Papers by Yashar Mohagheghi
Die Kraft der Ode
De Gruyter eBooks, Apr 22, 2024
Gegenwartsarbeit im Material. Kracauers materiale Soziologie und die Politik der kleinen Form
Lettre, Aug 31, 2023

Deutsche Vierteljahrsschrift Fur Literaturwissenschaft Und Geistesgeschichte, Feb 20, 2020
In the 18 th century a new type of feasts evolve: the covenant festival as a founding act. As the... more In the 18 th century a new type of feasts evolve: the covenant festival as a founding act. As the corporative society dissolves, the bourgeoisie uses festivals as an instrument of social cohesion. Those associations gradually promote a political claim. Since modern society develops linear and progressive time patterns (temporalization), the festivals lose the task of cyclically reproducing time. Instead, the new utopian festivals seek to imagine and to push the turn towards a new age. They therefore fulfill the function of modern ›rites of passage‹. Being detached from institutions and becoming a ritual of universal social cohesion, the oath becomes the crucial element of the festivals' dramaturgy seeking social fusion. From the social sphere, the bourgeois covenant festivals rise to the level of political representation in the French Revolution. Das Fest erfährt im ausgehenden 18. Jahrhundert einen Bedeutungsverlust. Die Moderne, so das Diktum, sei eine Zeit ohne Feste 1 , das heißt ohne solche, die eine sinntragende Bedeutung für das ganze Gemeinwesen besäßen. 2 Im Zuge der Dynamisierung des gesellschaftlichen Zeithorizonts und der Auflösung korporativer Sozialstrukturen verliert das Fest seine strukturierende Funktion für die zeitliche und soziale Ordnung der modernen Gesellschaft. 3 Es zieht sich einerseits in die Privatsphäre zurück und wird andererseits im öffentlichen Raum als Propagandainstrument genutzt. 4 Die Literaturgeschichte des Festes indes verzeichnet im 18. Jahrhundert, im Kontext etwa von Freundschaftsbünden und Anakreontik, gerade einen Höhepunkt. In dem Maße nämlich, wie das Fest als Gemeinschaftsregulativ verdrängt wird, tritt es in das Feld des ästhetischen Selbstverhältnisses der Subjekte. Da die empfindsame Geselligkeit, in der es kultiviert wird, in besonderem Maße in eine bürgerliche Schriftkultur eingebunden ist, sind Briefe, Gedichte, Bundesbücher usw. wesentliche Quellen der Festkultur. Insofern stellt die Literaturwissenschaft eine Schlüsseldisziplin für die Erforschung des Festes im 18. Jahrhundert dar.

„Aggregate der Gegenwart“. Entgrenzte Literaturen und Erinnerungskonflikte, Dec 30, 2023
Der Aufsatz untersucht Kracauers materialsoziologischen Ansatz und dessen gattungspoetische Veror... more Der Aufsatz untersucht Kracauers materialsoziologischen Ansatz und dessen gattungspoetische Verortung in kleinen Formen. Kracauers situiert seine Kultursoziologie zwischen der idiographischen Beschreibung des Einzelfalls (materiale Soziologie) und der nomothetischen Ableitung allgemeiner Gesetze (formale Soziologie). Kracauer knüpft dabei an Simmel an, dessen methodische Spannung zwischen individueller Beschreibung und struktureller Analyse er aufnimmt. Gegenüber Adornos postumer Kritik an Kracauers 'undialektischem' Verharren im Konkreten, sieht dieser gerade darin die Möglichkeit einer kritischen Durchdringung der Gegenwart.
Kracauer analysiert gesellschaftliche Strukturen nicht abstrakt, sondern durch die Beobachtung und Beschreibung konkreter Alltagsphänomene. In Miniaturen, Feuilletons und essayistischen Kurzformen spürt er den unbewusst sedimentierten Machtverhältnissen in kulturellen und medialen Erscheinungen nach. Die kleinen Formen sind für ihn dabei nicht nur Mittel der Darstellung, sondern selbst Ausdruck eines Erkenntnisprozesses: An der Oberfläche des Alltagslebens offenbaren sich soziale und ideologische Strukturen, die sich weniger in diskursiven Sätzen als in habitualisierten Wahrnehmungsmustern und materiellen Dispositiven manifestieren. So stellt Kracauers Gegenwartsanalyse in den kleinen Formen selbst eine politische Praxis dar. Indem sie die diskontinuierliche Struktur der modernen Gesellschaft reflektieren, wirken sie nicht nur beschreibend, sondern sollen auf Wahrnehmungsdisposition des Lesenden wirken. So wird Gesellschaftskritik zur Gegenwartsarbeit im Material – eine allmähliche, fragmentarische, aber umso wirksamere Methode der Erkenntnis.
Ressource ›Schriftträger‹. Materielle Praktiken der Literatur zwischen Verschwendung und Nachhaltigkeit, 2023

