A. in der Erwägung, daß die Völker und die Parlamente der Mitgliedstaaten sowie die Organe der Union vom Europäischen Parlament eine Stellungnahme zum Vertrag von Amsterdam erwarten,
B. in der Erwägung, daß es wegen der doppelten Legitimation der Europäischen Union als einer Union der Staaten und einer Union der Völker Europas die Aufgabe des Europäischen Parlaments sein muß, den Integrationswillen der Völker der Union in voller Unabhängigkeit zu artikulieren,
C. in der Erwägung, daß die jüngste Regierungskonferenz die Grenzen der Methode diplomatischer Verhandlungen gezeigt hat und das Europäische Parlament im Hinblick auf seine konstruktive Rolle bei der Revision der Verträge und auf seine Funktion als legitimierter Repräsentant der europäischen Bürger bei künftigen Vertragsänderungen eine wesentlich stärkere Rolle beanspruchen muß,
D. unter Hinweis darauf, daß in Zukunft eine eindeutigere Identität der Union erforderlich sein wird, um die internationalen Interessen der EU wahrzunehmen,
E. in der Erwägung, daß der politische Ausbau der Union durch den Vertrag von Amsterdam zu begrenzt ist, um die Währungsunion wirksam begleiten zu können, und daß deshalb ihre institutionellen Aspekte, insbesondere ihre demokratische Kontrolle, überdacht werden müssen,
F. in der Erwägung, daß bei der Beurteilung des neuen Vertrages vor allem auf folgende sechs Kriterien abgestellt werden sollte:
a) jeder neue Integrationsschritt muß die demokratische Qualität der Union steigern und selbst demokratisch legitimiert sein,
b) die Doppelnatur der Union als Union der Völker und Union der Staaten macht es erforderlich, daß jeder Integrationsschritt sowohl die Identität der Union stärkt und ihre Handlungsfähigkeit steigert, als auch die Identität der Mitgliedstaaten, den Kern der einzelstaatlichen Verfassungskulturen achtet und schützt und die Gleichrangigkeit aller Mitgliedstaaten sowie die Vielfalt der Kulturen ihrer Bürger beibehält,
c) jeder Integrationsschritt ist daran zu messen, ob und inwieweit er die Union nicht nur als gemeinsamen Markt, sondern auch als Wertordnung zum Ausdruck bringt und weiterentwickelt und welche Verbesserungen der Lebensqualität der Bürger, ihrer Aussichten auf Beschäftigung und der Qualität der Gesellschaft er ermöglicht, wobei vor allem der praktische Nutzen der Unionsbürgerschaft zugrunde zu legen ist,
d) jeder neue Integrationsschritt muß einen Fortschritt, eine konstruktive Weiterentwicklung gegenüber dem bisherigen Besitzstand darstellen,
e) der jetzige neue Integrationsschritt wird an den Forderungen zu messen sein, die das Europäische Parlament zur Regierungskonferenz ausgesprochen hat,
f) der neue Integrationsschritt muß daran gemessen werden, ob er die institutionellen Voraussetzungen für die kommenden Erweiterungen schafft,
G. in der Erwägung, daß weitere Verbesserungen im Interesse der Bürger nur möglich sind, wenn die Kritik, die sich aus der Anwendung der genannten Kriterien ergibt, von allen politischen und sozialen Kräften der Union in solidarischer Aktion in einen konstruktiven Kampf mit konkreten Anregungen für die unmittelbare Zukunft umgewandelt wird,
H. im Bewußtsein, daß die für die Europäische Union grundlegenden Werte des Friedens, der Demokratie, der Freiheit, der Menschenrechte, des Rechtsstaats, der sozialen Gerechtigkeit, der Solidarität und des Zusammenhalts nie als erreicht empfunden, sondern stets neu erkämpft werden müssen,
1. empfiehlt den Mitgliedstaaten, den Vertrag von Amsterdam zu ratifizieren;
2. stellt fest, daß der Vertrag von Amsterdam einen weiteren Schritt auf dem unvollendeten Weg des Aufbaus einer Europäischen Politischen Union vollzieht und für gewisse Organe nicht zu unterschätzende Fortschritte enthält, andere Fragen aber ungelöst läßt;
