Allzu häufig wurde und wird die Institution des Gymnasions auf ihre Funktion als 'Bildungszentrum' oder, weiter gefaßt und zurückhaltender formuliert, als 'Kulturzentrum' 1 reduziert. Dieser Auffassung zufolge stellt das Gymnasion ein...
moreAllzu häufig wurde und wird die Institution des Gymnasions auf ihre Funktion als 'Bildungszentrum' oder, weiter gefaßt und zurückhaltender formuliert, als 'Kulturzentrum' 1 reduziert. Dieser Auffassung zufolge stellt das Gymnasion ein städtisches, die Staatlichkeit repräsentierendes Erziehungsinstitut dar, das der Jugend in den meisten griechischen Städten zumindest einen streng reglementierten Unterricht in mehreren Fächern, wenn nicht sogar ein philosophisches Propädeutikum zuteil werden ließ. Entsprechend wurde das Gymnasion in der Forschung lange Zeit gerne als eine Stätte wissenschaftlicher Ausbildung und Tätigkeit dargestellt und in manchen Fällen sogar als ein Vorläufer der modernen Universität bezeichnet, an der bereits alle Spielarten des damals bekannten Wissens gelehrt worden seien. 2 Mein Beitrag wendet sich nachdrücklich gegen diese die modernen Verhältnisse in die historische Evidenz hineingetragenen, jedoch weit verbreiteten und so auch in vielen älteren Handbüchern und monographischen Abhandlungen anzutreffenden Vorstellungen, denen letztlich eine allzu optimistische Einschätzung von der Verbreitung von Literalität und Wertschätzung intellektueller Bildung in den hellenistischen Städten zugrundeliegt. Die nachstehende Untersuchung versucht der einseitig akzentuierten Auffassung des Gymnasions als einer seitens der Städte immer schon geschützten und geförderten Institution des griechischen Geisteslebens entgegenzutreten und anhand der vorliegenden, vor allem epigraphischen Zeugnisse ein realistischeres, wenn auch nicht unbedingt neues Bild 3 von den intellektuellen Aspekten des hellenistischen Gymnasialbetriebs auf der Basis der vorhandenen, vor allem epigraphischen Quellen nachzuzeichnen: Keineswegs nämlich war die intellektuelle Erziehung notwendigerweise an den Besuch einer öffentlichen Institution wie die des Gymnasions geknüpft. Gerade im Fall von Jugendlichen vornehmer Abkunft war die private Erziehung im familiären Umfeld durch Hauslehrer üblich. 4 Diese standen in der Regel in sozialer Abhängigkeit zu den betreffenden Familien und waren als Sklaven oder Freigelassene eng an die letzteren gebunden. Darüber hinaus gab es in den griechischen Städten ____________________________________________________________________________________________ Für die kritische Lektüre des Manuskripts, für vielfältige Anregungen, Änderungs-und Ergänzungsvorschläge möchte ich Klaus Bringmann, William V. Harris, Daniel Kah, Hartmut Leppin, Christof Selzer und Michael Wörrle herzlich danken. 1 Vgl. anstelle von anderen: SCHNEIDER: Kulturgeschichte I, 138. So etwa auch jüngst wieder sehr prononciert: WACKER: Gymnasion in Olympia, 131-137. 2 So etwa DELORME: Gymnasion, 316. 3 In diesem Sinne bereits: HADOT, DNP "Gymnasion II", 23, die sich im Rahmen des Lexikoneintrags mit der allgemein gehaltenen Bemerkung begnügen muß, daß die Jugend weder im Hellenismus noch in der Kaiserzeit im Rahmen des allgemeinen Gymnasionsbetriebs in die artes liberales eingeführt worden wären. 