Lili-zeitschrift Fur Literaturwissenschaft Und Linguistik, Mar 1, 2023
Zusammenfassung Mallarmés Dichtung gilt als der Höhepunkt einer selbstreferentiellen Dichtung des... more Zusammenfassung Mallarmés Dichtung gilt als der Höhepunkt einer selbstreferentiellen Dichtung des l'art pour l'art. In den letzten Jahrzehnten indes hat die Forschung verstärkt Mallarmés Bezug zur Alltagskultur hervorgehoben. Dieser zeigt sich besonders deutlich in der Modezeitschrift La Dernière Mode, die Mallarmé im Jahr 1874 in acht Ausgaben allein verfasst hat. Die Spannung zwischen den Autonomieanforderungen der hohen Kunst und der Populärkultur thematisiert die Zeitschrift dabei selbst. Das zeigt sich auch im Gebrauch der für Modezeitschriften zeittypischen Pseudonyme. Diese gehen über eine rein pragmatische Funktion hinaus und eröffnen ein literarisiertes Spiel der Allusionen und Verweise, das zur Deutung einlädt. Die Hermeneutik des Decknamens erweist sich als Geschlechtertravestie und reflektiert das geschlechtlich kodierte Verhältnis von Hoch-und Populärkultur.

in: Zukunft - Zukunftswissen - Zukunftsasthetik: Reflexionen des Kommenden in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Hg. von Fabian Lampart und Natalie Moser., 2024
Die Entdeckung der Zukunft und die Verzeitlichung im 18. Jahrhundert Zukunft als eine eigene Zeit... more Die Entdeckung der Zukunft und die Verzeitlichung im 18. Jahrhundert Zukunft als eine eigene Zeitdimension bildet sich erst im 18. Jahrhundert heraus. Während zuvor Vergangenheit und Zukunft durch die Kontinui tät einer gleichförmigen Lebenswelt aneinandergeknüpft waren, 1 zerfällt ihre Einheit mit den technischen und sozialen Neuerungen im Laufe der Neuzeit zunehmend. Da Zukunft nicht mehr aus der Vergangenheit ab leitbar ist, differenzieren sich die beiden Zeitmodi nun erst qualitativ ge geneinander aus. Damit einher geht die Umstellung der Vergangenheitsauf Zukunftsorientierung, die Niklas Luhmann als »Führungswechsel der Zeithorizonte« 2 bezeichnet. Nach Luhmann bedingt eine komplexer wer dende Gesellschaft 3 , dass die Zeithinsichten der verschiedenen Systeme durch eine übergreifende Referenzzeit synchronisiert werden müssen. Die so entstehende ›Weltzeit‹ abstrahiert die Zeit also von den jeweiligen Ver laufslogiken der einzelnen Systeme. 4 Durch die Ablösung von singulären Ereignissen, mit denen Vergangenheit und Zukunft vormals identisch waren, werden diese nun zu eigenständigen »mobile[n] Dimensionen«. 5 Die Weltzeit ist als unendliche Zeitpunktreihe kompatibel mit allen Zeit punkten in den verschiedenen Systemgeschichten. 6 Das Auseinanderfallen 1.
Zur Poetologie, Ökonomie und Ökologie der Ressource »Schriftträger«
transcript Verlag eBooks, Dec 31, 2023

Zeitschrift Fur Franzosische Sprache Und Literatur, 2021
With industrialisation, literature in the 19th century, especially aestheticism and decadence, sh... more With industrialisation, literature in the 19th century, especially aestheticism and decadence, shows itself influenced by commodity and consumer culture. In Mallarmé’s case, this connection is already biographically obvious: through his editorship of the fashion magazine La dernière mode in 1874. That his connection to fashion was not a biographical intermezzo but rather formative for the poetry, has already been noted in research. In contrast to a research tradition that understands Mallarmé’s poetry as absolute, self-referential poetry with metaphysical and ontological implications, research in recent decades has therefore emphasised its embeddedness in everyday culture. This essay aims to examine Mallarmé’s affinity with commodity and consumer culture with regard to a fashion object that was of particular importance to him: the fan, which was not only the subject but also the material carrier of numerous poems, each addressed to a lady and written on her fan. By using objects of daily use as writing carriers, the fan poems reflect the materiality of literature. The primacy of reading is thus replaced by other modes of use.

