyer hat in der mitgetheilten Ballade „Mit zwei Worten" Becket's Eltern gezeichnet. Die frömmelnde Mutter zieht den Sohn im Marienglauben auf, aber bald schwankt er mannigfach zwischen Gott und der Welt; der Bischof Thcobald ertheilt ihm die Weihen. Nun durchläuft er fast alle Kreise der menschlichen Gesellschaft, in jedem scheint er seine Natur vollkommen zu entfalten. Er kommt an den Hof Heinrich II., in das Getriebe des weltlichen Lebens; er ist der tändelnde und scherzende Hofmann, im vollen Genusse der Weltlust stärken König und Kanzler Becket die persönlichen Sympathien, die gleiche Stimmung der Naturen hebt die Grenzen der Rangordnung auf. Nur hin und wieder kommt Weltschmerz über den Kanzler. Da erwacht in Heinrich plötzlich der Gedanke, Becket zum Primas von England zu machen; Becket warnt ihn: „Die freundliche Gesinnung wird in bittersten Haß verkehrt werden" — aber Heinrich beharrt auf seinem Willen. Sofort ist Becket ein anderer; er sucht allen Weltglanz auszulöschen durch den strahlenden Heiligenschein eines rein kirchlichen Lebens; als Kirchenfürst lebt er in glanzlosem Mönchsgewand, verschwenderisch theilt er Gaben an alle Nothleidenden aus. Aber nun greift er in die Rechte der Krone, er will den Staat der Kirche unterwerfen. Immer heftiger entbrennt der Kampf, einmal versöhnt sich der König mit ihm, das zweite Mal aber scheitert die Versöhnung an den demüthig-verletzenden Worten Becket's. Im Zorn ruft der König, ob keiner unter seinen Baronen sei, der ihn an diesem Priester rächen möchte. War das ein Mordbefehl oder nicht? Vier Barone eilen nach Canterbury und ermorden Thomas Becket am Altar der Domkirche. Das Leben Beckets erschien dem Dichter wie ein Bild, dessen Farbenglanz die Zeit verwischt und spätere Jahrhunderte mit dunklen Farben übertüncht haben. In allzu scharfes Licht durfte er die Gestalt nicht stellen, um nicht den Schein der Willkür oder Ünwahrscheinlichkeit zu wecken. Er hat sie vermenschlicht, psychologisch wahr gemacht, aber. gleichwohl über sie einen Schleier gebreitet, der durchsichtig zwar, nur dem schärfsten Blicke das Wesen Becket's völlig erkennbar macht. Er wollte den Märtyrer der Gloriole nicht berauben, aber wer die Historie liest und den „Heiligen", der wird gestehen, daß erst Meyer um Thomas Becket's Haupt den verdienten Heiligenschein gebreitet. Es ist nicht Jeder ein Märtyrer, der für irgend eine eigensinnig festgehaltene Idee leidet und stirbt. Der kirchengeschichtliche Thomas ist ein recht seelenloser, 42 gemalter Heiliger; an die Spitze der Kirche gestellt, wurde er von ihrem Geiste ergriffen, rang für die Unterwerfung des Staates unter die Gewalt der Kirche, lehnte starr alle Versöhnungsversuche ab, und starb, weil er nicht widerrufen wollte, mit einigen Bibelsprüchen auf den Lippen. Der Moment des Todes erweckt unser Mitleid, aber das Leben und Sterben dieses Bccket kann nur den in gläubiger Frömmigkeit trefflichst disciplinirten Seelen als das eines Heiligen erscheinen. Meyer hat der starren Gestalt Leben eingehaucht, die große Wandlung Beckets nicht auf eine kanonische Musiinspiratio, sondern auf rein menschliche Gründe zurückgeführt, aus dem eigensinnigen und Herrschsüchten Kirchen- kämpfer einen leidenden und mitleidsvollen, alle Bedrückten mit gleicher Liebe umfassenden Menschen gemacht. Wenn die Lippen dieses durch das Leid zum Heiligen Geweihten nicht widerrufen wollen, so ist das nicht Eigensinn, sondern Seclenhoheit, die sich beleidigt von Herzensrohheit abwendet, und Thomas Decket stirbt als Märtyrer der Liebe. Meyer hat wohl hin und wieder kleine profane Lichter aufgesteckt; doch hätte die Kirche Verständniß für den Zug der Zeit, dieses Buch müßte von den Kanzeln herab gepriesen werden; oder ist es eine Lüge und Blasphemie, daß alles Heilige menschlich sein muß, dann hätte Meyer's Buch schon längst den inäsx librorum xroliibitorum zieren müssen. Mit wenigen Strichen führt der Autor den Armbruster ein, die Stimmung. ist sofort hergestellt, in natürlicher Weise der Uebergang von der Lebensgeschichtc Armbruster's zu der Becket's gewonnen. Der Armbruster kommt an den Hos und in die Dienste Heinrich's, in die Nähe des Heiligen; vorher schon, als er in der Werkstatt eines Waffenmeisters arbeitete, war er dem Heiligen zuM ersten Male begegnet. Des Meisters Tochter hat ein normännischer Baron verführt und entführt, der Vater wirft sich auf der Straße, Gerechtigkeit flehend, vor das Pferd des Kanzlers; dieser wendet sich kalt und schweigend ab. „Als dann der verzweifelnde Sachse ihm entgegenschrie: Schade Pfaffe, daß du kein Kind hast, daß dir ein Normanne verderben kann! — da berührte Thomas Decket, wie von einem lästigen Insekt umschwärmt, sein arabisch Roß, um es in raschere Gangart zu setzen." Und das Verderben eines Kindes, seines eigenen Kindes Verderben, und Tod wird der Schlüssel zu Becket's Charakterwandlung. Man muß gestehen, schöner und wahrer konnte diese Aenderung, „dieses Wunder der Bekehrung", nicht erklärt werden; sie mußte ihren Grund haben in den tiefsten Tiefen eines Menschenhcrzens, es mußten Saiten des Herzens gesprungen sein, wenn mit einem Schlage aus dem heiteren und starken, ein in sich gekehrter, mit aller Welt leidender Decket werden konnte. „Ich komme zu reden, sagt der Armbruster, auf ein Geheimniß der Ungerechtigkeit, das zwar in keiner Chronik wird verzeichnet stehen, aber doch die Grabschaufel ist, die Herrn Thomas und Herrn Heinrich, einem nach dem anderen, sein Grab geschaufelt hat." Der König, der seine Gattin nicht liebt, findet eines Tages in einem abgelegenen Forste versteckt, ein geheimnißvolles Schloß; er erzwingt sich den Eintritt. Das Schloß gehört dem Kanzler, und die es bewohnt, ist Gnade, des Kanzlers Töchterlcin, das er vor dem Pesthauche des Hofes abschließt. Tag für Tag reitet nun Heinrich, von Armbruster geleitet, zu des Kanzlers Kinde; aber eines Tages merkt.er, daß die Königin von seinen Wegen wisse; er will Gnade wegbringen, „bevor der Habicht die Taube zerfleischt". An diesem Tage sah Armbruster sie das erste Mal, wie der König aus der Pforte trat und an seinem 43 Arme ein liebliches Geschöpf hing, nicht über fünfzehn Jahre alt; das schönste Mädchcnhaupt, daß ich je erblickt, lehnte an der Schulter des Königs und heftete auf seine lusttrunkenen Augen zwei flehende und furchtsame. Der König hatte den Kanzler nicht bei einer prächtigen und ehrgeizigen Schönheit aus- gestochen! Leid und Sünde! Er hatte sich an des Thomas Becket unschuldigem Kinde vergriffen, Herr Heinrich, ein christlicher König, hatte schlimmer als ein heidnischer an einer unmündigen Seele und einem kaum reifen Leibe gesündigt. „Meine Sinne öffneten sich; ich sah Gnade's Schutzengel, der sich aus Betrübniß und Scham mit beiden Händen ein weißes Tüchlein vor das Gesicht hielt und hörte die Posaunen des Gerichts mächtig dröhnen/' Armbruster erhält den Befehl, Gnade wegzubringen. Aber auch der Kanzler will seine Tochter, die er nicht sicher wähnt, nicht länger allein lassen; kurze Zeit nur soll sie unter dem Schutze von zehn Rittern Hierbleiben, bis er sie in ein anderes Land geleiten kann. Trotz der Besatzung muß Armbruster die Entführung bewerkstelligen. „Es war eine böse Nacht, die schlimmste meines Lebens ... Ich holte die zitternde Gnade, hob sie auf meinen Arm und lief mit ihr, was ich konnte, dem Walde zu. Plötzlich wurde es licht und lichter; ein Wolkcnbild ward vom Winde so hastig getrieben, daß der Mond aus seiner Schleppe her- vorrollte. Ein Psisf und sausender Schwung! Das leichte Wesen in meinen Armen ergriff krampfhaft meinen Hals. Warmes Blut überströmte mich und die hervordringende Spitze des Pfeiles, der dem Kinde des Kanzlers die Kehle durchbohrt hatte, ritzte meine Wange. Ein ersticktes Röcheln, und es war mit Gnade zu Ende!" — Armbruster bringt dem König die Nachricht nach Dover; der schreibt dem Kanzler einen Brief, den Armbruster überbringen soll. Er trifft ihn im Waldschlosse, in der Kapelle, an der Leiche seines Kindes. „Ein Lichtstrom beleuchtete Gnade's überirdische Schönheit. Neben dem lieblichen Todtcnantlitz lag ein anderes hingesunken, von demselben Sonnenstrahl gebadet, lebloser und gestorbener als das der Leiche, ein Antlitz, über das die Sterbe- noth der Verzweiflung gegangen und von dem sie, nach gethanem Werke, wieder gewichen. Es war der