Fraunhofer-Magazin 2.2025

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Erste Hilfe im All Schnelle Heilung dank Super- Pflaster 5 2 | 2 Sicherheit & Infrastruktur Wie wir das schaffen Tumor im Fadenkreuz Wie eine Standard- Datenbrille Operationen revolutionieren kann Christoph Weingard, Fraunhofer IZFP Fraunhofer-Forschungspreise Herausragende Leistungen – von Video-Technik bis Aluminium-Produktion

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8. Fraunhofer Alumni Summit 2025 Fakten statt Fakes – wie schützen wir uns vor Cyberkriminalität, Desinformation und hybriden Bedrohungen? Freitag, 14. November, Fraunhofer Forum Berlin + BND exklusiv: Führung durch das Besucherzentrum des Bundesnachrichtendienstes www.fraunhofer-alumni-summit.de © Getty Images

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2 | 25 Editorial Prof. Dr.-Ing. Holger Hanselka keit der Wirtschaft und den Innovationsraum Deutschland – übrigens von Anfang an auch mit einer Kernkompetenz in dem heute wieder so gefragten Feld Sicherheit und Vertei- digung (siehe auch Seite 10 bis 23). Aktuell fast 32 000 Mit- arbeitende suchen nach Lösungen für nahezu jede akute Problemstellung – das ist angewandte Forschung. Unser wichtigstes Geschäftsfeld ist die Auftragsforschung. Da profi- liert sich Fraunhofer immer wieder neu als bedeutender Lie- ferant von Innovation und Know-how für Unternehmen aller Größen. Transfer in die Wirtschaft: Das ist die Rolle, das ist das Profil, das ist die Stärke von Fraunhofer. Berühmt ist die Fraunhofer-Gesellschaft für ihr Fraunhofer- Modell. Wir bekommen maximal ein Drittel Grundfinanzie- rung, mindestens zwei Drittel erwirtschaften wir Jahr für Jahr im Wettbewerb selbst. Das schafft Resilienz. Das ist aber auch Herausforderung. Die rund 8000 Industrieprojekte pro Jahr sind unser Realitäts-Check. Und den bestehen wir zu- verlässig und mit Bravour. Lassen Sie uns gemeinsam für die Freiheit der Forschung eintreten. Und für ein ausdifferenziertes Wissenschaftssys- tem, in dem Mittel marktgerecht eingesetzt werden. Transfer für unsere Zukunft, Transfer für die Zukunft unseres Landes. Ihr Wir stellen uns dem Realitäts-Check Von Prof. Dr.-Ing. Holger Hanselka Es sind viele Nachrichten in diesen Zeiten – auch, aber nicht allein aus den USA –, die uns Europäern eines deut- lich machen: Die Unabhängigkeit der Wissenschaft, die Freiheit der Forschung sind Güter, die wir vielleicht viel zu lange als viel zu selbstverständlich hingenommen haben. Was, wenn nicht Rationalität, Wissen und das Suchen nach echten Lösungen, kann das Mittel gegen populistische Glaubensfragen sein? Wenn der Präsident einer der führenden Gesellschaften für angewandte Forschung eine solche Aussage trifft, mag das vielleicht niemanden verwundern. Eine andere schon sehr viel eher: Die Freiheit der Forschung darf gerade in Zeiten knapper Mittel nicht als die Freiheit missverstanden wer- den, Steuergelder zu verschwenden. Ganz im Gegenteil. Wenn im ersten Halbjahr 2025 die Wirtschaftsleistung in Deutschland stagniert und das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozentpunkte schrumpft, dann sehen wir klar: Wir brauchen strategische Investitionen in die Zukunft – die Innovationskraft ist der entscheidende Rohstoff, über den Industrie und Mittelstand in Deutschland verfügen. Doch müssen diese Investitionen zielgerichtet und wirksam ein- gesetzt werden. Wissenschaft ist nicht dafür da, dass alle das Gleiche lie- fern. Deutschland hat, und das ist ein unschätzbares Gut, ein wunderbar ausdifferenziertes Wissenschaftssystem – von exzellenter Grundlagenforschung bis zum direkten Transfer in die Wirtschaft. Doch laufen wir Gefahr, dass an alle vier Forschungsorganisationen auf Bundesebene gera- de heute sehr ähnliche Anforderungen gestellt werden. Das ist nicht nur ineffizient für die Forschung. Auch verlagert das Steuergelder in eine Richtung, in der eigentlich der Wettbewerb ausschlaggebend sein sollte. Wir bei Fraunhofer wissen, wer wir sind. Wir wissen, was wir können. Und wir wissen, was wir wollen. Seit dem Jahr 1949 stärken Fraunhofer-Institute die Wettbewerbsfähig- Prof. Dr.-Ing. Holger Hanselka Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft 3 r e i e m r e b O n a f e t S / r e f o h n u a r F : o t o F

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2 | 25 Inhalt 38 Infrastruktur Sondervermögen, aber sparsam Informatikerin Tagline Treichel vom Fraunhofer IESE sichert reale Bauwerke durch Digitale Zwillinge. 26 Stimme aus der Wirtschaft Europas Pharmaindustrie am Scheideweg – ein Standpunkt von Stefan Oelrich, Vorstandsmit- glied der Bayer AG 4 03 Editorial 06 Kurz gemeldet 09 Impressum 26 Forschung für eine gesunde Zukunft Stefan Oelrich, Vorstandsmitglied der Bayer AG und Präsident der EFPIA 28 Lösungen für Rohstoffengpässe Das Leitprojekt ORCHESTER befeuert einen Paradigmenwechsel in der Werkstoffforschung Wissenschaft, die schützt Attacken gekonnt stoppen Prof. Daniel O‘Hagan arbeitet am Fraunhofer FHR an der Abwehr von Hyperschallwaffen. 10 Forschen für die Sicherheit Wehrhaft werden: Fraunhofer fahndet nach Hightech-Lösungen für einen besse- ren Schutz von Armee und Bevölkerung 21 Die Verteidigung der Lufthoheit Ein hochautomatisiertes Abwehrsystem kann feindliche Drohnen lokalisieren, identifizieren und unschädlich machen 22 Das Schutzschild wächst Zehn Fraunhofer-Projekte, die kritische Infrastrukturen und Zivilgesellschaft absichern 24 Global vernetzt, global verwundbar Lieferketten krisenfest gestalten: Intelligente Algorithmen können Unter- nehmen entscheidend unterstützen 10

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30 Einen Riecher für Whisky Mithilfe eines KI-Tools lässt sich die Herkunft von Whisky ermitteln. Doch den Forschenden geht es um sehr viel mehr als das 32 Bei Anruf: Fake! Mit Aufklärung, geschultem Gehör und innovativen Erkennungs- systemen gegen betrügerisches Voice-Cloning 35 Vorfahrt für die Radlogistik Wie können Cargobikes & Co. auch auf dem Land an Tempo gewinnen? 38 Sanierungsfall Deutschland Fraunhofer-Technologien sollen die Wartung und Instandhaltung kritischer Infrastrukturen erleichtern und beschleunigen 51 Der Sound sicherer Brücken Mit akustischem Monitoring alternde Bauten großflächig überwachen 56 Guter Genuss Ein Start-up beweist: Selbst Kaviar lässt sich nachhaltig herstellen 2 | 25 66 Das hält nachhaltig Das Fraunhofer IAP überzeugt mit einem biobasierten Klebstoff. 30 Whisky-Erkenner Fraunhofer-Forschende haben einer KI das Riechen beigebracht. 52 Mit dem Laser gegen die Ewigkeitskosten Atomfässer prüfen, ohne sie zu öffnen: Neutronenstrahlen machen das möglich 54 Mission Power-Pflaster Eine neue Form der Wundver- sorgung im All könnte auch auf der Erde viel Leid lindern 56 Kaviar 2.0 Das Fraunhofer-Spin-off BLUU Seafood will den Ozeanen mit Food-Produken aus Fischzellen eine Atempause verschaffen 58 Ausgezeichnete Forschung Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2025: Batterie, Video, Aluminium- herstellung – und eine fahrbare Gesundheitsplattform 66 Clever kleben Stärke als umweltfreundlicher Leim für industriell gefertigte Faltschachteln 68 Foto & Fraunhofer Dank Sensortechnologie und KI bringt die Europalette Transparenz ins logistische Geschehen 70 Wissenschaftskommunikation für ein besseres Morgen 25 Jahre WiD: Über Forschung muss man auch reden – heute mehr denn je 72 Tumor im Fadenkreuz Digitaler Wegweiser: Eine Daten- brille macht Operationen künftig sicherer und kostengünstiger 74 Fraunhofer international 76 Revolution auf hoher See Die Vermessung des Meeres- grundes – damit Windräder künftig besser verankert sind 79 Fraunhofer vor Ort 36 Prozent aller Brücken der Bundes straßen und Autobahnen sind sanierungsbedürftig oder müssen neu gebaut werden; dazu kommen noch einmal ähnlich viele marode Brücken unter kommuna- ler Verwaltung. Quelle: Studie »Ausgebaut!« (April 2025), Transport & Environment Deutschland gGmbH 36 i ; r u t k a f u n a m g c / e r u t c i p n a p l i , A S E , o t o h p k c o t s i / n a F n a i J , r e f o h n u a r F - P F Z I , n n a m r e t a R s a n o J : e t i e s k c ü R d n u r e v o C s o t o F o t o h p k c o t s i / o t o f s o k l , e r u t c i p n a i l P / r o h c l i e M l l i T , o t o h p k c o t s i i e d e b / n a F n a i J , t r a e m o o B , l i g e W a n i r a M , G A r e y a B / r e g u K n e f f e t S l , n n a m r e t a R s a n o J : t l a h n I s o t o F 5

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2 | 25 Kurz gemeldet Die präzise Erfassung von Niederschlägen in Echtzeit hilft auch bei Hochwasserkatastro- phen, Schutzmaßnahmen gezielter zu planen. Wetterprognosen verbessern Ein akustischer Regensensor soll helfen, die Genauigkeit von Wettervorhersagen zu erhöhen. Entwickelt wird der inno- vative Sensor von einem Forschungsteam des Fraunhofer- Instituts für Digitale Medientechnologie IDMT gemeinsam mit einem Partner aus der Industrie. Im Projekt lokalRAIN wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler akus- tische Schwingungen, die beim Aufprall der Regentropfen auf Oberflächen entstehen, aufnehmen und mithilfe von KI in Echtzeit auswerten. Das Sensorsystem soll es ermöglichen, räumlich verteil- ten Niederschlag zu erfassen und zu analysieren. Dafür wird neben einer Technologie für effizientes Maschinelles Lernen auch eine kosten- und energieoptimierte Rechenhardware für den Einsatz in der Sensorik entwickelt. Wichtig ist zudem die zuverlässige Übertragung der erfassten Niederschlags- daten von den einzelnen Sensorknoten über vernetzte Infra- strukturen bis zum Server. Auf dem Server werden die Daten hinsichtlich verschiedener Niederschlagsparameter wie Men- ge, Tropfengröße und räumliche Verteilung zusammenge- führt und in Echtzeit für Vorhersagen ausgewertet. Bisher liegen nur für ausgewählte Standorte mit Wetterstationen verlässliche Niederschlagsdaten vor, die Wetterprognosen sind entsprechend ungenau. Batterien in E-Autos zuverlässig überwachen Ein neuartiges Messverfahren ermöglicht ein opti- miertes Batteriemanagement in E-Autos und hilft so, sie sicherer zu machen und ihre Lebensdauer zu ver- längern. Die dynamische Impedanzspektroskopie aus dem Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM wertet detail- lierte Messdaten zum Batteriezustand während des laufenden Betriebs in Echtzeit aus. Die so gewonnenen Informationen umfassen weit mehr als nur Angaben zur Ladekapazität oder der noch verbleibenden Be- triebsdauer: Sie zeichnen ein präzises, tiefgehendes und differenziertes Bild des Innenlebens der Batterie. Daraus lässt sich auch die mögliche Lebensdauer der Batteriezelle individuell vorhersagen. Aus der Impedanz lassen sich zudem Rückschlüs- se auf die Temperatur innerhalb der Zelle gewinnen. Deshalb können Batteriemanagementsysteme mit- hilfe der Impedanzdaten beispielsweise während der Fahrt im E-Auto sofort registrieren, wenn eine Zelle sich lokal stark erhitzt, und diese abschalten. Her- 6 kömmliche Temperaturfühler registrieren eine Über- hitzung der Batteriezellen hingegen nur mit Verzö- gerung. Impedanzmessungen waren bisher ausschließ- lich im Ruhezustand realisierbar. Sicher im E-Auto unterwegs: Eine permanente, detaillierte Messung des Batteriezustands ermöglicht eine bessere Kontrolle.

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2 | 25 Nachhaltige Antifouling-Beschichtung Eine biologisch abbaubare, umweltver- trägliche Antifouling-Beschichtung ist das Ziel des Projekts BioSHIP. Sie soll Mu- scheln, Seepocken und Algen zuverlässig davon abhalten, Schiffsrümpfe zu besie- deln. Forschende des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM setzen auf nach- haltige Formulierungen, unter anderem biobasierte Polymere oder Chitosan-De- rivate, die sich unter marinen Bedingun- gen kontrolliert abbauen, ohne schädliche Rückstände zu hinterlassen. Die innovati- ve Beschichtung soll mit deutlich weniger toxischen Schwermetallen auskommen als herkömmliche biozidhaltige Mittel. Sie wird unter realen marinen Bedingungen getestet. Ökotoxikologische Studien stel- len sicher, dass die entwickelten Substan- zen keine schädlichen Auswirkungen auf Meeresorganismen haben. Der Bewuchs von Schiffen erhöht den Strömungswiderstand und daher den Treibstoffverbrauch. Dies führt nicht nur zu höheren Kosten, sondern auch zu mehr CO2-Emissionen. Zudem besteht das Risi- ko, dass Schiffe invasive Arten in neue Ge- wässer transportieren, was lokale Ökosys- teme bedrohen kann. Schiffsrümpfe zu säubern ist Schwerst- arbeit. Gut, wenn sich erst gar nichts festsetzen kann. Fraunhofer-Zukunftsstiftung unter neuer Leitung Prof. Thomas Hirth war zwischen 1992 und 2015 in diversen Funk- tionen bei der Fraunhofer-Gesell- schaft tätig. übernahm im Juli das Amt von Vorgänger Prof. Hans-Jörg Bullinger, der die Stiftung seit 2020 geleitet hatte. Der studierte Chemiker Hirth kennt Fraun- hofer gut: Zwischen 1992 und 2015 arbeitete er in verschiedenen Funktionen bei der Fraun- hofer-Gesellschaft, unter anderem als Präsi- diumsmitglied und als Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart. 2008 gegründet, unterstützt die Fraunho- fer-Zukunftsstiftung Forscherinnen und For- scher der Fraunhofer-Gesellschaft bei der Ent- wicklung von Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen, die einen wichtigen Beitrag zur Lösung globaler Herausforderungen leisten. Dabei orientiert sich die Stiftung an gesellschaft- lich und technologisch relevanten Themen und setzt auf Kooperationen mit Wissenschaft, Wirt- schaft, Gesellschaft und Politik. 7 Prof. Thomas Hirth ist neuer Vorstandsvor- sitzender der Fraunhofer-Zukunftsstiftung, einer der größten forschungstechnischen Stiftungen in Deutschland. Der Vizepräsident für das Ressort »Transfer und Internationales« am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) T I K / e p e i s m a r B s u e d a m A , l a p d / r e h e o K s n e J , o t o h p k c o t s i i e d e b / r a f a k S n o m S i , y i n e g v e i i i : s o t o F

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2 | 25 Wie entstehen schwarze Löcher? Das Einstein-Teleskop soll hier neue Erkenntnisse liefern. Neue Infrastrukturen für die Forschung Fraunhofer-Forschende stehen mit zwei Vorhaben auf der Shortlist im nationalen Priorisierungsverfahren für neue Forschungsinfrastrukturen (FIS). Das Zentrum für Gen- und Zelltherapie in Regeneration und Trans- plantation (CREATION), bei dem sich das Fraunhofer- Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI einbringt, will »Off the Shelf«-Therapien entwickeln und deren Herstellung durch KI-gestützte Automatisierung ver- bessern. Ziel des Großprojekts »Einstein-Teleskop« (ET) unter Beteiligung der Fraunhofer-Institute für Laser- technik ILT, für Optik und Feinmechanik IOF sowie für Produktionstechnologie IPT ist die Entwicklung eines revolutionären Instruments zum Nachweis von Gravi- tationswellen, um etwa die Entstehung von schwarzen Löchern zu erforschen. Mit dem Priorisierungsvorhaben wählt das Bundes- ministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt jene FIS-Vorhaben aus, deren Realisierung die interna- tionale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stärkt. Für die Shortlist wurden mithilfe eines Expertengremiums neun Projekte aus 32 Kurzkonzepten ausgewählt. Diese werden nun in Abstimmung mit dem Wissenschaftsrat weiter ausgearbeitet. 8 Gaming steigert Umweltbewusstsein Das doppelt preisgekrönte Nachhaltigkeits-Computer- spiel »Little Impacts« des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE kommt nicht nur bei Kindern und Jugendlichen gut an, sondern zeigt auch Wirkung: Das Spielen fördert das Umweltbewusstsein signifikant, ergab jetzt eine Studie. Die in einem Prä-Post-Design konzipierte Umfrage wurde unter 56 Teilnehmenden bei Gaming-Ver- anstaltungen durchgeführt. Dabei wurden die Teilneh- menden vor dem Spielen und etwa ein bis zwei Wochen danach zu ihren Einstellungen befragt. Den stärksten Anstieg konnten die Forschenden in der Kategorie »Ver- änderungsbereitschaft« ermitteln. »Little Impacts« wurde im Auftrag des Umweltbun- desamtes entwickelt. Ende 2024 erhielt das Spiel den Kin- dermedienpreis TOMMI Award; im Mai 2025 wurde es zur »App des Monats« der Deutschen Akademie für Kin- der- und Jugendliteratur e.V. gekürt. Die interaktive No- velle besticht durch handgezeichnete Artworks, authen- tische Charaktere, humorvolles Storytelling und eine ge- mütliche Spielatmosphäre. Spielend lernen: »Litte Impacts« macht‘s möglich.

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Impressum Fraunhofer. Das Magazin, Zeitschrift für Forschung, Technik und Innovation. ISSN 1868-3428 (Printausgabe) ISSN 1868-3436 (Internetausgabe) Herausgeber: Fraunhofer-Gesellschaft Hansastraße 27c, 80686 München Redaktionsanschrift wie Herausgeber Telefon +49 89 1205-1301 [email protected] www.fraunhofer.de/magazin Kostenloses Abonnement: Telefon +49 89 1205-1301 [email protected] Redaktion: Monika Landgraf (V.i.S.d.P.), Josef Oskar Seitz (Chef redak tion), Dr. Sonja Endres, Beate Strobel Redaktionelle Mitarbeit: Dr. Janine van Ackeren, Mandy Bartel, Dr. Patrick Dieckhoff, Meike Grewe, Sirka Henning, Andrea Kaufmann, Lisa Scherbaum, Kathrin Schwarze-Reiter, Mehmet Toprak, Yvonne Weiß, Ulla Wolfshöfer Layout + Litho: Vierthaler & Braun Titelbild und Fotografie der Titelstrecke: Jonas Ratermann Fotografie »Forschen für die Sicherheit«: Marina Rosa Weigl Druck: be1druckt GmbH, Nürnberg © Fraunhofer-Gesellschaft e.V. München 2025 Fraunhofer in Social Media: @Fraunhofer www.facebook.com/ fraunhoferde www.instagram.com/ fraunhofergesellschaft www.linkedin.com/company/ fraunhofer-gesellschaft www.youtube.com/ fraunhofer o t o h p k c o t s i i e d e b / k c o t s e r i W , s k c u b r a H , l A S A N & e b b u H / A S E : s o t o F 2 | 25 Bier-Garten: Die Hallertau in Bayern ist das weltgrößte Hopfenanbaugebiet. Ein Prosit der Nachhaltigkeit Fraunhofer-Forschende suchen nach ökologisch besseren Wegen, um die 85 Millionen Hektoliter Bier herzustellen, die jährlich in Deutschland gebraut werden. W ie lässt sich der fürs Bierbrauen unverzichtbare Hopfen nachhal- tig trocknen? Auf der Suche nach Alternativen zum bislang verwendeten Heizöl haben Forschende des Fraun hofer- Instituts für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV in Augsburg im Projekt »Grüner Hopfen« verschiede- ne Optionen simuliert und hinsichtlich Effizienz, Treibhausgas-Emissionen und Wirtschaftlichkeit analysiert. Ob biogene Brennstoffe wie Pellets, der Einsatz von Wärmepumpen oder Wasser- stoff als Energiequelle: »Voraussetzung war bei allen Varianten, dass die Technologie die spezifischen Anforderungen der Hop- fentrocknung erfüllen muss«, erklärt Pro- jektleiter Vincent Kalchschmid vom Fraun- hofer IGCV. Das Ergebnis der Simulationsstudie: Die eine Lösung für alle gibt es nicht. Mit jeder der drei Alternativen lassen sich die erforderliche Heizleistung erreichen und die Treibhausgas-Emissionen senken, doch jede hat spezifische Vor- und Nach- teile: Biogene Brennstoffe sind techno- logisch bereits ausgereift, erfordern aber einen hohen logistischen Aufwand. Wär- mepumpen sind hocheffizient und nutzen erneuerbare Wärmequellen, zeichnen sich jedoch aus durch hohe Investitions- kosten und eine bestehende Abhängigkeit von externen Stromquellen. Und Wasser- stoff als Energiequelle erfordert eine kost- spielige Infrastruktur; zudem ist die Marktentwicklung dieser Technologie ungewiss. Betriebsgröße, die infrastrukturellen Voraussetzungen sowie die Verfügbarkeit erneuerbarer Energiequellen, Brennstoffe und Technologien am Standort: »All diese Aspekte haben Einfluss auf die Wahl der Technologie«, betont Kalchschmid. Doch klar ist auch: Für den Biergenuss mit gu- tem Öko-Gewissen muss die Hopfentrock- nung grüner werden. Allein für die Jah- resernte in der Hallertau – das mit 19 000 Hektar größte zusammenhängende Hop- fenanbaugebiet weltweit – werden dafür jährlich 14 Millionen Liter fossiler Brenn- stoff benötigt. So viel wie der jährliche Be- darf von 7000 Haushalten. 9

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2 | 25 Forschen für die Sicherheit Deutschland investiert in Sicherheit und Verteidigung. Nicht nur bei der Bundeswehr, auch beim Schutz der Bevölkerung und der kritischen Infrastrukturen sind zahlreiche Forschungsprojekte am Start. Noch sind nicht alle Herausforderungen gelöst. Doch der Blick in die Zukunft hellt sich auf. Von Mehmet Toprak; Fotografin: Marina Rosa Weigl Abwehrtraining: Laser- experte Dr. Thomas Schreiber arbeitet an Hochleistungslasern, die anﬂiegende Drohnen aus mehreren Kilo- metern Entfernung unschädlich machen. 10

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2 | 25 Wissenschaft, die schützt 11

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2 | 25 Mission Nordsee: Kai Brune nutzt Drohnen, um Echtzeit- Lagebilder von maritimen Notfallsituationen in ein Lagezentrum zu schicken. 12

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»Verantwortungsvoll gehandhabt, dient zivile als auch wehrtechni- sche Forschung dem Nutzen der gesamten Gesellschaft.« Caroline Schweitzer, Fraunhofer-Leistungsbereich VVS D ie Nordsee ist rau. Die Nordsee ist schön. Immer interessanter wird, was sie am wenigsten zeigt. Auf dem Meeresboden liegen Kabel, Leitungen und Pipelines. Das Kabel Nordlink verbindet Wilster in Schleswig-Holstein mit dem norwegischen Ton- stad und transportiert grünen Strom. Das NorNed-Kabel, mit 580 Kilometern das längste Stromkabel der Welt, führt auf dem Weg von Norwegen in die Niederlande auch durch die Nordsee. Von 2030 an soll hier die Pipeline AquaDuctus den ersten großen Wasserstoff-Wind- park anschließen. Energie, Da- ten, Kommunikaton: eine Menge kritischer Infrastruktur – und bisher ist sie kaum abgesichert. Auf dem Nordseegrund fehlt der Schutz. So wie bei den An- lagen von Energienetzbetreibern oder Wasserwerken, so wie bei vielen Brücken, Verkehrsnetzen und Krankenhäusern in Deutsch- land und Europa. Die steigende Zahl von Spionage-, Sabotage- oder Cyberattacken macht immer deutlicher, wie wichtig es ist, kritische Infrastruktur wirk- sam zu schützen. Caroline Schweitzer, Geschäftsführerin Fraunhofer-Leistungsbereich Verteidigung, Vorbeugung und Sicherheit VVS, ist überzeugt, dass Fraunhofer-For- schende helfen können: »Wir verfügen über ein breites Spektrum an Kompetenzen in der Sicherheitsforschung, die aufgrund ihrer Vielseitigkeit sowohl im zivilen als auch im wehrtechnischen Kontext Anwendung finden können.« In der Deutschen Bucht soll nun das Projekt ELO (Echt- zeitlagebild Offshore) einen ersten großen Schritt in Sa- chen Schutz der Infrastruktur tun. Innerhalb des Projekts wird ein Echtzeit-Lagebild für maritime Notfallsituatio- nen aufgebaut. Dafür werden Bilder und Videos verschie- dener Quellen genutzt, die unter anderem von Drohnen geliefert werden. Der Einsatz dieser Technologie soll nicht nur bei der Rettung havarierter Schiffe unterstützen, sondern trägt auch dazu bei, kritische Infrastrukturen wie Häfen oder Offshore-Windparks vor illegalen Aktivitäten wie Sabo- tage zu schützen, indem Bedrohungen frühzeitig erkannt und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können. Beteiligt am Projekt ELO ist das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM mit seinem Offshore Drone Campus Cuxhaven. Aufgabe von Kai Brune und seinem Team ist die Einbin- dung von Drohnensystemen in das Betriebskonzept des 2 | 25 Lagezentrums sowie die automatisierte Erzeugung von Bild- und Videomaterial in der Deutschen Bucht. Die Bilder einer viele Kilometer entfernt fliegenden Drohne hoch- auflösend und ruckelfrei auf die Bildschirme des Lage- zentrums zu übertragen, stellt eine enorme Herausfor- derung dar. → Siehe Projekt 3 | Seite 22 Als Fluggerät für den Einsatz über der Nordsee nutzen die For- schenden die S360Mk.II des Pro- jektpartners Hanseatic Aviation Solutions. Mit einer Spannweite von 3,60 Metern ist das Fluggerät für den Einsatz über dem offe- nen Meer bestens geeignet. »Mit diesem System wurden schon Flüge nach Helgoland und zu- rück mehrmals erfolgreich rea- lisiert«, lobt Brune. Wenn es darum geht, Droh- nen für den fordernden Flug über Nord- und Ostsee fit zu machen, ist das Fraunhofer IFAM eine der ersten Adressen in Europa. Neben dem Standort Cuxhaven betreibt das Institut gemeinsam mit dem Deutschen Forschungs- zentrum für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI) das Test- zentrum für Maritime Technologien auf Helgoland. Hier werden unter anderem Drohnen-Technologien für den Einsatz unter extremen Offshore-Bedingungen getestet. Sobald kritische Infrastrukturen auf dem Meeres- boden bedroht sind, ist es wichtig, auch hier mit mobilen Systemen präsent zu sein. Gefragt sind unbemannte Un- terwasserfahrzeuge mit leistungsfähiger Sensorik, lang- lebigen Akkus und KI-Steuerung. Sie müssen robust ge- nug sein, um auch in Tiefen von bis zu 1000 Metern ihre gefährlichen Aufgaben zu erledigen. Das Fraunhofer-In- stitut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB mit dem Institutsteil Angewandte Systemtechnik AST in Ilmenau stellt dafür eine Forschungsplattform zur Verfügung. Ein Testbecken bietet die Möglichkeit, Hard- und Software für Unterwasserfahrzeuge sowie -komponenten zu entwickeln und zu erproben. Eine Druckprüfanlage testet Baugruppen auf Dichtigkeit und Stabilität. Prof. Werner Riedel ist Chief Scientist Defence am Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach- Institut, EMI, daneben Honorarprofessor an der Hoch- schule Furtwangen und Gastprofessor an der renom mierten NTU Singapur. Zudem hat er auf EU-Ebene jahrzehnte- lange Erfahrung in der zivilen und militärischen Sicher- heitsforschung. 13