Wahrnehmungskräfte - Kräfte wahrnehmen : Dynamiken der Sinne in Wissenschaft, Kunst und Literatur, 2024
gilt als einer der wichtigsten Beiträge, wenn nicht geradezu als der Referenzbeitrag der literatu... more gilt als einer der wichtigsten Beiträge, wenn nicht geradezu als der Referenzbeitrag der literaturwissenschaftlichen Kraftdiskussion. Auch wenn Herders Kraftbegriff in der Forschung durchaus eingehend diskutiert worden ist, wirft er noch grundsätzliche Fragen auf. 1 Es erweist sich daher als hilfreich, nach seiner literaturgeschichtlichen Situierung zu fragen. Ich möchte Herders Kraftkonzept als Antwort auf einen Struk turwandel der Lyrik im dritten Viertel des 18. Jahrhunderts begreifen, der durch Dynamisierung bestimmt ist und in den ästhetischen Kategorien von Be wegung und Kraft reflektiert wird. Gattungsspezifisch hat dieser Wandel, sowohl in der poetischen Praxis als auch im theoretischen Diskurs, seinen besonderen Ort in der Ode und der Hymne. 2 Die Odentheorie stellt ein wichtiges Diskussionsfeld in der Kontroverse um Nachahmungs-und Aus drucksästhetiknach Hans-Henrik Krummacher "der eigentliche Dreh punkt der Veränderungen der Lyrik und Lyriktheorie im 18. Jahrhundert" 3-dar. Als privilegierte Gattung gewinnt die Ode so ab den 1740er Jahren maßgebliche Bedeutung für die 1 Neben der im Weiteren zitierten Forschungsliteratur seien ergänzend noch folgende Publikationen zu nennen: Hans Dietrich Irmscher: Zur Ästhetik des jungen Herder, in: Gerhard Sauder (Hg.
Aspekte einer Theorie und Geschichte des Festes
Zumindest bezuglich der grundlegendsten Definition des Festes herrscht Einigkeit: Das Fest ist da... more Zumindest bezuglich der grundlegendsten Definition des Festes herrscht Einigkeit: Das Fest ist das Andere des Alltags, es ist Nicht-Alltag. Fur Jan Assmann ist die Notwendigkeit des Festes fur das menschliche Dasein in der konstitutiven „Zweidimensionalitat“ des Menschen begrundet, der in zwei Zeitdimensionen, in Alltags- und Festzeit, die das Andere des sich stetig reproduzierenden Alltags ist, lebe. Der festlich begangene Austritt aus dem Alltaglichen, der der Kultur die Moglichkeit der wiederholten Selbsttranszendierung bietet, lasst sie ihrem „Auch-anders-Moglichsein“ gewahr werden.
Die Nachhaltigkeit der Prachtausgabe
transcript Verlag eBooks, Dec 31, 2023
Ressource ‚Schriftträger‘. Materielle Praktiken der Literatur zwischen Verschwendung und Nachhaltigkeit
Eine Auswahl aus der Masse von Monographien und Sammelbänden zu treffen, wäre aleatorisch, im bes... more Eine Auswahl aus der Masse von Monographien und Sammelbänden zu treffen, wäre aleatorisch, im besten Fall nicht repräsentativ und im schlechtesten Fall redundant. Für die Institutionalisierung dieses Forschungsfelds mögen daher zwei Handbücher stehen, die in den letzten Jahren erschienen sind:

Ressource ‚Schriftträger‘. Materielle Praktiken der Literatur zwischen Verschwendung und Nachhaltigkeit, 2023
Sprach-und Buchmaterialität bei George Stefan Georges Lyrik gilt als Inbegriff der Formästhetik, ... more Sprach-und Buchmaterialität bei George Stefan Georges Lyrik gilt als Inbegriff der Formästhetik, die durch die Relativierung von Inhalten gegenüber der reinen Sprachform bestimmt ist. Dabei zeigt sich, dass Georges Formbegriff eng mit einer Vorstellung von Materialität verbunden ist. Demnach erscheint die Sprache als das Rohmaterial, mit dem der Dichter, verstanden als Handwerker und artifex, umzugehen hat. Literarisches Schreiben wird bei ihm daher dezidiert als Arbeit des konkreten Formens von Sprachmaterial begriffen. In Gedichten wie Im Park aus dem Erstzyklus Hymnen von 1890 knüpft George sichtlich an die etwa von den Parnassiens vertretene Auffassung vom Dichten als difficulté vaincue, als hartnäckigem Formsieg über das widerständige Material, an. Diese Verbindung von Form und Materialität liegt dem Formbegriff dabei schon allgemein zugrunde. Wenn die Form, so Thorsten Hahn und Nicolas Pethes, den »Bezug eines Werks auf seine-kontingente, in der jeweiligen Formgebung aber spezifisch selegierte-›Gemachtheit‹ oder ›Faktur‹« 1 in den Blick rückt, so zeigt sich darin schon, dass »Formästhetik zugleich eine Ästhetik des Materiellen« 2 ist. Ein solcher »materialbewußter Formbegriff« 3 liegt auch bei Stefan George zugrunde. Von einem Literaturbegriff als Formkunst ausgehend begreift er das Gedicht als »gebilde«. 4 Dies ist es zunächst als sprachliches Formgebilde, sodann aber-konse-1

Auszeiten. Temporale Ökonomien des Luxus in Literatur und Kultur der Moderne , 2023
Wenn die Forschung konstatiert, dass die Luxusdebatte des achtzehnten Jahrhunderts semantische Ne... more Wenn die Forschung konstatiert, dass die Luxusdebatte des achtzehnten Jahrhunderts semantische Neuerungen nur auf der Seite der Luxusbefürworter gezeitigt hat, während die Kritiker in traditionellen Argumentationslinien verblieben, so möchte der vorliegende Beitrag diese These für Rousseau dementieren. Denn so sehr sich Rousseau hergekommener Argumentationsmuster (antiker und christlich-moraltheologischer Provenienz sowie aus kunsttheoretischen Debatten, die seit dem siebzehnten Jahrhundert fortdauern) bedient, so ist seine Luxuskritik doch vielmehr von der gegenwärtigen ökonomisch-sozialen Problemlage geprägt, die von der Konsumrevolution des achtzehnten Jahrhunderts und dem Aufstieg des Bürgertums bestimmt ist. Der bürgerliche Luxusdiskurs ist nämlich selbst durch eine tiefe Ambivalenz zwischen liberalen und repressiven Argumenten gekennzeichnet, steht er doch in einer Spannung zwischen den durch Einkommens- und Freizeitüberschuss entstandenen Konsumansprüchen des Bürgertums und seinem Askese- und Effizienzdenken. Auch die Künste werden nun verstärkt als Angebote einer neuen Freizeit- und Konsumkultur und mithin als Luxusgüter betrachtet – freilich als popularisierter Luxus, der nun breiteren Schichten der Bevölkerung zugänglich wird. Die „consumer revolution“ und der auf sie folgende wirtschaftliche Aufschwung setzen im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert „volatile ‚daydreams of desire‘“ und das Konsumbedürfnis nach literarischer Fiktion frei, das mit den Nützlichkeitsmaximen kollidiert.
Unter die Nützlichkeitsforderung fällt auch und vor allem der Gebrauch von Zeit, die zur knappen ökonomischen Ressource wird. So zieht gerade die Loslösung der Literatur vom prodesse-Prinzip die zunehmende Kompromittierung des Vergnügens und Überbetonung der Nützlichkeit nach sich, wie dies auch in der Lesesuchtdebatte sinnfällig wird, die übermäßigen Literaturkonsum als „litterarischen Luxus“ (Campe) und als Quelle des Zeitverlustes disqualifiziert.