Kanzler, der mit zerrauftem Haar und aufgerissenem Gewände neben dem Sarge lag, die Arme auf den Rand desselben stützend." Er sieht das königliche Siegel und in den Tiefen seiner Augen entglomm eine Flamme, grausam und gramvoll wie die Hölle . . . Eine Zeit lang meiden König und Kanzler einander, aber nie nahm der Kanzler williger die Bürde der Arbeit auf sich. Aeußerlich blieb er sich gleich: ein treuer Diener seines Herrn; er spricht von „seinem, zur Erniedrigung der Dienstbarkeit geschaffenem Wesen" und warnt den König: „Gieb mich nie aus deiner Hand in die Hand eines Herrn, der mächtiger ist als du! In der Schmach meiner Sanftmnth müßte ich seine Befehle ausführen, auch gegen dich." Und da taucht auch schon das Bild des größeren Herrn vor seiner Seele auf. Vor dem hölzernen Crucifix hörte ihn der Armbruster reden: „Auch du hast gelitten und wohl so grausig, als du hier in der Marter schwebst! Warum? Warum? Der Welt Sünde zu tragen, steht geschrieben . . . Was hast du gesühnt, du himmlisches Gemüth? Friede solltest du bringen und an den Menschen ein Wohlgefallen . . . Aber siehe, diese Erde dampft und stinkt noch von Blut und Greuel . . . und Schuld und Unschuld wird gemordet wie vor deiner Zeit! . . Sie haben dich geschlagen, angespien, gemartert . . Du aber beharrtest 44 in der Tapferkeit der Liebe und batest am Kreuze für deine Mörder . . Verscheuche den Geier des unversöhnlichen Grams, der mein Herz verzehrt! . . Damit ich in deine Stapfen trete . . Ich bin der Aermste und Elendeste der Sterblichen . . Siehe, ich gehöre dir zu und kann nicht von dir lassen, du geduldiger König der verhöhnten und gekreuzigten Menschheit! . Den Armbrusten fragt er, wie man die Ungläubigen belehre, daß der Ewige seinen Sohn an's Kreuz habe schlagen lassen; und als dieser erwiedert: „Mein Salvator hat den Verrälher Judas geküßt und seinen Peinigern vergeben — solches vermag ein bloßer Mensch nicht" — da neigte Herr Thomas leise das Haupt und sagte: „Das hast du recht gesagt, es ist schwer und unmöglich!" — Es ist nicht der Kirchenstifter, dem er dienen will, dieser Jesus ist ihm fremd; nie nennt er seinen Namen, er spricht nur „von jenem Andern, den sie gekreuzigt haben"; dem, der für alle Welt leiden und büßen wollte, will er in Demuth folgen. Da stirbt der Erzbischof von Cantcrbury, der Kanzler räth dem König, die Würde einem Sünder zu geben, denn sonst sei Gefahr für die Rechte der Krone — der König will sie ihm verleihen. Der Kanzler warnt: „Wenn ich durch ein Wunder zum wahren Bischof würde? Nimm mir ab das alte Joch, statt mir ein neues aufzubürden, das mich zum Doppelsinnigen und Zweideutigen macht"! Aber immer ungestümer wird das Drängen des Königs und Thomas Becket wird Primas von Engclland. Nun tritt die große Wandlung ein, deren Grund mit dem Tode Gnades gegeben war. Die Armen und die Krüppel bilden Becket's Gefolge, den bedrückten Sachsen reicht er die Hand. Der König hält dieses veränderte Wesen für Verstellung, aber Herr Thomas kommt und legt das Kanzlersiegel in des Königs Hände zurück: „ich fürchte mich, den Höheren zu erzürnen, dem du selbst mich anheim gegeben. Er ist ein ein eifersüchtiger Meister. . ." „Wem habe ich dich abgetreten", ruft der König, „doch nicht dem Papste in Rom?" — der Primas verneinte mit dem Haupte, er hob den hageren Arm und zeigte nach oben . . Und als der König von ihm ungestüm die Aufhebung der geistlichen Gerichtsbarkeit verlangt, da will Decket den Meister erst fragen, ihn, an dem keine Ungerechtigkeit erfunden wurde, und bedeutungsvoll setzt er hinzu: „ob mir aber Gott die in meine Klöster geflüchteten Sachsen ihren Peinigern, deinen Baronen, auszuliefern gebietet, das frage ich mich und zweifle . . Heinrich erkennt in Becket den Gegner seiner Willkürherrschaft, er fürchtet in ihm den Aufwiegler des Sachsenvolkes und von da ab trat Feindschaft zwischen König und Primas. Becket mußte flüchten, am Wandcrstabe des Elends ging er von Kloster zu Kloster. Um ihm die Würde des Primas, der die englischen Könige zu krönen hatte, zu nehmen, ließ Heinrich seinen Erstgeborenen durch den Bischof von Uork zum Könige krönen. Als Thomas Becket nun gegen den Uorker Bischof den Bann aussprach und König Heinrich dadurch zu höchster Wuth reizte, ritt Richard das Löwenherz, Heinrichs Sohn, nach Frankreich, um Becket aufzusuchen und ihn zur Versöhnung zu bewegen. Auf dem Wege begegnet er Bertram de Born, einem Fanatiker des Hasses, und hört diesen von Becket sprechen: „Dort betet einer, der noch besser haßt, als ich, ich grüße dich Gefährte! Du stiller, langsam grabender Mann! Du duldest wie dein Meister und lässest dich tödtcn, wie er: du glaubst der Liebe zu dienen, aber der Haß ist der mächtigere . . ." Die ersten Worte Becket's, die er an 45 Richard richtet, sind die Frage: „Wie befindet sich mein Herr und König?" Richard bittet ihn, zu verzeihen, fleht, dem Könige den Friedenskuß zu geben. Thomas will es; sie ziehen nach Engelland, aus englischem Boden kam ihm der König entgegen; er drängte sich an seine Lippen — da stieß ihn Becket mit einem Schrei des Entsetzens zurück: „du kennst seit lange meine Natur, die in die Stapfen eines Höheren treten muß. Ich bin dessen nicht gewiß, ob der Nazarener, dem ich gehöre und nachzufolgen suche, es über sich gebracht hätte, deine scheuseligen Lippen zu berühren; den Verräther Judas hat er geküßt, der ihn, die Unschuld und Liebe selbst, verkauft und in den Tod geliefert hat; aber ob er einen Mund geküßt hätte, der die Seele seines Kindes vergiftete und den Leib der Unschuld verdarb, daran muß ich zweifeln . . Ich soll thun, was mein Meister nicht vermocht hätte! Und doch, es soll geschehen. Aber um ein Löscgeld. Siehe, ich habe noch andere Kinder, deine Sachsen . . . Ich vergebe dir den Tod Gnade's und deine Lästerung, wenn du meine Brüder, die Sachsen, freigabst . . . Nicht des Latiners Knecht bin ich, sondern ein Diener und Bruder des Nazareners . . ." Diese Worte bringen den König zur Raserei — und „so schieden sich Herr Heinrich und Herr Thomas ohne den Frieden, den sie beide redlich gesucht." Nun folgt, wie in der Historie, das Ende Becket's. Wieder ist die erste Frage, die er an die vier Barone richtet: „Wie steht es um meinen Herrn und König?" In gräßlichster Weise wird er am Altare seiner Kirche erschlagen; Armbruster, der Zeuge dieser Schreckensscene, sagt: „Während mir die Sinne schwanden, sah ich ein Blutmeer vor meinen Augen und darin ein sterbendes, lächelndes Haupt . . ." Die Gestalt des „Heiligen" in diesem Buche ist eine so gewaltige, daß vor ihr alle anderen naturgemäß zurücktreten; und doch sind diese mit nicht geringerer Meisterschaft durchgeführt, als die des Thomas Becket; der König, diese leicht erregbare Natur, deren Gemüthsbewegungen fast immer in wilden Zorn umschlagen, beweglich und doch unbeugsam, maßlos in Liebe und in Haß, ohne Selbstbeherrschung, eine „vulkanische Natur"; Richard das Löwenherz, der mit reinem, kindlichem Gemüthe zu Becket steht und dem der Haß des Vaters gegen den Kanzler das Herz zerreißt; Bertram de Born, welcher der lichten Gestalt des Heiligen in düster-brennenden Farben gegenübergestellt ist; Gnade, das zarte Kind, dessen Milde und Schönheit, dessen Leben und Sterben ergreifend an unsere Seele rührt, wie Lucia in „Jenatsch" zu den Schweigenden zählend und in unsagbarem Zauber ihr engelgleiches Wesen offenbarend; endlich der Erzähler, der Armbruster, und der Hörer, Herr Burkhard, zwei prächtige Gestalten, voll Leben und Wirklichkeit. Die Conception der Erzählung übertrifft die des „Jenatsch" um ein Bedeutendes; der Bündnerroman mußte sich sprunghaft entwickeln, oft nur Bilder aneinander reihen, da der von Politik durchtränkte Stoff eine rasche, in sich geschlossene Entwickelung nicht zuließ. Der „Heilige", die Novelle und die Gestalt — wie ebenmäßig, wie consequcnt sind sie durchgeführt! Einem Bcrgstrom gleich, Alles was in den Weg tritt, zur Seite drängend, rauscht die Handlung einher. Die Wirkung der Erzählung wird durch die Art der Einkleidung eine erhöhte: sie prägt sich nicht allein dem Leser ein, es wird auch der Eindruck sichtbar, den sie auf zwei andere Menschen, den Armbruster und Herrn Burkhard, hervorruft. Diese sind Kinder ihrer Zeit, der Zeit des „Heiligen", der Meyer mit wenigen Strichen ein treues Kolorit 46 gegeben. Anders als den