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2 | 25 Er begrüßt den Fokus auf die Drohnentechnik. »Drohnen werden in den nächsten Jahren für Szena- rien der Verteidigung und Sicher- heit von zentraler Bedeutung sein. Damit wir mithalten können, müs- sen wir in Deutschland und euro- paweit intensiv an der Weiterent- wicklung und Integration forschen.« Schutz vor Drohnen in der Stadt Zum Drohnen-Know-how gehört auch das Wissen, wie sich die Flug- geräte erkennen und abwehren lassen, wenn sie sich unerlaubt in der Nähe von Standorten der Bun- deswehr, von Flughäfen oder von Kraftwerken bewegen. Bisher geschieht das durch Ra- darsysteme oder Kameras. Die Sys- teme sind technisch aufwendig und benötigen viel Energie. Zudem sind Radaranlagen durch die ausge- sandten Funkwellen leicht zu ent- decken. In beengten urbanen Ge- bieten oder in der Nähe von Krankenhäusern oder Wohngebäu- den lassen sich Radarsysteme we- gen des schädlichen Elektrosmogs gar nicht betreiben. Dr. Christian Steffes vom Fraunhofer-Institut für Kom- munikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE hat eine Lösung: Passivradar. Solche Anlagen senden selbst keine Wellen aus. Sie machen sich die Tatsache zu- nutze, dass fliegende Objekte auch Mobilfunkstrahlung reflektieren. Passivradar kann aus Unterschieden zwischen den direkten Signalen der Mobilfunkbasisstation und den eintreffenden Wellen des Objekts Werte wie Entfernung, Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit ermitteln. Die Technik setzt dabei nicht nur auf frei zugängliche Mobil- funknetze, sondern auch auf LTE 450. Dieser Mobilfunk- standard wurde speziell für die sichere Kommunikation der Betreiber kritischer Infrastrukturen entwickelt. Er ist besonders ausfallsicher und robust. → Siehe Projekt 4 | Seite 22 Es gibt eine Einschränkung. »So genau wie konventionelle Radaranlagen arbeitet Passivradar nicht«, sagt Steffes. »Doch wenn Drohnen oder Drohnenschwärme erst einmal detektiert wurden und Aufklärungsbedarf besteht, dann 14 »Drohnen werden in den nächsten Jahren für Szenarien der Verteidigung und Sicherheit von zentraler Bedeutung sein.« nutzen wir weitere Sensoren wie Kameras oder Aktivradar.« Das Fraunhofer FKIE hat deshalb eine Fusion Engine erarbeitet, die alle Sensordaten zusammenschaltet, kombiniert und auswertet. Solche Multisensorsysteme werden im- mer wichtiger bei Sicherheits- und Verteidigungstechnologien. Präzise wie ein Skalpell Prof. Werner Riedel, Fraunhofer EMI K : o t o F i l i b e r K n a Eine Technologie, um Drohnen unschädlich zu machen, entwi- ckelt das Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinme- chanik IOF. Das Forschenden- Team arbeitet dabei mit Laser- technik mit einer Wellenlänge von zwei Mikrometern. Hoch- leistungslaser, die in der Lage sind, auch viele Kilometer ent- fernte Objekte zu treffen, nutzen bisher ein Mikrometer. Allerdings ist in diesem Wellenbereich nicht nur der Laserstrahl selbst, sondern auch das von Objekten reflektierte Laserlicht schädlich für die Augen. Deshalb ist der Einsatz in dicht be- siedelten Gebieten nicht erlaubt. Die Streustrahlung bei zwei Mikro meter dagegen wird von Wasser absorbiert, also auch von der feuchten Hornhaut des Auges. Daher geht von ihr eine deutlich geringere Gefährdung für die Augen aus. Um diese Wellenlänge zu erzeugen, haben die Fraunhofer-For- schenden Glasfaser mit der Seltenen Erde Thulium versetzt und eine spezielle Optik entwickelt. Drei Laserstrahlen werden durch ein Beugungsgitter zu einem Strahl vereint. Möglich wird dies auch durch die verbesserte Kühlung der Fasern. Gleichzeitig reflektiert das Gitter mehr als 99 Pro- zent des Laserlichts und erhitzt sich deshalb nicht so stark. Dr. Thomas Schreiber, Leiter der Abteilung für Laser- und Fasertechnologie am Fraunhofer IOF, sagt: »Durch die punktgenaue Wirkung des Laserstrahls lässt er sich einsetzen wie ein Skalpell. In einem Kilometer Entfernung hat er einen Querschnitt von etwa einem Zentimeter. Man könnte damit bei einer anfliegenden Drohne genau auf die Steuerelektronik zielen.« Auch Seefregatten der Bun- deswehr wären mit dem Hochleistungslaser in der Lage, sich gegen anfliegende Objekte zu wehren. Ein Vorteil dabei: Der Laser benötigt keine Munition, die gelagert und nachgefüllt werden muss. → Siehe Projekt 6 | Seite 23

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2 | 25 Raffiniertes Passivradar: Dr. Christian Steffes nutzt die Reﬂexion von Mobil- funkstrahlen, um anﬂie- gende Drohnen zu detektieren. 15

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2 | 25 Gefahrensuche nicht nur ins Blaue: Hans Peter Stuch arbeitet an einem System, das Daten aus unterschiedlichen Quellen sammelt und so hybride Angriffe schneller erkennt. 16

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2 | 25 ein Risikofaktor«, berichtet Dr. Martin Serror, selbst Do- zent für Cybersicherheit. »Bei unseren Schulungen sind deshalb die Themen Kommunikation und Koordination ganz wesentlich. Wir bieten eine realitätsnahe und für den jeweiligen Kunden maßgeschneiderte Simulations- umgebung. Typischerweise müssen die Teilnehmenden zunächst Alltagsaufgaben erledigen und werden dann plötzlich mit einem Cyberangriff konfrontiert.« → Siehe Projekt 8 | Seite 23 Das vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) unterstützte Projekt HERAKLION hat sich »heuristische Resilienzanalysen für Kommunen mittels Datenraumfunktionalitäten« als Ziel gesetzt. Was klingt wie eine abstrakte wissenschaftliche Studie, kann Leben retten. »Durch HERAKLION wissen Einsatzkräfte beispielsweise bei einer Flutkatastrophe schon vorab, wel- che Umwege sie wegen Überschwemmungen fahren müs- sen, wie viele Personen, Gebäude und kritische Infra- strukturen betroffen sind und welche Turnhallen für evakuierte Menschen erreichbar sind«, sagt Dr.-Ing. Kai Fischer, Gruppenleiter Robustheits- und Resilienzana- lysen am Fraunhofer EMI. Um die dafür nötigen Infor- mationen zu gewinnen, führt HE- RAKLION Daten aus verschiede- nen Quellen effizient zusammen: Bevölkerungsstruktur, Wetter- daten, Waldbrandrisiko, Hochwas- ser- oder Starkregengefahren- karten und vieles mehr. Um die Information aus den Datenana- lysen auf dem Dashboard mög- lichst praxisnah zu gestalten, ha- ben die Entwickler von Anfang an mit Mitarbeitenden des Katastro- phenschutzes und Einsatzplanern zusammengearbeitet. → Siehe Projekt 9 | Seite 23 Kampf der intelligenten Systeme Wo sich intelligente Abwehrsysteme mit intelligenten Drohnen oder Drohnenschwärmen einen Kampf liefern, gibt es auch positive Aspekte: Wenn Maschinen gegenein- ander antreten, kommt erst mal kein Mensch zu Schaden. Allerdings werden in der Welt von KI, Software und autonomen Systemen die Bedrohungsszenarien kompli- zierter. Stichwort: hybrider Angriff. Hans Peter Stuch, Forschungsgruppenleiter am Fraunhofer-Institut für Kom- munikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE, mag das Wort »hybrid« nicht. »Es wird inflationär verwendet. Echte hybride Angriffe sind koordinierte At- tacken, die aus unterschiedlichen Domänen kommen.« Ein Beispiel: In sozialen Netzwerken häufen sich kritische Posts gegen die Bahn. Im Web startet ein Cyberangriff gegen eine Stellwerksanlage. Unbekannte attackieren eine Stromleitung. In jeder Domäne scheint der Angriff nur als Nadelstich und nicht schwerwiegend zu sein. In der Summe bilden sie jedoch eine erhebliche Bedrohung oder rich- ten enormen Schaden an. Das Team am Fraunhofer FKIE arbeitet deshalb an einem System, das Infos aus unterschiedlichen Domänen sammelt, Daten von physischen Sensoren wie beispiels- weise Überwachungskameras oder Funkempfänger und von Software- Tools, die im Netzwerk Malware- Attacken registrieren. Hinzu kom- men Beobachtungen in sozialen Medien, etwa wenn plötzlich be- stimmte Schlagwörter gehäuft auf- treten. Alle Infos werden in einer Lagedarstellung zusammengefasst und visualisiert. In der Zusam- menschau wird sichtbar, dass die unterschiedlichen Vorgänge in unterschiedlichen Domä- nen tatsächlich zusammenhängen, auch wenn sie zeitlich weit getrennt sind. → Siehe Projekt 7 | Seite 23 »In vielen Fällen hapert es in der Kommunikation und Koordination. Auch unklare Zuständig- keiten sind ein Risikofaktor.« Dr. Martin Serror, Fraunhofer FKIE Sicherheitsrisiko: Missverständnisse und schlechtes Management Damit die Sicherheitsverantwortlichen bei Cyberattacken richtig reagieren, bieten die Expertinnen und Experten des Fraunhofer FKIE regelmäßig Sicherheitsschulungen an. Kunden sind vor allem Energieversorger und Netz- betreiber, das Interesse ist in den vergangenen Jahren ge- stiegen. »In vielen Fällen hapert es in der Kommunikation und Koordination. Auch unklare Zuständigkeiten sind Für Fachmann Werner Riedel lassen sich Zivilschutz und Verteidigungstechnik immer weniger trennen: »Hier wächst zusammen, was schon immer zusammen- gedacht werden sollte. Resiliente Infrastrukturen, Schutz der Zivilbevölkerung und Verteidigung betreffen am Ende vielfach dieselben Themen, Strukturen und Fähigkeiten.« Fraunhofer VVS-Geschäftsführerin Schweitzer er- gänzt: »Verantwortungsvoll gehandhabt, dienen zivile als auch wehrtechnische Forschung dem Nutzen der ge- samten Gesellschaft. Sie unterstützen gleichzeitig beim effizienten Einsatz der finanziellen Mittel.« 17

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Überlebensfrage: Hyperschallwaffen stellen die Verteidigung bisher vor große Probleme. Prof. Daniel O‘Hagan arbeitet an Konzepten, damit die Abwehr der tödlichen Flugobjekte gelingt. 2 | 25 Ein schönes Beispiel für das Verschmelzen von ziviler Technik und militärischem Gewinn ist RISK.twin. Bei dem Vorhaben, an dem sich das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE mit der Uni- versität der Bundeswehr München und dem Software- unternehmen NetApp beteiligt, geht es darum, Digitale Zwillinge von Brücken zu generieren, um ein smartes Instandhaltungsmanagement zu ermöglichen. Die Brücken werden mit Sensoren bestückt, die Wer- te wie Schwingungen, Dehnungen und Temperatur mes- sen. Zusammen mit den Basisdaten der jeweiligen Brücke erlaubt dies die Einschätzung ihrer Auslastung und Tragfähigkeit. Die Sensordaten lassen sich sogar im Stun- dentakt in einem Lagezentrum auf einem Dashboard aktualisieren. In einem Verteidigungsfall, wenn NATO- Truppen in Deutschland operieren, könnten diese ihre Marschrouten besser planen. Militärfahrzeuge sind häufig Schwergewichte, dementsprechend sind die Funktions- fähigkeit und die Tragfähigkeit einer Brücke eine hoch- relevante Information. Bei Brücken, die durch Attacken beschädigt wurden, geben die Sensoren Auskunft darü- ber, bis zu welchem Gewicht sie noch gefahrlos passier- bar sind. Über clevere Sensoren hinaus, jenseits von Software- Tools und Dashboards kann eine Forschungsorganisa- tion wie die Fraunhofer-Gesellschaft noch mehr beitragen zur zukünftigen Sicherheit, zeigt sich Professor Riedel überzeugt: »Durch unseren Einblick in die Spitzenfor- schung erkunden wir, welche Technologiethemen in einigen Jahren relevant werden, und sehen auch die ent- sprechenden Lücken in Industrieprojekten. Hier platzieren wir gezielt unsere Vorlaufforschung, wie bei- spielsweise Promotionsthemen. Das macht auch einen großen Teil der Innovationskraft und der Kreativität der Fraunhofer-Forschenden aus.« Rätselhafte Plasma-Effekte und Radar über dem Horizont Aktuell sind Hyperschallwaffen eine der großen, bisher ungelösten Fragen jeder Verteidigung. Hyperschall-Flug- körper bewegen sich mit Geschwindigkeiten ab Mach 5, also mehr als 1700 Metern pro Sekunde. Sie sind nicht nur schnell, sie können auch niedrig fliegen und sind extrem manövrierfähig. Bisher ist die Abwehr dieser Objekte sehr schwierig. Denn im Hyperschall ist eigentlich alles an- ders: Treibstoff, Flugfähigkeit, Materialien, Aerodynamik, Sensorik, Navigation, alles muss neu gedacht werden. So wird die Steuerelektronik sehr heiß, die Reibungshitze erreicht bis zu 3000 Grad Celsius. Das an der Oberfläche der Flugkörper entstehende Plasma beeinträchtigt zudem die Radarsignaturen. 18

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2 | 25 Prof. Daniel O‘Hagan hat Antworten, wie Verfolgung und Abwehr trotzdem gelingen können. Die Liste seiner Jobtitel und Aufgaben ist beeindruckend. Er hat in Ra- dartechnologie promoviert, ist Wissenschaftler am Fraun- hofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR, Chief Scientist und Koordinator für Hyperschall- technologie des Fraunhofer VVS und »Chair of NATO TG SET 296 Radar Against Hypersonic Threats«. Mit der Bun- deswehr hat er einen internationalen Workshop zum The- ma gegründet. Sein Terminkalender war immer schon voll. Seit dem Ukraine-Krieg und dem Einsatz russischer Hyperschallwaffen ist er noch ein bisschen voller. O‘Hagan setzt seine Hoffnungen auf ein mehrschich- tiges Multisensorsystem zur Abwehr von Hyperschall- raketen, das Radarsensoren sowie elektro-optische und Infrarotkameras (EO/IR) miteinander vernetzt. Ein Schlüs- selelement der Frühwarnung ist das Skywave Over-the- Horizon Radar (OTHR). Durch den niedrigen Anflug tau- chen Hyperschallwaffen erst spät über dem Horizont auf, wo sie für traditionelle Radare sichtbar werden. Bei der hohen Geschwindigkeit bleiben dann nur kurze Reak- tionszeiten. Die Over-the-Horizon-Systeme machen sich zunutze, dass Radar bei Wellenlängen zwischen 3 und 30 Megahertz von der Ionosphäre reflektiert wird und durch die Spiegelung auch Gebiete jenseits des Horizontes »be- leuchtet«. Indem die Systeme die reflektierten Wellen erfassen, können sie auch Flugobjekte detektieren, die eigentlich außerhalb des direkt beleuchteten Winkels fliegen. → Siehe Projekt 1 | Seite 22 »Kein System ist alleine imstande, alle Funktionen zu leisten, die für die Erkennung und Verfolgung von Hyper- schallflugkörpern erforderlich sind«, warnt O’Hagan vor zu großen Erwartungen. »Ähnlich wie bei den Drohnen liegt der Schlüssel in der Kombination unterschiedlicher Techniken, beispielsweise im Zusammenspiel der Satel- litenüberwachung mit verschiedenen boden- und luft- gestützten Radarsystemen.« Für die Fraunhofer-Forschenden sind die Technolo- gien für Zivilschutz, kritische Infrastrukturen und Ver- teidigung nicht nur eine technische Herausforderung, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Wie Chris- tian Steffes sagt: »Wir müssen den Menschen in Deutsch- land und Europa wieder das Gefühl geben, dass wir auf Krisen schnell und wirksam reagieren. Dann verschwin- det auch das Gefühl der Unsicherheit.« Und wer dann mit dem Boot auf die Nordsee hinaus- fährt, tut das im beruhigenden Wissen, dass die Leitun- gen, Kabel und Pipelines auf dem Meeresboden gut ge- schützt sind. Wenn‘s der Forschung dient: Für die Fotografin Marina Rosa Weigl lassen sich Hans Peter Stuch und Daniel O‘Hagan auch gerne mit unkonventionellen Motiven ablichten. 20

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2 | 25 Die Verteidigung der Lufthoheit Gefahr im Anflug? Ein innovatives Drohnenabwehrsystem unterstützt Sicherheitskräfte beim effektiven Schutz von Gebäuden, Veranstaltungen oder Personen. Von Beate Strobel Angela Merkel im Visier: Als sich 2013 ei- ne etwa 40 Zentimeter große Drohne bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung in Dresden der damaligen Bundeskanzlerin näherte und kurz vor dem Rednerpult zu Boden stürzte, lächelte diese nur belustigt. Tatsächlich war damals aber Schluss mit lustig. Was sich in Dresden als eine Pro- testaktion der Piratenpartei herausstell- te, bezeichnet der Nachrichtentechniker Hans Peter Stuch heute als »die Mutter aller Drohnenabwehr-Szenarien in Deutsch- land«. Denn die Attacke, so der Forschungs- gruppenleiter am Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbei- tung und Ergonomie FKIE, machte vielen Sicherheitsbehörden bewusst, dass man einer potenziellen Gefährdung durch Drohnen nicht viel entgegenzusetzen hatte. Gleichzeitig spielen die fliegenden Hightech-Objekte im zivilen und kommer- ziellen Bereich eine immer größere Rolle, etwa bei der Zustellung von Paketen, Arz- neimitteln oder Lebensmitteln. Je voller es künftig wird im Luftraum, desto größer die Notwendigkeit, die »guten« von den »bö- sen« Drohnen unterscheiden zu können. Aufbauend auf den Ergebnissen von vier Projekten unter Fraunhofer-Beteili- gung wurde mit dem im Jahr 2023 gestar- teten Leuchtturmprojekt IDAS-PRO des Bundesministeriums für Forschung, Tech- nologie und Raumfahrt (BMFTR, vormals BMBF) ein Allrounder für die Drohnen- bekämpfung entwickelt: Das innovative Drohnenabwehrsystem integriert meh rere unterschiedliche Radarsysteme, Funkpei- ler, Remote-ID-Sensoren sowie miniatu- risierte Kameras, um die Drohne punkt- genau zu lokalisieren und deren Flugbahn prognostizieren zu können. Die Sensor- daten werden in einer Fusion zusammen- geführt und in einem Lagebild angezeigt; intelligente Algorithmen unterstützen die User dann mit passenden Handlungsop- tionen. »IDAS-PRO schlägt in Echtzeit Ge- genmaßnahmen vor«, erklärt Ingenieur Stuch. »Denn wenn sich eine Drohne mit einer Geschwindigkeit von 70 Stunden- kilometern nähert, bleibt nicht viel Zeit für die Entscheidungsfindung der geeig- neten Gegenmaßnahmen.« weitere Anwendergruppen und -szenarien: »Die Lösung ermöglicht einen flexiblen Ein- satz, sie kann für den Schutz kritischer In- frastrukturen verwendet werden, für die Sicherung großer Veranstaltungen oder im militärischen Kontext.« Dank der anwen- dernahen Forschung sei der Weg des Tech- nologie-Transfers in die Praxis besonders kurz: »Die ersten Komponenten von IDAS- PRO werden voraussichtlich Anfang 2026 mit Bestellnummer verfügbar sein.« Für die aktive Drohnenabwehr beinhal- tet das System zwei Effektoren: Ein soge- nannter Jammer wird automatisiert von der Lagedarstellung auf das Zielobjekt aus- gerichtet. Seine Störsignale unterbrechen dann die Funkkommunikation zwischen Fernbedienung und Drohne. Das abzu- wehrende Flugobjekt verharrt als Folge auf der Stelle. Eine Fangdrohne sammelt dann – ebenfalls automatisiert – das Ge- rät mit einem Netz ein und bringt es an einen sicheren Ort. So kann die abgewehr- te Drohne forensisch untersucht werden. Das Projekt mit dem Fraunhofer FKIE im Co-Lead überzeugt nicht nur mit einem funktionsfähigen Demonstrator, sondern auch durch seinen Weg dahin: Mit dem Bundeskriminalamt, der Bundespolizei, dem LKA Bayern sowie der Polizei Baden- Württemberg, Brandenburg, Nordrhein- Westfalen und Rheinland-Pfalz waren die künftigen Technologie-User von Beginn an intensiv eingebunden ins Forschungs- geschehen. Hans Peter Stuch: »Gemeinsam konnten wir so die speziellen Nutzeran- forderungen identifizieren und Testszena- rien entwickeln, die dicht dran sind an den realen Bedingungen.« Da IDAS-PRO als universell nutzbares System gestaltet wurde, sieht Stuch auch — IDAS-PRO bei der Arbeit: Mehr Infos zum innovativen Abwehrsystem Hans Peter Stuch sorgt dafür, dass angreifende Drohnen ihren Zielort nicht erreichen können. 21

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2 | 25 Das Schutzschild wächst Gefahren erkennen, analysieren und abwehren, dieser Dreiklang bestimmt die Forschungsvorhaben der Fraunhofer-Institute. Zehn Projekte, die kritische Infrastrukturen und Zivilgesellschaft sichern. 1 Hyperschallwaffen abwehren Mit vorhandener Technik sind sie kaum abzuwehren. Forschende des Fraunhofer- Leistungsbereichs VVS (Verteidigung, Vor- beugung und Sicherheit) arbeiten intensiv an mehrschichtig verbundenen Radaren sowie elektro-optischen und Infrarot- Kameras (EO/IR), um die Erkennung und Verfolgung von Hyperschallobjekten zu verbessern. Ein weiteres Problem: Je nied- riger die Objekte fliegen, desto schneller sind sie aus der Horizontlinie verschwun- den, die von einem Radarsystem beleuch- tet wird. Abhilfe schaffen Over-the Hori- zon-Systeme. Deren Radartechnik arbeitet mit Wellen zwischen 3 und 30 Megahertz. Diese werden ähnlich wie Kurzwelle für Radioempfang von der Ionosphäre reflek- tiert und erfassen deshalb einen viel grö- ßeren Bereich. https://s.fhg.de/hyperschall Alarm bei Raketenstarts 2 Die frühzeitige Warnung vor einem Angriff mit ballistischen Raketen will das Fraun- hofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB ermöglichen und nutzt hierfür elektro-optische Senso- ren auf Satelliten. Im Auftrag des Vertei- digungsministeriums entwickeln die For- schenden entsprechende Designkonzepte. Die Sensoren registrieren Infrarotsignale des Raketenabgasstrahls und wandeln die- se in elektronische Signale um. Bildverar- beitungsalgorithmen werten die Daten aus und liefern Abwehrsystemen genaue Ziel- informationen. Die Technik könnte die bo- dengestützte Luftabwehr wirksam ergän- zen. Ein Prototyp des Sensors wurde für den Forschungssatelliten ERNST entwickelt, der im August 2024 in den Weltraum gestartet ist. Der Kleinstsatellit des Fraunhofer-Insti- tuts für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Insti- tut, EMI demonstriert die Machbarkeit der Raketendetektion aus dem Orbit. https://s.fhg.de/raketenwarnung Echtzeitlagebild Offshore 3 Von Seenot bis Spionageversuch: Im Pro- jekt ELO (Echtzeitlagebild Offshore) visuali- sieren Forschende des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM maritime Notfall- szenarien in der Deutschen Bucht. Die Fraunhofer-Expertinnen und -Experten nutzen für die Livelagebilder unter ande- rem Drohnen mit bis zu 3,60 Meter Spann- weite, die sich je nach Mission mit diversen Sensoren bestücken lassen. Sie können bis zu sieben Stunden in der Luft bleiben und werden im Projekt für den anspruchsvollen Einsatz über dem Meer ertüchtigt. https://s.fhg.de/ELO Drohnen erkennen 4 Aktive Radarsysteme können wegen des entstehenden Elektrosmogs in Städten nur eingeschränkt genutzt werden. Am Passiv- radar arbeitet das Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE. Diese Systeme werten Mobilfunkstrahlen aus, die von Flugobjek- ten reflektiert werden. Aus der Zeitdiffe- renz, der Dopplerverschiebung und dem Einfallswinkel zwischen den direkten Signa- len der Mobilfunkbasisstation und den vom Flugobjekt reflektierten Signalen errechnet das System Daten wie Position, Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit von Flugobjekten. Mobilfunk-Passivradar setzt dabei nicht nur auf frei zugängliche Mobilfunknetze, sondern zusätzlich auf LTE 450, einen Mobilfunkstandard, der für die sichere Kommunika tion der Betreiber kriti- scher Infrastrukturen entwickelt wurde. https://s.fhg.de/passivradar 5 Drohnen am Sound erkennen Drohnen machen Lärm und verraten sich dadurch. Das Fraunhofer-Institut für Digi- tale Medientechnologie IDMT in Olden- burg forscht daran, anfliegende Drohnen durch leistungsstarke Mikrofonarrays und Audiosignalverarbeitung frühzeitig zu er- kennen und das Gefahrenpotenzial einzu- schätzen. Hinzu kommen Verfahren des 22

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2 | 25 Maschinellen Lernens. Auf diese Weise las- sen sich die Fluggeräte auch bei starkem Umgebungslärm identifizieren und gege- benenfalls Gegenmaßnahmen einleiten. https://s.fhg.de/drohnensound Drohnen abwehren 6 Wie kann man in dicht besiedelten Räu- men Flugobjekte unschädlich machen, ohne Menschen zu gefährden? Das Fraun- hofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF in Jena nutzt dafür Laser mit einer Wellenlänge von zwei Mikrome- tern, die für das menschliche Auge weit- gehend unschädlich ist. Das Forschenden- Team hat Glasfaser mit der Seltenen Erde Thulium versetzt, um diese Wellenlänge zu erzielen. Zudem haben die Forschenden ein Beugungsgitter entwickelt, das drei Laserstrahlen zu einem Strahl vereint. So konnte das Team die Leistung auf 1,91 Kilowatt erhöhen, fast doppelt so viel wie bei einem herkömmlichen System. Der La- ser ist in der Lage, bei einer anfliegenden Drohne in einem Kilometer Entfernung die Steuerelektronik präzise zu treffen. https://s.fhg.de/hochleistungslaser Hybride Bedrohungen 7 Hybride Bedrohungen sind häufig so kom- plex, dass ihre zerstörerische Wirkung zu spät erkannt wird. Die Forschenden am Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE entwickeln ein System, das Daten aus unterschiedlichen Quellen wie etwa Warn- meldungen von Sicherheitssoftware, Bilder von Überwachungskameras oder Daten von Funkempfängern sammelt und auswertet. Hinzu kommen Beobachtun- gen in sozialen Netzwerken, wo mögli- cherweise Desinformationskampagnen gegen Betreiber kritischer Infrastrukturen gestartet wurden. Durch die Zusammen- schau aller Daten werden Zusammenhän- ge zwischen Attacken aus verschiedenen Domänen sichtbar und als koordinierter Angriff erkennbar. https://s.fhg.de/cyberraum 8 Training für Energieversorger Die Fraunhofer Academy schult Energie- versorger darin, Cyberattacken abzuweh- ren. Die Trainings, die von Expertinnen und Experten des Fraunhofer-Instituts für Kommunikation, Informationsverarbei- tung und Ergonomie FKIE betreut werden, konfrontieren die Teilnehmenden ähnlich wie bei einem Rollenspiel mit einer realis- tischen Umgebung, in der sie Alltagsauf- gaben erledigen, bevor eine Attacke aus dem Web startet. Dabei spielen nicht nur technische Kenntnisse eine Rolle, sondern auch die Kommunikation zwischen den betroffenen Abteilungen und dem Ma- nagement. https://s.fhg.de/cyberattacken Wie ist die Lage? 9 schnell ein differenziertes Bild der Lage haben. Die dafür nötigen Informationen wie Wetterdaten, Straßenkarten, Bevölke- rungsstruktur oder Hochwasserkarten sammelt das Projekt HERAKLION, analy- siert diese und visualisiert sie auf einem Dashboard. Dann wissen Einsatzkräfte rechtzeitig, welche Straßen bei einer Flut überschwemmt sind, welche Brücken be- fahrbar oder welche Sammelplätze oder Turnhallen noch erreichbar sind. Bei die- sem Projekt haben die Forschenden des Fraunhofer-Instituts für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI mit Rettungskräf- ten und Einsatzplanern zusammengear- beitet. https://s.fhg.de/heraklion Riecher für Sprengstoff 10 Bei der Detektion von Sprengstoffen sind Spürhunde häufig besser als Messgeräte. Das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT verfügt über umfassende Expertise bei Sprengstoffen und bietet wissenschaftlich fundierte Trainingsmög- lichkeiten für die Hunde an, überwiegend Deutsche oder Belgische Schäferhunde. Dazu zählen Geruchsprobenstrecken zur Konditionierung auf neue Substanzen so- wie realitätsnahe Szenarien wie Fahrzeug-, Gepäck- und Gebäudekontrollen. Die Ex- pertinnen und Experten des Fraunhofer ICT können die Explosivstoffe selbst her- stellen, und zwar ohne die gesetzlich vor- geschriebenen Marker, welche die Detek- tion erleichtern sollen, aber auch die Duftsignatur eines Explosivstoffs verän- dern. Die Trainingsmethoden ermöglichen Studien zum Riechvermögen der Hunde. Wenn das Hochwasser kommt, das Strom- netz zusammenbricht oder eine Pandemie sich ausbreitet, müssen die Einsatzkräfte https://s.fhg.de/sprengstoff 23