Zeitschrift für französische Sprache und Literatur, 2021
With industrialisation, literature in the 19th century, especially aestheticism and decadence, sh... more With industrialisation, literature in the 19th century, especially aestheticism and decadence, shows itself influenced by commodity and consumer culture. In Mallarmé’s case, this connection is already biographically obvious: through his editorship of the fashion magazine La dernière mode in 1874. That his connection to fashion was not a biographical intermezzo but rather formative for the poetry, has already been noted in research. In contrast to a research tradition that understands Mallarmé’s poetry as absolute, self-referential poetry with metaphysical and ontological implications, research in recent decades has therefore emphasised its embeddedness in everyday culture. This essay aims to examine Mallarmé’s affinity with commodity and consumer culture with regard to a fashion object that was of particular importance to him: the fan, which was not only the subject but also the material carrier of numerous poems, each addressed to a lady and written on her fan. By using objects of daily use as writing carriers, the fan poems reflect the materiality of literature. The primacy of reading is thus replaced by other modes of use.

Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik
ZusammenfassungMallarmés Dichtung gilt als der Höhepunkt einer selbstreferentiellen Dichtung des ... more ZusammenfassungMallarmés Dichtung gilt als der Höhepunkt einer selbstreferentiellen Dichtung des l’art pour l’art. In den letzten Jahrzehnten indes hat die Forschung verstärkt Mallarmés Bezug zur Alltagskultur hervorgehoben. Dieser zeigt sich besonders deutlich in der Modezeitschrift La Dernière Mode, die Mallarmé im Jahr 1874 in acht Ausgaben allein verfasst hat. Die Spannung zwischen den Autonomieanforderungen der hohen Kunst und der Populärkultur thematisiert die Zeitschrift dabei selbst. Das zeigt sich auch im Gebrauch der für Modezeitschriften zeittypischen Pseudonyme. Diese gehen über eine rein pragmatische Funktion hinaus und eröffnen ein literarisiertes Spiel der Allusionen und Verweise, das zur Deutung einlädt. Die Hermeneutik des Decknamens erweist sich als Geschlechtertravestie und reflektiert das geschlechtlich kodierte Verhältnis von Hoch- und Populärkultur.
Unendliche Iteration. Zur Verzeitlichung der Gegenwart in der Frühromantik (F. Schlegel, Novalis)
Athenäum - Jahrbuch der Friedrich Schlegel-Gesellschaft, 2021
Maren Jäger, Ethel Matala de Mazza und Joseph Vogl, Hgg.: Verkleinerung: Epistemologie und Literaturgeschichte kleiner Formen. Berlin: De Gruyter, 2020. 291 S
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Papers by Yashar Mohagheghi
Kracauer analysiert gesellschaftliche Strukturen nicht abstrakt, sondern durch die Beobachtung und Beschreibung konkreter Alltagsphänomene. In Miniaturen, Feuilletons und essayistischen Kurzformen spürt er den unbewusst sedimentierten Machtverhältnissen in kulturellen und medialen Erscheinungen nach. Die kleinen Formen sind für ihn dabei nicht nur Mittel der Darstellung, sondern selbst Ausdruck eines Erkenntnisprozesses: An der Oberfläche des Alltagslebens offenbaren sich soziale und ideologische Strukturen, die sich weniger in diskursiven Sätzen als in habitualisierten Wahrnehmungsmustern und materiellen Dispositiven manifestieren. So stellt Kracauers Gegenwartsanalyse in den kleinen Formen selbst eine politische Praxis dar. Indem sie die diskontinuierliche Struktur der modernen Gesellschaft reflektieren, wirken sie nicht nur beschreibend, sondern sollen auf Wahrnehmungsdisposition des Lesenden wirken. So wird Gesellschaftskritik zur Gegenwartsarbeit im Material – eine allmähliche, fragmentarische, aber umso wirksamere Methode der Erkenntnis.
Unter die Nützlichkeitsforderung fällt auch und vor allem der Gebrauch von Zeit, die zur knappen ökonomischen Ressource wird. So zieht gerade die Loslösung der Literatur vom prodesse-Prinzip die zunehmende Kompromittierung des Vergnügens und Überbetonung der Nützlichkeit nach sich, wie dies auch in der Lesesuchtdebatte sinnfällig wird, die übermäßigen Literaturkonsum als „litterarischen Luxus“ (Campe) und als Quelle des Zeitverlustes disqualifiziert.