3. vermißt im Vertrag von Amsterdam die für ein effizientes und demokratisches Arbeiten einer erweiterten Union notwendigen institutionellen Reformen und betont, daß diese Reformen so schnell wie möglich vor der Erweiterung verwirklicht werden müssen, um die Beitritte nicht zu verzögern;
4. ersucht den Europäischen Rat, zu bekräftigen, daß kein Beitritt in Kraft treten wird, bevor die institutionellen Reformen abgeschlossen sind, die für ein gutes Funktionieren einer erweiterten Union erforderlich sind; fordert den Rat auf, auf der Grundlage dieser Entschließung seine diesbezüglichen Arbeiten aufzunehmen und mit dem Europäischen Parlament in einen politischen Dialog hierüber einzutreten;
5. betont, daß der Vertrag von Amsterdam einerseits der Gemeinschaftsmethode im Grundsatz den Vorrang einräumt, andererseits die Gefahren einer (auf manchen Gebieten unvermeidlichen) differenzierten Integration durch präzise Kriterien und ihren Ausnahmecharakter auf ein tragbares Maß eindämmt; unterstreicht jedoch, daß mutigere und konsequentere Schritte beim Übergang zur Gemeinschaftsmethode erforderlich gewesen wären;
6. bewertet die im Vertrag von Amsterdam erfolgte Fortschreibung der Ziele der Union und der Grundsätze der Gemeinschaft als Zeichen für den erforderlichen Integrationswillen der Völker und der Staaten; vermißt jedoch eine Präambel, die nach dem Vorbild der früheren Verträge in ausdrücklicher Form einen gemeinsamen politischen Willen der vertragschließenden Parteien verdeutlicht, wobei dieser Wille darauf gerichtet sein muß, einer Gemeinschaft anzugehören, die mehr ist als die Summe ihrer Teile und mehr als eine bloße Interessenvereinigung, deren Mitglieder keinen anderen Zweck verfolgen als das Gleichgewicht von eingebrachten Leistungen und erlangten Vorteilen;
7. unterstreicht, daß die neuen Möglichkeiten des Vertrags von Amsterdam nur dann zu greifbaren Ergebnissen führen werden, wenn der zur Zeit nicht ausreichend vorhandene politische Wille zu gemeinsamem Vorgehen in allen Bereichen der Verträge zustandekommt und sich ein neues Verhältnis gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten untereinander und zwischen ihnen und den Gemeinschaftsorganen herausbildet;
8. stellt unter Verweisung auf die im Sitzungsdokument A4-0347/97() ausgeführten Einzelheiten fest, daß der Vertrag von Amsterdam die Instrumente der Union, Politik im Interesse ihrer Bürger zu gestalten, zum Teil erheblich verbessert, im Bereich der Gemeinschaftspolitiken insbesondere in der Beschäftigungs- und Sozialpolitik, der Umwelt- und Gesundheitspolitik und der Inneren Sicherheit; darüber hinaus sind weitere Verbesserungen notwendig; fordert insbesondere
9. stellt fest, daß der Vertrag von Amsterdam auf dem Gebiet der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zwar einige institutionelle, budgetäre und praktische Verbesserungen enthält, insgesamt aber nicht nur in bezug auf die Entscheidungsmechanismen deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt; unterstreicht insbesondere, daß
10. erkennt gewisse Fortschritte im Bereich Inneres und Justiz, soweit er in der Regierungszusammenarbeit verbleibt, und fordert den Rat bzw. die Mitgliedstaaten insbesondere auf
11. erkennt an, daß der Vertrag von Amsterdam die Europäische Union als Wertordnung einer freiheitlichen, demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Solidargemeinschaft mit gemeinsamen Grund- und Bürgerrechten verfestigt und auf einigen Gebieten weiterentwickelt;
12. begrüßt die Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens auf zahlreiche neue Gebiete und das Zustimmungsrecht zur Benennung des Kommissionspräsidenten; fordert aber darüber hinaus, daß
bedauert, daß der Vertrag von Amsterdam den Sitz des Europäischen Parlaments ohne seine Beteiligung festgelegt hat;