Beiden muß und soll Decket dem Leser erscheinen; Erzähler und Hörer haben den Charakter des Decket nicht völlig ergriffen, sie denken über ihn, wie ihn seine Zeit eben beurtheilte, er ist ihnen die schmiegsame, unmännliche, Wandlungsreiche Natur, ein unlösbares Räthsel. Sie finden auf Schritt und Tritt Widersprüche in seinem Leben — nicht so der Leser; der Armbruster erzählt die Geschichte jenes Mannes, den sie einen „Heiligen" nennen — das Mitgefühl des Lesers steigert sich zur Andacht, denn er fühlt, daß es ein Heiliger war, der so lebte und starb. Unmerklich fast, so scheint es, ist Meyer von der geschichtlichen Ueberlieferung abgewichen; aber über die äußere Wahrheit stellte er die innere, auf die es auch in der historischen Erzählung vor Allem ankommt. So ist die Gestalt des Thomas Decket eine andere geworden, die Verkörperung eines großen Herzens und des erhabensten Heldenthums; sie ist verinnerlicht, vermenschlicht, von imponirender Kraft und erschütternder Tragik. Der Decket der Geschichte' tritt uns im Anfange entgegen: der ehrgeizige, schmiegsame Charakter, nicht dem Könige, auf den er herabblickt, sondern der Königsidee ergeben, in den äußeren Umrissen seines Lebens ein zweiter Bancbanus; ein spöttisches Lächeln umspielt seine Lippen, wenn er des Königs gedenkt, dieses Spielzeugs seiner Hände. Ist ihm der Gedanke, Primas zu werden, aufgestiegen, so war er in dieser Zeit von dem Gedanken an die Vergrößerung seiner Macht begleitet. Er ist ein Philosoph, kein Kirchendiener und kein Gottesdiener; er hat eine Religion des Herzens, jede geoffenbarte ist ihm fremd. Die große Wandlung seines Lebens wird herbeigeführt durch das größte Leid; der König, dem er so viel gewesen, ist wie ein wildes Thier in seinen Besitz eingebrochen, hat den Tod Gnade's verschuldet, nachdem er sie vorher an Leib und Seele verdorben. Da schreit es in Decket nach Rache, aber zu gleicher Zeit greift die Frage an sein Herz: bist du allein mit deinem Schmerze, hast du ein Vorrecht aus Rache vor den Hunderttausenden, die mit Füßen getreten werden von diesem kläglichen Geschöpf? Und wenn du das Leben des Königs deiner Rache geopfert — ist dein Leid geschwunden und das Leid deiner Brüder ein geringeres geworden? Und seine Gedanken kommen auf den, „an dem kein Fehl erfunden worden ist"; nicht an den Gottessohn, nicht an den Stifter einer in Formen ausgeprägten Religion denkt er, sondern an den Leidenden und Verzeihenden, an ihn, der die Schuld der Menschheit auf seine Schultern laden wollte. Mitleid erfüllt seine Seele, den Bedrückten will er ein Bruder werden, das Kreuz der Duldenden tragen helfen. Es ist keine Verklärung, die ihn zum Heiligen macht; er bleibt Mensch, und nichts Menschliches ist ihm fremd. Er vertheidigt nicht die Rechte der Kirche, aber er weigert sich, diesem Könige neue Rechte zu gewähren. Nicht ihm strebt er nach, der „wie die Kirche lehrt, ein Gott ist", sondern dem, der für die ganze Menschheit leiden wollte. Raum und Recht verlangt er für alle Menschen, und läßt von seinem Glauben auch im Tode nicht. Der „Heilige" gehört zu den besten, zu den großartigsten Schöpfungen unserer Litteratur; es ist Meycr's bedeutendste Leistung; mag ihn in der Farbenpracht „Die Hochzeit des Mönchs", in der Bewegtheit der Handlung „Jürg Je- natsch" übertreffen, er überragt sie durch die Erhabenheit des Grundgedankens, durch die Schärfe der Charakterisirung, durch den hinreißenden Herzenston der Sprache. Der „Heilige" ist mehr als eine flüchtige Stimmungen weckende No- 47 velle; man liest das Buch, wie man das Evangelium liest, es ist ein hohes Lied der Menschenliebe, ein machtvolles, tiefsinniges Mysterium. — In jedem neuen Buche läßt Meyer eine andere Seite seines dichterischen Vermögens besonders scharf hervortreten. Die „Hochzeit des Mönchs" hebt sich von den übrigen Erzählungen durch einen raschen, fast allzu raschen Gang der Handlung, durch den blendenden Farbcureichthum der Schilderung, vor Allem aber durch die geistreiche, fesselnde Art der Form ab. Zwei kunstvoll in einander verschlungene Fabeln, die in lebendiger, fortwährender Beziehung zu einander stehen, bilden den Inhalt des Buches. Am Hofe Cangrande's, des Herrn von Verona, hat Dante gastfreundliche Aufnahme gefunden. In der Dämmerung des scheidenden Tages tritt er in den Kreis, der sich um den Fürsten Vor dem Herdseuer versammelt hat. Neben der blühenden Fürstin sitzt Cangrande's schöne Freundin. Man erzählt sich Geschichten mit dem Motiv: „Plötzlicher Berufswechsel mit gutem oder schlechtem Ausgang" und auch den Dichter bittet der Fürst, zu erzählen: „Die Hand, welche heute Terzinen geschmiedet hat, darf es nicht verweigern, das Spielzeug eines kurzweiligen Geschichtchens, ohne es zu zerbrechen, zwischen ihre Finger zu nehmen." So will denn Dante berichten von dem Mönche, „der nicht aus eigenem Triebe, nicht aus erwachten Weltlust oder Weltkraft, nicht weil er sein Wesen verkannt fühlte, sondern einem Andern zuliebe untreu an sich wird, sich selbst mehr noch als der Kirche gegebene Gelübde bricht und eine Kutte abwirft, die ihm auf dem Leibe saß und ihn nicht drückte." „Erzählst Du eine wahre Geschichte? Nach Dokumenten?" fragt der Fürst. „Ich entwickele meine Geschichte aus einer Grabschrift," erwidert Dante: „Hier schlummert der Mönch Astorre neben seiner Gattin Antiope. Beide begrub Ezzelin." Auf der Brenta vor Padua schlug ein Boot um, in welchem Astorre's Bruder mit den Kindern aus erster Ehe und seiner Braut Diana saß; nur Diana ward gerettet, von ihrem Schwager, dem Mönche Astorre den Wellen entrissen. Ezzelin, der Tyrann von Padua, geleitet Retter und Gerettete in das väterliche Haus. Astorre's Vater, ein sterbender Greis, vernimmt die schreckliche Botschaft, er sieht sein Geschlecht erlöschen, die Reichthümer seines Hauses in fremden Händen. Er beschwört Astorre, dem Kloster zu entsagen, Diana zum Weibe zu nehmen, und zeigt ihm den längst für solchen Fall erwirkten Dispens des Papstes. „Der Mönch that schwindelnd einen Schritt rückwärts, als stünde er auf einer Thurmhöhe und sähe das Geländer plötzlich weichen." Er bestürmt den Vater, von diesem Wunsche abzustehen; aber der Greis fängt an die Gottheit zu lästern — und Astorre, um ihn „vor den Flammen zu retten", willigt ein. Mit dem Ausdrucke triumphirender List aus dem Antlitz stirbt der Alte, Ezzelin — es ist das seine Lieblingsgewohnheit — drückt ihm die Augen zu. Astorre ist mit Diana, die ihn bittet, nie ihren Jähzorn zu reizen und ihr nie ein Versprechen zu brechen, verlobt. Ascanio und Germano, Diancns Bruder, stehen ihm bei, da er den ersten Schritt in die Welt macht; Germano freilich sagt: „Verletzte Treue, gebrochenes Wort, Fahnenflucht und so weiter, dem giebt man in Germanien grobe Namen . . . Du hast ganz hübsch gehandelt, nur wäre das Gegentheil noch hübscher gewesen." Der Mönch geht in die Stadt, um den Ehering zu kaufen, denn in Kürze soll die Hochzeit gefeiert werden; auf der Brücke, wo Lippo, der Goldschmied, seine Bude aufgeschlagen, entsteht ein Gedränge, der Ring, den Astorre 48 in der Hand gehalten, entfällt derselben und wird von einer Zofe aufgerafft, die ihn mit komischen Behagen und bedeutungsvollem Lächeln ihrer jungen Herrin an den Finger steckt. Astorre tritt an das Paar heran — ach, er hat die junge Schöne erkannt, es ist Antiope, dieselbe, die einst für ihren Vater, den er zur Richtstatt führen mußte, das Haupt auf den Block legen wollte. Ihr Bild hatte ihn nie verlassen, es war verblaßt und bekam nun, da er den ersten Schritt in die Welt that, Farbe und Leben. Das Gedränge bringt sie auseinander. An- tiope's Mutter, deren Geist getrübt ist, erblickt in dem Vorgang Absicht und betrachtet die Tochter als Astorre's zukünftige Gattin; als sie nun — zu den Hochzeitsfeierlichkeiten geladen — Astorre und Diana die Ringe wechseln sieht, da springt sie in höchster Raserei gegen die Verlobten vor, schmäht Dianen und weist triumphirend auf die Schönheit Antiope's hin. „Alle im Saale bemitleideten Antiope; nur Diana, so wenig sie an der Treue des Mönchs zweifelte, empfand einen dumpfen Groll über die ihrem Bräutigam so frech gezeigte Schönheit. Soweit es eine zügellose Rede vermag, beraubte die eigene Mutter Antiope der schützenden Hüllen. Eine dunkle Nöthe und eine noch dunklere fuhr ihr über Stirn und Nacken. Darauf begann