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2 | 25 Global vernetzt – global verwundbar Täglich bekommen wir zu spüren, wie verletzlich der weltweite Handel ist. Unternehmen können sich schützen – dank KI. Die Nachfrage steigt. Von Dr. Sonja Endres T rumps Zolldrohungen, Terror- angriffe auf Containerschiffe im Roten Meer oder Kriege: Tag für Tag wird der globale Handel bedroht. Lieferketten sind fragil. Wie Unter- nehmen mithilfe von KI Störungen schnell erkennen und so Produktionsausfällen vorbeugen können, erforschen Dr.-Ing. Eduardo Colangelo und sein Team am »Resilienz ist immer ein Gleichgewicht zwischen Auswir kungen und Wahr- scheinlichkeit.« Dr.-Ing. Eduardo Colangelo, Fraunhofer IPA 24

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Sechs Tage blockierte die havarierte »Ever Given« im März 2021 den Suezkanal, ein stark frequentiertes Nadelöhr des Welthandels – mit katastrophalen Folgen. 2 | 25 Fraunhofer-Institut für Produktionstech- nik und Automatisierung IPA in Stuttgart. Der Wirtschaftsingenieur aus Argentinien, der seit zwölf Jahren am Fraunhofer IPA Lösungen für die Industrie entwickelt, re- gistrierte vor allem in den vergangenen Mo- naten eine steigende Nachfrage. Er ist über- zeugt: »Es gibt eine Häufung an Krisen, die Unternehmen dazu bewegen, mehr in die eigene Widerstandskraft zu investieren.« Resilienz, so erklärt er, müsse sorgfäl- tig strategisch im Vorfeld aufgebaut wer- den. Wichtig sei vor allem die Analyse der individuellen Produktionsbedingungen: Welche Rohstoffe werden benötigt? Wie sind sie verfügbar? Welche Lieferanten und Transportwege gibt es? Existieren Alter- nativen? Mit diesen Informationen werden KI-Modelle gefüttert, die das Fraunhofer- IPA-Team im Forschungsprojekt PAIRS entwickelt hat. Sie erkennen Störungen auf Lieferwegen und haben gleichzeitig kritische Entwicklungen auf Rohstoffmärk- ten im Blick. Dafür werten sie unter an- derem aktuelle Satellitenbilder des euro- päischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus und Meldungen auf Nachrich- tenportalen aus. Vorbereitung ist alles Die KI misst beispielsweise die Schiffs- dichte im Seefrachtverkehr. Stauen sich vor einem Hafen oder in einer Passage die Frachter, gibt es vermutlich ein Problem. Eventuell musste der Hafen schließen oder ein Containerschiff ist havariert und blockiert die Weiterfahrt wie im Jahr 2021 die »Ever Given« im Suezkanal. Wenn die Störung für das Unternehmen bedrohlich ist, gibt die KI eine Warnung aus. Colan- gelos Kollegin Theresa-Franziska Hinrich- sen betont: »Die Entscheidung darüber, ob Maßnahmen eingeleitet werden, liegt aber beim Menschen.« Kommt der zu dem Ergebnis, dass ein Einschreiten nicht er- forderlich ist, fließt diese Information wieder in das KI-Modell ein. Colangelo ergänzt: »So lernt unsere KI kontinuier- lich dazu und wird immer besser darin, die Relevanz bestimmter Ereignisse für die jeweilige Firma zu bewerten.« Zurzeit arbeitet das Forschungsteam zusätzlich an Simulationsmodellen auf Basis individueller Unternehmensdaten. Natürlich gebe es viele denkbare Szena- rien, die eine Gefahr für die Produktion darstellen, so Colangelo, aber nicht auf al- le müsse man auch vorbereitet sein. »Das würde nur die Kosten unnötig in die Höhe treiben. Wir simulieren nur die, die wahr- scheinlich und kritisch sind. Resilienz ist immer ein Gleichgewicht zwischen Aus- wirkungen und Wahrscheinlichkeit.« Die KI-Modelle aus dem Fraunhofer IPA könnten nicht nur die industrielle Re- silienz stärken, sondern auch den Katas- trophenschutz. In Kooperation mit dem Technischen Hilfswerk will das For- schungsteam mithilfe von Szenario-Ana- lysen hohe Risiken identifizieren, damit hier zielgerichtet Investitionsentscheidun- gen getroffen werden können. Hinrichsen: »Für das Trainieren der KI-Modelle brau- chen wir allerdings erst einmal entspre- chende Daten. Doch die liegen leider im Unterscheid zur Industrie kaum struktu- riert vor.« Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben daher zunächst ein Tool entwickelt, das die Erfassung relevan- ter Daten im Katastrophenfall erleichtert. Damit lassen sich beispielsweise die Be- stände in Einsatzlagern einfach überwa- chen und eine smarte Materialbedarfspla- nung durchführen. Hinrichsen: »Der Aufwand ist minimal, der Nutzen enorm.« Neben Einsatzdaten sind beispielsweise auch meteorologische Daten, Informatio- nen über die Verfügbarkeit und Reichwei- te von Kommunikationsnetzen, Infrastruk- turdaten oder historische Daten über Katastrophen für die Planung von Hilfs- und Schutzmaßnahmen wertvoll und kön- nen wichtige Fragen beantworten wie: Wie haben sich eine Wetterlage und die Schnel- ligkeit, mit der die Flusspegel gestiegen sind, auf eine Flutkatastrophe ausgewirkt? Wie hat sich eine Krisensituation verän- dert, wenn bestimmte Faktoren aufeinan- dergetroffen sind? Hinrichsen: »Die Daten sind ein Schatz, der noch gehoben werden muss. Dann kann KI im Katastrophen- schutz sehr helfen.« Und wir können aus vergangenen Krisen lernen. 25 i l a p d / P A / s e g o o n h c e T r a x a M : o t o F

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2 | 25 Stimme aus der Wirtschaft Stefan Oelrich ist Mitglied des Vorstands der Bayer AG, Leiter der Division Pharmaceuticals und seit dem 26. Juni 2025 Präsident der European Federation of Pharma- ceutical Industries and Associations. 26 Europas Pharmaindustrie am Scheideweg Eine Reform der Pharmagesetzgebung könnte die Medikamentenversorgung sicherer machen und die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken. Ein Standpunkt von Stefan Oelrich, Präsident der European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA)

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A ls ich vor 30 Jahren meine Karrie- re begann, stammte jedes zweite neue Medikament aus Europa. Heute ist es nur noch jedes fünfte. In den letzten zwei Jahrzehnten ist der Anteil Europas an den weltweiten Investitionen in pharmazeutische Forschung und Entwick- lung um ein Viertel zurückgegangen – vor allem zugunsten der USA und Chinas. In einer Zeit wegweisender Innovationen und eines starken globalen Wettbewerbs um Spitzenforschung stellt sich nicht die Frage, ob die Medizin Fortschritte machen wird, son- dern wo. Wollen wir eine Europäische Union, die von den Innovationen anderer Weltregio- nen abhängig ist? Oder eine EU, die Innova- tionen in ihrer Bedeutung anerkennt und ent- sprechend honoriert? Letzteres würde Patien- tinnen und Patienten zugutekommen, für In- vestitionen sorgen, Arbeitsplätze schaffen und das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Europa muss seine Wettbewerbsfähigkeit stärken und Herausforderungen im Gesund- heitssektor adressieren. Entwicklungen in den Bereichen Souveränität, nationale Sicherheit und Resilienz der Lieferketten geben großen Anlass zur Sorge. Handelskonflikte schaffen ein Klima der Unsicherheit und veranlassen europäische Pharmaunternehmen dazu, mas- sive Investitionen in den USA anzukündigen. Darin liegt jedoch eine Chance. Mit dem größten Beitrag zum EU-Handelsüberschuss und 900 000 Arbeitsplätzen in Europa wird die Pharmaindustrie endlich von der Politik als strategische Schlüsselbranche wahrgenom- men. Wir müssen diesen Worten nun Taten folgen lassen. Die nächste Gelegenheit dazu bietet die Überarbeitung der allgemeinen Arz- neimittelgesetzgebung (General Pharmaceu- tical Legislation, GPL). Wir brauchen ein Europa, das attraktiv ist für Innovatoren und Investoren. Das Gesetzge- bungsverfahren für die GPL, das die Entwick- lung, Zulassung und Bereitstellung von Arz- neimitteln in Europa auf Jahrzehnte bestim- men wird, befindet sich auf der Zielgeraden. Obwohl geistiges Eigentum auf erstklassigen, kalkulierbaren Schutz angewiesen ist, sehen die Vorschläge eine Lockerung der derzeit gel- tenden Datenschutzvorschriften vor. Bei Bayer werden Entscheidungen über For- schungs-, Entwicklungs- und Produktions- standorte anhand des Zusammenspiels ver- schiedener Faktoren getroffen, um optimale »Europa tut sich schwer damit, aus Durchbrüchen in der Forschung marktfähige Produkte zu entwickeln.« Stefan Oelrich vertritt seit Juni 2025 als Präsi- dent der European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA) die in Europa tätige biopharma- zeutische Industrie. ist seit 1. November 2018 Mitglied des Vorstands der Bayer AG und Leiter der Division Pharmaceuticals. leitete sieben Jahre beim Pharma- und Gesundheitsun- ternehmen Sanofi Organisati- onseinheiten in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Anschließend baute er das Diabetes- und Herz-Kreislauf- Geschäft von Sanofi auf. 2016 wurde Stefan Oelrich zum Exe- cutive Vice President Diabetes & Cardiovascular und Mitglied des Executive Committee von Sanofi ernannt. trat 1989 in die Bayer AG ein und übernahm dort Füh- rungspositionen von zuneh- mend strategischer Bedeu- tung in Lateinamerika (Argen- tinien, Uruguay), Europa (Frankreich, Belgien) und in den Vereinigten Staaten. wurde am 1. Juni 1968 in Wil- helmshaven geboren. Nach dem Abitur begann er eine Ausbildung zum Wirtschafts- assistenten bei der Bayer AG und legte 1992 seine Prüfung zum staatlich geprüften Wirt- schaftsassistenten ab. 2 | 25 Bedingungen für die Bereitstellung neuer Me- dikamente zu schaffen. Es ist zwingend erfor- derlich, dass Europa im Rahmen der GPL-Ge- setzgebung sein geistiges Eigentum stärkt, um im Wettbewerb zu bestehen. Wir brauchen ein Europa, das den Transfer von Ideen in Anwendungen beschleunigt. Europa verfügt über weltweit angesehene Hochschulen und hoch qualifizierte Fachkräf- te. Es tut sich jedoch schwer damit, aus Durch- brüchen in der Forschung marktfähige Pro- dukte zu entwickeln. Abhilfe schaffen könnte die Förderung sogenannter Life Science Hubs (wie in San Francisco oder Boston), in denen sich öffentliche wie private Akteure entfalten können. Wichtig ist zudem, dass wir unsere Start-ups stärken, damit sich diese nicht im Ausland nach Investoren umschauen müs- sen oder aufgeben, bevor sie etwas bewirken. Wenn Europa im Bereich der innovativen Me- dizin eine treibende Kraft bleiben will, müs- sen wir in allen Entwicklungsstadien bessere Finanzierungsmöglichkeiten schaffen. Wir brauchen ein Europa, in dem die Men- schen schnell und gleichberechtigt Zugang zu Arzneimitteln erhalten. Es ist nicht hinnehm- bar, dass kaum die Hälfte aller zugelassenen innovativen Arzneimittel innerhalb der EU erhältlich ist. Und dass es von der Zulassung bis zur Markteinführung im Schnitt 578 Tage dauert. Wirtschaft, europäische Institutionen und Mitgliedsstaaten sollten sich umgehend zusammensetzen, um harmonisierte EU-Me- chanismen und nationale Zugangsstrategien zu schaffen, bei denen Innovationen in ihrer Bedeutung anerkannt und honoriert werden sowie sichergestellt ist, dass Medikamente für alle Menschen in Europa zugänglich sind. Wir brauchen ein Europa, das Gesundheitsaus- gaben als das anerkennt, was sie sind: Inves- titionen in unsere gemeinsame Zukunft. Die Gesundheitsbranche trägt zur Steigerung der Lebenserwartung und -qualität bei und fördert Wohlstand, Resilienz und Sicherheit. Doch in Europa sehen Politik und Gesellschaft in der Entwicklung innovativer Arzneimittel oft nur Kosten und keine Investitionen in Gesundheit und Wirtschaft. Diese Haltung muss sich än- dern. Nur so können wir unsere Position bei der Erforschung, Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln behaupten. Ich bin zuver- sichtlich, dass Europa dies gelingen wird. 27 l G A r e y a B / r e g u K n e f f e t S : o t o F

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2 | 25 Weniger ist mehr: Lösungen für Rohstoffengpässe Paradigmenwechsel in der Werkstoffforschung: Ein Fraunhofer- Leitprojekt will mithilfe von KI und innovativen Recyclingmethoden die Materialversorgung krisenfest und zugleich nachhaltig gestalten. Von Kathrin Schwarze-Reiter D ie Not beginnt schleichend. Ein Automobilhersteller ver- schiebt die Auslieferung neuer E-Modelle. Ein Windkraftpark bleibt unvollendet. Eine Wasserstofffabrik kann nicht in Betrieb gehen. Der Grund: Es fehlt an essenziellen Rohstoffen – Nickel, Kobalt, Seltene Erden. Materialien, die so begehrt wie unverzichtbar sind. Noch sind die Auswirkungen nur punktuell spürbar. Doch die Energiewende und der techno- logische Fortschritt treiben den Bedarf an Rohstoffen in die Höhe. Die Weltwirtschaft ist eine präzise ab- gestimmte Maschinerie. Jahrzehntelang konnte man sich bei ihr auf den Material- nachschub verlassen. Doch in der letzten Zeit gerät der Rohstofffluss immer wieder ins Stocken. Kriege, Krisen, Handelsbe- schränkungen durch Trump & Co. – sie al- le zeigen, dass die Lieferketten auf wacke- ligen Beinen stehen. »Die bisherigen Wert schöpfungsketten sind hochoptimiert, aber dadurch auch extrem störanfällig«, er- klärt Dr.-Ing. Dirk Helm vom Fraunhofer- Institut für Werkstoffmechanik IWM. »Ein unerwartetes Ereignis wie eine Pandemie oder ein geopolitischer Konflikt kann gan- ze Industriezweige ins Wanken bringen.« Besonders problematisch ist das bei ra- ren Rohstoffen wie Seltenen Erden für Elek- tromotoren oder Nickel für Bipolarplatten aus Edelstahl für Brennstoffzellen – sie sind endlich und international heiß begehrt. Zwar werden immer wieder neue Minen gefunden, oft liegen diese jedoch in poli- tisch instabilen Regionen. Die Mineralien müssen in immer größeren Tiefen abgebaut werden. Aus dieser Notlage heraus setzt die Industrie zunehmend auf Recycling. Doch: Recyclingstoffströme und gebrauchte Ma- terialien sind oft verunreinigt, mit Lacken, Kunststoffen oder Fremdmetallen versetzt. Die Reinigung ist technisch aufwendig und daher auch teuer. Wie kann man zudem sicherstellen, dass recycelte Metalle genau- so sicher und leistungsfähig sind wie »fri- sche« aus Rohmaterial? Geballte Fraunhofer-Power für sichere Rohstoffe Genau hier setzt das Fraunhofer-Leitpro- jekt ORCHESTER an. Sechs Fraunhofer-In- stitute arbeiten vier Jahre lang daran, die Materialversorgung widerstandsfähiger zu machen. Das Ziel ist nicht weniger als ein radikaler Wandel in der Werkstofffor- schung. Mithilfe von Künstlicher Intelli- genz, digitalen Modellen und innovativen Recyclingmethoden will ORCHESTER die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen verringern und neue Materiallösungen ermöglichen. Eine digitale Plattform soll »Wir denken das gesamte System neu – vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt.« Dr. Jörg Kaspar, Fraunhofer IWS Unternehmen in Zukunft helfen, alterna- tive Werkstoffe zu finden – zum Beispiel Stahl mit weniger Nickel, ohne Einbußen bei der Qualität. Noch steckt das Projekt – ein Jahr nach dem Start – in der An- fangsphase, doch die Richtung ist klar: Die Materialversorgung der Zukunft soll nach- haltiger, flexibler und krisensicher sein. Die beteiligten Fraunhofer-Institute bündeln hierfür ihre Expertise: Das Fraun- hofer IWM koordiniert das Projekt und entwickelt neue Materialdesign-Strategien. Das Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS forscht an innovativen Legierungen. Am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI werden wirtschaftliche und geopolitische Aspekte der Rohstoffversorgung betrach- tet, während das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU neue beziehungsweise adaptive Fer- 28

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2 | 25 Die Metalle Lanthan, Yttrium, Cer, Neodym, Europium und Samarium zählen zu den Seltenen Erden. ist nicht immer ein verlässlicher Handels- partner. Bislang sind recycelte Magnete zudem oft weniger leistungsfähig als neue. ORCHESTER nutzt Künstliche Intelligenz und Simulationsmodelle, um zu verstehen, wie sich Verunreinigungen auf die mag- netische Performance auswirken und wel- che Materialmischungen trotzdem funk- tionieren. »Unser Ziel ist, den Einsatz Seltener Erden aus primären Quellen um mindestens 25 Prozent zu reduzieren«, be- tont Helm. Das würde nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch Europa unabhän- giger von Rohstoffimporten machen. Die digitale Materialzukunft Neben neuen Materiallösungen schafft ORCHESTER eine digitale Plattform, die Daten über Materialeigenschaften, Her- stellungsprozesse und Recyclingverfah- ren miteinander verknüpft. Unternehmen können darauf zugreifen und erhalten datenbasierte Empfehlungen für nachhal- tige Werkstoffe. »Wir denken das gesamte System neu – vom Rohstoff bis zum ferti- gen Produkt«, fasst Kaspar zusammen. Die digitalen Modelle berücksichtigen bereits in der Designphase eines Produkts die Ma- terialfrage – und schlagen Alternativen vor, falls ein Rohstoff knapp wird. Zusätz- lich kommen High-Speed-Materialtests zum Einsatz, sogenannte High-Through- put-Screening-Methoden, mit denen neue Materialmischungen schnell und effizient geprüft werden können. So soll die Auswahl an einsetzbaren Werkstof- fen verfünffacht, der Recyclinganteil in Prozessrouten um mindestens 50 Prozent gesteigert und die Materialresilienz um 30 Prozent erhöht werden. Durch die enge Zusammenarbeit mit Industrie, Politik und Forschung will das Projekt langfristig dazu beitragen, dass Materialknappheit keine Bremse für In- novationen mehr ist. Helm: »Wir wollen eine robuste, nachhaltige und unabhän- gige Materialversorgung gewährleisten – nicht nur für heute, sondern für die kom- menden Jahrzehnte.« 29 tigungsprozesse für recycelte Materialien entwickelt. Die Fraunhofer-Einrichtung für Werkstoffkreisläufe und Ressourcen- strategie IWKS optimiert Recyclingme- thoden für kritische Rohstoffe und das Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren IZFP arbeitet schlussend- lich an Sensortechnologien zur Qualitäts- sicherung von Sekundärrohstoffen. Ein Paradigmenwechsel in der Materialforschung Das Besondere an ORCHESTER ist die neue Art, Materialien zu spezifizieren. Bisher werden Werkstoffe hauptsächlich über ihre chemische Zusammensetzung definiert. Das bedeutet: Fehlt ein Roh- stoff, kann das Produkt nicht hergestellt werden. ORCHESTER dreht diesen Ansatz um. »Wir fokussieren uns darauf, wel- che Funktion ein Material erfüllen soll, und suchen dann nach Alternativen, die diese Funktion übernehmen können«, erklärt Dr. Jörg Kaspar vom Fraunhofer IWS. Bipolarplatten in Brennstoffzellen und Elektrolyseuren enthalten zum Bei- spiel viel von dem kritischen Rohstoff Ni- ckel. ORCHESTER erforscht, wie sich der Nickelanteil reduzieren lässt, ohne die Werkstoff- und Bauteilperformance zu be- einträchtigen. Eine Kombination aus Ex- perimenten, Computersimulationen und Hochgeschwindigkeitstests ermöglicht es, schnell geeignete Alternativmaterialien zu finden. Ein weiteres großes Ziel des Leitpro- jekts ist es, auf dem lokalen Markt verfüg- bare Materialien durch Recyceln ein »zwei- tes Leben« einzuhauchen und gleichzeitig die damit einhergehenden Qualitäts- schwankungen zu adressieren. Die Fraun- hofer-Institute entwickeln Methoden, um Verunreinigungen zu analysieren und die Materialzusammensetzungen anzupassen. Bei der Wiederverwertung von Alumini- umlegierungen für Verdichterräder in der Wasserstoffinfrastruktur und in Wärme- pumpen versucht ORCHESTER beispiels- weise, den Sekundäranteil – also den Recyclinganteil – auf ein Maximum zu er- höhen, ohne dass die Qualität darunter leidet. Kaspar: »Wir nutzen simulations- gestützte Screening-Methoden, um Legie- rungsvarianten zu testen, die dann auch von der Industrie einsetzbar sind.« Besonders spannend ist die Wiederver- wertung von Permanentmagneten, die in Elektromotoren und Windkraftanlagen zum Einsatz kommen. Sie enthalten Sel- tene Erden, die teuer und schwer abbaubar sind: Neodym, Praseodym, Terbium und Samarium. Zu einem Großteil kommen die chemischen Elemente aus China – das Land i a p d / R E K O J / n e t S r e d n a x e A l : o t o F

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2 | 25 Einen Riecher für Whisky Fraunhofer-Forschende haben einen KI-Algorithmus entwickelt, der schottischen Whisky von amerikanischem Whiskey unterscheiden kann. Doch den Wissenschaftlern geht es um sehr viel mehr als Spirituosen. Von Beate Strobel 30 Mehr als nur Geschmack: Der Duft eines Whiskys – seine »Nase« – verrät Kennern viel über Herkunft, Alter und Herstellung.

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2 | 25 D er bislang teuerste Whisky stammt aus einer schottischen Destillerie: 2023 wurde bei Sotheby‘s eine Flasche »The Macallan 1926 Adami« versteigert, sie erzielte die süffige Summe von knapp 2,5 Millionen Euro. Aber auch unter- halb dieses Rekords bezahlen Genießer wie Sammler Höchstpreise für Whisky-Raritäten. Kein Wunder also, dass die Spirituose oftmals als »flüssiges Gold« bezeich- net wird. Aber ist tatsächlich Schottland drin, wo »Scotch« drauf- steht? Profi-Verkoster sind weitestgehend in der Lage, anhand des Geruchs einen schottischen von einem ame- rikanischen Whiskey zu unterscheiden: Während Bour- bon eher Vanille- und Karamellnoten mit sich bringt, erfreut Scotch den Kenner häufig durch ein rauchig- torfiges oder auch holziges Bouquet. Die Testung durch solche Whiskey-Meister oder zumindest durch ein ent- sprechend geschultes Panel sei allerdings extrem perso- nen- sowie zeitintensiv und dadurch teuer, erklärt Dr. Andreas Grasskamp. Am Fraunhofer-Institut für Verfah- renstechnik und Verpackung IVV im oberbayerischen Freising entwickelte der Neurowissenschaftler mit einem Team aus Expertinnen und Experten deshalb neue Tech- nologien für den Bereich der analytischen Sensorik im Rahmen des »Campus der Sinne«, einem vom bayerischen Wirtschaftsministerium geförderten Projekt des Fraun- hofer IVV und des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS. Einer Künstlichen Intelligenz das Riechen beibringen: Genau das ist dem Forschungsteam um Andreas Grass- kamp gelungen. Denn der Geruch eines Getränks entsteht durch flüchtige Moleküle, die aus der Flüssigkeit in die Luft und in die Nase gelangen. Diese Moleküle lassen sich einzeln benennen durch den Einsatz geeigneter analyti- scher Verfahren. »Die Gaschromatographie-Massenspek- trometrie, kurz GC-MS, ist ein etabliertes Verfahren zur Analyse flüchtiger Verbindungen«, erklärt Grasskamp. »Wir können damit geruchsaktive Moleküle detektieren und identifizieren sowie die Proben parallel durch spe- ziell geschulte Personen sensorisch charakterisieren.« Mehr Sinnlichkeit für Maschinen Sehr viel herausfordernder ist allerdings die Tatsache, dass der olfaktorische Gesamteindruck in der Regel sehr viel mehr ist als die Summe der Einzelteile. Die Gasmole- küle können sich gegenseitig ergänzen und kontrastieren. Und auch die Art des Mediums, in dem sie sich befinden – etwa Luft, Wasser oder Öl –, beeinflusst das Aromaprofil. Untrainierte Nasen müssen beim Whisky schnell pas- sen angesichts der schier unendlichen Vielfalt der aro- matischen Wechselwirkungen. Die Forschenden setzten stattdessen den am Fraunhofer IVV entwickelten KI-Al- gorithmus OWSum (»Olfactory Weighted Sum«) darauf an, die Herkunft von Whiskyproben – schottisch oder amerikanisch – zu ermitteln. Parallel dazu verwendeten sie ein künstliches neuronales Netzwerk (CNN), um die olfaktorische Qualität der Whiskyproben zu bewerten. Das Ergebnis überzeugte: »Unsere digitale Lösung konn- te die wichtigsten Geruchseindrücke mindestens so zu- verlässig vorhersagen wie ein durchschnittlich guter menschlicher Tester«, bilanziert Grasskamp. Zudem gelang OWSum die Unterscheidung zwischen amerikanischem Whiskey und schottischem Whisky mit einer Genauigkeit von mehr als 90 Prozent. Aber auch die Vorhersage der wichtigsten Geruchsbeschreibungen von Whisky allein auf Basis von Moleküllisten gelang mit OWSum und CNN mindestens so gut wie mithilfe eines Profi-Panels. Kluges Blending für Recyclingprodukte Und nun? Zum einen kann das KI-Tool künftig Brenne- reien bei der Produktentwicklung und Qualitätskontrolle dabei unterstützen, mögliche Etikettenschwindel aufzu- decken. Zum anderen kann die Technologie für andere Getränke oder Lebensmittel angepasst oder weiterent- wickelt werden. Als weiteres Ziel haben die Fraunhofer-Forschenden allerdings ein sehr viel umfassenderes Anwendungsge- biet. »Unser Whisky-Projekt hat weltweit für großes In- teresse gesorgt, sollte aber in erster Linie zeigen, was die Technologie tatsächlich kann: Gerüche zuverlässig und schnell beurteilen«, sagt Grasskamp. »Tatsächlich geht es uns nicht allein um Whisky, sondern ganz nüchtern um alle möglichen Lebensmittel und Gebrauchsgegenstän- de.« Entsprechend einer neuen EU-Regelung muss bei- spielsweise künftig der Anteil von wiederaufbereiteten Kunststoffen in Produkten steigen. Doch wer schon ein- mal seine Nase in den Gelben Sack gesteckt hat, der weiß: Gebrauchter Kunststoff riecht tendenziell unangenehm. Gerade bei qualitativ hochwertigen Kunststoffprodukten wie Verpackungen ist das nicht zu tolerieren. Grasskamp: »Unsere hauseigene Datenbank besteht aus einer Vielzahl geruchsaktiver Moleküle. Damit und mit entsprechenden Proben können wir eine KI so trainieren, dass sich mit deren Hilfe perspektivisch beispielsweise gezielt Rezyk- lat-Mischungen entwickeln lassen, die nicht unangenehm riechen.« Ein zweites Einsatzfeld sieht Grasskamp in der effizi- enten Kontaminationsanalyse etwa von importierten Kunststoffprodukten: Weisen flüchtige Moleküle darauf hin, dass darin ökologisch oder medizinisch kritische Stoffe enthalten sind? Anders als beim Whisky überlässt der Mensch diesen Job gerne der Maschine: »Zum einen ist die menschliche Nase für eine perfekte Detektion nicht ausreichend sensibel, zum anderen sind viele gefährliche Inhalte gar nicht geruchsaktiv«, erklärt Grasskamp. Ein entsprechend trainierter Algorithmus könnte aber früh- zeitig warnen – und so zu einer höheren Produktqualität und -sicherheit führen. 31 o t o h p k c o t s i / D 3 k c a J k c a B l , e r u t c i p n a p / r o h c l i i l e M l l i T : s o t o F