4 Nach wie vor grundlegend hierzu: FERDINAND MAHIR: Geist und Wert der Familienerziehung im Altertum, Diss. München, Oettingen 1928. ____________________________________________________________________________________________ 6 Xen. Lak. pol. 2, 1: t«n m¢n to¤nun êllvn ÑEllAEnvn ofl fãskontew kãllista toÁw ufle›w paideÊein, §peidån tãxista aÈto›w ofl pa›dew tå legÒmena juni«sin, eÈyÁw m¢n §pÉ aÈto›w paidagvgoÁw yerãpontaw §fistçsin, eÈyÁw d¢ p°mcousin efiw didaskãlvn mayhsom°mouw ka‹ grãmmata ka‹ mousikØn ka‹ tå §n pala¤str&. Zur Stelle: REBENICH: Xen. Lak. pol., 93 A. 17 f.; OLLIER: Xen. Lak. pol., 25 f. Xenophon spielt auf die unterschiedlichen Erziehungsarten an: Der freiheitlichen, privat vermittelten und getragenen athenischen Erziehung wird die staatliche, auf Disziplin ausgerichtete Spartas entgegengestellt. Vgl. die ausführliche Beschreibung der athenischen Erziehung bei: Plat. Prot. 325 c 5 -326 e 1. 7 In Athen scheint nach Aussage des Protagoras (Plat. Prot. 325 d 7 -e 1) das vordringliche Erziehungsziel in der Ausbildung der eÈkosm¤a, eines sittlich-moralisch angemessenen, bürgerlichen Verhaltens, bestanden zu haben: efiw didaskãlvn p°mpontew polÁ mçllon §nt°llontai §pimele›syai eÈkosm¤aw t«n pa¤dvn µ grammãtvn te ka‹ kiyar¤sevw ("Wenn sie ihre Kinder zu Lehrern schicken, tragen sie diesen auf, sich weitaus stärker um die Sittsamkeit von jenen zu kümmern, als für um Lesen, Schreiben oder das Kitharaspiel"). Diesem ethischen Zweck dient auch die dem Elementarunterricht angeschlossene Dichterlektüre sowie die Unterrichtung in den musischen und gymnischen Disziplinen (325 e 1 -326 c 3). Siehe hierzu ausführlich: BERND MANUWALD: Platon Werke VI 2. Protagoras. Übersetzung und Kommentar, Göttingen 1999, 217-222. 8 Siehe etwa I. Delos 1503 (der Demos der auf Delos lebenden Athener ehrt Theodoros, Sohn des Aristion, 148/147 oder 146/145 v. Chr.), Z. 7-11: [ÉE]peidØ YeÒdvro[w] ÉArist¤vn[o]w ¶t[h | ple¤]ona t«n §leu[y°rv]n pa¤dvn [t«n ? | ée‹ ?] §n DAElvi tAEn te [di]das[ka]l¤an [ka‹ | tØn êl]lhn énastro[f]Øn kalØn ka‹ [eÈ|sxAEmon]a ka‹ éj¤an pepo¤htai [toË dAE|mou toË ÉAyh]na¤vn ka‹ t«n pa¤d[vn. Der Aufgabenbereich des Theodoros als didãskalow wird nicht genauer erläutert. Ähnlich unklar bleibt auch in einem delphischen Proxeniedekret (um 134 v. Chr.) die langjährige Tätigkeit des Androtimos, Sohn des Dexion, aus Karyne, die als didaskal¤a t«n pa¤dvn (Z. 4) bezeichnet wird: FD III 3, 119. Siehe auch I. Oropos 370 (Dekret der athenischen Phylen, 304-295 v. Chr., für ı didãskalow Philokrates, Sohn des Philinos). 9 Diese Zweiteilung der 'Knabenzeit' in pa›dew und meirãkia liegt auch den Bemerkungen des Teles (5,50,3-7 HENSE) zugrunde, wenn er seinen Zuhörern zu erweisen sucht, daß das Leben mehr leidvolle als glückliche Erfahrungen bereit halte: Als pa›w besuchen sie den paidagvgÒw, paidotr¤bhw, grammatodidãskalow und zvgrafÒw, als meirãkia treten dann der ériymhtikÒw, gevm°trhw und pvlodãmnhw. Siehe hierzu die Bemerkungen von FUENTES GONZÁLEZ: Télès, 461 f. Zu diesem zweiten Teil der Ausbildung: MARROU: Erziehung, 243-279. 10 Zuerst lernten sie die Namen der Buchstaben, dann das Schreiben der Buchstaben, dabei wurde das Alphabet vorwärts wie rückwärts geübt, dann kamen die Silben an die Reihe, zunächst das Lesen und Schreiben von Silben, danach wurden erste Worte geübt, zuerst einsilbige, dann mehrsilbige. Es schlossen sich Deklinier-und Konjugierübungen an, schließlich wurden aus einzelnen Wörtern erste Sätze gebildet. Für die ersten Satzbildungen dienten dabei im allgemeinen philosophische xre›ai und gn«mai zur Übung, aber auch leichte Passagen aus der griechischen Dichtung. Zu diesen Schreibübungen siehe jetzt ausführlich: CRI-BIORE: Writing, 139-152; vgl. MARROU: Erziehung, 288-292; NILSSON: Schule, 11-15.