sie in der allgemeinen Stille laut und bitterlich zu weinen. Diana aber, durch die rohe Verhöhnung ihres Leibes und ihrer Seele aufgebracht, tief empört, zog die Brauen zusammen und faltete die Hände. Jetzt gerieth sie außer sich, da die Närrin ihre Eltern in's Spiel zog, ihr die Mutter im Grabe beschimpfte, den Vater an den Pranger stellte. Ein bleicher Jähzorn packte und übermannte sie. „Hündin!" schrie sie und schlug — in Antiope's Angesicht; denn das verzweifelnde und beherzte Mädchen hatte sich vor die Mutter geworfen. Antiope stieß einen Laut aus, der den Saal und alle Herzen erschütterte." Astorre geleitet die beiden Frauen nach Hause, frohlockend, berauscht kehrt er zurück — er liebt Antiope. Der ehrenhafte Ger- mano aber, der natürlich Antiope für unschuldig hält, doch den Jähzorn der Schwester entschuldigt, will die Geschlagene zu Ehren bringen, sie zum Weibe nehmen. „Der Mönch horchte aufmerksam. Das Ehrgefühl des Kriegers scholl wie ein Heller Ruf durch die Wildniß feiner Seele. Er klammerte sich aber an einen gefährlichen Sophismus: nicht anders, als ich selbst eine Ungeliebte umarmen werde, tröstete er sich, wird auch Antiope von einem Manne sich umfangen lassen, welcher sie kurzerdinge freit, um fremdes Unrecht gut zu machen. Wir verzichten Alle. In der Welt wie im Kloster." Er begleitet Germano zu Antiope. Nun spielt sich die wunderbare Werbungsscene ab: „eines Shakespeare würdig," meint Julian Schmidt in seinem liebe- und einsichtsvollen Essay. „Der wolkenlose Tag verglomm in einem reinglühenden Abendgoldc und horch! es läutete Avc. Der Mönch sprach innerlich die Gewohnheitsgebete. Auch er wurde des allgemeinen Friedens theilhaft. Da traf sein Blick das Gesicht des Freundes und ruhte auf den wetterharten Zügen. Sie waren hell und freudig, von erfüllter Pflicht ohne Zweifel, aber doch auch von dem unbewußten oder unbewachten Glück, unter dem von Ehre geschwellten Segel einer ritterlichen Handlung den Port einer seligen Insel zu erreichen. „Du süße Unschuld!" seufzte der Krieger. Rasend schnell begriff der Mönch, daß der Bruder Dianens sich selbst täuschte, wenn er sich für uneigennützig hielt, daß Germano Antiope zu lieben begann und fein Nebenbuhler war . . . Sie erreichten den Palast und durchschritten angemeldet eine Reihe schon dämmernder Gemächer: vor der Schwelle 49 der letzten Kammer hielten sie stille, denn die junge Antiope saß am Fenster. Sein in den Umriß eines Kleeblattes endigender Bogen war voller Abendglorie, welche die liebreizende Gestalt im Halbkreise von Brust zu Nacken umfing. Ihre gezauste Haarkrone ähnelte den Spitzen eines Dornenkranzes und die schmachtenden Lippen schlürften den Himmel. Das geschlagene Mädchen lag müde unter dem Druck der erduldeten Schande, mit zugefallenen Augendeckcln und erschlafften Armen; aber in der Stille des Herzens frohlockte sie und pries ihre Schmach, denn diese hatte sie mit Astorre auf ewig vereinigt . . . Germano klirrte leise mit dem Schwerte an den Panzer. Antiope schrak zusammen, erblickte sie, erhob sich rasch und stand, den Rücken gegen das Fenster gewendet, mit dunklem Antlitz den sich im Dämmerlichte vor ihr verbeugenden Männern gegenüber. „Sei getrost, Antiope Canossa!" redete Germano. „Ich bin gekommen, Dich von Dir selbst zum Weibe zu begehren. Meine Schwester hat sich gegen Dich vergessen und ich bin da, gut zu machen, was die Schwester schlecht gemacht hat. Diana mit Astorre, Du mit mir, so werdet Ihr Euch die Hände geben." Das empfindliche Gemüth des lauschenden Mönchs verwundete diese rohe Gleichstellung des Mißhandelns und des Leidens, der Schlagenden und der Geschlagenen. „Germano, so wirbt man nicht!" raunte er dem Gepanzerten zu. Dieser fühlte, daß er weicher reden sollte, und redete barscher, „Ihr werdet nicht zum anderen Male vor ganz Padua beschämt und geschlagen werden wollen! Gebt Euch mir, wie Ihr seid, und ich schirme Euch vom Wirbel bis zur Zehe." Astorre fand diese Werbung von empörender Härte. „So wirbt man nicht, Germano!" keuchte er. Dieser wendete sich halb. „Wenn Du es besser verstehst," sagte er mißmuthig, „wirb Du für mich, Schwager." Da näherte sich Astorre, das Knie gebogen, hob die Hände mit sich einander berührenden Fingerspitzen und seine bangen Blicke befragten das zarte Haupt auf dem blassen Goldgründe. „Findet Liebe Worte?" stammelte er. Dämmerung und Schweigen. Endlich lispelte Antiope: „Für wen wirbst Du, Astorre?" „Für diesen hier," preßte er hervor. Da barg sie das Antlitz mit den Händen. Jetzt riß Germano die Geduld. „Kurz und gut," ließ er das Mädchen rauh an, „wirst Du mein Weib oder nicht?" Antiope wiegte das kleine Haupt sanft und sachte, aber trotz der wachsenden Nacht mit deutlicher Verneinung. Germano verließ den Saal. Der Mönch aber folgte ihm nicht. Astorre verharrte in seiner flehenden Stellung. Dann ergriff er, selbst zitternd, Antiope's zitternde Hände und löste sie von dem Antlitz. Welcher Mund den anderen suchte, weiß ich nicht, denn die Kammer war völlig finster geworden." Noch in dieser Nacht läßt sich Astorre mit Antiope trauen. Der Tyrann beschwichtigt Diana, ihren geizigen Vater versöhnt er, indem er Astorre einen Theil seines Vermögens ihm geben heißt und ordnet die Hochzeitsfeierlichkeiten an. Doch da Diana nun zu Antiope sagte: „Komme reuig und demüthig und ziehe mir den Ring vom Finger," da stieß Antiope einen Schrei der Angst aus und klammerte sich an ihren Gatten: „Ich soll mich erniedrigen? Was befiehlst Du, Astorre? Meine Ehre ist Deine Ehre. Ich bin nichts mehr als Dein Eigenthum, Dein Herzklopfen, Dein Athemzug und Deine Seele," „Möge Dich die Demuth versöhnen, Diana," erwidert Astorre, „sie wird es thun." Das Hochzeitsfest wird gefeiert. Antiope neigt sich vor Diana, die in dem Gewände der Göttin Diana erscheint. „Gieb mir den Ring!" preßte sie hervor und tastete an dem kräftigen Finger. 4 50 „Demüthig und reuig?" fragte Diana. „Wie anders, Herrin?" fieberte die Unselige. „Aber Du treibst Dein Spiel mit mir, Grausame! Du biegst Deinen Finger, jetzt krümmst Du ihn!" Sie hob den geschmeidigen Leib und rief, die flammenden Augen auf die strengen der Diana gerichtet: „Neckst Du eine Frau, Mädchen?" Dann bog sie sich nieder und suchte den Ring zu entreißen. — Da durchfuhr sie ein Blitz. Ihr die linke Hand überlassend hatte die strafende Diana mit der Rechten einen Pfeil aus dem Köcher gezogen und Antiope ge- tödtet. Astorrc fand die Entseelte. „Bist Du der Mörder?" fragt er Germano. „Ich morde keine Weiber," antwortet der Andere traurig, „es ist meine Schwester, die ihr Recht gesucht hat." Astorre greift den Pfeil aus, und stößt ihn dem Krieger in die Brust, aber auch sich trifft er tödtlich, von dem blitzschnell wieder gehobenen Schwerte Germano's erreicht. „Von Ascanio gestützt, that er noch einige wankende Schritte nach seinem Weibe und bettete sich, von dem Freunde niedergelassen, zu ihr, Mund an Mund. Die Hochzeitsgäste umstanden die Vermählten. Ezzelin betrachtete den Tod. Hernach ließ er sich auf ein Knie nieder und drückte erst Antiope, darauf Astorre die Augen zu. In die Stille klang es mißtönig herein durch ein offenes Fenster. Man verstand aus dem Dunkel: „Jetzt schlummert der Mönch Astorre neben seiner Gattin Antiope!" Und ein fernes Gelächter . . ." Diese Jnhaltsskizze läßt den energischen Gang der Handlung erkennen, die mitgetheilten Bruchstücke sind Proben der in Schilderung und psychologischer Führung gleich meisterhaften Novelle, über welche ein märchenhafter Glanz gebreitet ist. Leicht und natürlich gehen die Scenen in einander über, der Lebendigkeit der Handlung entspricht die lebensvolle Charakterisirung der Personen; trotz der Fülle der Geschehnisse ein strenges Maßhalten, so daß man auch vom Dichter sagen kann, was er von Dante sagt: „Seine Fabel lag in ausgeschütteter Fülle vor ihm: aber sein strenger Geist wählte und vereinfachte." Der Mönch geht zu Grunde, weil er plötzlich, ohne sie zu kennen, in die Welt gestoßen wird; mit gebundenen Händen hat er sich einem fremden Willen überliefert — da erwacht in seinem Herzen selbstständiges Leben und heischt Berücksichtigung. „Jeder Zwang ist von Uebel", so möchte man philiströs die Moral des Buches resumiren, „und dem Natürlichen muß sein Recht werden". Dem Mönch, der die Wogen des Lebens zu meistern außer Stande ist, steht Ezzelin