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2 | 25 Wer steckt wirklich hinter der Stimme? Die Betrugsver- suche mittels KI-generierter Audioclips nehmen zu – und sind immer schwerer als Fake erkennbar. 32

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2 | 25 Bei Anruf: Fake! Wenige Sekunden einer Sprachaufnahme reichen heute aus, um eine Stimme zu klonen und sie alles sagen zu lassen, was man will. Der rasante Fortschritt von Voice-Cloning-Technologien dürfte gravierende Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft haben. Die wichtigsten Gegenmittel: Aufklärung, ein geschultes Gehör und noch besser trainierte Erkennungssysteme. Von Mandy Bartel E in Audioclip, in dem der britische Premier Keir Starmer auf der Plattform X angeblich gestand, seine Wählerschaft zu hinter- gehen, wurde 1,4 Millionen Mal aufgerufen. Das Unternehmen Ferrari entging im letzten Sommer nur knapp einem Deepfake-Betrug. Denn ein umsichtiger Manager reagierte klug auf einen verdächtigen Anruf des täuschend echt klingenden Unternehmenschefs: Er stell- te eine Frage, deren Antwort nur der reale Chef wissen konnte. Fälle von Desinformation, Trickbetrug oder Industriespionage durch gefälschte Stimmen nehmen weltweit zu. Alle fünf Minuten soll es 2024 laut dem Identity Fraud Report des En- trust Cybersecurity Institute einen Deepfake- Betrugsversuch gegeben haben. Der Sicherheits- anbieter Signicat registrierte innerhalb von drei Jahren ein Plus von 2137 Prozent solcher An- griffe auf europäische Banken, Versicherungen und Zahlungsspezialisten. Gleichzeitig gehen mit den neuen Möglichkeiten KI-generierter Sprache nicht nur Risiken einher, sondern auch Chancen: sei es die Rekonstruierung der Stim- me sprachbehinderter Menschen, neue Ent- wicklungen in der Synchronisierung von Fil- men oder gar die digitale Bewahrung von Stimmen verstorbener Menschen. Fest steht: Deepfake-Technologien werden unsere mediale Realität zunehmend verän- dern. Das konstatiert die Studie »Deepfakes und manipulierte Realitäten« des Fraunhofer- Instituts für System- und Innovationsfor- schung ISI. Die Empfehlungen der Autorinnen und Autoren: Neben staatlichen Bemühungen zur Plattformregulierung muss die Selbstver- antwortung jedes und jeder Einzelnen durch entsprechende Bildungsangebote verbessert werden. Medien können mit hohen journalis- tischen Standards zur besseren Erkennung und Aufklärung der Bevölkerung beitragen. Zudem sollten sich Unternehmen und Orga- nisationen durch interne Risikoabschätzungen sowie präventive und reaktive Maßnahmen auf die zunehmende Verbreitung von Deep- fakes vorbereiten. Mensch vs. KI: Wer erkennt Fälschungen besser? Im Gegensatz zur noch recht aufwendigen Erstellung von Deepfake-Videos lassen sich Audioinhalte mit hoher Qualität schon mit vergleichsweise geringem Aufwand mani- pulieren. Gleichzeitig sind sie schwerer zu identifizieren, weil visuelle Hinweise fehlen. Wie gut sind Menschen darin, solche manipu- lierten Audiospuren zu erkennen? Das hat Dr. Nicolas Müller vom Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit AI- SEC in einem Experiment untersucht. Er ließ 472 Teilnehmende in einem Spiel gegen einen KI-Algorithmus antreten, um zwischen ech- ten und gefälschten Audioproben zu unter- scheiden. Sowohl die Menschen als auch die KI hörten jeweils eine Audiospur und mussten entscheiden, ob es sich um eine echte Stimme oder ein Deepfake handelte. Die Bilanz nach fast 15 000 angehörten Da- teien: »Der Mensch erkennt ungeübt etwa zwei Drittel der Fälschungen, kann sich mit etwas Übung aber bis auf 80 Prozent hocharbeiten«, so der Forscher. »Die Erfolgsquote der KI liegt – immer abhängig vom Schwierigkeitsgrad – bei weit über 95 Prozent.« Doch das Spiel lie- ferte noch weitere wertvolle Befunde: So lassen sich ältere Personen häufiger von Deepfakes 33 o t o h p k c o t s i / o r e i t : o t o F

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2 | 25 34 »Dem aufkommenden Deepfake-Zeitalter werden wir nur mit einer Kombination aus besserer technischer Erkennung, Aufklä- rung sowie einem gestärkten Bewusst- sein in der Gesamtbe- völkerung entgegen- treten können.« Dr. Nicolas Müller, Fraunhofer AISEC täuschen als jüngere. Muttersprachler zeigen deutliche Vorteile gegenüber Nicht-Mutter- sprachlern, IT-Profis gegenüber Laien jedoch nicht. »Diese Erkenntnisse können bei der Ent- wicklung effektiverer Trainingsprogramme für Cybersicherheit und bei der Verbesserung von Erkennungsalgorithmen hilfreich sein«, erklärt Müller. Weil Übung ein so wichtiger Faktor für das Erkennen KI-generierter Audio- fakes ist, haben er und sein Team das interak- tive Spiel »Spot the Deepfake« auf ihrer Plattform Deepfake Total (siehe QR-Code) veröf- fentlicht und somit für jeden zugänglich gemacht. Audiofake-Erkennung: Vielfalt gewinnt Die Plattform Deepfake Total entwickelte Nicolas Müller mit seinem Team als öffentliches Erkennungstool für Audiofakes. Jeder kann dort verdächtige Audio- spuren hochladen und von einer KI analysieren lassen. Im Gegensatz zu anderen kom mer z iel len Erken- nungstools auf dem Markt ist die Fraunhofer-Plattform kostenlos – und in Deutschland gehostet. Ihr KI-Modell trai- nieren die Forschenden sowohl mit öffentli- chen als auch selbst erstellten Datensätzen, die Beispiele originaler und gefälschter Au- diospuren enthalten. Von der Qualität dieser Trainingsdaten hängt die Zuverlässigkeit der Erkennung ab. Dabei geht es nicht nur darum, möglichst viele Daten zusammenzutragen, sondern sie auch clever zu kombinieren und ausgewogen aufzubereiten, damit es keine unerwünschten Lerneffekte gibt. »Das einzi- ge Unterscheidungsmerkmal in einem guten Trainingsdatensatz soll sein, ob die Audio- spur echt oder falsch ist«, erklärt Müller. »Es gilt also zu vermeiden, dass die KI lernt, dass etwa Männer häufiger als Frauenstimmen gefälscht sind, oder Datensätze anhand von Hintergrundgeräuschen, Akzent, Länge oder Lautstärke unterscheidet.« Weil die Daten aus so unterschiedlichen Quellen stammen, ist das nicht so einfach. »Man muss verstehen, welche einzelnen Informationen diese Audio- spuren enthalten und sie dann so arrangie- ren, dass die nicht relevanten Eigenschaften möglichst ausgewogen sind. Während sich bei Videos heute schon gut analysieren lässt, an- hand welchen Bildteils die KI unterscheidet, ist das bei Audio noch etwas schwieriger.« Einen solchen Datensatz entwickeln die Forschenden am Fraunhofer AISEC mit dem Multi-Language Audio Anti-Spoofing Dataset (MLAAD) kontinuierlich weiter. Er ist Trai- ningsgrundlage für ihr KI-Erkennungsmodell, steht aber auch der Forschungsgemeinschaft öffentlich zur Verfügung. Die Herausforderung: Es gibt eine Vielzahl an Text-to- Speech-Systemen, um Au- diospuren zu manipulieren, die jeweils ganz eigene Cha- rakteristika haben. Während die einen gut darin sind, emotionale Sprache zu er- zeugen, stellen andere eine nahezu perfekte stimmliche Ähnlichkeit zur Zielperson her. Um möglichst viele sol- cher Eigenheiten abzude- cken, umfasst der MLAAD- Datensatz derzeit über 90 verschiedene dieser Systeme und wird ständig um die neuesten erweitert. So er- reicht das Tool auch bei noch unbekannten Audio-Deepfakes hohe Erken- nungsraten. Neben der technologischen Viel- falt bietet der Datensatz mit mehr als 35 Spra- chen auch die bislang größte sprachliche Bandbreite im Vergleich zu derzeit öffentlich verfügbaren Datensätzen, von denen die meis- ten nur englische oder chinesische Audiospu- ren beinhalten. Nicht nur bei den Trainingsdaten für KI- Erkennungstools sind Vielfalt und Ausgewo- genheit der Schlüssel zum Erfolg, sondern auch im Kampf gegen die negativen Folgen von Au- diofakes. »Dem aufkommenden Deepfake-Zeit- alter werden wir nur mit einer Kombination aus besserer technischer Erkennung, Aufklä- rung sowie einem gestärkten Bewusstsein in der Gesamtbevölkerung entgegentreten kön- nen«, ist Nicolas Müller überzeugt. — Audiofakes gratis erkennen mithilfe der Plattform Deepfake Total – inklusive Trainingsspiel.

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Vorfahrt für die Radlogistik Lastenrad statt Lieferwagen: Im Projekt RADLÄR wird ausgelotet, wie Cargobikes als emissionsfreie Transportlösung im ländlichen Raum an Fahrt gewinnen können. Von Beate Strobel U m Hofstetten im Kinzigtal in seiner gan- zen Größe bewundern zu können, müs- sen zwei Tische zusammengeschoben werden: Die Landkarte der 2000-Seelen- Gemeinde im Mittleren Schwarzwald zeigt nicht nur Straßen und Wege, sondern auch das Industriegebiet am Ortsrand, das Fußballfeld des Sportclubs Hofstet- ten e.V., die Wanderwege zur Grabkapelle Hansjakob sowie mehrere benachbarte Weiler. Drumherum: viel Wiese und noch mehr Wald. »Hofstetten … dem Him- mel ein Stück näher« heißt es auf der Webseite des Dorfes. Oder wie Bürgermeister Martin Aßmuth es ausdrückt: »Hofstetten ist tiefster ländlicher Raum.« Genau deswegen steht der Mathematiker und Wirt- schaftswissenschaftler Sascha Düerkop vom Fraun- hofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT jetzt im Sitzungssaal des Hofstet- tener Rathauses und erklärt – gemeinsam mit Kolle- ginnen und Kollegen der Hochschule Fulda sowie der Frankfurt University of Applied Sciences – die Bedeu- tung von Orten wie Hofstetten für die Mobilitätswen- de. Denn das Dorf ist eine von sechs Modellregionen in Deutschland, anhand derer im Projekt RADLÄR (RADlogistik im LÄndlichen Raum) in ganztägigen Workshops die Potenziale und Hemmnisse der Rad- logistik in nicht-urbanen Gebieten eruiert werden sollen: Welche Möglichkeiten für den Einsatz von Car- gobikes & Co. sind für die Menschen »auf dem Land« denkbar? Und was kann getan werden, damit Lasten- räder auch auf dem Land an Fahrt gewinnen? Laut einer Studie von 2019 seien die Vorausset- zungen dafür gut, führt Düerkop aus: »Während nur drei Prozent der Stadtbevölkerung ein E-Bike besit- zen, sind es in ländlichen Gebieten bereits zehn Pro- zent.« Demgegenüber stehe allerdings die Überzeu- gung vieler, »dass es auf dem Land ohne Auto nun mal nicht geht«, konstatiert Bürgermeister Aßmuth. Wenn die hohe Feinstaubbelastung der Atemluft hier ebenso wenig Thema ist wie der tägliche Stau auf dem Arbeitsweg oder die Parkplatzsuche beim Einkaufen – wie soll man da Zweifler von der Investition in ein Lastenfahrrad überzeugen? Auch deshalb hat sich der Lokalpolitiker für die Teilnahme seiner Gemeinde an RADLÄR entschieden: »Ich hoffe auf neue Argumen- te und Ansätze, wie wir der Radlogistik in unserer Region den Weg ebnen könnten.« Damit steht Martin Aßmuth nicht allein da. In einem White Paper zur Radlogistik in deutschen Kom- munen, erstellt 2023 im Rahmen des vom Bundesver- kehrsministerium geförderten Projekts iKnowRadlo- gistik, gaben 45 Prozent der befragten Kommunen an, ihr Wissen hierzu sei schlecht bis sehr schlecht; jede fünfte Kommune sah in dem Informationsdefizit den Grund dafür, warum noch keine Radlogistikprozesse umgesetzt wurden. Während Forschung und Wirt- schaft sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Umsetzung solcher Prozesse im urbanen Raum befasst haben, blieb der ländliche Raum bisher größ- tenteils unerforscht. Das Projekt RADLÄR, aus Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans vom Bundesministerium für Verkehr gefördert, will dazu beitragen, diese Wissenslücke zu schließen. Ein ernstes Spiel mit Gewinn chancen für alle Neben Aßmuth und dem RADLÄR-Forschungsteam versammeln sich Isabella Schmider, Geschäftsführe- rin Schwarzwald Tourismus Kinzigtal, und Martin 2 | 25 »Ich hoffe auf neue Argumente und Ansätze, wie wir der Radlogistik in unserer Region den Weg ebnen könnten.« Martin Aßmuth, Bürgermeister von Hofstetten 35 o t o h p k c o t s i / e v a w e y e : n o i t a r t s u l l I

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2 | 25 Jugel, Sustainability Manager Operations beim Paket- dienstleister Hermes Germany, um die Landkarte von Hofstetten. Die gehört zu einem Brettspiel, das So- zialwissenschaftler Julian Bickmann am Fraunhofer INT speziell für das Projekt entwickelt hat. »›Serious Games‹ bieten einen niedrigschwelligen Zugang auch zu komplexen Themen«, erklärt der Forscher. »Au- ßerdem kann durch den Einsatz von verschiedenen Spielelementen ein motivationaler Anreiz geboten werden – etwa dazu, dass sich die Teilnehmenden auf Augenhöhe austauschen und durch eine gemeinsame Zielsetzung lösungsorientiert an Ideen arbeiten, mit denen sich das Spielziel erreichen lässt.« In einem ersten Schritt markieren die über die Hofstetten-Karte gebeugten Spielenden, in welchem Ortsteil eher gewohnt und wo vorwiegend gearbeitet wird. Wo befinden sich wichtige infrastrukturelle Knotenpunkte wie Bahnhof, Bushaltestellen, Radweg oder das »Mitfahrbänkle«? Anschließend gilt es, Spiel- karten mit logistischen »Missionen« abzuarbeiten: Wie könnte beispielsweise eine Seniorin ihren regel- mäßigen Wocheneinkauf bequem und einfach nach Hause geliefert bekommen? Spielfiguren fehlen beim RADLÄR-Game, dafür stehen unterschiedliche Spiel-Gefährte bereit: mit dem 3D-Drucker hergestellte Kompaktlastenräder, wie sie etwa von Briefausträgerinnen oder Postboten verwendet werden, außerdem sogenannte »Long Johns« – Lastenfahrräder mit einer Ladefläche vorne – sowie ein Kabinenroller (»Heavy Cargo Bike«) mit einge- knicktem Vorderrad, da er die Reise vom Fraunhofer INT nach Hofstetten nicht ganz so gut verkraftet hat. Mini-Papiertüten, Päckchen und Plastik-Paletten sym- bolisieren jeweils die Menge des Transportguts. Spe- zielle »Innovationskarten« mit technologischen Up- grades der Fahrzeuge etwa durch einen e-Antrieb, eine größere Ladefläche oder die Möglichkeit der Ener- gierückgewinnung öffnen zusätzliche logistische Mög- lichkeiten zur Missionserfüllung. Einen Gewinner gibt es bei dem Spiel nicht. Oder anders ausgedrückt: Es gewinnen alle, denn, so Sa- scha Düerkop: »Hier werden vor allem Ideen geboren.« Und davon entstehen im Dachgeschoss des Hofstet- tener Rathauses einige. Etwa die, dass ein Mikrodepot vor Ort sinnvoll wäre, also eine Art Lagerraum, an dem der Warenumschlag von einem Transportmittel auf das andere erfolgt. Gäbe es so ein Depot am Rand der Gemeinde, könnte die berühmte letzte Meile zum Endkunden per Lastenfahrrad erfolgen. Oder die Op- tion, Güter- und Personentransport per Cargobike miteinander zu verknüpfen, also beispielsweise äl- tere Menschen wahlweise zum Supermarkt zu fahren 36 In einem White Paper zur Radlogistik in deutschen Kommunen gaben 45 Prozent der befragten Kommunen an, ihr Wissen hierzu sei schlecht bis sehr schlecht.

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2 | 25 Wie kommt die Blume zum Beet? Auch für das Handwerk kann das Lastenrad eine nachhaltige Lösung sein. bike und Auto oder Van ausrechnet, ob und wann sich der Wechsel zur Radlogistik finanziell lohnt. Tat- sächlich, bestätigt Düerkop, spielt vor allem die Frage nach Kostenersparnis eine zentrale Rolle in Diskus- sionen um Radlogistik. Die Infrastruktur als das wahre Nadelöhr der Radlogistik Nach der Veranstaltung in Hofstetten folgten für das Projektteam fünf weitere Workshops in den jewei- ligen Modellregionen. In allen Veranstaltungen be- kamen die Teilnehmenden dieselben Missionen, die sie auf ihrer lokalen Stadtkarte bewältigen sollten. Die Workshops zeigten, dass die Bedeutung des The- mas Radlogistik bereits im ländlichen Bereich an- gekommen ist – aber auch eine gewisse Ratlosigkeit und Skepsis, welche Umsetzungsmöglichkeiten vor Ort denkbar und möglich wären, konstatiert der Pro- jektleiter. Für den großen Hebel brauche es allerdings neben dem Willen der Bürgerinnen und Bürger die Initiative von Unternehmen. Die Wirtschaft wieder- um finde Radlogistik als Option zwar spannend, habe aber noch viele offene Fragen hinsichtlich Förder- möglichkeiten, gesetzlichen Regelungen und Infra- struktur. Für Projektleiter Düerkop steht fest: »Hier sind wir als Wissenschaftler nicht nur in der Rolle als Ideengeber, sondern auch als Vermittler gefragt.« Im nächsten Schritt wollen die Forschenden zum einen Machbarkeitsstudien für drei der sechs Modell- regionen erstellen, zum anderen allgemeine logisti- sche Optionen zur Integration von Lastenrädern in regionale Wertschöpfungsketten erarbeiten und in einer Simulationsstudie testen. Am Ende von RAD- LÄR wird also ein Portfolio an skalierbaren Hand- lungsempfehlungen für Kommunen und Unterneh- men in ländlichen Räumen stehen. Vielleicht zählt dazu dann sogar die Idee eines dänischen Bestattungsunternehmens, das den Trans- port von Särgen zum Friedhof via Lastenfahrrad an- bietet – inklusive der Möglichkeit einer Stadtrund- fahrt für die Verstorbenen mit Begleitung der Hinterbliebenen: eine emissionsfreie und emotiona- le Lösung für die allerletzte Meile. 37 oder ihnen die Lebensmittel ins Haus zu liefern. Aß- muth: »Das könnte eine Antwort auf gleich zwei He- rausforderungen in ländlichen Regionen sein – Über- alterung und Ladensterben.« Das Forschungsteam zieht aus dem Hofstettener Workshop aber mehr als nur Ideen: Es geht auch um das Ausloten der Wünsche seitens der Kommunen und Unternehmen an die Forschung. Bürgermeister Aßmuth etwa hätte gerne eine Software, die anhand volatiler Parameter wie Distanz, Benzin- oder Diesel- preis, Anschaffungs- und Wartungskosten von Cargo- f - d p / m o c . e k b o g a c : i o t o F

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3 8 Hintergrund: Jian Fan/istockphoto I n f r a s t r u k t u r 2 | 2 5

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2 | 25 Heilmittel Daten: Informatikerin Tagline Treichel vom Fraunhofer IESE setzt auf Digitali- sierung und Digitalen Zwilling, um Sicherheit und Lebensdauer von Bauwerken zu erhöhen. Sanierungsfall Deutschland Mindestens 8000 Autobahnbrücken und 17 630 Schienenkilometer deutschlandweit sind marode, Reparaturen und Neubauten brauchen jedoch Zeit. Wie Fraunhofer- Technologie Wartung und Instandhaltung beschleunigt – damit der Einsturz der Carola- brücke in Dresden ein Einzelfall bleibt. Von Dr. Janine van Ackeren; Fotograf: Jonas Ratermann 39

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2 | 25 o t o h p k c o t s i / n a F n a i J : d n u r g r e t n H i 40 Gewichtige »Brummis«: Dirk Koster vom Fraunhofer IZFP kommt zu großen Belastungen von Brücken durch schwere Lkw auf die Spur.

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2 | 25 »Die Entwicklungs- leistung liegt vor allem in der Datenreduktion und -bewertung direkt am Sensor sowie im Daten-Modell.« Dirk Koster, Fraunhofer IZFP 41

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2 | 25 Laser statt Hammer: Prof. Alexander Reiterer vom Fraunhofer IPM zündet Plasmablitze, um Tunneloberﬂächen auf Fehlstellen zu untersuchen, und ersetzt damit den klassischen Prüfhammer. S E G E D : d n u r g r e t n H i 42

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2 | 25 Kleines Netzwerk, große Wirkung: Das Sensorsystem MAUS, das Christoph Weingard vom Fraunhofer IZFP entwickelt, registriert Schäden an Brücken schnell und energiesparend. o t o h p k c o t s i / v e e g r e S e n e g u E : d n u r g r e t n H i 44

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A utofahrten zum weit entfern- ten Urlaubsort gestalten sich seit jeher zäh. Doch das all- jährliche Verkehrschaos ge- winnt inzwischen ganz neue Dimensio- nen: Zum Auftakt der Pfingstferien staute es sich von einer Tunnelbaustelle der Tau- ernautobahn 45 Kilometer zurück bis an die bayerische Grenze. Urlauber, die nach Italien wollten, erlebten vielleicht einen Vorgeschmack auf die baldige Zukunft: In Deutschland haben zahlreiche Auto- bahnbrücken das Ende ihrer Lebenszeit erreicht und sind insbesondere für Lkw nur eingeschränkt befahrbar – was dras- tische Geschwindigkeitsbegrenzungen und immer wieder lange Staus verursacht. Mitunter sind Brücken auch komplett ge- sperrt oder müssen gesprengt werden. So etwa die Berliner Ringbahnbrücke auf der A100: Aufgrund eines Risses im Tragwerk war sie seit Mitte März dicht, im April wurde sie abgerissen. 8000 Autobahnbrücken und 17 630 Schienenkilometer stufte das Bundes- ministerium für Digitales und Verkehr in der Zustandserfassung 2022 als sanierungs- bedürftig ein – ihr Zustand dürfte sich seither kaum verbessert haben. Die gemein- nützige Organisation Transport & Envi- ronment kommt mit 16 000 baufälligen Brücken sogar auf die doppelte Anzahl. Die mit maroden Brücken einhergehenden Behinderungen bremsen auch die Wirt- schaft aus: Die Produktivität sinkt, die Kosten steigen, Investoren werden abge- schreckt. Allein die Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid, die im Dezember 2021 ge- sperrt und im Mai 2023 gesprengt wurde, wird bis zum Jahr 2026 nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft 1,8 Milliarden Euro volkswirtschaftliche Kos- ten verursacht haben – davon allein 1,2 Milliarden Euro Verzögerungskosten durch Staus und Umleitungen. Allerhöchste Zeit, gegenzusteuern: Bundestag und Bundesrat haben für die kommenden zwölf Jahre ein Sonderver- mögen von 500 Milliarden Euro freigege- ben, um die Infrastruktur wieder auf Vor- dermann zu bringen. 100 Milliarden Euro davon fließen in die Länder und Kommu- 16 000 baufällige Brücken laut einer Erhebung von Transport & Environment. nen, weitere 300 Milliarden stehen für In- frastrukturprojekte des Bundes zur Ver- fügung. Eine gigantische Aufgabe, die derzeit nur schleppend vorangeht: Bis En- de 2024 modernisierte die zuständige Autobahn GmbH laut Bundesrechnungs- hof lediglich 40 Prozent der Brücken, die laut Brückenmodernisierungsprogramm des Verkehrsministeriums bis dahin hät- ten saniert werden sollen. Das größte Problemkind: Brücken Gefordert ist die Kunst der richtigen Prio- risierung. Sollen Brücken instand gehal- ten oder auch rechtzeitig saniert werden – bevor sie schlimmstenfalls einstürzen wie die Dresdner Carolabrücke –, sind rea- le, belastbare Daten gefragt. Ein wichtiges Kriterium bei der Frage, wie hoch die Be- anspruchung eines Bauwerks ist und ob dadurch eine Sanierung notwendig wird, ist die Achslast – also die Kraft, die von der Fahrzeugachse auf die Fahrbahn und da- durch auf das Bauwerk übertragen wird. Etwa die Hälfte der über 28 000 Brücken- Teilbauwerke der Bundesautobahnen in Deutschland stammt aus der Zeit vor 1985, in der sich weitaus weniger und vor allem deutlich leichtere Lkw über die Brücken schoben. Mittlerweile sind 40 Tonnen Gesamtgewicht und zehn Tonnen Last für Einzelachsen keine Seltenheit mehr. »Während es für den Verschleiß der Brü- 2 | 25 cke ziemlich egal ist, wie viele Pkw täg- lich über sie hinwegdonnern, können zu große Achslasten von Lkw zu Rissen und Materialermüdung in der Baustruktur führen«, sagt Dirk Koster, Chief Scientist am Fraunhofer-Institut für Zerstörungs- freie Prüfverfahren IZFP. Das Verbundprojekt ImaB-Edge soll eine stabilere Grundlage für die Brücken- bewertung legen. Neben dem Fraunhofer IZFP, dem Fraunhofer-Institut für Photoni- sche Mikrosysteme IPMS sowie der Auto- bahn GmbH des Bundes sind sieben wei- tere Partner beteiligt. Gefördert wird ImaB-Edge mit rund 5,6 Millionen Euro vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt. Herzstück ist ein Sensorsystem – bestehend aus einem zentralen Knotenpunkt, dem Edge-Gate- way, an den zahlreiche Sensor-Edges ge- koppelt werden können, von denen jedes in der aktuellen Ausbaustufe wiederum 32 Sensoren bedienen kann. »Die Entwick- lungsleistung liegt vor allem in der Daten- reduktion und -bewertung direkt am Sensor unter Zuhilfenahme hochperfor- manter Elektronik sowie im Daten-Modell, das wichtige Informationen liefert, damit Bauingenieure auch vor Ort belastbare Vorhersagen zum Zustand der Brücke tref- fen können«, sagt Koster. Die Informatio- nen, die die Sensoren in und an der Brücke erheben, werden aufgrund der gigantischen Datenmenge also nicht an eine Cloud Dirk Koster, Fraunhofer IZFP 45