13. erkennt Fortschritte auf dem Gebiet der Transparenz und Öffentlichkeit, durch die Vereinfachung und Verringerung der Zahl der Entscheidungsverfahren, durch vertragliche Regeln über den Zugang zu Dokumenten und durch die Überarbeitung der Vertragstexte; unterstreicht jedoch, daß es der Grundsatz der Zugänglichkeit für die Bürger gebietet, diese Bemühungen zu vollenden durch:
14. bedauert, daß es im Vertrag von Amsterdam nicht ausreichend gelungen ist, durch Ausdehnung der qualifizierten Mehrheitsentscheidung die Effizienz der Entscheidungsverfahren zu verbessern;
15. nimmt zur Kenntnis, daß der Vertrag von Amsterdam im Protokoll über die Organe die Notwendigkeit weiterer institutioneller Reformen vor der Erweiterung der Union auf über 20 Mitgliedstaaten anerkennt, und billigt in diesem Zusammenhang vorbehaltlos die gemeinsame Erklärung Belgiens, Frankreichs und Italiens, in der solche Reformen als Voraussetzung jedweder Erweiterung befürwortet werden;
16. fordert deshalb insbesondere, daß vor jedweder Erweiterung
17. fordert die Mitgliedstaaten auf, die Möglichkeit, eine Beschlußfassung durch Mehrheitsentscheidung unter Berufung auf wichtige Gründe nationaler Politik zu verhindern, die der Vertrag von Amsterdam in der Außenpolitik und in bezug auf "verstärkte Zusammenarbeit" vorsieht, nur als äußerste Notbremse zu nutzen;
18. stellt fest, daß mit dem Vertrag von Amsterdam eine geschichtliche Epoche zu Ende gegangen ist, in der das europäische Einigungswerk mit den Mitteln klassischer Diplomatie schrittweise vorangetrieben werden konnte;
19. ist überzeugt, daß statt dessen die Politik jetzt den Primat bei der Neugestaltung der Europäischen Union übernehmen muß und daß hierbei vor allem das Europäische Parlament und die Parlamente der Mitgliedstaaten ihre Rechte wahrnehmen müssen;
20. fordert die Kommission auf, ihm zu gegebener Zeit vor der Tagung des Europäischen Rates im Dezember 1998 einen Bericht mit Vorschlägen für eine umfassende Reform der Verträge vorzulegen, die insbesondere im institutionellen Bereich und im Zusammenhang mit der Erweiterung notwendig ist; fordert, daß dieses Dokument gemäß dem neuen Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union den Parlamenten der Mitgliedstaaten übermittelt wird; beabsichtigt, seine eigene Position im Lichte dieser Vorschläge zu gegebener Zeit im Rahmen dieses Prozesses zu klären, um dann einen Dialog zwischen Kommission und Europäischem Parlament in Gang zu setzen; fordert, daß auch vor der Änderung des Artikel 48 (ex N) EU-Vertrag das Parlament an der nächsten Regierungskonferenz voll beteiligt wird und das verbindliche Einverständnis (z.B. nach dem Modell interinstitutioneller Vereinbarungen) erreicht wird, daß der Vertrag nur mit Zustimmung des Parlaments in Kraft treten kann;
21. sieht den Äußerungen der Parlamente der Mitgliedstaaten zu diesem Bericht mit Interesse entgegen; erklärt seine Absicht, seine Kontakte zu den Parlamenten der Mitgliedstaaten systematisch zu intensivieren, um einen politischen Dialog zu führen und gemeinsam die künftige Gestaltung der Europäischen Union zu erörtern;
22. fordert die Kommission auf, dann die Position des Europäischen Parlaments zu übernehmen und förmliche Vorschläge für eine Änderung der Verträge gemäß Artikel 48 (ex N) EU-Vertrag vorzulegen; fordert für das weitere Verfahren eine paritätische Assoziierung des Europäischen Parlaments;
23. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Parlamenten und den Regierungen der Mitgliedstaaten zu übermitteln und dafür Sorge zu tragen, daß sie zusammen mit dem ihr zugrundeliegenden Sitzungsdokument der europäischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
( 1) Befassung C4-0538/97, die am 24.10.97 durch das Plenum erfolgte.
( 2) ABl. C 151 vom 19.06.1995, S. 56.
( 3) ABl. C 96 vom 01.04.1996, S. 77.
( 4) ABl. C 33 vom 03.02.1997, S. 66.
( 5) ABl. C 115 vom 14.04.97, S. 165.
( 6) ABl. C 200 vom 30.06.97, S. 70.
( 7) ABl. C 222 vom 21.07.1997, S. 17.
( 8) ABl. C 77 vom 19.03.1984, S. 53.
( 9) ABl. C 125 vom 18.05.1992, S. 81.