gegenüber, der Tyrann von Padua, der rücksichtslos jeden fremden Willen unterjocht, eine Gestalt, die trotz Härte und Grausamkeit durch einen imponirenden Zug selbstbewußter Größe, und durch die Einheitlichkeit ihres Wesens sympathisches Interesse weckt. Und Dianen, die .sich, der Form gehorchend, einem Manne zum Weibe geben will, der ihr gleichgültig ist, steht die junge Antiope gegenüber, die sich dem Zuge des Herzens völlig hingiebt. Dem italischen Himmel, unter welchem die Geschichte sich abspielt, entspricht der leidenschaftliche Athem der Diction, das mächtige, aber immer künstlerische Ungestüm der Handlung, in der Schilderung der volle blendende Zauber gesättigter Farben. In keinem seiner Werke hat Meyer das Instrument der Sprache mit so vollendeter Kraft und Sicherheit beherrscht, wie in der „Hochzeit des Mönchs". Man muß aber gestehen, daß der kostbare Rahmen, in welchen der Dichter das Bild eingefügt, denselben Kunstwerth besitzt, wie das Gemälde selbst. Meyer hat uns ein Bild des großen Florentiners entworfen, 51 wie wir es bisher in so charakteristischer Ausführung nicht besessen haben, und dadurch, daß Dante mit seiner Erzählung den Hörern einen Spiegel vorhalten will, ergeben sich Intermezzi, welche die Personen der Rahmenerzählung vorschieben und unserem unmittelbaren Interesse nahe bringen. Egzelin stattet Dante mit Zügen Cangrandcs aus, dessen Schwächen er in bezichungsvoller Rede bespöttelt, und mit schöner Parteilichkeit nimmt Cangrande's Gemahlin den Anlaß wahr, sich gegen die illegitime Liebe Astorrc's zu Antiope auszu- sprechen; sie denkt an sich und an Cangrande's schöne Freundin. Das größte Interesse aber weckt die Art, in welcher Dante erzählt. Er entwickelt seine Geschichte, er erfindet neue Züge, während er erzählt, er fragt die Hörer, wie sie die Handlung fortführen würden, er verbessert sich, überlegt, widerruft diesen und jenen Zug, holt Vergessenes nach. Es ist der Dichter, der uns einlädt, in seine Werkstatt zu treten. „Seid stille, sagt er, und ihr sollt sehen, wie in meiner Gedankenwebcrei der Teppich, in den ich meine Fabel webe, vor euren Augen entsteht. Jetzt der rothe Faden, jetzt der blaue; nehme ich nun, wieder den rothen? Ei, laßt sehen, welche Wirkung diese Farbentöne üben. Zurück, zurück! Dieß Stück wird aufgetrennt,' ich will es anders zusammenstellen. Tretet näher, sagt selbst eure Meinung! Wie würdet ihr die Arbeit weiterführen? So? O wie alltäglich! — So? O wie abgeschmackt! So? O wie unkünst- lcrisch — fort mit euren Rathschlägen, sehet, so webt der Meister!" . . . Den größeren Erzählungen Meyer's reihen sich die „Kleinen Novellen" ebenbürtig an. In jeder einzelnen schlägt der Dichter einen anderen Ton an; einen naiv-humorvollen in „Plautus", einen heldenhaft-idyllischen in „Gustav Adolfs Page"; das „Amulct" zeigt in großen Zügen eine gewaltige historische Perspective, der „Schuß von der Kanzel" ist ein Bild voll prächtiger Situationskomik und die Farben leidenschaftlichen Hasses spiegelt „Das Leiden eines Knaben". Einfach in der Erfindung, aber fesselnd in der Darstellung, vor allem nach der Seite des psychologischen Momentes, sind diese kleinen Novellen Meisterwerke im Kleinen. Jede hat ihren eigenartigen Reiz und nur die Feinheit und Schärfe des Slyls, die Anschaulichkeit der Schilderung, der Blüthen- staub der Naivetät, der über jeder Dichtung Meyer's liegt, sind die gemeinsamen Familicnzvge; jede derselben spielt in anderer Zeit; sie sind wohl durchwegs frei erfunden, aber der Dichter stellt sie mitten in die überlieferte Historie, mit welcher er sie sinnreich verknüpft, und indem er uns mit den Gestalten seiner Erfindung getreu auch das Bild ihrer Zeit zeigt, weckt er im Leser, der unter sich festen Boden fühlt, den Glauben, daß die erzählten Begebenheiten, wenn sie auch hin und wieder der Zufall beeinflußt, historisch beglaubigt sind. Der treuherzige Ton des Epikers, die objektive Darstellung, vor Allem die innere Wahrheit seiner Gestalten scheint die äußere Wahrheit zu verbürgen. So sind die „Kleinen Novellen", die uns auf kleinem Raume interessante Menschen zeigen, doch auch Aussichtspunkte in große Zeiten und Verhältnisse. Im „Amulet" ist sogar dieser Ausblick interessanter als das Schicksal der Personen der Novelle. Inmitten eines leidenschaftlichen, haßerfüllten Kampfes, aus stürmischen, gewalt- thätigcn Verhältnissen erblüht das Glück zweier Liebenden; aber die sanften Worte des Herzens übertönt der grausige Lärm der Bartholomäusnacht. Der Dichter muß sich gewaltsam Zurückhaltung auferlegen, daß nicht die Fülle des Stoffes den engen Rahmen sprenge. Dadurch aber kann die Handlung zeit- weilig nur skizzirt werden, und so dürfte denn ein Bcurthciler Meyer's Recht haben: daß gerade für diesen Stoff eine breitere Behandlung, als die kleine Novelle zuläßt, am Platze gewesen wäre. In künstlerischer Hinsicht gebe ich unter den kleinen Novellen der Novelle „Gustav Adolfs Page" den Preis. Sie muthet mich unter allen Erzählungen Meyer's am sympathischesten an, in keiner anderen herrscht eine solche Wärme des Tones vor, wie in dieser unmuthigen Novelle. — Als sich Gustav Adolf in Nürnberg dem Volke zeigte, hörte er aus dem Jubelgeschrei den Ruf: „Hoch Gustav Adolf, König von Deutschland!" Als er nun seinen Gastfrcund, den ehrsamen Kaufmann Leubelfing fragte, wer denn den König von Deutschland hoch leben ließ, da stach den die Prahlsucht und er sagte: „Majestät, das that mein Sohn, der August — der spannt Tag und Nacht darauf, als Page in euren Dienst zu treten". Und eines grämlichen Tages langt ein Brief des Königs ein, worin sich dieser den August Leubelfing als Pagen auskittet. Die Scene ist von überwältigender Komik, wie Vater und Sohn, die beiden Hasenfüße, jammern und wehklagen, daß August Leubelfing nun dem sicheren Tode entgegengehe. Aber die schlanke Gestalt, die eben in's Comptoir tritt, entreißt sie ihrem Harm; sie war es, Auguste Leubelfing, ein Soldatenkind, des Alten Nichte, die den Gustav Adolf als deutschen König ausgerufen, ihr Herz schlägt voll Liebe und Begeisterung für den König, und gerührt nehmen die Leubelfinge ihren Antrag an: sie wolle verkleidet als August Leubelfing dem großen Könige dienen. Und so zieht sie zu Gustav Adolf und lebt nun neben dem angebeteten König „eine zärtliche und wilde, selige und ängstliche Fabel, ohne daß der arglose König eine Ahnung dieses verstohlenen Glückes gehabt hätte, berauschende Stunden, gerade nach Vollendern achtzehn unmündigen Jahren beginnend und diese auslöschend, wie die Sonne einen Schatten, eine Jagd, .eine Flucht süßer und stolzer Gefühle, quälender Befürchtungen, verhehlter Wonnen, klopfender Pulse, beschleunigter Athemzüge, soviel nur eine junge Brust fassen und ein leichtsinniges Herz genießen kann in der Vorstünde einer tödtlichen Kugel oder am Vorabend einer beschämenden Entlarvung." Wie müht sich der Page, der Stimme männlichen Ton zu geben, wie tapfer und couragirt zeigt er sich an der Seite des Königs! Aber tödtlich erblaßt er, als er einmal eine Dirne erblickt, die mit entblößtem Rücken aus dem Lager getrieben wird. Der König ist dem Pagen wohlgesinnt, er erzählt ihm Geschichten, aber merkwürdiger Weise solche, die ein Mädchen interessiren mußten, als empfände er, ohne sich Rechenschaft davon zu geben, die Wirkung des Betruges, welchen der Page an ihm verübte. Auguste Leubelfing ist glücklich; ihr Wunsch war immer: „ein Leben, kurz und gut, das alle seine Strahlen in ein Flammen- bündel und in den Raum einer Stunde vereinigt, statt einer blöden Dämmerung ein kurzes, aber blendend Helles Licht von Gluck." Und verstohlener Jubel erfüllt sie über die Ähnlichkeit ihres kleinen mit dem großen Lose des Königs, den sie einmal zu Gott beten hört, ihn im Vollwerthe hinwegzunehmen, wenn seine Stunde da sei, bevor er ein Unnölhiger oder Unmöglicher werde. Eines Tages bringt man eine Slavonierin zur Bestrafung in das Zelt des Königs; mit verliebten Augen wendet sich diese, Hilfe heischend, an den Pagen, fällt ihm um den Hals — „dann aber wich sie in unsäglicher Verblüffung einen Schritt zurück und das seltsamste Lächeln der Welt irrte um ihren spöttisch verzogenen Mund." 53 Von dieser Stunde an zog sich ein Gewölk über des Pagen Haupte zusammen; sie ist durch ihren Streich Ursache gewesen, daß ein niedriges Weib den sittenstrengen König