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2 | 25 geschickt, sondern vor Ort mittels Künst- licher Intelligenz analysiert und kompri- miert. Lediglich gebündelte Informationen zum Zustand der Brücke landen auf dem Server des Betreibers. In einem Reallabor auf dem Parkplatz des Fraunhofer IZFP haben die Forschen- den das System bereits auf Herz und Nieren geprüft. Ziel ist eine kontinuierliche Über- wachung der Brücken, um eine Verschlech- terung des Zustands schnell detektieren zu können. So haben die Expertinnen und Experten jederzeit belastbare Daten zur Verfügung und können notfalls zeitnah einschreiten. Dazu nehmen im Straßen- belag verbaute Vibrations- und Tempera- tursensoren Tag für Tag 500 Gigabyte Da- ten auf, die via LAN oder Bluetooth an das Sensor-Edge übertragen und dort gemein- sam mit Infos aus der Wetterstation sowie einer angeschlossenen Kamera vorverar- beitet werden. Mithilfe der Vibrations daten, die bei der Überfahrt eines Fahrzeugs ent- stehen, sowie der Asphalt- und Umwelt- bedingungen lassen sich die Achslasten der passierenden Fahrzeuge abschätzen. Die Kamera kombiniert diese Daten mit den realen Informationen der Fahrzeuge, beispielsweise der Geschwindigkeit und der Anzahl sowie Abstände der Achsen. Im Edge-Gateway werden diese und wei- tere Daten wie beispielsweise die Ergeb- nisse der Bauwerksprüfung von der KI ana- lysiert und mit dem digitalen Modell der Brücke verbunden. Bis Ende Oktober 2025 möchte das Team ImaB- Edge zudem in eine Autobahnbrücke integrieren. Pers- pektivisch soll ImaB-Edge auch kritische Zustände an Bahnanlagen, Tunneln und Dämmen frühzeitig erkennen. Sensorplattform MAUS: Schnell zu einem praktikablen Brückenmonitoring Bei ImaB-Edge handelt es sich um ein High-Performance-System, das Daten von Dutzenden oder gar Hunderten von Sensoren präzise erfasst. Bei einigen Bauwerken stehen statt einer komplexen Messung jedoch Schnelligkeit und ge- ringer Stromverbrauch im Vordergrund: 46 sind innerhalb weniger Wochen möglich«, sagt Christoph Weingard, Wissenschaftler am Fraunhofer IZFP. »Nötig sind lediglich eine Spannungsversorgung, etwa ein haushaltsüblicher 230-Volt-Anschluss, sowie ein Kommunikationskanal wie LoRaWan oder 5G/LTE.« In abgelegenen oder schwer zugänglichen Bauwerksbe- reichen kann zur Stromversorgung eine Solarzelle genutzt werden. Auch der Auf- bau gestaltet sich einfach: Die vier elekt- ronischen Baugruppen, aus denen MAUS besteht – Basismodul mit Prozessorkern, Sensormodul, Kommunikationsmodul und Spannungsversorgung – lassen sich beliebig aufeinanderstecken. Dabei kann MAUS nicht nur handelsübliche einfa- che Sensoren für zum Beispiel Dehnung, Verschiebung, Durchbiegung, Neigung, Feuchte und Temperatur integrieren, son- dern auch spezielle Vibrations-, Schall-, Ultraschall- oder Wirbelstromsensoren. Je nach Anforderung spürt Ultraschall bei- spielsweise Risse auf, Beschleunigungs- sensoren können die Eigenschwingung des Bauwerks erfassen, und Körperschall detektiert gerissene Spanndrähte. »Diese Bandbreite an Sensoriken im Brückenbau einzusetzen und das mit nur einer flexibel anpassbaren Monitoring-Elektronik, wird zur Lösung der aktuellen Probleme kriti- scher Infrastruktur einen entscheidenden Beitrag leisten«, weiß Weingard. Die erho- benen Daten werden verschlüsselt direkt an die Brückenbetreiber gesendet. Eine spezielle Konfiguration des MAUS-Sys- tems ist unter anderem an einer Münch- ner Brücke implementiert und unterstützt den Betreiber bereits dabei, seinen Auf- wand für die Zustandsüberwachung zu reduzieren. Besonderheit Stahlbrücken »Die meisten Überwachungssysteme be- ziehen sich auf Betonbrücken – für Stahl- brücken dagegen mangelt es an Techno- logien«, so Dr.-Ing. Christoph Heinze, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Großstrukturen in der Produktions- technik IGP. Erklärbar, da 90 Prozent aller deutschen Brücken aus Beton bestehen. »Da das System MAUS sowohl die Funktion des Edge-Gateways als auch des Sensornet- zes in einer einzigen Plattform zusammen- fasst, kommt man innerhalb weniger Tage zu einer praktikablen Lösung.« Christoph Weingard, Fraunhofer IZFP Zeigt sich bereits ein Riss, muss die Brü- cke umgehend überwacht werden. In sol- chen Fällen spielt das Monitoringsystem MAUS – kurz für »Multimodale Autarke Sensorplattform« – aus dem Fraunhofer IZFP seine Stärken aus. »Da das System MAUS sowohl die Funktion des Edge- Gateways als auch des Sensornetzes in einer einzigen Plattform zusammenfasst, kommt man innerhalb weniger Tage zu einer praktikablen Lösung. Anpassungen für eine erfolgreiche Implementierung

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Schadens über die Zeit annähernd gleich? Oder verschlimmert er sich rasant? Digitalisierung: Waffe im Kampf gegen marode Brücken Die Forschenden des Fraunhofer-Insti- tuts für Experimentelles Software En- gineering IESE und der Universität der Bundeswehr München sehen die Lösung für das Brücken-Dilemma ebenfalls in der Digitalisierung. Genauer gesagt im Digi- talen Zwilling: Er soll alle Daten, die zu einer bestimmten Brücke existieren, an einem Ort vereinen und jederzeit greif- bar werden lassen, angefangen bei Infor- »Der Digitale Zwilling erlaubt Einblicke in den aktuellen Zustand einer Brücke ebenso wie vorausschau- ende Analysen und ein effizientes Lebenszyklus- management.« Tagline Treichel, Fraunhofer IESE Problematisch sind die fehlenden Tech- nologien dennoch: Schließlich weisen Stahlbrücken mit Korrosion und Ermü- dungsrissen andere Schadensbilder auf als solche aus Beton, wo unter anderem der Beton abplatzen kann oder Feuchtigkeit dem Bauwerk zusetzt. Heinze und sein Team wollen diese Lücke daher schließen. Im Projekt BIM-LeB – kurz für »BIM-ge- stütztes Lebenszyklusmanagement von Brücken« – arbeiten sie gemeinsam mit der TU Dortmund an einem Rundumschlag zur Schadensüberwachung bei Stahl- und Stahlverbundbrücken. »Wir betrachten den gesamten Zyklus: Angefangen bei der Zustandserfassung des Bauwerks – also dem Ist-Zustand – über das kontinuierli- che Monitoring von Veränderungen, die wir in ein BIM-Modell einspeisen, bis hin zur Vorhersage der Schadensentwicklung samt Handlungsempfehlungen«, erläutert Heinze. Das BIM-Modell, kurz für »Buil- ding Information Modelling«, beschreibt computergestützte Methoden, um ein Bauwerk digital abzubilden. Es geht um zwei Kernfragen: Wie ver- ändert sich die Brücke über die Zeit? Wel- chen Belastungen ist sie ausgesetzt? »Um sie zu beantworten, bauen wir gemeinsam mit den Lehrstühlen Stahlbau und Com- putergrafik der TU Dortmund digitale Mo- delle auf, etwa für Tragwerksberechnun- gen«, erläutert Heinze. Die Basis bilden Fotos, die die Forschenden per Drohne auf- nehmen und aus denen sie über photo- grammetrische Verfahren ein Modell er- stellen. Sind die Anforderungen an die Messgenauigkeit höher oder das Bauwerk schlecht zugänglich, setzen sie auch an- dere Verfahren ein, beispielweise Laser- Scanner oder mobile Mapping-Systeme. Das Ergebnis ist bei jedem System eine 3D- Punktwolke, die sie zusammen mit An- gaben zu den einzelnen Strukturen in ein BIM-Modell überführen. Vier Brücken ha- ben die Forschenden bereits auf diese Wei- se digital modelliert, unter anderem eine 20 Meter lange Eisenbahnbrücke. Anhand der Modelle und aktueller Sensordaten sa- gen die Forschenden der TU Dortmund per Künstlicher Intelligenz die Schadensent- wicklung vorher. Bleibt das Ausmaß eines 2 | 25 mationen zu Planung und Bau über Be- triebsdaten bis hin zum Rückbau. Welche Materialien wurden wo auf welche Weise verbaut? »Der Digitale Zwilling erlaubt Einblicke in den aktuellen Zustand einer Brücke ebenso wie vorausschauende Ana- lysen und ein effizientes Lebenszyklusma- nagement«, sagt Tagline Treichel, Compu- terwissenschaftlerin am Fraunhofer IESE. »Die Sicherheit steigt, die Lebensdauer des Bauwerks wird verlängert, vorausschau- ende Wartungen werden möglich.« Bekannt ist der Digitale Zwilling aus dem Bereich der Produktion: Dort bildet er den aktuellen Zustand ab und sagt vor- her, wie das System auf Änderungen re- agiert. Für die Brückenüberwachung grei- fen die Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IESE auf eine Open-Source- Software zurück, die sie ursprünglich für den Digitalen Zwilling in der Industrie entwickelt haben, und passen sie entspre- chend an. Dabei liegt die Herausforderung vor allem darin, die riesige Menge an Da- ten zu integrieren: Da diese in verschie- denen Formaten vorliegen, die vielfach nicht kompatibel sind, übersetzen die For- schenden sie in eine einheitliche Sprache. Nochmal schwieriger wird es, wenn die Daten lediglich als Papierversion vorhan- den sind: Das Team arbeitet in einem wei- teren Projekt daran, diese Informationen automatisiert zu übertragen. Die »Übersetzung« steht so weit, fünf Brücken haben die Forschenden bereits digitalisiert. Etwa die Brücke Schwindegg im Landkreis Mühldorf am Inn: In ihr ste- cken zudem fast 140 Sensoren, die Daten zu Beschleunigung, Dehnung, Wetter und mehr sammeln, die ebenfalls in den Digi- talen Zwilling einfließen. Ist es also rea- listisch, dass in den nächsten Jahren alle Brücken Deutschlands digitalisiert werden? »Aus technologischer Sicht ist das definitiv machbar – die Grundlagen sind vorhan- den, und erste Pilotprojekte zeigen, wie es funktionieren kann. Die eigentliche Her- ausforderung liegt in der Koordination aller beteiligten Akteure, denn die Brücken- infrastruktur verteilt sich auf unterschied- liche Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Kommunen«, sagt Treichel. 47

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2 | 25 Tunnel: Hohlstellen und Wassereinbrüche aufspüren Technologien wie Sensornetzwerke und Digitaler Zwilling lassen sich auch auf an- dere Bauwerke übertragen. Dennoch sind bei der Infrastrukturüberwachung von Tunneln und Schienen die Lasertechno- logien führend. Bei Tunneln liegen die He- rausforderungen vor allem in Hohlstellen und Wassereinbrüchen. Wie viele Tunnel in Deutschland von solchen Schäden be- troffen und sanierungswürdig sind? Be- lastbare Zahlen fehlen. Bislang erfolgt die Überprüfung der Tunnel händisch: Bau- trupps klopfen die Tunneloberfläche mit einem definierten Hammer ab und lau- schen dem Nachhall. Klingt es hohl? Was hemdsärmelig klingt, ist ein genormtes Verfahren und Stand der Technik. Doch ist die Lokalisierung von Schäden recht ungenau, da die Prüfer diese nur grob in den Tunnelplan einzeichnen. »Wir ersetzen den mechanischen Ham- mer durch einen Laserpuls«, beschreibt Prof. Alexander Reiterer, Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM, das Projekt LaserBeat, an dem er gemeinsam mit dem Fraun hofer IGP arbeitet. »Dazu fokussieren wir einen Laserstrahl so stark, dass vor der Tunnel- oberfläche ein Plasmablitz gezündet wird, der wiederum eine Schockwelle auf der Oberfläche induziert.« Die Forschenden klopfen quasi an der Oberfläche, ohne sie zu berühren. Ein Lasermikrophon nimmt den entstehenden Ton auf. Ebenso wie bei der manuellen Untersuchung stellt sich auch hier die Frage nach dem hohlen Klang. Von einem Standort aus lässt sich die Tun- neloberfläche jeweils zwei Meter in jede Richtung analysieren – ortsgenau und, anders als beim menschlichen Hörtest, objektiv. Während sich die Forschenden des Fraunhofer IPM vor allem der Hard- sowie Teilen der Software widmen, analysieren die Kolleginnen und Kollegen des Fraun- hofer IGP die erzeugten Daten via KI. Den acht Kilometer langen Albvorlandtunnel 48 Realität werden zu lassen, daran arbeitet Reiterer mithilfe neuer Laserscanning- Verfahren. »Mit sehr schnell modulier- tem Laserlicht und speziell rotierenden Spiegeln können inzwischen mehrere Millionen 3D-Punkte pro Sekunde erfasst werden. Herausragend dabei ist, dass nicht nur die Geometrie, sondern auch weitere Merkmale wie die Feuchtigkeit bestimmt werden können«, erläutert Reiterer. Und das quasi im Vorbeifahren. Schiene: Vom Gleisbett bis zum Zug Eingesetzt werden solche Verfahren des Fraunhofer IPM auch für die Schiene, insbesondere um ihre Bewegungen aus- zumachen: Sackt der Schotter ab, ändert sich vielfach auch die Position des Gleises. So scheinen defekte Betonschwellen die Ursache für das Zugunglück von Burg- rain im Sommer 2022 gewesen zu sein, bei dem vier Frauen und ein 13-Jähriger starben und 78 Menschen teils schwer ver- letzt wurden. Auf einem Zug angebracht, kann der Laserscanner solche Verschie- bungen exakt detektieren. Das System an sich funktioniert, es wird sowohl von der Deutschen Bahn als auch außerhalb Deutschlands bereits eingesetzt. Bisher scannt es zwar noch von Messfahrzeugen aus, doch arbeiten die Forschenden am Transfer auf den Regelzug. »Die erforder- liche kleine Baugröße haben wir bereits realisiert, nun folgt die Evaluierung«, er- klärt Reiterer. In den nächsten sechs bis neun Monaten stehen erste Tests des mi- niaturisierten Systems auf der Schiene an – das dann auch den regulären Weg in ICEs und Co. finden könnte. Sollen die Prüfsysteme künftig in Re- gelfahrzeugen stecken, ist auch eine ent- sprechende Datenauswertung gefragt: Bei Zügen, die unablässig im Einsatz sind, müs- sen die Daten in Echtzeit analysiert und per Funk übertragen werden. Leisten kann dies das System MUM-Mini aus dem Fraun- hofer IPM. Auf der Größe eines Schuhkar- tons finden sowohl mehrere Laserscanner als auch Kamerasystem und Prozessions- einheit für die Datenauswertung Platz. Ur- »Wir ersetzen den mechanischen Hammer durch einen Laserpuls.« Prof. Alexander Reiterer, Fraunhofer IPM zwischen Stuttgart und Ulm hat das For- scherteam bereits vermessen, nun sollen zwei weitere Testtunnel folgen. Dabei ist das Verfahren nicht auf Tunnel beschränkt, vielmehr eignet es sich für alle Betonstruk- turen. »Das Interesse signalisiert, dass der Markt auf diese Technologie gewartet hat«, freut sich Reiterer. In zwei Jahren könnte der »Laserhammer« für Tunnelbetreiber und Co. einsatzbereit sein. 3D-Laserscanner misst Feuchtigkeit Sei es bei der Überwachung von Brücken, Tunneln oder Schienen: Der Verkehrsab- lauf sollte möglichst unbehelligt bleiben. Bei Tunneln kann das künftig so ausse- hen: Statt sie für Inspektionen zumin- dest teilweise sperren zu müssen, sitzen die Messeinheiten an Zügen, die ohnehin über die Schienen rattern, bei Straßen- tunneln an Inspektionsfahrzeugen. Dies

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2 | 25 sprünglich wurde das System für die Stra- ße entwickelt, wo es Objekte wie Laternen, Schachtdeckel, Bordsteinkanten sowie unterschiedliche Straßenbeläge detektiert. Um diese Ausgangsversion auf die Bahn anzupassen und für den Einsatz an Regel- zügen zu miniaturisieren, haben die For- schenden an zahlreichen Schräubchen ge- dreht. »Unter anderem haben wir ein Messverfahren integriert, das das reflek- tierte Laserlicht über sehr kleine Spiegel wieder einfängt«, sagt Reiterer. Die größte Herausforderung liegt jedoch darin, die Daten via KI in Echtzeit direkt in der Mess- box auszuwerten. Bis das System an Re- gelzügen eingesetzt werden kann, sind noch etwa ein bis zwei Jahre Entwicklungs- aufwand nötig. Schienenköpfe von Regelzügen aus überprüfen Elementar bei der Wartung von Schienen ist darüber hinaus die Abnutzung des oberen Schienenteils. Diese sogenannten Schienenköpfe werden im Laufe der Zeit vor allem an der Innenseite abgeschlif- fen – die Fahrt wird holpriger, was den Verschleiß der Schienenköpfe abermals vorantreibt. Bilden sich Mikrorisse, kann dies die Schiene auf Hunderten von Me- tern aufbrechen lassen: ein Szenario, das unbedingt vermieden werden muss. Auch hier kommen derzeit spezielle Messzüge zum Einsatz. An ihrer Unterseite proji- zieren Sensoren eine Laserlinie auf den Schienenkopf und nehmen diese per Ka- mera auf. Anhand der Verformung der Laserlinie lässt sich submillimetergenau ablesen, wie es um die Schienenköpfe bestellt ist. »Wir konnten die Kosten des Systems durch günstigere Messtechnik er- heblich senken, zudem werden die Daten über eine neue Algorithmik direkt am System ausgewertet«, sagt Reiterer. Damit ebnet die Technologie den Weg der Test- systeme in die Regelzüge auch in puncto Schienenkopf-Überprüfung. Soll es noch kostengünstiger werden, gilt es, die optischen Systeme zu ersetzen. Eine Möglichkeit dafür liegt in Beschleu- nigungsgebern – Low-Cost-Sensoren, die in jedem Handy stecken. Wie sie sich ein- setzen lassen, untersucht Reiterer in den kommenden Monaten mit seinem Team. »Ist der Schienenkopf in schlechtem Zu- stand, wackelt der Waggon. Aus der Cha- rakteristik des Wackelns lässt sich errech- nen, wie es um die Schienenköpfe bestellt »Durch die Klima- veränderungen erwärmen sich die Schienen mitunter auf über 60 Grad Celsius – einige Grad mehr, als bei der Auslegung ange- nommen wurden.« Michael Becker, Fraunhofer IZFP ist«, sagt Reiterer. Also einfach drei bis vier Beschleunigungssensoren in jeden ICE kleben – und schon weiß man, wie es um die Schiene steht? Ganz so einfach ist es nicht: Die Krux liegt in der Datenauswer- tung. »Zwar weisen die Daten aus dem Sen- sor bei intakten Schienen eine andere Struktur auf als bei Fehlstellen, doch sind diese Muster individuell. Es sind somit massenhaft Daten nötig, um die KI zu trai- nieren«, weiß Reiterer. Diese Daten werden die Forschenden von einem Nebenbahn- betreiber erhalten, an dessen Personen- zügen sie Sensoren anbringen dürfen. Klimawandel im Schienenverkehr Nicht nur Straßen und Brücken werden stetig voller, auch der Personen- und Güterverkehr auf der Schiene soll sich aktuellen Prognosen zufolge bis 2040 verdoppeln. Die Antwort der Österrei- chischen Bundesbahnen ÖBB lautet: Di- gitalisierung. Wie lässt sich das gesamte Streckennetz der Bahn digital erfassbar, bewertbar und vorhersagbar machen? Dies untersuchten die ÖBB mit rund 20 Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft im Projekt Rail4Future. Für das Teilpro- jekt »Smart Rail« holte sich das Unter- nehmen das Fraunhofer IZFP ins Boot, gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Ver- kehrswegebau der TU München. »Durch die Klimaveränderungen erwärmen sich die Schienen mitunter auf über 60 Grad Celsius – einige Grad mehr, als bei der Auslegung angenommen wurden«, sagt Michael Becker, der das Unterprojekt lei- tete. »Die Schienen stehen somit unter größerer Längsspannung als erwartet.« Insbesondere dort, wo die Schienen fest mit dem Untergrund verbunden sind wie in Bahnhöfen oder an Brücken, kann es zu Verwerfungen kommen, die die Waggons aus der Schiene springen lassen. Schienenbetreiber möchten die lokalen Neutraltemperaturen des Schienennetzes daher exakt kennen, sprich die Tempera- tur, bei der ein Gleisabschnitt komplett spannungsfrei ist. »Beim Aufbau der Schie- ne liegt die Neutraltemperatur zwischen 20 und 30 Grad, doch kann sich diese über die Betriebszeit verändern«, weiß Becker. Übliche Messmethoden erfordern etwa 30 bis 40 Minuten Messzeit pro Standort und liegen damit fernab von dem, was ohne Streckensperrungen machbar wäre. Die ÖBB möchten jedoch bestehende Lücken im regulären Fahrplan für die Messungen nutzen. Im ersten Schritt überprüften die For- schenden bestehende Messmethoden: Lassen sie sich für die Analyse am Gleis adaptieren? Genügen Prüfgeschwindigkeit und Präzision? Das Rennen machten Ult- raschall und magnetische Messmethoden. Darauf folgte eine Kalibrierung in den La- boren der TU München. Die Forschenden spannten eine zwei Meter lange Schiene in einen Messstand und brachten hydrau- lisch eine Zug- und Drucklast von 49

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2 | 25 70 000 Kilogramm auf. Beim Ultraschall tüftelten sie vor allem daran, Material- unterschiede zwischen den Schienenab- schnitten von Spannungen im Gleis tren- nen zu können. Für die magnetische Messung lag die Herausforderung darin, verschiedene unbekannte Schienenab- schnitte miteinander vergleichbar zu ma- chen. Als diese Hürden genommen waren, folgte ein einwöchiger Großversuch im Gleisbett bei Rasdorf. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Eine Messung dauert lediglich zwei Minuten, benötigt wird nicht mehr als eine kleine Messbox und ein Lap- top. Die methodische Entwicklung ist ab- geschlossen, nun soll die Validierungspha- se an den verschiedenen Schienennetzen folgen. Fühlende Züge überwachen Zug und Schiene Verlässliche und präzise Messwerte erhal- ten, ohne den Schienenverkehr zu beein- trächtigen: Dieses Ziel verfolgte auch das im Januar 2025 abgeschlossene Projekt SenseTrain, in dem das Fraunhofer-In- stitut für Lasertechnik ILT mit der DB Sys- temtechnik und drei weiteren Partnern kooperierte. Der Clou: Die Sensoren mes- sen den Verschleiß an den Schienen aus der Mitte eines Bauteils heraus – in diesem Fall eines Radlagerdeckels im ICE. »Wir haben eine Technologie entwickelt, mit der wir Sensorik in 3D-gedruckte Bautei- le integrieren können«, erläutert Dr. Tim Lantzsch, Abteilungsleiter am Fraunhofer ILT. »Auf diese Weise erhält man einerseits Messwerte aus dem Bauteilinneren statt lediglich von der Oberfläche, anderer- seits ist die Sensorik vor Öl und anderen unwirtlichen Umgebungsbedingungen geschützt.« Da sich aus den Daten nicht nur Informationen zu den Gleisen ziehen lassen, sondern sie auch zur vorausschau- enden Planung von Wartungszyklen an den Zügen dienen können, wurden als Testflotte ICEs der ersten Generation ge- wählt. Gemessen werden die Kräfte, die während der Fahrt im Fahrwerk entste- hen: Treten nur an einigen Streckenab- 50 schnitten höhere Belastungen auf, ist dies mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine Abnutzung der Schienen zurückzuführen. Sind hohe Kräfte dagegen beispielsweise stets ausschließlich in Rechtskurven zu verzeichnen, dürfte die Ursache im Zug liegen. Eine erste Testfahrt brachte das System bereits erfolgreich hinter sich: Die Datenaufnahme aus dem fahrenden Zug heraus funktioniert. Radsätze sicher machen Instandhaltung von Infrastruktur betrifft nicht nur das Schienennetz, sondern auch die Züge an sich. So müssen unter anderem die Radsätze in regelmäßigen Abständen »Wir haben eine Technologie entwickelt, mit der wir Sensorik in 3D-gedruckte Bauteile inte- grieren können.« Dr. Tim Lantzsch, Fraunhofer ILT untersucht werden. Dies kann zum einen händisch passieren: Die ausgebauten Rad- sätze werden mit einem kleinen Handgerät via Ultraschall inspiziert – mit 16 000 bis 17 000 Euro eine verhältnismäßig güns- tige Variante, die etwa 20 bis 40 Minuten pro Radsatz in Anspruch nimmt. Die Da- ten werden jedoch nicht gespeichert, was für die Prüfer rechtliche Schwierigkeiten nach sich ziehen kann. Eine Alternative bieten vollautomatisierte Radsatzprüfan- lagen namens AURA: Sie speichern die erhobenen Daten, erfordern jedoch eine Investition von etwa einer Million Euro plus benötigter Infrastruktur. Halbautomatisiert und nachvollziehbar prüfen Forschende des Fraunhofer IZFP haben im Projekt PASAWIS gemeinsam mit der Rail- Maint GmbH und der Evident GmbH eine halbautomatisierte Version entwickelt, die lediglich mit etwa 250 000 Euro zu Buche schlägt. »Sie speichert die Prüfdaten im DICONDE-Format – einem offenen Stan- dard – und bringt Prüfer damit auf die sichere Seite«, freut sich Stefan Caspary, Wissenschaftler am Fraunhofer IZFP. Mit 15 Minuten ist die Prüfung bis zu dreimal schneller als die händische Version. Ein weiterer Vorteil: Während die vollauto- matische Testung zwei Prüfarten erfordert – Ultraschall und Wirbelstrom – und die Mitarbeitenden daher zwei Schulungen benötigen, kommt PASAWIS mit dem Ul- traschallverfahren aus. »Die Besonderheit liegt jedoch weniger im Prüfverfahren als vielmehr in der Software«, stellt Caspary richtig. »Der Prüfer wird von Anfang bis Ende durch die Prüfung geführt, die Er- gebnisse werden automatisch in Berichten gespeichert und mit der digitalen Signa- tur des Bearbeitenden versehen. Ebenso werden alle Prüfdaten vollständig auf- gezeichnet und können jederzeit wieder ortsunabhängig geladen werden.« Mehre- re PASAWIS-Anlagen haben die Forschen- den bereits gebaut, mittlerweile kann das VPI- und DB-zertifizierte System über den Industriepartner Evident bezogen werden. Geld ist mit dem Sondervermögen vorhanden. Jetzt geht es darum, es mög- lichst schnell und möglichst punktgenau dort einzusetzen, wo es am wichtigsten ist. Fraunhofer-Technik kann dabei hel- fen – und auch dabei, die Belastungen für die Reisenden so gering wie möglich zu halten.

