Timo Toots
Timo Toots, geboren 1982, in Estland ansässig, ist Medienkünstler, Fotograf und Programmierer. Er studierte an der Universität Tartu Informatik, fand das Studium allerdings langweilig und ohne Raum für Kreativität. Sein Fotografiestudium an der Estnischen Akademie der Künste setzte den Prozess in Gang, der ihn zum Diskurs über neue Medienkunst führte. Während seines Bachelorstudiums war Toots Austauschstudent an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und an der Kunstakademie Islands in Reykjavik. Seit 2005 hat er an Gruppenausstellungen in Estland und Nachbarländern teilgenommen. Seine erste Einzelausstellung, Memopol-I, wurde in Tartu und Tallinn gezeigt.
Memopol-II, 2011, Multimediainstallation
Bei Memopol-II handelt es sich um eine „soziale Appartur“, die das Informationsfeld des jeweiligen Nutzers erfasst und vermisst. Gibt man als Benutzer der Installation Daten aus dem eigenen Identifikationsdokument wie Personalausweis oder EU-Reisepass ein, so sucht die Apparatur in (inter-) nationalen Datenbanken und dem Internet nach Informationen über den jeweiligen Inhaber. Alle gefundenen Informationen werden auf einem großformatigen Display öffentlich gemacht; zugleich werden auch die Passfotos der Besucher aus den Ausweisen gut sichtbar gezeigt.
Die kyrillische Schriftweise in Namen der installativen Arbeit ist eine Anspielung auf George Orwells „Big Brother“ in seinem 1948 veröffentlichten dystopischen Roman 1984. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Technik die Überwachung der Gesellschaft grundlegend verändert. Wann immer man im Internet surft, mit einer EC-Karte bezahlt oder sich mit Ausweispapieren legitimiert, hinterlässt man digitale Spuren. Im Internet wie den verschiedenen sozialen Netzwerken werden personenbezogene Daten gespeichert und veröffentlicht, sodass das private Profil einer Person nicht länger von seiner oder ihrer physischen Präsenz allein abhängt, sondern zunehmend auch von jenen digitalisierten Informationen bestimmt wird, über die sie oder er manchmal nur noch wenig Kontrolle besitzt. Jemanden bei Bedarf mittels verschiedener Internetsuchmaschinen oder sozialer Netzwerken zu überprüfen und auszuspähen, ist mittlerweile zu einer weitverbreiteten Praxis geworden – im Privatleben wie bei Bewerbungen auf dem Arbeitsmarkt.
Die Installation Memopol-II erlaubt es vor diesem Hintergrund, uns selbst einer umfassenden Hintergrundüberprüfung zu unterziehen und die Fülle der Datenbestände vorzuführen, auf die über uns im Internet Zugriff besteht. Estland ist vielen anderen Ländern voraus, wenn es um die Datensammlung von staatlicher Seite geht. Informationen über die Bürger des Landes werden online verwaltet und dem Einzelnen und staatlichen Behörden in unterschiedlichen Abstufungen zur Verfügung gestellt. ID-Kartenlesegeräte scheinen dabei ein vorteilhaftes und bequemes Mittel zur elektronischen Identifizierung und bei den vielfältigen Datentransfers zu sein. Die harmlos aussehenden Lesegeräte lassen aber nur selten an jene übel meinenden und böswilligen anderen denken, die sich unautorisierten Zugriff zu den geschützten Informationen verschaffen wollen. In diesem Sinne führt Timo Toots mit seinem Memopol-II unser Vertrauen oder unsere Paranoia auf den Prüfstand, die wir jenen Apparaturen entgegenbringen, die unsere Informationen einlesen.
Goldene Nica für Interactive Art: Memopol-2
http://works.timo.ee/
Veranstaltungen:
gateways. Kunst und vernetzte Kultur