unwürdig verdächtigte; und als in Folge eines unseligen Mißverständnisses der Friedländer in eigener Person zu dein Könige ins Lager kommt, um ihn vor — dem Pagen zu warnen, entschließt sich Auguste Leubel- fing traurigen Herzens, das Zelt des Königs zu verlassen. Sie bleibt aber im Lager, denn sie will des Königs Nähe nicht entbehren; und als es zur letzten Schlacht kommt, da opfert sie sich für ihren geliebten König, deckt mit ihrem Körper den Leichnam, den sie, selbst schwer verwundet, in eine nahe Kirche bringt, wo sie ihr junges, tapferes Leben aushaucht. Man bettet beide Todte neben einander, „und ein Strahl der Morgcnsonne glitt durch das niedrige Kirchenfenster, verklärte das Heldenantlitz und sparte noch ein Schimmerchen für den Lockcnkopf des Pagen Leubelfing . . ." Die Personen, die in dem engen Rahmen dieser Geschichte auftreten, sind mit der Meisterschaft eines Meissonier gemalt; der Schwedenkönig, der Friedländer — es sind nicht Puppen, denen man prächtige Königs- und Feldherrngewänder umgeworfen hat, sie athmen wirkliches Leben, und wecken nur das Bedauern, daß sie der Dichter so rasch vorüberziehen läßt. Aber im Vordergrund der vortrefflich exponirten und entwickelten Novelle steht die kleine Gestalt des Pagen, und sie wird auch von den mächtigen Persönlichkeiten nicht erdrückt, die in ihrer Nähe auftauchen. Nur gegen den Schluß zu, da der Page sich, von seinem Herrn geschieden, im Lager nmhcrtreibt, geräth die Erzählung in eine kleine Stockung, sie schöpft Athem, bevor sie zu den bewegten Ereignissen übergeht, die das Ende des Pagen herbeiführen. Auguste Leubelfing, Gustav Adolfs Page eine liebenswürdigere Gestalt hat Meyer in keiner seiner Erzählungen geschaffen! Wie schmeichelt sich doch dieses treue Herz in unser Herz ein, wie lieblich ist die Verschämtheit des Mädchens, das bei aller Herzhafligkeit nur mit ungewissen Schritten über den glatten Boden äußerer Verstellung schreitet! Die Begeisterung für den König läßt sie manche Regeln der „Schicklichkcit" vergessen, aber nie verletzt sie die strengen Gebote edler Weiblichkeit. Dieses Schwanken, diese Unsicherheit in der die mädchenhafte Scheu zurückdrängenden Rolle ist mit einer unsagbaren Zartheit und Discretion ausgeführt. Der Page Gustav Adolfs ist eine der liebenswürdigsten, herzerfreuendsten Gestalten unserer ganzen novellistischen Litteratur. Einen gesunden, derb-komischen Ton schlägt „Der Schuß von der Kanzel", eine novellisirte Anekdote, an. An den General Wertmüller, der seine Freude an allen absonderlichen Dingen hat, wendet sich der Candidat Pfannenstiel, der sich um ein Pfarramt und des Generals schöne Nichte Rahel bewirbt. Der General unternimmt es, die Mythikoner Pfarre für seinen Schützling auf originelle Weise frei zu machen. Der alte Pfarrer ist ein leidenschaftlicher Jäger und Schußwaffensammler; Wertmüller steckt ein schwer losgehendes, und ein leichtspielendes Pistol zu sich, besucht kurz vor der Predigt den Pfarrer und schenkt ihm das eine Pistol; aber während der Pfarrer das Pistol, dessen Drücker, wie er sich selbst überzeugt hatte, nicht zu bewegen ist, bekommen zu haben glaubt, hat der General seinen Plan schon durchgeführt und dem zur Predigt eilenden Pfarrer in geschickter Verwechselung die leichtspielende Schußwaffe in die Tasche gleiten lassen. Nun folgt die mit prächtiger Steigerung 54 angelegte Scene mit dem „Knalleffekt", deren Situationskomik sich mit breitem Behagen zu voller Wirkung entfaltet. Das Kirchenlied wurde angestimmt. Jede Strophe begann mit der Aufforderung, den Geber alles Guten vermittelst eines immer wieder anderen Instrumentes zu loben. „Frohlocket, frohlocket! . . erscholl es heiter und Volltving in dem schönen, reinlichen Raume, durch dessen acht Spitzbogenfenster das leuchtende Blau des himmlischen Tages hereinquoll. Der General wendete sein gesammeltes Antlitz der Gemeinde zu, konnte aber mit einer ungezwungenen Wendung des Kopfes leicht den hohen Sitz beobachten, wo sein Vetter horstete. Eben jetzt warf er einen Blick hinauf. Der Seelsorger von Mythikon, der das Jubellied schon oft gehört hatte und seiner ebenfalls schon oft gehaltenen Predigt sicher war, betastete leise seine Tasche. „Posaunet, posaunet..." dröhnte es durch das Schiff. Wertmüller schielte die Kanzeltreppe hinauf. Der Vetter hatte das kleine Terzerol aus der Tasche gezogen und betrachtete es hinter der hohen Kanzelbriistung mit Augen der Liebe. „Drommetet, drommetet! .. ." sangen die My- thikoner. Mitten durch den Trompetenlärm hörte der General ein scharfes Knacken, als würde droben ein Hahn gezogen. Er lächelte. Jetzt kam die letzte, die Lieblingsstrophe der Mythikonerinnen. „Und flötet, o flötet!..." sangen sie, so schön sie konnten. Der General warf wieder einen verstohlenen Blick nach der Kanzel hinauf. Spielend legte der Pfarrer eben seinen dicken Finger an den Drücker; wußte er doch, daß er die Feder mit aller Gewalt nicht bewegen konnte. Aber er zog ihn gleich wieder zurück, und die sanften Flöten verklangen. Der General unten an der Kanzel legte in gedrückter Stimmung sein Gesicht in Falten. Jetzt betete der geistliche Herr, der das kleine Gewehr in seine geräumige Tasche zurückgleiten ließ, in aller Andacht die Liturgie und las dann den Text aus der großen, ständig auf dem Kanzelbrette lagernden Bibel. Es war der herrliche 47. Psalm, der da beginnt: Frohlocket mit Händen, alle Völker, lobet Gott mit großem Schalle! Frisch und flott ging es in die Predigt hinein und schon war sie über ihr erstes Drittel gediehen. Noch einmal lauerte der General empor, sichtlich enttäuscht, mit einem fast vorwurfsvollen Blicke, der sich aber plötzlich erheiterte. Der Pfarrer hatte im Feuer der Action, während seine Linke vor allein Volke gestikulirte, mit der durch die Kanzel gedeckten Rechten instinctiv das geliebte Terzerol wieder hervorgezogen. „Lobet Gott mit großem Schalle!" rief er aus, und, paff! knallte ein kräftiger Schuß. Er stand im Rauch. Als er wieder sichtbar wurde, quoll die blaue Pulverwolke langsam um ihn empor und schwebte wie ein Weihrauch über der Gemeinde... Der Pfarrer ist durch dieses Ercigniß gezwungen seine Stelle niederzulegen, und Pfannenstiel erhält die schöne Pfarre und die schönere Rahel. Eine Perle echten Humors ist„Plautus im Nonnenkloster", ein Buch voll liebenswürdigen Witzes, scharfer Satyre und graziöser Naivetät. Meyer zeigt hier neue Seiten seines dichterischen Könnens, ein erquickender Ton der Schalkhaftigkeit und übermüthiger Laune geht durch diese köstliche Novelle, welche ich nur mit Claude Tillier's unsterblichen Pamphleten und Gottfried Keller's „Sieben Legenden" auf eine Rangstufe stellen kann. Auch hier hebt sich der Humor von einem ernsten Untergründe ab, er hat, so harmlos er sich giebt, eine Spitze und zwar eine recht scharfe, wenn auch keine vergiftete: er stellt sich in den Dienst des Natürlichen und bekämpft unerbittlich jeden Zwang und jede Lüge, welche der Natur in's Gesicht schlagen. Aber nicht einen Augenblick wird die — sittliche — Tendenz des Buches die Naivetät der Erzählung erdrücken — die Moral soll der Leser selbst ziehen, der Dichter erzählt mit entzückender Unbefangenheit nur, was wirklich geschehen. Poggio Braccilioni, der gelehrte Philologe und Verfasser der vielgelesenen bedenklichen „Facezien" giebt am Hofe des Cosmos Medici ein Erlebniß, den Fund des Plautus, als „büaeemn inellitn" zum Besten. Von Constanz aus, wo das Concil tagte, machte er einmal einen Ausflug nach Monasterlingen; dort, halte er vernommen, hüte die Aebtissin eine den Gelehrten unbekannte Handschrift des Plautus. Hans, sein Kutscher, erzählt ihm, daß morgen dort eine Novize, die Gertrud, eingekleidet werde, die er liebe und die ihn geliebt habe; plötzlich habe sie sich von ihm abgewendet und sei in's Kloster gegangen, um den Schleier zu nehmen. Vor dem Kloster ging es lärmend her; auf der Wiese lag ein Riesenkreuz und die stärksten Männer versuchten vergebens, es zu heben. Brigitta, die bäuerische Aebtissin aber tanzte frech vor dem Kreuze und schrie, daß morgen, wie jedesmal, wenn eine Nonne eingekleidet werde, ein Wunder geschehen und Maria das Kreuz der Nonne tragen helfen werde. Poggio wendet sich von dem frechen Schauspiele ab und tritt in die Kirche, wo er die betende Gertrud antrifft. Er spricht zu ihr und, da er den Namen