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2 | 25 Der Sound sicherer Brücken Wie lassen sich Deutschlands alternde Brücken großflächig überwachen? Durch genaues Hinhören, sind Forschende des Fraunhofer IDMT überzeugt. Von Dr. Sonja Endres Manche Brücken sind so kaputt, dass sie sich lautstark bemerkbar machen. »Wenn geschweißte Stützver- bindungen, sogenannte Traversen, brechen, gibt es einen ohrenbetäubenden Knall, den auch Anwohner in einiger Entfernung deutlich hören«, erzählt Olivia Treuheit. »So weit wollen wir es erst gar nicht kom- men lassen«, versichert die Wissenschaftlerin. Zu- sammen mit ihrem Team vom Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT im thüringischen Ilmenau hört sie deshalb aufmerksam hin, wenn Autos und Lkw über Brücken donnern und sie zum Vibrieren bringen. Die Forscherinnen und Forscher wollen bereits kleinere Schäden wie Mikrorisse oder gelockerte Schrauben sowie Verschmutzungen früh- zeitig am Klang erkennen. Die gesammelten Audiodaten wertet das For- schungsteam mithilfe von KI aus. Treuheit: »So kön- nen wir alle Störgeräusche wie Verkehrslärm, Regen, Vogelgezwitscher oder Autoradiomusik herausfiltern. Übrig bleibt ausschließlich der Eigenton der Brücke, der durch die Erschütterung beim Überqueren erzeugt wird.« Klangliche Abweichungen geben Hinweise auf mögliche Schäden – noch bevor diese sichtbar werden. Ziel ist ein kontinuierliches akustisches Monitoring von gefährdeten Brücken, die älter sind als 25 Jahre. Dafür wollen die Forscherinnen und Forscher lang- fristig kostengünstige MEMS-Mikrofone mit einer hohen Empfindlichkeit nutzen, die an den Brücken installiert werden sollen. Die neuartigen mikroelek- tronischen Schallwandler sind besonders geeignet für Anwendungen, bei denen Platz und Energiever- brauch eine große Rolle spielen, und kommen daher beispielsweise auch in Smartphones zum Einsatz. Zunächst finden Messungen an zwei Testbrücken im sächsischen Pirna statt – die eine geschraubt, die an- dere geschweißt. Dabei wird das Forschungsteam von der MKP GmbH unterstützt, einem Ingenieurbüro, das sich auf das messtechnische Brückenmonitoring spezialisiert hat. Treuheit: »Wir wollen eine möglichst breite akustische Varianz aufzeichnen, nicht nur den Idealzustand.« Dafür werden die Fahrbahnen bei- spielsweise bewusst verschmutzt oder die Schrauben an einzelnen Stellen kontrolliert gelockert. Nur so kann die KI lernen, nicht allein Anomalien zu erken- nen, sondern die Geräusche auch bestimmten Ursa- chen zuzuordnen. »Wir wissen aus der akustischen Überwachung in der industriellen Produktion, einem Forschungsschwerpunkt am Fraunhofer IDMT, wie sich der Klang von Schweißverbindungen verändert, wenn sie beispielsweise Risse enthalten. Unsere Ex- pertise wollen wir jetzt für die Brücken nutzen.« Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hoffen daher auf eine Folgefinanzierung für ihr Pro- jekt AIrBSound, das zunächst bis Juni 2026 von der Bundesanstalt für Straßenwesen gefördert wird. Die Zeichen stehen günstig: Spätestens seit dem Einsturz der Carolabrücke in Dresden im September 2024 ist das Thema in den öffentlichen Fokus gerückt. Treu- heit: »Es ist extrem motivierend, an einem gesellschaft- lich und wirtschaftlich so relevanten Thema zu for- schen. Besonders das institutsübergreifende Arbeiten im Fraunhofer-Verbund mit Expertinnen und Exper- ten in den Bereichen Bauphysik, Prototyping oder Audio-Hardware bietet hier enormes Potenzial, gute Lösungen zu finden.« 51 o t o h p k c o t s i / d k e e t : i o t o F

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2 | 25 Mit dem Laser gegen die Ewigkeitskosten Deutschland sitzt auf einem strahlenden Erbe: 600 000 Fässer mit Atommüll – neuere dokumentiert, ältere weniger. Fraunhofer arbeitet an einer Lösung, die das Unsichtbare sichtbar macht. Ohne die Fässer zu öffnen. Von Dr. Patrick Dieckhoff I n den 1960er-Jahren waren der Glaube an den Fortschritt durch Atomenergie groß und die Skepsis klein. Atomkraft galt als Zukunfts- technologie – unerschöpflich, sauber. Der radioaktive Abfall? Wurde erst einmal in Fässern ge- parkt. Rund 600 000 solcher Behälter liegen bis heute in Deutschland in diversen Zwischenlagern – manche nun seit mehr als einem halben Jahrhundert. »Niemand weiß genau, was in diesen Fässern steckt«, sagt Hans-Dieter Hoffmann, Abteilungsleiter am Fraun- hofer-Institut für Lasertechnik ILT. »Im besten Fall han- delt es sich um Bauschutt, verstrahlte Kleidung oder andere Hinterlassenschaften aus der Frühzeit der Kerntechnik.« Kritisch wären hingegen extrem langlebige radioaktive Isotope. Oder schlicht Wasser, das durch Korrosion zu Leckagen führen kann. Fässer sehr aufwendig und mit Kosten von gut 100 000 Euro pro Fass teuer. Das Fraunhofer ILT in Aachen arbei- tet deshalb in einem Verbundforschungsprojekt an einer Alternative. Strahlung sichtbar zu machen, ohne dafür einem der Atommüllfässer gefährlich nahe zu kommen – das ist die Idee hinter PLANET (»Portable Laser-driven Neutron Source for Non-destructive Testing«). Die Pro- jektleitung hat das Unternehmen Focused Energy in Darm- stadt übernommen, der Inhaber des Schlüsselpatents. Neben dem Fraunhofer ILT sind auch das Helmholtz-Zen- trum Dresden-Rossendorf, der Maschinenbaukonzern TRUMPF, die TU Darmstadt und Bildgebungs-Experte Photonis Germany beteiligt. Rund 20 Millionen Euro des gesamten Projektvolumens in Höhe von 27,1 Millionen Euro kommen dabei aus öffentlichen Mitteln: eine der größten Förderungen des Bundes überhaupt. Die Fässer zu öffnen, um den Inhalt so zu prüfen, wä- re aufgrund der Sicherheitsrisiken und der Menge der Um eine zerstörungsfreie Prüfung von nuklearen Ab- fallbehältern zu ermöglichen, soll im Rahmen von PLA- 52

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2 | 25 Unsichere Altlasten: Deutschlandweit gibt es insgesamt 16 Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle. mer auf den zu untersuchenden Behälter gerichtet. Mit dem so generierten Strahl lässt sich – ähnlich wie beim Röntgen – ins Innere blickdichter Objekte schauen. Ein hochsensibler Detektor übersetzt zum Schluss das Strah- lensignal in ein Bild. Es offenbart, was sich im Behälter befindet – ohne Aufschrauben. Und ohne Risiko. Die Grundlagen für diese Technologie wurden an der TU Darmstadt gelegt; jetzt gilt es, das Funktionsprinzip in ein praxistaugliches Werkzeug umzuwandeln. »Die Auf- gabe unseres Institutes besteht vor allem in der Entwick- lung eines leistungsstarken Laservorverstärkers«, erklärt Hoffmann. Am Ende der Projektlaufzeit im Mai 2028 soll ein Prototyp vorliegen: eine mobile Neutronenquelle, die zerstörungsfrei Container, Beton oder Fässer durchdringt. Hoffmann: »In einem solchen Gerät steckt eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten.« Als künftige Anwendungen nennt er etwa Zollkontrollen von Containern oder die Inspektion von Brücken, um etwaige Risse sichtbar zu machen. Oder eben die Analyse radioaktiver Altlasten. Bei Focused Energy wird be- reits über PLANET hinaus geplant und an einer Technologie gearbei- tet, die nicht nur Neutronen für die Messtechnik erzeugt, sondern auch Fusionsenergie. In der hessischen Gemeinde Biblis in der Nähe eines abgeschalteten Atomkraftwerkes entsteht dafür eine Pilotanlage. Damit könnte der Ort, der durch sein Kernkraftwerk landesweit bekannt wurde und in dem sich nun zwei Zwischenlager für radioaktive Abfäl- le befinden, vielleicht bald für einen Neuanfang stehen: für Energiegewinnung ohne Ewigkeitslasten. »Einen Neutronen- strahl auf engem Raum stabil zu erzeugen, ist eine echte Heraus- forderung.« Hans-Dieter Hoffmann, Fraunhofer ILT NET die erste lasergetriebene und zugleich maximal kom- pakte Neutronenquelle der Welt entstehen. Denn Neutronen sind bedeutende Helfer bei der nicht-destruk- tiven Materialprüfung: Sie besitzen die Fähigkeit, tief in Metalle einzudringen, sowie eine besondere Empfind- lichkeit gegenüber einzelnen chemischen Elementen und Isotopen. Diese Talente prädestinieren Neutronen für den Einsatz bei bildgebenden Verfahren wie tomographischen oder radiographischen Untersuchungen. Hightech im transportablen Format Doch um Neutronenstrahlen zu erzeugen, sind bislang stationäre Teilchenbeschleuniger nötig – riesig, teuer, unbeweglich. Hans-Dieter Hoffmann: »Einen Neutronen- strahl auf engem Raum stabil zu erzeugen, ist eine echte Herausforderung.« Doch genau dies ist die Aufgabe von PLANET: Eine Technologie, die bislang mil- liardenteure Großanlagen benö- tigte, soll künftig in einen Con- tainer passen – und damit mobil einsetzbar sein. Die Lösung besteht aus drei Kammern. In der ersten pulsiert ein hochfrequenter Laser bis zu hundert Mal pro Sekunde. In der zweiten Kammer trifft dieser La- serpuls auf eine regenerativ erneu- erbare Fläche: das sogenannte »li- quid leave«-Target. Dort entsteht ein heißes Plasma. Binnen Millimetern werden die elek- trisch geladenen Teilchen auf extreme Geschwindigkeiten beschleunigt, anschließend in gerichtete Neutronen sowie Röntgenstrahlung umgewandelt und in einer dritten Kam- o t o h p k c o t s i / r e g n e l k : o t o F 53

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2 | 25 Mission Power-Pflaster Im Projekt StellarHeal entwickeln Forscher eine innovative Wundversorgung für den Weltraum. Eine Idee, von der auch viele Menschen auf der Erde profitieren können. Von Beate Strobel Völlig losgelöst? Auch in der Schwerelosigkeit kann es zu Verletzungen kommen – die auch noch schwerer heilen. 54

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W eiche Bewegungen, schwebende Körper, ein Vorankommen wie in Zeitlupe: Im All wirkt alles ganz leicht. Doch das täuscht: Auch in der Schwerelosigkeit verletzen sich Astronauten im Raumschiff oder an Bord der Weltraumstation ISS mitunter, etwa durch scharfe Gegenstände oder Verbrennungen. Wunden, die auf der Erde kaum mehr als Desinfektionsspray und ein Pflaster erfordern, können im Weltall schnell zum Problem werden. Strahlung schädigt die DNA und hemmt die Zellteilung, während Mikrogravitation die Zellbewegung und das Zellwachstum abbremst, was eine verzögerte Wundschließung und schlechte Narbenbildung zur Folge hat. Die Bedingungen im All schwächen außerdem die körpereigene Immunaktivi- tät, sodass das Infektionsrisiko erhöht ist. Erste Hilfe für den Alltag im All: In dem Projekt StellarHeal arbeitet ein Forschungsteam an den Fraunhofer-Instituten für Silicatforschung ISC und für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM an einer Art »Superpflaster« für die Wundversorgung bei Astronauten – gemeinsam mit dem Dresdner In- stitut für Luft- und Kältetechnik ILK und der Medi- zinischen Hochschule Hannover. »Das Pflaster ba- siert auf vier bereits bestehenden Technologien, von denen drei aus den Fraunhofer-Laboren stammen und eine vom ILK«, erklärt Projektleiter Dr. Dieter Groneberg, der am Fraunhofer ISC in Würzburg das Thema Skin-Research verantwortet. Die Idee ist, die Wunde nicht einfach mit einem schützenden Pflas- ter zu verschließen, sondern vorab eine spezielle Watte aufzulegen, die aus stabilisierenden Kiesel- gel-Fasern besteht und die Blutung stoppt. Zusätz- lich wird nach dem Stoppen der Blutung die Watte mit stammzellbasierten Fibroblasten und Makro- phagen angereichert, die sich in einem Schutzgel befinden. Dies enthält ausreichend Nährstoffe, so- dass die Fibroblasten und Makrophagen überleben und ihrer Aufgabe nachkommen können, bevor sie an die normale Blutversorgung angedockt werden. Während Makrophagen – auch bekannt als Fress- zellen – Krankheitserreger abwehren und Zellreste beseitigen sowie aktiv die Wundheilung steuern, spielen Fibroblasten eine entscheidende Rolle für die Reparatur von Gewebeschäden und beim Neuaufbau von Gewebe. Ein solches Power-Pflaster unterstützt die Heilung im All somit gleich mehrfach: Die Wunde schließt sich schneller, das Infektionsrisiko wird ge- senkt und weniger Narbengewebe gebildet. »Ein weiterer Bonus ist, dass das Nährmedium, in dem die Fibroblasten und Makrophagen eingebettet sind, kryokonserviert werden kann – also haltbar ge- macht durch Einfrieren«, so Biochemiker Groneberg. »Eine Wundheilpaste, die über Jahre sicher aufbe- 2 | 25 wahrt werden kann, ist ein großer Vorteil für Raum- stationen, die nicht mal schnell von der Erde aus ver- sorgt werden können.« Etwas weiter in die Zukunft gedacht, könnte die innovative Pflaster-Technologie sogar eine persona- lisierte Wundversorgung von Astronauten und damit eine noch bessere Heilung ermöglichen: Vor dem Start ins All müssten hierfür Körperzellen des Weltraum- personals durch Reprogrammierung in pluripotente Stammzellen umgewandelt und diese dann als Quel- le für die benötigten Fibroblasten und Makrophagen verwendet werden. Noch ein bisschen weiter in die Zukunft gedacht, könnte dies eine spannende Lösung sein, um eine Besiedelung von Mond oder Mars si- cherer zu gestalten. Aber auch auf Erden gibt es ausreichend Menschen, die von StellarHeal profitieren könnten. »Alleine in Deutschland leiden mehr als 400 000 Menschen un- ter chronischen Wunden, etwa infolge von Diabetes oder Dekubitus«, erklärt Dieter Groneberg. »Die Kos- ten für die medizinische Wundversorgung dieser Pa- tientinnen und Patienten belaufen sich auf rund acht Milliarden Euro pro Jahr.« Gut 40 Prozent dieser Sum- me entstehen durch Wundversorgungsmaterial. Schät- zungen zufolge werden die Kosten für chronische Wunden bis 2030 auf knapp zehn Milliarden Euro in Deutschland ansteigen. Die Hoffnung der Forschenden ist, dass das neue Super-Pflaster hier sowohl Leid lindern als auch die Ausgaben im Gesundheitswesen senken kann. Die darin eingebetteten Makrophagen lassen sich ge- zielt polarisieren und so an unterschiedliche Wund- heilungsszenarien anpassen, erläutert Projektleiter Groneberg: »Da Wunden im Weltall mit überschie- ßender Narbenbildung reagieren, setzen wir hier an- ti-fibrotisch polarisierte Makrophagen ein, um einer übermäßigen Gewebefibrose entgegenzuwirken. Bei diabetischen Wunden, bei denen oft eine unzurei- chende Kollagenbildung besteht, könnten dagegen profibrotisch wirkende Makrophagen helfen, die Ge- weberegeneration zu fördern.« Aktuell sind die Forschenden dabei, die einzelnen Komponenten des Weltraum-Pflasters bestmöglich zu kombinieren, bevor dann die Phase der klinischen Tests startet. Der interdisziplinäre Ansatz des Stellar- Heal-Projekts – also die Kombination von Material- wissenschaft, Biotechnologie und Kryotechnologie – hat die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR bereits überzeugt: Bei den »INNOspace Masters 2024« der Organisation belegte das Forschungskonsortium von Fraunhofer und ILK Dresden in der Kategorie DLR Challenge 2024 »Applied Research for Disruptive In- novation« Platz 1. Und galt damit schon zu Projekt- beginn als galaktisch gut. 55 A S E : s : o o t t o o F F

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2 | 25 Gründen mit Fraunhofer: Aus der Wissenschaft in die Wirtschaft Kaviar 2.0 Fischstäbchen aus dem Labor statt Überlastung der Meere: Das Fraunhofer-Spin-off BLUU Seafood will mit den Mitteln der zellulären Proteinproduktion den Ozeanen wieder etwas Luft verschaffen. Von Beate Strobel A ls Sebastian Rakers seinen ersten Löffel Fischzellen pro- bierte, stand er in der Testkü- che der gerade gegründeten Fraunhofer-Einrichtung für Marine Bio- technologie EMB in Lübeck. Geschmack und Struktur der Zellmasse waren noch nicht optimal, auch das für ein Fischge- richt typische Mundgefühl fehlte. Und doch ist dieser Bissen dem promovierten Meeresbiologen seit dem Jahr 2008 als ein ganz besonderer Moment in Erinnerung geblieben: »Ich war fasziniert, weil es nicht nur nach Fisch schmeckte, sondern ich sogar riechen konnte, dass die Zellen von einer Forelle stammten.« »Anwendungspotenzial multipotenter Stammzellen aus der Regenbogenforelle« lautete der Titel der Doktorarbeit, an der Sebastian Rakers zu dem Zeitpunkt an der Fraunhofer EMB (seit 2020 Fraunhofer-Ein- richtung für Individualisierte und Zellba- sierte Medizintechnik IMTE) schrieb. Da- mals, erinnert er sich, noch mit dem Ziel, die Nutzung dieses besonders variablen Zelltypus etwa für medizinische Zwecke zu untersuchen. »Stammzellen einzuset- zen für die Produktion von Lebensmitteln, galt als ein eher extravaganter Forschungs- ansatz.« Tierische Proteine aus dem Bioreaktor, emissionsarm, schadstofffrei, umwelt- so- wie tierfreundlich und sogar schmackhaft: »Diese Vision hat mich seitdem nicht mehr losgelassen«, sagt Rakers. Er hat sie zur Realität gemacht. Im Mai 2020 gründete Sebastian Rakers gemeinsam mit Simon Fabich das Unternehmen BLUU Biosience (heute: BLUU Seafood) – Europas erstes Biotech-Start-up, das sich auf die Kulti- vierung von Fisch und Meeresfrüchten spezialisiert hat. Für ein Start-up ein sehr mutiger Zeitpunkt, weil es noch gar kein Produkt gab. Auch passende Technologien für eine Herstellung von zellbasiertem Fisch im industriellen Maßstab fehlten. Oder wie Rakers es ausdrückt: »Wir haben uns dafür entschieden, das Flugzeug zu bauen, während wir es fliegen.« Bereits in der ersten Finanzierungs- runde können die Entrepreneure sieben Millionen Euro einsammeln. »Unsere Idee hat einfach den Nerv der Zeit getroffen«, urteilt Sebastian Rakers. »Aber auch mein Fraunhofer-Hintergrund hat da sicher ge- holfen. Die Investoren konnten sich darauf verlassen, dass unser Vorhaben nicht nur eine schöne Story ist, sondern wissen- schaftlich fundiert.« Als passionierter Taucher liebt Dr. Se- bastian Rakers das Meer und seine Bewoh- ner. Und er weiß, wie sehr dieses Ökosystem aktuell leidet: 37 Prozent der kommerziell genutzten Fischbestände weltweit gelten als überfischt, 50 Prozent als gerade noch nachhaltig genutzt (Stand 2024). Der Hun- ger nach Fisch und Meeresfrüchten ist ra- pide gestiegen von knapp 20 Millionen Tonnen Wildfang pro Jahr in 1950 auf 91 56

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Meer für morgen: Dr. Sebastian Rakers ist Gründer von BLUU Seafood. »Unsere Idee hat einfach den Nerv der Zeit getroffen« Genuss mit gutem Gewissen: Für die Produkte des Biotechnologie- Start-ups BLUU Seafood müssen keine Fische leiden. Millionen Tonnen in 2022. Hinzu kommen, Stand 2022, inzwischen 94,4 Millionen Tonnen aus Aquakulturen. Zellbasierter Fisch könnte den Druck auf die Weltmeere entlasten und dazu bei- tragen, dass sich die Bestände wieder etwas erholen. Die Grundlagen dafür hatte Se- bastian Rakers in seiner Zeit bei der Fraun- hofer EMB gelegt, indem er Fischzellen aus dem Muskelgewebe von Forelle und Lachs isolierte – sogenannte Vorläuferzellen oder Stammzellen, die sich kontinuierlich tei- len und nicht altern. Bei -197 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff deponiert, lassen sie sich beliebig lange konservieren. Auf- getaut und in Bioreaktoren in einer spe- ziellen Nährflüssigkeit gelagert, vermehren sich die Zellen durch die ganz natürliche Zellteilung – und das inzwischen auch drei- dimensional. Nach der »Ernte« kann das Fischfleisch dann – ergänzt durch pflanz- liche Proteine – weiterverarbeitet werden, etwa zu Fischstäbchen oder Fischbällchen. »Solche Hybrid-Produkte sind für uns aber nur der Einstieg«, sagt Zellbiologe Rakers. »Das Ziel ist schon, eines Tages ein zellba- siertes Fischfilet auf den Teller zu bringen.« Von Hamburg über Singapur und die USA in den EU-Markt Die Loslösung von der Fraunhofer EMB geschah schrittweise: »Ich konnte mit den Zelllinien arbeiten, die ich bei Fraunhofer entwickelt hatte«, erzählt Rakers. Die ers- ten Räume von BLUU Seafood lagen noch in fußläufiger Entfernung zur Fraun- hofer-Einrichtung in Lübeck, geforscht wurde immer wieder in gemeinsamen Projekten. Zwei Patente wurden so in den vergangenen fünf Jahren eingereicht. In- zwischen betreibt das junge Unterneh- men eine eigene Pilotproduktionsanlage für zellbasierten Fisch in Hamburg. Und die Reaktoren fassen nicht mehr fünf, sondern 500 Liter Nährflüssigkeit. Nicht 2 | 25 ohne Stolz sagt Rakers: »Jetzt können wir auf eigenen Beinen stehen.« 2024 beleg- te sein Start-up den zweiten Platz beim Deutschen Gründerpreis. Anderes hingegen ging viel langsamer als erhofft. Zu Beginn hatte man noch ge- plant, 2023 mit einem ersten Produkt auf den Markt zu gehen. Doch die Zulassung von zellbasiertem Fisch für die Lebensmit- telproduktion gestaltet sich komplizierter als gedacht. Immerhin: In Singapur, einem besonders innovationsfreundlichen Markt, steht das Unternehmen nun kurz vor der behördlichen Genehmigung, das »Go« für die USA will sich BLUU Seafood noch vor dem Genehmigungsverfahren in Europa abholen. »Die EU ist so etwas wie der Gold- standard, das ist noch einmal mit einem deutlich größeren Aufwand verbunden«, erzählt Rakers. »Bis unsere Produkte in deutschen Supermarktregalen liegen, könn- te es also noch ein wenig dauern.« Die Entscheidung, das Fraunhofer-La- bor zu verlassen und sein eigener Chef zu werden, hat Rakers bislang nicht bereut, auch wenn der psychische Druck gerade in der ersten Gründungsphase immens war. Der Wissenschaftler suchte sich da- mals ein regelmäßiges professionelles Coa- ching, »das hat mir geholfen, die Boden- haftung zu behalten und eine mentale Resilienz aufzubauen«. Anstatt sich geistig mit Worst-Case-Szenarien zu beschäftigen, blickt er nun lieber auf die Haben-Seite. Und freut sich beispielsweise darüber, dass bei BLUU Seafood inzwischen 30 Menschen arbeiten, »die nicht nur Spaß im Job ha- ben, sondern auch die Vision, die Welt mit dem, was wir hier entwickeln, ein Stück- chen besser zu machen«. Das erste Produkt, mit dem BLUU Sea- food auf den Markt kommen will, wird wohl ein zellbasierter Kaviar sein, »ein Premium- produkt, das große Margen erlaubt«. Rakers hat ihn bereits verkostet. Und konnte dabei ganz direkt schmecken, welchen Weg er kulinarisch seit seinem ersten Probierlöf- fel mit Forellenzellmasse zurückgelegt hat. »Ich bin kein Kaviarkenner«, sagt er. »Doch wenn mir ein Kaviar-Distributor sagt, er habe noch nie ein so gutes Alternativpro- dukt gegessen, dann ist das wie ein Ritter- schlag – und absolut fantastisch!« 57 t r a e m o o B / d o o F k c o t S ; n e g r e G k i r n e H , H b m G u u B l : s o t o F

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2 | 25 Energiewende Nachhaltige Batterien für das Elektroauto von morgen Batterien spielen eine Schlüsselrolle in der Transformation hin zu einer klimaneutralen Zukunft. Doch wie lassen sich leistungsstarke Energiespeicher kostengünstiger und energieeffizienter in Deutschland produzieren? Das patentierte DRYtraec®-Verfahren setzt neue Maßstäbe in der Batteriezellenproduktion. Von Ulla Wolfshöfer F ür die deutsche Automobilbranche ist eine hochwertige und kostengünstige Produk- tion von Batteriespeichern mit gesicherten Lieferketten entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit. Produk- tionskapazitäten von Batteriezellen befinden sich in Europa allerdings noch im Aufbau. Die Abhängigkeit von asiatischen Technologiekonzer- nen ist hoch, denn die bisherigen Pro- duktionsverfahren sind energie- und kostenintensiv. »Mit DRYtraec® bieten wir einen vielversprechen- den Ansatz mit Ein Forscherteam des Fraunhofer- Instituts für Werkstoff- und Strahltech- nik IWS in Dresden hat mit DRYtraec® (Dry transfer electrode coating) ein neu- artiges Verfahren entwickelt, das eine kosteneffiziente und umweltfreundliche Herstellung von Batterieelektroden er- möglicht. Für diese zukunftsweisende Technologie wurden Dr. Benjamin Schumm, Dr. Holger Althues und Prof. Stefan Kaskel mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2025 aus- gezeichnet. Beschichtungsprozess nass-chemisch mit sogenannten Slurry-Ansätzen«, erklärt Dr. Benjamin Schumm, Ab- teilungsleiter Partikeltechnik am Fraunhofer IWS. »Die DRYtraec®-Technologie erlaubt es, eine Elektrodenschicht direkt aus einem Trockengemisch herzustellen – beste- hend aus Aktivmaterial, Leitruß und Binder.« Im Gegensatz zum konven- tionellen Slurry-Verfahren wird dabei kein Lösemittel eingesetzt. Außerdem entfällt der energieintensive Trock- nungsschritt. Eine spezielle Walzen- vorrichtung wirkt Scherkräfte auf das Trockengemisch aus und verankert so die Partikel des Aktivmaterials und des Leitrußes durch Fibrillierung des Bindemittels mechanisch. Die ener- gie- und platzaufwendige Trocknung entfällt. Zudem lassen sich beide Sei- ten der Elektrode gleichzeitig beschichten. Die lösemit- telfrei hergestellten DRYtraec®-Elektroden weisen eine herausragende Leistungsfähigkeit und Stabilität auf – ohne Einbußen gegenüber Slurry-basierten Elektroden. doppeltem Vorteil.« Prof. Stefan Kaskel, Fraunhofer IWS Neuartiges DRYtraec®-Verfahren für Batteriezellenproduktion Elektroden sind ein zentraler Baustein jeder Batterie und bestehen in der Regel aus einer Metallfolie, die mit einer dünnen Beschichtung überzogen ist. Die Beschichtung enthält die aktiven Komponenten, die für die Energiespei- cherung verantwortlich sind. »Üblicherweise erfolgt der Patentierte Technologie mit Zukunftspotenzial Der einzigartige methodische Ansatz des walzenbasierten Trockenfilm-Transferprozesses minimiert Produktions- risiken und erleichtert die Skalierung zu größeren Be- schichtungsbreiten und höheren Prozessgeschwindig- keiten. Die weltweit erste Prototypanlage wurde bereits 2013 konstruiert und die Technologie seitdem stetig wei- i k s w o r e z c n a B r t o P i : s o t o F e l l A 58

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Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2025 2 | 25 Forschungs- preise Seit 1978 verleiht die Fraunhofer- Gesellschaft Preise für herausragende wissenschaftliche Leistungen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das DRYtraec®-Verfahren ist auch für die wichtigen Batterietechnologien der Zukunft geeignet, wie etwa die Natrium-Ionen- oder die Feststoffbatterie.« Prof. Stefan Kaskel, Fraunhofer IWS terentwickelt. Die Anlage ermöglicht die kontinuierliche Prozessführung und Herstellung qualitativ hochwertiger Elektroden im Rolle-zu-Rolle-Verfahren. »Wir haben für DRYtraec® eine F&E-Plattform realisiert, die Industriekun- den entlang der Wertschöpfungskette ein breites Angebot von der Erprobung bis zum Transfer in die kommerzielle Nutzung bietet. Mit der Lizenzierung der Technologie an ein führendes Unternehmen der europäischen Automo- bilindustrie ebnet dies den Weg zur weiteren Skalierung bis zur Massenproduktion«, erläutert Dr. Holger Althues, Abteilungsleiter Batteriewerkstoffe am Fraunhofer IWS. Das DRYtraec®-Verfahren ist auch für die wichtigen Batterietechnologien der Zukunft geeignet, wie etwa die Natrium-Ionen- oder die Feststoffbatterie. Die »Drop-in- Fähigkeit« zur Elektrodenherstellung wurde für diese Zellsysteme nachgewiesen. Prof. Stefan Kaskel, Techno- logiefeldleiter Batterietechnik am Fraunhofer IWS, er- klärt: »Den Prozess haben wir zunächst für Elektroden von Lithium-Ionen-Batterien umgesetzt und inzwischen für Lithium-Schwefel- und für Feststoffbatterien ange- passt. Diese werden in Zukunft eine immer größere Rol- le spielen, jedoch leidet die Leistungsfähigkeit der Mate- rialien unter einer nass-chemischen Verarbeitung. Mit DRYtraec® bieten wir einen vielversprechenden Ansatz mit doppeltem Vorteil.« Die patentierte DRYtraec®-Technologie ist inzwischen als Standardverfahren für die Trockenbeschichtung eta- bliert. Damit trägt Fraunhofer maßgeblich zur Sicherung des Automobilstandorts Deutschland bei und unter- streicht die hohe Bedeutung der Produktionstechnolo- gie als wesentliche Wertschöpfung in der Transforma- tion der Mobilität. 59 Dr. Benjamin Schumm, Prof. Stefan Kaskel und Dr. Holger Althues (v. l.) vom Fraunhofer IWS ebnen den Weg für eine leistungsfähige Batteriezellfertigung in Europa.

