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LC # 102 | November 2025
Popmusikforschung
Zehn Perspektiven auf Billie Eilish
Am 29. März 2019 veröffentlichten Billie Eilish Pirate Baird O'Connell und ihr Bruder Finneas Baird O'Connell den Song Bad Guy. Als Single-Auskopplung aus dem Album "When We All Fall Asleep Where Do We Go?" avancierte der Titel in kürzester Zeit zu einem globalen Erfolg und markierte einen Wendepunkt in der jüngeren Popgeschichte. Mit seiner angeblich weitgehend im "Do it yourself (DIY)"-Ethos entstandenen Produktionsweise wurde "Bad Guy" zum Symbol einer Generation, die technische Zugänglichkeit, digitale Plattformen und ästhetische Eigenständigkeit fruchtbar miteinander verbinden.
Billie Eilish verkörpert damit eine Generation von Künstler*innen, die sich zwischen digitaler Selbstermächtigung und globaler Popindustrie bewegen. Ihr Song gilt als klanglich eigenwillig, widersetzt sich somit konventionellen Erwartungen und fordert das Hören heraus. Gleichzeitig verbindet sich mit dem Track ein vielschichtiges Image: jenes einer jungen, ambivalenten Musikerin, deren Auftritt zwischen Verletzlichkeit, Coolness und kontrollierter Distanz oszilliert.
Das Phänomen "Bad Guy" lässt sich jedoch nicht allein musikalisch oder biografisch erklären. Es steht im Zentrum eines komplexen Netzwerks aus medialen, ökonomischen und sozialen Prozessen. Digitale Plattformen, Streamingdienste und soziale Medien sind ebenso Teil dieses Erfolgs wie die aktive Beteiligung von Fans, die durch Memes, TikTok-Trends oder Coverversionen neue Bedeutungen erzeugen. So wird Popmusik zu einem offenen Prozess, an dem Produktion, Distribution und Rezeption gleichermaßen beteiligt sind.
Das von Pascal Rudolph, Daniel Suer und Barbara Hornberger herausgegebene Studienbuch Popmusikforschung nutzt "Bad Guy" als gemeinsames Beispiel, um unterschiedliche wissenschaftliche Perspektiven der Popular Music Studies sichtbar zu machen. So analysieren die ersten Kapitel Klang, Form und Produktion des Songs, während weitere Beiträge Billie Eilish als Star, Persona und wirtschaftliche Entität beleuchten. Anschließend werden Rezeption, Fandom und transmediale Verbindungen untersucht, etwa, wie "Bad Guy" in sozialen Medien zirkuliert oder neue Formen kollektiver Teilhabe inspiriert. Abschließend rücken Körper, Stimme, Gender und Identität in den Fokus.
Durch diese multiperspektivische Annäherung wird deutlich, dass sich "Bad Guy" nicht als isoliertes Werk, sondern als kultureller Knotenpunkt verstehen lässt, an dem sich ästhetische Innovation, industrielle Strategien und gesellschaftliche Diskurse überlagern. Billie Eilishs Erfolg steht damit exemplarisch für die Dynamik zeitgenössischer Popmusik als ein Feld, in dem Produktion, Medien und Publikum untrennbar miteinander verflochten sind.
Text: Magdalena Fürnkranz