des Geliebten nennt, vertraut sie sich ihm an. Erst schildert sie das weit und breit gepriesene Wunder und als Poggio die Geschichte glaubhaft findet, sagt sie mit einem finsteren, überzeugten Blicke auf das Muttergottesbild: „Sie ist wahr." Gertrud ist gläubig und leidet eben, weil sie überzeugt ist, daß sich das Wunder morgen, wie so oft schon, wiederholen wird. Sie erzählt auch „den geheimen Handel zwischen ihr und der Muttergottes", wie sie sich der reinen Magd Maria gelobt, wenn sie die kranke Mutter noch zwei Jahre ihr erhalten würde. Und eben, als sie in heißester Liebe zu Hans entflammt war, lausen die zwei Jahre ab — die Mutter Gottes hatte sie erhört und das Gelübde war verfallen. „Da kamen mir oft flüsternde Gedanken, wie z. B. „das Gelübde eines unschuldigen Kindes, das nicht weiß, was Mann und Weib ist, hat Dich nicht weggeben können!" oder: „Die Mutter Gottes, nobel, wie sie ist, hätte Dir das Mütterlein wohl auch umsonst und vergebens geschenkt!" Doch ich sprach dagegen: „Handel ist Handel!" und „Ehrlich währt am längsten!" Sie hat ihn gehalten, so will ich ihn auch halten. Ohne Treu und Glauben kann die Welt nicht bestehen. Seit die Mutter Gottes zum ersten Male das Kreuz trug, hilft sie es, ihr Kloster bevölkernd, seit urewigcn Zeiten allen Novizen ohne Unterschied tragen. Es ist ihr eine Gewohnheit geworden, sie thut es gedankenlos. Nun sage ich zur Mutter Gottes: „Willst Du mich, so nimm mich! Obwohl ich — wenn Du die Gertrude wärest und ich die Mutter Gottes — ein Kind vielleicht nicht beim Worte nehmen würde. Aber gleichviel — Handel ist Handel! Aber trägst Du mir das Kreuz, so erleichtere mir auch das Herz; sonst giebt es ein Unglück, Mutter Gottes . . ." .Poggio deutet an: „Ein behendes und kluges Mädchen zöge sich mit einem Straucheln aus der Sache!" Aber da loderten Gertrudens blaue Augen: „Meint Ihr, ich werde fälschen, Herr?" zürnte die fromme Seele . . . Poggio entwirft seinen Plan, den verborgenen Plautus zu erlangen und Gertrude zu retten. Das schwere Kreuz war echt und eine großartige Sünderin mochte es gehoben haben mit den Riesenkräften der Verzweiflung und der Inbrunst. Aber diese That wurde seit Jahrhunderten durch Verwechslung des schweren mit einem leichten Kreuze nachgeäfft. Er muß das Gaukclkreuz finden; der Aebtissin stellt er sich als Concilsabgesandten vor; vorerst verlangt er von ihr alle unzüchtigen Bücher — sie giebt ihm „das Wüsteste und Gott- verbotenste, was seit Erfindung der Buchstaben ersonnen wurde" — seine Faceticnü Er packt die Schlaue nun von einer anderen Seite, indem er erklärt, beauftragt zu sein, die Organe des Wunders zu besichtigen und zu prüfen. Zitternd gesteht sie den Betrug und zeigt ihm das zweite, ausgehöhlte Kreuz. „Haltet reinen Mund, sagte sie, und ich gebe euch den Possenreißer." Um die Kirche zu schonen, ließ er das „Wunder" noch einmal zu, dann sollte das leichte Kreuz verbrannt werden. Anderen Tags hörte er Gertrude wieder beten und wehklagen — „laß mich stürzen unter dem Kreuz, was mir taugt, ist Sonne und Wolke, Sichel und Sense, Mann und Kind . ." — und giebt ihr durch Zeichen die Deutung des „Wunders". Als sie nun vor allem Volke das Kreuz tragen soll, wirst sie das leichte hin, daß es in Trümmer geht, und holt aus dem Versteck das schwere Kreuz, denn die gläubige Unschuld will sich trotzdem überzeugen, ob nicht Maria dennoch — trotz des wiederholten Betruges — das Wunder an ihr üben wolle. „Jetzt, Muttergottes", ruft sie, „schlichte du den Handel ehrlich!" Blutend bricht sie unter der Last zusammen; ein Lächeln des Dankes für die ausgebliebene Hilfe der Göttin breitet sich über ihr Antlitz, als sie wieder zu sich gekommen. Dann spricht sie mit einer himmlischen Heiterkeit die schalkhaften Worte: „Du willst mich nicht, reine Magd — so will mich ein Anderer!" Die Laufbahn des Mirakels aber war geschlossen. Ist der „Plautus" eine feine Klinge, die der Dichter gegen den Betrug führt, den man auch nicht als Mittel zu einem guten Zwecke gelten lassen kann, so ist „das Leiden eines Knaben" ein gutes, breites Schwert, das der Erzähler gegen einen Träger der Jesuitenmoral, daß der Zweck das Mittel heilige, schwingt. Es ist nicht nur eine glänzende, geistreiche Zeilschilderung, sondern vor Allem ein psychologisches Meisterstück, das mit frappirender Schärfe das innerste Seelenleben eines Knaben bloßlegt und zergliedert; bei aller Glätte der Darstellung durch den leidenschaftlichen Ton ehrlicher Entrüstung, mit welchem der Arzt Fagon dem Könige die Geschichte des unglücklichen Knaben vorträgt, von eindringlicher, unmittelbarer Wirkung. Aber wieder: nicht der Dichter zieht die Nutzanwendung, er hat das rein Menschliche, nichts Tendenziöses gesucht und vorgebracht. Die Tendenz trägt der Leser in das Buch, indem er -— leider gerechter Weise — den besondern Fall verallgemeinert. Fagon erklärt dem König Ludwig und der Frau Maintenon, warum er den Jesuiten Tcllier, des Königs neuen Beichtvater, „Schuft" genannt; dieser Wolf hat einen edlen Knaben, des Marschalls Boufflers Sohn, gemordet. Der junge Boufflers war ein auffallend unbegabter Knabe; was man im"weitesten Sinne Witz nennt, jede leidenschaftliche — warme oder spottende — Beleuchtung der Rede, jede Ueberraschung des Scharfsinns, jedes Spiel der Einbildungskraft waren bei Julian abwesend. Nur die einfachsten Begriffe und die ärmsten Worte standen ihm zur Verfügung. Der Marschall gab ihn den Jesuiten zur Erziehung, die ihn anfangs — aus eigennützigen Gründen — liebreich behandelten. Da kam der Marschall den edlen Patres durch Zufall aus einen kleinen Schurkenstreich und, obwohl er verschwiegen blieb, wollte er die, die Jesuiten überführenden Beweise nicht aus der Hand geben. Um sich am Vater zu rächen, warfen sich diese auf den armen Sohn. Jedes Entgegenkommen, jede gerechte Berücksichtigung hörte auf. Das Kind litt unendlich, täglich sah es sich gedemüthigt, weil die Lehrer die geistige Dürftigkeit nach verweigertem Almosen beschämt in ihrer Blöße dastehen ließen. Das Kind begann seinen Schlummer gewaltthätig abzukürzen, sein Gehirn zu martern, seine Gesundheit zu untergraben. Denn Julian war ehrgeizig, die Ehre ging ihm über alles. Eines Tages wird er von Tellier in roher, brutaler — und ungerechter Weise gezüchtigt; das 57 Haupt vorfallend, den Rücken gebrochen, die Gestalt geknickt, auf unsicheren Füßen, den Blick erloschen — so findet ihn Fagon. Man bringt den Kranken in's väterliche Haus. Kurz darauf hört er Offiziere und Damen darüber debatliren, „was ein Ehrenmann thäte, wenn er ungerechter Weise gezüchtigt würde" — und die kleine Mirabelle, die Julian liebt, meint: „Körperliche Gewaltthat erträgt kein Unterthan des stolzesten der Könige, ein so Gebrand- markter lebt nicht länger." Das giebt dem Aermsten den Todesstoß, ein schreckliches Fieber befällt und rafft ihn dahin. Ergreifend, erschütternd ist die Schilderung seines Todes, eine originelle, grandiose Scene: Dem Marschall machte Fagon Vorwürfe, daß er seinen Knaben, der nach Ehre durstete, vernachlässigt. Der Vater setzte sich neben seinen Knaben, der jetzt unter dem Drucke entsetzlicher Träume lag. „Ich will ihm wenigstens", murmelte der Marschall, „das Sterben erleichtern. Julian!" sprach er in seiner bestimmten Art. Das Kind erkannte ihn. „Julian, du mußt mir schon das Opfer bringen, deine Studien zu unterbrechen. Wir gehen mit einander zum Heere ab. Auch der Jüngste muß jetzt seine Pflicht thun." Diese Rede verdoppelte die Reiselust eines Sterbenden . . . Einkauf von Rossen . . . Aufbruch . . . Ankunft ini Lager . . . Eintritt in die Schlachtlinie . . . Das Auge leuchtete, aber die Brust begann zu röcheln. „Die Agonie", flüsterte Fagon. „Dort die englische Fahne! Nimm sie!" befahl der Vater. Der sterbende Knabe griff in die Luft. „Vivs lo roi!" schrie er und sank zurück wie von einer Kugel durchbohrt . . Der Schluß des Buches: Fagon hatte geendet und erhob sich. Die Marquise war gerührt. „Armes Kind!" seufzte der König und erhob sich gleichfalls. „Warum arm," fragte Fagon heiter, „da er hingegangen ist als ein Held? — Hal auch der Dichter in keiner seiner Novellen in willkürlicher Weise generalisier, sondern jeder Gestalt ihr ureigenstes, scharfes und charakteristisches Gepräge gegeben, hat er auch hinter keiner Person seiner Erzählungen irgend ein Symbol