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2 | 25 Videokodierung JPEG XS Zukunftsweisender Standard für »All-IP«- Videoproduktion Die Bildqualität von Videos ist in den letzten Jahrzehnten immer besser geworden. Das heißt aber auch: Es gibt mehr Daten, die in der Produktion übertragen werden müssen. Die Lösung: das Videokompressionsformat JPEG XS. Von Ulla Wolfshöfer Schneller und einfacher High-Quality-Videos produzieren: Ein neuer Kompressionscodec macht‘s möglich. Entwickelt haben ihn Dr. Thomas Richter, Dr. Joachim Keinert und Prof. Siegfried Fößel (v. l.) vom Fraunhofer IIS. 60

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»JPEG XS ist in bestehende Compu- tersysteme integrier- bar und kann hochaufgelöste Bilder ohne sichtbare Verzögerung übertragen.« Prof. Siegfried Fößel, Fraunhofer IIS D er Kosten- und Zeitdruck bei der Herstellung von professionellen TV- und Filminhalten wächst, immer mehr Medienkanäle und -plattformen entstehen. High-Quality Video muss auf verschiedenste Bildschirme innerhalb einer ver- netzten Produktion übertragen werden, bis schlussendlich der fertige Film erzeugt werden kann. Bisherige Videoco- decs nehmen bei der Übertragung von Produktionsdaten größere Verzögerungszeiten oder Qualitätsverluste in Kauf beziehungsweise konzentrieren sich auf die Distribution an die Kundinnen und Kunden. Außerdem wird mehr Re- chenleistung bei der mehrfachen Dekodierung der Daten benötigt, was den Einsatz teurer Hardware erforderlich macht und zu einem höheren Energiebedarf führt. VR-Brillen oder Anwendungen in Automotive und Machine Vision haben Echtzeitanforderungen, an denen herkömmliche Videocodecs häufig noch scheitern. Ein Forscherteam des Fraun- hofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen hat mit JPEG XS ein hochmodernes und zukunftsweisendes Bildkom- pressionsformat entwickelt, das qualitativ hochwertige Bilder mit minimaler Latenzzeit und gerin- gem Ressourcenverbrauch in der Produktions- und Studioumgebung mit nahezu verlustloser Bildqualität überträgt. Für dieses innovative Projekt wurden Prof. Siegfried Fößel, Dr. Joa- chim Keinert und Dr. Thomas Richter mit dem Joseph- von-Fraunhofer-Preis 2025 ausgezeichnet. Entwicklung von JPEG XS als neuer ISO-Standard Professionelle Videos in höchster Qualität wurden bis- her unkomprimiert über spezielle Schnittstellen wie SDI (Serial Data Interface), Coaxpress oder LVDS (Low Vol- tage Differential Swing) übertragen, was eine Punkt-zu- Punkt-Verbindung mit Koaxial- oder Twisted-Pair-Kabeln erforderte. Eine Kompression der Daten war aufgrund der sehr hohen Qualitätsanforderungen bei gleichzeitig hohen Datenraten nicht möglich, ein komplexes Übertra- gungsprotokoll wurde vermieden. Dies führte zu Über- gabepunkten mit leistungsstarken Umsetzern zu Ether- net-Rechnern, was Arbeitsabläufe verzögerte. »Klassische Codecs aus dem MPEG-Bereich sind für diese Anwendung ungeeignet, da sie auf hohe Kompressionsraten bei ak- 2 | 25 zeptabler Qualität abzielen. JPEG XS hingegen wurde als professioneller Kompressionscodec – sogenannter Mezzanine-Codec – entwickelt, um die Übertragung von hochwertigen Videos bis zu 8k in Produktionsqualität über Internet Protocol (IP) zu ermöglichen«, erklärt Dr. Joachim Keinert, Gruppenleiter Computational Imaging am Fraunhofer IIS. JPEG XS erreicht eine vielfache Beschleunigung bei der En- und Decodierung von Bildern. In der Film- und Fernsehproduktion ermöglicht JPEG XS so die effiziente Übertragung und Verarbeitung von Bildinhalten. »Die geringe Verzögerungszeit und ho- he Parallelisierbarkeit machen JPEG XS zu einem idealen Werk- zeug für die mehrstufige Verarbei- tung von Videosignalen in Echtzeit. Der Codec ist optimiert für die vi- suell verlustlose Kompression und unterstützt eine Farbtiefe von 12 bis 16 Bit, wodurch auch Videosi- gnale mit hohem Dynamikumfang und Sensorsignale wie Raw Bayer übertragen werden können«, er- läutert Dr. Thomas Richter, Chief Scientist am Fraunhofer IIS. Mit einem umfassenden Soft- ware- und Patentportfolio hat das Fraunhofer IIS einen international anerkannten Standard etabliert. »Der neue Standard wurde als Vi- sual Lossless Codec entwickelt, der speziell auf die Bedingungen der High-Quality-Video- übertragung Rücksicht nimmt. Dank seiner ausgeklügel- ten Algorithmik ist JPEG XS in bestehende Computer- systeme integrierbar und kann hochaufgelöste Bilder über eine kostengünstige Ethernet-Schnittstelle ohne sicht- bare Verzögerung übertragen. Diese Netzwerktechnologie ist weit verbreitet und erleichtert die nahtlose Integration in bestehende Infrastrukturen«, erklärt Prof. Siegfried Fößel, Abteilungsleiter Bewegtbildtechnologien am Fraun- hofer IIS. Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten JPEG XS bietet neben der technologischen Alleinstel- lung der Übertragung höchstqualitativer Bilder enorme wirtschaftliche Vorteile für Studiotechnik, aber auch für weitere Bereiche wie Machine Vision und Automotive. Gerade im Bereich des autonomen Fahrens zeigt JPEG XS signifikante Vorteile, indem die Datenrate der Kamera- vernetzung reduziert wird und die Auswerteleistung in Echtzeit nahezu erhalten bleibt. 61

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2 | 25 Aluminiumproduktion Einschlüsse sicher erkennen mit Ultraschall Bei der Verarbeitung von Aluminium ist eine hohe Materialqualität entscheidend – doch Verunreinigungen in der Schmelze ließen sich bislang nicht gleichermaßen zuverlässig, schnell und kostengünstig aufspüren. Die Lösung: ein ultraschallbasiertes flexibles Messsystem. Von Lisa Scherbaum G roße, schwer zugängliche Gerätschaften und hohe Temperaturen: Die Bedingungen in Gießereien sind extrem. Für die Arbeit mit flüssigem Metall braucht es bei Mensch und Maschine hohe Flexibilität und Widerstandskraft. Diesen Bedingungen stellte sich ein Forschungsteam des Fraunhofer-Instituts für Zerstörungsfreie Prüfver- fahren IZFP, als Kunden aus der Aluminiumbranche es mit dem Wunsch nach einem neuen Messsystem zum Nachweis von Verunreinigungen in der Metallschmel- ze kontaktierten – ein wichtiges Werkzeug während des Produktionsprozesses. Für die Entwicklung des innova- tiven, ultraschallbasierten Messsystems »AloX« wurden Dr.-Ing. Thomas Waschkies und Andrea Mroß nun mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2025 ausgezeichnet. Sicherheitsrisiko Verunreinigungen »Die Reinheit der Schmelze, deren Temperatur zwischen 600 und 800 Grad Celsius beträgt, ist enorm wichtig für das spätere Endprodukt. Die in der Schmelze vorhande- nen keramischen Partikel beispielsweise verflüssigen sich erst oberhalb von 2000 Grad und bleiben als Einschlüsse im fertigen Bauteil erhalten, wenn sie nicht gezielt ent- fernt werden. Das kann zu Rissen sowie Löchern und damit im schlimmsten Fall zum Versagen von Bauteilen führen«, so Thomas Waschkies, Chief Scientist Sensor- physik am Fraunhofer IZFP. Von Beginn an leitete er das Projekt gemeinsam mit seiner Kollegin Andrea Mroß, die heute an dem Saarbrücker Institut im Bereich Strategie und Forschungsprogrammatik tätig ist. Aluminium ist nach Stahl das am häufigsten ver- wendete Metall weltweit und spielt unter anderem durch seinen Einsatz im Leichtbau eine große Rolle für die Kli- maneutralität. Zudem lässt es sich mit geringem Ener- gieaufwand wiederaufbereiten und leistet so einen hohen Beitrag für die Kreislaufwirtschaft. Zur Qualitätskont- rolle von Aluminiumschmelze sind bereits unterschied- liche Messsysteme auf dem Markt, die allerdings ent- weder teuer, nur durch Fachleute bedienbar oder sehr zeitaufwendig sind und daher nur eine stichprobenarti- ge Kontrolle erlauben. Die Industrie benötigt also ein günstiges, ohne Spezialwissen bedienbares System, das ein schnelles Endergebnis liefert und flexibel in Gieße- reien einsetzbar ist. Ultraschallbasiertes Messsystem Vor diesem Hintergrund entstand am Fraunhofer IZFP die Idee eines mobilen, ultraschallbasierten Messsystems für die Aluminiumschmelze. Die Funktionsweise von AloX lässt sich anhand eines Alltagsbeispiels erklären: »Das System funktioniert analog zu einem Parksensor im Auto: Das in die Schmelze eingetauchte System sendet Signale, die von einem Reflektor zurückgeworfen werden. Schwimmen Partikel vorbei, also Verunreinigungen, ent- stehen Störsignale«, so Andrea Mroß. Diese ermöglichen es, direkt vor Ort in die Produktion einzugreifen und so die Qualität zu sichern. Die Herausforderung bei der Entwicklung des Systems lag vor allem in den extremen Bedingungen am Einsatz- ort Gießerei: Die heiße Schmelze erzeugt eine sehr hohe Wärmestrahlung, von der neben dem System selbst auch die gesamte tragende Einheit betroffen ist. Darüber hin- aus ist Aluminiumschmelze stark korrosiv, greift also metallische Werkstoffe an. Im engen Austausch mit der Industrie entwickelte das Team schließlich einen ersten Prototypen: Der Messwagen verfügt über eine Messein- heit mit speziellen Ultraschallwellenleitern und integrier- ter Kühlung sowie über eine eigens entwickelte Software 62

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2 | 25 mit patentiertem Auswertealgorithmus. Auch der Wech- selmechanismus für die aus Titan bestehenden Ultra- schallwellenleiter ist inzwischen patentiert. Aktuell arbeitet das Team an »AloX 2.0«, das im Ver- gleich zum ersten System einige Verbesserungen bietet. Ein Faktor ist jedoch gleich geblieben: Nahezu alle Kom- ponenten sind Eigenentwicklungen des Fraunhofer IZFP. »Von den Ultraschallsensoren über die Auswertungssoft- ware und Elektronik bis zur Mechanik des Gehäuses: ›AloX‹ ist ein Gesamtpaket aus einer Hand«, fasst Andrea Mroß zusammen. Im nächsten Schritt steht für die For- schenden die breite industrielle Anwendung des Systems am Horizont – zunächst in der Aluminiumherstellung. Doch auch weitere Einsatzzwecke sind denkbar, etwa zur Qualitätskontrolle anderer Metallschmelzen oder bei der Produktion von Klebstoffen und Lebensmitteln. Andrea Mroß und Dr.-Ing. Thomas Waschkies mit dem mobilen Messsystem »AloX«, das die Aluminiumschmelze auf problematische Partikel untersucht. »Die Reinheit der Schmelze, deren Temperatur zwischen 600 und 800 Grad Celsius beträgt, ist enorm wichtig für das spätere Endprodukt.« Dr.-Ing.Thomas Waschkies, Fraunhofer IZFP 63

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2 | 25 Preis der Fraunhofer- Zukunftsstiftung »Innovations for a Better Future« Institutsübergreifende Zusammenarbeit: Frank Neumann, Ricarda-Laura Sack, Dr. Joachim Koschikowski und Dr. Simone Kondruweit-Reinema (v. l.) ermöglichen mit »PreCare« Gesundheitsversorgung auch in abgelegenen Gebieten. Dafür erhielt das Team den Preis »Innovations for a Better Future«, der 2025 das erste Mal verliehen wurde. Medizinische Versorgung Gesundheitsplattform für Geländewagen Um die ärztliche Betreuung in entlegenen Gebieten zu verbessern, hat ein Team am Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST sowie am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE eine mobile Gesundheitsplattform für Geländewagen entwickelt. Von Lisa Scherbaum 64

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W eltweit gibt es in entlegenen Regionen wie Subsahara-Afrika keine flächendeckende medizinische Versorgung. Dies liegt ne- ben der eingeschränkten Mobilität durch schlechte Wegenetze und fehlende Transportmittel auch am kaum verfügbaren medizinischen Personal. In vielen afrikanischen Ländern behandelt oft nur ein Arzt oder eine Ärztin 10 000 Menschen. Zum Vergleich: In Deutsch- land versorgen im Schnitt 44 Ärzte oder Ärztinnen 10 000 Personen. Um dies zu verbessern, haben Forschende eine robuste Gesundheitsplattform entwickelt, die auf Lade- flächen geländegängiger Pick-ups aufgesetzt wird und auf engstem Raum die Infrastruktur für Untersuchungen bietet. Auch unwegsame Sand- und Schotterpisten sind kein Hindernis mehr, um gut ausgestattetes Fachpersonal zu Patientinnen und Patienten zu bringen. Für diese Lö- sung erhielten Frank Neumann, Dr. Joachim Koschikow- ski, Dr. Simone Kondruweit-Reinema und Ricarda-Laura Sack den Preis »Innovations for a Better Future« 2025 der Fraunhofer-Zukunftsstiftung. Medizinische Grundausstattung plus technologische Innovation »Unsere Plattform ermöglicht Gesundheitsvorsorge für alle und überall«, fasst Frank Neumann, Teamleiter Pho- to- und elektrochemische Umwelttechnik am Fraunhofer IST und Projektkoordinator, zusammen. Auf der Platt- form werden elektrische Geräte, etwa die integrierte Kühlung für Medikamente, Impfstoffe und Blutproben, mit einer unabhängigen Stromversorgung über Photo- voltaik und Batteriespeicher betrieben. Auch eine Trink- wasseraufbereitungsanlage befindet sich an Bord. Eine Vorrichtung, die auf diamantbeschichteten Elektroden basiert, ermöglicht unterwegs die Herstellung von Des- infektionsmitteln aus einfacher Natriumchlorid-Lösung. Für den Abgleich von Behandlungsdaten und für tele- medizinische Dienste kann ein Kommunikationssystem über Satelliten- oder Mobilfunknetze integriert werden. Diagnostik wie Röntgen- und Ultraschallgeräte lassen sich ergänzen. Flexible Konstruktion für individuelle Bedürfnisse »Unsere Lösung ist flexibel und modular. So können auch Menschen in unterentwickelten Regionen am technischen Fortschritt teilhaben«, erklärt Dr. Joachim Koschikowski, Gruppenleiter Wasseraufbereitung und Stofftrennung am Fraunhofer ISE. Zudem ist die mobile Gesundheitsplattform kostengünstig, da sie auf gewöhn- liche Pick-ups aufgesetzt wird und schon mit einem Fah- 2 | 25 »Unsere Lösung ist flexibel und modular. So können auch Menschen in unterentwickel- ten Regionen am technischen Fortschritt teilhaben.« Dr. Joachim Koschikowski, Fraunhofer ISE rer oder einer Fahrerin und einer medizinischen Fach- kraft gut betrieben werden kann. Ricarda-Laura Sack, am Fraunhofer ISE während des Aufbaus des ersten Proto- typs tätig und in Südafrika verantwortlich für Schulung und Fernwartung, erklärt: »Wichtig sind uns die einfache Bedienung und der geringe Wartungsaufwand. Ziel ist es, mit nur einer Schulung das Personal fit für den eigen- ständigen Betrieb zu machen – eine praktikable Lösung, selbst für Organisationen mit begrenztem Budget.« Feste Verwurzelung durch lokales Netzwerk Das Projekt zeichnet sich durch die intensive Zusammen- arbeit mit zahlreichen Akteuren vor Ort aus. Der erste Prototyp wurde 2023 an eine NGO in Südafrika über- geben. Eine Förderung der Fraunhofer-Zukunftsstiftung ermöglichte anschließend die Entwicklung eines zweiten Prototyps, der nun von einer NGO in Namibia betrieben wird. Bereits frühzeitig wurden lokale Partner in der Ge- sundheitsvorsorge, der Forschung sowie dem Systembau und der Logistik in Subsahara-Afrika einbezogen. Her- stellung, Vertrieb und Wartung übernimmt mittlerweile das im Rahmen des Projekts ausgegründete Unternehmen S Mile Solutions (Pty) Ltd – das erste Fraunhofer-Spin- off in Südafrika. »Wir wollen Hightech langfristig und niederschwellig vor Ort verfügbar machen – in Afrika für Afrika«, betont Frank Neumann. Um die Technologie weiterzuentwickeln und noch stärker in den Alltag der Menschen zu integrieren, setzt das Team auf neue Kooperationen vor Ort. »Das System ist universell und bietet das Potenzial, noch mehr techni- sche Geräte zu integrieren«, erläutert Dr. Simone Kondru- weit-Reinema, Leiterin Marketing und Kommunikation am Fraunhofer IST und zuständig für das Kommunika- tions- und Marketingmanagement des Projekts. Auch die Anpassung für Bereiche wie die Katastrophenhilfe oder die Tiermedizin in Wildreservaten ist denkbar. 65

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2 | 25 Jetzt wird’s klebrig: Fraunhofer-Forschende entwickeln einen umwelt- freundlichen Leim. 66 Clever kleben Stärke kann so einiges – auch umweltfreundlich kleben. Für die industrielle Fertigung von Faltschachteln lässt sich konventioneller Stärkeleim bislang jedoch nicht nutzen. Forschende des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung IAP arbeiten an einer Lösung. Von Yvonne Weiß

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2 | 25 S tärke ist vielseitig. Das Biopolymer dient nicht nur bei der Herstellung von Lebens- mitteln als Hilfsstoff. Etwa 40 Prozent der Produktion in Europa fließen in technische Anwendungen, zum Beispiel für die Herstellung von Pa- pier, Farben und Textilien. Auch als biobasierter Kleb- stoff wird Stärke eingesetzt, etwa bei der Produktion von Wellpappe oder bei der Verklebung von Papiersäcken und Etiketten. Für die Herstellung von Faltschachteln auf mo- dernen, schnelllaufenden Produktionsmaschinen lassen sich konventionelle Stärkeleime bislang jedoch nicht nut- zen, weshalb die Industrie auf erdölbasierte, synthetische Klebstoffe zurückgreift. Das soll jetzt anders werden. »Wir optimieren bestehende Stärkeprodukte so, dass sie mit der heutigen Produktionstechnologie für Falt- schachteln kompatibel sind«, beschreibt Dr. Jens Buller, Leiter der Abteilung Stärkemodifikation und molekulare Eigenschaften am Fraunhofer IAP, das Ziel des Projekts. Gemeinsam mit Industriepartnern entwickelt der Wis- senschaftler einen umweltfreundlichen Stärkeleim aus nachwachsenden Rohstoffen, mit dem sich Faltschach- teln, die für Produkte wie Müsli oder Medikamente her- gestellt werden, verkleben lassen – und will damit nach- haltige Verpackungslösungen für die Industrie schaffen. »Wenn er aus der Düse kommt, darf der Klebstoff selbst bei hohen Geschwindigkeiten nicht spritzen, keine Fäden ziehen und muss exakt auf dem Verpackungsmaterial appliziert werden«, beschreibt Jens Buller die Heraus- forderung. »Im Projekt optimieren wir neben der Kleb- kraft daher das Fließverhalten des Leims, das bei her- kömmlichen Stärkelösungen ein Problem darstellt.« Dafür haben die Forschenden zunächst verschiedene Arten modifizierter Stärke untersucht, die später als Bin- demittel im Klebstoff fungiert, und ausgewählte Sorten weiter modifiziert. Um das Auftragsverhalten zu opti- mieren, eine langfristige Stabilität des Leims zu gewähr- leisten und ein mögliches Nachdicken zu verhindern, wurde die modifizierte Stärke in einem nächsten Schritt mit weiteren biobasierten Additiven gemischt. Wie gut sich der Klebstoff auftragen lässt, haftet und sich abbin- det, haben die Industriepartner bereits auf unterschied- lichen Kartonarten getestet. Jens Buller freut sich über die ersten Ergebnisse: »Bei einer Laufbandgeschwindigkeit von bis zu 300 Metern pro Minute konnten wir unseren Klebstoff bereits erfolg- reich auftragen. Für die meisten Anwendungen ist das ausreichend.« Aktuell arbeiten die Forschenden daran, den Klebstoff sogar bei Geschwindigkeiten von bis zu 500 Metern pro Minute aufbringen zu können, um eine noch breitere Anwendung zu ermöglichen. Zudem optimieren sie die Stabilität des Leims, der momentan noch leicht nach dickt. Ein großer Feldversuch ist in der letzten Phase des Pro- jekts in diesem Jahr geplant. Jens Buller blickt optimistisch in die Zukunft: »Mich motiviert die Vorstellung, einen biobasierten Klebstoff in die industrielle Fertigung zu bringen, der das Recyc- ling von Faltschachteln verbessert und zugleich lebens- mittelkonform ist.« So ließe sich Verpackungsmüll redu- zieren. Und die Umwelt? Gleich doppelt schonen. »Bei einer Laufband- geschwindigkeit von bis zu 300 m/min konnten wir unseren o t o h p k c o t s i / o t o f s o k : l o t o F Klebstoff bereits erfolgreich auftragen. Für die meisten Anwendungen ist das ausreichend.« Dr. Jens Buller, Fraunhofer IAP 67

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2 | 25 Foto & Fraunhofer Palettenweise Daten Das Fundament der Weltwirtschaft besteht aus exakt elf Brettern, neun Klötzen und 78 Nägeln. Normiert in den 1960er-Jahren auf die Maße 1200 x 800 x 144 Millimeter, sind laut Schätzung der European Pallet Association (EPAL) inzwischen mehr als 650 Millio- nen EPAL-Paletten im Umlauf, um Güter von A nach B zu bringen. Als Logistiker weiß Julian Brandt die bekannten Vorzüge der Europalette natürlich zu schätzen. Doch in ihr stecke noch viel ungenutztes Potenzial, kon- statiert der wissenschaftliche Mitarbeiter am Fraun- hofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML: »Es gibt keinen Ladungsträger, der tiefere Einblicke in den Warenfluss liefern könnte als die Palette. Denn die kommt herum – und zwar branchenübergreifend.« Um diesen Mehrwert zu heben, startete das Fraun- hofer IML 2024 unter der Leitung von Brandt die Mach- barkeitsstudie Pal2Rec (»Pallet to Recognition«): Über Sensoren erfassten die Forschenden in einer Versuchs- reihe sämtliche Beschleunigungen, Bremsungen, Kipp- und Drehbewegungen einer Demonstrator-Pa- lette und trainierten damit eine Künstliche Intelli- genz, sodass sie typische Paletten-Aktivitäten allein anhand des Datenmusters erkennen und ein detail- liertes Bewegungsprofil erstellen kann. Während bisherige IoT-Sensoren lediglich über- mitteln, dass eine Palette um 12:40 Uhr bewegt wur- de, liefert die KI eine tiefergehende Dateninterpreta- tion inklusive Abgleich des Ist- mit dem Soll-Prozess: Die Palette wurde um 12:40 Uhr von einem Gabel- stapler aufgenommen, 50 Meter weit transportiert und anschließend planmäßig in ein Regal eingelagert – ohne Zwischenfälle. Brandt: »Logistische Prozesse erhalten dadurch echte Transparenz. Verbessern kann ich nur, was ich verstehe – und verstehen kann ich nur, was transparent ist.« Spannend ist das etwa für Unternehmen, die in- tralogistisches Optimierungspotenzial heben möch- ten, sowie für Paletten-Pooling-Anbieter, die derlei als Service offerieren wollen. Aber auch Maschinen- und Anlagenbetreiber könnten profitieren: Mithilfe der KI lassen sich Schwachstellen frühzeitig identi- fizieren und – Stichwort vorausschauende Wartung – Schädigungen sowie Ausfallzeiten minimieren. 68

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2 | 25 e k c a H a l i M : o t o F Leistungsträgerin: Ohne die Europalette wäre der globale Warentransport in seinem aktuellen Ausmaß nicht denkbar. 69

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2 | 25 Gastbeitrag Der Kommunikationsforscher Dr. Benedikt Fecher leitet die Organisation Wissenschaft im Dialog seit 2023. Er ist zudem in der #FactoryWisskomm engagiert, einer Diskursplattform des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt für die Weiterentwicklung von Wissenschaftskommunikation in Deutschland. Wissenschaftskommunikation für ein besseres Morgen Seit einem Vierteljahrhundert setzt sich die Organisation Wissenschaft im Dialog dafür ein, gesellschaftlichen Wandel durch Wissen zu gestalten. Eine Mission, die heute wichtiger ist denn je. Gastbeitrag von Dr. Benedikt Fecher, Geschäftsführer Wissenschaft im Dialog 70