versteckt, dessen Auffindung dem Spürsinn des Lesers überlassen bliebe, und sich mit keinem der Jdeenträger seiner Romane identisicirt, so läßt sich doch nicht verkennen, daß er in einer persönlichen Beziehung zu seinen Stoffen steht, die er mit einer bestimmten Absichtlichkeit zu wählen scheint. Zu geschmackvoll und zu feinsinnig, um seinen Gestalten, die er allen Jahrhunderten, nur nicht dem unseren, entnimmt, moderne Gesinnung und Weltanschauung zu geben, will er gleichwohl nicht historische Versteinerungen zeigen; nicht die fertigen Menschen erregen sein Interesse, es ziehen ihn die kämpfenden an und die Kämpfe selbst, die zu den Zielen führen. In der Gegenüberstellung einander bekämpfender Personen und Verhältnisse läßt sich trotz der meisterhaften Objektivität der Darstellung und trotz des treuen historischen Gewandes die Tendenz erkennen, die aus Meyer's Dichtungen spricht. Mögen verknöcherte Aestheliker darin einen Fehler erblicken — ich nenne es einen Vorzug, daß der Leser, vor die leidenschaftlichen Kämpfe einer Meyer'schen Dichtung gestellt, Partei ergreifen muß, daß der Dichter seine Gestalten uns inmitten großer Verhältnisse zeigt, zu welchen sie Stellung nehmen müssen, daß er nicht nur Seelenmaler ist, sondern kühn und fest auch der Zeit ins Auge blickt, der seine Gestalten angehören. In dem großen Wandelbilde der Weltgeschichte wechseln Charaktere und persönliche Verhältnisse täglich und stündlich, aber die Ideen, die durch sie verkörpert erscheinen, „der Menschheit große Gegenstände," sind stets dieselben, heute wie zu den Zeiten Homers. In diesem Sinne darf man auch Meyer's Dichtungen, die nie die Grenze des Schönen überschreiten, 58 Tendenzpoesien der edelsten Art nennen; im weitesten Sinne ist es Freiheit und Wahrheit, deren Herold er ist: mag es die Freiheit eines ganzen Volkes oder das Sehnen des Einzelnen sein, aus engen Verhältnissen, aus dem Zwang der Vorurtheile, aus der Unnatur und der Lüge sich zum Natürlichen und Wahren, der Treue gegen sich selbst, emporzuarbeiten. Keinen Augenblick zweifle ich daran, daß es Meyer gelingen könnte, die Tendenz enger zu fassen und schärfer hervortreten zu lassen, ich meine, daß er auch Bilder unserer Zeit, moderne Romane mit großen Gesichtspunkten und weilen Ausblicken zu entwerfen im Stande wäre, und gleicherweise müßte es dem Menschenkenner und Meister der Seelenmalerei gelingen, rein seelische Con- flikte der Menschen von heute, das heißt also moderne Novellen zu schreiben: vielleicht ist es nur die nervöse Hast des Tages, welche die Stoffe aus unserem Gesellschaftsleben in ihrer Art, kurzathmig und sprunghaft, behandelt wissen will, den Dichter abstößt; er hat den Blick für das Wesentliche, den Blick des großen Künstlers, aber unser Gesellschaftsleben setzt sich aus einer solchen Menge kleiner und kleinlicher Momente und Motive Zusammen, daß derjenige vielleicht sein getreuester und wahrster Schilderer und Interpret ist, der Wesentliches und Unwesentliches wiederzugeben versteht, nicht wählender Bildner, sondern Photograph ist. Diese realistische Art, die in den Romanen des Russen Dostojewski ihre höchste Ausbildung erfahren hat, aber auch hart an der Grenze der eigenen Karikatur steht, ist Mcyer's Wesen völlig fremd; er hat vielmehr den Blick des Historikers, der das Kleinliche und Nichtssagende vom Schwerwiegenden und Bedeutungsvollen zu scheiden versteht; sein dichterisches Interesse wird erst geweckt, wenn sich die tausend kleinen Züge zu einem einheitlichen, großen Körper krystallisirt haben. Er wendet sich von der Schilderung des Tages ab, sowie sich sein ganzes Wesen von dem Lärm des Tages abzuschließen sucht. Er hat dies in einem seiner schönsten Gedichte, das eines der schönsten der deutschen Lyrik ist, in feiner Weise umschrieben und damit das treueste Bild seines Wesens gegeben: Nie prahlt' ich mit der Heimat noch Und liebe sie von Herzen doch, In meinem Wesen und Gedicht Allüberall ist F-irnelicht, Das große, stille Leuchten! Was kann ich für die Heimat thun, Bevor ich geh' im Grabe ruh'n? Was geb' ich, das dem Tod entflieht? Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied, Ein kleines, stilles Leuchten! Nicht ein Wort, nicht ein Lied — jedes Wort, jedes Lied, oaß Conrad Ferdinand Meyer uns geschenkt, hat unvergänglichen Werth. Wie die Bestalln das heilige Feuer, so hütet er mit priesterlicher Strenge und Treue die heilige Flamme der Poesie; nicht jeder Einfall ist würdig, in Formen der Dichtung gegossen zu werden, die erste Kritik an seinen Schöpfungen, den erflehenden und den erstandenen, übt Meyer selbst mit unendlicher Gewissenhaftigkeit, mit rührender Bescheidenheit. Gering ist die Zahl der Bücher, die er in die Welt geschickt, aber wir erleben an ihm die freudige Genugthuung, daß er, trotzdem sechzig Lebensjahre sein Haar gebleicht haben, eine dichterische Kraft besitzt, die Wie pocgi vas qocez mir m vcr Trotz meiner jungen Wanderlust, Wann heimgewendet ich erschaut' Die Schneegebirge, süß umblaut, Das große, stille Leuchten! Ich athmet' eilig, wie auf Raub, Der Märkte Dunst, der Städte Staub. Ich sah den Kampf. Was sagest du, Mein reines Firnelicht dazu, Du großes, stilles Leuchten? 59 sich von Buch zu Buch mächtiger entwickelt; jede neue Dichtung erglänzt in neuen Vorzügen und läßt die alten nicht vermissen; wir sehen ein Aeller- werden, aber kein Altern. In dem Wenigen aber, daß Conrad Ferdinand Meyer geschrieben, hat er dem deutschen Volke Gaben geschenkt, wie wenige Dichter unserer Zeit: so wäre es denn auch an der Zeit, daß ihm der volle, uneingeschränkte, allgemeine Dank der Nation zu Theil würde, deren treuer und dankbarer Sohn er ist, daß seine Dichtungen Eingang fänden in jedem deutschen Hause, in welchem der Sinn für die Dichtkunst noch lebt. Wie Conrad Ferdinand Meyer mit dem Muthe eines eigenartigen Talentes seine Wege geht, ohne sich an die Geschmacksrichtung des Tages zu kehren, nur dem Schönen, Sittlichen und Wahren ergeben, so, meine ich, wird auch das, was er geschaffen, seine Tage überleben, ein Lorbeer, der unvcrwelklich ist, ist ihm gewiß. Aber schon die Mitwelt sollte ihrer Schuld eingedenk sein und auf die Frage, die sich der Dichter stellt, ohne sie zu beantworten: lind du selber'? Bist du echt beflügelt? Oder nur gemalt und abgespiegelt? Gaukelst du im Kreis mit Fabeldingen? Oder hast du Blut in deinen Schwingen? sollten täglich und stündlich Hunderte ihm zurufen: Du bist ein echter Dichter! Die Schöpfungen deiner Muse sind die edelste Verkörperung des Schönen: sie werden bleiben, wofern der Sinn für das Schöne nicht erstirbt! Das stille Leuchten deiner Dichtung wird dauern, wie das große Leuchten des ewigen Schnees auf den Bergen deiner Heimat! Conr. Ferd. Meyer's Schriften. Jürg Jcnatsch. Eine Bündnergeschichte. 7. Auflage. 1885. geheftet .« 3. — gebunden ^ 4. — Der Heilige. Novelle. 4. Auflage. 1884. geheftet ^ 3. — gebunden 4. — Dlioinus ä Leekel, tlie 8<>i»t. Drauslattzä kroin ibe Ooriuau bv N. von IV'viul- boiin. 1885. Mbsktet 3. — » Mbuuäsu — DaS Leiden eines Knaben. Novelle. 2 . Auflage. 1883. geheftet ^ 2 . — gebunden 3. — Die Hochzeit des Mönchs. Novelle. 1885. geheftet ^ 2 . — gebunden ^3. — Hntten'S letzte Tage. Eine Dichtung. 5. Auflage. 1884. geheftet ^3. — gebunden ^6 4. — - . . 4 , Aufl. Auf Kupferdruckpapier in Quarto gedruckt. geheftet ^ 13. — gebunden ^ 20 .— Das Amulet. Novelle. geheftet ^ 1. — gebunden 1. 40 Der Schutz von der Kanzel. Novelle. geheftet ^ 1. — gebunden 1. 40 Plautus im Nonnenkloster. Novelle. geheftet ^ 1. — gebunden ^ 1. 40 Gustav Adols's Page. Novelle. geheftet ^ 1. — gebunden ^ 1. 40 Gedichte. 2. Auflage. 1883. geheftet ^ 3. — gebunden ^ 4. — Engelbcrg. Eine Dichtung. 1873. ^ 2 . — Romanzen und Bilder. 1870. ^ 1. - Novellen. 2 Bände. 1885. geheftet jeder Band 4. — gebunden jeder Band 5. — 1. Band. Das Amulet. — Der Schuß von der Kanzel. — Plautus im Nonnen- kloster. — Gustav Adolfs Page. 2 . Band. Die Hochzeit des Mönchs. — Das Leiden eines Knaben. . — Die Richterm. Verlag von H. Haessel in Leipzig. Druck von Pöschel L Trcpte tu Leipzig. MWWWWWWWWW ^ Ich? ^ -ch .'«i -O » !E .^G«VZRR '.^o > 1 ^. 71 ^' WIR RMK WLN RMN WNM M'-M LW UM VMS « :-A Lr^ DUZ MWi LÄ E. ML^Ä^4L .M. ML. Mk^ -KrL^LMZ tzK M >WZ: ?!WZ1° 8M8 LMi. AM MKM -SWV -KNS 8«L KÄK KM UM kM?z KLÄ? SLÄ >WM 5 E- ; ^ - ^ j Z ^ .> H » i ^ / NK! ^