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V or 25 Jahren wurde Wissen- schaft im Dialog (WiD) mit der Fraunhofer-Gesellschaft gegründet, um Wissenschaft sichtbarer zu machen, sie als kulturelle Errungenschaft zu vermitteln und Ver- trauen in die Forschung zu stärken. Dass dies gelingt, bestätigen die Zahlen des Wissenschaftsbarometers, einer jährli- chen repräsentativen Umfrage von WiD: Das Vertrauen der Bevölkerung in die For- schung ist stabil hoch und liegt über dem vieler anderer Berufsgruppen. Doch die Herausforderungen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Öffent- lichkeit haben sich verändert und werden aktuell von drei Dynamiken geprägt: die tiefgreifende Transformation öffentlicher Kommunikation durch Künstliche Intel- ligenz (KI), die Rolle der Wissenschaft bei der Bewältigung komplexer gesellschaft- licher Herausforderungen und nicht zuletzt der Schutz der Wissenschaftsfreiheit an- gesichts zunehmender Angriffe auf die of- fene Gesellschaft. Wissenschaftskommu- nikation ist wichtiger denn je, wenn sie sich diesen Herausforderungen stellt. Kommunikation in Transformation Generative KI hat sich als Werkzeug eta- bliert: Forschung lässt sich schneller ver- dichten, administrative Aufgaben werden reduziert. Chatbots sind inzwischen eine Hauptquelle wissenschaftlicher Inhalte. Gleichzeitig bestehen Risiken: Wissen- schaftliche Expertise steht verstärkt in Konkurrenz zu plausibel klingendem Un- sinn und Desinformation. Auch die Ab- hängigkeit von nicht-wissenschaftlichen Infrastrukturen wächst. KI berührt somit den Kern der Kommunikation mit und über Wissenschaft. Forschende und Bevöl- kerung müssen befähigt werden, KI-Tech- nologien souverän und kreativ zu nutzen und sie zugleich kritisch zu hinterfragen. WiD gestaltet diese Veränderungen ak- tiv mit. Künstliche Intelligenz war beispiels- weise zentrales Thema im Wissenschafts- barometer 2023; wir haben einen Multi- stakeholder-Prozess zu KI und Wissen- schaftskommunikation initiiert und diver- se Dialogformate umgesetzt. Die daraus erwachsenen Empfehlungen stehen in un- serer Schriftenreihe WiD-Perspektiven kos- tenfrei zur Verfügung. Auch das im Dezem- ber 2025 stattfindende Forum Wissen- schaftskommunikation, die größte jährliche Fachtagung der Branche, organisiert von »Wissenschafts- kommunikation ist gerade an den Schnitt- stellen zur Wirt- schaft gefordert.« WiD, wird sich intensiv mit dem Thema KI befassen. Mit dem RHET AI Center unter- halten wir mit „I’m a Scientist“ ein Format, das Schülerinnen und Schüler direkt mit KI-Forschenden ins Gespräch bringt. Transfer braucht Kommunikation Klimawandel, Biodiversitätsverlust, geo- politische Konflikte, wirtschaftlicher Wandel: Die Zahlen des Wissenschafts- barometers 2024 zeigen, dass die Mehr- heit der Bevölkerung ein Engagement der Wissenschaft hinsichtlich der großen Herausforderungen unserer Zeit erwar- tet. Auch die Mehrheit der Forschenden versteht gesellschaftliche Mitwirkung als festen Bestandteil ihres Berufs. Um globale Problemlagen zu bewälti- gen, muss Wissenschaftskommunikation die Vielfalt wissenschaftlicher Perspekti- ven nutzen und Schnittstellen zu den Öf- fentlichkeiten stärken. Nur hier entsteht das Handlungswissen für die Lösung ge- sellschaftlicher Herausforderungen. Inno- vation erwächst nicht automatisch aus Pa- tenten, sondern aus Verständigung und Partnerschaften. Da rund zwei Drittel der Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Deutschland aus dem Wirtschaftssektor stammen, ist Wissenschaftskommunika- tion gerade an den Schnittstellen zur Wirt- schaft gefordert. WiD unterstützt hier mit Weiterbildun- gen wie der CZS STEM Impact School, die 2 | 25 speziell Forschende aus MINT-Fächern da- zu befähigt, ihre Expertise in gesellschaft- lich wirksame Strategien zu übersetzen, sowie durch Multistakeholder-Dialoge und eine Vielzahl von Formaten, die den trans- sektoralen Dialog und Wissenstransfer stärken. Wirksamer Transfer gelingt nur durch exzellente, integrierte Kommuni- kation an den Schnittstellen. Wissenschaftskommunikation als Schutzfaktor Eine offene Gesellschaft setzt freie Wis- senschaft voraus und umgekehrt. Populis- mus, Polarisierung und Desinformation gefährden diese wechselseitige Beziehung. Eine zentrale Aufgabe der Wissenschafts- kommunikation ist es, Des- und Misinfor- mation entgegenzutreten und wirksame Strategien für den Umgang mit polarisier- ten Debatten zu entwickeln. Sie stärkt eine informierte Öffentlichkeit sowie kritisches Denken und trägt so wesentlich zur Resi- lienz demokratischer Gesellschaften und wissenschaftlicher Organisationen bei. WiD verfolgt diese Ziele in zahlreichen Dialogformaten. 2025 legt WiD im Wis- senschaftsbarometer den Fokus auf das Thema Polarisierung, um Lösungen für eine wirksame Wissenschaftskommuni- kation zu entwickeln. Wissenschaftskommunikation ist mit Blick auf die skizzierten Dynamiken wich- tiger denn je: jetzt – und mindestens für die nächsten 25 Jahre. Als Think-and-do- Tank ist WiD Vorreiter und unverzichtba- re Infrastruktur einer freien Wissenschaft. An der Seite von starken Partnern wie der Fraunhofer-Gesellschaft, die tief in der Gesellschaft verankert ist und für anwen- dungsnahe Forschung steht, gewinnt die- se Aufgabe zusätzliche Schlagkraft. Als „die Organisation der Wissenschaft” ist es unsere Aufgabe, Wissenschaftskommu- nikation konsequent weiterzuentwickeln, als unverzichtbaren und wirksamen Teil wissenschaftlicher Arbeit, gemeinsam mit unseren Gesellschaftern und Partnern. WiD steht seit 25 Jahren dafür ein und wird es auch künftig tun: als Motor, Brü- cke und Garant wirksamer Wissenschafts- kommunikation. Für eine offene Gesell- schaft, die Wandel mit dem besten Wissen gestaltet. 71 l g o a D m i i t f a h c s n e s s i W / l e d n e H . C a j l I : o t o F

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2 | 25 Tumor im Die computergestützte Navigation hilft, empfindliches Gewebe bei Eingriffen zu schonen. Dank einer Datenbrille werden Operationen nun nicht nur sicherer, sondern auch kostengünstiger. Mit ihrem neuen Ansatz wecken Forschende weltweit das Interesse großer Tech-Konzerne. Von Yvonne Weiß Faden kreuz Gut vernetzt: Das menschliche Gehirn besteht aus Milliarden von Nervenzellen, die über Synapsen miteinander kommunizieren. 72

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D er Neurochirurg ist dicht am Ziel. Im Display seiner Virtual-Reality-Brille bahnt sich die neongrüne Markie- rung, die die Spitze des Operations- instruments markiert, in Sekundenschnelle ihren Weg durch die grauen Schichten des Gehirns. Der Operateur weiß: Nur noch wenige Millimeter, dann hat sein Skalpell den Tumor erreicht. Diese Szene könnte bald Realität im Operations- saal sein. Forschende des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU und der Neurochirurgie der Universität Leipzig ha- ben herausgefunden, wie eine Standard-Datenbril- le chirurgische Eingriffe revolutionieren kann – und Operationen sicherer und kostengünstiger macht. »Unsere Technologie funktioniert ähnlich einem GPS-System im Auto«, erklärt Dr. Ronny Grunert, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Ab- teilung Additive Kunststoff- technologien und Automa- tisierung am Fraunhofer IWU. »Neben dem realen Operationssaal sieht der Arzt in einer Datenbrille eine MRT-Aufnahme. Die- se gleicht einer anatomi- schen Landkarte der Person – und zeigt in Echtzeit mit- tels eines Fadenkreuzes an, wo sich das Operationsin- strument aktuell befindet.« Navigationssysteme in Form von großen Appara- turen und Kameras kom- men bei operativen Eingriffen bereits zum Einsatz. Diese sind allerdings nicht nur sperrig und kom- plex in ihrer Bedienung, sie schlagen je System zudem mit etwa einer halben Million Euro zu Bu- che. »Unsere Technologie ist platzsparend, lässt sich einfach bedienen und kostet im Vergleich zu klassischen Navigationssystemen lediglich etwa ein Zehntel«, erklärt Grunert. So sollen auch klei- nere Krankenhäuser und Arztpraxen die Techno- logie nutzen – und noch sicherer operieren können. Datenbrille ermöglicht Echtzeit- Einblicke ins Gehirn Im Projekt, an dem auch das IT-Unternehmen ISD beteiligt ist, hat das Team eine spezielle Software entwickelt. Diese verbindet die Standard-Daten- brille mit einer MRT-Aufnahme, die vor der OP vom Gehirn des Patienten oder der Patientin auf- genommen wurde. Die Fraunhofer-Forschenden fertigen zudem eine weitere zentrale Komponente o t o h p k c o t s I / i h s a h a k a t u r o t a s , r u t k a f u n a m g c / e r u t c i p n a p l i i : s o t o F 2 | 25 der Technologie an: ein Handstück aus dem 3D- Drucker, an dem das Operationsinstrument be- festigt ist, das der Chirurg oder die Chirurgin im Körper bewegt. Das Stück, das dem Griff eines Schraubenziehers ähnelt, dient als Bindeglied zwischen dem verborgenen OP-Besteck im Kör- per und der Datenbrille. Neue Technologie weckt weltweit Interesse Ronny Grunert und sein Team haben dafür spezi- elle Marker erstellt, die ebenfalls aus dem 3D-Dru- cker stammen: geometrische Formen wie Dreiecke, die die Forschenden anschließend am Handstück befestigen. Ist das Instrument in Bewegung, er- fasst eine Kamera, die in der Datenbrille integriert ist, diese Marker. Da die Geometrien des gesam- ten Instruments zuvor in der Software hinterlegt wurden, weiß das Compu- terprogramm, wo sich die Spitze des Instruments in Relation zum Marker aktu- ell befindet – und kann so- mit dessen exakte Position im Körper ermitteln. »Erste Prototypen ha- ben wir bereits erfolgreich getestet, derzeit optimieren wir die Marker«, so Gru- nert. »So möchten wir mit der Datenbrille eine Genau- igkeit von ein bis zwei Mil- limeter erreichen, die für konventionelle Naviga- tionssysteme üblich ist.« »Ich ﬁnde es faszinie- rend, was dank modernster Technik im OP-Saal möglich ist und sowohl Patienten als auch Chirurginnen und Chirurgen nützt.« Dr. Ronny Grunert, Fraunhofer IWU Das Projektteam nutzt weltweit erstmalig ei- ne Datenbrille als Navigationssystem bei neuro- chirurgischen Eingriffen; diese eignen sich auf- grund des knöchernen Schädels, der das Gehirn umgibt, besonders für eine exakte Navigation. Langfristig könnte die Technologie aber auch bei Operationen anderer Körperregionen zum Einsatz kommen. Das Interesse ist groß: Bereits vergan- genes Jahr hat Ronny Grunert dem Konzern Apple die Software am neuesten Modell der firmeneige- nen Datenbrille demonstriert. Dieses Jahr hat ihn das Unternehmen zur ersten Konferenz im Bereich Special Computing eingeladen. Ronny Grunert freut sich über die Ergebnisse: »Ich finde es faszinierend, was dank modernster Technik im OP-Saal möglich ist und sowohl Pa- tienten als auch Chirurginnen und Chirurgen nützt. Zu sehen, dass wir in diesem Bereich weltweit füh- rend sind, ist für uns ein riesiger Erfolg.« 73

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2 | 25 EUROPA Strukturierte Ober flächen für die Photovoltaik Perowskit-Solarzellen gelten als poten- ziell leistungsstärkere Nachfolger klassischer Silizium-Zellen. Dank ihrer Flexibilität ermöglichen sie Anwen- dungen etwa auf Folien oder in Gebäudefassaden. Im EU-Projekt PERSEUS entwickelt das Fraunhofer- Institut für Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP Verfahren zur Strukturierung dieser Zellen mithilfe der Rolle-zu-Rolle-Nanoimprintlitho- grafie (R2R-NIL). Das Verfahren basiert auf der Prägung und UV-Vernetzung spezieller Lacke durch rotierende Walzen. So sollen Reflexionsverluste gesenkt und der Wirkungsgrad der Solarzellen erhöht werden. Parallel dazu entwickeln die For- schenden im Projekt »Design-PV« dekorative Oberflächen für fassaden- integrierte Photovoltaikmodule, um Solarzellen ohne architektonische Beeinträchtigung ästhetisch in Gebäu- de zu integrieren. Die NIL-Technologie erlaubt eine großflächige, kosten- effiziente Herstellung strukturierter Folien – auch für weitere Anwendun- gen in Bereichen wie Antifouling, Entspiegelung oder Medizintechnik. Die PV-Module der Zukunft sollen nicht nur effizient arbeiten, sondern auch besser aussehen. 74 Fraunhofer international Norwegen Europa Slowenien Standorte der Fraunhofer-Gesellschaft Nachhaltigkeit spielt bei der Entwicklung innovativer Solid- State-Batterien von Beginn an eine Rolle. NORWEGEN/SLOWENIEN Festkörperbatterien neu gedacht Im Projekt FUNCY-SSB entwickeln Part- ner aus Deutschland, Norwegen und Slowenien neue Materialien für Fest- körperbatterien. Diese sogenannten Solid-State-Batterien sind besonders für den Mobilitätssektor interessant. Anders als herkömmliche Lithium- Ionen-Batterien enthalten sie feste statt flüssige Elektrolyte. Das ermög- licht höhere Energiedichten, stellt die Materialforschung aber vor große Her- ausforderungen: Feststoffe lassen sich schlechter verbinden, Grenzflächen müssen stabil und leitfähig bleiben. Unter der Leitung des Fraunhofer- Instituts für Silicatforschung ISC er- arbeitet das Projektteam daher funk- tionelle Oberflächenbeschichtungen, die den Ionentransport verbessern und empfindliche Elektrolytkompo- nenten schützen. Nachhaltigkeit und Recyclingfähigkeit werden von Anfang an mitgedacht. Das angestrebte Mate- rialdesign könnte künftig als Vorbild für weitere Festkörperelektrolyte dienen.

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NORWEGEN/EUROPA Grüner Strom für grüne Schiffe Die Schifffahrt verursacht erhebliche Emissionen – unter anderem, weil Bord- stromsysteme kaum für die Integration erneuerbarer Energien ausgelegt sind. Unter Leitung der norwegischen Mari- time CleanTech entwickeln 13 europäi- sche Partner im Projekt STEESMAT ein System auf Basis von Mittelspannungs- Gleichstrom (MVDC), das den Wechsel- stromstandard ablösen soll. Das Fraunhofer-Institut für Silizi- umtechnologie ISIT erarbeitet im Pro- jekt ein simulationsbasiertes »Hard- ware-in-the-Loop«-Modell für soge- nannte Festkörpertransformatoren (SST), die künftig Gleich- und Wechsel- stromsysteme an Bord effizient und sicher verknüpfen sollen. Damit lassen sich mehrere Energiequellen wie Batte- Neuer Kurs: Innovative Technologien sollen die Schifffahrt ökologischer machen. rien, Brennstoffzellen, Solarzellen und Windturbinen flexibel einbinden. Er- gänzend gestaltet das Fraunhofer ISIT Steuerungsstrategien für maritime Gleichstromnetze, die auch unter wechselnden Lasten stabil bleiben. Die Technik wird derzeit auf dem For- schungsschiff »RV North Star« unter realen Seebedingungen getestet. Das STEESMAT-System soll zudem Gewicht und Energieverbrauch der Schiffe reduzieren und so die Emis- sionen um bis zu 40 Prozent senken: ein Fortschritt, der die europäische Industrie an die Spitze nachhaltiger maritimer Innovation bringen würde. EUROPA Zukunftsfähige Stromnetze Wie sich Stromnetze mit hohem Anteil erneuerbarer Energien effizient steu- ern lassen, erforschen Wissenschaftle- rinnen und Wissenschaftler im europäi- schen Verbundprojekt TenSyGrid unter der Koordination des Fraunhofer-Insti- tuts für Windenergiesysteme IWES. Ziel ist, die Netzstabilität zu sichern und die Adaptive Systeme: Schwankende Einspeisungen setzen eine möglichst flexible Energie-Infrastruktur voraus. Versorgung zuverlässiger zu machen. Kern des Projekts ist ein multilineares mathematisches Modell, das Stromnet- ze mithilfe sogenannter Tensoren ver- einfacht abbildet. Hiermit sollen das komplexe Zusammenspiel dezentraler, schwankender Einspeisungen schneller und präziser als mit herkömmlichen Verfahren simuliert, Netzprobleme in Sekundenbruchteilen erkannt und da- bei gut interpretierbare Ergebnisse ge- liefert werden. So können Betreiber in Echtzeit bewerten, wie sich Änderun- gen der Stromerzeugung auf das Netz auswirken. Das Modell soll sich nahtlos in bestehende Netzleitsysteme und Softwarelösungen integrieren lassen, um eine breite praktische Anwendung zu ermöglichen. o t o h p k c o t s i e l l a / r e p u S t s u J , s y a w 0 0 0 1 , s s i e r g n a r , l m u k s o o p - t o n e , a p d / 1 6 d n e t s e W / o i c n o e L i c n a r F : s o t o F 2 | 25 EUROPA Monitoring für Wasser- stoff-Elektrolyseure Grüner Wasserstoff ist zentral für die Energiewende, doch die Herausforde- rungen für den großtechnischen Ein- satz von Elektrolyseuren sind erheblich: Die Anlagen müssen der schwanken- den Energieversorgung folgen, verur- sachen hohe Betriebskosten und haben eine begrenzte Lebensdauer. Im EU- Projekt DELYCIOUS, koordiniert vom Wasserstoff soll künftig einen Teil der Energie-Versorgung in der EU abdecken. Fraunhofer-Institut für Windenergie- systeme IWES, arbeiten Forschende aus fünf EU-Mitgliedstaaten an einem intel- ligenten Managementsystem für Elek- trolyseure (EMS), das Effizienz und Zuverlässigkeit der Anlagen optimiert. Das System vereint erstmals verschiede- ne Messtechnologien – elektrochemi- sche Impedanz-Spektroskopie (EIS) und Raman-Spektroskopie – mit datenba- sierten Modellen. So lassen sich Alte- rungsprozesse und Sicherheitsrisiken frühzeitig erkennen. Die Technologie funktioniert mit allen gängigen Elek- trolyseverfahren: alkalische Elektro lyse, Protonenaustauschmembran- und Festoxid-Elektrolyse. Das Fraun hofer IWES wird in seinem Hydrogen Lab Leuna für die alkalische Elektrolyse Validierungstests im großen Maßstab (>100 kW) durchführen. Winddaten aus Bremerhaven simulieren dabei die schwankende Energiezufuhr aus erneuerbaren Quellen. 75

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2 | 25 Revolution auf hoher See Damit Windräder sicher im Wasser stehen, nimmt das Fraunhofer IWES den Meeresgrund der Ostsee unter die Lupe. Von Kathrin Schwarze-Reiter D ie Ostsee wird derzeit zum Schauplatz eines ehrgeizigen Projekts: Das polnische Unter- nehmen ORLEN und die kanadische Firma Northland Power planen hier den Baltic Pow- er Offshore-Windpark mit einer Spitzenleistung von 1,14 Gigawatt – genug, um 1,5 Millionen Haushalte mit saube- rem Strom zu versorgen. Doch bevor die riesigen Turbinen errichtet werden, muss klar sein, ob der Meeresboden überhaupt dafür geeignet ist. Das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES mit Sitz in Bremerhaven hat sich dieser Herausforderung angenommen. Mit innovativen geophysikalischen Mess- verfahren untersucht es die Beschaffenheit des Meeres- grunds, damit der Bau des Windparks sicher starten kann. Denn das Meer ist für die Forschenden vor allem eines: ein riesiges Labor für die Energie der Zukunft. Gefahren und Geschichte unter Wasser: Was der Meeresboden verbirgt Der Meeresboden ist ein unberechenbares Terrain – eine unsichtbare Welt, die über Erfolg oder Misserfolg eines Offshore-Windparks entscheidet. Neben Felsbrocken der Eiszeit, sogenannten Findlingen, können dort auch Wracks gesunkener Schiffe, alte Kabel- und Leitungssys- teme, Fischernetze oder sogar archäologische Relikte 76

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2 | 25 »Wir können Objekte, die etwa 50 Zentimeter groß sind, in einer Tiefe von bis zu 100 Metern ﬁnden.« Gino Frielinghaus, Fraunhofer IWES Schätzungsweise 100 000 Schiffs- wracks liegen auf dem Grund der Ostsee – nur eine von vielen Überraschungen in der Tiefe, die die Baupläne durchkreuzen können. 77 e e s t s O r e d s k c a r W n e d u z e s i e R e n E i . e f f i h c s r e t s i e G : h c u B m e d s u a m h a D s a n o J : o t o F

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2 | 25 wie prähistorische Siedlungsreste oder Kultstätten liegen. Diese Überbleibsel menschlicher Geschichte oder indust- rieller Nutzung können nicht nur Bauprojekte verzögern, sondern erfordern teils aufwendige Dokumentationen oder rechtliche Prüfungen – etwa dann, wenn dort Sied- lungen aus der Steinzeit auftauchen. Wird ein bedeuten- des Relikt entdeckt, kann das zu Bauunterbrechungen, Umplanungen oder Rettungsgrabungen führen. Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, setzen Frielinghaus und sein Team auf hochpräzise Messtech- nologie. Ein eigens am Fraunhofer IWES entwickeltes rahmenbasiertes Messsystem er- kennt Funde auf dem Meeresboden und massive Find- linge – sogenannte Boulders – bis zu 100 Meter unter- halb des Meeresbodens. Das System gleitet elegant wie ein Mantarochen mit seitlich ausladenden Flossen über den Meeresgrund. Dabei erfasst es mit seinen Sensoren die darunterliegenden Strukturen. Die Sensoren sind in dem Schlepprahmen installiert, der hinter dem Schiff gezogen wird – gekoppelt mit einem hochgenauen GPS-System. Die Forschenden senden seis- mische Signale in den Untergrund. Wie ein Echo kehren diese Wellen an die Oberfläche zurück, wo sie von hoch- empfindlichen Unterwassermikrofonen, sogenannten Hydrophonen, aufgezeichnet werden. Die Art, wie diese Wellen gestreut oder reflektiert werden, verrät viel über Form, Lage und Material der Objekte im Boden. Das Besondere: Diese spezielle Form der sogenannten Mehrkanalseismik erlaubt es, selbst kleine oder unregel- mäßig geformte Hindernisse aufzuspüren. So entsteht ein dreidimensionales Bild des Meeresbodens mit erstaun- licher Detailtiefe. »Wir können Objekte, die etwa 50 Zen- timeter groß sind, in einer Tiefe von bis zu 100 Metern finden«, sagt Frielinghaus. 78 Und manchmal kann es dort unten auch richtig gefährlich werden. In der Nord- und Ostsee lagern gewaltige Men- gen an Altmunition aus den zwei Welt- kriegen, in der Nordsee allein schät- zungsweise 1,6 Millionen Tonnen: Bomben, Minen und Granaten. »Diese müssen aufwendig kartiert und größ- tenteils geborgen werden, um sicher bauen zu können«, sagt Gino Frieling- haus, Abteilungsleiter Baugrunderkun- dung am Fraunhofer IWES. Unsichtbares sichtbar machen: Das Prinzip der Boulder Detection In der Nord- und Ostsee lagern gewaltige Mengen an Altmunition aus den zwei Weltkriegen, in der Nordsee allein schätzungsweise 1,6 Millionen Tonnen: Bomben, Minen und Granaten. Planungssicherheit in Rekordzeit: Präzise Daten beschleunigen Bauprojekte Die so gewonnenen Daten sind Gold wert – für Planer, Bauunternehmen und Betreiber gleichermaßen, denn sie sparen Kosten und Zeit. Sie helfen, Standorte für Fundamente auszuwählen, Trassen für Seekabel zu be- stimmen und Risiken bereits vor Beginn der Bauarbei- ten zu minimieren. Auch entlang der Kabelkorridore ist das wichtig: Dort können Findlinge nicht einfach um- gangen werden. Die Steine können die Installation von Seekabeln behindern, was mit hohen Kosten verbunden ist. Eine weitere Stärke des Systems: Es funktioniert auch in schwierigen geologischen Bedingungen, etwa bei weichen Sedimenten, hartem Ton oder gemischten Untergründen. »Genau sol- che Komplexität haben wir in der Ost- see«, so Frielinghaus. »Deshalb ist un- ser Messsystem perfekt für diesen Einsatzort.« Im Vergleich zu herkömmlichen geophysikalischen Erkundungsmetho- den ist die smarte Technologie aus dem Fraunhofer IWES nicht nur präziser, sondern auch effizienter. Die Techno- logie ist speziell auf die Detektion sämt- licher Georisiken zugeschnitten und hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Planung des Baltic Power Off- shore-Windparks schnell durchgeführt werden konnte. Auf Tauchgang für sichere Stromwege Erstmals kam das System des Fraunhofer IWES dabei auch entlang geplanter Seekabelrouten zum Einsatz. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten systematisch, wie viele potenzielle Findlinge sich in un- mittelbarer Nähe der vorgesehenen Kabelkorridore im Untergrund befinden und wo sich größere Boulder-Felder konzentrieren. Auf Basis dieser Daten können Installa- tionsschiffe die Kabel später gezielt um Hindernisse he- rumführen. Das reduziert die Kosten und ist gleichzeitig ein erheblicher Vorteil für die Sicherheit und Langlebig- keit der Infrastruktur. Inzwischen ist das Projekt in einer fortgeschrittenen Phase: Die Offshore-Vermessungen sind abgeschlossen, die Netzanbindung gesichert. Im Januar 2025 startete die Installation der ersten Fundamente auf See – dank der sorgfältigen Erkundungsarbeit des Fraunhofer IWES oh- ne böse Überraschungen.

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Fraunhofer vor Ort Bremen Berlin Düsseldorf 2 | 25 Düsseldorf 17. – 20. November 2025 Medica Internationale Leitmesse für Medizintechnik Düsseldorf 17. – 20. November 2025 Compamed Internationale Fachmesse für die medizinische Zuliefererbranche und deren Produktentwicklung Berlin 30. September – 2. Oktober 2025 Smart Country Convention Kongressmesse für die Digitalisierung des öffentlichen Sektors Düsseldorf 8. – 15. Oktober 2025 Messe K Weltgrößte Fachmesse der Kunststoff- und Kautschuk- Industrie Bremen 11. – 13. November 2025 Space Tech Expo Fachmesse für die Lieferkette und Ingenieursdienst- leistungen der Raumfahrt- industrie Fraunhofer-Magazin Das Magazin für Menschen, die Zukunft gestalten Wollen Sie das Fraunhofer- Magazin sofort bei Erscheinen in Ihrem Briefkasten – kostenlos? Bestellen Sie direkt online unter http://s.fhg.de/bestellen Leichter bauen Klimaneutral – vom Neubau bis zur Sanierung 4 2 | 4 Hier keimt Hoffnung Neue Chancen im Kampf gegen Bakterien Dr. Winterberg und Dr. Dahlmann (r.), Fraunhofer ITEM Zukunftspreis 2024 an Fraunhofer Bundespräsident Steinmeier verleiht wichtigste Auszeichnung für Innovation »Wir schaffen mehr!« Ministerpräsident Stephan Weil im Interview 79 2 | 25Sicherheit & Infrastruktur Wiewir dasschaffenErste Hilfe im All Schnelle Heilung dank Super- PflasterFraunhofer-ForschungspreiseHerausragende Leistungen – von Video-Technik bis Aluminium-ProduktionChristoph Weingard, Fraunhofer IZFPTumor im Fadenkreuz Wie eine Standard- Datenbrille Operationen revolutionieren kann1 | 25Violetta Schumm, Fraunhofer IGCVLandlust statt Landfrust Start-up: eine App für die meisten Deutschen»Fraunhofer denkt denTransfer schon mit!«Ministerpräsident Daniel Günther im InterviewWir sind auf dem SprungWirtschaft & Wissenschaft: Transfer für unsere ZukunftKleine Quanten,große WirkungWie neues Computingneue Lösungen schafft

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Fraunhofer bewegt Großes Wie lassen sich die Infrastruktur-Projekte in Bilder fassen? Foto- graf Jonas Ratermann machte sich mit tech- nischen Zeichnungen, einem Beamer und großformatigen wei- ßen Hintergründen auf die Reise. Am Ende wurde die Foto-Pro- duktion schwarz-weiß, um die Fraunhofer- Forschenden noch stärker mit der Technik zu verschmelzen. Ein wenig zur Inspiration beigetragen hat Dirk Koster (r.) vom Fraun- hofer IZFP. Er liebt Heavy Metal und trägt nur Schwarz.

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Editorial

Kurz gemeldet

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Forschen für die Sicherheit

Die Verteidigung der Lufthoheit

Das Schutzschild wächst

Global vernetzt, global verwundbar

Stimme aus der Wirtschaft: Forschung für eine gesunde Zukunft

Lösungen für Rohstoffengpässe

Einen Riecher für Whisky

Bei Anruf: Fake!

Sanierungsfall Deutschland

Der Sound sicherer Brücken

Mit dem Laser gegen die Ewigkeitskosten

Mission Power-Pflaster

Kaviar 2.0

Ausgezeichnete Forschung

Clever kleben

Foto & Fraunhofer

70 Wissenschaftskommunikation für ein besseres Morgen

Tumor im Fadenkreuz

Fraunhofer international

Revolution auf hoher See

Fraunhofer vor Ort